Am Ende dieser Woche suchte Herndon die Bronze-Avenue auf und erfuhr von Bollar Benjin, daß der Verkauf der Sternsteine gut vonstatten ging, daß der Vertrag unter königlicher Patronage ausgezeichnet funktionierte und daß ihnen bald die Sternsteine ausgehen würden. Daher würde es notwendig werden, daß er, Herndon, während der nächsten Wochen eine weitere Reise nach Vyapore machen mußte. Herndon willigte ein, erbat sich aber eine Gehaltsvorauszahlung für zwei Monate.
»Warum nicht«, sagte Benjin. »Sie sind ein wertvoller Mann, und wir haben das Geld ja da.«
Er übergab Herndon einen Wechsel über zehntausend Stellars. Herndon bedankte sich sehr, versprach, daß er Kontakt aufnehmen würde, wenn es soweit war, wieder nach Vyapore zu fliegen, und verschwand.
In derselben Nacht noch reiste er nach Meld XVII ab, wo er den Chirurgen besuchte, der sein Äußeres nach seiner Flucht von Zonnigog verändert hatte. Er verlangte von ihm eine ganz bestimmte Operation. Der Chirurg zögerte, behauptete, daß die Operation sehr riskant und schwierig sei und daß eine Chance von fünfzig Prozent bestand, daß sie tödlich ausging. Aber Herndon blieb stur.
Es kostete ihn fünfundzwanzigtausend Stellars, fast das gesamte Geld, das er besaß, aber er hielt das für eine sehr wertvolle Investition. Einen Tag nach dem Eingriff flog er nach Borlaam zurück. Eine Woche war vergangen, seit er den Planeten verlassen hatte.
Kurz darauf meldete er sich wieder bei den Moaris zur Arbeit zurück, verbrachte auch prompt wieder eine Nacht mit Lady Moaris. Sie erzählte ihm, daß sie ihrem Mann das Versprechen abgenommen hatte, daß er sehr bald schon an den Hof eingeladen würde. Moaris hatte nicht nach ihren Motiven gefragt, und sie war sicher, daß die Einladung auch bestimmt erfolgen würde.
Ein paar Tage später erhielt er mit einem Eilboten eine Nachricht von Lord Moaris, der ihm mitteilte, daß er beschlossen habe, Barr Herndon von Zonnigog in sein engeres Gefolge aufzunehmen und daß er von Herndon erwartete, dem Seigneur Krellig den entsprechenden Respekt zu erweisen.
Die Einladung des Seigneurs kam noch am gleichen Tag, wurde von einem vornehmen toppidanischen Läufer überreicht, und in ihr erwartete der Seigneur, daß Herndon bereits am nächsten Abend zu einem Empfang erscheinen sollte, wollte er nicht den Seigneur unsterblich beleidigen. Herndon jubelte innerlich. Jetzt hatte er die höchste Stufe der Erfolgsleiter auf Borlaam erreicht. Dies war der Höhepunkt all seiner Pläne.
Eingehend bereitete Herndon sich auf sein Erscheinen bei Hofe vor. Er suchte einen Barbier auf, ließ sich einen künstlichen Bart anlegen, wie es viele Höflinge taten, die zwar keinen echten Bart mochten, sich aber doch nach der neuesten Mode kleiden wollten. Herndon wurde gebadet und balsamiert, legte dann seine eintausend Stellars teure Robe an, die er sich extra für dieses Ereignis schon Wochen vorher gekauft hatte. Sie war über und über mit teuren Edelsteinen und seltenem Metall besetzt. Und er ging ebenfalls sicher, daß die chirurgischen Veränderungen, die an ihm vorgenommen worden waren, auch ihre Wirkung tun würden, wenn die Zeit gekommen war.
Der Abend brach herein, Mondlicht überflutete Borlaam. Über dem Schloß von Seigneur Krellig wurde ein gigantisches Feuerwerk abgebrannt, das anzeigte, das heute der Geburtsmonat des Herrn von Borlaam begann.
Herndon schickte nach einem Gleiter, den er schon vorher bestellt hatte; vor seinem Haus erschien ein vierstrahliges Fahrzeug, mit dem er seine schäbige Unterkunft kurz darauf verließ. Der Gleiter raste hinauf in den Himmel — zwölf Minuten später setzte er über dem Großen Palast von Borlaam zur Landung an. Der Palast, mehr eine Festung, war auf dem Hügel des Feuers, einem beinahe uneinnehmbaren Berg am Rand der großen Stadt, erbaut worden.
