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Der römische Jagdclub war ein angenehm proportioniertes Gebäude im neobarcarolischen Stil.

Poletti trat ein, ging an den öffentlichen Räumen vorbei und fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock. Dort stieg er aus und ging zu einer Tür mit der Aufschrift KLUBRAUM Nr. 1 (NUR FÜR MÄNNER). Hier war einer der wenigen Plätze in Rom, wo ein Mann sich ausruhen, rauchen, reden, Zeitung lesen, Jagderfahrungen austauschen und sogar schlafen konnte, ohne daß seine Frau unerwartet auftauchte. Überdies konnte ein Mann stets sagen, er sei dort gewesen, ob es nun stimmte oder nicht. Es gab keine Telefone im Klubraum, und Loyalität galt den Mitgliedern als die höchste Tugend.

Die weiblichen Jäger hatten sich darüber beschwert, von dieser exklusiven Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein. Der Klub hatte ihnen deshalb ihren eigenen, ganz privaten Raum zur Verfügung gestellt, dessen Tür die Aufschrift KLUBRAUM Nr. 2 (NUR FÜR FRAUEN) trug. Doch damit waren sie nicht wirklich zufrieden. Aber, wie bereits Voltaire sagte: womit ist eine Frau schon wirklich zufrieden?

Sechs oder sieben Freunde begrüßten Poletti, als er sich in einen Sessel fallen ließ. Sie alle wollten wissen, wie der Fortgang seiner Jagd war, und er sagte ihnen aufrichtig, daß er nicht die geringste Ahnung hatte.

»Das ist schlecht«, sagte Vittorio di Lucca, ein grauhaariger Mailänder, der acht Tötungen für sich verbuchen konnte.

»Mag sein«, sagte Poletti. »Aber ich lebe noch.«

»Noch«, sagte Carlo Savizzi, ein dicklicher junger Mann, der mit Marcello zusammen zur Schule gegangen war. »Aber das kannst du dir kaum als Verdienst anrechnen, nicht wahr?«

»Das tue ich auch nicht«, sagte Marcello, »aber es gibt wirklich nicht viel, das ich tun könnte.«

»Du kannst eine Menge tun«, sagte ein schwer gebauter alter Mann mit graumeliertem Haar und einem Gesicht, das wie schlecht gegerbtes Leder wirkte.

Poletti und die anderen warteten. Der alte Mann hieß Giulio Pombello und war der einzige Zehner-Sieger, dessen Rom sich in letzter Zeit rühmen konnte. Einem Zehner-Sieger hatte man Respekt zu zollen, auch wenn er Unsinn redete, wie es der alte Pombello für gewöhnlich tat.

»Du mußt eine Verteidigung aufbauen«, sagte Pombello und winkte verteidigend mit der rechten Hand. »Es gibt viele sinnvolle Arten der Verteidigung, ebenso wie es viele sinnvolle Jäger-Taktiken gibt. Natürlich kommt man nicht umhin, eine Wahl zu treffen; ein Opfer sollte zum Beispiel keine Jäger-Taktik wählen, und ein Jäger wäre schlecht beraten, wenn er sich für eine Verteidigungstaktik entschiede. Haltet ihr das für richtig, oder sollte mir bei der Einschätzung der Lage ein Fehler unterlaufen sein?«

Alle murmelten, daß die Worte des Maestros (Pombello liebte es, ›der Maestro‹ genannt zu werden) klug, gelehrt, geistreich und zweifelsohne sehr treffend seien. Außerdem wünschten sich alle, daß es Pombello auf der Stelle die Sprache verschlagen möge, oder daß er einen dringenden Telefonanruf erhalte und sofort nach Korsika reisen müsse.

»Also haben wir unser Problem auf das wesentliche reduziert«, sagte der Maestro. »Du bist Opfer, Marcello; darum brauchst du eine Verteidigungstaktik. Nichts ist leichter als das. Wir müssen nur noch überlegen, welche der vielen guten Verteidigungstaktiken für dich in Frage kommt.«

»Ich bin kein sehr defensiver Typ«, sagte Poletti. »Aber auch kein besonders offensiver«, fügte er als Nachsatz hinzu.

Der Maestro ignorierte Polettis Worte, so wie er seit seiner zehnten Tötung alles ignorierte, was andere sagten. »Die besten Chancen hast du«, sagte Pombello, »wenn du die Konzentrische Hartmannsche Feld-Tiefen-Sequenz benutzt.«

Die anderen nickten langsam. Genauer betrachtet, verstand der Alte doch eine ganze Menge von der Jagd.

