FÜNFTER TEIL DIE RÜCKKEHR ZUR ERDE

XXVIII

Carmody war in New York City, auf dem Riverside Drive Ecke 99ste Straße. Im Westen ging die Sonne hinter dem Horizon House unter. Rechts davon strahlte das Spry-Zeichen in all seiner Schönheit auf. Um Carmody herum erhoben sich die rußgeschwärzten Bäume des Riverside Parks, und er konnte die Schreie frustrierter, boshafter Kinder hören, gelegentlich unterbrochen von dem Aufbrüllen ihrer ebenso frustrierten und boshaften Eltern.

»Ist das dein Zuhause?«, fragte der Preis.

Carmody sah an sich herunter und stellte fest, daß der Preis seine übliche Metamorphose gemacht hatte und nun als Dick Tracy-Uhr mit Wecker und Stereolautsprecher an seinem Handgelenk hing.

»Es sieht so aus«, antwortete Carmody.

»Scheint ein lebendiges Örtchen zu sein«, sagte der Preis. »Ne' Menge los hier. Gefällt mir.«

»Yeah!« sagte Carmody zögernd, denn er war sich noch keineswegs sicher, wie er sich nun zu Hause fühlen sollte.

Er begann loszulaufen. Die Straßenbeleuchtung flammte überall auf. Die Mütter mit Kinderwagen strömten nach Hause, und bald würde der Park ganz den Polizisten und den Straßenräubern gehören. Ringsherum rollte der Smog auf weichen kleinen Katzenpfoten heran.

»He, Carmody!«

Carmody blieb stehen und wandte sich um. Ein Mann kam energisch auf ihn zu marschiert. Der Mann trug einen Geschäftsanzug und einen Bowler, dazu weiße Überschuhe und einen dunklen Umhang. Carmody erkannte ihn als George Marundi, einen aufdringlichen Künstler aus seinem Bekanntenkreis.

»He, Mann«, sagte Marundi und schüttelte ihm die Hand.

»He, he«, sagte Carmody und grinste wie ein Komplize bei einem Schwerverbrechen.

»Ja, Mann, wo hast du denn gesteckt?« fragte Marundi.

»Ach, du weißt schon«, meinte Carmody.

»Tatsächlich weiß ich gar nichts!« sagte Marundi. »Helen hat schon nach dir herumgefragt.«

»Tatsächlich?«

»Ganz bestimmt. Dicky Tait schmeißt nächste Woche eine Party. Kommst du vorbei?«

»Sicher«, versprach Carmody. »Wie geht's Tait?«

»Ja, Mann, du weißt schon.«

»Klar, ich weiß«, sagte Carmody in einem Tonfall tiefsten Mitgefühls. »Immer noch, was?«

»Was hast du erwartet?« fragte Marundi.

Carmody zuckte die Schultern.

»Würde mich bitte mal jemand vorstellen?« fragte der Preis.

»Halt's Maul!« sagte Carmody.

»He, Mann, was hast du dir denn da zugelegt?« Marundi beugte sich vor und starrte auf Carmodys Handgelenk. »Kleiner Kassettenrecorder drin, was? Das ist wirklich ein Hammer, Baby! Das ist ein Ding! Oder kannst du den sogar programmieren?«

»Ich bin nicht programmiert«, sagte der Preis. »Ich bin eine autonome Persönlichkeit.«

»He, das ist ja wunderbar!« rief Marundi ganz begeistert. »Ich meine, das ist es wirklich. He, du da, Mickey Mouse, was kannst du denn sonst noch sagen.«

»Verpiß dich!« sagte der Preis.

»Schluß damit!« flüsterte Carmody verärgert.

»Na, sowas«, sagte Marundi grinsend. »Hat eine ganz schön scharfe Zunge, der Kleine, was?«

»Die hat er«, bestätigte Carmody überzeugt.

»Wo hast du den her?«

»Ich kriegte ihn - na, ich bekam ihn unterwegs, während ich weg war.«

»Du bist weg gewesen? Ich nehme an, deshalb habe ich dich hier bei uns in den letzten Monaten nicht mehr gesehen.«

»Daran muß es gelegen haben«, versicherte Carmody.

»Wo bist du denn hin gewesen?« erkundigte sich Marundi.

