»Mobil Eins an Central. Hören Sie mich, Central, hören Sie mich? Over.«
»Ich höre Sie klar und deutlich«, sagte Martin. Er war Central. Nach seiner Ankunft in Rom hatte er zuallererst eine Kommandozentrale eingerichtet. Das hatte er sich schon immer gewünscht – eine Kommandozentrale, die unter seinem Befehl stand, und den Codenamen Central. Nun war dieser Wunsch in Erfüllung gegangen; und außerdem standen Martin noch Funk- und Fernsehausrüstungen im Wert von $200000 in einer Ecke des Borghia-Ballsaales zur Verfügung. Mit einem Mikrofon in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand saß Martin vor dieser Anlage. Auch trug er Kopfhörer, was ihm sehr viel Spaß machte.
»Mobil 2 meldet sich zur Berichterstattung; es gibt leider nichts zu berichten.«
»Dann machen Sie weiter wie bisher«, sagte Martin bestimmt.
Die Roy Bell Dancers hatten eine weitere Probe beendet. Sie faulenzten nun auf der Bühne, tranken schwarzen Kaffee und diskutierten darüber, was das beste Mittel gegen brüchige Fingernägel war. Caroline hatte in einem Buch über die Pflege und Aufzucht von Cockerspanieln gelesen. Nun legte sie das Buch weg und schlenderte hinüber zu Martins Kommandozentrale.
»Mobil 3 meldet sich zur Stelle.«
»Zur Berichterstattung, heißt das«, korrigierte Martin ihn.
»Entschuldigung. Mobil 3 meldet sich zur Berichterstattung und berichtet, daß es nichts zu berichten gibt.«
»Verstanden«, sagte Martin knapp, sog an seiner Zigarette, wischte sich über die Stirn und kniff sich in die Oberlippe. Der Kopfhörer tat seinen Ohren weh, aber wegen einer solchen Kleinigkeit würde er ihn auf keinen Fall abnehmen. Er konnte die Schmerzen ertragen; bestimmt hatten andere Männer schon schlimmere ertragen müssen.
»Hier Mobil 4. Hör mal, Martin, wie wäre es, wenn wir…«
»Nicht Martin«, sagte Martin mißbilligend. »Central ist in diesem Fall das korrekte Codewort.« Martin schüttelte ärgerlich den Kopf. Das war Chet, in Mobil 4. Er war vermutlich beleidigt, weil er als Späher arbeiten mußte, noch dazu als vierter Späher. Aber so lagen die Dinge nun einmal. Und überhaupt, trotz ihrer zwölfjährigen Freundschaft hatte Chet Martin nicht mit dem Vornamen anzureden – nicht, nachdem Martin allen ausdrücklich gesagt hatte, daß sie sich bei einer so wichtigen Operation unbedingt an den vereinbarten Code zu halten hätten.
»Ihr Bericht, Mobil 4«, bellte Martin.
»Keine besonderen Vorkommnisses, Central«, sagte Chet. »Mobil 4 bittet um Erlaubnis, Mittagspause machen zu dürfen.«
»Abgelehnt«, entgegnete Martin.
»Nun hör mal, Central, ich hatte nicht genug Zeit, um zu frühstücken, und…«
»Aber du hattest genug Zeit, um das Colosseum zu mieten«, sagte Martin.
»Also hör mal, das habe ich dir doch schon erklärt. Ich wollte wirklich nicht…«
»Gesuch abgelehnt!« brüllte Martin. Mit ruhigerer Stimme fügte er hinzu: »Ich fühle, daß sich gleich irgend etwas ereignen wird. Ich kann dich jetzt nicht entbehren, Mobil 4; wirklich nicht.«
»Na gut«, erwiderte Mobil 4, beziehungsweise Chet. »Ich observiere weiter, bis ich neue Anweisungen erhalte. Out and over. Ich meine, over and out.«
Martins Hand verkrampfte sich um das Mikrofon. Gott, wie er Leichtfertigkeit, Nachlässigkeit, Anmaßung, Ungehorsam und dergleichen Dinge haßte! Heute wurde ihm zum ersten Mal klar, wie sehr er diese Dinge haßte, denn heute leitete er endlich selbst eine Produktion. Er empfand beinahe so etwas wie Sympathie für Mr. Fortinbras.
»Donnerwetter, da hast du aber eine tolle technische Ausrüstung in deiner Kommandozentrale«, sagte Caroline mit einer Stimme, die völliges Desinteresse erkennen ließ.