»Die kenne ich, glaube ich, nicht«, sagte Poletti.

»Sie ist sehr einfach zu verstehen«, sagte der Maestro: »Zunächst suchst du dir ein recht großes Dorf oder vielleicht eine kleine Stadt aus. Du mußt dich vergewissern, daß weder Jäger noch seine Verwandten in dieser Stadt wohnen, denn sonst würde diese Taktik wirkungslos. Aber eine neutrale Stadt ist nicht schwer zu finden; die Chancen dafür sind über alle Maßen gut.«

»Das stimmt«, sagte Vittorio. »Ich habe erst letzte Woche gelesen, daß…«

»Wenn«, fuhr der Maestro fort, »du eine Stadt gefunden hast, lebst du dort für eine Woche, oder einen Monat, oder so lange, wie dein Jäger braucht, um dich zu finden. Dann, wenn er auftaucht, tötest du ihn. So einfach ist das.«

Alle nickten zustimmend. Poletti fragte: »Was ist, wenn ich das Auftauchen des Jägers zu spät bemerke und…«

»Ah, ich sehe, daß ich den wichtigsten Teil der Konzentrischen Hartmannschen Feld-Tiefen-Sequenz ausgelassen habe«, sagte der Maestro und lächelte über diese Nachlässigkeit. »Der Jäger kann dich nicht zuerst entdecken, egal wie genial seine Tarnung ist. Er kann sich nicht unbemerkt anschleichen. Sobald er die Stadt betritt, ist er deiner Gnade ausgeliefert.«

»Wieso?« fragte Poletti.

»Weil«, sagte der Maestro, »du vorher jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in der Stadt als Späher angeheuert hast, und weil du darüber hinaus demjenigen eine Prämie versprochen hast, der den Jäger als erster entdeckt. Simpel, was? Mehr brauchst du nicht zu tun.«

Der Maestro lehnte sich zurück und strahlte. Die anderen ließen zustimmendes Gemurmel hören.

»Ich müßte also jeden Mann, jede Frau und jedes Kind bezahlen?« fragte Poletti. »Dazu wäre aber eine beträchtliche Menge Geld nötig. Selbst bei einem Dorf von ungefähr tausend Einwohnern…«

Der Maestro wedelte ungeduldig mit der Hand. »Ich schätze, es würde ein paar Millionen Lire kosten. Aber was ist das schon, gemessen am Wert des eigenen Lebens?«

»Nichts«, antwortete Poletti sofort. »Aber ich habe keine paar Millionen Lire.«

»Das ist Pech«, sagte der Maestro. »Die Hartmannsche Sequenz ist, meiner Meinung nach, die beste Rundum-Verteidigung.«

»Vielleicht könnte ich einen Kredit aufnehmen…«

»Aber das ist kein Grund zur Verzweiflung«, sagte der Maestro. »Ich kann mich entsinnen, eine Menge Gutes über Carr’s Statische Verteidigung gehört zu haben, wenn ich sie auch selbst nie benutzt habe.«

»Ich habe erst letzte Woche etwas darüber gelesen«, sagte Vittorio. »Bei der Carrschen Statischen Verteidigung schließt man sich mit einem Sauerstoffregenerator, einem Wasserrecycler, einem ausreichenden Essensvorrat und ein paar guten Büchern in einer Stahlkammer ein. Abercombie und Pitch bieten eine komplette Ausrüstung an, mit Wänden aus drei Inch dickem, hypergehärtetem Stahl, der garantiert Explosionen bis zu einer Megatonne standhält.«

»Ob sie mir einen auf Kredit verkaufen?« fragte Poletti.

»Schon möglich«, sagte Carlo. »Aber ich sollte dich besser vorwarnen, daß Fortnum & Mason einen Multiwellen-Vibrator anbieten, der garantiert alles, was sich in einer solchen Kammer befindet, in Stücke reißt.« Er seufzte und rieb sich die Stirn. »Das ist meinem Cousin, dem armen Luigi passiert, als er zum ersten Mal Opfer war.«

Alle versicherten ihm ihr Mitgefühl.

»Ich für meinen Teil«, sagte der Maestro, »habe nie viel von den statischen Verteidigungen gehalten. Sie sind zu statisch; es mangelt ihnen an Flexibilität. Ein Neffe von mir hat einmal eine geradezu geniale Verteidigung benutzt.«

»Davon habe ich noch nie gehört«, sagte Poletti.