Es lag Carmody auf der Zunge, zu sagen, in Miami. Aber statt dessen überkam es ihn, zu erzählen: »Ich bin im Universum unterwegs gewesen, dem Kosmos selbst, worin ich gewissen kurzlebigen Subjekten begegnet bin, die uns von nun an als Realität bekannt sein sollen.«

Marundi nickte verstehend. »Du bist auf einem Trip gewesen, was, Mann?«

»Das war ich wirklich, und was für einem.<<

»Und auf diesem Trip hast du die molekulare Allesineinsheit der Dinge erfahren und den Energien deines Körpers gelauscht, didn’tyou, boy?«

»Nicht ganz«, erklärte Carmody. »Auf meinem ganz speziellen Trip habe ich ganz besonders die schöpfungsvernichtenden Energien anderer Schöpfungen erfahren können und bin über das molekular-persönliche zum atomar-äußerlichen vorgestoßen. Damit will ich sagen, daß mein Trip mich von der Realität, ganz zu schweigen von der Existenz anderer Wesen außer mir selbst überzeugt hat.«

»Das klingt nach 'nem kräftigen Stoff«, sagte Marundi. »Wo kriegt man den her?«

»Der Stoff der Erfahrung wird aus dem endlosen Tang der Praxis destilliert«, erläuterte Carmody. »Objektive Existenz wird von vielen erstrebt, aber nur wenige erreichen dieses Ziel.«

»Du willst nicht mit der Sprache raus, was?« sagte Marundi. »Macht nichts, Baby. Jeden Trip, den du machst, mach ich noch besser.«

»Das bezweifle ich.«

»Ich bezweifle nicht, daß du das bezweifelst. Aber mach dir nichts draus. Kommst du mit zur Eröffnung?«

»Zu welcher Eröffnung?«

Marundi sah ihn mit offenem Erstaunen an. »Mann, du bist nicht nur weg gewesen, du mußt hinter dem Mond gewesen sein. Heute ist die Eröffnung von dem, was jenseits allen Zweifels die wichtigste Kunstausstellung unserer Zeit, wenn nicht überhaupt aller Zeiten, ist.«

»Und was ist dieser Gipfelpunkt der Ästhetik?« wollte Carmody wissen.

»Ich gehe gerade hin«, erklärte Marundi. »Komm mit mir, und sieh es dir selbst an.«

Trotz des leisen Murrens des Preises schloß Carmody sich spontan dem Freund an. Sie gingen uptown, und Marundi erzählte unterwegs, was in der letzten Zeit so los gewesen war. Wie sich herausstellte, dasselbe wie sonst auch. Schließlich gelangten sie in die 106ste Straße, wo mehrere Gebäude abgerissen worden waren, um Platz für einen neuen Bau zu schaffen. Dieser Bau schien eine Art Schloß zu sein, aber eines, wie Carmody es noch nie zuvor gesehen hatte. Und deshalb fragte er seinen Begleiter, diesen hochgebildeten Menschen, um eine Erklärung.

»Dieses massive Gebäude, das du da vor dir siehst«, erklärte Marundi bereitwillig, »wurde von dem berühmten Architekten Delvanuey erbaut, dem wir unter anderem die legendäre Todesfalle 66 verdanken, die berühmte New Yorker Hochstraße, die noch keiner vom Anfang bis zum Ende ohne Unfall befahren hat. Es ist der selbe Delvanuey, der, wie du dich vielleicht erinnern kannst, auch das Flash-Point-Towers entwarf, Chikagos neuesten Slum; der einzige Slum der Welt, der nach dem Prinzip Funktion ist Form so gebaut wurde, daß er bereits stolz und zweckmäßig als Slum designed wirkt, und der von der >Präsidentenkommission zur Erhaltung urbaner Kunst des modernen Amerika< das Prädikat >unsanierbar< erhielt.«

»Das ist wirklich eine einzigartige Errungenschaft«, sagte Carmody ergriffen. »Wie nennt er denn dieses besondere Gebäude hier vor uns?«

»Das ist sein opus magnus«, erläuterte Marundi. »Dies, mein Freund, ist Schloß Müll!«

Die Zufahrt zu Schloß Müll, bemerkte Carmody, war sehr geschickt aus Eierschalen, Orangenschalen, Avacadokernen und Apfelkitschen aufgeschüttet. Sie führte zu einem großen Eingang, der völlig mit rostigen Bettfedern verkleidet war. Über dem Tor stand mit aufgeklebten Fischgräten geschrieben das Motto: Verschwendung zur Verteidigung des Luxus ist keine Sünde - Mäßigung zur Minderung der Exzesse ist keine Tugend<.

