5

Dalamar saß allein im Laboratorium des Turms der Erzmagier. Die Wächter des Turms, die Lebenden und die Sterbenden, standen auf ihrem Posten am Eingang. Sie warteten... beobachteten.

Durch das Turmfenster konnte Dalamar die Stadt Palanthas brennen sehen. Der Dunkelelf hatte den Verlauf der Schlacht von einem Aussichtspunkt hoch oben im Turm beobachtet. Er hatte Lord Soth das Tor betreten sehen, er hatte die Ritter sich zerstreuen und fallen sehen, er hatte die Drakonier von der fliegenden Zitadelle herunterspringen sehen. Und die ganze Zeit über, in der die Drachen hoch oben ihre Schlacht austrugen, strömte ihr Blut wie Regen auf die Straßen der Stadt hinab.

Der letzte Blick, den er erhaschte, bevor emporsteigender Rauch seine Sicht trübte, zeigte ihm die fliegende Zitadelle, wie sie in seine Richtung zu treiben begann, sich langsam und sprunghaft bewegte, einmal ihre Entscheidung zu ändern schien und wieder zurück auf das Gebirge zusteuerte. Verwirrt beobachtete Dalamar das Manöver eine Weile und fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Plante Kitiara, auf diesem Weg in den Turm zu gelangen?

Der Dunkelelf verspürte einen Augenblick Angst. Konnte die Zitadelle über den Eichenwald von Shoikan fliegen? Ja, erkannte er plötzlich, sie konnte das! Seine Hand ballte sich zur Faust. Warum hatte er diese Möglichkeit nicht vorausgesehen? Er starrte aus dem Fenster und verfluchte den Rauch, der sein Blickfeld immer mehr verschleierte. Während er sie beobachtete, änderte die Zitadelle wieder ihren Kurs und taumelte durch den Himmel wie ein Betrunkener, der seine Wohnung sucht.

Aber dann steuerte sie doch wieder auf den Turm zu, diesmal im Schneckentempo. Was ging da vor sich? War der Pilot verwundet? Dalamar starrte auf die Zitadelle und versuchte, etwas zu erkennen. Doch bald zog dichter schwarzer Rauch an den Fenstern vorbei und verbarg die Zitadelle vollständig vor seinen Blicken. Der Gestank von brennendem Hanf und Pech war stark. Die Lagerhäuser, dachte Dalamar. Im selben Moment, wo er sich mit einem Fluch vom Fenster abwenden wollte, wurde seine Aufmerksamkeit auf ein kurzes Aufflackern bei einem Gebäude fast direkt ihm gegenüber gelenkt – dem Tempel Paladins. Selbst durch den Rauch sah er, daß das Aufflackern heller wurde, und er konnte sich ausmalen, wie die weißgekleideten Kleriker mit schwingenden Keulen und Stöcken Paladin anriefen, während sie ihre Feinde erschlugen.

Dalamar lächelte grimmig und schüttelte den Kopf, während er an dem großen Steintisch mit seinen Flaschen und Krügen und Bechern vorbei schnell durch den Raum schritt. Die meisten Behälter hatte er beiseite geschoben, um Platz für seine Zauberbücher, Rollen und magischen Geräte zu schaffen. Er betrachtete sie zum hundertsten Mal und überzeugte sich, daß alles bereit stand. Dann ging er eilig an den Regalen mit den nachtblaugebundenen Zauberbüchern von Fistandantilus und an den Regalen mit Raistlins eigenen schwarzgebundenen Zauberbüchern vorbei. Er erreichte die Tür zum Laboratorium, öffnete sie und rief ein Wort in die Dunkelheit.

Augenblicklich glimmte ein Paar Augen vor ihm auf, und ein Spektralkörper schimmerte mal heller und mal dunkler, als ob er von heißen Winden bewegt würde.

»Ich will Wächter oben auf dem Turm«, befahl Dalamar.

