Kapitel Vier Nicht Nessie

Da waren wir also: die sechs großartigsten Geheimagenten der Welt, Meister der Spionage - und standen im Matsch, dem hohen Gras und im eiskalten Wind herum und fragten uns, was zum Teufel wir als Nächstes tun sollten. Wir waren daran gewöhnt, in dunklen Nebenstraßen der Stadt zu operieren, in Schatten und Gässchen, wo anständige Männer und Frauen sich niemals hingewagt hätten. Wir übten unser Gewerbe in verräucherten Kaschemmen und versteckten Kellerräumen aus, in verlassenen Büros und in Computerräumen um Mitternacht. Wir waren nicht dazu ausgerüstet, uns mit schottischen Lochs abzugeben. Ohne irgendwelche Hinweise, Verdächtige, die man verhören, oder Sachen, die man stehlen konnte, waren wir, um ehrlich zu sein, ganz schön aufgeschmissen. Wenigstens hatte ich etwas Erfahrung mit der großen Natur. Die anderen zeigten alle Anzeichen, dass sie zum ersten Mal auf dem Land waren und das ganz und gar nicht genossen. Zur Hölle, für einige von ihnen war vielleicht sogar Sonnenschein eine ganz neue Erfahrung.

Ich sah mich in aller Ruhe um. Riesige, graue Hügel ragten auf jeder Seite des Loch Ness in die Höhe, groß und zerklüftet, hier und da mit ein paar Wäldchen aus dürren Bäumen und Inseln aus dickem, in Büscheln stehendem Gras. Der Himmel war größtenteils bedeckt, die Sonne lugte nur durch wenige der fetten und tief hängenden Wolken, die aus der anderen Richtung des Lochs kamen. Das Wasser selbst war dunkelblau, still und völlig glatt - unberührt von irgendwelcher Fauna. Es war eigentlich ein hübscher Anblick; auf eine grimmige und düstere Art und Weise, die auf das Kommende hinzuweisen schien. Die Landschaft sah aus, als sei sie schon lange hier gewesen, bevor die Menschen gekommen waren, sie aufzustören, und als würde sie noch lange hier sein, nachdem sie wieder von der Erde verschwunden sein würden. Loch Ness war älter als alt, der See war uralt. Und welche Rätsel sich auch immer darin verbargen, er hielt sie alle fest in sich verborgen.

Walker überraschte mich damit, dass er in der frostig kalten Luft einen tiefen Atemzug tat und dann breit lächelte. »Na, das ist doch schon besser. Gute, saubere Landluft! Wie erfrischend! Da fühlt man sich gleich viel lebendiger.«

»Sie sind mindestens so seltsam, wie alle behaupten«, knurrte Peter King und schlang sich gegen die Kälte die Arme um den Körper. Er sah durch und durch schlecht gelaunt und genervt aus. »Es ist kalt, es ist feucht - und ich glaube, ich stehe mitten in einem Schafshaufen.«

»Nicht abwischen«, sagte der Blaue Elf altklug. »Man sagt, das bringt Glück.«

»Den verdammten Schafen bringt es bestimmt kein Glück, wenn ich sie in die Finger kriege«, sagte Peter düster und rieb seine Schuhsohle mit finsterer Entschlossenheit über das stachelige Gras. »Das sind teure Schuhe. Handgenäht von Schuhmachern, damit man in teuren Vorstandsetagen gut aussieht. Sie sind nicht dazu da, von dem nicht weggeräumten Dreck auf dem Land angegriffen zu werden!«

»Ich hatte nicht geglaubt, dass es diesseits des Polarkreises so kalt werden kann«, sagte Honey Lake und schauderte in ihrem weißen Pelzmantel. »Ich wäre nicht überrascht, wenn auf einmal ein Eisbär angeschwommen käme. Vielleicht steppt dann ein Pinguin auf seinem Rücken.«

»Ich mag die Gegend«, entschied Katt. Die Kälte schien sie nicht im Geringsten zu beeindrucken, trotz ihres hauchdünnen Kleidchens. Sie stellte sich neben mich und schlang einen schlanken, wissenden Arm durch den meinen. Sie kuschelte sich eng an mich und strahlte mich glücklich an. »Es ist hier sehr romantisch. Sogar dramatisch! Man fühlt sich an ›Stürmische Höhen‹ erinnert. Trotzdem ist es kein Ort für eine empfindliche Stadtpflanze wie mich.«

»Du bist so empfindlich wie ein Vorschlaghammer«, sagte der Blaue Elf ungerührt. »Ich habe den Zustand von ein paar deiner Opfer gesehen, wenn du mit ihnen fertig warst.«

Katt schnitt ihm eine Grimasse und lächelte dann bewundernd zu mir auf, nach wie vor scheinbar festgeschweißt an meiner Seite. »Du und ich gehören zusammen, Eddie. Wir schätzen die wahren Qualitäten eines Ortes wie diesem hier. Wir sind beides Freigeister, unabhängig und ungebunden! Wir gehören in die Wildnis, weit weg von den Ketten und den Fesseln des zivilisierten Benehmens …«

Ich musste lächeln. »Bevor das noch größere Ausmaße annimmt, Katt, sollte ich dir sagen, dass ich ein Drood bin. Wir werden darauf trainiert, eine Falle zu riechen und richtigen Blödsinn zu erkennen, wenn wir ihn hören. Also spar dir dein Süßholzraspeln und die Ego-Massage für die zivilisierte Welt.«

Katt lachte leichthin. Sie war nicht im Geringsten beleidigt. »Man kann einem Mädchen nicht vorwerfen, dass sie's versucht, Schätzchen. Und du wärst überrascht, wie viele intelligente Männer auf die billigsten Schmeicheleien hereinfallen, selbst in diesen sogenannten gebildeten Zeiten. Besonders, wenn ich tief Luft hole und meinen Busen herausstrecke.«

Ich sah sie für einen Moment nachdenklich an. »Wie viele, Katt? Wie viele Männer hast du in all den Jahren verführt, betrogen und ermordet?«

Sie zuckte anmutig mit den Achseln. »Ich zähle sie nicht, Eddie. Das ist nur ein Job. Einige Männer mehr als andere - und einige waren sogar richtig süß.«

»Und du hast sie alle getötet? Selbst die, die du mochtest?«

»Besonders die, die ich mochte, Schätzchen. Ich habe niemandem jemals erlaubt, mich zu beherrschen.«

»Und du hast niemals einen von ihnen geliebt?«

»Was ist das für eine Frage, Schätzchen? Ich habe sie alle geliebt! Auf meine Weise.«

Sie sah über den Loch hinweg, ihre schönen asiatischen Züge unberührt von irgendwelchen Emotionen, die ich hätte erkennen können. »Ich weiß wirklich nicht, was ich hier tue. Ich meine, Monster jagen - das bin so gar nicht ich. Ich habe mich immer strikt auf Spionage und Problembeseitigung beschränkt, mit gelegentlichen Ausflügen ins Fach des Betrugs und der Erpressung. Schuster bleib bei deinen Leisten, das sage ich immer. Verführung war schon immer ein wichtiger Teil der großen Tradition der Spionage. Ich bin glamourös und hübsch anzusehen, nicht praktisch. Ich mache mir die Hände nicht schmutzig, im wörtlichen Sinn. Das steht so in meinem Vertrag.«

»Und ich glaube, du brauchst einen großen, starken Mann, der auf dich aufpasst«, sagte ich. »Und der dich vor dem widerlichen Monster beschützt.«

»Ganz genau!« Katt schmiegte sich wieder eng an mich und sah mich mit dunklem Kajal eingerahmten Augen an. »Ich befasse mich nicht mit Rätseln oder bekämpfe Monster, und ich mag es ganz sicher nicht auf die harte Tour. Ich meine, komm schon, was soll ich machen, wenn hier ein Monster auftaucht? Es unter dem Kinn kraulen und es mit meinem berühmten Charme umgarnen?«

»Wenn das einer könnte, dann du«, sagte ich großzügig.

Katt seufzte. »Ich weiß nicht, wieso Alexander mich für seinen ach so kostbaren Wettkampf ausgesucht hat.«

»Ich glaube, er dachte, dass wir als Team funktionieren sollen. Jeder soll sein besonderes Talent in die Waagschale werfen, wie wir es gerade brauchen«, sagte ich. »Alle von uns arbeiten zusammen, für das große Ganze.«

»Bis wir einander hintergehen«, sagte Katt.

Ich lächelte sie an. »Ich bin sicher, damit hast du kein Problem. Könnte ich jetzt meinen Arm zurückhaben, bitte? Ich habe nicht die Absicht, dir zu nahe zu kommen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich würde gern in meinem Bett sterben, vorzugsweise an Altersschwäche. Also tu uns beiden einen Gefallen und sei woanders Vamp.«

Sie lächelte sonnig, ließ meinen Arm los und ging weg. »Dein Verlust, Schätzchen.« Sie schlenderte davon, trotz des schlammigen Seeufers immer noch graziös und sicher auf den Beinen. Sie ging auf Walker zu, und ich wünschte ihm heimlich alles Glück dieser Welt. Ich schlenderte zu Honey hinüber, die misstrauisch über die dunklen, unbewegten Wasser des Lochs starrte, als verdächtige sie den See, etwas im Schilde zu führen. Sie stand aufrecht und groß da, die Hände auf den Hüften und sah ganz wie ein General aus, der sich vor dem Angriff mit dem Schlachtfeld vertraut macht.

»Wir müssen uns organisieren«, sagte sie und machte damit ohne sich umzudrehen klar, dass sie meine Anwesenheit bemerkt hatte. »Wir haben eine Deadline, und die Uhr tickt. Alexander sah nicht so schlecht aus, wie man mich glauben machen wollte, aber wir haben keine Möglichkeit, herauszufinden, wie echt diese Projektion war. Er könnte jederzeit über den Jordan gehen und all seine Geheimnisse mit ins Grab nehmen, der selbstsüchtige Bastard. Er ist verpflichtet, seine gehorteten Informationen an den weiterzugeben, der am ehesten guten Gebrauch davon machen wird. Und nicht an jemanden, der ein blödsinniges Spiel gewinnt.«

»Ich glaube nicht, dass Alexander King jemals viel auf Pflicht gegeben hat«, meinte ich. Sie warf mir lächelnd einen kurzen Blick zu. »Ich glaube, wir arbeiten dabei besser zusammen, Eddie. Wir sind die einzigen wirklichen Profis in dieser Gruppe.« »Da ist Walker«, gab ich zu bedenken.

»Den kenne ich zu wenig. Außerdem sollte man keinem von der Nightside vertrauen.« »Und der Blaue Elf könnte uns alle überraschen.« »Einem Elben darf man niemals trauen.«

Ich musste lächeln. »Komm schon, Honey, du gehörst zur CIA. Du vertraust doch keinem.« Sie sah mich ernst an. »Irgendjemandem muss man vertrauen, oder man bekommt nichts geregelt. Die Tage der unabhängigen Operationen sind vorbei, Eddie. Die Welt ist zu groß geworden, zu kompliziert, als dass einsame Wölfe ihren Eingebungen und Instinkten trauen könnten. Nur die großen Organisationen haben die Ressourcen, um mit den Problemen von heute fertig zu werden.«

»Meine Familie wäre dieser Meinung«, sagte ich. »Aber ich hatte mit meiner Familie schon immer Probleme.«

»Davon habe ich gehört«, erwiderte Honey. »Warum tut ihr das, Eddie? Warum glauben die Droods, das Recht zu haben, die ganze Welt zu regieren? Ohne Rücksicht auf Verluste?«

»Weil wir das schon seit Hunderten von Jahren tun«, sagte ich. »Und wir sind verdammt gut darin.«

»Nicht immer«, widersprach Honey.

»Naja«, sagte ich. »Niemand will unausstehlich sein.«

Sie lachte. Es war ein freies und fröhliches Geräusch und stand ganz im Gegensatz zu ihrem entschlossenen Auftreten und dem kühlen, professionellen Gesichtsausdruck.

»Du hast dieser Sache dein ganzes Leben gewidmet, nicht wahr?«, fragte sie. »Alle Droods. Ihr spielt das Spiel, bis es euch umbringt oder bis ihr dabei tot umfallt. Warum solltet ihr das tun?«

»Irgendjemand muss es tun«, sagte ich.