Sie traten ein und wanderten durch Gänge von zerknüllten Kartons in einen offenen Hof, in dem ein Napalm-Springbrunnen lustig gen Himmel flackerte. Sie umgingen ihn vorsichtig und gelangten in einen Saal aus Aluminium, Stahl, Polyethe-lene, Asbest, Styrene, imitiertem Nußbaum, Acrilan und Vinyl. Von dort zweigte eine Reihe von Gängen ab.

»Gefällt es dir?« fragte Marundi.

»Ich weiß noch nicht recht«, gestand Carmody ein. »Was, zum Teufel, soll das alles ein?«

»Ein Museum«, erklärte Marundi. »Es ist das erste Museum für menschlichen Abfall.«

»Ich verstehe«, sagte Carmody. »Und wie kommt es so an beim Publikum?«

»Zu meiner Verwunderung, muß ich gestehen, ist die Aufnahme geradezu enthusiastisch. Ich meine, wir Intellektuellen wußten schon das es gut war, doch wir haben uns nicht vorzustellen gewagt, daß die breite Öffentlichkeit auch so schnell darauf abfährt. Aber das ist sie. In dieser Beziehung haben die Massen wirklich einmal Geschmack gezeigt und bewiesen, daß sie durchaus in der Lage sind zu erkennen, was die einzig wahre Kunst dieses Jahrhunderts ist.«

»Hat sie das erkannt, die Masse, meine ich? Ich ganz persönlich finde das alles doch ein wenig schwer zu verdauen.«

Marundi sah ihn voller Mitgefühl an, aber auch mit einer gewissen Verachtung. »Von allen Leuten hätte ich erwartet, daß sie ästhetische Reaktionäre sind, aber nicht von dir. Was hättest du denn gerne? Griechische Statuen und byzantinische Ikonen vielleicht?«

»Sicher nicht. Aber warum gerade sowas hier?«

»Weil sowas hier, lieber Carmody, die Essenz unserer Gegenwart ist, auf der alle Kunst begründet werden muß. Wir konsumieren, also sind wir! Aber der Mensch hat sich bisher noch dagegen gesträubt diese vitale Tatsache anzuerkennen. Der Mensch hat sich vom Müll abgewandt, diesem einzigen nicht weiter reduzierbaren Überbleibsel der Freuden unserer Zivilisation. Und doch - was ist Abfall? Ist es nicht nur eine Mahnung, unsere Bedürfnisse nie zu vergessen, eine Erinnerung an alles, Was wir zum Leben brauchen? Wirf nichts weg, und du lebst nicht! Wer nicht verschwendet, hat nie wirklich existiert! Vergeude nichts, wünsche dir nichts. Das ist der böse alte Lehrsatz unserer gesellschaftlichen Analfixierung, die es endlich zu überwinden gilt. Warum über Müll reden? Nun, warum reden wir über Sex, über Tugend, über Schönheit oder über sonst irgendeine wichtige Sache?«

»Es klingt vernünftig«, gab Carmody zu, »wenn du es so darstellst. Trotzdem . . .«

»Komm mit mir, beobachte, lerne, erfahre dich selbst«, rief Marundi. »Das Konzept wird in dir wachsen, fast genau wie der Abfall um dich herum.«

Sie besuchten die Sammlung Alltagslärm. Hier konnte sich Carmody das Brausen wassergespülter Toiletten anhören, das Brausen des Feierabendverkehrs, das schrille Kreischen eines Unfalls, das kreischende Gebrüll eines Mob. Daneben gab es auch eine Lärmretrospektive mit dem Brausen von Stukas, dem Knattern von Repetiergewehren und dem mächtigen Dröhnen eines Dampfhammers. Gleich dahinter lag der ÜberschallknallRaum, aus dem Carmody schnell wieder draußen war.

»Puh!« sagte Carmody.

