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Das Armband! Tanis sah auf sein Handgelenk. Das Armband war verschwunden! Er wirbelte herum und machte einen Satz auf den Kender zu. Aber es war zu spät. Tolpan flitzte die Straße entlang und rannte, als ob sein Leben davon abhinge. (Was bestimmt den Tatsachen entsprach, entschied Tolpan nach einem Blick auf Tanis’ zornerfülltes Gesicht.)

»Tanis!« schrie Sir Markham.

Tanis drehte sich um. Lord Soth saß auf seinem Nachtmahr, umrahmt von den zerschmetterten Toren der Stadt Palanthas. Sein flammender Blick traf auf Tanis und hielt ihn fest. Selbst auf diese Entfernung spürte Tanis, wie seine Seele durch die Angst schrumpfte, die von diesem wandelnden Leichnam hervorgerufen wurde.

Aber was konnte er ausrichten? Er hatte das Armband nicht mehr. Ohne diesen Schutz hatte er keine Chance. Überhaupt keine Chance! Dank den Göttern, dachte Tanis in dieser kurzen Sekunde, dank den Göttern bin ich kein Ritter, und also auch nicht verpflichtet, ehrenhaft zu sterben.

»Rennt!« befahl er durch Lippen, die so steif waren, daß er kaum einen Ton herausbrachte. »Flieht! Dagegen könnt ihr nichts unternehmen! Denkt an euren Schwur! Zieht euch zurück! Spart euer Leben auf, um gegen die Lebenden zu kämpfen...«

Noch während er sprach, landete ein Drakonier vor ihm, dessen grauenhaftes Reptiliengesicht vor Blutrünstigkeit verzerrt war. Gerade noch rechtzeitig erinnerte sich Tanis, daß er dieses Ding nicht niederstechen durfte, denn dessen ekelhafter Körper würde sich in Stein verwandeln und das Schwert seines Mörders eingeschlossen halten. So schlug er mit dem Knauf seines Schwertes auf das Gesicht der Kreatur, trat in seinen Magen und sprang dann über ihn, als er zu Boden taumelte.

Hinter sich hörte er die Pferde, die vor Entsetzen wieherten und mit den Hufen stampften. Er hoffte, daß die Ritter seinem letzten Befehl nachkommen würden, aber er konnte keine Zeit verschwenden, sich umzuschauen. Es gab immer noch eine Chance, wenn er nur Tolpan erwischen würde und das magische Armband...

»Der Kender!« schrie er dem Drachen zu und zeigte auf die fliehende, schnellfüßige kleine Gestalt auf der Straße.

Khirsah verstand und war unverzüglich unterwegs. Seine Flügelspitzen streiften Gebäude und warfen Steine und Ziegel zu Boden, als er bei dieser Verfolgung die breite Straße hinuntersauste. Tanis lief dem Drachen nach. Er sah sich nicht um. Das war auch nicht notwendig. Er konnte aufgrund der qualvollen Schreie ahnen, was vor sich ging.

An diesem Morgen ritt der Tod durch die Straßen von Palanthas. Geführt von Lord Soth, fegte die geisterhafte Armee wie ein eisiger Wind durch das Tor und vernichtete alles, was sich ihr in den Weg stellte.

Als Tanis den Drachen eingeholt hatte, hielt Khirsah Tolpan zwischen seinen Zähnen. Er hatte den Kender an seinem leuchtendblauen Hosenboden gepackt und schüttelte ihn wie ein erfahrener Gefängniswärter durch. Tolpans Beutel flogen auf, und ein kleiner Hagelschauer von Ringen, Löffeln, einem Serviettenring und einem halben Stück Käse ergoß sich auf die Straße.

Aber kein silbernes Armband.

»Wo ist es, Tolpan?« fragte Tanis zornig. Er sehnte sich danach, selbst den Kender durchzuschütteln.

»D...du... du wirst... es nie...niemals fi...finden«, gab der Kender zurück, und seine Zähne klapperten in seinem Mund.