»Nein, nicht wirklich. Also, warum?«

»Du willst es wirklich wissen?« Ich dachte darüber nach. »Pflicht. Verantwortung. Oder vielleicht, weil es trotz all seiner Verrätereien und Gefahren das beste Spiel der Welt ist. Das einzige, in dem wir unsere Talente voll einbringen können. Warum machst du's?«

»Ach, zum Teufel, Eddie. Das ist nur ein Job. Um die Karriereleiter hinaufzuklettern. Ich will jemand sein und Dinge tun, die etwas bewegen. Und ich will die Entscheidungen treffen, die etwas bewegen.« Sie warf mir wieder einen kurzen Blick zu. »Ihr Droods kümmert euch nicht um Politik. Wir anderen können uns diesen Luxus nicht leisten.« Sie sah wieder über den See, und ihre Körpersprache machte deutlich, dass das Thema für sie beendet war. »Also, wie findet man in einem See dieser Größe ein Monster?«

»Gute Frage«, erwiderte ich.

Aus dem Augenwinkel konnte ich Katt sehen, wie sie ihren Charme an Walker ausprobierte. (Das wäre ein schlechter Geheimagent, der nicht an zwei Dinge gleichzeitig denken könnte.) Katt versuchte immer wieder, ihren Arm durch Walkers zu schieben, und er wehrte das ab, ohne dass man den Eindruck bekam, er sei sich dessen bewusst. Schließlich wandte er sich ihr doch zu und sah sie an. Sie nahm sich tatsächlich zurück. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich die Kälte seines Blicks spüren; er war kälter, als die schottische Luft je hätte sein können. Er sagte etwas, und Katt reagierte, als hätte man sie ins Gesicht geschlagen. Sie schenkte Walker noch ein schnelles professionelles Lächeln, wandte sich um und ging, die Nase hoch in der Luft, davon. Walker wandte sich wieder dem See zu. Sein Gesicht war unbewegt, nachdenklich und vollkommen unberührt. Ich entschied, dass ich Walker wohl besser im Auge behielt. Jeder, der Lethal Harmony of Kathmandu niederstarren und sie in die Flucht schlagen konnte, war eindeutig ein Mann, mit dem man rechnen musste.

Katt stakste am Blauen Elf vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, vielleicht, weil sie wusste, dass all ihr Charme und ihre Fähigkeiten an den bekanntlich homosexuellen Halbelben verschwendet waren. Sie hatte nichts, was ihn interessieren konnte, außer vielleicht ein paar Modetipps. Honey sagte in diesem Moment etwas Nützliches, aber Langweiliges über die Notwendigkeit, schnell zu handeln, aber ich sah immer noch zum Blauen Elfen hinüber. Wir alle waren in dieser wilden und urwüchsigen Landschaft fehl am Platz, aber er sah verlorener aus als gewöhnlich. Seine Hände hatte er tief in den Gürtel geschoben und sein Kinn grub sich in seine schlapper werdende Halskrause. Er starrte den schlammigen Boden unter seinen Füßen finster an. Er sah einsam und müde aus und schien mit der Situation überfordert. Meine erste Reaktion war: Gut. Geschieht ihm recht.

Aber - ich kannte Blue schon sehr lange, wie man es auch drehte und wendete. Ich hatte ihn gemocht, ihm vertraut und ihm eine Chance gegeben, sich im Krieg gegen die Hungrigen Götter als Held zu erweisen. Er hatte dieser Chance und damit auch mir den Rücken zugewandt, nur um sich mit seinen arroganten Elbenverwandten versöhnen zu können. Ich hätte das vorausahnen sollen - und es besser wissen müssen. Der Blaue Elf hatte eine lange Geschichte von gebrochenen Versprechungen, kaltblütigem Betrug und anderen Abstürzen. Er behauptete gern, dass er in seinen jungen Tagen jemand Bedeutendes gewesen sei, aber das war eine Lüge. Allerdings hätte es so sein können. Wenn er nicht alles weggeworfen und seinen Schwächen nachgegeben hätte. Und er war ein Halbelb. Einem Elben durfte man niemals trauen. Das wusste jeder. Ich hätte es wirklich nicht persönlich nehmen sollen, dass er mich vor meiner ganzen Familie im Stich gelassen hatte, nachdem ich mich für ihn verbürgt hatte. Dass er mich schlecht hatte aussehen lassen.

Das war es gewesen, was der Blaue Elf getan hatte.

Er hatte einen Torques von den Droods gestohlen und war damit davongekommen. Man musste ihn dafür bewundern. Das hatte niemand bisher geschafft. Das musste man ihm lassen, er konnte wirklich in großen Dimensionen denken. Und vor allem verstand ich wirklich, was Familienzwänge waren, wusste um die Notwendigkeit, gegen besseres Wissen dazugehören zu wollen und akzeptiert zu werden - und auch um all die dummen, selbstzerstörerischen Dinge, die man dafür unwillkürlich tat. Also überließ ich Honey ihrem autoritären Selbstgespräch und schlenderte zum Blauen Elf hinüber. Ich beeilte mich nicht. Ich wollte ihm Zeit geben, selbst zu gehen, wenn er das wollte. Aber er sah sich um, als spüre er, dass ich herankam, hob eine Hand kurz zu dem goldenen Torques, den er um den Hals trug und wandte sich mir dann beinahe trotzig zu. Sein Kopf erhob sich, ein entschlossener Zug um den Mund herum zeigte sich, und er wich nicht zurück. Es war wohl ein langer Weg gewesen von dem gebrochenen und gestrauchelten Mann, den ich mehr tot als lebendig in seiner schäbigen kleinen Wohnung in Wimbledon gefunden hatte. Wenigstens hatte ihm die Begegnung mit dem Rat der Feen etwas Rückgrat verliehen. Ich hielt in respektvollem Abstand zu ihm an und nickte kurz. »Es ist kalt«, sagte ich. »Du hast nicht zufällig einen Flachmann mit Hochprozentigem bei dir, oder?«

Er lächelte kurz, als ob er nicht mehr daran gewöhnt war. Seine Augen waren wachsam. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich habe das alles aufgegeben, als ich meinen Platz im Rat der Feen eingenommen habe. Darauf bestanden sie. Elben haben einen sehr rigiden Standpunkt, was persönliche Schwächen angeht. Die sind nicht einfach nur verachtet, sondern verboten. Wenn man ein Elb ist, dann ist auch das Versagen übermenschlich. Alles andere ist unserer nicht würdig. Ich vermisse meine alten Sünden, meine alten Schwächen. In etwa so, als würde ich meine Kindheit vermissen, in der ich auch alle Fehler machen durfte, die ich wollte, und sicher sein konnte, dass sie nichts ausmachten. Aber das war vor langer Zeit. Damals war ich eine andere Person. Ich bin endlich erwachsen geworden, Eddie, und ich glaube, ich mag es gar nicht.« Er erwiderte meinen Blick. »Würdest du mich töten, um deinen kostbaren Torques wiederzubekommen?«

»Keine Ahnung«, sagte ich ehrlich. »Wahrscheinlich.«

Er nickte. »Du gäbst einen guten Elben ab.«

»Das ist einfach nur widerlich.«

Wir lächelten uns an. Vielleicht sind es wirklich nur die alten Freunde und die alten Feinde, mit denen man richtig ehrlich sein kann. Wir standen eine Weile Seite an Seite und sahen über den See. Der Himmel hatte sich jetzt endgültig bedeckt und das Wasser schien dunkler geworden. Der Wind blies immer noch, und die bittere Kälte kroch mir in die Knochen. Ich stampfte mit den Füßen auf, damit mein Kreislauf in Schwung kam. Wenn Blue die Kälte fühlte, dann versteckte er das gut. Er lächelte plötzlich und wies mich auf Katt hin, die weiter unten am Ufer stand und sich eng an Peter King kuschelte. Es sah aus, als sähe man einer Katze dabei zu, wie sie eine Maus fing. Aber zu meinem Erstaunen schien Peter nicht im Geringsten von ihrem praktizierten Charme oder von der Art und Weise, wie sie ihren Körper an ihn schmiegte, beeindruckt. Er zog höflich seinen Arm aus ihrem, trat zurück und sagte etwas, was zweifellos sehr ruhig, sehr zivilisiert und sehr entschlossen war. Katt starrte ihn an, als könne sie es nicht glauben. Dann ließ sie ihn sehr abrupt stehen, trat nach einem Grasbüschel und stampfte weg. Ich glaube nicht, dass sie es gewohnt war, von so vielen Männern an einem Tag einen Korb zu bekommen.

»Das hätte ich nicht erwartet«, sagte der Blaue Elf. »Ich war sicher, dass sie den kleinen Peter bei lebendigem Leib auffressen würde.«

»Der Apfel fällt wohl nicht weit vom Stamm«, sagte ich. »Alexander King war zu seiner Zeit ein ziemlicher Ladykiller. Manchmal sogar buchstäblich. Oh, sieh mal, ich glaube, Peter hat noch mehr Schafscheiße gefunden.«

»Wie viel Glück kann ein Mensch haben?«, wunderte sich der Blaue Elf nüchtern. »Ist dir aufgefallen, dass Walker sich hier an diesem primitiven und völlig unzivilisierten Ort ausgesprochen wohl zu fühlen scheint? Nicht gerade das, was man von einem Mann erwarten würde, der sein Leben auf den Straßen der Nightside zugebracht hat, wo nie die Sonne scheint. Als gäbe es hier nichts, was ihn berühren kann.«

»Nichts hier würde es wagen«, meinte ich. »Jeder hat schon einmal von Walker gehört. Hallo, jetzt geht Honey zu ihm. Ich glaube, wir sollten hingehen und schamlos lauschen. Wir können uns nicht leisten, außen vor gelassen zu werden. Nicht in dieser Gruppe.«

»Alles hören, alles sehen und unsere Gedanken für uns behalten«, sagte der Blaue Elf.

»Siehst du«, erwiderte ich. »Du hättest doch einen guten Drood abgegeben.«

»Und wer ist hier widerlich?«

Wir lachten kurz und dann sah er mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich nicht lesen konnte. »Es ist in Ordnung, dass du mich nie mochtest«, sagte er endlich. »Das tun nicht viele.«

»Ich mochte dich sehr wohl«, antwortete ich. »Ich war nur nie mit dir einverstanden.«

»Ich habe dich gemocht«, meinte er. »Ich habe dich sogar bewundert. Dafür, dass du deiner Familie gesagt hast, sie soll zum Teufel gehen und dabei geblieben bist. Dafür, dass du den Mut hattest, dein eigenes Leben zu leben und deinen eigenen Weg zu gehen und alles, was man von dir erwartete, dahin zu schicken, wo der Pfeffer wächst. Als du mich in deine Familie gebracht hast, da wollte ich wirklich, dass du stolz auf mich bist. Aber … du hättest nie einem Elben trauen dürfen, Eddie. Und am wenigsten einem verzweifelten, einsamen und dummen Halbelben.«

»Lass uns sehen, was Honey und Walker im Schilde führen«, sagte ich. Warum nur sind es immer die, die nicht gerade unsere besten Freunde sind, denen wir unsere Seelen öffnen können?

Wir gesellten uns zu Honey und Walker, als sie sich genau vor ihn stellte und verlangte, dass er seine legendäre Stimme benutzte, um das Monster an die Seeoberfläche zu locken. Walker jedoch war nicht im Geringsten beeindruckt und wich auch nicht zurück. Er erwiderte nur ihren direkten Blick. Peter und Katt kamen herbeigerannt. Sie wollten nichts verpassen.

»Stimme?«, fragte Peter atemlos. »Was für eine Stimme?«

»Man erzählt sich auf der Nightside eine Menge Dinge über Walker«, sagte ich. »Das Wichtigste ist wohl, dass man behauptet, er habe eine Stimme, der niemand widerstehen kann, die jeden dazu bringt, alles zu sagen oder zu tun, egal was. Eine Stimmte, die so mächtig ist, dass sogar die hohen und allmächtigen Götter und Monster der Nightside sich ihr beugen und ihr unterwerfen müssen. Es gibt sogar Leute, die erzählen, Walker habe schon einmal einen Leichnam in der Gerichtsmedizin aufrecht sitzen und ihm Rede und Antwort stehen lassen.«

»Das war nur einmal«, warf Walker ein. »Ich wünschte, man würde nicht so ein Aufhebens davon machen.«

»Oh«, meinte Peter. »So eine Stimme.«

»Würde sie außerhalb der Nightside überhaupt funktionieren?«, fragte der Blaue Elf.