»Vielleicht«, sagte Marundi. »Der Raum ist nicht ganz ungefährlich, aber manche bleiben stundenlang da drinnen. Gleich da vorne haben wir dann das Leitmotiv der ganzen Ausstellung: das geliebte Malmen der müllfressenden Müllvernichtungsanlagen. Schön, nicht? Und da hinten rechts gibt es die weltgrößte Sammlung leerer 1-Liter-Weinflaschen. Es gibt hier auch das originalgroße Modell einer U-Bahn mit einer Berau-chungsanlage von Westingshaus.«

»Was ist denn dieses Geschrei?« erkundigte sich Carmody.

»Das sind die Bänder mit den heroischen Stimmen«, erklärte Marundi. »Das hohe, schrille Jammern ist unser neuester New Yorker Bürgermeister. Und dazu hörst du -«

»Gehen wir weiter!« verlangte Carmody.

»Sicher. Rechts geht es in die Graffiti-Abteilung. Daran anschließend kommen wir in die Fernsehantennen-Sammlung. Da sind schon die schönsten Modelle! Dies ist eine englische, anno 1960. Beachte die schwere, strenge Form, gedrungen, aber doch nicht schmucklos. Vergleiche sie einmal mit dem Kambodschanischen Typ von 1959. Siehst du die luxuriöse Orientale Verspieltheit dieses asiatischen Modells? Das ist wahre Volkskunst, wie sie sich durch das Leben selbst ausdrückt.«

Marundi wandte sich zu Carmody und erklärte überzeugt: »Sehe und glaube, mein Freund. Dies ist die Welle der Zukunft. Einstmals verschloß der Mensch sich den Freuden der ewigen Aktualität. Diese Tage sind vergangen. Wir wissen heute, daß Kunst das Ding an sich ist, zusammen mit seiner Verwertung bis hin zum Müll. Keine Pop-Art, muß ich hier schnell einfügen, die nur höhnen und übertreiben will. Nein, das hier ist Volkskunst, die Kunst, die einfach existiert, weil das Volk sie sich selbst so geschaffen hat. Dies ist das neue Zeitalter, in dem wir endlich bedingungslos das Unakzeptierbare akzeptieren werden, und so dazu kommen zu verkünden, daß unsere Künstlichkeit natürlich - die Epoche der Natürlichkeit des Künstlichen.«

»Mir gefällt das alles nicht!« rief Carmody. »Ich mag das nicht. Seethwright!«

»Nach wem schreist du da?« wollte Marundi wissen.

»Seethwright! Seethwright! Komm und hol mich raus hier, zum Teufel!«

»Er ist ausgeflippt«, sagte Marundi. »Gibt es hier irgendwo einen, Arzt?«

Sofort erschien ein kurzer, feuchthändiger Mann in einem einteiligen Latzhosenanzug. Der Mann trug einen kleinen schwarzen Koffer bei sich, an dem eine kleine silberne Plakette angebracht war, auf der stand: >Kleiner schwarzer Koffer<.

»Ich bin Arzt«, sagte der Arzt. »Lassen Sie mich den Patienten sehen.«

»Seethwright! Wo stecken Sie, verdammt noch mal!«

»Hmmmmmmmm, ich sehe«, sagte der Doktor. »Dieser Mann zeigt alle Anzeichen akuten Halluzinationsentzuges. Hmm. Ja, wenn man seinen Kopf abtastet, fühlt man deutlich, daß er hart ist und rundlich. Das ist normal für dieses Alter. Aber wenn man dann weiter fühlt . . . hmm, erstaunlich. Dieser arme Kerl ist gerade dabei, vom Mangel an Illusionen zu verhungern. Er ist wirklich ausgehungert nach Illusionen.«

»Können Sie ihm helfen, Doc?« erkundigte Marundi sich besorgt.

»Sie haben mich gerade noch rechtzeitig gerufen«, erklärte der Arzt. »Der Zustand ist noch nicht irreversibel. Ich habe hier die göttliche Nadel.«

»Seethwright!«

Der Arzt nahm eine Schachtel aus dem kleinen schwarzen Koffer, und aus der Schachtel eine Spritze und eine Ampulle, worauf er begann die Spritze aufzuziehen. »Das ist der Standard-Frischmacher«, sagte er zu Carmody. »Nichts, worüber Sie sich Gedanken machen brauchen. Ein Kind könnte das schon nehmen. Es enthält nur ein wenig Barbiturate, Amphetamine, Tranquillizer, Halluzinogene und andere gute Sachen. Dazu eine Prise Arsen, die Ihr Haar schön seidig macht. Halten Sie jetzt bitte einmal still . . .«

»Verdammt, Seethwright! Hol mich hier raus!«

»Es tut nur im ersten Augenblick weh«, versicherte der Arzt, zielte und stieß mit der Spritze zu.

