5.

Einen Monat später erreichte er wie geplant Borlaam an Bord des Frachters Dawnlight und passierte die Zollkontrolle ohne Schwierigkeiten, obwohl er an seinem Körper verbotene Sternsteine im Wert von über dreihunderttausend Stellars bei sich führte.

Sein erster Weg führte ihn zur Bronze-Avenue, wo er Benjin und Heitman Oversk aufsuchte.

Kurz und präzise informierte er sie über seine Tätigkeiten seit seinem Weggang von Borlaam, ließ allerdings die Romanze mit Lady Moaris taktvoll aus. Während er berichtete, starrten Benjin und Oversk ihn begierig an, und als er von Brennt und der Hinrichtung des verräterischen Mardlin erzählte, strahlten sie förmlich.

Herndon zog das Paket mit den Sternsteinen aus seinem Mantel und legte es auf den hölzernen Tisch. »Da«, sagte er. »Die Sternsteine. Es sind einige defekte dabei, aber für sie habe ich das Geld mitgebracht.« Er fügte dem kleinen Haufen noch fünfundvierzigtausend Stellars hinzu.

Benjin griff schnell nach dem Geld und den Steinen und sagte: »Sie haben gut gearbeitet, Herndon. Besser, als wir es erwartet hatten. Es war ein glücklicher Tag, an dem Sie den Proteus umbrachten.«

»Haben Sie noch mehr Aufträge für mich?«

»Natürlich«, sagte Oversk. »Sie übernehmen Mardlins Stelle als Kurier. War Ihnen das nicht gleich klar?«

Natürlich hatte Herndon damit gerechnet, aber es gefiel ihm gar nicht. Er wollte auf Borlaam bleiben, jetzt, da er Kontakt mit Lady Moaris hatte. Er wollte seinen Aufstieg bis hin zu Krellig beginnen. Und wenn er ständig zwischen Vyapore und Borlaam unterwegs war, würden alle wichtigen Kontakte, die er bereits besaß, verlorengehen.

Aber Lady Moaris würde in frühestens zwei Monaten auf Borlaam zurück sein. Er konnte also noch eine Rundreise für die Organisation machen, ohne seine Position ernsthaft zu gefährden. Danach würde er einen Weg finden müssen, die Organisation zu verlassen. Natürlich konnten sie ihn zwingen, dabeizubleiben, wenn sie wollten, aber…

»Wann mache ich die nächste Reise?« fragte er.

Benjin zuckte die Schultern. »Morgen, nächste Woche, nächsten Monat — wer weiß das? Die nächste Reise ist nicht eilig. Sie können Urlaub machen, während wir diese Steine verkaufen.«

»Nein«, sagte Herndon. »Ich will sofort wieder los.«

Oversk runzelte die Stirn. »Gibt es einen Grund für diese Eile?«

»Ich möchte derzeit einfach nicht auf Borlaam bleiben«, sagte Herndon. »Es besteht kein Zwang, mich weiter zu erklären. Ich hätte große Lust, noch eine Reise nach Vyapore zu machen.«

»Er ist eifrig«, sagte Benjin. »Ein gutes Zeichen.«

»Mardlin war anfangs auch so«, bemerkte Oversk unheilvoll.

Im gleichen Augenblick war Herndon aus seinem Sitz heraus. Sein Nadler berührte Oversks Adamsapfel.

»Wenn Sie mit diesem Vergleich andeuten wollen, daß…«

Benjin zog Herndon am Arm. »Setzen Sie sich, und beruhigen Sie sich. Heitman ist heute müde, und die Worte sind ihm so herausgerutscht. Wir vertrauen Ihnen. Stecken Sie den Nadler weg.«

Zögernd senkte Herndon die Waffe. Oversk, der trotz seiner Bräune im Gesicht plötzlich blaß wirkte, fuhr sich mit der Hand über die Stelle, an der Herndons Waffe ihn berührt hatte. Er schwieg. Herndon bedauerte seine übereilte Reaktion und beschloß, keine Entschuldigung zu verlangen. Oversk konnte ihm noch nützlich werden.

»Das Wort eines Weltraumtramps gilt«, sagte Herndon. »Ich habe nicht vor, zu betrügen. Wann kann ich abreisen?«

»Morgen, wenn Sie wollen«, sagte Benjin. »Wir werden Brennt informieren, eine weitere Ladung für Sie bereitzuhalten.«


Diesmal reiste Herndon an Bord eines Transportschiffs, denn zu dieser Jahreszeit waren keine kostenlose Flüge im Gefolge von Edelleuten zu bekommen. Nach etwas mehr als einem Monat erreichte er die Dschungelwelt erneut. Brennt hielt zweiunddreißig glitzernde Sternsteine für ihn bereit, jeden einzeln in einer Schutzfolie verpackt, jeder dazu gedacht, einem Menschen durch seine Träume den Verstand zu rauben.