»Ich glaube, sie funktioniert gar nicht«, sagte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. In Walkers Gesicht war nichts zu sehen, das darauf hinwies, aber auf einmal war ich mir sicher. Und eine ganze Menge Dinge ergab nun einen Sinn. »Sie haben diese Stimme gar nicht mehr, Walker, nicht wahr? Wenn Sie sie noch hätten, dann hätten Sie Alexander King dazu bringen können, Ihnen seine Geheimnisse zu geben. Sie haben vor dieser Sache noch nie nach jemandes Pfeife getanzt. Nein, Ihre Stimme wurde Ihnen von den Autoritäten gegeben, als sie Sie damals als Kontrollmacht in der Nightside eingesetzt haben. Wie sonst hätte ein Sterblicher an einem Ort wie diesem für Ordnung sorgen können? Aber die Autoritäten sind tot und verschwunden und damit auch ihre Gabe. Hab ich recht, Walker?«

Er sah mich kühl an und antwortete nicht, aber manchmal ist Schweigen auch eine Antwort. Ich hätte in die Luft springen und mir selbst alle Fünfe klatschen können. Ich wusste jetzt, was Alexander King Walker versprochen hatte, um ihn in diesen Wettkampf zu locken: eine neue Stimme. Honey schnaubte leise und entnervt und wandte sich abrupt von Walker fort zum See hin.

»Was wissen wir über diesen Ort?«, sagte sie laut. »Ich meine, ich kenne die Geschichte, die Legende von Nessie, die kennt ja jeder. Aber das war es auch schon.«

»Ich weiß, dass Aleister Crowley hier einmal gelebt hat«, sagte Walker unerwartet. »Er hatte ein großes Haus, auf dieser Seite des Sees, in das er seine lächerlichen Jünger rief, um ihnen die Wege der Magie zu zeigen. An diesem dunklen und fiebrigen Ort tanzten er und sein Zirkel, nahmen Drogen und hatten alle Arten von Sex. Sie haben sich bis an die Grenzen ihrer Erschöpfung gebracht und darüber hinaus, alles im Dienst eines einzigen, unheiligen Rituals.«

»Crowley«, meinte Katt. »Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Die Jugend heutzutage!« Der Blaue Elf schüttelte den Kopf.

»Das Große Tier«, sagte Walker geduldig, »so nannten ihn einige; unter anderem er selbst, der verschlagenste Mann der Welt. Damals in den Dreißigern war sein Name ein Fluch auf den Lippen der Welt. Er war gehasst, gefürchtet und geschmäht - und er hat das geliebt. Die Leute haben sich bekreuzigt, wenn sie ihm auf der Straße begegnet sind. Aber er kam her, und an diesem Ort, in diesem Haus haben er und seine Jünger versucht, eine große und ursprüngliche Macht zu beschwören. Aber als er das, was er in unsere Realität zu bringen versuchte, erblickte, war er so erschrocken, dass er das Wirken unterbrach und schreiend davonrannte, zusammen mit seinen versprengten Jüngern. Er rannte den ganzen Weg nach England zurück, und viele sagten, er sei danach nicht mehr derselbe gewesen. Das Haus ist noch hier. Man sagt, dort gehen noch schlechte Träume um.«

»War er das wirklich?«, fragte Katt. »Der verschlagenste Mann der Welt, meine ich?«

Walker lächelte. »Nein.«

»Sie müssen's ja wissen«, sagte ich großzügig.

»Das ist ja alles sehr interessant, denke ich«, meinte Honey. »Aber als ich fragte, ob jemand etwas wüsste, dachte ich an etwas Relevantes.«

»Legenden um das Monster von Loch Ness gehen zurück bis ins sechste Jahrhundert«, sagte ich geradeheraus. »Der heilige Columban von Irland hat es angeblich gesehen, als er den Loch Ness in einem Boot überquerte. Er hat freundlich mit der Kreatur gesprochen, sie wandte sich ab und hat ihm kein Haar gekrümmt. Danach gab es noch verschiedene Geschichten, aber alle beschränkten sich hier auf die Gegend. Die erste moderne Sichtung datiert aus dem Jahr 1933, als die Welt das erste Mal von Nessie erfuhr.«

»Warum gerade da?«, fragte Peter. »Ich meine, warum gerade in 1933? Was ist damals passiert?«

»Neben dem See wurde eine Straße gebaut«, erwiderte ich. »Bis dahin war Loch Ness weit abgelegen. Aber als die Straße für den regulären Verkehr geöffnet wurde und damit zwei große Städte verband, begannen die Leute, Dinge zu sehen. Seit den Dreißigern gibt es alle möglichen Sichtungen, einige Fotos, sogar ein paar kurze Filme, aber niemals etwas Sicheres oder Genaues. Niemals einen Beweis. Nessie ist offenbar ein sehr schüchternes Monster und steckt den Kopf nie lange aus dem Wasser.

Was den Loch selbst angeht, er ist rund vierzig Kilometer lang und durchschnittlich eine Meile breit und bis zu ungefähr 200 Meter tief. Wenn ihr euch mal kurz das Wasser anseht - es ist ziemlich dunkel, oder? Das ist Torf, der vom Grund her aufgewirbelt wird. Jede Bewegung im Wasser wirbelt mehr Torf auf und schon bald kann man gar nichts mehr sehen.«

»Streber«, sagte der Blaue Elf.

»Wie kommt es, dass du so viel über unser erstes Rätsel weißt?«, fragte Katt misstrauisch.

»Er ist ein Drood«, antwortete Walker. »Die wissen alles.«

»So in etwa«, erwiderte ich fröhlich.

»Noch was?«, fragte Honey.

Ich zuckte mit den Achseln. »Nicht, wenn du mit mir über die Qualität der verschiedenen Filme und Fotos reden willst. Über die genaue Natur von Nessie ist viel diskutiert und theoretisiert worden. Einige getriebene Seelen verbringen ihr ganzes Leben hier, auf Beobachtungsposten am Seeufer, und hoffen auf eine Sichtung. Keiner weiß etwas Bestimmtes. Nicht einmal die Droods.«

»Und darum sind wir ja schlussendlich hier«, sagte der Blaue Elf.

»Ach, komm schon«, meinte Katt. »Wir sollen hier ein über fünfzehn Jahrhunderte altes Mysterium lösen, einfach so, nachdem alle anderen dabei versagt haben?«

»Warum nicht?«, fragte Walker und lächelte kurz. »Wir sind immerhin Profis.«

»Profis, denen verdammt kalt ist«, warf Peter ein und schlang wieder die Arme um sich. Er trat schlecht gelaunt auf dem Boden herum. »Wo genau sind wir überhaupt? Und sagt ja nicht in Schottland, oder es setzt Ohrfeigen für jeden von euch.«

»Auf jeden Fall sind wir weit weg von jeder Zivilisation«, meinte der Blaue Elf.

Peter schmunzelte. »Wie ich schon sagte. Schottland.«

»Wenn irgendwelche Einheimischen vorbeikommen sollten, dann übernehme ich besser das Reden«, warf Walker ein.

»Moment mal, stopp«, sagte ich. »Wo sind die Einheimischen eigentlich? Ich habe niemanden am oder in der Nähe des Sees gesehen, seit wir hierhergekommen sind. Irgendjemand sollte hier rumhängen. Und wo sind die Touristen? Es sollte regelmäßige Schifffahrt hier geben, den See auf und ab. Außerdem abgehärtete Seelen auf einer erbaulichen Wanderung durch die Landschaft. Zum Teufel, nicht einmal Tiere kann ich hier entdecken. Keine Vögel auf dem Wasser oder in der Luft. Als wären wir die einzigen Lebewesen hier.«

»Vielleicht hat der Autonome Agent freundlicherweise dafür gesorgt, dass wir bei unserer Aufgabe ein wenig Privatsphäre haben«, überlegte Walker. »Was beweisen würde, dass er trotz aller Abgeschiedenheit immer noch Verbindungen zur Außenwelt hat.« Er hielt inne und sah gedankenverloren auf den immer dunkler werdenden Himmel über uns. »Kann mir jemand sagen, wie spät es ist? Meine Uhr sagt mir, es sei die Mitte des Vormittags, aber ich kann nicht so recht daran glauben. Es muss doch schon viel später sein.«

»Ich habe ein Computer-Implantat im Kopf«, sagte Honey unglaublich selbstsicher. »Und wenn man Langleys Computern glauben will, haben wir genau 15:17. Uns fehlt etwas Zeit. Mehr als man der Zeitverschiebung zugestehen muss.«

»Also funktioniert der Transport der Armbänder nicht zeitnah«, folgerte Walker.

»Oder sie sind so programmierbar, dass sie uns an einen bestimmten Ort in Raum und Zeit bringen«, sagte ich.

»Ach verdammt«, sagte der Blaue Elf. »Jetzt fühle ich mich, als hätte ich einen Jetlag.«

»Das Problem ist jetzt nebensächlich«, entschied ich. »Was machen wir mit Nessie? Einfach sagen: Hallo, Monster, wir sind echt wichtige Leute, die es sehr eilig haben, also würdest du bitte deinen schuppigen Hintern aus dem Wasser schwingen und mit uns reden?«

»Ach ja, bitte, tu das doch«, bat der Blaue Elf. »Ich würde wirklich gern sehen, wie du das tust!«

»Sei nicht so negativ«, meinte Honey. »Wir sind Profis. Yes, we can!«

Katt schnaubte. »Ja, schon klar. Du bist ja auch Amerikanerin. Ihr könnt alles.«

Honey strahlte sie breit an. »Genau!« Sie sah entschlossen über die stillen und friedlichen Wasser. Ihre Hände hatte sie wieder in die Hüften gestemmt. »Wir könnten auch ein paar Granaten ins Wasser werfen und sehen, ob jemand aus dem Wasser kommt und sich über den Lärm beschwert.«

Wir alle zogen unauffällig eine Grimasse. »Barbarisch!«, zischte der Blaue Elf. »Es gibt seit Hunderten von Jahren Wesen hier und du willst riskieren, das möglicherweise letzte seiner Art zu töten?«

»Typisch CIA«, sagte Peter. »Immer nur brutale Kraft und Ignoranz.«

»Hey«, sagte Honey völlig ungerührt. »Solange es funktioniert?«

»Ich habe immer noch Kontakt mit der Armee und mit der Marine«, meinte Walker. »Ein paar Worte an der richtigen Stelle, und ich könnte Verstärkung an Menschen und Material hierher holen. Aber das würde Zeit kosten, die wir nicht haben. Und ich glaube eher, dass es in Alexander Kings Absicht liegt, dass wir das alleine lösen.«

»Ich habe absolut keine Probleme mit ein wenig kreativem Schummeln«, warf Peter ein. »Besonders, wenn das heißt, dass wir umso schneller aus der Kälte kommen.«

»Genau, Schätzchen«, sagte Katt. »Das ist so überhaupt nicht mein professionelles Pflaster. Ich bin in einer Einkaufsstraße am besten.«

»Stimmt«, meinte Honey. »Du siehst wirklich wie eine aus, die sich am Bordstein rumtreibt.«

»Meine Damen«, murmelte Walker ein wenig genervt. Der Blaue Elf kicherte ungeniert.

Peter trampelte schon wieder schlecht gelaunt auf dem Boden herum. »Ich weiß genau, ich werde mir etwas einfangen. Meine Güte, ich könnte töten für einen Starbucks-Kaffee.«

Peter tat mir leid. Er war eindeutig fehl am Platze und ganz klar überfordert. Wahrscheinlich hatte er seine Berufung in den Wettkampf nur bekommen, weil sein Großvater darin eine letzte Chance gesehen hatte, Peter zu der Art Enkel zu machen, den der Autonome Agent hätte haben sollen.

