8

Im Borgia-Ballsaal des Rom Hilton probte Caroline mit den Roy Bell Dancers die Tanznummer, die nach der Tötung geplant war. Es herrschte völlige Stille, die gelegentlich von einem Ausruf wie diesem unterbrochen wurde: »Ich habe gesagt das rosa Spotlight, du hirnloser, inkompetenter Volltrottel, nicht die weißen Deckenstrahler!«

Martin, Chet und Cole saßen in der ersten Reihe des hastig aufgebauten kleinen Theaters und kniffen sich verständnisvoll in ihre Oberlippen. Sie konnten sehen, daß Caroline keine Pavlova war; aber sie brauchte auch keine Pavlova zu sein. Ihren (beträchtlichen) Mangel an tänzerischer Begabung machte sie durch ihre (mehr als beträchtliche) weibliche Anziehungskraft wett. Die Roy Bell Dancers stellten gekonnt die verschiedenen Aspekte der Weiblichkeit dar; aber Caroline brauchte nichts darzustellen – sie war die Weiblichkeit in Person. Manchmal erinnerte sie an eine Vampirin, manchmal an eine Walküre. Ihr großer, geschmeidiger Körper schien einfach zu keiner unbeholfen wirkenden Bewegung fähig zu sein, und ihr langes, blondes Haar strömte an ihren Schultern herab wie eine gefährliche, lodernde Flamme der Verheißung.

»Sie ist keine sehr begabte Tänzerin«, sagte Martin, »aber sie ist durch und durch Frau.«

Chet nickte. »Es ist erstaunlich. Manchmal erinnert sie an eine Vampirin, manchmal an eine Walküre.«

»Das stimmt«, sagte der junge Cole und nahm die Finger von seiner Oberlippe. »Und habt ihr bemerkt, daß ihr großer, geschmeidiger Körper einfach zu keiner unbeholfen wirkenden Bewegung fähig zu sein scheint, und daß ihr langes, blondes Haar an ihren Schultern herabströmt wie eine gefährliche, lodernde Flamme der Verheißung?«

»Halt die Klappe«, sagte Martin, der sieh noch immer in die Oberlippe kniff. Er war drauf und dran gewesen, das selbst zu sagen, und er haßte es, wenn Untergebene ihm das Wort aus dem Mund nahmen. Er beschloß, daß er Cole zusammen mit Chet feuern würde. Martin konnte Klugscheißer nicht ausstehen.

Der Tanz war zu Ende. Ein wenig außer Atem verließ Caroline die Bühne und ließ sich in einen Sitz neben Martin gleiten.

»Nun?« fragte sie. »Wie war ich?«

Die drei Männer gaben anerkennend Laute von sich, wobei der lauteste und entscheidendste von Martin kam, der so seiner Rolle als Chef Rechnung trug.

»Und ist am Colosseum alles für morgen früh vorbereitet?« fragte sie.

»Alles, von vorne bis hinten«, versicherte Martin ihr. »Scheinwerfer, Bühnen, automatische Mikrofone, fünf aktive Kameras und zwei in Reserve. Wir haben sogar ein spezielles Richtmikrofon, mit dem wir das Todesröcheln des Opfers aufnehmen können.«

»Dann ist ja alles okay«, sagte Caroline. Sie grübelte einen Augenblick, und ihr vielgestaltiges Gesicht wandelte sich von dem einer Vampirin oder Walküre in das von Diana, der Jagdgöttin. »So, dann zeigt mir mal eure Fotos von diesem Poletti.«

Martin gab ihr einen Stapel Sxio-Aufnahmen von Poletti. Alle noch am selben Tag geschossen und, mit Hilfe von viel Geld, innerhalb weniger Stunden entwickelt, vergrößert und geliefert.

Caroline betrachtete die Bilder aufmerksam. Unvermittelt fragte sie: »Wie alt ist dieser Knabe?«

»Ungefähr vierzig«, sagte Martin.

»Und unter welchem Sternzeichen wurde er geboren?«

»Zwilling«, antwortete Chet prompt.

»Nicht vertrauenswürdig«, urteilte Caroline. »Besonders mit diesen Fältchen um die Augen.«

»Ich glaube, er blinzelte gerade, als unser Mann die Fotos schoß«, sagte Cole zaghaft.

