Kapitel Drei Am Hof des kryptischen Königs

Nebel, Nebel überall und kein bisschen davon wirklich.

Als ich durch Merlins Spiegel ging, verschwand die Welt und wurde durch dicke, graue Wände langsam wirbelnder Nebel ersetzt. Endlose Grauschatten, kalt und feucht, die das Licht trübten und alle Geräusche dämpften. Ich sah mich um, aber der Spiegel hatte sich selbst im Herrenhaus wieder zusammengefaltet. Ich war allein.

Ich konnte einen harten Boden unter meinen Füßen spüren, und bittere Kälte traf meine Haut, wo sie nackt war. Die Luft war dünn, aber erfrischend, also schien ich doch am richtigen Ort zu sein, irgendwo tief in den Schweizer Alpen. Ich konnte die verflixte Hand nicht vor Augen sehen. Der Nebel wirbelte um mich herum, dick und tief wie Wasser am Grund eines weiten grauen Ozeans, und ich hatte das dringende Gefühl, dass hier im Nebel außer mir noch etwas anderes war. Das war kein echter Nebel, ich konnte es daran erkennen, wie er leuchtete. Das war Fluxnebel, die perlmutterartig schimmernden Schatten, die anzeigen, dass die Grenzen der Welt dünn geworden und alle Möglichkeiten offen sind.

Ich war ganz sicher nicht allein. Da waren unscharfe, dunkle Gestalten, die in den Nebeln um mich kreisten, mich umzingelten wie Haie, die auf einen Blutgeschmack im Wasser hoffen. Ich hörte weit entfernte Stimmen, wie die Echos von alten Freunden und Feinden, die in vergessenen Räumen miteinander sprachen, und hatte ein beständiges Gefühl, dass irgendetwas Wichtiges passieren würde. Ich stand still. Ich wollte nicht dazu gebracht oder verführt werden, etwas Unkluges zu tun, während schwere, langsame Schritte um mich herum zu hören waren und dunkle Gestalten deutlicher und wieder undeutlicher wurden, als kämpften sie darum, feste Gestalt anzunehmen. In einem Fluxnebel verschwimmen die soliden und scharf umrissenen Orte der Welt und zerfließen. Alles wird möglich. Ich stand fest auf dem Boden und hielt meine Ruhe wie einen Schild aufrecht. Eine plötzliche Bewegung in einem Fluxnebel und man ist auf einmal jemand ganz anderes, bevor man eigentlich weiß, was passiert ist.

Außerdem war ich immer noch nicht ganz sicher, wo ich ausgekommen war. Ich hatte Merlins Spiegel die genauen Koordinaten von Alexander Kings Zuflucht am Place Gloria gegeben, aber alles, was ich sicher wusste, war, dass das irgendwo in den Schweizer Alpen sein musste. Nach allem, was ich wusste, konnte das in jeder Richtung noch ein langes Stück Weg bedeuten.

Plötzlich kam ein heftiger Sturm aus dem Nichts; eine tonlose Bö bitterkalter Luft, die den ganzen Nebel in einem Augenblick davonblies und mich unversehens auf einer verlassenen Helikopter-­Landefläche auf einem künstlich eingeebneten Berggipfel stehen ließ. Die blassen, gelben Markierungslinien waren zerbröckelt und vergilbt. Der heruntergekommene und halbverrottete Tower war ganz offensichtlich seit Jahren nicht benutzt worden. Außer mir standen noch fünf andere Leute auf der Landefläche - so weit von mir entfernt, wie es nur ging, ohne vom Berg zu fallen. Keiner von ihnen schien auf den ersten Blick gefährlich zu sein, also nahm ich eine nonchalante Pose ein und sah mich um, um die Aussicht zu genießen.

Er war hoch genug, mir den Atem in mehr als einer Weise zu rauben. Place Gloria lag mitten in den Schweizer Alpen und die langen, gezackten Bergrücken zogen sich in jede Richtung hin. Schneebedeckte Gipfel lagen auf jeder Seite unter mir, jeder mit seinem eigenen Ring von dahinziehenden Wolken unter einem so blauen und klaren Himmel, dass es beinahe wehtat, hinaufzusehen. Die Luft war dünn und bitterkalt. Sie brannte in meinen Lungen, als ich tiefere Züge nehmen wollte.

Ich stand auf dem Dach der Welt und war meilenweit von jedem anderen Ort entfernt.

Das Geräusch nahender Schritte ließ mich herumwirbeln. Ich spürte ein Grollen tief in meiner Kehle, als ich erkannte, wer das war. Er muss die kalte Wut in meinem Gesicht erkannt haben, aber er verlangsamte seine Schritte nicht. Dem Blauen Elf konnte man vieles nachsagen, aber er hatte immer einen Arsch in der Hose gehabt. Er hielt in einer sicheren und höflichen Entfernung an und wartete ab, was ich tun würde. Er sah wachsam aus, aber nicht sonderlich beunruhigt. Ich überlegte, ob ich ihn töten sollte - aus Prinzip, direkt hier -, aber es war wahrscheinlich, dass wir beide Gäste von Alexander King waren. Persönlich ausgesucht für sein großartiges Spiel, und ich konnte es mir nicht leisten, den legendären Autonomen Agenten zu verärgern. Außerdem würde es nicht gut aussehen, wenn man mich dabei erwischte, die Kontrolle zu verlieren, noch bevor das weitere Prozedere feststand. Ich starrte den Blauen Elf kalt an und nickte ihm ganz leicht zu.

»So ist es besser«, sagte er mit aufreizender Ruhe und einer affektierten Stimme. »Wir sollten schön zivilisiert bleiben, jedenfalls fürs Erste. Kein Streit, keine Beschuldigungen, kein Gezanke auf dem Spielplatz. Dieser Wettkampf ist zu wichtig für uns alle, um das Risiko einzugehen, wegen schlechten Benehmens rausgeworfen zu werden.«

»Stimmt, du weißt ja alles über schlechtes Benehmen«, sagte ich. Etwas in meiner Stimme ließ ihn zusammenzucken und tatsächlich einen Schritt zurücktreten. »Du hast mein Vertrauen missbraucht. Einen Torques gestohlen und meiner Familie ins Gesicht gespuckt. Die Rechnung folgt, Blue. Aber jetzt noch nicht. Für all das haben wir noch Zeit, wenn ich erst deinen widerlichen Arsch aus dem Spiel gekickt habe.«

Er versuchte, hoheitsvoll zu lächeln, aber es kam nicht von Herzen. Ich betrachtete ihn. Der Blaue Elf sah ein wenig besser aus als die letzten paar Male, die ich ihn gesehen hatte. Gesünder, sogar jünger, und obwohl man ihm jedes einzelne seiner Lebensjahre ansah, schienen sie ihm besser zu stehen. Er hatte etwas abgenommen, sein Rücken war gerade, und er stellte ein neues Selbstbewusstsein zur Schau. Er trug die vornehme Kleidung des elisabethanischen Zeitalters, mitsamt engen Strumpfhosen, wattiertem Wams und seidener Halskrause. Die Krause war heruntergezogen, damit jeder den gestohlenen Torques sehen konnte. Sein neuer Kleidungsstil war möglicherweise auf seine Zeit beim Feenrat zurückzuführen. Die Elben bevorzugen nach wie vor die Mode des alten Englands, aus der Zeit, in der sie zuletzt auf unserer Erde weilten. Teilweise liegt das an ihrer Sturheit, teilweise, weil sie gern vorgeben, die Menschheit hätte sich seitdem nicht geändert. Das macht es ihnen einfacher, auf uns herabzusehen. Der Blaue Elf trug auch einen zeremoniellen Brustharnisch aus Silber und Messing; auf jedem Zentimeter ziseliert und mit Gravuren und schnörkeligen Prägungen versehen. Ohne Zweifel strotzte das Ding vor Defensivzaubern und magischen Schutzsprüchen. Ich musste grinsen. Blue dachte wohl, er sei geschützt, aber seine Rüstung konnte meiner nicht das Wasser reichen.