»Setz ihn ab«, wies Tanis den Drachen an. »Feuerblitz, halte Wache.«

Die fliegende Zitadelle war an den Stadtmauern zum Halten gekommen, ihre Zauberkundigen und dunklen Kleriker kämpften gegen die angreifenden silbernen und bronzenen Drachen. Im Aufflackern der blendenden Blitze und im Aufsteigen der Rauchnebel war kaum etwas zu erkennen, aber Tanis war überzeugt, einen blauen Drachen erkannt zu haben, der die Zitadelle verließ. Kitiara, dachte er – aber ihm blieb keine Zeit, sich über sie Gedanken zu machen.

Khirsah ließ Tolpan fallen (fast auf seinen Kopf), breitete seine Flügel aus und stellte sich mit dem Gesicht zum südlichen Teil der Stadt, wo sich der Feind sammelte und die Verteidiger ihn mutig zurückdrängten.

Tanis kam hinüber und starrte auf den kleinen Missetäter, der trotzig zurückstarrte, während er sich erhob.

»Tolpan«, sagte Tanis mit einer Stimme, die vor unterdrückter Wut bebte, »dieses Mal bist du zu weit gegangen. Dieser Possenstreich kann unzähligen unschuldigen Menschen das Leben kosten. Gib mir das Armband, Tolpan, und wisse – von diesem Moment an endet unsere Freundschaft!«

Tanis erwartete irgendeine verrückte Ausrede oder eine schniefende Entschuldigung und war daher nicht darauf gefaßt, daß Tolpan ihn mit blassem Gesicht, mit zitternden Lippen und einer Miene gelassener Würde musterte.

»Es ist sehr schwer zu erklären, Tanis, und ich habe wirklich keine Zeit. Aber dein Kampf gegen Lord Soth hätte nichts geändert.« Er sah den Halb-Elfen aufrichtig an. »Du mußt mir das glauben, Tanis. Ich sage die Wahrheit. Es hätte keine Rolle gespielt. All diese Leute, die jetzt sterben, wären auch so gestorben, und auch du wärst gestorben, und – was noch schlimmer ist – die ganze Welt wäre gestorben. Aber du bist nicht gestorben, also wird es vielleicht nicht geschehen. Und jetzt«, sagte Tolpan entschlossen, richtete seine Beutel und seine Kleidung ziehend und zerrend wieder her, »müssen wir Caramon retten.«

Tanis starrte Tolpan an, dann legte er erschöpft eine Hand an seinen Kopf und riß den heißen Stahlhelm herunter. Er hatte keine Ahnung, was vor sich ging. »In Ordnung, Tolpan«, sagte er matt. »Erzähl mir von Caramon. Lebt er? Wo ist er?«

Tolpans Gesicht verzerrte sich vor Sorge. »Das ist es doch, Tanis. Er ist vielleicht nicht mehr am Leben. Zumindest nicht mehr lange. Er versucht gerade, in den Eichenwald von Shoikan einzudringen!«

»Der Eichenwald!« Tanis schaute beunruhigt drein. »Aber das ist doch unmöglich!«

»Ich weiß!« Tolpan zog nervös an seinem Haarzopf. »Aber er versucht, in den Turm der Erzmagier zu kommen, um Raistlin aufzuhalten...«

»Ich verstehe«, murmelte Tanis. Er warf den Helm auf die Straße. »Beziehungsweise: Ich fange zumindest an zu verstehen. Laß uns gehen. Welche Richtung?«

Tolpans Gesicht strahlte auf. »Du kommst mit? Du glaubst mir? O Tanis! Ich bin ja so froh! Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, was das für eine große Verantwortung ist, sich um Caramon zu kümmern. Hier entlang!« kreischte er und zeigte eifrig in eine Richtung.

»Kann ich noch etwas für dich tun, Halb-Elf?« fragte Khirsah, der mit seinen Flügeln wedelte und den Blick erwartungsvoll auf die Schlacht gerichtet hielt, die über ihm ausgefochten wurde.