»Ich könnte nach dem Monster angeln«, schlug der Blaue Elf plötzlich vor. »Habt ihr schon von meiner Fähigkeit gehört, in anderen Dimensionen zu fischen? Eines der wenigen nützlichen Talente, die ich von meinem werten, abwesenden Papa und seinen wild wuchernden Elbengenen geerbt habe. Ich habe noch nie nach etwas so Großem geangelt, aber …«

Ich betrachtete den Blauen Elf nachdenklich. Er sah nach nichts Besonderem aus. Selbst mit seiner neuartigen Gesundheit und seiner etwas dämlichen elisabethanischen Gewandung nicht, aber ich hatte erlebt, wie er alle möglichen erstaunlichen Dinge aus einem Dimensionenteich angelte, den er beschwören konnte. Er erwischte mich dabei, wie ich ihn ansah und lächelte mich hochnäsig an.

»Heutzutage kann ich mit allem fertig werden, in das ich meinen Haken fallen lasse. Ich habe unter Königin Mab am Feenhof eine Menge gelernt.«

»Ich dachte, die Elben töten Halbbluts beim bloßen Anblick«, sagte Katt mit unverhohlener Verachtung. »Immerhin ist Fortpflanzung außerhalb ihrer Spezies ihr größtes Tabu.«

»Nicht, wenn man mit Bestechungen kommt«, meinte der Blaue Elf und berührte kurz den goldenen Torques um seinen Hals.

Jeder sah in meine Richtung. Ich starrte zurück, bis sie's kapiert hatten und das Thema wechselten.

»Könnten Sie wirklich ein Monster aus dem See fischen?«, fragte Walker den Blauen Elfen.

»Vielleicht«, antwortete Blue. »Aber es würde Zeit kosten, und-«

Irgendetwas regte sich in den verkrüppelten Büschen in unserer Nähe. Wir alle wirbelten herum. Katt holte eine imposant große Knarre aus dem Nichts und feuerte einen einzigen Schuss in die Richtung des Geräuschs ab. Die Büsche explodierten in alle Richtungen, und Blut und Fell flogen durch die Luft. Der Donner des Schusses war schockierend laut, das Echo hallte von den Hügeln wider. Wir warteten alle einen Moment aufmerksam ab, aber nichts sonst bewegte sich in den zerrupften Büschen am Seeufer. Honey sah Katt mit neu erwachtem Respekt an.

»Darf ich fragen, wo genau du diese unglaublich große Wumme herhast?«

Katt grinste. »Bitte, gestatte einem Mädchen ihre kleinen Geheimnisse.«

»Ich kannte mal ein Mädchen, die Zähne in ihrer -«, fing der Blaue Elf an und unterbrach sich, als ich ihm einen Blick zuwarf.

Walker stocherte mit seinem Regenschirm bereits in den Überresten des schwelenden Gebüschs herum. Er beugte sich vor, um etwas genauer zu inspizieren, straffte sich wieder und sah zurück zu Katt.

»Meine Glückwünsche, meine Liebe. Sie haben gerade einen Otter erlegt.«

Sie zuckte mit den Achseln und sah sich mit einem bezaubernden Lächeln um. »Tut mir leid, Schätzchen. Instinkt.«

»Otter stehen auf der Roten Liste der Gefährdeten Arten, oder?«, fragte Peter.

»Nicht auf meiner«, erwiderte Katt. Ihre Waffe war wieder verschwunden. Ich musste mich fragen, was sie noch alles bei sich versteckt hatte. Ich hätte nicht gedacht, dass etwas unter einem derart engen Kleid Platz fände, nicht einmal Dessous.

Der Blaue Elf holte aus der Luft eine Angelrute und eine Bandspule. Beide sahen zerrissen, wieder geflickt und viel benutzt aus, aber er ging mit professioneller Leichtigkeit mit allem um. »Was glauben wir eigentlich, was das Monster ist?«, fragte er, ohne aufzusehen.

»Es soll doch eine Art Dinosaurier sein, oder?«, fragte Honey. »Das letzte seiner Art, in einem See vom Rest der Welt abgeschottet. Die wenigen Fotos, die ich gesehen habe, zeigen einen langen Hals und etwas, was vielleicht die Teile eines langen Körpers sein könnten.«

»Ich habe immer gehofft, es wäre ein Drachen«, sagte der Blaue Elf sehnsüchtig. »Nicht diese ekligen Dinger, auf denen die Elbenlords reiten, ich dachte an die richtigen. Aus vergangenen Zeitaltern, als es noch wilde Magie in der Welt gab …«

»Du Schnulzenromantiker, du«, sagte ich.

»Vielleicht ist es ein Alien!«, überlegte Katt. »Das aus der Crew eines außerirdischen Raumschiffs stammt, das vor langer Zeit abgestürzt ist.«

»Vielleicht ein Elementar«, meinte Walker. »Was erklären würde, warum es immer anders aussieht.«

Peter schnaubte laut. »Es ist wahrscheinlicher, dass es einfach nur eine von diesen Touristenfallen ist, die aus einer Legende das meiste rausschlagen, um den Naiven das Geld aus der Tasche zu ziehen.«

»Wenn dieser Wettkampf nicht so wichtig wäre, wäre ich auch glücklich, wenn Nessie ein Rätsel bliebe«, sagte ich. »Was würde der Rest der Welt eigentlich tun, wenn es auf einmal echte Beweise von Nessies Existenz und Art gäbe? Es fangen oder erschießen? Aus dem See zerren in irgendeinen Aqua-Zoo? Ganz sicher hätte es keine ruhige Minute mehr. Nein, ich denke, es geht ihm als Legende besser. Und sicherer ist es auch.«

Walker stand direkt am Ufer und starrte in das dunkle, stille Wasser. »Was, wenn es gar kein Monster gibt?«, fragte er nachdenklich. »Kein Nessie. Was, wenn das die Lösung des Rätsels ist, dass es nichts gibt da unten, gar nichts und nie gegeben hat? Wie können wir eine Nichtexistenz beweisen? Ich meine, außer den Loch komplett trockenzulegen.«

»Verdammt«, sagte Katt. »Sie denken wirklich darüber nach, oder?«

»Du hast keine Phantasie«, nörgelte der Blaue Elf und befestigte geschickt einen Widerhaken am Ende seiner Angel.

Walker lächelte. »Ich bezweifle, dass selbst die CIA das schaffte, trotz all ihrer Ressourcen. Und sicher nicht, ohne die lokalen Behörden in Aufruhr zu versetzen.«

»Wir brauchen eine Tauchkapsel«, sagte Honey entschlossen.

Ihr Gesichtsausdruck sah auf einmal abwesend aus, zweifellos kommunizierte sie mithilfe ihres Implantats mit ihren Vorgesetzten in Langley. Das war auf keinen Fall irdische Technologie. Ich bekam langsam eine ziemlich genaue Vorstellung von dieser ganz bestimmten, nicht existierenden CIA-Abteilung, für die Honey arbeitete. Ein paar Augenblicke später erschien ein überdimensionaler Riss über uns am Himmel, ein richtiger Spalt in der Realität selbst. Ein großes, sehr gelbes und extrem futuristisch aussehendes Tauchboot fiel durch den Spalt. Es hatte etwa die Größe eines Lastwagenaufliegers und fiel beinahe gemächlich durch die Luft auf das Wasser am Ufer des Sees zu, an dem wir standen.

»Alle weg hier!«, schrie Walker.

Er selbst floh bereits mit hoher Geschwindigkeit, der Rest von uns folgte ihm hastig. Das Tauchboot traf hart auf der Oberfläche des Sees auf. Eine riesige Wasserfontäne schoss hoch und platschte genau an der Stelle wieder hinab, an der wir gestanden hatten. Trotzdem bekamen wir noch einen Schwall des eisigen Wassers ab, und Katt quiekte jämmerlich, als es über ihre nackten Schultern klatschte. Geschah ihr recht, was hatte sie sich auch so langsam bewegt. Walker blieb gelassen und ruhig unter seinem aufgespannten Regenschirm. Der Rest von uns starrte Honey böse an, die sehr interessiert ihr neu requiriertes Tauchboot inspizierte. Es hatte sich jetzt auf dem Wasser eingependelt und schwamm fröhlich auf den Wellen am Rand des Sees. Es war groß und sperrig, mit flächigen Steuerflossen, einem stumpfen Bug und strotzte von allen möglichen Antennen und Gerätschaften. Es gab sogar ein (hoffentlich verstärktes) extrabreites Fenster am Bug, neben dem sich große, leuchtende Scheinwerfer befanden. Die würde es wohl in den Tiefen da unten auch brauchen, wo genau dieses Tauchboot massenweise Torf aufwirbeln würde.

»Auf eins kann man sich bei der CIA immer verlassen - sie lässt keine Gelegenheit aus, anzugeben«, sagte Peter.

»Die machen es immer eine Nummer größer«, sagte ich. »Wir Droods bevorzugen Subtilität.«

Honey schnaubte. Sie sah nicht gerade begeistert aus von dem, was man ihr da geschickt hatte. »Na toll«, sagte sie bissig. »Jemand, der meint, Sinn für Humor zu haben, hat mir ein gelbes Unterseeboot geschickt. Vielleicht klingt der Schiffscomputer ja nach Paul und Ringo. Da werden Köpfe rollen, wenn ich zurückkomme und noch einiges mehr. Ich habe nach einem anständigen Forschungsboot gefragt und nicht nach … so einem Spielzeug.«

»Dabei fällt mir der Thunderbird 4 ein«, bemerkte Walker. »Aber der würde nicht zulassen, dass ihn jemand anderer als ich benutze.«

»Ich finde es sehr hübsch«, sagte Katt.

»Wie sollen wir uns denn alle in dieses Ding quetschen?«, fragte der Blaue Elf.

»Gar nicht«, sagte Honey kurz. »Ich habe dieses Modell schon einmal benutzt, es ist nur ein Einsitzer. Nein, wir werden keine Strohhalme ziehen, wer geht. Es ist mein Tauchboot, also gehe ich.«

»Typisch CIA«, maulte Katt. »Im Teilen wart ihr nie gut.«

»Wir sollen Sie wirklich allein dorthinunter lassen?«, fragte Walker.

»Es sei denn, einer von euch hätte Kiemen und könnte sich an die Außenwand hängen«, erwiderte Honey.

»Vielleicht bist du in der Lage, Nessie mit deinem tollen neuen Spielzeug zu finden«, bemerkte ich. »Aber wie willst du Beweise kriegen? Mir ist egal, wie deine neue Gummi-Badewannenente ausgerüstet ist, du wirst unter Wasser kein klares Bild bekommen. Das wurde bereits versucht, und ohne klare Sicht auf den Untergrund, die den Maßstab liefert, wird jedes Sonarbild wertlos sein.«

»Warum weiß ich, dass du einen ganz besonders cleveren Vorschlag hast?«, fragte Honey.

»Weil ich ein Drood bin«, sagte ich. »Wir wissen immer alles am Besten. Das gehört zu unserer Jobbeschreibung. Hör zu, das ist jetzt keine höhere Wissenschaft. Zuerst findest du das Wesen, dann bringst du es an die Oberfläche und wir fotografieren es dann direkt neben deinem Tauchboot. Das gibt uns die Größe, einen entsprechenden Maßstab und ein klares Bild, richtig?«

»Die Kameras des Tauchboots sind nur geeignet, Unterwasserbilder zu machen«, meinte Honey.

Wir sahen uns an.

»Ich habe eine echt gute Kamera in meinem Handy«, sagte Peter.

»Also, das ist so was von amateurhaft, Leute«, nörgelte Katt.

»Ich werd's tun«, sagte Honey kurz. »Ich bettele Langley nicht um neues Equipment an. Diese ganze Mission ertrinkt jetzt schon in Papierkram und Anfragen, und ich weiß genau, dass sie einen Weg finden werden, mich wegen der Budgetüberschreitungen festzunageln. Ich werde Nessie finden und zur Oberfläche scheuchen. Und du, Peter, machst besser ein paar echt gute Fotos.«

»Das Handy ist das neueste Modell. Es kann filmen und Fotos machen«, erklärte Peter beleidigt. »Ich hab's selbst entworfen.«

Er begann, ein paar der technischen Details aufzuzählen, nur um gleich wieder aufzuhören und zu schmollen, als klar wurde, das keiner von uns zuhörte. Honey stakste an den Rand des Sees, wir alle folgten ihr und fühlten uns ausgeschlossen. Keiner von uns war es gewohnt, zurückgelassen zu werden, während jemand anderes die interessanten Dinge erledigte und den ganzen Spaß hatte. Honey sprang leichtfüßig auf eine Seite des gelben Tauchboots und schnappte sich eine der bulligeren Vorrichtungen, um das Gleichgewicht zu halten. Das Tauchboot schwankte heftig unter dem zusätzlichen Gewicht. Sie schlug mit der Faust auf das Kontrollpaneel. Langsam öffnete sich eine Luke nach außen. Sie wand sich daran vorbei und verschwand im Inneren. Wir hörten aus dem Inneren ein paar saftige Flüche, weil sie den Lichtschalter nicht finden konnte, bis schließlich die Maschinen ansprangen. Das Tauchboot schüttelte sich wie ein erwachender Jagdhund, der gleich mit der Hatz beginnen will. Die Einstiegsluke öffnete sich noch ein Stück. Wir duckten uns alle und wichen zurück, als ein Paket von der Größe eines Küchenwaschbeckens über unsere Köpfe hinwegflog und mit einem Krachen auf dem Strand hinter uns landete.