Nichtsdestotrotz sah er stolz, arrogant und aristokratisch aus. Sehr … elbisch.

»Ein Dieb und ein Verräter zu sein scheint zu dir zu passen«, sagte ich endlich. »Du siehst gut aus, Blue. Gefällt mir. Wirklich. Wo wäre auch der Spaß dabei, die Scheiße aus einem kranken, alten Mann herauszuprügeln?«

»Wie unfreundlich«, sagte der Blaue Elf und warf mir seinen besten hochnäsigen Blick zu. »Ich bin gar kein Mann. Nicht mehr. Ich habe meine menschliche Seite abgelegt und meine elbische Abkunft angenommen. Ich habe lange Jahre gebraucht, um es zu erkennen, aber ich bin nicht dazu geschaffen, ein Mensch zu sein. Nur ein Mensch zu sein. Als Elb bin ich viel mehr ich selbst.«

»Wir haben dich aufgenommen«, erwiderte ich. »Du warst Gast im Herrenhaus. Wir haben dir einen Platz mitten unter uns überlassen, ein Heim gegeben und ein Ziel, Respekt und Freunde. Und mitten während unseres Krieges gegen die Hungrigen Götter, als das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel stand - da hast du uns einen Torques gestohlen und bist abgehauen.«

»Wenn man ein Elb sein will«, sagte der Blaue Elf gelassen, »dann muss man das richtig und mit allen Konsequenzen tun. Oder es gleich sein lassen.« Er hob die Linke und ließ seine Fingerspitzen zärtlich über den goldenen Reif an seinem Hals gleiten. »Das hättest du mir sagen sollen, Eddie. Du hättest mir sagen sollen, wie man sich mit einem Torques fühlen kann - ich habe mich nie so lebendig gefühlt. Als wäre da nichts, was ich nicht tun kann.«

»Du warst schon immer ein Junkie; immer an der nächsten Droge, einer neuen Sucht«, meinte ich. »Freu dich dran, solange du kannst, Blue. Ich werde ihn mir zurückholen, sobald ich kann.« Ich sah ihn einen Moment lang bedeutungsvoll an und er wand sich unbehaglich unter meinem Blick. Ich grinste. »Welche Geheimnisse hat Alexander King dir angeboten, um dich ins Spiel zu bringen? Etwas, das dich vor dem Zorn der Droods beschützen kann?«

»Ich bin nicht mehr allein«, meinte der Blaue Elf trotzig. »Ich brauche keinen Aufpasser. Ich habe Verbündete, Unterstützung und Rückendeckung, von der du nicht mal träumst.«

»Ach, komm schon«, erwiderte ich. »Glaubst du wirklich, dass der Feenrat für ein Halbblut wie dich einsteht, wenn die Droods sagen Er oder ihr?«

Das musste man ihm lassen, er brachte wirklich ein Lächeln zustande. »Ich bin nicht als Repräsentant des Feenrats hier«, meinte er. »Meine Verbündeten sind älter und mächtiger. Ich beuge meine Knie nicht vor Titania und Oberon. Ich diene der Königin Mab.«

Mir lief ein Schauder über den Rücken, der nichts mit dem kalten Wind zu tun hatte, der über den Helikopter-Landeplatz fegte. Mab war ein alter Name, und kein guter. Wenn die ursprüngliche Königin der Feenwelt aus ihrem langjährigen Exil zurückgekehrt war, warteten Feuer und Blut, Tod und Zerstörung, und vielleicht würde mehr als eine Welt in Verzweiflung und Schrecken gestürzt werden …

»Du verdammter, armer Narr«, sagte ich zum Blauen Elfen und ich meinte jedes Wort. »Du konntest noch nie einem Außenseiter widerstehen, oder?«

Er schnaubte und sah mich mit kaltem und unmenschlichem Gesichtsausdruck an. »Du solltest Angst haben, Drood. Große Angst. Jetzt, wo Königin Mab den Elfenbeinthron von Titania und Oberon wieder bestiegen hat, wird sie die Elben in ein neues Zeitalter führen. Wir kommen wieder heim, Eddie. Alle von uns, alle Elben und Feen, die jemals waren, werden mit Macht und Herrlichkeit zurückzukehren, um die Welt vor den Wilden zu bewahren, die sie ruiniert und verdorben haben. Wir werden die Menschheit unter unseren Füßen zertreten und sie wieder in den Dreck stoßen, aus dem sie gekrochen ist.« Er lächelte plötzlich. Es war nicht menschlich. »Und vielleicht werden wir, wenn wir kommen, alle einen Torques tragen.«

Diesmal war etwas in seiner Stimme, das mir wirklich das Herz stehenbleiben ließ. Aber lass deine Feinde niemals wissen, dass sie dich am Haken haben. Also sah ich ruhig zu ihm hin und wechselte das Thema.

»Das sollte eigentlich ein Wettkampf sein, um den größten Spion der Welt zu finden«, sagte ich. »Und zwar mit den sechs besten Agenten, die derzeit aktiv sind. Also - und nimm's nicht persönlich, Blue - warum bist du hier?«

»Du vergisst ständig, dass die Alten auch mal jung waren«, sagte der Blaue Elf. »Du kennst mich nur als gebrochenen alten Mann, den seine eigenen Schwächen in den Dreck gerissen haben. Also nimmst du an, dass ich immer so war. Aber als ich so alt war wie du, Eddie, war ich jemand, mit dem man rechnen musste. Ich habe für jeden zu jedem Preis gearbeitet. Und ich habe es nur mit meinem Verstand und ein paar raffiniert beschafften Waffen mit allen Großen der Branche aufgenommen. Ich habe sie alle wie Babys zum Weinen gebracht.«

»Was ist passiert?«, sagte ich.

»Was immer passiert. Ich wurde alt und langsam«, sagte der Blaue Elf. Seine Stimme war leidenschaftslos, er hätte auch über jemand anderen reden können. »Ich habe mehr Fälle verloren als gewonnen. Ich habe angefangen, mich auf Alkohol und Drogen zu verlassen, die meine Konzentration verbessern sollten. Mit ihnen konnte ich mich wieder so fühlen wie normal. Man fällt schnell in den Abgrund. Nur ein einziger schlechter Tag, und eine Katastrophe, die so schlimm ist, dass man sich selbst nicht mehr belügen kann.« Er sah mich beinahe mitleidig an. »Ich war genau wie du, Eddie. In meinen besten Jahren und davon überzeugt, dass ich die Welt voll im Griff habe. Da fällt man tief, und du glaubst nicht, wie sehr es schmerzt, wenn man auf dem Boden auftrifft. Das ist deine Zukunft, Eddie. Das ist es, worauf du dich freuen kannst.« Er lächelte plötzlich. »Aber mir wurde eine zweite Chance gewährt. Der Torques hat mich wieder jung, wach und lebendig gemacht. Ich bin wieder der, der ich war, der größte aktive Agent meiner Zeit.

Und was nutzt dein jugendlicher Leichtsinn schon angesichts meiner jahrzehntelangen Erfahrung? Ich bin wieder da, Eddie, und ich werde euch alle an der Nase herumführen.«

»Da spricht nur der Torques aus dir.« Aber ich war nicht sicher.

Wir beide wandten uns um, als eine der anderen Gestalten über die Landeplattform zu uns herüberschlenderte. Sie hielt in angemessener Entfernung an, sah an uns herunter und grinste breit.