»Wir haben, was wir brauchen«, sagte Martin. »Eine so schwierige Operation kann man schließlich nicht mit zwei Blechbüchsen und einem Stück Bindfaden überwachen.« Er wollte lässig an seiner Zigarette ziehen, mußte aber feststellen, daß er sie bereits ausgedrückt hatte, als seine Hand sich um das Mikrofon verkrampft hatte. Er zündete sich eine neue Zigarette an und zog an der lässig.
»Was hat es mit dem kleinen Anzeigeinstrument dort ganz hinten links in der Ecke auf sich?« fragte Caroline.
Martin hatte nicht die geringste Ahnung, aber er antwortete sofort: »Das ist die multiphasische variable Überladungs-Rheostat-Komponente.«
»Donnerwetter«, sagte Caroline. »Ist sie wichtig?«
Martin lächelte dünn und zog lässig an seiner Zigarette. »Wichtig? Ohne die MPVURK würde uns diese ganze Instrumententafel womöglich um die Ohren fliegen. Also kann man sie wohl mit Fug und Recht als wichtig bezeichnen.«
»Warum würde uns das Ding um die Ohren fliegen?« fragte Caroline.
»Nun, das liegt in erster Linie an dem Strominputresonanzfaktor«, erklärte Martin ihr. »Wirklich ein interessantes Phänomen. Wenn du Interesse hast, erkläre ich dir die ganze Sache.«
»Danke, wirklich nicht nötig«, sagte Caroline.
Martin nickte. Manchmal fühlte er sich unschlagbar.
»Hier ist Mobil 1!« kreischte eine Stimme in seinem Kopfhörer. »Das Zielobjekt verläßt gerade sein Haus! Ich wiederhole, das Zielobjekt…«
»Ich habe es schon beim ersten Mal verstanden«, sagte Martin. »Und schreien Sie um Himmels willen nicht so ins Mikrofon, da wird man ja taub!«
»Entschuldigung, Central. Ich war nach dem stundenlangen Warten wohl ein wenig überreizt.«
»Schon okay, vergessen Sie’s. Haben die anderen Späher ihn auch im Visier?«
»Hier Mobil 4. Habe ihn im Visier.«
»Hier Mobil 3. Zielobjekt noch nicht in Sicht.«
»Hier Mobil 2. Habe die gleiche Meldung zu machen.«
»Welche gleiche Meldung?« brüllte Martin.
»Die gleiche Meldung wie Mobil 3. Ich meine, ich sehe das Zielobjekt auch noch nicht.«
»Verstanden«, sagte Martin. »Mobil 2 und Mobil 3 behalten Sie Ihre Position bei. Mobil 1, für Sie habe ich folgende Anweisung…«
»CQ CQ ruft CQ«, sagte eine hohe, klare Stimme in Martins Kopfhörer. Martin hatte diese Stimme noch nie zuvor gehört, und sofort vermutete er Spionage, Gegenspionage und verschiedene andere Dinge.
»Hä?« antwortete er prompt, aber unverbindlich.
»Halli hallo«, sagte die Stimme. »Hier spricht 32ZOZ4321, Funkname Bob. Ich bin ein dreizehn Jahre alter Amateurfunker in Wellington, Neuseeland, und ich funke mit einem umgebauten Hammar und 3BBC21 und benutze eine elektrisch verstärkte achtzig Fuß Arcana-Antenne mit zusätzlichem Dormeister für Stratoreflexe Richtstrahlsendung. Ich bin für alle Amateurfunk-Kollegen zu sprechen, suche jedoch ganz besonders Kontakt zu Funkamateuren in Kairo, Bokhara und Mukden, mit denen ich QSL-Karten und Neuigkeiten austauschen möchte. Hören Sie mich gut? Ich hatte in letzter Zeit Probleme mit dem Dormeister, aber das liegt wahrscheinlich an Sonnenflecken. Over.«
»Stör gefälligst nicht meinen Funkverkehr!« brüllte Martin.
»Ich habe genauso ein Recht zu senden, wie Sie«, erwiderte 327074321 würdevoll.
»Das hier ist eine reservierte, kommerzielle Frequenz!« sagte Martin. »Du funkst mir in einem äußerst ungünstigen Augenblick dazwischen. Over.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann sagte 32ZOZ4321: »Verflixt, Sie haben recht, Mister! Mein 3BBC21 ist ein toller Apparat, aber er driftet ein wenig. Das kommt daher, weil ich nicht genug Geld für die richtigen Teile hatte. Tut mir schrecklich leid, Mister, wirklich. Over.«
»Schon gut; man war schließlich auch mal jung. Würdest du jetzt bitte meine Frequenz verlassen? Over.«
»Sofort. O weh, Mister, verraten Sie bitte nichts. Ich könnte sonst meine Lizenz verlieren. Over.«
»Ich werde nichts verraten, wenn du jetzt sofort von meiner Frequenz verschwindest, Over!«
»Sofort. Vielen Dank, Mister. Würden Sie mir eben noch sagen, wie mein Signal durchgekommen ist? Over.«
»Fünf fünf. Over«, antwortete Martin.