»Fältchen sind Fältchen«, entschied Caroline. »Aber mir gefallen seine Hände. Habt ihr das bemerkt? Er hat spatelförmige Finger, mit Ausnahme seines linken Ringfingers.«

»Du hast recht«, sagte Martin. »Das ist mir gar nicht aufgefallen.«

»Ich nehme nicht an, daß ihr bei ihm eine phrenologische Analyse habt machen lassen?«

»Aber Miss Caroline«, sagte Cole. »Dafür war doch keine Zeit.«

»Was macht es schon aus, welche Dellen er am Schädel hat?« fragte Martin. »Du brauchst den Kerl doch bloß zu töten, Caroline.«

»Ich möchte etwas über die Leute wissen, die ich töte«, sagte Caroline. »Das macht es irgendwie schöner.«

Martin schüttelte erbittert den Kopf. Das war typisch Frau; sie mußten immer und überall ein persönliches Element mit hineinbringen. Er beschloß, Caroline zu feuern, sobald er Fortinbras’ Posten übernommen hatte; dann wurde ihm mit einem Anflug von Entsetzen klar, daß Caroline sich nach ihrer zehnten Tötung in einer ausgezeichneten Position befinden würde, um ihn feuern zu können.

»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Martin und verwandelte seine Verärgerung über Caroline in Zorn auf sich selbst. »Es ist schöner, wenn man über sie Bescheid weiß. Und wenn es irgend möglich gewesen wäre, hätten wir bei Poletti eine phrenologische Analyse machen lassen.«

Caroline schien etwas erwidern zu wollen – wahrscheinlich etwas Sarkastisches, nach der Form ihres Mundes zu urteilen; aber sie wurde von einer dünnen Stimme aus einem kleinen Monitor, der sich behaglich an Chets Füße schmiegte, unterbrochen.

»Hallo, hallo«, sagte die Stimme aus dem Monitor. »Hier ist Mobil-Kamera 3. Ich fahre gegenwärtig mit Süd-Südwest, ein Strich West, durch die Via Giulia. Hören Sie mich, Zentrale Kommandostelle, hören Sie mich?«

»Yeah, wir hören Sie gut«, sagte Martin. (Er haßte pedantische Formalitäten fast ebensosehr wie gleichmacherische Ungezwungenheit.)

»Ich befinde mich in Sichtkontakt mit dem Ziel. Entfernung etwa 37 4/10 Fuß. Frage: Soll ich maximale Zielannäherung vornehmen oder aus gegenwärtigem Abstand das Feuer eröffnen?«

»Das Feuer eröffnen?« rief Caroline. »Was glaubt er denn, wessen Jagd das ist?«

»Er spricht nicht vom Schießen«, erklärte Martin. »Er will lediglich wissen, ob er aus seinem gegenwärtigen Abstand heraus filmen oder noch näher herangehen soll. Ich kann diese ehemaligen Zerstörungskapitäne nicht ausstehen, aber Fortinbras stellt ganze Bootsladungen von ihnen ein.« Er betätigte einen Schalter an dem Monitor. »Behalten Sie Ihre Position bei, Mobil 3, und gehen sie auf keinen Fall – ich wiederhole, auf keinen Fall – näher heran. Zeigen Sie uns, was Sie im Visier haben.«

»Verstanden«, sagte die Stimme aus dem Monitor so zackig, daß man förmlich seinen sich sträubenden, rötlichgelben Schnauzbart zu sehen glaubte.

Die graue Oberfläche des Monitors wurde weiß, dann rot mit gezackten grünen und karmesinroten Linien. Schließlich klärte sich das Bild auf und zeigte eine schöne, traurige Dame, die mit gesenktem Blick (eine nicht zu unterschätzende Leistung) auf drei schnurrbärtige Männer mit aufeinandergepreßten Lippen starrte. Eine Stimme sagte auf italienisch: »Und heute zeigten wir Ihnen eine neue Folge aus der seltsamen, verworrenen Lebensgeschichte von…«

Chet brüllte: »He, Mobil 3, bringen Sie das gefälligst in Ordnung!«

»Jawohl, Sir«, antwortete Mobil 3. »Bedaure, Sir. Kleine Störung im Empfangsteil.«

»Soll das eine Entschuldigung sein?« fragte Martin drohend.

»Nein, Sir. Nur eine Erklärung. Jetzt geht’s los, Sir.«

Der Bildschirm wurde leer und erwachte dann wieder zum Leben. Marcello Poletti war jetzt klar und deutlich sichtbar. Er ging eine Straße hinunter. Er ließ die Schultern hängen, und sein Schritt wirkte lustlos.

»Alle typischen Merkmale eines chronisch Depressiven«, sagte Chet sofort.

»Vielleicht ist er nur müde«, mutmaßte Caroline, während sie Polettis Bild aufmerksam betrachtete.

