2.

Herndon hatte Borlaam fast genau auf den Tag vor einem Jahr verlassen. Vor einem Jahr — dem siebzehnten unter der Regentschaft des Seigneur Krellig — war eine Bande von Plünderern brandschatzend und mordend durch sein Dorf auf Zonnigog gezogen. Die Herndon-Familie hatte große Verluste erlitten: sein Vater und seine Mutter wurden sofort umgebracht, sein Bruder als Sklave verschleppt und seine Schwester erst vergewaltigt und dann ebenfalls getötet.

Das Dorf wurde niedergebrannt. Und nur Barr Herndon konnte entkommen, konnte zwanzigtausend Stellars vom Vermögen seiner Familie mitnehmen. Bevor er verschwand, brachte er noch acht der besten Leute des Seigneurs um.

Anschließend hatte er das Sonnensystem verlassen und sich zu den neunzehn Welten von Meld begeben. Auf Meld XVII hatte er sich ein neues Gesicht zugelegt, in dem die verräterischen charakteristischen Züge der Aristokraten von Zonnigog nicht mehr zu erkennen waren. Verschwunden waren die spitzen Wangenknochen, die blasse Haut, die weit auseinanderstehenden schwarzen Augen, die hervorspringende Nase.

Für achttausend Stellars hatten die Chirurgen von Meld das alles wegoperiert und ihm ein neues Gesicht verliehen: breit, wo es bisher schmal gewesen war, dunkelhäutig, mit eng beieinanderliegenden Augen und einer großen, breiten Nase, wie sie gelegentlich auch auf Zonnigog vorkam. In der Maske eines Herumtreibers, eines Freibeuters, eines ungebundenen Söldners war er zurückgekommen, bereit, sich jedem anzuschließen, der ihm viel Geld für seine Dienste bot.

Die meldianischen Chirurgen hatten zwar sein Gesicht verändert, nicht aber sein Herz. In Herndon brannte der Wunsch nach Rache an Krellig — Krellig dem Unerbittlichen, Krellig dem Unüberwindbaren, der sich hinter den riesigen Steinmauern seines Schlosses vor dem Haß des einfachen Volkes verbarg.

Herndon hatte Geduld. Aber er hatte Krellig den Tod geschworen.

Jetzt stand er in der engen Bronze-Avenue in der Altstadt der City von Borlaam, der Hauptstadt des gleichnamigen Planeten. Schweigend war er Benjin durch die Stadt gefolgt.

Benjin deutete auf eine schwarze Metalltür zu ihrer Linken. »Da gehen wir hinein«, sagte er. Er berührte mit einer Handfläche die Tür, und sie verschwand augenblicklich nach beiden Seiten. Benjin trat hindurch.

Herndon folgte ihm, und es war, als habe ihn plötzlich die Hand eines Riesen ergriffen. Für einen kurzen Moment kämpfte er gegen das Stasisfeld an. »Verdammt, Benjin, lassen Sie mich los!« Die Stasis hielt; seelenruhig tastete der kleine Mann Herndon ab, nahm ihm den Nadler, den Strahler und das kleine Zierschwert an der Hüfte ab.

»Sind Sie jetzt ohne Waffen?« fragte Benjin. »Ja, so muß es sein — das Kraftfeld läßt nach.«

Herndon funkelte den Kleinen an. »Sie hätten mich warnen müssen. Wann bekomme ich meine Waffen zurück?«

»Später«, sagte Benjin. »Reißen Sie sich zusammen und kommen Sie herein.«

Er wurde in einen Raum geführt, in dem drei Männer und eine Frau an einem hölzernen Tisch saßen. Neugierig musterte er das Quartett. Die Männer waren in ihrem Äußeren sehr verschieden: einer trug den unübersehbaren Stempel einer adligen Herkunft im Gesicht, während die beiden anderen eher einfältig und unauffällig wirkten. Die Frau war auch nicht sein Typ — mit ihrem nachlässigen Äußeren war sie vermutlich die Gefährtin eines der letztgenannten Männer.

Herndon trat einen Schritt näher an sie heran.