Wir alle drehten uns um und sahen interessiert zu, wie das Paket auf der Stelle auf und ab sprang, sich dabei in der Luft immer wieder um sich selbst drehte und dabei zitternd und sich schüttelnd in mehrere Richtungen gleichzeitig öffnete. Es wuchs und wuchs, produzierte Ableger seiner selbst und verankerte sich schließlich mit mehreren, mit Widerhaken versehenen Stahlbeinen im Boden. Als es seine Show beendet hatte, hatte sich das Paket in eine große, faszinierend futuristisch aussehende Kommunikationsstation verwandelt, samt Radio, Sonar, Live-Videoübertragungen und ein paar Dingen, die nicht einmal ich erkannte. Walker spazierte sofort hinüber und beschäftigte sich mit der nächstbesten Tastatur, inspizierte sie kurz und gab dann ein paar Befehle ein, die das ganze Ding sofort einschalteten und ans Laufen brachten.

Ich wanderte um die Station herum, beobachtete die Daten auf den Monitoren und machte mich mit den unterschiedlichen Kommunikationssystemen vertraut, immer darauf bedacht, nichts anzufassen. Der Teufel sollte mich holen, wenn ich auf der verdächtig glänzenden Oberfläche irgendwelche Fingerabdrücke oder DNA-Spuren hinterließ, die die CIA hinterher analysieren konnte. Nach einer Weile stellte ich mich neben Walker und ließ beiläufig ein paar Vorschläge fallen, was man noch tun konnte, um die Station auf volle Energie zu setzen. Nur um zu zeigen, dass man mich besser nicht außen vor ließ. Die anderen drängten sich um uns herum, um uns über die Schulter zu sehen.

»Wir haben Audio- und Video-Verbindung mit dem Tauchboot«, sagte Walker. »Einen direkten Empfang mit sieben Unterwasserkameras auf diesen Monitoren hier und ein ständiger Livestream von dem, was die Langstreckensensoren des Tauchboots aufschnappen. Das ist fast so gut, wie selbst dabei zu sein.«

Ich beugte mich über das Mikro. »Kannst du mich hören, Honey?«

»Natürlich kann ich dich hören! Ich kann euch alle hören.« Sie war in einem Pilotensitz angeschnallt und von allen Seiten dicht von so vielen Instrumenten umgeben, dass man glauben konnte, das Tauchboot wäre in der Lage, Erdorbit zu erreichen. Honey starrte uns von einem kleinen Bildschirm aus böse an.

»Sieht kuschelig aus«, sagte ich.

»Kuschelig? Ich war schon in geräumigeren Särgen. Hier ist nicht mal Platz, um sich zu kratzen. Ich habe schon kostbare Teile meiner Anatomie mit blauen Flecken verunziert, nur um in den Fahrersitz zu kommen und ihr wollt auch nicht wirklich wissen, was ich tun musste, um die Klimaanlage anzuwerfen. Trotzdem, alle Systeme funktionieren und wir können loslegen.«

»Wir haben noch nicht entschieden, wie Sie die berühmte Nessie aus dem Versteck locken wollen«, sagte Walker. »Sie scheinen nichts an Bord zu haben, dass das bewerkstelligen kann. Oder wenigstens nichts, das nicht schon einmal versucht worden wäre.«

»Vielleicht sollte ich die Kreatur anlocken«, meinte Katt. Sie scherzte nur halb. »Ich habe eine außergewöhnliche Trefferquote, um jeden und alles anzuziehen, was einen Puls hat.«

»Ja, das wird der Brüller«, sagte der Blaue Elf. »Du stehst am Rand des Lochs und zeigst ihm deine Titten.«

»Vulgärer, kleiner Mann«, erwiderte Katt frostig.

»In der Tat, du hast mir eine Idee vermittelt«, meinte Blue. »Anziehung. Das ist der Schlüssel. Wir müssen erreichen, dass Nessie zur Oberfläche kommen will. Und es gibt ein paar Dinge und Geräusche, die alles anlocken; sie gegen ihren Willen anziehen, als hätte man sie am Haken. Und ich habe genau das Richtige im Sinn: Etwas, nachdem ich schon einmal geangelt habe.«

Wir alle sahen ihn an, wie er dastand: aufrecht, stolz, mit der fertigen Angel samt Leine. Selbst seine elisabethanische Tracht wirkte nicht mehr ganz so lächerlich. Vielleicht war ich der Einzige, der sah, wie wichtig es jetzt war, dass man ihn ernst nahm.

»Was schwebt dir vor?«, fragte ich.

»Ein Brunftschrei«, sagte der Blaue Elf und lächelte uns alle an. Es gefiel ihm, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. »Ich habe einmal einen aus den Tiefen der Dimensionen geholt. Ganz durch Zufall, wie ich zugeben muss. Eine Art … Sirene. Eine Verführerin, eine Versucherin, deren Stimme kein Sterblicher hoffen konnte zu widerstehen. Glücklicherweise war ausgerechnet dieser Sirenenruf nur darauf ausgerichtet, heterosexuell zu wirken, also blieb ich relativ unberührt und war in der Lage, das verdammte Ding zurückzuwerfen.«

»Können Sie sie wiederfinden?«, fragte Walker.

»Nun, selbstverständlich«, antwortete Blue. »Oder ich hätte gar nichts gesagt. Ich werde es finden, anbeißen lassen und einholen. Dann können wir seinen Ruf benutzen, um Nessie direkt zu uns zu bringen.«

»Einen Moment mal«, meinte Walker. »Sie schlagen also ernsthaft vor, wir sollen ein anderes Monster beschwören und dann in den See werfen? Ist die Situation nicht schon schwierig genug, so wie sie ist? Mal ganz abgesehen von dem Problem, das wir unserer Nachwelt hinterlassen. Was, wenn die Sirene Geschmack an den Einheimischen findet? Sie könnten in diesem See enden wie Lemminge.«

»Ich habe niemals vorgeschlagen, die Sirene hier zu lassen«, sagte der Blaue Elf mit ruhiger, geduldiger und absolut enervierend verständnisvoller Stimme. »Ich glaube, es ist in der Tat sehr gefährlich, wenn wir das Ding auch nur einen Moment länger hier lassen, als wir unbedingt müssen. Was ich im Sinn habe, ist viel einfacher. An der Grenze zur Eleganz, geradezu. Ich bringe die Sirene her, wir zeichnen ihren Ruf mit diesem wundervollen Kommunikationssystem dort drüben auf, und dann werfe ich sie zurück. Wir senden die Aufzeichnung des Rufs direkt ins Seewasser. Narrensicher. Außer natürlich, wenn Nessie auch schwul ist.«

»Lasst uns das auf gar keinen Fall vertiefen«, unterbrach ich schnell. »Das mit der Aufzeichnung klingt gut für mich. Wie steht's mit den anderen? Gut; Blue, leg los. Fang uns eine Sirene.«

Natürlich machte der Blaue Elf einen riesigen Aufriss darum, genau den richtigen Punkt am Seeufer zu finden, an dem er angeln konnte. Er ließ uns durch den Matsch und das stachlige Gras auf und ab laufen, sein Gesicht eine starre Maske der Konzentration. Den Eindruck verdarb er damit, dass er ab und an in unsere Richtung linste, wie wir das aufnahmen. Endlich installierte er sich an einem bestimmten Punkt, der genau wie alle anderen aussah und machte eine großzügige Geste mit der linken Hand. Ein leuchtender, goldener Teich von etwa zwei Meter Durchmesser erschien vor ihm, flach und formlos. Er bedeckte die Oberfläche weniger, als dass er sie ersetzte. Der Teich war ein Portal überallhin, in alle Dimensionen, die es jemals gegeben hatte oder jemals geben würde. Es tat weh, ihn auch nur für einen Moment direkt anzusehen.

Blues Zeit bei den Elben hatte ihm deutlich geholfen. Ich erinnerte mich daran, dass er früher sein eigenes Blut hatte opfern müssen, um den goldenen Teich beschwören zu können. Und dieser Teich sah um einiges größer aus, als ich mich erinnerte. Ein Loch, das mit reiner Willenskraft in die Wände der Realität gestanzt worden war. Nur der Blaue Elf war geübt und verrückt genug, es zu rufen, um darin zu angeln.

Er ging wie ein Profi mit seinen Haken und seiner Winde um, und Leine und Haken verschwanden im goldenen Teich, ohne die leuchtende Oberfläche aufzurühren. Blue stand still, offenbar ruhig und entspannt. Wir alle standen da und beobachteten ihn. Es ist immer faszinierend, jemandem zuzusehen, der sein Handwerk versteht. Das Surren der Leine, die sich von der Winde abrollte, war beinahe hypnotisch. Die Leine tauchte weiter und weiter in Tiefen, in denen wir eigentlich nichts zu suchen hatten. Aber dazu hat man ja Elben. Und dann biss etwas an, die Leine wurde straff und riss durch den goldenen Teich hin und her. Der Blaue Elf zog scharf die Luft durch die zusammengebissenen Zähne, als er mit der Winde arbeitete. Stetig verstärkte er den Zug an der Leine. Langsam, aber regelmäßig holte er seinen Fang ein.

Ich erwischte mich dabei, den Atem anzuhalten. Blue fing nicht immer beim ersten Mal, was er wollte, und es war bekannt, dass er schon alle möglichen widerlichen Dinge aus den Tiefen gezogen hatte. Was auch immer Blue da gefangen hatte, es schien sich nicht gegen ihn zu wehren.

Ich sah mich schnell um. Wir standen alle viel zu nah am Teich, und keiner von uns hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Ich hatte meinen Torques, der mich beschützen konnte, aber Gott allein wusste, womit sich die anderen gegen den Ruf der Sirene zu schützen gedachten. Ich wollte gerade etwas sagen, als der goldene Teich explodierte. Die Sirene bahnte sich einen Weg in unsere Realität.

Sie wurde größer, groß wie ein Turm und viel zu groß für den Teich, durch den sie in unserer Realität hatte Fuß fassen können. Sie war groß und herrlich, völlig unirdisch und breitete sich in jede Richtung gleichzeitig aus. Enorm und wundervoll, zu schön, um wirklich zu existieren, mit dunkelgelbem Fleisch, in dem immer wieder Regenbogen zu explodieren schienen. Sie sang, und ich war verloren. Ein herrlicher, wunderbarer, kaum zu ertragender Gesang. Ich fiel auf die Knie, wie die anderen. Wer kennt schon die Lieder, die die Sirenen singen? Wer kennt die Lieder, die für den edlen Odysseus gesungen worden waren? Wir wussten es jetzt, und ich werde diese Melodie für immer in meinen Albträumen hören.

Weil ich angesichts dieses Gesangs ein Nichts war. Nichts, was eine Bedeutung hatte.

Die Sirene rief und wir alle rutschten auf unseren Knien vorwärts und starrten dieses lebendige, aus Fleisch und Blut bestehende Wesen, das über uns aufragte, anbetend an. Selbst der Blaue Elf hatte seine Angel fallen und sich von dem Gesang fangen lassen, der einem an die Seele ging. Ich konnte meine Umgebung kaum sehen oder das raue Gras, das meine Knie aufriss. Die Sirene wollte uns, aber für nichts Gutes. Der Tod wäre noch das Freundlichste, was uns passieren würde, wenn die Sirene uns einmal an ihren unversöhnlichen Busen gedrückt hatte. Ich wusste das, doch es kümmerte mich nicht. Ich wollte sie für immer anbeten, mit meinem ganzen Körper, bis ich daran starb.