»Wo, Lehrling?«

Dalamar dachte nach. »An der Tür, die vom Gang des Todes nach unten führt. Stell sie dort auf.«

Die Augen schlossen sich flackernd als kurze Bestätigung und verschwanden dann wieder. Dalamar kehrte zum Laboratorium zurück. Entschieden schloß er die Tür hinter sich. Dann zögerte er und hielt ein. Er konnte die Tür mit Zaubersprüchen belegen, die jeden vom Eintreten abhalten würden. Das war eine übliche Gepflogenheit von Raistlin im Laboratorium gewesen, wenn er heikle magische Experimente ausgeführt hatte, bei denen sich die kleinste Störung als tödlich erweisen konnte. Ein Atemzug im falschen Moment hätte magische Kräfte freisetzen können, die sogar den Turm hätten zerstören können. Dalamar stockte. Seine grazilen Finger berührten die Tür, und die Worte lagen auf seinen Lippen.

Nein, dachte er dann. Ich selbst werde vielleicht Hilfe benötigen. Die Wächter müssen ungehindert eintreten könnten, und vielleicht bin ich nicht in der Lage, einen Zauber zu entfernen. Er ging zurück durch den Raum und setzte sich auf den bequemen Stuhl, den er am liebsten benutzte – den Stuhl hatte er aus seinen Gemächern herbeigeschafft, um die Langeweile seiner Wache zu mindern.

»Falls ich nicht in der Lage bin, einen Zauber zu entfernen.« Dalamar sank in die weichen Samtkissen des Stuhls und dachte über den Tod und das Sterben nach. Sein Blick glitt zum Portal. Es sah aus wie immer – fünf Drachenköpfe, jeder in einer anderen Farbe, das Gesicht nach innen gerichtet, die fünf Mäuler in fünf stummen Rufen zur Huldigung ihrer Dunklen Königin geöffnet. Es sah aus wie immer – die Köpfe dunkel und starr, die Leere innerhalb des Portals war unverändert. Oder? Dalamar blinzelte. Vielleicht war es nur seine Phantasie, aber er hatte das Gefühl, daß die Augen der Köpfe leicht zu leuchten angefangen hatten.

Die Kehle des Dunkelelfen schnürte sich zusammen. Seine Handflächen begannen zu schwitzen, und er wischte sie an seinen Roben ab. Tod, sterben. Würde es soweit kommen? Seine Finger fuhren über die silbernen Runen, die in das schwarze Gewebe eingestickt waren, Runen, die bestimmte magische Angriffe hemmen und bannen würden. Er sah auf seine Hände. Der schöne, grüne Stein eines Heilringes funkelte dort – ein machtvolles magisches Hilfsmittel. Aber seine Heilkraft konnte nur einmal in Anspruch genommen werden.

Eilig wiederholte Dalamar im Geist noch einmal Raistlins Lektionen, wie man beurteilte, ob eine Wunde tödlich war und sofortiger Heilung bedurfte oder ob die Heilkraft des Ringes aufgespart werden konnte.

Dalamar schauderte. Er meinte die Stimme des Meisters hören zu können, wie er kalt und nüchtern die verschiedenen Schmerzstufen erörterte. Er meinte seine Finger mit dieser seltsamen inneren Hitze spüren zu können, wie sie über verschiedene Teile seines Körpers fuhren und auf die lebenswichtigen Organe hinwiesen. Wie im Reflex glitt Dalamars Hand zu seiner Brust, wo die fünf Wunden, die Raistlin in sein Fleisch gebrannt hatte, für alle Ewigkeiten bluten und eitern würden. Gleichzeitig brannten sich Raistlins Augen in sein Gedächtnis – spiegelgleich, golden, flach, tödlich.

Dalamar zuckte zusammen. Machtvolle Magie umgibt mich und beschützt mich, sagte er sich. Ich bin in der Kunst geübt. Zwar nicht so geübt wie er, aber der Meister wird verwundet, geschwächt und halbtot durch das Portal kommen! Es kann kein Problem sein, ihn zu vernichten! Dalamars Hände ballten sich zu Fäusten. Warum ersticke ich dann fast vor Angst? fragte er sich.