Benjin sagte: »Das ist Barr Herndon, freier Söldner. Ich lernte ihn auf dem Markt kennen. Er hatte für fast eintausend Stellars gerade einen Proteus gekauft — ich sah zu, wie er die Kreatur an die Hafenmauer schickte und ihr dann eine Nadel in den Rücken jagte.«

»Wenn er so großzügig mit seinem Geld umgeht«, bemerkte der nobel wirkende Mann mit tiefer Stimme, »wozu braucht er dann Arbeit bei uns?«

»Erzählen Sie uns, warum Sie Ihren Sklaven getötet haben«, sagte Benjin.

Herndon lächelte grimmig. »Weil es mir so gefallen hat.«

Einer der in ein Lederwams gekleideten einfachen Leute sagte: »Diese Weltraumtramps verhalten sich nicht wie normale Menschen. Benjin, ich bin nicht dafür, ihn anzuheuern.«

»Wir brauchen ihn«, erwiderte der kleine Mann. An Herndon gewandt, sagte er: »War Ihr Verhalten vielleicht eine Art Reklame für Sie? Wollten Sie Ihre Entschlossenheit zu töten und Ihre Mißachtung aller Moralvorstellungen der Menschheit demonstrieren?«

»Ja«, log Herndon. Es würde seiner Sache nur schaden, wenn er erklären würde, daß er den Proteus deshalb gekauft und umgebracht hatte, um ihm das fast endlose Leben in Schmerzen und als Sklave zu ersparen. »Es hat mir Spaß gemacht, die Kreatur zu töten. Und es hat dafür gesorgt, daß man auf mich aufmerksam wurde.«

Benjin lächelte. »Gut. Dann lassen Sie mich erklären, wer wir sind. Zuerst die Namen: Das ist Heitman Oversk, jüngerer Bruder des Lord Moaris.«

Herndon starrte den Adligen an. Ein zweitgeborener Sohn — eine vertraute Konstellation. Die Zweitgeborenen feiner Leute bekamen selten den Reichtum ihrer älteren Brüder vererbt, trugen in ihrem Herzen auch den Funken des Adels, setzten ihre Fähigkeiten und ihren Ehrgeiz aber meist auf zwielichtige Weise ein. »Ich hatte heute morgen das Vergnügen, Ihren Bruder zu überbieten«, sagte Herndon.

»Moaris überboten? Unmöglich!«

Herndon zuckte die Schultern. »Mitten in der Auktion ließ seine Frau nach ihm schicken, und er folgte dem Ruf. Im anderen Fall wäre der Proteus sein gewesen und ich hätte jetzt etliche Stellars mehr in meinen Taschen.«

»Diese beiden«, sagte Benjin und deutete auf die zwei gewöhnlichen Männer, »sind Dorgel und Razumond. Sie haben in unserer Organisation volles Stimmrecht — wir kennen keine sozialen Unterschiede. Und sie«, er deutete auf das Mädchen, »ist Marya. Sie gehört zu Dorgel, der nichts dagegen hat, sie mal kurzfristig auszuleihen.«

Herndon sagte: »Ich habe was dagegen. Aber kommen Sie zum Geschäftlichen, Benjin.«

Der runzlige kleine Mann sagte: »Zeig ihm ein Muster, Razumond.«

Der Angesprochene, ein stämmiger Mann, erhob sich von seinem Sitzplatz und ging hinüber in eine nur schwach erleuchtete Ecke des Raumes; für einen kurzen Moment hantierte er in einem Schubfach herum, dann kehrte er mit einem Edelstein zurück, der sogar durch die Finger seiner geschlossenen Hand hindurchleuchtete. Er warf ihn auf den Tisch, wo er kalt leuchtete. Herndon fiel auf, daß weder Heitman Oversk noch Dorgel ihren Blick länger als einen Sekundenbruchteil auf dem Stein verharren ließen, und er drehte seinen Kopf auch zur Seite.

»Fassen Sie ihn an«, sagte Benjin.

Der Stein fühlte sich eisig an. Herndon hielt ihn locker fest und wartete.