Von allen Seiten erhellte Flutlicht die gigantischen Gebäude. Jeder andere wäre von diesem überwältigenden Anblick vielleicht beeindruckt gewesen; Herndon verspürte eher zunehmende Wut. Seine Familie hatte einstmals in einem ähnlichen Gebäude gelebt — zwar nicht so groß, aber die Menschen von Zonnigog waren bescheidener und weniger anspruchsvoll in ihren Wünschen als die Bewohner von Borlaam. Aber es war ein Palast gewesen, bis Krelligs Horden ihn geschleift hatten.
Herndon verließ sein Fahrzeug, präsentierte den Wachen des Seigneurs seine Einladung. Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß er keine verborgenen Waffen bei sich trug, ließen sie ihn passieren; er wurde in ein Vorzimmer geführt, in dem der Lord Moaris ihn erwartete.
»Sie sind also Herndon«, sagte Moaris nachdenklich. Er blinzelte und zupfte sich am Bart.
Herndon ging auf ein Knie hinunter. »Ich danke für die Ehre, die Sie mir erwiesen haben, Sire.«
»Keine Ursache«, schnaufte Moaris. »Meine Frau bat mich, Ihren Namen mit auf die Einladungsliste zu setzen. Aber ich nehme an, daß Sie das ja wissen. Sie kommen mir bekannt vor, Herndon. Wo habe ich Sie schon mal gesehen?«
Wahrscheinlich wußte Moaris, daß Herndon zu seinen Bediensteten gehörte. Aber er sagte nur: »Ich hatte einmal die Ehre, auf einer Auktion wegen eines gefangenen Proteus gegen Sie zu bieten, Mylord.«
Ein Schimmer der Erinnerung fuhr über Moaris Gesicht, und er lächelte kalt. »Ich glaube, ich erinnere mich.«
Ein Gong ertönte.
»Wir dürfen den Seigneur nicht warten lassen«, sagte Moaris. »Kommen Sie.«
Gemeinsam begaben sie sich in den großen Saal zum Seigneur von Borlaam.
Moaris trat als erster ein, wie es seinem Rang zukam, nahm seinen Platz zur Linken des Monarchen ein, der auf einem erhöhten Thron aus Gold saß. Herndon kannte das Protokoll — er kniete sofort nieder.
»Erhebe dich«, befahl der Seigneur. Seine Stimme war ein trockenes Flüstern, das kaum hörbar war. Herndon stand auf und starrte Krellig gleichmütig an.
Der Monarch war ein kleiner, hutzliger, fleischloser Mann; fast schien es, als habe er einen Buckel. Zwei wäßrige, kranke Augen schimmerten in einem runzligen, verbrauchten Gesicht. Krelligs Lippen waren schmal und blutleer, seine Nase ein kühner Haken, sein Kinn scharf und kantig.
Herndon ließ seinen Blick in die Runde gehen. Die Halle war sehr groß, wie er es schon erwartet hatte; gigantische Säulen stützten die Decke; an den Wänden standen mehrere Reihen von Höflingen. Frauen waren zu Dutzenden dabei — vermutlich die Gespielinnen des Seigneurs.
In der Mitte des Saales hing etwas, das wie ein großer Käfig wirkte, der über und über mit dickem Samt behangen war, so daß man nichts darunter erkennen konnte. Vermutlich lauerte irgend ein Spieltier des Seigneurs darin, überlegte Herndon, höchstwahrscheinlich ein villidonischer Gyrfalke mit riesigen Krallen.
»Willkommen bei Hof«, murmelte der Seigneur. »Sie sind der Gast meines Freundes Moaris, nicht?«
»Jawohl, Sire«, sagte Herndon. In der Stille des Saales echote seine Stimme mehrmals von den Wänden.
»Moaris wird uns heute einige Unterhaltung bieten«, fuhr der Monarch fort. Er schien innerlich schon höchst erfreut über das zu sein, was ihn erwartete. »Wir sind Ihrem Gönner, dem Lord Moaris, äußerst dankbar für die Freude, die er uns heute nacht bereiten wird.«
Herndon runzelte die Stirn. Er fragte sich, ob er vielleicht die Quelle dieses Vergnügens sein sollte. Allerdings fürchtete er sich nicht davor — bevor dieser Abend noch vorüber sein würde, würde er sich auf Kosten aller hier Anwesenden ebenfalls amüsiert haben.
»Hebt den Vorhang«, befahl Krellig.
Aus zwei Ecken des Thronsaals kamen zwei Toppidaner hervor und zogen dann zugleich an schweren Seilen, die mit den Decken über dem Käfig in der Mitte verbanden waren. Langsam hoben sich die schweren Tücher, legten einen Käfig frei.
In dem Käfig befand sich ein Mädchen.