Eine silberne Glocke ertönte. Verblüfft erhob sich Dalamar aus seinem Stuhl. Die Angst vor seinen Phantasiebildern wurde von realer Angst abgelöst. Und mit der Angst vor etwas Konkretem und Greifbarem spannte sich Dalamars Körper an. Sein Blut strömte kalt durch seine Adern, und die dunklen Schatten verschwanden aus seinem Denken. Er hatte sich in der Gewalt.

Die silberne Glocke kündigte einen Eindringling an. Jemand hatte sich durch den Eichenwald von Shoikan gekämpft und stand nun am Eingang zum Turm. Normalerweise hätte sich Dalamar mit einem Zauber unverzüglich selbst auf den Weg gemacht, um dem Eindringling selbst gegenüberzutreten. Aber jetzt wagte er nicht, das Portal zu verlassen. Er warf einen flüchtigen Blick darauf. Nein, es war keine Einbildung gewesen. Die Augen der Drachenköpfe leuchteten. Er glaubte sogar zu sehen, daß sich die Leere im Innern bewegte und verschob, als ob eine Welle über ihre Oberfläche geglitten wäre.

Nein, er wagte nicht zu gehen. Er mußte den Wächtern vertrauen. Er ging zur Tür, neigte seinen Kopf und horchte. Er glaubte schwache Geräusche von unten zu hören – einen gedämpften Schrei und das Aufprallen von Stahl. Dann vernahm er nur noch Schweigen. Er wartete und hielt den Atem an, doch er hörte nur das Pochen seines eigenen Herzen.

Weiter nichts.

Dalamar seufzte. Die Wächter hatten die Angelegenheit wohl schon erledigt. Er verließ die Tür und ging durch das Laboratorium, um aus dem Fenster zu schauen, aber er konnte nichts erkennen. Der Rauch war dicht wie Nebel. Er hörte das entfernte Grollen eines Donners. Vielleicht war es auch eine Explosion. Wer war dort unten gewesen, fragte er sich. Vielleicht ein Drakonier? Erpicht auf weiteres Morden und weitere Beute. Einer von ihnen könnte es geschafft haben, durch...

Es spielt doch keine Rolle, sagte er sich kalt. Wenn alles vorbei sein würde, wollte er nach unten gehen und die Leiche untersuchen...

»Dalamar!«

Dalamars Herz schlug höher. Angst und Hoffnung jagten beim Klang dieser Stimme durch seinen Körper.

»Vorsicht, Vorsicht, mein Freund«, flüsterte er sich zu. »Sie hat ihren Bruder verraten. Sie hat dich verraten. Du kannst ihr nicht vertrauen.«

Dennoch ertappte er sich dabei, daß seine Hände zitterten, als er langsam durch das Laboratorium zur Tür schritt.

»Dalamar!« Wieder ihre Stimme. Sie bebte vor Schmerz und Angst. Etwas schlug gegen die Tür, und er hörte das Geräusch eines Körpers, der an ihr nach unten rutschte. »Dalamar«, rief sie noch einmal schwach.

Dalamars Hand lag auf dem Griff. Hinter ihm leuchteten die Augen der Drachen rot, weiß, blau, grün, schwarz.

»Dalamar«, flüsterte Kitiara matt. »Ich... ich bin gekommen... um dir zu helfen.«

Langsam öffnete Dalamar die Tür des Laboratoriums.