»Nichts, sofern du nicht den Eichenwald betreten kannst.«

Khirsah schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Halb-Elf. Nicht einmal Drachen können diesen verfluchten Wald betreten. Ich wünsche dir viel Glück, aber erwarte nicht, daß du deinen Freund noch lebend antriffst.«

Mit langen Flügelschlägen erhob sich der Drache in die Lüfte und flog auf die Schlacht zu. Mit einem ernsten Kopfschütteln machte sich Tanis mit schnellen Schritten auf den Weg, Tolpan rannte hinterher, um ihn einzuholen.

»Vielleicht konnte Caramon noch gar nicht so dicht herankommen«, sagte Tolpan hoffnungsvoll. »Ich konnte es jedenfalls nicht, als ich das letzte Mal mit Flint hier war. Und Kender haben vor nichts Angst!«

»Du hast gesagt, er versucht, Raistlin aufzuhalten?«

Tolpan nickte.

»Dann wird er dicht herankommen« prophezeite Tanis düster.

Jede Faser seiner Nerven und seines Mutes hatte Caramon gebraucht, um sich dem Eichenwald von Shoikan zu nähern. Tatsächlich war er in der Lage gewesen, näher heranzukommen als jedes andere Lebewesen. Und er hatte nicht einmal einen Zauber, der einen sicheren Durchgang gewährte. Jetzt stand er bebend und schwitzend vor diesen dunklen, stummen Bäumen und versuchte, sich zu einem weiteren Schritt zu zwingen.

»Hier lauert der Tod auf mich«, murmelte er und leckte seine trockenen Lippen. »Aber was macht das für einen Unterschied? Ich habe dem Tod zuvor gegenübergestanden, hundertmal!« Mit der Hand am Schwertknauf schob er seinen Fuß einen Schritt vor.

»Nein, ich werde nicht sterben!« schrie er den Wald an. »Ich kann nicht sterben. Zuviel hängt von mir ab. Und ich werde nicht aufgehalten werden von... von Bäumen!«

Er schob den anderen Fuß nach.

»Ich bin schon durch finsterere Orte als diesen hier gegangen«, redete er trotzig weiter. »Ich bin durch den Wald von Wayreth gegangen. Ich bin auf Krynn gewandert, als es im Sterben lag. Ich habe das Ende der Welt gesehen. Nein«, fuhr er entschlossen fort. »Dieser Wald hält kein Entsetzen für mich bereit, das ich nicht überwältigen könnte.«

Damit schritt Caramon vorwärts und betrat den Eichenwald von Shoikan.

Sofort wurde er in eine immerwährende Dunkelheit getaucht. Es war wie damals im Turm, als Crysanias Zauber ihn blind gemacht hatte. Aber dieses Mal war er allein. Panik überfiel ihn. In dieser Dunkelheit war Leben! Entsetzliches, unheiliges Leben, das überhaupt kein Leben war, sondern lebender Tod... Caramons Muskeln wurden schwach. Er fiel auf Hände und Knie und schluchzte und bebte vor entsetzlicher Angst.

»Du gehörst uns!« wisperten sanfte, zischende Stimmen. »Dein Blut, deine Wärme, dein Leben! Gehört uns! Uns! Komm näher! Bring uns dein süßes Blut, dein warmes Fleisch! Wir sind kalt, kalt, kalt, so unerträglich kalt. Komm näher, komm näher!«

Caramon wurde von Angst überflutet. Er brauchte sich nur umzudrehen und zu rennen, und er würde entkommen... »Aber nein«, keuchte er in der zischenden, erdrückenden Dunkelheit. »Ich muß Raistlin aufhalten! Ich muß... weiter... gehen.«

Zum ersten Mal in seinem Leben griff Caramon tief in sein Inneres und fand den gleichen unbeugsamen Willen, mit dem sein Zwillingsbruder Zerbrechlichkeit und Schmerz und sogar den Tod selbst überwältigen konnte, um sein Ziel zu erreichen. Er biß seine Zähne zusammen. Obwohl er unfähig war zu stehen, war er dennoch entschlossen, sich weiterzubewegen, und kroch auf Händen und Knien durch den Schmutz.