Nur … da war eine andere Stimme in meinem Kopf und in meinem Herzen; ich hatte noch ein anderes Gesicht vor Augen. Meine Molly, meine süße Molly Metcalf, die mir schon vor langer Zeit ihr Zeichen aufgedrückt hatte. Sobald ich an sie dachte, konnte ich den eiskalten Torques um meinen Hals fühlen, der versuchte, mich zu warnen - und diese beiden Gedanken gemeinsam gaben mir die Kraft, die ich brauchte, um anzuhalten. Ich wandte langsam meinen Kopf und blickte fort von der schrecklichen, wundervollen Gestalt vor mir. Sie war alles, was ich immer hatte haben wollen. Es wartete direkt hier vor mir, und ich kämpfte mit jedem Quäntchen meiner Kraft und meines Willens, den ich hatte, dagegen an. Schließlich hatte ich meinen Kopf abgewandt. Mein ganzer Körper zitterte und bebte vor Anstrengung und ich sah ein anderes Gesicht, das zu mir hinsah.

Der Blaue Elf hatte ebenfalls aufgehört, sich auf die Sirene zuzubewegen und sein Gesicht von ihr abgewandt. Vielleicht aufgrund seiner Natur, vielleicht weil er ebenfalls einen goldenen Torques trug, vielleicht weil er ein halber Elb war. Oder vielleicht war er auch einfach nur stur, so wie ich.

Wir sahen einander an, und langsam wandte ich meinen Blick auf die Angel, die - fallen gelassen - vor dem Blauen Elfen lag. Er sah ebenfalls dorthin, und mit letzter Kraft griff er danach und warf sie in den goldenen Teich.

Die Leine straffte sich sofort wieder, zog an dem fleischigen, orchideenartigen Kopf der Sirene und lenkte sie so ab. Ich zwang mich, aufzustehen, wandte der Sirene meinen Rücken zu und taumelte hinüber zur Kommunikationsstation. Ich musste den Gesang aufnehmen, bevor sie wieder in den Tiefen verschwand. Ich murmelte die aktivierenden Worte, und im nächsten Moment floss meine Rüstung über mich hinweg, versiegelte und schützte mich vor der Welt. Die seltsame, goldene Materie hüllte mich von Kopf bis Fuß ein, und plötzlich war das Lied der Sirene nichts weiter als Lärm. Ich hieb auf die Aufnahmetaste und wandte mich schnell um, um zu sehen, was weiter passierte.

Die Sirene war nicht länger an diese Welt hier gebunden, aber sie wollte dennoch nicht gehen. Man hatte ihr getrotzt, und das machte sie wütend. Sie hatte eine schier unendliche Nahrungsquelle gefunden und gedachte nicht, zurückgewiesen zu werden. Sie ragte hoch über uns auf, flammend und pulsierend; und selbst durch die Schutzfilter meiner goldenen Maske war diese extreme und furchtbare Kreatur das Schönste, was ich jemals gesehen hatte. Der Blaue Elf war auf den Füßen, aber schon wieder halb gebannt von ihrem Gesang. Die anderen waren der Sirene jetzt schon sehr nah. Also blieb nur ich übrig. Weil das der Job eines Droods ist: der Letzte zu sein, der es noch drauf hat, sich zwischen die Menschheit und all die Gefahren, die von außen auf sie eindringen, zu stellen.

Ich ging schnurstracks zur Sirene hin und hieb ihr mit meiner dornengespickten gerüsteten Hand in die Seite. Meine Faust stieß durch die pulsierende, glitschige Substanz und mein gerüsteter Arm sank bis zur Schulter in den veränderlichen Körper hinein. Die Sirene kreischte; ein schrecklicher, schmerzerfüllter Laut, der die Wirkung ihres Gesangs in einem Augenblick zunichte machte. Die anderen krabbelten hastig vom Teich fort, fort von dem, was sie noch vor einem Moment angebetet hatten. Die Sirene tauchte in den glühenden goldenen Teich hinab und wieder in die dimensionalen Tiefen hinein, in die sie gehörte. Wo Beute wusste, wie sie sich zu benehmen hatte.

Ich rüstete ab, die goldene seltsame Materie zog sich wieder in meinen Torques zurück. Ich war noch nicht so weit, den anderen einen Blick auf mich in meiner Rüstung zu gestatten. Sie würden mich mit anderen Augen sehen. Ich stand am Seeufer und genoss die Stille. Jetzt, wo die Sirene verschwunden war, konnte ich mich ums Verrecken nicht daran erinnern, was an ihrem Gesang so bezaubernd gewesen war, und das war wahrscheinlich auch besser so. Die anderen waren auch wieder auf den Füßen, ihre Augen allerdings immer noch etwas verloren und trübe. Aber sie erholten sich schnell. Immerhin waren sie Profis.

Katt warf dem Blauen Elfen einen bösen Blick zu. »Wenn du das nächste Mal eine so brillante Idee hast, dann behalt sie für dich!«

»Wir haben eine Aufnahme des Gesangs«, sagte Blue und stand ihrem Blick in nichts nach. »Oder wenigstens so viel, wie die Konsole aufnehmen konnte.«

Er sah über das Equipment und murmelte etwas in sich hinein. »Uns fehlen die oberen und unteren Frequenzen, was aber wahrscheinlich egal ist. Was wir haben, sollte für unsere Zwecke ausreichen. Mehr als genug, um Nessie in Wallung zu bringen, und wenn es nur nachsehen will, was los ist. Honey, ich stelle die Aufnahme jetzt zu dir durch. Empfängst du sie?«

»Ja, ich hab's. Ihr habt weniger als eine Minute des Gesangs aufgenommen, also werde ich das Lied als Endlosschleife aussenden. Ja, das sollte klappen.«

»Mir kommt da ein Gedanke«, sagte Peter plötzlich. »Wenn das, was wir da durchschicken, ein Brunftschrei ist - wird nicht alles im See, das funktionierende Hormondrüsen hat, angeschwommen kommen? Es könnte damit enden, dass alle lebenden Wesen das Tauchboot anspringen.«

»Vielen Dank für dieses mentale Bild«, sagte Katt. »Ich weiß einfach, dass es mich auf Jahre hinweg in meinen Nächten verfolgen wird.«

»Ich schicke den Ruf durch ein paar Filter«, schlug Honey vor. »Dann sollten nur wirklich große Wesen auf den Gesang reagieren.«

Ich beugte mich vor, sodass ich ihr Gesicht auf dem winzigen Bildschirm sehen konnte. »Bist du sicher, dass du das Ding steuern kannst?«

»Na klar«, erwiderte Honey. »Ich gehöre zur CIA. Ich kann alles fahren.«

»Wollen wir wetten, dass die Gänge beim ersten Versuch kreischen?«, murmelte Peter Walker zu.

»Das hab ich gehört!«, rief Honey. »Okay. Ich tauche ab, Leute. Bis später.«

Um das Tauchboot herum schäumten jetzt Luftblasen auf, als es vom Strand wegfuhr und dann langsam und sehr würdevoll in den dunklen Wassern des Loch Ness verschwand. Bald war es fort, nicht einmal mehr ein gelber Schimmer in den Wassern. Nur die langsam sich ausbreitenden Wellen auf der Oberfläche zeugten davon, dass es untergetaucht war.

Wir alle drängten uns jetzt um die Kommkonsole herum, behielten die Datenströme im Auge, die hereinkamen und hörten genau auf Honeys Kommentar zu ihrem Tauchweg. Walker und ich beobachteten aufmerksam die Daten, aber es tat sich nichts Außergewöhnliches. Alles im Tauchboot schien wie vorgesehen zu funktionieren. Honey steuerte die Kapsel sorgfältig durch das nachtdunkle Wasser und übertrug die Endlosschleife des Sirenenrufs. Wir warteten und beobachteten.

Die Zeit verging und nach einem halben Dutzend falscher Alarme begannen wir alle, uns ein wenig zu entspannen. Zwei Stunden vergingen, dann drei. Wenn sich überhaupt etwas tat, dann wurde es kälter. Ein starker Wind blies aus Nordwesten den See entlang und drang mit seiner Kälte durch unsere Kleidung bis auf die Knochen. Es endete damit, dass wir uns alle eng aneinander drängten, wie Schafe, um unsere Wärme zu teilen. Der Himmel war jetzt völlig bedeckt, das Tageslicht wurde schwächer und mir kam der Gedanke, dass wir besser bald etwas aufscheuchten, weil es sonst zu dunkel zum Fotografieren würde.

Das Tauchboot patrouillierte den See die ganzen 40 Kilometer auf und ab, und das meiste, was in den Wassern lebte, machte einen weiten Bogen darum. Die starken Scheinwerfer des Tauchboots durchdrangen die Düsternis unter Wasser kaum, und obwohl das Sonar eine interessante Gestalt nach der anderen anzeigte, war Honey meist schon an ihr vorbei, bevor sie es identifizieren konnte. Bisher hatte es sich bei den vielversprechendsten Formen um ein paar hoffnungsvoll geformte Baumstümpfe, ein halbes Dutzend Fischschwärme und ein paar erstaunlich große Aale gehandelt. Und das - war's auch schon. Honey wurde zunehmend kurz angebunden und schlecht gelaunt, wenn sie auf unsere wohlmeinenden Ratschläge antwortete, und sie pflügte immer verzweifelter den See auf und ab. Ich denke, es war bestimmt das mit Technik vollgestopfte Cockpit, das ihr mehr und mehr auf die Nerven ging. Ihr Sonar erkannte ein paar versunkene Höhleneingänge in den Uferregionen unter Wasser, von denen einige in ein Höhlensystem mündeten, das tiefer in die Hügel reichte als das Sonar.

»Da unten gibt es kilometertiefe Höhlen«, sagte der Blaue Elf. »Vielleicht reichen einige auch über die Wasseroberfläche und haben atembare Luft. Vielleicht lebt die Kreatur nicht im See selbst. Vielleicht kommt sie nur dann heraus, wenn sie jagt oder brütet und wird deshalb so selten gesichtet.«

»Da fallen mir die Stichworte ›Strohhalm‹ und ›verzweifelt nach etwas greifen‹ ein«, meinte Katt. »Sollen wir nicht einfach Schluss machen und uns ein schickes Hotel in der Nähe suchen? Das Monster ist auch morgen noch da, wenn überhaupt. Ich hasse diesen Ort! Es ist schweinekalt und grauenvoll. Ich zittere so, dass ich bestimmt schon fünf Kilo durch pure Erschöpfung abgenommen habe. Auch wenn ich euch daran erinnern will, dass mir das steht!«

»Achtung!«, rief Honey plötzlich. »Ich habe da was!« Ihre Stimme brach förmlich aus den Konsolen heraus und schreckte die auf, die verständlicherweise in Halbschlaf gefallen waren.

»Na so ein Glück!«, nörgelte Katt. »Noch ein verdächtig geformter Baumstumpf? Eine verirrte Ente mit Größenwahn vielleicht?«

»Ich habe auf dem Sonar einen neuen Kontakt«, sagte Honey. »Es ist groß, es bewegt sich und es hält direkt auf mich zu. Es ist für die Frontscheinwerfer noch zu weit weg, aber … es ist echt groß. Ich meine, ernsthaft. Der Computer schätzt, es ist über 120 Meter groß, von einem Ende zum anderen. Geschätztes Gewicht … nein, wartet mal, das kann doch nicht stimmen …«

Walker und ich standen Schulter an Schulter, als wir uns zusammen über die Datenströme beugten, die über die Konsolenmonitore jagten. Was auch immer auf Honey und ihr kleines, gelbes Tauchboot zukam, der Computer schätzte sein Gewicht auf 87 Tonnen. Nein. Das war unmöglich; das war kein lebender Organismus, den ich verstand.

»Wie nah ist es jetzt?«, fragte Peter.