Kitiara lag vor seinen Füßen auf dem Boden. Bei ihrem Anblick hielt Dalamar den Atem an. Falls sie vorher eine Rüstung getragen hatte, so war sie von nichtmenschlichen Händen von ihrem Körper gerissen worden. Er konnte die Male der Nägel auf ihrem Fleisch sehen. Das schwarze, enge Gewand, das sie unter ihrer Rüstung trug, war in Fetzen gerissen und entblößte ihre gebräunte Haut und ihren weißen Busen. Blut sickerte aus einer entsetzlichen Wunde an einem Bein. Auch ihre Lederstiefel waren zerfetzt. Dennoch sah sie zu ihm mit klaren Augen hoch, mit Augen, die ohne Angst waren. In ihrer Hand hielt sie das Nachtjuwel, jenen Zauber von Raistlin, der ihr im Eichenwald Schutz bot.

»Ich war gerade stark genug«, flüsterte sie, und ihre Lippen teilten sich zu jenem verschmitzten Lächeln, das Dalamars Blut in Wallung brachte. Sie streckte ihm ihre Arme entgegen. »Ich bin zu dir gekommen. Hilf mir beim Aufstehen.«

Dalamar bückte sich und zog Kitiara auf ihre Füße. Sie sackte gegen ihn. Er spürte, wie ihr Körper zitterte, und schüttelte den Kopf, weil er wußte, welches Gift in ihrem Blut wirkte. Er legte seinen Arm um sie und half ihr in das Laboratorium. Dann schloß er die Tür hinter sich.

Ihr Gewicht wurde schwerer, und ihre Augen verdrehten sich. »O Dalamar«, murmelte sie, und er sah, daß sie gleich ohnmächtig werden würde. Er legte seine Arme um sie. Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Brust und stieß dankbar einen Seufzer der Erleichterung aus.

Er konnte den Duft ihres Haares riechen – diesen seltsamen Duft, eine Mischung aus Parfüm und Stahl. Ihr Körper bebte in seinen Armen. Er verstärkte seinen Griff um sie. Sie schlug ihre Augen auf und sah zu ihm hoch. »Ich fühle mich jetzt besser«, wisperte sie. Ihre Hände glitten nach unten.

Zu spät sah Dalamar, wie ihre braunen Augen aufblitzten. Zu spät sah er, wie sich das verschmitzte Lächeln verzerrte. Zu spät bemerkte er, daß sich ihre Hand ruckartig bewegte, und dann spürte er nur noch stechenden Schmerz, als sie ihr Messer in seinen Körper stieß.

»Tatsächlich, wir haben es geschafft«, schrie Caramon und starrte von dem zerstörten Hof der fliegenden Zitadelle, die über die Kronen des verruchten Eichenwaldes von Shoikan glitt, nach unten.

»Ja, zumindest bis hierher«, murmelte Tanis. Selbst von diesem Aussichtspunkt aus konnte er die kalten Wogen von Haß und Blutrünstigkeit spüren, die emporstiegen, um sie zu ergreifen, als ob die Wächter sie sogar aus der Zitadelle nach unten ziehen wollten. Bebend zwang Tanis seinen Blick dorthin, wo die Spitze des Turmes der Erzmagier aufragte. »Wenn wir dicht genug herankommen«, rief er Caramon über das Rascheln des Windes in seinen Ohren zu, »können wir uns auf den Weg dort hinunterfallen lassen, der sich kreisförmig um die Spitze zieht.«

»Auf den Gang des Todes«, gab Caramon grimmig zurück.

»Was?«

»Das ist der Gang des Todes!« Caramon kam näher, wobei er jeden Schritt genau überlegte, während sich die dunklen Bäume unter ihnen wie Wellen eines schwarzen Ozeans wiegten. »Dort hat der böse Magier gestanden, als er den Fluch über den Turm verhängte. Das hat Raistlin mir jedenfalls erzählt. Von dort ist er hinuntergesprungen.«

»Welch netter, heiterer Ort«, murmelte Tanis in seinen Bart und starrte grimmig auf den Gang. Rauch kräuselte sich um sie und verschleierte den Blick auf die Bäume. Der Halb-Elf versuchte nicht daran zu denken, was in der Stadt geschah. Er hatte bereits einen Blick auf den brennenden Paladin-Tempel erhascht.