»Hi«, sagte sie. »Ich bin Honey Lake. CIA. Aber bitte nicht so laut jubeln.«

Man musste zugeben, sie hatte Charisma. Honey Lake war hochgewachsen, eine Amazone mit erstklassiger Figur, kaffeebrauner Haut und kurz geschnittenem Haar. Sie trug einen enganliegenden Overall unter einem weißen Pelzmantel und oberschenkelhohe, weiße Lederstiefel. Ihre Gesichtszüge waren ausgeprägt und angenehm, mit hohen Jochbeinen, einem breiten Grinsen und fröhlichen Augen. Ihre schiere körperliche Präsenz war beinahe überwältigend, als würde man von den Scheinwerfern eines herankommenden Wagens erfasst. Ich wäre beeindruckt gewesen, wenn ich daran geglaubt hätte, dass es so etwas gibt, aber meist tue ich das nicht. Die besten Agenten gehen unauffällig und ungesehen durch die Welt; aus der Masse herauszustechen macht einen nur zu einer besseren Zielscheibe. Ich ließ meinen Blick gelassen über sie hinwegstreichen, um ihr zu zeigen, dass ich nicht hingerissen war und bemerkte dabei zufällig, dass sie genug Ringe aus schwerem Gold an den Fingern ihrer linken Hand trug, um einen doppelten Schlagring zu ersetzen. Sie hatte auch ein silbernes Schutzamulett um den Hals hängen, das das Auge der Vorsehung in der Pyramide darstellte. Als ich es ansah, blinzelte das Auge.

Honey Lake betrachtete mich genauso offen. Sie grinste dabei wie ein Kind, dem man ein neues Spielzeug geschenkt hatte.

»Wow«, sagte sie. »Ein Drood. Ich bin beeindruckt. So also sieht ein Torques aus. Ich habe immer geglaubt, er wäre … imponierender. Aber dennoch, ein echter Drood! Man kriegt ja nicht oft einen zu sehen.«

»Wir bevorzugen die Arbeit hinter den Kulissen«, sagte ich. Ich trat vor, um ihr die Hand zu schütteln. Sie tat das kurz, mit festem Griff. Aus der Nähe roch sie nach Moschus, Parfum und Schießpulver. Keine unangenehme Kombination.

Der Blaue Elf räusperte sich bedeutungsvoll. »Hallo, ich bin-«

»Ach, ich weiß, wer du bist«, sagte Honey und nahm ihre Augen nicht von mir.

»Ich bin Eddie Drood«, sagte ich. Langsam begann ich, mich ein wenig unwohl zu fühlen. Honey schlug mir ihre Sexualität geradezu um die Ohren. Was vielleicht Absicht war; das ist ein alter Trick, um Männer aus dem Gleichgewicht zu bringen. »Also«, sagte ich so beiläufig, wie ich konnte. »Du gehörst also zur CIA? Ich hätte wissen sollen, dass der Laden darauf besteht, einen Vertreter zu schicken.«

»Oh, ich wurde ausgewählt«, sagte Honey. »Persönlich verlesen vom Autonomen Agenten selbst. Ich bin nur so halb bei der CIA.«

Ich hob eine Augenbraue. »Nur so halb?«

»Du weißt ja, wie das ist, Eddie. Wir sind wie eine Zwiebel, egal, wie viele Häute man schält, es ist immer noch eine drunter. Ich arbeite für eine dieser Abteilungen innerhalb der Abteilungen, die gar nicht existieren. Unsere Aufgabe ist, die Vereinigten Staaten vor allen Bedrohungen zu schützen, die, nun ja, unnatürlich sind. Mit allem, was nötig ist.«

»Schließt das Droods mit ein?«, fragte ich.

»Aber ja! Wir vertrauen keinem, der nicht hundertprozentig amerikanisch ist. Zum Teufel, wir trauen nicht einmal den meisten Leuten, die für die CIA arbeiten. An wirklich schlechten Tagen vertraue ich niemandem außer mir selbst.« Sie lächelte strahlend. »Ich liebe den Geruch von Verfolgungswahn am Morgen. Ist so belebend.« Sie wandte sich plötzlich dem Blauen Elf zu, der steif an der Seite stand wie ein Partygast, mit dem niemand reden will. »Ich wusste gar nicht, dass die Droods ein elbisches Halbblut in ihren Reihen haben.«

»Haben wir nicht«, sagte ich. »Er hat seinen Torques gestohlen.«

Honey Lake hob eine elegante Augenbraue. »Und ihr lasst ihn am Leben?«

»Nun, das ist … kompliziert«, sagte ich.

»Oh«, meinte sie. »So ist das also, ja?«

»Sag du's mir«, meinte ich. »Du gehörst zur CIA und weißt deshalb alles.«

Sie lachte. »Wenn wir das wirklich täten, dann würden wir keine aktiven Agenten brauchen. Es ist wirklich faszinierend, dich zu treffen, Eddie. In Fleisch und Blut sozusagen. Normalerweise sieht man Droods nur aus der Ferne, in Aktion, ganz in eurer erstaunlichen Rüstung. Und nur wenn man viel Glück hat. Ihr seid die modernen Legenden der Spionage. Man redet oft von euch, ihr werdet kaum gesehen, bleibt nie lange genug, um Lob anzunehmen oder Fragen zu beantworten. ›Wer war der Maskierte?‹, schreien alle und bekommen keine Antwort. Die CIA hat tonnenweise Akten über euch Droods, aber wir trauen dem, was darin steht, nicht wirklich. Ihr würdet einige der Geschichten, die wir über euch hören, selbst nicht glauben.«

»Glaub sie alle!«, sagte ich trocken. »Besonders die richtig seltsamen.«

»Ich habe den Grauen Fuchs einmal getroffen«, sagte Honey. »In einer ausgebombten Bar in Beirut. Er war so ein Gentleman! Er hat mir den Kurier, den ich eskortiert habe, unter der Nase weggestohlen.«

»Onkel James«, sagte ich. »Er war immer der Beste von uns.«

»Was ist mit ihm passiert?«, fragte Honey. »Ich hörte, er ist gestorben, aber …«

»Er hat der falschen Frau den Rücken zugekehrt«, sagte ich. »So hätte er es gewollt.«

»Warum sagst du ihr nicht, wer den Grauen Fuchs getötet hat?«, fragte der Blaue Elf.

»Halt die Klappe, Blue.« Ich sah ihn nicht an.

Wir zuckten alle ein wenig zusammen, als eine andere Gestalt sich zu uns gesellte. Er stand ganz plötzlich neben uns, obwohl keiner ihn hatte kommen hören. Und ich bin wirklich nicht leicht zu erschrecken. Er sah sehr wie ein typisch städtischer Businessmensch aus in einem schicken und teuren Anzug, einer altmodischen Krawatte, einer Melone und mit zusammengerolltem Regenschirm. Er schien völlig unpassend angezogen für die kalte Bergluft, aber wenn die ihm wirklich etwas ausmachte, zeigte er es nicht. Er war durchschnittlich groß, hatte ein durchschnittliches Gewicht, war mittleren Alters und gut in Form. Gewitzt, stilvoll und gebildet, mit einem ruhigen Lächeln und kalten, wachsamen Augen. Er nickte jedem von uns der Reihe nach zu und tippte für Honey sogar die Melone an.

»Guten Tag«, sagte er distinguiert. »Ich bin Walker. Aus der Nightside.«

Für einen langen Moment sagte keiner von uns etwas. Es kommt nicht oft vor, dass ich tief beeindruckt bin, aber wir alle hatten von Walker gehört. Die Nightside ist das versteckte dunkle Herz Londons. Ein Ort, wo böse Dinge leben und noch schlimmere Dinge passieren. Wo es immer Nacht ist, weil einige Dinge nur in der Dunkelheit umgehen können. Wo Götter und Monster intrigieren und sich bekriegen. Und wo sie oft denselben Swingerclub besuchen. Die Nightside ist die dunkle Seite der Nacht und hat die besten Bars und Clubs der Welt, aber der Eintrittspreis dafür kann die eigene Seele sein. Man findet besser schnell, was man dort sucht, sonst findet es einen zuerst. Nach einem uralten Abkommen halten die Droods sich von der Nightside fern. Wir sind so gesehen nicht verbannt, aber wir finden es besser, nicht reingezogen zu werden. Die Autoritäten haben die Nightside verwaltet, sofern sie das konnten, und Walker war ihr Mann vor Ort. Es war seine Aufgabe, den Überblick zu behalten. Und keiner legte sich je mit ihm an. Selbst Götter und Monster nahmen sich zusammen, wenn Walker auf der Pirsch war. Aber mittlerweile waren die Autoritäten Vergangenheit. Walker aber war immer noch da. Und das war … interessant. Er lächelte leicht, sehr höflich, sehr gut erzogen. Wie ein Krokodil in einem Armani-Anzug.