»Es ist eine orientalische Methode«, sagte der Maestro. »Die Japaner nennen sie ›Unverwundbarkeit durch scheinbare Verwundbarkeit‹. Bei den Chinesen heißt sie ›Der Zentimeter, Der Zehntausend Meter Birgt‹. Ich glaube, es gibt auch einen indischen Namen dafür, aber an den kann ich mich nicht erinnern.«

Alle warteten. Endlich sagte der Maestro: »Nun, der Name tut schließlich auch nichts zur Sache. Das Wichtigste bei dieser Verteidigung, wie sie mir mein Neffe erläutert hat, ist Offenheit. Offenheit!«

Alle nickten und beugten sich vor.

»Für diese Verteidigung mietete mein Neffe zu einem Spottpreis ein paar Quadratmeilen Wüstengebiet in den Abruzzen. Am Mittelpunkt seines Landes schlug er ein Zelt auf. Von dort konnte er meilenweit in jede Richtung sehen. Er lieh sich von einem Freund eine Radaranlage und kaufte sich bei einem Gebrauchtwagenhändler eine Flakbatterie. Er bezahlte die Flak nicht einmal in bar; er gab seinen Wagen dafür in Zahlung. Außerdem beschaffte er sich irgendwo ein paar Suchscheinwerfer und installierte die ganze Ausrüstung bei seinem Zelt. Was hältst du davon, Marcello?«

»Es klingt genial«, sagte Poletti nachdenklich, »wirklich gut.«

»Das dachte ich auch«, sagte der Maestro. »Aber unglücklicherweise kaufte sich der Jäger meines Neffen in Aramco eine alte Tunnelfräse, grub sich bis zum Zelt des Jungen durch und jagte ihn in die Luft.«

»Traurig, sehr traurig«, sagte Vittorio.

»Es war ein schwerer Schlag für unsere ganze Familie«, sagte der Maestro. »Aber die Idee an sich ist trotzdem gut. Sieh mal, Marcello, du könntest das Konzept doch ein wenig modifizieren. Beispielsweise könntest du statt einer Sand- und Kalksteinwüste ein Granitplateau mieten. Wenn du dann außerdem noch einen Seismographen installierst, könnte die Verteidigung durchaus klappen. Natürlich blieben noch immer einige Schwächen; eine alte Flak kann beispielsweise gegen moderne Raketenwaffen nichts ausrichten. Außerdem besteht natürlich die Möglichkeit, daß der Jäger sich einen Mörser oder einen Panzer kauft; in diesem Fall wäre die Offenheit der Verteidigung ein klarer Nachteil.«

»Ja«, sagte Poletti. »Und ich glaube auch nicht, daß ich es schaffe, rechtzeitig alle Vorbereitungen zu treffen.«

»Wie wäre es mit einem Hinterhalt?« sagte Vitorio. »Ich kenne ein paar ganz vorzügliche Hinterhalte. Natürlich ist für die besten ein ziemlicher Geld- und Zeitaufwand nötig…«

»Ich habe keine Geld«, sagte Poletti und stand auf, »und höchstwahrscheinlich habe ich auch keine Zeit. Aber ich danke euch für eure Ratschläge; besonders dir, Maestro.«

»Ist doch nicht der Rede wert«, sagte der Maestro. »Aber was willst du jetzt tun?«

»Nichts, überhaupt nichts«, sagte Marcello. »Man muß schließlich trotz allem sich selbst treu bleiben.«

»Marcello, du bist verrückt!« rief Vittorio.

»Absolut nicht«, sagte Poletti und blieb an der Tür noch einmal stehen. »Ich bin lediglich passiv. Einen schönen Nachmittag noch, die Herren.«

Poletti verbeugte sich leicht und ging. Die anderen schwiegen einen Moment und starrten einander mit einer Mischung aus Konsterniertheit und Langeweile an.

»Er ist von einer fatalen Todessehnsucht besessen«, verkündigte der Maestro schließlich. »Ein nach meiner Erfahrung typisch römischer Geisteszustand, gegen den man mit aller Kraft ankämpfen muß. Die Symptome dieser Krankheit – denn es handelt sich um eine Krankheit – bleiben dem geschulten Auge nicht verborgen; es sind dies vor allem die folgenden…«

Die anderen lauschten mit glasigen, ausdruckslosen Blicken. Vittorio wünschte sich inbrünstig, daß der Große Alte Mann von einem Auto angefahren werde, vorzugsweise von einem Cadillac, und für mindestens ein Jahr ins Krankenhaus müsse. Carlo war mit offenen Augen eingeschlafen; sogar in diesem Zustand murmelte er noch bei jeder Pause in des Maestros Rede »Hmm« und zog gelegentlich an seiner Zigarette. Nie hatte er einer Menschenseele verraten, wie er das fertigbrachte.

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