Schwarze und undurchdringliche Nacht lag über dem Colosseum. Die Finsternis wurde nur hin und wieder von einem durch die Wolken blinzelnden, gehörnten und buckligen Mond durchbrochen. Stille sickerte durch die alten Gemäuer, und die Vorahnung des herannahenden Todes stieg wie ein unsichtbares Miasma aus dem blutgetränkten Sand auf.
Dann trat Poletti aus einem der Bogengänge. Sein Gesicht war finster und wütend. Hinter ihm kam Gino.
»Nun?« fragte Poletti.
»Es ist völlig klar«, sagte Gino. »Sie ist dein Jäger. Da besteht kein Zweifel.«
»Natürlich nicht. Das wurde mir schon klar, als sie mir an den Strand folgte. Das hier ist nur die Bestätigung meines Verdachts. Eine große Tötung mit jeder Menge Publicity – ganz im amerikanischen Stil!«
»Ich habe gehört, daß sie es oben in Mailand jetzt auch so machen«, sagte Gino. »Und dann natürlich die deutschen Jäger, besonders im Ruhrgebiet…«
»Weißt du, was sie mir heute gesagt hat?« fragte Poletti. »Sie hat mir erzählt, daß sie mich liebt. Und dabei hat sie die ganze Zeit über vorgehabt, mich zu töten.«
»Die Ehrlosigkeit der Frauen ist sprichwörtlich«, sagte Gino. »Was hast du ihr gesagt?«
»Natürlich habe ich ihr gesagt, daß ich sie auch liebe«, sagte Poletti.
»Stimmt das denn?«
Poletti dachte lange nach. Dann sagte er: »Es ist seltsam, aber sie ist wirklich sehr liebenswert. Sie ist ein guterzogenes, in mancher Beziehung sehr schüchternes Mädchen.«
»Sie hat neun Menschen getötet«, erinnerte Gino ihn.
»Das kann man ihr nicht zum Vorwurf machen«, sagte Marcello. »Dabei handelt es sich doch bloß um eine Zeiterscheinung.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Gino. »Aber was willst du jetzt tun, Marcello?«
»Ich werde mich verteidigen, genau wie ich es geplant hatte«, sagte Poletti. »Das einzige Problem ist noch, ob Vittorio rechtzeitig die Werbetrommel für mich rührt.«
»Du hast ihm nicht viel dabei geholfen«, sagte Gino.
»Das ließ sich nicht machen«, sagte Poletti. »Er müßte es trotzdem schaffen, ein oder zwei Sponsoren aufzutreiben.«
»Er wird bestimmt etwas arrangieren«, pflichtete Gino ihm bei. »Aber, Marcello, was ist, wenn sie merkt, das du ihr auf die Schliche gekommen bist? Sie hat eine große Organisation im Rücken, Geld, Macht… Vielleicht solltest du sie einfach bei der ersten sich bietenden Gelegenheit töten und kein Risiko eingehen.«
Poletti zog einen Revolver aus der Jackentasche, überprüfte die Ladung und steckte ihn wieder weg.
»Keine Sorge«, sagte er zu Gino. »Sie kommt morgen früh um neun zu einer Probe in meine Baracke. Das würde sie wohl kaum tun, wenn sie mich verdächtigte, sie zu verdächtigen.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Gino. »Ich weiß nur, daß die Ehrlosigkeit der Frauen sprichwörtlich ist.«
»Das sagtest du bereits«, entgegnete Poletti. »Aber das gleiche gilt für die Ehrlosigkeit der Männer. Es wird alles verlaufen, wie ich es geplant habe. Ich wünsche nur, sie wäre weniger liebenswert.«
»Die Lieblichkeit der Frauen«, sagte Gino, »macht uns wehrlos gegen ihr ehrloses Tun.«
»So ist es wohl«, sagte Poletti. »Na, jedenfalls fahre ich jetzt zurück zu meiner Baracke. Ich brauche etwas Schlaf. Kümmere du dich darum, daß Vittorio sich mit den Vorbereitungen beeilt.«
»Mach ich«, sagte Gino. »Gute Nacht, Marcello – und viel Glück.«
»Gute Nacht«, sagte Marcello.
Sie gingen. Marcello stieg in seinen Wagen und fuhr zurück zum Strand, und Gino ging zum nächstgelegenen Cafe, das die ganze Nacht geöffnet hatte.
Und nun endlich war das Colosseum verlassen. Der Mond war verschwunden, und alles war in Finsternis gehüllt. Dünner Nebel stieg auf, und schemenhafte Gestalten schienen sich über den blutgierigen Sand zu bewegen wie die Geister schon lange toter Gladiatoren. Ein Windhauch seufzte über den leeren Sitzen wie die Stimme eines schon lange toten Kaisers, der seufzte: »Tötet ihn!« Und dann konnte man in der undurchdringlichen Finsternis im Osten das erste Leuchten des Morgenhimmels ausmachen.
Ein ungewisser neuer Tag brach an.