»Nur zu«, drängte Benjin ihn. »Schauen Sie genau hin, untersuchen Sie ihn. Es ist ein sehr schönes Stück, glauben Sie mir.«

Zögernd öffnete Herndon seine Finger und schaute auf den Edelstein. Durch seine breiten Facetten kam ein kräftiges Licht heraus, und — Herndon hielt die Luft an — in dem Stein war das Gesicht einer Frau zu erkennen. Mit einem verführerischen Lächeln schien sie ihn zu sich heranzuwinken; Herndon hatte das Gefühl, in einen tiefen Ozean gelockt zu werden…

Am ganzen Körper brach ihm der Schweiß aus. Mit großer Anstrengung riß er seinen Blick von dem Stein und winkelte den Arm an — Sekunden später schleuderte er den Stein mit aller Kraft in die entfernteste Ecke des Raumes. Dann fuhr er herum und griff sich Benjin.

»Verrat! Betrug!«

Seine Finger suchten nach Benjins Kehle, aber der kleine Mann entwand sich, und sofort waren Dorgel und Razumond zur Stelle, die sich zwischen Herndon und Benjin stellten. Herndon starrte Razumonds massigen Körper eine Weile wütend an, dann trat er zurück, am ganzen Leib zitternd.

»Sie hätten mich warnen sollen«, beklagte er sich.

Benjin lächelte entschuldigend. »Das hätte unseren Test verdorben. Wir brauchen nur starke Männer in unserer Organisation. Oversk, was hältst du von ihm?«

»Er hat den Stein fortgeworfen«, sagte Heitman Oversk langsam. »Das ist ein gutes Zeichen. Ich glaube, er gefällt mir.«

»Razumond?«

Der Angesprochene gab — ebenso wie Dorgel — einen zustimmenden Laut von sich. Herndon klopfte auf den Tisch und sagte: »Sie handeln also mit Sternsteinen, und Sie haben mir einen ohne Vorwarnung in die Hand gedrückt. Was, wenn ich ihm erlegen wäre?«

»Wir hätten Ihnen den Stein gegeben und Sie gehen lassen«, sagte Benjin.

»Was für Arbeit soll ich hier tun?«

Heitman Oversk sagte: »Unsere Aufgabe ist es, die Sternsteine von den Randwelten, wo sie gefunden werden, hierher zu schaffen und an jene zu verkaufen, die sie sich leisten können. Der Preis, nebenbei, beträgt fünfzigtausend Stellars. Wir selbst zahlen achttausend für einen Stein, der Transport geht auf unsere Kosten und Verantwortung. Was wir brauchen sind Aufseher, die den Weg der Sternsteine von unserer Quelle bis nach Borlaam überwachen. Den Rest machen wir dann hier schon allein.«

»Es lohnt sich«, warf Benjin ein. »Ihr Gehalt beträgt fünftausend Stellars im Monat plus volles Stimmrecht in der Organisation.«

Herndon dachte nach. Das Sternsteingeschäft war das bösartigste in der ganzen Galaxis; die hypnotischen Steine wurden schnell zu einer Sucht, und jeder, der sich ihnen länger als ein Jahr lang aussetzte, verlor den Verstand.

Süchtig zu werden, war nicht schwer. Nur ein sehr fester Charakter konnte seinen Blick von einem Sternstein, in den er einmal geschaut hatte, wieder losreißen. Herndon hatte sich als stark erwiesen. Ein Mann, der einen neuerworbenen Sklaven töten konnte, konnte sich auch von einem Sternstein losreißen.

»Wie lauten die Bedingungen?« fragte er.