»Ein Tag voller Überraschungen«, sagte Honey Lake. »Ich kann ehrlich behaupten, dass ich nicht erwartet hatte, jemanden von der Nightside hier zu sehen. Ihr Leute tendiert nicht gerade dazu, gut mit anderen zusammenzuarbeiten. Tatsächlich gibt es Leute, die sagen, dass der Weltuntergang sicher eines Tages von dort kommen wird.«

»Nein«, meinte der Blaue Elf. »Da denkst du sicher eher an Schattenfall.«

»Ich versuche, genau das nicht zu tun«, sagte Honey und sah ihn immer noch nicht an. »Der Elefantenfriedhof der Übernatürlichen? Wo die Legenden sterben, wenn die Welt nicht mehr an sie glaubt? Dort ist es wirklich unheimlich.«

»Also«, sagte ich zu Walker, »was führt Sie aus der Dunkelheit ins Licht?«

»Das bevorstehende Ende einer Legende«, sagte Walker und stützte sich lässig auf seinem gerollten Regenschirm ab. »Gerüchte wollen wissen, dass der Autonome Agent Dinge weiß, die sogar die Nightside nicht kennt. Wissen und verlorene Geheimnisse, die dem Rest der Welt nicht bekannt sind. Er bot mir an, in seinem kleinen Spiel mitzuspielen, und ich konnte wirklich nicht ablehnen. Mir wurde etwas versprochen, sehen Sie, etwas, das nicht einmal die Nightside hat. Und ich will es haben.« Er sah mich gedankenverloren an. »Ich hätte wissen sollen, dass ein Drood hier sein würde. Es wäre kein ehrlicher Wettkampf, wenn das nicht der Fall wäre.«

»Moment mal, stopp«, sagte ich. »Sie können meinen Torques auch sehen? Verdammt! Worin besteht der Vorteil, eine Geheimwaffe zu haben, wenn jeder darüber Bescheid weiß?«

»Ah«, erwiderte Walker, »aber wir sind ja auch nicht jeder, oder?«

Ich nickte, der Punkt ging an ihn. »Trotzdem«, sagte ich. »Warum sollte Alexander King Sie auswählen, Walker? Ich will Sie nicht beleidigen, aber Sie sind so gesehen ja kein Agent.«

»Vielleicht nicht«, erwiderte er. »Aber wer weiß mehr über die wirklichen Geheimnisse und Mysterien der Welt als ich?«

Wir wandten uns jetzt der nächsten ankommenden Gestalt zu, die langsam über die Landeplattform spaziert kam. Er blieb vor uns stehen, nickte kurz und stand dann einfach da, damit wir ihn betrachten konnten. Um ehrlich zu sein, sah er nach nichts Besonderem aus. Leidlich gutaussehend, sogar halbwegs elegant, war er Anfang zwanzig und trug einen maßgeschneiderten, modischen Anzug. Und das mit Grazie und Lässigkeit. Blonde Haare, blaue Augen, gut in Form; aber nichts, mit dem man angeben konnte. Er hatte etwas Reserviertes, als stecke er seine Nase oft in Bücher. Sein Gesicht war blass und im Wesentlichen charakterlos. Um genau zu sein, man vergaß es genauso schnell wie meines. Ein Agentengesicht. Er schüttelte uns nicht die Hand und wenn Honeys Sex-Appeal bei ihm ankam, dann behielt er das für sich.

»Peter King«, sagte er kurz. »Der Autonome Agent ist mein Großvater. Er bestand darauf, dass ich an diesem abgedrehten Spiel teilnehme. Ich erwarte allerdings nicht, dass er mir Vorteile einräumt. Das hat er noch nie getan.«

»Auf welchen Zweig der Spionage bist du spezialisiert, Peter?«, fragte ich.

»Unternehmenskommunikation«, sagte er steif. »Industriespionage. Das Stehlen von geschützten Geheimnissen oder privilegierter Information. Transfer und sicheres Geleit von wichtigem Personal, so etwas in der Art. Nicht ganz so glamourös wie das, was ihr macht vielleicht, aber es steckt viel Geld darin mitzuhelfen, wie sich Unternehmen gegenseitig ausspielen.«

»Ich kann nicht sagen, dass ich jemals von dir gehört hätte, Peter«, sagte Honey nicht unfreundlich.

Er lächelte kurz. »Das liegt daran, dass ich gut bin in dem, was ich tue.«

Dagegen war nichts zu sagen. Die besten Agenten hinterlassen keine Spur davon, dass sie je da gewesen waren.

»Dennoch, Alexander Kings Enkel«, sagte Honey Lake nachdenklich. »Die CIA hat keine Aufzeichnungen darüber, dass King je eine Familie hatte.«

»Großvater glaubte nicht daran, mögliche Geiseln ihrem Schicksal zu überlassen«, sagte Peter. »Wenn die Welt nichts von seiner Familie wusste, konnte die Welt sie nicht gegen ihn benutzen. Der große alte Mann der Geheimnisse hatte Freude daran, selbst welche zu haben. Fragt mich nicht nach meinem Vater oder meiner Mutter. Einige Dinge sollten geheim bleiben.« Er sah sich auf der verlassenen Landeplattform um. »Das ist das erste Mal, dass ich hier bin. Hier im Haus auf dem Gipfel der Welt, wo er seine Geheimnisse wie der alte Miesepeter hütet, der er ist. Meine Mutter hat mir Dinge über diesen Ort erzählt … Noch Jahre später hatte sie Albträume aus ihrer Zeit hier. Und jetzt bin ich hier, der nicht ganz so verlorene Sohn, und muss zu einem Wettkampf um etwas antreten, was von Rechts wegen mein Erbe wäre.«

»Familiengeschichten sind immer furchtbar peinlich«, sagte der Blaue Elf.

»Da hörst du von mir keine Widerworte«, sagte ich.

Alle sahen sich um, als der Klang von hohen Absätzen zu hören war. Die letzte Kandidatin im großen Spiel kam heran, um uns Gesellschaft zu leisten. Ich sah ihrer Ankunft zu, und diese Aufmerksamkeit war es wert. Ich wollte durch die Zähne pfeifen und applaudieren, einfach nur aus Prinzip. Peter grinste offen, der Blaue Elf lächelte beinahe gegen seinen Willen, und Walker … sah ruhig und gesammelt aus, wie immer. Honey Lake betrachtete die letzte Kombattantin mit einem kühlen, nachdenklichen Blick. Sie erkannte eine Bedrohung ihrer Position, wenn sie eine sah. Die entzückend stilsichere junge Dame kam mit einem gekonnten Hüftschwung vor uns zu stehen, nahm eine elegante und ganz bezaubernde Pose ein und gönnte uns ihr charmantestes Lächeln.

»Grüß Gott und hallo, liebe Mitstreiter!«, sagte sie mit einer sanften schnurrenden Stimme, wie eine Katze die Sahne von einer Maus leckt. »Ich bin Lethal Harmony of Kathmandu. Bitte nennt mich Katt, das tut jeder.«

Es war etwas Katzenhaftes an ihr. Ein Sinn für graziösen Stil, gelegentliche Grausamkeit und üble Macht, die hinter einem haarfeinen Auslöser versteckt waren und sich sofort im nächsten Moment über jeden hier ergießen konnte. Honey Lake machte einen verdammt guten ersten Eindruck, aber gegen Lethal Harmony of Kathmandu sah sie aus wie eine unschuldige Cheerleaderin vom Lande. Wenn Honey wie eine schnell vergängliche Explosion war, war Katt die ständig glühende Kohle.