Im gleichen Augenblick, oder fast im gleichen Augenblick, war Carmody verschwunden.

Auf Schloß Müll herrschte über dieses Verschwinden eine Weile konsternierte Verwirrung, die sich aber legte, nachdem jeder eine Spritze bekommen hatte. Danach wurde die Sache mit olympischer Ruhe zu Ende gebracht. Ein Priester wurde gerufen und sprach für Carmody die letzten Worte: »Überflüssiger Mensch, du gehest nun hinauf zu den herrlichen Gefilden des Unwesentlichen im Himmel, wo alle unnötigen Dinge ihren Platz finden werden.«

Aber Carmody wanderte, angetrieben von den Transitionen des getreuen Seethwright, weiter durch die endlosen Möglichkeitswelten. Er bewegte sich in eine Richtung, die man am besten als nach >unten< bezeichnen kann, hindurch durch die Myriaden potentiellen Erden, zu den möglichen Welten, danach zu den unwahrscheinlichen und schließlich in die merkwürdigen Bereiche der konstruierten Unmöglichkeiten.

Der Preis schimpfte mit ihm und sagte: »Das war deine eigene Welt, die du verlassen hast! Deine Heimat, Carmody! Bist du dir dessen bewußt?«

»Ja, ich bin mir dessen bewußt«, sagte Carmody.

»Und jetzt gibt es keine Rückkehr mehr.«

»Ich bin mir auch dessen bewußt.«

»Ich nehme an, du denkst, du könntest irgendwo ein gemütliches Utopia finden in den Welten, die vor uns liegen?« meinte der Preis mit einem verächtlichen Schnauben.

»Nein, nicht genau.«

»Was denn?«

Carmody schüttelte den Kopf und weigerte sich zu antworten.

»Was immer es auch sein sollte, du kannst es vergessen«, sagte ihm der Preis bitter. »Dein Jäger ist uns dicht auf den Fersen und wird dein unentrinnbares Verderben sein.«

»Das bezweifle ich nicht«, sagte Carmody, den eine seltsame Ruhe überkommen hatte. »Aber wenn man es langfristiger betrachtet, hatte ich sowieso nie angenommen, lebend aus diesem Universum davonzukommen.«

»Das ist doch bedeutungslos«, schnaubte der Preis. »Die traurige Tatsache ist, du hast alles verloren, Carmody.«

»Da stimme ich dir nicht zu«, erklärte Carmody. »Erlaube mir bitte, darauf hinzuweisen, daß ich im Augenblick noch am Leben bin.«

»Einverstanden. Aber nur im Augenblick.«

»Ich bin schon immer nur im Augenblick am Leben gewesen«, erklärte Carmody weiter. »Ich konnte nie mehr, als diesen einen Augenblick leben. Es war mein Irrtum, daß ich mehr erwartet habe. Und das gilt, glaube ich jetzt, für alle meine möglichen und potentiellen Lebensumstände.«

»Und was willst du nun mit deinem Augenblick erreichen?«

»Nichts«, sagte Carmody. »Alles.«

»Ich verstehe dich nicht mehr länger«, meinte der Preis. »Etwas an dir hat sich verändert, Carmody. Was ist das?«

»Eine Kleinigkeit nur«, erzählte Carmody seinem Preis. »Ich habe einfach eine Langlebigkeit aufgegeben, die ich mir sowieso immer nur eingebildet habe. Ich habe mich von dem Garderobenklatsch abgewandt, den die Götter sich ständig hinter ihren Provinzbühnen erzählen. Es ist mir egal geworden, unter welcher Schale die Perle der Allmächtigkeit nun zu finden ist. Ich brauche sie nicht. Ich brauche auch keine Unsterblichkeit. Ich habe meinen Augenblick, und der genügt mir.«

»Sankt Carmody!« rief der Preis voll triefendem Sarkasmus. »Nicht mehr als ein Atemzug trennen dich von deinem Tod! Was willst du nun mit deinem armseligen Augenblick anfangen?«

»Ich werde damit weitermachen, ihn zu leben«, sagte Carmody. »Dafür sind Augenblicke schließlich da.«

ENDE

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