»Dir ist doch hoffentlich auch klar«, rief er, als er Caramon erreicht hatte und sie nebeneinander am Rande des Hofes der Zitadelle standen, »daß die Chance besteht, daß Tolpan direkt in dieses Ding hineinrauscht!«

»Wir sind trotz allem bis hierher gekommen«, lächelte Caramon grimmig, »weil die Götter mit uns sind.«

Tanis blinzelte und fragte sich, ob er eben richtig gehört hatte. »Das klingt überhaupt nicht nach dem alten fröhlichen Caramon«, sagte er grinsend.

»Der alte Caramon ist tot, Tanis«, erwiderte Caramon schlicht und einfach. Seine Augen waren gebannt auf den näherrückenden Turm gerichtet.

Tanis’ Grinsen veränderte sich. Er seufzte. »Tut mir leid«, war das einzige, was ihm einfiel. Unbeholfen legte er seine Hand auf Caramons Schulter.

Caramon sah ihn mit hellen, klaren Augen an. »Nein, Tanis«, sagte er. »Als Par-Salian mich in die Vergangenheit zurückschickte, sagte er mir, daß ich zurückgehen müsse, um ›eine Seele zu retten. Nicht mehr. Nicht weniger.‹« Caramon lächelte traurig. »Ich dachte immer, er meinte Raistlins Seele. Aber inzwischen weiß ich, daß ich ihn falsch verstanden habe. Er meinte meine eigene.« Der Körper des großen Mannes spannte sich. »Komm«, sagte er und wechselte abrupt das Thema. »Wir sind dicht genug, um abzuspringen.«

Unter ihnen tauchte ein Balkon auf, der den obersten Teil des Turms umrandete. Durch den aufwirbelnden Rauch war er nur schwach zu erkennen. Und als Tanis nach unten sah, zog sich sein Magen zusammen. Obgleich er wußte, daß das unmöglich war, schien es ihm, als ob der Turm unter ihnen schlingerte, während er selbst vollkommen still dastand. Er hatte so gigantisch ausgesehen, als sie sich ihm genähert hatten. Jetzt hätte er genausogut planen können, von einem Vallenholzbaum auf das Dach eines Spielzeugschlosses zu springen.

Was ihr Vorhaben noch schwerer machte, war die Tatsache, daß die Zitadelle immer dichter und dichter auf den Turm zu fuhr. Die blutroten Spitzen der schwarzen Minarette des Turms tanzten vor Tanis’ Augen, als die Zitadelle vor und zurück schlingerte und sich ruckartig nach oben und unten bewegte.

»Spring!« schrie Caramon, während er sich selbst hinunterwarf.

Ein Rauchwirbel schwirrte an Tanis vorbei und machte ihn blind. Die Zitadelle bewegte sich weiter. Plötzlich ragte eine riesige schwarze Steinsäule direkt vor ihm auf. Er mußte entweder springen, oder er würde zerquetscht werden. Verzweifelt sprang Tanis. Über sich hörte er grauenhaftes, knirschendes und zermalmendes Geräusch. Er fiel in ein Nichts, Rauch wirbelte um ihn, und dann blieb ihm nur noch der Bruchteil einer Sekunde, um sich anzuspannen, als der Gang des Todes unter seinen Füßen auftauchte.

Er landete mit einem Aufschlag, der ihn so durchrüttelte, daß er jeden Knochen in seinem Körper spüren konnte und er betäubt und atemlos liegen blieb. Er konnte gerade noch daran denken, sich auf den Bauch zu rollen und seinen Kopf mit beiden Armen zu schützen, als Steine auf ihn herunterprasselten.