»Danke, Sir. Over and out.«
»Over and out«, antwortete Martin.
»Over and out«, sagte Mobil 1 prompt.
»Nein, Sie doch nicht!« sagte Martin.
»Aber Sie haben doch gesagt…«
»Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Was ist mit dem Zielobjekt?«
»Habe ihn im Visier«, sagte Mobil 1. »Er geht die Via Cavour hinunter und hat gerade die Ecke der Via dei Fori Imperiali erreicht. Er bleibt stehen und – verdammt. Ein Bus hat sich zwischen mich und das Zielobjekt geschoben.«
»Hier Mobil 4«, sagte Chet. »Ich sehe ihn. Er steht noch immer an der Ecke. Das Zielobjekt hat die Hände in den Taschen und läßt die Schultern hängen. Er schaut nach oben, schaut angespannt auf…«
»Auf was?« rief Martin.
»Auf eine Wolke«, sagte Mobil 4. »Sonst gibt es dort oben nichts zu sehen.«
»Warum schaut er sich denn eine Wolke an?« fragte Martin Caroline.
»Vielleicht mag er Wolken«, sagte Caroline.
»Hier Mobil 3. Ich sehe ihn, Central! Das Zielobjekt geht durch eine Straße mit einem unleserlichen Namen. Sein Kurs ist Nord-Nordwest, ein Strich West, mit Ziel Trajansforum, das von Apollodorus von Damaskus erbaut wurde und nach achtzehnhundert wechselvollen Jahren noch bemerkenswert gut erhalten ist.«
»Geben Sie mir bitte nur relevante Informationen, Mobil 3«, sagte Martin. »Aber Ihr Arbeitseifer gefällt mir. Weiter so.«
»Hier Mobil 2. Ich sehe ihn! Diese unleserliche Straße ist die Via Quattro Novembre. Das Zielobjekt verharrt jetzt unbeweglich zirka 37 Yards südlich von Santa Maria di Lore to.«
»Verstanden«, sagte Martin. Er wirbelte herum und markierte Polettis Weg auf einer riesigen Wandkarte Roms. Er zog eine dicke schwarze Linie für bereits vollzogene Bewegungen und eine gestrichelte rote Linie für wahrscheinliche weitere Schritte.
»Hier Mobil 1. Ich sehe ihn. Er steht noch immer am selben Fleck.«
»Was tut er gerade?« fragte Martin.
»Ich glaube, er kratzt sich an der Nase«, sagte Mobil 1.
»Sie sollten sich besser sicher sein«, sagte Martin drohend.
»Hier Mobil 2. Bestätige Meldung von Mobil 1. Das Zielobjekt, beobachtet durch einen Feldstecher Zeiss 8x50, kratzt sich an der Nase… Korrektur: Zielobjekt hat diese Tätigkeit soeben eingestellt.«
»Hier Mobil 3. Zielobjekt hat sich wieder in Bewegung gesetzt und geht in nördlicher Richtung die Via Pessina hinunter. Nähert sich der Kreuzung Via Salvatore Tomassi.«
Martin schaute auf seine Karte, suchte, blinzelte und wandte sich wieder dem Mikrofon zu. »Ich finde diese Straßen nicht, Mobil 3. Wiederholen Sie noch einmal.«
»Roger. Zielobjekt geht in nördlicher Richtung… Verzeihung, Central, jemand muß mir ein falsches Kartenblatt gegeben haben. Diese letzten beiden Straßen sind in Neapel. Ich weiß wirklich nicht, wie das passieren konnte…«
»Ganz ruhig«, sagte Martin. »Das ist nicht der richtige Augenblick um in Panik zu geraten. Hat irgend jemand ihn im Visier?«
»CQ CQ ruft CQ, hier ist 327074321…«
»Du bist schon wieder auf meiner Frequenz gelandet!« brüllte Martin.