Herndon holte die Steine ab und arrangierte eine Überweisung von zweihundertsechsundfünfzigtausend Stellars an Brennt. Brennt beobachtete Herndon während der ganzen Zeit mit äußerstem Mißtrauen und Angst, denn es war offensichtlich, daß der Vyaporaner um sein Leben fürchtete. Dafür würden diesmal auch keine falschen Steine dabei sein. Die beiden Männer verloren kein Wort über Mardlin oder sein Schicksal.

Mit seiner wertvollen Fracht kehrte Herndon etwa vier Wochen danach von Diirhav, einer recht bevölkerten Nachbarwelt Vyapores, nach Borlaam zurück. Er hatte nicht auf das nächste Frachtschiff warten können und daher ein Schiff der Zweiten Klasse benutzt, was sehr viel teurer war. Als er wieder nach Borlaam kam, war die Lady Moaris bereits einige Wochen zurück. Er hatte dem Steward versprochen, wieder in die Dienste der Moaris zu treten, und es war ein Versprechen, das er halten wollte.

Inzwischen war es auf Borlaam Winter geworden. Jeden Tag hagelte es über der Hauptstadt und ihrer Umgebung, und alles wurde mit eisigen, messerscharfen Eisteilchen überzogen. Die Leute rückten enger zusammen und warteten sehnsüchtig darauf, daß der Winter bald vorbei sein mochte.

Herndon marschierte nach seiner Ankunft durch die vereiste Bronze-Avenue, auf deren Pflaster sich das Licht des bleichen Mondes von Borlaam brach. Oversk nahm die Lieferung entgegen; Benjin würde in Kürze in der Wohnung eintreffen. Er hatte in wichtigen Angelegenheiten außerhalb zu tun.

Herndon setzte sich an eine beheizte Wand und trank einen Becher nach dem anderen von Oversks teurem Thruzischen Wein, um die Kälte in seinem Körper zu vertreiben. Dorgel traf nach einer Weile ein, gefolgt von Marya und Razumond, und gemeinsam untersuchten sie die neue Lieferung Sternsteine, die Herndon mitgebracht hatte; dann verstauten sie die Steine bei den restlichen der letzten Sendung.

Endlich traf Benjin ein. Der kleine Mann war von der Kälte wie betäubt, aber seine Stimme klang warm, als er sagte: »Der Vertrag ist perfekt, Oversk! Oh, Herndon, Sie sind wieder da, wie ich sehe. War es eine erfolgreiche Reise?«

»Sehr sogar«, sagte Herndon.

Oversk warf ein: »Sie haben mit dem Außenminister gesprochen, nehme ich an. Nicht mit Krellig persönlich.«

»Natürlich nicht. Würde Krellig jemanden wie mich vor sich laden?«

Herndon horchte bei der Nennung des Namens seines Erzfeindes auf. »Was war das mit dem Seigneur?« fragte er.

»Ein kleines Geschäft«, kicherte Benjin. »Ich habe während Ihrer Abwesenheit einige sehr delikate Verhandlungen geführt. Und heute habe ich den Vertrag unterschrieben.«

»Was für einen Vertrag?« bohrte Herndon.

»Wir haben jetzt königlichen Schutz, wie es scheint. Der Seigneur Krellig ist persönlich in das Sternsteingeschäft eingestiegen. Nicht als unser Konkurrent, versteht sich. Er hat sich praktisch bei uns eingekauft.«

Herndon hatte das Gefühl, als würden einige seiner inneren Organe plötzlich zu Blei. »Und wie lauten die Bedingungen der Abmachung?« fragte er mit eisiger Stimme.

»Ganz einfach. Krellig hat eingesehen, daß der Handel mit Sternsteinen, wenn schon illegal, so doch nicht zu verhindern ist. Bevor er aber das Gesetz ändert und den Handel legalisiert — was in moralischer Hinsicht sehr unerwünschte Folgen haben könnte, und was außerdem den Preis für die Steine sehr drücken würde —, beauftragte er den Lord Moaris, Kontakt mit einer Gruppe von Schmugglern aufzunehmen, die für die Krone zu arbeiten bereit sind. Moaris kam dabei natürlich auf seinen Bruder. Oversk zog es vor, mir die Verhandlungen zu überlassen, und in den letzten Monaten habe ich Geheimverhandlungen über einen solchen Vertrag mit dem Außenminister von Krellig geführt.«