Katt war groß und ihr stromlinienförmiger Körper feingliedrig. Sie hatte genug Präsenz und Haltung, um einem Mann den Atem zu nehmen. Sie trug ein langes Gewand aus Seide, das an bestimmten Stellen eng genug geschnitten war, um ihre Figur zu betonen. Als sie sich umdrehte, um jedem von uns ein Lächeln zukommen zu lassen, erhaschte ich den Blick auf einen gewundenen, orientalischen Drachen, der über die ganze Länge des Rückens gestickt war. Katt hatte süße asiatische Züge, akkurat geschnittenes, jetschwarzes Haar, dunkle, asiatische Augen und einen Kussmund, dessen Lippen pflaumenfarben geschminkt waren. Wunderschön, graziös und zweifellos sehr tödlich, wenn erforderlich. Das war Katt.

Ich hatte allerdings nach wie vor den Eindruck, sie habe das Lächeln vor dem Badezimmerspiegel geübt. Es war einfach zu gut.

Sie spielte eine Rolle, aber es war eine gute, und ich bewunderte die Mühe, die sie hineingesteckt hatte. Wenn du nicht anonym sein kannst, so wie ich, dann versteck dich hinter einem Klischee, und man wird dein wahres Ich nie kennenlernen. Bis es zu spät ist.

»Lethal Harmony. Tödliche Harmonie«, meinte Honey Lake kühl, aber amüsiert. »Die liebe kleine Kittykat. Ich hätte wissen müssen, dass du auftauchst; die höchsteigene Drachenlady der Welt der Geheimdienste.«

Katt warf Honey einen finsteren Blick zu, den diese direkt erwiderte. Ich erwartete fast, dass beide begannen zu zischen und ihre Krallen auszufahren.

Der Blaue Elf gab sich keine Mühe, seine Belustigung zu verbergen. »Dürfen wir das so verstehen, dass ihr einander kennt?«

»Wir haben zusammengearbeitet«, antwortete Honey knapp. »Wenn der Job es erforderte. Man darf ihr nicht vertrauen oder ihr den Rücken zuwenden. Sie haut einen immer übers Ohr.«

»Wie unfreundlich«, sagte Katt und lächelte immer noch ihr perfektes Lächeln.

»Ich sehe, dass du nichts davon abstreitest«, erwiderte Honey.

»Warum sollte ich?«, meinte Katt. »Wir alle sind Agenten. Wir wissen, wie man das Spiel spielt.« Sie beugte sich vor, um mich genauer zu betrachten. »Oh! Ein Drood! Wie aufregend!«

»Ach, zum Teufel«, sagte ich genervt. »Kann eigentlich jeder hier meinen Torques sehen?«

»Nun, ja«, meinte Peter. »Wir wären wohl keine guten Agenten, wenn das nicht der Fall wäre, oder? Ich mache mir mehr Sorgen darum, was wohl der Halbelb mit einem Torques tut. Elben sind gefährlich genug, auch ohne dass man ihnen eine Atombombe in die Hand gibt.«

»Wie überaus freundlich«, sagte der Blaue Elf affektiert. »Es ist immer schön zu sehen, dass man geschätzt wird.«

»Also, Katt«, sagte ich und wechselte demonstrativ das Thema. »Für wen arbeitest du?«

»Für alles und jeden«, sagte Katt lässig. »Eine Moral ist so gut wie die andere, aber ein Mädchen muss seine Miete bezahlen, Schätzchen. Die Welt da draußen ist kalt und wird von Geld regiert.«

»Glaubst du an irgendetwas?«, fragte Honey Lake.

»Ich glaube an die Bezahlung«, sagte Katt bestimmt. »Und du bist wirklich die Richtige, etwas zu sagen, liebes Fräulein ›Ich-bin-doch-gar-nicht-richtig-bei-der-CIA-ich-lege-Leute-nur-rein,-weil-ich's-so-gut-kann‹. Nein, Schätzchen, ich bin niemandes Sklave und folge auch keinen Dogmen. Ich bin die letzte der großen Abenteurer, und ich liebe es!«

»Es ist immer gut, einen echten Realisten in der Runde zu haben«, sagte der Blaue Elf. Er streckte eine Hand nach Katt aus, und sie sah von oben herab darauf herunter, als habe er Scheiße an den Fingern. Blue zog die Hand zurück und brachte es fertig, verletzt auszusehen, aber doch würdevoll.

»Vertraue nie einem Elb«, sagte Katt geradeheraus. »Und selbst wenn du es tust, vertraue lieber einem Elb als einem Halbblut.«

»Harte Worte«, sagte Blue ruhig. »Besonders von einer so berüchtigten Femme fatale, der höchsteigenen Madame Gnadenlos der Spionage. Wie viele Männer und Frauen sind schon in deiner Umarmung gestorben, liebe Katt? Wie viele Liebhaber hast du verführt und getötet? Wenigstens hatte ich den Rest Anstand, für meine Lover zu bezahlen. Sag mir, liebe Katt, ist es wahr, dass du deine Opfer am liebsten beim Sex tötest, damit du ihren letzten Atemzug in deinen zweifellos köstlichen Mund saugen und so für dich nutzen kannst?«

Katt richtete sich zu ihrer vollen Höhe auf. »Das wirst du nie erfahren.«

»Da bin ich aber sehr erleichtert«, sagte der Blaue Elf.

»Kinder, Kinder«, murmelte Walker. »Immer fair bleiben.«

»Deshalb bevorzuge ich die Industriespionage«, sagte Peter. »Die Persönlichkeit steht einem nicht im Weg.«

Ich sah mich auf der leeren Landefläche um. »Das war's? Nur wir? Keine russischen oder chinesischen Agenten?«

»Die sind heutzutage größtenteils mit ihren internen Problemen beschäftigt«, meinte Honey.

»Und Sie würden das ja sicher wissen«, sagte Walker.

»Trotzdem«, sagte ich. »Das ist nicht ganz die Versammlung, die ich erwartet habe. Ich meine, sind wir die sechs größten Agenten, die sich heute im aktiven Dienst befinden? Wir?«

»Ich denke, das sagt mehr über den derzeitigen Stand der Welt aus, als ich gerne wissen würde«, sagte Walker.

»Großvater hat uns ausgesucht«, meinte Peter. »Er wird seine Gründe gehabt haben.«

»Warum der Fluxnebel?«, fragte der Blaue Elf. »Warum wurde der eingesetzt? Wir wissen doch alle, wo wir sind.«

»Tun wir das?«, fragte ich zurück. »Sobald wir ankamen und in den Fluxnebel geraten sind, könnte der uns überall hingebracht haben. Hier sollten die Schweizer Alpen sein, aber ich könnte das nicht beweisen. Eine Bergkette sieht aus wie die andere. Es scheint fast so, als wolle Alexander King die genaue Lage seiner privaten Zuflucht bis zum Ende geheim halten.«

»Und niemand ist hier, um uns in Empfang zu nehmen«, sagte Peter. »Wie typisch von Großvater. Was sollen wir tun, einfach hier in der Kälte herumstehen, bis er geruht, das Wort an uns zu richten?«

Er hatte kaum ausgesprochen, als der Beton unter unseren Füßen zu beben begann. Es gab ein lautes, mahlendes Geräusch, und Staubwolken wirbelten in langen Linien um uns herum, die ein riesiges Quadrat bildeten. Der Beton schien unter unseren Füßen zu sinken. Plötzlich glitten wir einen enormen dunklen Schacht hinab und ließen die Kälte und das Licht hinter uns. Wir stellten uns alle dicht aneinander und bildeten unser eigenes Quadrat, damit wir jede Richtung überblicken konnten. Das Licht über uns verschwand, und für einen langen Moment gab es nur noch die Dunkelheit und das Gefühl einer Bewegung, während wir einem unbekannten Schicksal entgegensanken. Und dann kam die große Betonplatte zu einem Halt. Licht flammte auf, das uns alle zusammenzucken ließ, und wir erkannten, dass wir in einer weitläufigen Eingangshalle standen.