»Er sieht wie der ideale Opfer-Typ aus«, sagte Cole mit jungenhafter Begeisterung.

»Das einzige ideale Opfer ist ein totes Opfer«, sagte Caroline kalt. »Ich glaube, er ist faul.«

»Ist das gut?« fragte Cole hoffnungsvoll.

»Nein, es ist schlecht«, erklärte Caroline ihm. »Man weiß nie, welche Tricks die Faulen sich einfallen lassen.« Sie betrachtete Polettis Gesicht noch ein paar Sekunden länger. »Aber da ist noch etwas anderes, nicht bloß Faulheit, Depression oder Müdigkeit. Er tut nichts von dem, was man normalerweise von einem Opfer erwartet; er versteckt sich nicht, versucht nicht zu entkommen. Er spaziert einfach über eine öffentliche Straße, eine perfekte Zielscheibe.«

»Das ist schon etwas merkwürdig«, gestand Martin.

»Bist du sicher, daß er offiziell informiert wurde?«

»Ich werde es nachprüfen«, sagte Martin gebieterisch. Er schnippte mit den Fingern; Chet winkte ungeduldig mit zwei Fingern; Cole eilte nach hinten, fand ein Telefon und trug es herbei.

Martin wählte die Nummer der römischen Jagdbehörde, versuchte sein Englisch durch einen Schwall von Italienisch hindurch verständlich zu machen und sah hilflos seine Assistenten an.

»Ähem, Boss«, sagte Chet, »ich habe letzte Nacht einen Hypnoschlafkurs in Italienisch gemacht, nur um sicherzugehen. Wenn du also nichts dagegen hast…«

Martin gab ihm den Hörer. Chet sprach mit makellosem florentinischem Akzent und erfuhr, daß 6.27.38 Poletti, Marcello, tatsächlich die offizielle und ordnungsmäßige Mitteilung erhalten hatte, daß er gegenwärtig in einer Jagd den Opferstatus hatte.

»Sonderbar«, kommentierte Martin. »Wirklich sonderbar. Wohin geht er jetzt?«

»In ein Haus«, sagte Caroline. »Hast du geglaubt, er würde den ganzen Tag in der Gegend herumlaufen, nur um deinen Kamerateams einen Gefallen zu tun?«

Sie beobachteten, wie Poletti in einem Hauseingang verschwand. Danach zeigte der Monitor nur noch eine geschlossene Haustür.

Martin drückte einen Knopf an dem Monitor. »Alles klar, Mobil 3. Das Zielobjekt ist außer Sicht. Sie können also abschalten. Sind Sie in der Lage, das Haus des Zielobjektes ein oder zwei Stunden zu beobachten, ohne Verdacht zu erregen?«

»Jawohl«, sagte die knisternde Stimme aus dem Monitor. »Ich operiere vom Rücksitz eines Volkswagens aus. Soweit ich das beurteilen kann, bin ich bislang unentdeckt.«

»Gut«, sagte Martin. »Wie lautet die Adresse von diesem Haus? Okay, ist notiert. Wir werden Sie in einer, spätestens in zwei Stunden ablösen. Bleiben Sie in dem Wagen; wenn Sie das Gefühl haben, entdeckt worden zu sein, fahren Sie sofort davon. Okay?«

»Verstanden«, sagte der Kameramann.

»Bis später«, sagte Martin.

»Ende«, erwiderte der Kameramann.

Martin hieb auf den Knopf und wandte sich Caroline zu: »Also, Süße, wir haben den Burschen gefunden, und wir wissen jetzt auch, wo er wohnt. Es ist jetzt 15 Uhr 34 und 15 Sekunden. Du mußt ihn bis morgen früh ins Colosseum bekommen. Nicht gerade ein leichter Job. Glaubst du, du schaffst es?«

»Ich glaube, daß ich es schaffe«, sagte Caroline mit lieblicher Stimme. »Glaubst du, daß ich es schaffe?«

Martin sah sie an und kniff sich dann verlegen in die Oberlippe. »Yeah«, sagte er, »ich glaube wirklich, daß du es vielleicht unter Umständen schaffen kannst. Caroline, du hast dich verändert.«

»Ich weiß«, sagte Caroline. »Vielleicht liegt es an Rom, oder an meiner zehnten Tötung, oder an beidem. Vielleicht ist aber auch etwas ganz anderes schuld. Ich bleibe mit euch in Verbindung, Jungs.«

Sie drehte sich um und verließ stolz den Borghia-Ballsaal.

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