»Jetzt hat es die Richtung gewechselt«, sagte Honey mit ruhiger und professioneller Stimme. »Es kam direkt auf mich zu, aber jetzt … es scheint das Tauchboot zu umkreisen und auf Abstand zu bleiben. Verdammt, diese Geschwindigkeitsberechnung kann auch nicht stimmen. Nichts, das so groß und so schwer ist, kann sich in diesem Gewässer so schnell fortbewegen.«

»Nichts, das wir kennen«, meinte Walker. Er runzelte die Stirn. »Ich glaube, es ist Zeit, dass Sie an die Oberfläche kommen, Honey. Es soll dem Brunftschrei folgen -«

»Zu spät!« Honeys Stimme klang lauter, als sie wohl selbst beabsichtigte. »Es ist hier! Direkt vor mir! Es ist riesig! Es ist direkt vor meiner Frontscheibe hergeschwommen. Ich hatte es einen Augenblick lang direkt im Scheinwerferlicht!«

»Was ist es?«, fragte der Blaue Elf. »Wie sieht es aus?«

»Ein hässlicher Kerl«, sagte Honey. Sie klang erschüttert, aber ihre Stimme hatte sie wieder unter Kontrolle. »Es ist wieder dazu übergegangen, das Tauchboot zu umkreisen. Bewegt sich allerdings jetzt langsamer. Ich glaube, es ist neugierig. - Oh! Ich habe grade wieder einen Blick durch das Fenster auf sein Gesicht erhascht. Es kam direkt hoch und hat mich angesehen. Das ist nicht Nessie. Überhaupt nicht. Okay, das war's, ich komme an die Oberfläche. Ich bleibe nicht eine Minute länger mit diesem … Ding hier unten.«

»Langsam«, meinte ich. »Langsam, aber stetig und sehr vorsichtig. Tu nichts, was das Biest in Aufregung oder Panik versetzen könnte.«

»Oder was es verscheuchen könnte«, meinte Peter schnell. »Ich kann das Ding nicht filmen, wenn du es nicht hier an die Oberfläche bringst.«

»Du kannst mich mal«, sagte Honey. »Schnauze jetzt, und lenkt mich nicht ab. Ich weiß, was ich tue. Verdammt, das Ding ist groß! Es lässt das Tauchboot winzig erscheinen.«

»Hat das Fahrzeug irgendwelche Verteidigungssysteme?«, fragte Walker. »Schusswaffen, Energieschilde, so etwas in der Art?«

»Nicht einmal einen Lautsprecher, durch das ich rüde Schimpfworte schicken könnte«, sagte Honey. »Offenbar war dieses entzückende kleine und gelbe Ding niemals für etwas anderes als kurzfristige Aufklärung gedacht. Und darum hatte ich Langley nicht gebeten. Wenn ich dorthin zurückkehre, werde ich wohl mit ein paar Leuten ein ernstes Wörtchen reden müssen. Ich tauche noch auf, sehr langsam. Ich bin nicht weit von euch entfernt. Ich sollte in eurer Nähe an die Oberfläche kommen. Das Monster folgt mir - und bleibt dicht dran. Die Wirbel, die das Ding im Wasser verursacht, reichen schon aus, um das Tauchboot rollen zu lassen.«

»Kannst du es schon identifizieren?«, fragte Katt. »Ich kann in den Daten, die du uns schickst, keinen Kopf oder Schwanz erkennen. Was glaubst du, ist es ein Dinosaurier? Ein Brontosaurus oder ein Plesiosaurus, so etwas in der Art?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte Honey. »Es ist groß und eklig; das ist alles, was ich sagen kann. Allein das, was ich im Scheinwerferlicht kurz erkennen konnte, löst eine Gänsehaut aus. Was auch immer das ist, es gehört nicht mehr in unsere Welt.«

»Komm nach oben«, sagte ich. »Wir können dir nicht helfen, solange du da unten bist.«

»Ich weiß«, sagte Honey. »Ich tauche noch auf. Immer noch in eure Richtung. Ich bin gleich bei euch.«

Ich sah über den See und suchte das dunkle Wasser mit meinen Augen ab, aber ich konnte verdammt noch mal nichts erkennen. Der bedeckte Himmel hatte die Wasseroberfläche so dunkel werden lassen wie die Nacht. Die Oberfläche wurde von den Windböen aufgewühlt, das war alles.

»Scheiße! Scheiße!«

Honeys Stimme klang eher wütend als ängstlich. Ich sah mich rasch nach der Konsole um. Auf dem Bildschirm sah ihr dunkles Gesicht erschüttert, aber entschlossen aus.

»Was ist los, Honey?«, fragte Walker. Seine Stimme klang beruhigend.

»Mein Antrieb ist ausgefallen.« Honey klang vernünftig, aber man konnte ihre Verstörtheit daran erkennen, wie schnell ihre Finger über die Kontrollen flogen. Sie hämmerte mit unnötiger Kraft auf die Tastaturen ein und bekam keine Antwort. »Die Maschinen sind offline, die Sensoren haben sich abgeschaltet. Alles, was ich tun kann, ist diese Verbindung aufrechterhalten. - … Scheiße. Das war die Lebenserhaltung. Das ist nicht gut, Leute. Ich bin stillgelegt, die Energieanzeigen fallen und … ich sinke wieder.«

»Geht der Brunftschrei noch raus?«, fragte der Blaue Elf.

»Nein. Aber wenigstens ist die Hülle noch sicher - oh!«

Wir alle hörten einen dumpfen Knall, als etwas das Tauchboot von außen traf und Honey in ihrem Pilotensitz hin und her geschüttelt wurde. Nur die Gurte hielten sie in ihrem Platz. Etwas traf jetzt das Tauchboot noch härter. Alle möglichen Alarme und LEDs blinkten in der Kabine auf. Honey wurde in ihrem Sitz hin- und hergeworfen wie eine Lumpenpuppe.

»Die Hülle … ist noch intakt«, brachte sie schließlich hervor. »Aber ich weiß nicht, wie viele Treffer dieses blöde Scheißding noch einstecken kann. Dafür ist es nicht gemacht - oh, verdammt!«

»Was ist jetzt?«, fragte Peter.

»Der Brunftschrei geht doch noch raus! Er sollte es nicht, aber er tut es.«

»Schalt ihn ab!«, rief ich. »Vielleicht verliert das Monster dann das Interesse und verschwindet!«

»Kann ich nicht!« Honeys Stimme überschlug sich jetzt fast. »Ich kann nicht mehr auf den Computer zugreifen. Das kann einfach kein Zufall sein! Irgendjemand hat mein Tauchboot sabotiert!«

Wir sahen uns an, und ich wusste, dass wir alle darüber nachdachten, wer genügend Zeit allein an der Kommunikationsstation verbracht hatte, um die Programmierung des Tauchboots zu ändern. Das hätte jeder sein können. Immerhin waren wir alle Profis.

»Die Luft wird nicht mehr aufbereitet«, meinte Honey. »Und die Lichter gehen alle aus.«

Wieder traf etwas das Tauchboot und schob es zur Seite. Die Alarmglocken im Cockpit klangen jetzt schrill und rabiat.

»Sie sind beinahe hier, Honey«, sagte Walker. »Keine 200 Meter mehr. Können Sie nicht noch etwas Energie aus den Batterien locken? Irgendeine allerletzte Energiereserve?«

»Ein Hüllenbruch!«, rief Honey. »Es kommt Wasser herein - die halbe Elektronik, die noch funktioniert, wird sich kurzschließen. Ich sinke, Leute. Keine Chance mehr, euch zu erreichen. O Gott. Es wird kalt hier drin. Und dunkel. So wollte ich niemals gehen …«

Ich rüstete hoch. Die anderen wichen vor mir zurück und schrien vor Schreck auf. Es ist eine Sache, von der unmenschlichen Kraft eines gerüsteten Droods zu wissen, eine andere, das mit eigenen Augen zu erleben. Nicht viele sehen es und bleiben am Leben, um davon zu erzählen. Ich ließ die Kommunikationskonsole links liegen und sprintete ans Ufer des Sees. Meine goldenen Füße sanken tief in den Boden, als meine gerüsteten Beine mir zu übernatürlicher Geschwindigkeit verhalfen. Kaum berührte ich das dunkle Wasser, sprang ich schon kopfüber hinein.

Ich fühlte weder die Kälte noch das Wasser, als ich mit kräftigen Zügen hinunter in die Tiefen des Sees schwamm. Meine Rüstung schützte mich und verschaffte mir die nötige Atemluft. Ich hätte in dieser Rüstung auch auf dem Mond spazieren gehen können, und die Legende sagt, dass ein paar Familienmitglieder das auch getan haben. Ich konnte im trüben Wasser trotz meiner durch die Maske verstärkten Sicht nicht sehr weit sehen, aber kaum war ich unter der Oberfläche, konnte ich den Brunftschrei hören, der von dem sterbenden Tauchboot ausging. Er hatte nur einen Bruchteil seiner ursprünglichen Macht, aber ich hätte diesen schrecklichen Klang überall erkannt. Ich hielt direkt darauf zu, meine gerüsteten Arme und Beine pflügten mit unglaublicher Geschwindigkeit durch das Wasser. Ich war weitgehend blind, aber der Gesang wurde immer lauter, bis ich auf einmal direkt über dem Tauchboot war.

Es war deutlich zu sehen, leuchtete gelb in der Finsternis, und ich schnappte mir eines der schwer aussehenden Seitenruder. Das Metall wurde von meiner Hand zerquetscht, aber ich wollte sichergehen, dass ich nicht losließ. Ich klopfte zweimal auf die Seite, um Honey zu zeigen, dass ich da war und sah mich dann schnell um. Ich konnte das Monster nirgendwo sehen, aber in diesem vertorften Gewässer hätte sich das verdammte Ding direkt über mir befinden können, ohne dass ich es gemerkt hätte. Kein sehr angenehmer Gedanke. Und dann schoss etwas an mir vorbei. Es war unglaublich schnell und der Schock der Welle seines Vorbeischwimmens warf mich mit einer Wucht auf das Tauchboot, die jeden normalen Menschen umgebracht hätte. Ich hörte und fühlte, wie die Hülle unter mir brach und knirschte, und ich wusste, es blieb nicht mehr viel Zeit, um Honey zu retten.

Ich zog mich an der Seite des Tauchboots entlang, von einer Antenne zur anderen, bis ich ganz vorne war und durch das große Frontfenster starren konnte. Ich glaube, Honey wäre aus dem Sitz gesprungen, als sie mich sah, wenn die Gurte sie nicht festgehalten hätten. Ich gestikulierte ihr beruhigend zu, während ich schnell nachdachte. Der einzige Weg, sie hier herauszubekommen, wäre gewesen, das Tauchboot an der Seite aufzureißen und sie dann an die Oberfläche zu bringen. Allerdings wusste ich nicht, ob sie eine Tauchausrüstung an Bord hatte, dann war das Wasser so kalt, dass es sie wahrscheinlich getötet hätte und ich konnte auch nicht sicher sein, dass das Monster uns nicht auf dem Weg ans Ufer angegriffen hätte. Nein, im Moment war sie sicherer da, wo sie war.

Also winkte ich Honey noch einmal beruhigend zu, schwamm unter das langsam sinkende Tauchboot, fand das Zentrum und drückte mit meiner goldenen Schulter dagegen. Ich nahm das Tauchboot mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen auf meine Rüstung, damit ich es vor mir herschieben konnte und schwamm damit an die Oberfläche.

Manchmal überrascht meine Rüstung sogar mich.

Den ganzen Weg nach oben konnte ich spüren, wie etwas Riesiges und Boshaftes das Tauchboot umkreiste und mich aus der Entfernung beobachtete, aber ich sah niemals etwas.

Ich fühlte die Änderung, als das Tauchboot die Oberfläche des Sees durchstieß und ich darunter hervorglitt. Sein Auftrieb würde es eine Weile oben halten. Ich schwang mich auf die Seite des Fahrzeugs, das Wasser glitt an meiner Rüstung ab. Honey hatte bereits die Einstiegsluke geöffnet und Rauch quoll daraus hervor. Ich riss den Lukendeckel endgültig ab, warf ihn beiseite und spähte hinein. Honey hatte sich aus ihrem Sitz befreit und kletterte durch den Qualm und die blinkenden Lichter auf mich zu. Die Alarme waren sehr laut.

Das Tauchboot begann wieder zu sinken, Wasser schwappte schon über die Kante der Luke. Ich packte Honey am Arm, ignorierte ihren Schmerzensschrei, riss sie aus dem Einstieg heraus, klemmte sie mir unter den Arm und sprang ans Ufer. Wir rasten durch die Luft, dann trafen meine Füße hart auf der Erde auf, und ich zog uns rasch vom Rand des Wassers fort. Honey befreite sich bereits. Der Qualm hatte ihren Hals gereizt und sie hustete heftig. Ich ließ sie los und sah gerade rechtzeitig zurück, um das Tauchboot in den Tiefen der dunklen, aufgestörten Wasser verschwinden zu sehen.