Die Luft war angenehm warm nach der Kälte oben. Ich sah herunter, aber die Betonplatte passte perfekt in den Boden. Die ganze Halle war leer und völlig nackt. Kein Anzeichen von Leben. Kein Anzeichen dafür, dass hier jemals jemand gelebt hatte. Wohin genau hatte Alexander King uns gebracht? In seine Gruft, seine Krypta? Und dann zuckten wir alle wieder zusammen, als eine mächtige Stimme in unseren Köpfen erklang. Eigentlich sollte das nicht möglich sein, wenn man den Droodschen Torques trägt; er sollte uns eigentlich vor allem schützen, das von außen eindringt. Aber der Autonome Agent hat schon immer nach seinen eigenen Regeln gespielt.

Willkommen auf Place Gloria, sagte die Stimme. Willkommen in meinem Heim. Und willkommen zum größten Wettkampf aller Zeiten.

Ich wartete, aber mehr kam nicht. Ich schüttelte ein wenig den Kopf und erwartete beinahe, dass etwas aus meinen Ohren floss. Die Stimme war überaus laut gewesen.

Ich sah zu Peter. »War das die Stimme deines Großvaters?«

»Nein«, sagte er. »Ich war noch nie hier, habe den alten Bastard noch nie getroffen und nie mit ihm telefoniert. Nicht einmal eine Geburtstagskarte habe ich bekommen. Wenn es Briefe gab, dann hat meine Mutter sie für sich behalten. Ich habe meine Einladung zu diesem Wettkampf von einem … Mittelsmann bekommen.«

Er unterbrach sich, als wir alle herumfuhren und in dieselbe Richtung sahen. In meinem Kopf hatte ich neue Informationen, von denen ich sehr sicher war, dass sie nicht von mir selbst stammten, und denen ich entnehmen konnte, wo wir entlanggehen mussten, um Alexander King zu treffen. Ich hatte das Gefühl, man habe mir einen Befehl gegeben.

»Das ist ein magisches Wirken«, sagte der Blaue Elf leise. »Ein Einfluss. Geht irgendwie in die Richtung von einem leichten Schwur. Ich wusste gar nicht, dass er das kann.«

»Was wissen wir schon von Alexander King?«, fragte Katt. »Na, kommt schon, ihr Lieben, wir sind hier, um den Mann zu treffen. Also dann los, lasst uns gehen.«

Wir gingen tapfer weiter, keiner von uns wollte zurückbleiben oder zulassen, dass ein anderer die Führungsrolle an sich riss. Wir durchquerten die leere Empfangshalle. Unsere Schritte hallten in der Stille wider. Am anderen Ende öffnete sich eine Tür. Wir gingen hindurch und standen auf einmal in totalem Luxus. Die Ausstattung und die Möblierung von Place Gloria waren weich und plüschig, sinnlich und am Genuss orientiert. Ich war von dem Farbenrausch vor mir so beeindruckt, dass ich kaum hörte, wie sich die Tür hinter mir schloss. Die Dekorationen waren weitgehend im Stil der Sechziger und Siebziger gehalten. Eine Menge Bequemlichkeit und strahlende Farben, postmoderne Designermöbel und knallbunte Kunst aus den Jahrzehnten, in denen man vergessen hatte, was guter Geschmack war. Der Raum hatte eine hohe Decke, die die Beleuchtung versteckte, und roch stark nach Sandelholz und Blumenöl. Exorbitanter Luxus und Reichtum, wohin man sah, jede Spur von Zurückhaltung fehlte völlig. Wir gingen alle langsam weiter, unvermeidlich angetrieben von Kings subtilem Einfluss.

In den Wänden gab es Nischen, jede mit ihrer eigenen Lichtquelle, um einzelne Trophäen aus den Feldzügen des Autonomen Agenten ins rechte Licht zu rücken. Es gab alle möglichen Arten von Schätzen und Wundern; die Beute und die Tribute eines ganzen Lebens voller geheimer Kriege. Ich musste lächeln. Alexander King hätte beinahe ein Drood sein können. Wir hielten alle neben der Statuette eines mattschwarzen Falken an.

»Ach, nicht doch; das ist nicht der echte, oder?«, fragte der Blaue Elf und beugte sich vor, um die Statuette genau zu betrachten.

»Ich würde ihn nicht anfassen«, sagte ich schnell. »Es heißt, er sei geschützt.«

Blue richtete sich auf und starrte mich wütend an. »Ich wollte ihn nicht anfassen! Ich bin doch kein Amateur! Ein bisschen Verstand musst du mir schon zugestehen.«

»Ich nehme an, es könnte wirklich der echte sein«, meinte Walker. »Wenn jemand das Original hat, dann wäre es Alexander King.«

»Ach«, sagte Honey. »nach allem, was wir wissen, könnte er auch den Heiligen Gral irgendwo versteckt haben.«

»Nein«, warf ich ein. »Das ist ein Gegenstand, den er ganz definitiv nicht hat.«

Alle sahen mich an. »Sag nicht, die Droods haben den Gral«, sagte Katt.

»Nein«, sagte ich. »Aber wir wissen, wo er ist und wir sind verdammt froh, dass er dort bleibt. Der Sangreal ist nicht für unseresgleichen. Er … urteilt über einen.«

»Du meinst, wir sind seiner nicht würdig?«, fragte der Blaue Elf. »Von dieser Schande werde ich mich nie erholen.«

»Natürlich sind wir nicht würdig«, bemerkte Honey. »Wir sind Agenten. Man kann nicht tun, was wir tun und noch in der Lage sein, das Blut von den Händen zu waschen.«

»Das gilt vielleicht für Sie«, meinte Walker überraschend. »Ich tue meine Pflicht und schlafe nachts hervorragend.«

»Ich auch«, fügte der Blaue Elf hinzu. »Manchmal allerdings mit etwas medizinischer Hilfe.«

»Es geht nicht darum, was man tut«, sagte ich. »Sondern warum man es tut.«

»Typisch Drood, immer auf dem hohen Ross«, schnaubte Blue. »Immer ganz sicher, dass ihr besser seid als der Rest.«

»Meist sind wir das auch«, sagte ich. »Meist.«

Der Einfluss zog wieder an uns, und wir gingen weiter, bis wir auf einmal neben der Mona Lisa standen.

»Vermutlich ist das die echte«, sagte Peter. »Irgendwann in den Sechzigern aus dem Louvre gestohlen. Großvater hat einer Herausforderung noch nie widerstehen können.«

King hatte an seinen Wänden noch zwei Pickmans, einen unbekannten Shlacken und Das Gemälde, das Paris verschlang. Das verleitete zu der Annahme, dass der Autonome Agent eher ein Sammler als ein Kunstverständiger war. Es gab auch eine ganze Reihe von Glasvitrinen, in denen sich Gegenstände von außergewöhnlichem Interesse befanden. Der Schädel eines außerirdischen Grauen starrte uns leer an, mit Löchern und langen Kerben im Knochen, die darauf hinwiesen, wo man brutal die Teile der außerirdischen Technik entfernt hatte; hoffentlich nach seinem Tod. Eine Flasche mit unheiligem Wasser vom ursprünglichen Verein des Höllenfeuers. Tom Pearces schwarzmagisches Buch, ein ausgestopfter Morlock und eine mumifizierte Affenpfote, die sehr gründlich auf ihrem Podest angenagelt war. Und schließlich ein mit Draht zusammengehaltenes, menschliches Skelett, das aufrecht in einer alten Standuhr stand.