»Es wird eine umfassende Verpflichtung«, sagte Benjin. »Einschließlich eines chirurgisch eingepflanzten Sicherungsgeräts.«

»Das gefällt mir nicht.«

»Wir alle tragen eines«, sagte Oversk. »Selbst ich.«

»Wenn jeder eines bei sich hat«, sagte Herndon, »wer hat dann die Kontrolle über Sie?«

»Wir machen das gemeinsam. Ich kümmere mich um die Kontakte zu den Außenwelten; Oversk macht potentielle Kunden aus. Dorgel und Razumond sind ständig unterwegs und kümmern sich um das Einsammeln und den Schutz der Steine. Wir kontrollieren uns gegenseitig.«

»Aber es muß doch jemanden geben, der die Hauptkontrolle über die Geräte hat«, protestierte Herndon. »Wer ist das?«

»Das wechselt von Monat zu Monat. Diesen Monat bin ich damit dran«, sagte Benjin. »Im nächsten ist es Oversk.«

Herndon lief erregt auf und ab. Es war ein verlockendes Angebot — fünftausend im Monat erlaubten ihm ein Leben in Luxus. Und Oversk war der Bruder von Lord Moaris, der als Vertrauter des Seigneurs bekannt war.

Und die Frau von Lord Moaris kontrollierte den Lord. Herndon sah schemenhaft eine Vorgehensweise vor sich, die es ihm am Schluß ermöglichen würde, den Seigneur Krellig in seine Hände zu bekommen.

Daß er sich dazu aber einen Kontrollmechanismus in den Körper einpflanzen lassen sollte, behagte ihm gar nicht. Er wußte genau, wie diese Apparate arbeiteten; sollte er auch nur einmal die Organisation verraten, betrügen oder den Versuch machen, sie ohne gewichtigen Grund zu verlassen, würde derjenige, der die Steuerung über diese Geräte besaß, ihn zu einem wimmernden Sklaven machen. Das Kontrollgerät konnte nur von dem Chirurgen, der es eingepflanzt hatte, wieder aus seinem Körper entfernt werden.

Mit seiner Einwilligung würde er sich dem Diktat dieser Gruppe von Sternsteinschmugglern unterwerfen. Aber schließlich hatte Herndon weiterreichende Absichten.

»Ich stimme vorläufig zu«, sagte er. »Erzählen Sie mir genau, woraus meine Pflichten bestehen.«

Benjin erklärte es ihm: »Auf einem der Planeten, von dem wir die Sternsteine beziehen, steht eine Sendung zum Verschicken bereit. Wir möchten, daß Sie zu dieser Welt reisen und die gesamte Ladung auf ihrem Weg nach Borlaam begleiten. Wir haben durch Diebstähle große Verluste während des Transportes erlitten — und man kann Sternsteine nicht gegen Verlust versichern.«

»Wir wissen auch, wer der Dieb ist«, sagte Oversk. »Sie sind dafür verantwortlich, ihn auf frischer Tat zu stellen und zu töten.«

»Ich bin kein Mörder«, sagte Herndon ruhig.

»Sie sind ein Weltraumtramp — das spricht nicht gerade für den höchsten moralischen Stand Ihrer Einstellung«, sagte Oversk.

»Außerdem spricht niemand von Mord«, sagte Benjin. »Es handelt sich nur um eine Hinrichtung.«

Herndon verschränkte seine Arme vor seinem Körper und sagte: »Ich möchte zwei Monatsgehälter im voraus. Ich möchte einen Beweis dafür, daß jeder von Ihnen ein solches elektronisches Gerät im Körper trägt, bevor ich mich selbst einer chirurgischen Behandlung unterziehe.«

»Einverstanden«, sagte Benjin nach einem fragenden Blick in die Runde.

»Weiterhin möchte ich als einmalige Zahlung die Summe von neunhundertdreißig Gold-Stellars, die ich heute morgen dafür ausgegeben habe, die Aufmerksamkeit eines möglichen Arbeitgebers auf mich zu lenken.«

Das war eine Lüge, aber er hatte guten Grund dazu; es war nur klug, ein beherrschendes Verhältnis mit diesen Leuten herzustellen, so schnell es ging. Dann würden sie später leichter zu Konzessionen ihrerseits bereit sein.

»Einverstanden«, sagte Benjin erneut, wenn auch etwas zögernder.

»In diesem Fall«, sagte Herndon, »betrachte ich mich als von Ihnen angestellt. Ich bin bereit, noch heute nacht aufzubrechen. Sobald meine Bedingungen, die ich genannt habe, zu meiner Zufriedenheit erfüllt sind, werde ich meinen Körper Ihrem Chirurgen überantworten.«

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