Seine Anstrengung war heldenhaft und mutig, aber er kam nicht weit. Als er in die Dunkelheit starrte, sah er mit lähmender Faszination, wie eine fleischlose Hand durch den Boden hochgriff. Finger, eisig und glatt wie Marmor, schlossen sich um seine Hand und begannen, ihn nach unten zu ziehen. Verzweifelt versuchte er sich zu befreien, aber andere Hände griffen nach ihm, ihre Nägel gruben sich in sein Fleisch. Er spürte, wie sie ihn auszusaugen begannen. Die zischenden Stimmen flüsterten in seinen Ohren, Lippen aus Knochen drückten sich gegen sein Fleisch. Die Kälte ließ sein Herz gefrieren.

»Ich habe versagt...«

»Caramon«, rief eine besorgte Stimme.

Caramon bewegte sich leicht.

»Caramon?« Dann: »Tanis, dort ist er!«

»Den Göttern sei Dank!«

Caramon öffnete seine Augen. Als er aufschaute, starrte er in das Gesicht des bärtigen Halb-Elfen, der mit einem Ausdruck der Erleichterung, in die sich Verwirrung, Staunen und Bewunderung mischte, zu ihm herabschaute.

»Tanis!« Caramon setzte sich benommen auf. Er war immer noch gelähmt vor Angst, nahm seinen Freund in seine starken Arme und hielt ihn fest. Er schluchzte vor Erleichterung.

»Mein Freund!« sagte Tanis, und dann wurde er von seinen eigenen Tränen zum Schweigen gebracht, die ihn fast erstickten.

»Bist du in Ordnung, Caramon?« fragte Tolpan.

Der große Mann holte zitternd Luft. »Ja«, sagte er und legte seinen Kopf in seine zitternden Hände. »Ich glaube ja.«

»Das war das Mutigste, was ich je bei einem Mann gesehen habe«, erklärte Tanis feierlich und lehnte sich zurück, um sich auf seine Fersen stützen zu können, während er Caramon anstarrte. »Das Mutigste... und das Dümmste.«

Caramon errötete. »Ja«, murmelte er, »na, du kennst mich doch.«

»Früher«, sagte Tanis und kratzte sich am Bart. Sein Blick registrierte die hervorragende Verfassung des Mannes, seine bronzen getönte Haut, den Ausdruck ruhiger, fester Entschlossenheit. »Verdammt, Caramon! Vor einem Monat bist du vor meinen Füßen stinkbesoffen ohnmächtig geworden! Dein Bauch hing praktisch über dem Boden! Und jetzt...«

»Dazwischen liegen Jahre, Tanis«, unterbrach ihn Caramon und zog sich mit Tolpans Hilfe langsam auf die Füße. »Das ist alles, was ich dir erzählen kann. Aber was ist passiert? Wie bin ich aus diesem entsetzlichen Ort herausgekommen?« Er sah sich um. Die Schatten der Bäume waren weit entfernt, aber trotzdem konnte er ein Schaudern nicht zurückhalten.

»Ich habe dich gefunden«, sagte Tanis und richtete sich ebenfalls auf. »Sie – diese Dinger – haben dich nach unten gezerrt. Du hättest eine unbehagliche Ruhestätte gefunden, mein Freund.«

»Wie bist du hierhergekommen?«

»Damit«, antwortete Tanis lächelnd und hielt ein silbernes Armband hoch.