»Und wie lauten die Bedingungen?«

»Krellig garantiert uns, daß wir keinerlei Strafverfolgung zu befürchten haben, während er zugleich kräftig auf unsere Konkurrenz einschlagen wird. Er überläßt uns sozusagen ein Sternsteinmonopol, und damit werden wir in der Lage sein, unseren Preis, den wir Brennt zahlen, zu senken, und gleichzeitig unseren Abgabepreis an unsere Kunden hier zu erhöhen. Als Gegenleistung dafür führen wir acht Prozent unseres Bruttogewinns an den Seigneur ab und verpflichten uns, ihm jährlich sechs Sternsteine zum Einkaufspreis zu liefern. Natürlich geht unser Treueschwur, den wir der Organisation gegenüber geleistet haben, an den Seigneur über. Er bekommt die Kontrolle über unsere Loyalität.«

Herndon saß wie betäubt da, seine Handflächen waren kalt, ihn fröstelte am ganzen Körper. Loyal gegenüber Krellig, seinem Feind, den er geschworen hatte, umzubringen?

Der Widerstreit ließ seine Gedanken rasen. Wie sollte er seinen früheren Schwur einhalten, wenn diese neue Situation dem völlig konträr gegenüberstand? Die Weitergabe der Loyalität war eine übliche Sache auf dieser Welt. Durch Benjins Vertragsbedingungen war Herndon jetzt ein auf den Seigneur eingeschworener Vasall.

Tötete er Krellig, würde das seinen Schwur verraten. Diente er dem Seigneur mit aller Kraft, so mußte er seinen eigenen Schwur brechen und seine Eltern und seine Heimat ungesühnt lassen; ein unerträgliches Dilemma. Herndon zitterte am ganzen Körper.

»Unser Weltraumtramp scheint über die Abmachung nicht sehr erfreut zu sein«, bemerkte Oversk. »Sind Sie krank, Herndon?«

»Schon gut«, sagte Herndon steinern. »Es ist nur die Kälte draußen. Läßt einen frösteln.«

Loyal gegenüber Krellig! Hinter seinem Rücken hatte man ihn an den von ihm meistgehaßten Mann verschachert. Herndons ethische Grundlagen waren vollständig auf dem Konzept von Loyalität und unbeugsamem Gehorsam, auf der Grundlage der Heiligkeit eines Eides gegründet. Jetzt stellte er fest, daß er zwei miteinander unvereinbare Verpflichtungen eingegangen war. Dieser innere Konflikt zerriß seine Seele, quälte, marterte ihn — der einzige Ausweg war, wie es schien, der Tod.

Er erhob sich. »Entschuldigt mich«, sagte er. »Ich habe noch eine Verabredung in der Stadt. Sie können mich unter meiner üblichen Anschrift erreichen, wenn Sie mich brauchen.«


Er benötigte fast einen ganzen Tag, um zum Chefsteward im Anwesen der Moaris durchzukommen und ihm zu erklären, daß er auf fernen Welten länger als geplant aufgehalten worden war, daß er aber immer noch vorhatte, wieder in den Dienst der Moaris zu treten und seine Pflichten treu und redlich zu erfüllen. Nach einigem Hin und Her wurde er wieder als Zweiter Steward angestellt und mit Aufgaben betraut, die auf dem weitläufigen Moaris-Gelände jeden Tag anfielen.

Mehrere Tage vergingen, bevor er auch nur einen Blick auf Lady Moaris werfen konnte. Das überraschte ihn nicht — das Moaris-Anwesen bedeckte eine weite Fläche innerhalb von Borlaam City, und der Lord und die Lady bewohnten Teile, die er kaum von weitem zu sehen bekam. Der Rest ihres Besitzes bestand aus Bibliotheken, Tanzsälen, Kunstgalerien und anderen Räumen, in denen die Schätze der Moaris aufbewahrt waren. All diese Räume mußten täglich von Angestellten gereinigt werden.

Herndon sah sie dann eines Tages, als er durch einen Korridor im fünften Stock einer Galerie in Richtung des Aufgangs zum sechsten Stock ging, um dort seiner Aufgabe, dem Katalogisieren der Gemälde im sechsten Stock, nachzukommen. Zuerst hörte er das Rascheln eines weiten Reifrocks, dann kam sie eine Treppe herunter, begleitet an beiden Seiten von zwei kupferfarbenen Toppidan-Riesen, gefolgt von zwei eifrigen Hofdamen.

Lady Moaris selbst trug dünne Kleider, die ihre Körperformen betonten, in ihrem Gesicht stand Trauer geschrieben; es schien Herndon, der sie nur von weitem sah, daß sie unter beträchtlicher Belastung stand.