»Das ist meine Mutter«, sagte Peter. Wir sahen alle zu ihm hin, aber er hatte nur Augen für das Skelett. »Nachdem sie gestorben war, hat Großvater ihre Leiche reklamiert und hierher gebracht. Eigentlich hat er sie vom Bestattungsunternehmer gestohlen, dem ich die Organisation der Beerdigung übertragen hatte. Er hat den Leichnam außer Landes geschmuggelt, bevor ich wusste, was überhaupt passierte. Ich habe ein wenig später den Brief eines Anwalts bekommen, in dem stand, dass Großvater Speckkäfer benutzt hat, die Fleisch fressen und nur die Knochen übrig lassen. Wie im Museum. Und dass Mutters Skelett in Großvaters Heim einen Ehrenplatz bekäme, zusammen mit seinen anderen Wertsachen. Eine Fotografie war beigelegt. Großvater kann sentimental sein, aber nicht im landläufigen Sinn. Mir wurde nie erlaubt, sie zu sehen. Bis jetzt. Merkt es euch, wenn schon sonst nichts: Großvater lässt niemals etwas los, das ihm gehört.«

»Leg's wieder hin«, sagte ich streng zum Blauen Elf.

»Was?« Er war ganz verletzte Unschuld.

»Diese kleine schwarze Lackschachtel, die du gerade aufgehoben und in die Tasche gesteckt hast; von dem kleinen Beistelltisch da drüben, als du dachtest, niemand sieht hin«, meinte ich. »Nur weil es nicht in einer Vitrine steht, heißt das noch nicht, dass es sich jeder nehmen kann.«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte der Blaue Elf leichthin.

»Ich könnte dich hochheben, umdrehen und kräftig schütteln, dann sehen wir ja, was rausfällt«, schlug ich vor.

Blue schnüffelte und legte die Puzzleschachtel wieder auf den Tisch zurück. »Ich wollte ja nur ein Souvenir haben.«

Kings subtiler Einfluss zog uns in eine langgestreckte Halle, deren Wände mit Fotos von Leuten und Orten rund um die Welt dekoriert waren, die Kings berühmteste Missionen und Triumphe wiedergaben. Einige Orte waren so berühmt, dass alle von uns wenigstens davon gehört hatten. Roswell, Loch Ness, Tunguska. Wir alle zeigten mit dem Finger, flüsterten und stießen einander an wie Kinder in einem Museum.

»Der Fall des gekidnappten Dorfes«, sagte Peter und betrachtete das Schwarz-Weiß-Foto einer Menschenmenge auf einem Dorfplatz. Die Leute trugen die Kleidung der Fünfziger. Sie alle hatten sich gehorsam der Kamera zugewendet, aber keiner von ihnen hatte ein Gesicht.

Ein anderes Foto zeigte nur eine vom Körper abgetrennte Hand, an der der Zeigefinger fehlte. »Der Fall der Kannibalengeister«, murmelte Walker.

Es gab auch ein Foto von Buchanan Castle in Schottland. Der Himmel war dunkel, beinahe nächtlich; alle Fenster außer einem waren erleuchtet. In der offenen Tür war gegen das grelle Gegenlicht die Silhouette eines Mannes zu erkennen. Irgendetwas stimmte auf schreckliche Weise nicht mit der Gestalt. »Der Fall des wiedergekehrten Ahnen«, sagte ich. »Wir Droods bekommen diese Geschichte erzählt, wenn wir jung sind, damit wir nicht frech werden.«

Der Einfluss zog uns wie an einer unsichtbaren Hundeleine durch einen Raum nach dem anderen, vorbei an zahllosen Wundern und Schätzen, bis wir schließlich an eine versiegelte Tür gelangten. Schwarzgebeizte Eiche, über zweieinhalb Meter hoch, beinahe ebenso breit und beschlagen mit Messing und Silber. Auf dem Metall waren mehrere Lagen von Schutzzaubern in einem halben Dutzend Sprachen eingraviert, die niemand mit Verstand seit Menschengedenken ausgesprochen hatte. Der Einfluss verschwand plötzlich. Ich glaube, wir alle waren sehr erleichtert. Ich diskutierte noch herum, ob wir klopfen oder der Tür einen kräftigen Tritt verpassen sollten, als sie plötzlich vor uns aufschwang - glatt und gleichmäßig, trotz ihres massiven Gewichts. Hinter der Tür befand sich eine große Repräsentationshalle mit hohen Steinmauern und großen, hölzernen Dachsparren, die ineinander griffen. Ein Feuer brannte lustig im großen Kamin, aber es war niemand da, der uns in Empfang nahm. Die schiere Größe und das Ausmaß des Raums ließen die anderen wie angewurzelt stehen bleiben. Aber ich war in Drood Hall aufgewachsen, also schlenderte ich einfach herein. Die anderen folgten mir hastig.

»Ich frage mich langsam, ob überhaupt jemand hier ist«, sagte ich endlich. Meine Stimme war in dieser enormen Halle sehr dünn, als ob sie für wesentlich größere Wesen als Menschen entworfen und gebaut worden sei. »Ich meine, King kann doch diesen Ort nicht alleine bewohnen, besonders dann nicht, wenn er, wie er behauptet, auf dem Sterbebett liegt. Wo sind die Bediensteten, die Leibwächter, die Pfleger? Ist der Autonome Agent vielleicht schon gestorben, bevor das Spiel überhaupt begonnen hat?«

»Die Berichte über meinen Tod … sind ohne Zweifel sehnsüchtig erwartet«, bellte ein kalte, autoritäre Stimme, und wie aus dem Nichts erschien ein Bild von Alexander King vor uns. »Ich schätze meine Privatsphäre und habe weder die Zeit noch die Kraft übrig, sie auf überflüssige soziale Interaktionen zu verwenden.«

Der legendäre Autonome Agent saß auf einem großen, hölzernen Thron, der Rücken gerade, die Beine lässig übereinander geschlagen. Man konnte sehen, dass es sich nur um eine Projektion von irgendwo anders hier in Place Gloria handelte. Auch wenn die Projektion scharf, deutlich und dreidimensional war, fehlte es ihr doch an Präsenz. Das Bild Alexander Kings sah fragil und abgemagert aus, aber dennoch vital. Und nicht einmal annähernd so alt, wie man gemeinhin behauptete. Krankheit oder Alter hatten tiefe Furchen in seinem Gesicht hinterlassen, aber er hatte immer noch eine lange Mähne silbergrauen Haars, sein Mund war fest und sein Blick scharf. Er war auf eine wüste Art immer noch gutaussehend, und er saß auf seinem Thron, als sei King nicht nur sein Name. Er trug eine scharlachrote Smokingjacke aus Pannesamt über in Schachbrettmuster gewürfelten Schlaghosen.

»Die Siebziger waren immer mein Jahrzehnt«, sagte er ruhig. »So eine herrliche Zeit, um jung und lebendig zu sein, man hatte die Welt am Haken.«

»Sind Sie das wirklich, King?«, fragte Honey Lake. »Oder sind wir den ganzen Weg nur hergekommen, um von einer geschönten Projektion begrüßt zu werden?«

»Oh, ich bin ganz definitiv ich selbst«, sagte King und grinste boshaft. »Noch nicht tot, trotz allem, was Ihre verdorbene Firma alles getan hat, um das zu erreichen. Ich befinde mich sicher und geschützt in meinen privaten Gemächern, und ich gedenke, das so zu lassen, bis mein Spiel auf den Weg gebracht ist.«

»Hallo, Großvater«, sagte Peter.

»Peter«, erwiderte Alexander. Er machte keinen sonderlich erfreuten Eindruck, seinen einzigen Enkel zu sehen. »So eine Enttäuschung. All die Dinge, die du hättest tun können, all die Personen, die du hättest sein können, und du spezialisierst dich auf Industriespionage. So eine graue kleine Welt, wenn alles gesagt und getan ist. Worin liegt der Ruhm, der Glamour, wenn man sich durch die Papierkörbe der großen Unternehmen wühlt?«

»Es wird gut bezahlt«, antwortete Peter. Er sah seinen Großvater nachdenklich an und nahm jedes Detail in sich auf.

»Das muss wohl so sein«, sagte Alexander. »Nun, immerhin hast du ja jetzt die Chance, dich zu beweisen, mein Enkel. Aber von mir hast du keine Hilfe zu erwarten, keinen Rat oder besondere Behandlung, nur weil du zur Familie gehörst.«

»Ich würde es nicht anders wollen«, sagte Peter.