Und dann schoss auf einmal das Monster aus dem See und keiner von uns hatte mehr Augen für etwas anderes.

Es ragte aus dem Wasser und wurde unfassbar groß, immer weiter, riesig und dunkel glänzend, eine enorme pulsierende Säule aus graugrünem Fleisch. Es war überwältigend groß, und seine Gestalt ergab überhaupt keinen Sinn. Etwas daran beleidigte meine Augen, meinen Verstand; als wäre dieses Ding etwas, das nicht im Geringsten mit meiner geordneten, gesunden und logischen Welt übereinstimmte. Das Ungeheuer war lang und schuppig. Es hatte etwas, das Glieder hätten sein können, die aus seinen gewölbten Seiten herausragten und das Wasser in wütenden Schaum verwandelten. Es besaß einen Kopf wie ein überdimensionaler Bandwurm; breit und fleischig, mit hervorstoßenden Hörnern, einem kreisrunden Maul, vollgepackt mit Zähnen, und überragt von nicht blinzelnden Augen, die wie bei einer Schnecke am Ende von langen, winkenden Fühlern saßen. Dieses Ding war alt, uralt, es stammte aus einer Zeit vor der Geschichte, ein schrecklicher Überlebender aus den Tagen, in denen die Natur und die Evolution noch mit Formen gespielt hatten.

Es stieß ein Geräusch aus; einen kurzen, raspelnden unirdischen Laut, der beunruhigenderweise entfernte Ähnlichkeit mit dem Gesang der Sirene hatte. Der Klang kratzte über meinen Verstand wie Fingernägel auf einer Schultafel. Mein lang vergrabener atavistischer Urinstinkt sagte mir, ich solle losrennen und rennen und nie wieder anhalten. Es war der Schrei dieser Bestie; keine Emotion, die ich erkannt hätte oder die ich hätte hoffen können, zu verstehen, lag darin. Es war ein Monster im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Abscheulichkeit aus einer fernen Vergangenheit, die in unserer menschlichen Welt keinen Platz hatte.

Das war nicht Nessie. Überhaupt nicht.

Der riesige Kopf schlug wie ein Hammer neben uns ein, sodass wir alle auseinander stoben. Der Kopf traf mitten auf der Kommunikationskonsole auf, die in tausend Stücke zerbrach. Schrapnelle flogen mit mörderischer Geschwindigkeit durch die Luft. Der Kopf hob sich wieder hoch in die Luft, erneut erklang der schreckliche Schrei. Weiter, immer weiter erhob sich der Körper gegen alle Gesetze von Gravitation, Gewicht und Masse aus dem Wasser. Der Blaue Elf intonierte etwas in altem Elbisch, hastig spuckte er die Worte aus, und in seiner Hand erschien eine alte Elfenwaffe. Ich erkannte sie aus einem der Bücher der Droodschen Bibliothek: es war Airgedlamh, die legendäre Silberhand von Nuada. Sie schien übernatürlich hell, viel zu machtvoll für menschliche Augen. Ich konnte sie nicht direkt ansehen. Blue zog sie über seinen linken Arm wie eine silberne Rüstung. Dann rannte er direkt auf das Monster zu.

Walker zog ein sehr langes Gewehr aus der Luft, zielte sorgfältig - kühl und gesammelt wie immer - und schoss dem Monster wiederholt in den Kopf. Ohne offensichtliches Ergebnis. Peter filmte mit seinem Kamerahandy jede Bewegung des Ungeheuers und konzentrierte sich ganz darauf. Honey war gerade erst wieder zu Atem gekommen. Sie hatte ihre Haltung jetzt wiedergefunden und zielte mit einer kristallenen Waffe auf das Monster. Fremde Energien knisterten um diese Waffe und explodierten dann über den ganzen Kopf des Ungeheuers hinweg. Dennoch wurde es nicht verletzt. Es war einfach zu alt, zu stark und zu groß. Es war etwas Überlebendes aus der Urzeit, weil es in unserer Welt nichts mehr gab, das es verletzen konnte.

Der Blaue Elf stand am Seeufer, schrie das Wesen grimmig an und schwang Airgedlamh. Sie schien im Dämmerlicht wie die Sonne. Für einen Moment zögerte das Monster, unfassbar hoch über dem Blauen Elfen, als ob es die uralte Waffe von Tuatha dé Dannan erkannte. Und dann kam der Kopf herabgesaust, pfiff durch die Luft, ein riesenhafter, unaufhaltsamer Klumpen Fleisch. Der Blaue Elf blieb stehen, wartete bis zum allerletzten Moment und sprang dann gekonnt auf die Seite. Er hieb der Kreatur mit seiner leuchtenden Silberhand auf die Seite seines Kopfs. Klumpen von graugrünem Fleisch flogen durch die Luft, als der ganze Kopf auf die Seite knickte. Das Ungeheuer brüllte ohrenbetäubend. Der Kopf kam mit unglaublicher, unaufhaltsamer Geschwindigkeit zurückgeschossen, und Blue musste sich selbst auf den Boden werfen, um ihm auszuweichen.

Ich preschte vor, meine gerüsteten Beine trieben mich an. Der Kopf des Monsters war immer noch nur ein paar Meter vom Boden entfernt. Ich sprang darauf und hielt mich an einem der spitzen Hörner fest. Sofort hob das Ungeheuer seinen Kopf und trug mich in den Himmel. Eines der Augen auf den langen Fühlern schwang zu mir herum. Für einen Augenblick trafen sich unsere Blicke. Wenn sich hinter diesem starren Blick Intelligenz verbarg, dann war es keine, bei der ich darauf hoffen konnte, sie zu erkennen oder zu verstehen. Also griff ich mir den Fühler mit meiner goldenen Hand direkt unter dem Auge und riss ihn dem Ungeheuer einfach vom Kopf.

Der fleischige Fühler riss ab, aus der Wunde quoll schwarzes Blut. Das Auge auf dem Fühler wand sich grimmig in meiner Hand, bis ich es fortwarf. Der große Kopf wankte Übelkeit erregend unter meinen Füßen, als das Monster wieder aufbrüllte, ohrenbetäubend laut. Ich stellte mich fester hin, hob meine gerüstete rechte Hand und konzentrierte mich. Die Seltsame Materie wuchs zu einer langen, goldenen Schwertklinge. Ich rammte sie mit all meiner Stärke in den Monsterkopf, trieb die Klinge den ganzen Weg hinein, bis meine Knöchel auf die schuppige Haut trafen. Der Kopf ruckte unter dem schweren Einschlag ein Stück nach unten und warf mich beinahe hinab. Ich zog die Klinge heraus und sah, wie die Wunde, die ich verursacht hatte, beinahe sofort wieder heilte. Der Kopf war einfach zu groß. Ich hatte nicht einmal den Schädel erreicht, vom Gehirn gar nicht zu reden.

Immer angenommen, dass das Monster so etwas überhaupt besaß.

Einer der anderen Augenfühler kam jetzt wieder an mich heran, verführerisch nah, und ich zerschnitt ihn mit meiner goldenen Klinge. Das Monster tauchte seinen Kopf hinab, auf die dunklen Seewasser zu. Im letzten Moment sprang ich herunter, meine gerüsteten Beine fingen den Aufprall mit Leichtigkeit ab. Ich stand am Rand des Sees und sah zu, wie das Ungeheuer in den düsteren Wassern verschwand. Die ganze riesige und unnatürliche Gestalt war im nächsten Moment verschwunden und nichts als ein paar kleine Wellen auf der Wasseroberfläche erinnerten noch an seine Existenz. Ich zog die lange, goldene Klinge in meine Hand zurück und rüstete ab. Das Monster war weg, und ich bezweifelte, dass wir es wiederfinden würden.

Wir hatten es verletzt und das war ihm wahrscheinlich jahrhundertelang nicht passiert.

Wie auch immer, es war verschwunden. Ich wollte nicht als der Mann in die Geschichte eingehen, der das berühmte Ungeheuer von Loch Ness getötet hatte.

Ich wandte dem See den Rücken zu. Honey watete durch die Überreste ihrer Kommunikationskonsole. Walker sah auf die überdimensionale Waffe in seinen Händen, als wäre er nicht gewohnt, so etwas zu benutzen. Nach allem, was ich wusste, war das auch der Fall. Mit einer eleganten, beiläufigen Geste ließ er das Ding verschwinden und ging hinüber zu Peter, der konzentriert auf sein Kamerahandy starrte. Der Blaue Elf betrachtete auf seine silberne Hand von Nuada, die seinen Arm von der Schulter bis zu den Fingerspitzen bedeckte. Er zog eine Grimasse und schickte die uralte Waffe wieder dorthin, wo sie hergekommen war. Er sah mich an, und ich lächelte so freundlich, wie ich konnte.

»Es braucht mehr als nur einen Harnisch, Blue. Warum hast du überhaupt die Airgedlamh gerufen? Warum hast du nicht deinen Torques benutzt?«

»Weil er mir Angst macht«, sagte der Blaue Elf. »Ich glaube nicht, dass ich ihn benutzen kann und immer noch ich bin.«

Er ging ebenfalls zu Peter und Walker hinüber. »Sagt mir, dass ihr das verdammte Ding gefilmt habt!«, sagte er laut. »Wag nicht, zu sagen, dass du's versaut hast, Peter King, oder ich werde dich höchstpersönlich in den See werfen, damit du dieses Monster wieder hervorzerrst!«

»Ich hab's! Ich hab den ganzen Kampf als Film!«, sagte Peter und strahlte von einem Ohr zum anderen. »Ein Beweis, ein tatsächlicher Beweis!«

Honey und ich stellten uns dazu, und wir alle betrachteten den Film auf dem winzigen Bildschirm des Handys. Es sah gut aus. Es würde wahrscheinlich noch viel besser aussehen, wenn man es auf einem Bildschirm mit ordentlicher Größe sähe. Aber wie der Mann gesagt hatte: ein tatsächlicher Beweis.

»Wo ist Katt?«, fragte Walker abrupt. Wir alle sahen uns um, aber von ihr war nichts zu sehen.

Wir fanden ihre Leiche schließlich unter den Trümmern der Kommunikationskonsole. Sie hatte den Haupteinschlag des Monsterkopfes zwar vermieden, sich aber dabei das Genick gebrochen. Ohne ihre fantastische Lebendigkeit sah sie sehr klein und zierlich aus. Wie eine weggeworfene Blume oder Puppe. Peter kniete sich neben sie und schloss ihr die Augen.

»Sie hat wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, was sie getroffen hat«, meinte Walker. »Armes, kleines Ding.«

»Jetzt wünschte ich, ich hätte die Zeit gehabt, sie besser kennenzulernen«, sagte Peter. »Ich glaube, man hätte … Spaß mit ihr haben können.«

»Oh bitte!«, sagte der Blaue Elf. »Sie hätte dich bei der erstbesten Gelegenheit getötet!«

»Wie ich schon sagte: Wir hätten Spaß miteinander haben können.« Peter stand auf und wandte sich ab.

»So ist das nun mal mit der Spionage«, meinte Honey. »Heute hier, morgen tot. Ich wollte ihr eigentlich die Schuld an der Sabotage meines Tauchboots geben. Ich habe keine Beweise, nur ein Gefühl. Jetzt macht es wohl keinen Unterschied mehr. Wir haben einen Beweis für die Existenz dieses Monsters. Zeit also, zum nächsten Teil des Spiels überzugehen.«

»Einfach so?«, fragte Peter.

»Ja«, sagte ich. »So ist das nun mal mit der Spionage.«

Am Ende übergaben wir den Leichnam von Lethal Harmony of Kathmandu dem See. Eine letzte Ruhestätte so gut wie jede andere. Honey sah zu, wie die Wellen sich auf der dunklen Oberfläche langsam verliefen.

»Ein Tauchboot weniger«, sagte sie endlich. »Es hat wahrscheinlich ein paar Milliarden Dollar gekostet. Ich weiß einfach, dass sie einen Weg finden werden, mir das vom Lohn abzuziehen!«

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