Sie hing mit den Handgelenken an einer Stange am oberen Ende des Käfigs, sie war nackt. Die Stange drehte sich langsam, wobei der Eindruck entstand, das Mädchen werde wie auf einem Bratspieß gewendet. Herndon erstarrte, erkannte plötzlich den nackten Körper, der dort oben leblos hing.
Er kannte ihn nur zu gut — das Mädchen in dem Käfig war Lady Moaris.
Seigneur Krellig lächelte gütig, murmelte dann leise: »Moaris, Sie sind jetzt dran. Die Zuschauer warten.«
Langsam begab sich Moaris in die Mitte des Thronsaals. Der Marmor unter seinen Stiefeln funkelte, seine Schritte hallten durch den Raum.
Dann wandte er sich in Richtung Krellig um, seine Stimme klang ruhig. »Meine Damen und Herren vom Hof des Seigneurs, ich bitte um Erlaubnis, vor Ihnen ein Stück meiner privaten Angelegenheiten ausbreiten zu dürfen. Die Dame in dem Käfig ist, wie den meisten von Ihnen inzwischen bekannt sein dürfte, meine Frau.«
Ein leises Raunen ging durch die Reihen des Gefolges. Moaris machte eine Handbewegung, und ein Scheinwerfer strahlte die Frau im Käfig an.
Herndon erkannte, daß ihre Handgelenke blutig-rot waren, und daß die Adern ihrer Arme bereits weit hervorstanden. Langsam drehte sie sich mit der Stange im Käfig herum. Schweiß lief ihren Rücken hinunter, und das rasselnde Atmen war in der Stille deutlich zu vernehmen.
Gleichmütig fuhr Moaris fort: »Meine Frau ist mir untreu gewesen. Ein ergebener Diener informierte mich vor kurzer Zeit davon — sie hat mich mehrmals mit einem Angehörigen meines Hofes, einem Knecht oder Diener, betrogen. Als ich sie danach fragte, leugnete sie es nicht. Der Seigneur« — er verbeugte sich in Richtung des Thrones —, »hat mir die Erlaubnis erteilt, sie hier zu züchtigen, was Ihnen vielleicht ein wenig Unterhaltung bietet.«
Herndon rührte sich nicht. Er schaute zu, wie Moaris aus einer Tasche eine kleine Flammenpistole zog. Seelenruhig stellte der Edelmann ihre Leistung auf ein Minimum ein, dann machte er erneut eine Handbewegung; eine Seite des Käfigs glitt nach oben, so daß er freies Schußfeld hatte.
Er hob die Pistole.
Flick!
Eine Feuerzunge schoß hervor, und das Mädchen röchelte gequält auf, als der dünne Hitzestift über ihren Körper fuhr.
Flick!
Wieder tanzte der Strahl über ihren Körper. Immer wieder und wieder. Moaris zog mit der Waffe rote Striemen über ihren gesamten Körper, und sie drehte sich hilflos an ihrem Gerüst herum. Nur mit Mühe konnte Herndon sich zurückhalten. Die Angehörigen des Hofstaats kicherten leise, während Lady Moaris verzweifelt versuchte, den sengenden Strahlen zu entgehen.
Plötzlich bemerkte Herndon, daß der Seigneur ihn anstarrte. »Ist dieses Vergnügen nach Ihrem Geschmack, Herndon?« fragte Krellig.
»Nicht ganz, Sire.« Ein unterdrücktes Murmeln erhob sich — hier widersprach jemand, der gerade neu bei Hof eingeführt wurde, dem Seigneur. »Ich würde einen schnellen Tod für die Lady vorziehen.«
»Und uns unseres Vergnügens berauben?« fragte Krellig.
»Allerdings«, sagte Herndon. Mit einem Ruck riß er seine Robe auf, Krellig duckte sich, als erwarte er eine verborgene Waffe, die sich auf ihn richten würde. Aber Herndon drückte nur auf eine Platte auf seiner Brust, aktivierte den Mechanismus, den der Meldianer ihm eingepflanzt hatte. Das Gerät, mit dem man ihn bisher hatte quälen können, arbeitete jetzt genau umgekehrt — eine tödliche Ladung Energie raste durch Herndons Arm und verließ ihn durch seine Hand. Aus seinem Zeigefinger zischte ein Feuerstrahl hinauf zu der Lady, umhüllte die Frau in dem Käfig.
»Barr!« schrie sie und durchbrach damit ihr Schweigen. Dann starb sie.
Herndon entlud seine Energie ein zweites Mal, und diesmal ließ Moaris mit versengten Händen seine Waffe fallen.