Hörte man ihren kalten und emotionslosen Stimmen zu, hätten sie genauso gut das Wetter diskutieren können. Sie klangen zum Verwechseln ähnlich.

»Warum wir?«, fragte ich, und Alexanders stechender Blick richtete sich sofort auf mich. Ich erwiderte den Blick. »Wenn ich das richtig verstehe, dann wollten Sie die sechs derzeit größten aktiven Agenten der Welt haben, um den einen zu finden, der Sie ersetzen kann, wenn Sie nicht mehr da sind. Also, warum wir? Ich nehme an, wir haben uns mit solider Arbeit alle einen guten Namen gemacht, aber ich könnte ihnen auf der Stelle ein Dutzend anderer Agenten aus dem Effeff nennen, die berühmter und passender wären als wir.«

Alexander King warf mir wieder dieses gemeine Grinsen hin. »Ich weiß, von wem du sprichst, und wenn einer von denen auch nur annähernd gut genug gewesen wäre, dann hätte er jetzt schon meinen Platz eingenommen. Nein, ich habe euch sechs ausgewählt, weil ihr jung seid und Potenzial habt. Mein Spiel wird das Beste aus euch herausholen oder euch umbringen. Wie dem auch sei, der Gewinner wird sich als der geeignete Nachfolger erweisen.

Passt auf. So sieht der Wettkampf aus, und dem Sieger wird die Beute gehören: Ihr werdet an fünf Orte gehen, die ich ausgesucht habe, und dort fünf der größten Geheimnisse der Welt ergründen. Entdeckt die Wahrheit hinter den Legenden. Dann geht zum nächsten, bis das Spiel beendet ist.«

»Was, wenn wir keines dieser Rätsel lösen können?«, unterbrach Honey Lake. »Was, wenn sich herausstellt, dass es gar keine Lösung gibt?«

»Ich habe die Wahrheit gefunden«, sagte Alexander King. »Und das werdet ihr auch, wenn ihr es wert seid. Wenn ihr dabei versagt, eine dieser Wahrheiten herauszufinden, dann habt ihr alle versagt. Das Spiel endet dann. Kein geheimes Wissen für irgendjemanden. Also versagt nicht.«

»Na klasse«, murmelte der Blaue Elf. »Wir brauchen also Teamgeist.«

»Zu Beginn werdet ihr sechs erst einmal lernen, als Team zusammenzuarbeiten«, sagte Alexander, und sein finsterer Blick schweifte leidenschaftslos über uns alle hinweg. »Aber nur einer von euch kann zurückkommen, um meinen Preis in Anspruch zu nehmen. Also, in der guten alten Tradition der Spionagekunst werdet ihr im Geheimen gegeneinander arbeiten und euch betrügen müssen. Es kann nur einen geben«, lachte er kurz. »Den Film habe ich immer gemocht. Wenigstens verlange ich nicht von euch, euch gegenseitig den Kopf abzuschlagen.«

Wir sahen uns an. Keiner von uns sah überrascht oder geschockt aus.

»Ich bin immer noch nicht sonderlich scharf auf das alles«, sagte ich. »Ich mache für niemanden Männchen, ich bin ein Drood.«

»Du wirst nach meiner Pfeife tanzen, Drood, wenn du die Identität des Verräters in eurer Mitte wissen willst«, meinte Alexander King. »Mein Spiel, meine Regeln.« Er lächelte uns kalt an. »Konzentriert euch auf den Preis. All die angesammelten Geheimnisse meines verlängerten Lebens. Die größten Rätsel der geheimen Welt. Wollt ihr nicht wissen, wer Kennedy erschossen hat? Was das Auge in der Pyramide wirklich bedeutet? Und was den Großen Traum der Sechzigerjahre wirklich ermordet hat? Natürlich wollt ihr das. Hier geht es nicht nur um ein paar besondere Informationen, für die ihr eigentlich gekommen seid. Hier geht es um die Frage, warum die Welt so ist, wie sie ist. Ich habe Antworten auf jede Frage, die euch je in den Sinn gekommen ist. Und ich werde sie dem Gewinner geben, schön verpackt mit einer Schleife drum herum.«

»Komm zum Punkt, Großvater«, warf Peter ein.

»Überlegt nicht zu lange«, sagte Alexander und ignorierte seinen Enkel. »Ich habe nicht mehr allzu viel Zeit übrig. Ein paar Monate vielleicht, möglicherweise weniger. Wenn ich sterben sollte, bevor ihr alle Rätsel gelöst habt, wird Place Gloria vernichtet, und all meine Geheimnisse werden auf ewig verloren sein. Keiner von euch würde irgendetwas bekommen. Und jetzt: fünf Mysterien, fünf Antworten. So lauten die Regeln. Wir fangen in Loch Ness in Schottland an, wegen seines Monsters.«

»Und Yetis?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Ich wollte schon immer mal nach Tibet oder Nepal und den abscheulichen Schneemenschen jagen.«

Alexander starrte mich böse an. »Ich habe einmal einem Yeti ins Auge gesehen, damals in den Fünfzigerjahren. Eine sehr alte und sehr weise Kreatur. Hat mir eine Heidenangst eingejagt. Du wirst die Yetis in Ruhe lassen, Drood, und inständig beten, dass sie auch uns in Zukunft in Ruhe lassen.«

»Wie sollen wir fünf unterschiedliche Orte untersuchen, wenn wir nur ein paar Monate Zeit haben?«, fragte Katt.

Alexander King wedelte abwehrend mit der Hand, doch ich konnte die Mühe erkennen, die diese Bewegung ihn kostete. Es war die erste Bewegung, die er überhaupt machte, seit er erschienen war. Wir alle zuckten zusammen, als fünf massive metallene Armbänder aus dem Nichts erschienen und sich wie von selbst um unsere linken Handgelenke schlossen. Der Blaue Elf grapschte nach seinem und versuchte, es abzureißen, aber es rührte sich nicht. Ich sah meines nachdenklich an; mein Torques hätte mich vor so etwas bewahren sollen. Das Metall war von einem trüben Violett, seltsame Lichter pulsierten tief innerhalb des Metalls. Es fühlte sich kalt an und sah sehr nach außerirdischer Technologie aus.

Ich musste mich fragen, mit wem sich der Autonome Agent wohl im Lauf der Jahre zusammengetan hatte, um seine kostbare Autonomie zu behalten.

»Die Teleport-Armbänder bleiben an ihrem Platz, bis das Spiel beendet ist«, sagte Alexander King. »Koordinaten für jeden Ort sind einprogrammiert. Also wird niemand von euch sich davonstehlen oder aussteigen können, jetzt, wo der Wettkampf begonnen hat. Wenn ihr das versucht, wird das Armband euch töten.«

Katt starrte ihn böse an. »Davon war nie die Rede!«

»Jetzt schon«, sagte Alexander mit einem boshaften Grinsen.

»Wo haben Sie diese Armbänder her?«, fragte Honey. »Ich erkenne außerirdische Technologie, wenn ich sie sehe.«

»Das ist nur eines der Geheimnisse, um die ihr spielt«, meinte Alexander selbstgefällig. »Ach, ja, all die Dinge, die ich weiß - und die ihr wissen wollt …!« Er sah uns der Reihe nach an und kostete den Moment aus. »Ihr wart die Besten, die ich finden konnte, aber ich kann nicht sagen, dass ich beeindruckt bin. Wie wird die Welt nur überleben, wenn ich dahingeschieden bin? - Nun, lasst das Spiel beginnen! Stellt Euren Wert unter Beweis, für mich und die Welt. Und, aber das nur vielleicht, für euch selbst.«

Sein Bild verschwand, und wir waren in der enormen und leeren Halle wieder allein. Wir hatten keine Zeit, irgendetwas zu sagen, weil wir auf einmal nicht mehr in der Halle waren.

Und ich kann Ihnen schwören, dass es am Loch Ness garantiert noch viel kälter ist als in den Schweizer Alpen.

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