Caramon war schon auf den Beinen und brüllte: »Norden! Richtung Norden!«

Sehr, sehr schwach glaubte Tanis eine schrille Stimme in der Zitadelle über sich schreien zu hören: »Norden! Norden! Norden! Wir müssen schnurstracks gen Norden steuern!«

Die Geräusche der Zerstörung ließen nach. Tanis hob vorsichtig seinen Kopf und sah durch Rauchschwaden die fliegende Zitadelle, wie sie leicht schwankend einen neuen Kurs einschlug und nun zielstrebig auf den Palast des Herrschers Amothud zusteuerte.

»Bist du in Ordnung?« Caramon half Tanis auf die Beine.

»Ja«, murmelte der Halb-Elf benommen. Er wischte sich Blut vom Mund. »Hab’ auf meine Zunge gebissen. Verdammt, das tut weh!«

»Der einzige Weg nach unten ist dort drüben«, sagte Caramon, der hastig aufbrach. Nach kurzer Zeit kamen sie zu einem Bogengang, der in den schwarzen Stein des Turms geschlagen war. Die kleine Holztür darin war verschlossen und verriegelt.

»Wahrscheinlich sind Wächter aufgestellt«, warnte Tanis, als Caramon zurücktrat, um die Tür einzurennen.

»Ja«, grunzte der große Mann. Er nahm einen kleinen Anlauf und warf sich gegen die Tür. Sie bebte und quietschte. Holz splitterte an den Eisenstangen, aber sie hielt. Caramon rieb sich die Schulter und trat zurück. Mit einem Blick auf die Tür konzentrierte er seine ganze Kraft und Anstrengung und warf sich wieder gegen sie. Dieses Mal gab sie mit einem lauten Krachen nach und riß Caramon mit sich.

Tanis eilte hinterher und spähte in die raucherfüllte Dunkelheit. Dort fand er Caramon auf dem Boden, umgeben von Holzsplittern. Der Halb-Elf wollte gerade mit einer Hand nach seinem Freund greifen, als er mit großen Augen innehielt.

»Im Namen der Hölle!« fluchte er, und der Atem blieb ihm in der Kehle stecken.

Hastig rappelte sich Caramon auf. »Ja«, sagte er erschöpft. »Auf die bin ich auch schon gestoßen.«

Zwei Paare körperloser Augen, die in einem unheimlichen, kalten Licht weiß glühten, schwebten vor ihnen.

»Sie dürfen dich nicht berühren«, warnte Caramon Tanis mit leiser Stimme. »Sie saugen dir das Leben aus dem Körper.«

Die Augen schwebten näher.

Eilig stellte Caramon sich vor Tanis und sah die Augen an. »Ich bin Caramon Majere, Bruder von Fistandantilus«, sagte er leise. »Ihr kennt mich. Ihr habt mich schon zuvor gesehen, vor längst vergangener Zeit.«

Die Augen hielten an. Tanis konnte eisigkalt spüren, wie sie sie überprüften. Langsam hob er seinen Arm. Das kalte Licht der Wächteraugen spiegelte sich in dem silbernen Armband wider.

»Ich bin ein Freund deines Herrn«, sagte er und versuchte, mit fester Stimme zu sprechen. »Dalamar hat mir dieses Armband geschenkt.« Tanis spürte plötzlich eine kalte Berührung an seinem Arm. Er stöhnte auf vor Schmerz, der sich direkt in sein Herz zu bohren schien. Er taumelte und stürzte fast. Caramon fing ihn auf.

»Das Armband ist verschwunden!« murmelte Tanis mit zusammengebissenen Zähnen.

»Dalamar!« schrie Caramon, und seine Stimme dröhnte und hallte durch die Kammer. »Dalamar! Hier ist Caramon! Raistlins Bruder! Ich muß in das Portal! Ich kann ihn aufhalten! Ruf die Wächter zurück, Dalamar!«

»Vielleicht ist es zu spät«, sagte Tanis, während er auf die blassen Augen starrte, die zurückstarrten. »Vielleicht hat es Kitiara zuerst geschafft. Vielleicht ist er tot...«

»Dann sind wir es auch«, erwiderte Caramon leise.

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