»Bitte vielmals um Entschuldigung«, sagte 32ZOZ4321. »Over and out.«
»Hier Mobil 4. Er ist jetzt in der Via Babuino.«
»Wie ist er denn dorthin gekommen?« fragte Martin nach einem Blick auf seine Karte. »Hat er Flügel, oder was?«
»Korrektur. Ich meine Via Barberine.«
»Verstanden. Aber wie ist er dorthin gekommen?«
»Hier Mobil 1. Zielobjekt wurde von einem kleinen, fetten, kahlen Mann in einem blauen Alfa Romeo XXV-I Kabriolett (mit dreifachverchromten Auspuffrohren und einem Morrison-Chalmers Turbolader) mitgenommen. Zielobjekt und kleiner, fetter, kahler Mann sind offensichtlich befreundet, oder wenigstens miteinander bekannt. Sie fuhren durch mehrere Straßen zur Piazza di Spagna, wo das Zielobjekt ausstieg.«
»Manchmal bewegt er sich ziemlich schnell«, murmelte Martin, während er den neuen Standort auf seiner Karte markierte. Er sagte ins Mikrofon: »Was tat der kleine, fette, kahle Mann dann?«
»Er fuhr in Richtung Via Veneto davon.«
»Und hat jemand Sichtkontakt mit dem Zielobjekt?«
»Hier ist Mobil 2. Ich sehe ihn. Im Augenblick steht er vor, oder, genauer, etwas links vom American Express-Gebäude.«
»Was tut er?«
»Er betrachtet ein Plakat im Fenster. Auf dem Plakat wird eine Rundreise durch Griechenland angeboten; nach Athen, Piräus, Hydra, Korfu, Lesbos und Kreta.«
»Griechenland!« stöhnte Martin. »Das wird er mir doch wohl nicht antun; darauf bin ich nicht vorbereitet. Wir werden…«
»Hier Mobil 4. Zielobjekt ist wieder in Bewegung. Er hat mehrere Yards zurückgelegt und sitzt jetzt auf der Spanischen Treppe.«
»Bist du sicher?« schnauzte Martin Chet an.
»Absolut. Er sitzt auf der siebenten Stufe von unten und starrt aufdringlich zwei blonde Mädchen an, die auf der vierten respektive fünften Stufe sitzen.«
»Er ist gar nicht so dumm, wie er aussieht«, sagte Martin. »Niemand geht heute noch zur Spanischen Treppe. Ich frage mich, ob er versucht…«
»Hier Mobil 3! Zielobjekt wieder unterwegs! Er überquert die Piazza di Spagna… Jetzt habe ich ihn verloren. Nein, da ist er wieder. Er geht in die Via Margutta. Er bleibt stehen und geht in ein Gebäude.«
»Was für ein Gebäude?« schrie Martin.
»Der Jagdklub«, sagte Mobil 3. »Soll ich ihm hinein folgen?«
Caroline hatte die Verfolgung an einem Bildschirm verfolgt. Jetzt nahm sie Martin das Mikrofon aus der Hand und sagte: »Bleibt, wo ihr seid, alle Mobile. Ich werde selbst zum Jagdklub gehen.«
»Ist das klug?« fragte Martin.
»Vielleicht nicht«, sagte Caroline, »aber bestimmt ist es interessant.«
»Hör mal, Baby«, sagte Martin, »der Kerl ist bewaffnet und gefährlich.«
»Und attraktiv«, fügte Caroline hinzu. »Ich will selbst herausfinden, was Poletti für ein Mensch ist.«
»Damit wäre Mr. Fortinbras bestimmt nicht einverstanden«, sagte Martin.
»Mr. Fortinbras braucht ja auch niemanden zu töten«, sagte Caroline. »Das muß ich tun.«
Dagegen ließ sich nichts sagen. Martin zuckte die Achseln, als Caroline hinausging. Dann lehnte er sich erschöpft in seinem Drehstuhl zurück. Er lächelte grimmig. Er hatte es hier nur mit Primadonnen und Unfähigen zu tun. Leute, die ohne fremde Hilfe nicht einmal aus einer Einkaufstasche herausfänden. Er mußte sich wirklich um alles kümmern. Und was bekam er als Dank? Nichts. Es blieb ihm lediglich die kleine Befriedigung, seine Sache gut gemacht zu haben.
»An alle Mobil-Einheiten«, sendete Martin. »Jetzt Plan ›Leichter Bäcker‹ ausführen, wiederhole, Plan ›Leichter Bäcker‹. Over and out.«
Er verließ seine Kommandozentrale, immer noch grimmig lächelnd. Eine unangezündete Zigarette hing ihm schlaff im Mundwinkel.
Die Roy Bell Dancers waren schon vor ihm gegangen, und der große Ballsaal war leer. Der Empfänger summte leise, knisterte dann. Mehrere Sekunden verstrichen; dann war eine Stimme zu hören:
»Hier ist 32ZOZ4321, rufe CQ. Funlyiame Bob. Ist da jemand?«
In dem großen Ballsaal herrschte Schweigen; ewiges, unabänderliches Schweigen; nein, da war niemand.