»Damit bist du hereingekommen? Vielleicht kann man damit...«

»Nein, Caramon«, unterbrach ihn Tanis und steckte das Armband mit einem Seitenblick auf Tolpan, der eine äußerst unschuldige Miene aufgesetzt hatte, sorgfältig wieder in seinen Gürtel zurück. »Seine Magie war kaum stark genug, mich nur zum Rand der verfluchten Bäume zu bringen. Ich konnte schon dort spüren, wie seine Macht nachließ...«

Der Hoffnungsfunke in Caramons Augen verschwand. »Ich habe auch unser magisches Gerät ausprobiert«, sagte er dann und sah Tolpan an. »Es hat ebenfalls nicht funktioniert. Aber ich hatte das eigentlich auch nicht erwartet. Es hat uns nicht einmal durch den Wald von Wayreth gebracht. Aber ich mußte es versuchen. Mir – mir ist es nicht einmal gelungen, es zu verwandeln. Es zerbrach fast in meinen Händen, darum habe ich es bei einem Versuch belassen.« Er schwieg einen Moment, dann stieß er mit verzweifelter Stimme hervor: »Tanis, ich muß den Turm erreichen!« Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Ich kann es jetzt nicht erklären, aber ich habe in die Zukunft gesehen, Tanis! Ich muß durch das Portal gehen und Raistlin aufhalten. Ich bin der einzige, der das kann!«

Verblüfft legte Tanis eine Hand auf die Schulter des großen Mannes und beruhigte ihn. »Das hat mir Tolpan erzählt – jedenfalls so etwas Ähnliches. Aber Caramon, Dalamar ist dort... und... wie, im Namen der Götter, willst du überhaupt in das Portal gelangen?«

»Tanis«, sagte Caramon und sah seinen Freund mit einem derart ernsten und entschlossenen Ausdruck an, daß der Halb-Elf vor Verwunderung blinzelte, »du kannst es nicht verstehen, und für Erklärungen ist jetzt keine Zeit. Aber du mußt mir glauben. Ich muß in diesen Turm!«

»Du hast recht«, sagte Tanis, nachdem er Caramon voll sprachloser Verwunderung angestarrt hatte. »Ich verstehe es nicht. Aber ich helfe dir, wo ich kann, wenn das überhaupt möglich ist.«

Caramon seufzte tief auf, ließ seinen Kopf hängen, und seine Schultern sackten zusammen. »Ich danke dir, mein Freund«, sagte er schlicht. »Ich war die ganze Zeit so allein. Wenn Tolpan nicht gewesen wäre...«

Er sah zu dem Kender hinüber, aber Tolpan hörte nicht zu. Seine Aufmerksamkeit war durch die fliegende Zitadelle gefesselt, die immer noch über den Stadtmauern schwebte. Der Kampf tobte im Himmel um sie herum, zwischen den Drachen und unten auf dem Boden, wie man aus den dichten Rauchsäulen, die aus dem südlichen Teil der Stadt emporstiegen, den Schreien, dem Zusammenprallen von Waffen und dem Aufschlagen der Pferdehufe entnehmen konnte.

»Ich wette, man könnte mit der Zitadelle zum Turm fliegen«, sagte Tolpan, der sie mit Interesse anstarrte. »Zisch! Direkt über den Eichenwald. Immerhin ist ihre Magie böse, und die Magie des Eichenwaldes ist böse, und sie ist ganz schön groß – die Magie der Zitadelle meine ich, nicht die des Waldes. Es würde wahrscheinlich eine Menge Magie in Anspruch nehmen, um sie aufzuhalten und...«

»Tolpan!«

Der Kender drehte sich zu Caramon und Tanis um, die ihn anstarrten.

»Was?« schrie er, ohne eine Bemerkung abzuwarten. »Ich habe es nicht getan! Es ist nicht mein Fehler...«

»Wenn wir nur dort hoch kämen!« Tanis starrte auf die Zitadelle.

»Das magische Gerät!« rief Caramon aufgeregt und fischte es aus einer Innentasche des Hemdes hervor, das er unter seiner Rüstung trug. »Es kann uns dorthin befördern!«

»Uns wohin befördern?« Tolpan durchschaute plötzlich, daß etwas vor sich ging. »Uns befördern...« – er folgte Tanis’ Blick – »dorthin? Dorthin?« Die Augen des Kenders leuchteten auf wie zwei helle Sterne. »Wirklich? Ehrlich? Zur fliegenden Zitadelle? Das ist ja wunderbar! Ich bin bereit. Laßt uns aufbrechen!« Sein Blick glitt zum magischen Gerät, das Caramon in seiner Hand hielt. »Aber es funktioniert nur mit zwei Leuten, Caramon. Wie soll denn Tanis hochkommen?«

Caramon räusperte sich nervös, und Verstehen glomm in den Augen des Kenders auf.