»Erlauben Sie mir, daß ich mich vorstelle«, sagte Herndon, während Krellig ihn mit schneeweißem Gesicht anstarrte und die übrigen Anwesenden sich in alle Ecken des Saales gedrückt hatten. »Ich bin Barr Herndon, Sohn des Ersten Grafen von Zonnigog. Vor etwa einen Jahr hat der Scherz eines Höflings Sie dazu veranlaßt, Ihr Lehngut auf Zonnigog zu vernichten und meine Familie dem Tod zu überantworten. Diesen Tag habe ich nicht vergessen.«
»Nehmt ihn fest!« kreischte Krellig.
»Jeder, der mich anrührt, wird von mir niedergebrannt«, sagte Herndon. »Jede Waffe, die man gegen mich erhebt, wird ihren Besitzer umbringen. Bleiben Sie ruhig und lassen Sie mich zu Ende kommen.
Ich bin auch Barr Herndon, Zweiter Steward des Lord Moaris und der Liebhaber seiner Frau, die hier vor allen gestorben ist. Es muß Ihnen angenehm sein, Moaris, zu erfahren, daß der Mann, der Ihnen die Frau ausgespannt hat, kein einfacher Knecht, sondern ein Edler von Zonnigog ist.
Ich bin auch Barr Herndon, der Weltraumtramp«, fuhr Herndon fort. »Nach der Zerstörung meiner Heimat wurde ich gezwungen, als Söldner zu arbeiten. In diesem Zusammenhang kam ich zum Sternsteinschmuggeln, und« — er verbeugte sich — »bekam dadurch die Ehre, meinen Schwur und meine Loyalität keinem geringeren als Ihnen, Seigneur Krellig, zu verpfänden.
Hiermit kündige ich diese Loyalität auf, Krellig — und für das Verbrechen, einen Eid gegenüber meinem König gebrochen zu haben, verurteile ich mich zum Tode. Aber ich verurteile auch Sie, Krellig, wegen der Zerstörung meiner Familie und meiner Heimat zum Tod. Und Sie, Moaris, ebenfalls — dafür, daß Sie diese Frau, die Sie nie geliebt haben, auf so barbarische Weise in der Öffentlichkeit gefoltert haben.
Und dazu den ganzen Rest der Zuschauer und Sykophanten, der Höflinge und Parasiten. Auch der Rest dieses Hofes muß sterben — alle Clowns und Tanzbären und alle Sklaven von fremden Welten. Ich werde euch alle töten, nicht weil ich euch hasse, sondern, wie es schon mit dem Proteus geschehen ist, weil ich euch weitere Qualen ersparen will.«
Er hielt inne. In der Halle herrschte schreckhaftes Schweigen, dann schrie jemand zur Rechten des Thrones: »Er ist verrückt! Verschwinden wir von hier!«
Der Mann rannte auf die großen Eingangstüren zu, die geschlossen waren. Herndon ließ ihn die Tür fast erreichen, dann mähte er ihn mit einem Schuß seiner Körperenergie nieder. Der Mechanismus in seinem Körper lud sich sofort wieder auf, wurde gespeist von dem Haß, den er in sich verspürte, der in Form reiner Energie aus seinen Fingerspitzen hervorschoß.
Herndon lächelte den blassen Lord Moaris an. »Ich will zu Ihnen gnädiger sein, als Sie es zu Ihrer Frau waren. Sie bekommen einen schnellen Tod.«
Ein Feuerstrahl raste auf den Mann zu. Moaris wollte ihm ausweichen, aber es gab kein Versteck mehr für ihn; Sekundenbruchteile stand er in Licht gebadet da, dann stürzte er tot zu Boden.
Ein zweiter Strahl traf die Reihe der Höflinge, ein dritter Krelligs Thron. Der Monarch wollte sich noch erheben — mitten in der Bewegung ereilte ihn sein Schicksal.
Herndon stand jetzt allein mitten im Thronsaal. Er hatte sein Ziel erreicht, seine Rache vollstreckt. Nur eines blieb ihm noch zu tun — das Urteil gegen sich selbst hatte er noch nicht vollstreckt. Auf den Bruch seines unfreiwilligen Eides gegenüber dem Monarchen stand der Tod.
Das Leben hatte für ihn keine Bedeutung mehr. Es widerte ihn an, noch länger das Leben eines Söldners und Herumtreibers führen zu müssen. Nur der Tod konnte ihm noch Erlösung von seinen Leiden bringen.
Sein Energiestrahl ging zu einer der riesigen Säulen, die die Decke des Thronsaals stützten. Die Säule wurde schwarz, dann stürzte sie krachend zusammen. Herndon zerschoß eine zweite, eine dritte.
Das Dach des Palastes ächzte; nach vielen Jahrhunderten waren die Tonnen Mauerwerk ohne Stütze. Herndon wartete; ein triumphierendes Lächeln lag auf seinem Gesicht, als die Decke über ihm zusammenstürzte.