Dann trat er zur Seite, um die Prozession passieren zu lassen; die Frau entdeckte ihn und warf ihm einen schnellen Blick zu. Ihre Augen wurden vor Überraschung größer, als sie ihn auch erkannte. Herndon wagte nicht, zu lächeln. Er blieb stehen, bis sie an ihm vorbei war, während er innerlich große Freude verspürte. Es war nicht schwer gewesen, ihren Gesichtsausdruck zu deuten.

Später an diesem Tag kam ein blinder Agozlid-Diener zu ihm und übergab ihm schweigend eine versiegelte Nachricht. Herndon steckte sie ein, wartete, bis er allein in einem Korridor war, in dem er sicher vor den elektronischen Spionen des Lord Moaris war. Er war sich deshalb so sicher, weil er erfahren hatte, daß die Überwachungsgeräte in diesem Bereich defekt waren.

Dann erbrach er das Siegel. Es standen nur wenige Zeilen auf dem Papier: Ich habe einen Monat lang auf dich gewartet. Komm heute nacht zu mir. M. verbringt die Nacht im Palast des Seigneurs. Karla wird dich einlassen.

Sekunden später verblaßte die Geheimschrift, das Papier war wieder weiß. Lächelnd warf Herndon es in einen Abfallkorb.

Vorsichtig machte er sich auf den Weg zum Palast der Lady Moaris, als die Gebäude der Bediensteten zur Nacht verdunkelt worden waren. Das Zimmermädchen der Lady, Karla, hatte auch schon auf der Lord Nathiir als Vermittlerin gearbeitet, und war auch heute nacht wieder im Dienst. Als sie Herndon empfing, trug sie durchsichtige Nachtgewänder — sicherlich ein Test auf seine Verläßlichkeit. Herndon wandte seinen Blick fast ständig von ihr ab und sagte nur: »Ich werde erwartet.«

»Ja. Kommen Sie mit.«

Herndon schien es, als habe sie ihn mit einem sehnsuchtsvollen Blick gemustert — oder war es Eifersucht oder gar Haß gewesen? Dann aber wandte sie sich um und führte ihn einen Gang entlang, in dem nur die schwache Nachtbeleuchtung brannte. Sie hielt plötzlich einen Signalschlüssel in der Hand, eine Tür vor Herndon flimmerte auf und verschwand im gleichen Moment. Er trat hindurch; hinter ihm wurde das Energiefeld sofort wieder errichtet.

Die Lady Moaris erwartete ihn.

Sie trug nur einen Hauch von Kleidung, und in ihren Augen stand deutliches Verlangen. Herndon sagte: »Sind wir hier sicher?«

»Ja. Moaris ist bei Krellig.« Sie schürzte die Lippen in einem Anflug von Bitterkeit. »Er verbringt halbe Nächte dort, um sich mit den Frauen zu vergnügen, die der Seigneur verstoßen hat. Dieses Zimmer ist gegen Spionagestrahlen geschützt. Es gibt keine Möglichkeit für ihn, herauszufinden, daß du hier gewesen bist.«

»Und Karla — vertraust du ihr?«

»So sehr, wie ich jedem hier vertrauen kann.« Ihre Arme schlossen sich um seine Schultern. »Mein Kleiner«, flüsterte sie. »Warum hast du uns in Molleccogg verlassen?«

»Eigene Geschäfte, Mylady.«

»Ich habe dich vermißt. Molleccogg war langweilig ohne dich.«

Herndon lächelte. »Glauben Sie mir, ich hatte es nicht so gewollt. Aber ich hatte mich verpflichtet, noch woanders eine Aufgabe zu erfüllen.«

Sie zog ihn begierig an sich. Herndon tat diese hübsche Dame leid, die an erster Stelle unter allen Frauen des Hofes stand und die dazu verdammt war, sich ihre Liebhaber unter Knechten und Dienern zu suchen.

»Alles, was ich habe, gehört dir«, versprach sie. »Verlange von mir, was du willst!«

»Es gibt etwas, was ich gut gebrauchen könnte«, sagte Herndon mit grimmigen Unterton.

»Sage es — Geld spielt keine Rolle.«

»Es kostet nichts«, sagte Herndon. »Ich möchte einfach nur einmal an den Hof des Seigneurs eingeladen werden. Sie könnten das durch Ihren Mann arrangieren lassen. Tun Sie das für mich?«

»Natürlich«, flüsterte sie. Begierig klammerte sie sich an ihn. »Ich werde mit Moaris sprechen — morgen.«

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