»O nein!« plärrte Tolpan. »Nein!«

»Es tut mir leid, Tolpan«, sagte Caramon. Seine zitternden Hände verwandelten hastig den kleinen unscheinbaren Anhänger in ein leuchtendes, mit Juwelen besetztes Zepter, »aber wir werden einen harten Kampf vor uns haben, um in dieses Ding zu kommen...«

»Du mußt mich mitnehmen, Caramon!« schrie Tolpan. »Es war meine Idee! Ich kann kämpfen!« Er fummelte an seinem Gürtel herum und zog sein kleines Messer hervor. »Ich habe dein Leben gerettet! Ich habe Tanis’ Leben gerettet.«

Als er an Caramons Gesichtausdruck erkannte, daß der stur bleiben würde, wandte sich Tolpan an Tanis und warf flehend seine Arme um ihn. »Nimm mich mit! Vielleicht funktioniert das Gerät ja auch bei drei Leuten. Oder beziehungsweise bei zwei Leuten und einem Kender. Ich bin doch so klein. Es bemerkt mich vielleicht gar nicht! Bitte!«

»Nein, Tolpan«, widersprach Tanis fest. Er riß sich von Tolpan los und stellte sich zu Caramon. Mit einem warnend erhobenen Finger – und einem Blick, den Tolpan nur zu gut kannte – belehrte er ihn. »Und dieses Mal ist es mein Ernst!«

Tolpan stand mit einem dermaßen verzweifelten und unglücklichen Gesicht da, daß Caramons Herz weich wurde. »Tolpan«, sagte er leise und kniete sich zu dem erregten Kender, »du hast gesehen, was geschehen wird, wenn wir versagen! Ich brauche Tanis bei mir – ich brauche seine Kraft und sein Schwert. Das verstehst du doch, oder nicht?«

Tolpan versuchte zu lächeln, aber seine Unterlippe zitterte. »Ja, Caramon, ich verstehe es. Es tut mir leid.«

»Und außerdem war es deine Idee«, fügte Caramon feierlich hinzu und erhob sich wieder.

Obwohl dieser Gedanke den Kender zu trösten schien, trug er nicht gerade zur Zuversicht des Halb-Elfen bei. »Irgendwie«, brummte Tanis, »beunruhigt mich das.« Ebenso der Gesichtsausdruck des Kenders. »Tolpan« – Tanis nahm seine strengste Miene an, während Caramon sich wieder zu ihm stellte – »versprich mir, daß du irgendeinen sicheren Platz aufsuchst und dort bleibst und daß du dich aus allem Unheil heraushältst! Versprichst du mir das?«

Tolpans Gesicht war ein Abbild seiner inneren Zerrissenheit – er biß sich auf die Lippe, seine Brauen zogen sich zusammen, und er drehte seinen Haarzopf mitten auf dem Kopf zusammen.

Dann – plötzlich – weiteten sich seine Augen. Er lächelte und ließ seinen Zopf los, so daß der zurück über seinen Rücken fiel. »Natürlich, ich verspreche es, Tanis«, sagte er mit einem Ausdruck solch aufrichtiger Unschuld, daß der Halb-Elf aufstöhnte. Aber er konnte jetzt nichts unternehmen. Caramon hatte den magischen Vers aufgesagt und drehte am Gerät. Der letzte Blick, den Tanis von Tolpan erhaschte, bevor er im aufwirbelnden Nebel der Magie verschwand, war der, daß der Kender auf einem Fuß stand, mit seinem Hinterbein das andere Bein rieb und mit einem fröhlichen Lächeln zum Abschied winkte.

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