TEIL ZWEI WO IST DIE ERDE?

V

»Sehr schön«, sagte der Preis. »Soweit also diese Sache. Ich bin sicher, das war das letzte, was wir von diesem häßlichen Vogel zu sehen gekriegt haben. Carmody, gehen wir endlich zu dir nach Hause.«

»Eine exzellente Idee«, bedankte sich Carmody. »Bote! Ich möchte jetzt nach Hause gehen.«

»Das ist ein ganz normaler Wunsch«, versicherte der Bote. »Und er ist zudem sehr realitätsorientiert. Ich würde sagen, daß Sie sogar nach Hause gehen sollten, und zwar so schnell wie möglich.«

»Also bringen Sie mich nach Hause«, sagte Carmody.

Der Bote schüttelte den Kopf. »Das ist nicht mein Job. Alles, was zu meinen Pflichten gehört, ist, Sie hierher zu bringen.«

»Wessen Job ist es dann?«

»Das ist Ihr eigener Job, Carmody«, erklärte ihm der LotterieBeamte.

Carmody spürte, wie seine Stimmung sich rapide verschlechterte. Er begann zu ahnen, warum der andere Carmody sich so leicht geschlagen gegeben hatte. Er sagte: »Also, Freunde, ich möchte euch wirklich nicht auf die Nerven fallen, aber ich brauche wirklich ein klein wenig Hilfe von euch.«

»Na, ist ja schon gut«, meinte der Bote schnell. »Geben Sie mir die Koordinaten, und ich bringe Sie eben vorbei.«

»Koordinaten? Davon habe ich nicht die geringste Ahnung. Es ist ein Planet mit Namen Erde.«

»Es würde mir auch nichts ausmachen, wenn er Emmentaler hieße«, sagte der Bote. »Ich brauche aber die Koordinaten, wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein soll.«

»Aber Sie sind doch gerade dagewesen«, rief Carmody. »Sie sind zur Erde gereist und haben mich von dort hierher geholt.«

»Das mag Ihnen so vorgekommen sein«, erklärte der Bote geduldig. »Aber so unkompliziert ist die Sache nun einmal nicht. Ich bin einfach zu den Koordinaten gereist, die mir der Lotterie-Beamte mitgeteilt hat, der sie wiederum paus dem Lotterie-Computer hat. So war das, und nun sind Sie hier.«

»Können Sie mich nicht zu den selben Koordinaten zurückbringen?«

»Das kann ich mit Leichtigkeit. Aber Sie würden dort nicht das Geringste vorfinden. Die Galaxis ist schließlich nicht statisch, wissen Sie. Alles in der Galaxis bewegt sich, jedes Objekt mit seiner eigenen Geschwindigkeit und in seine eigene Richtung.«

»Können Sie denn nicht aus den ehemaligen Koordinaten errechnen, wo die Erde jetzt sein müßte?«

»Ich kann nicht mal im Kopf addieren«, verkündete der Bote stolz. »Meine Talente liegen auf völlig anderen Gebieten.«

Carmody wandte sich an den Beamten. »Und Sie? Können Sie es nicht ausrechnen? Oder vielleicht der Lotterie-Computer?«

»Ich bin auch nicht sehr gut im Addieren«, gab der Beamte zu.

Der Computer kam wieder in den Raum gesurrt. »Ich kann ganz ausgezeichnet addieren«, sagte er. »Aber mein Programm beschränkt sich darauf, die Gewinner der Galaktischen Klas-sen-Lotterie auszuwählen und zu lokalisieren, innerhalb meiner zulässigen Fehlergrenze selbstverständlich. Ich habe Sie lokalisiert (Sie sind hier), und deshalb ist es mir verboten, nun den theoretisch sehr interessanten Job zu übernehmen, die Koordinaten Ihrer Heimatwelt zu ermitteln, denn damit würde ich die Kompetenz meiner Programmierung überschreiten.«

»Könnten Sie es denn nicht einfach nur tun, so als kleine Gefälligkeit für mich?« flehte Carmody.

»Für kleine Gefälligkeiten bin ich nicht programmiert«, entschuldigte sich der Computer. »Ich kann Ihren Planeten genausowenig finden, wie ich kein Ei braten kann und keine Nova vierteilen.«

»Kann mir denn niemand hier helfen?« fragte Carmody.

»Verzweifeln Sie nicht gleich«, beruhigte ihn der Beamte. »Unser Reisebüro wird die Sache schon für Sie geregelt bekommen. Ich bringe Sie gleich vorbei. Geben Sie den Damen dort nur einfach Ihre Heimatkoordinaten.«

»Aber ich weiß diese Koordinaten nicht!« rief Carmody.

Es folgte ein kurzes, schockiertes Schweigen. Dann sagte der Bote: »Wenn Sie selbst Ihre eigene Adresse nicht wissen, wie können Sie dann erwarten, daß irgend jemand anderes sie weiß? Die Galaxis ist nicht unendlich, aber sie ist ganz schön ausgedehnt. Jedes Wesen, das noch nicht einmal seine eigene Lokation kennt, seilte gefälligst zu Hause bleiben.«

»Aber das wußte ich damals nicht«, verteidigte sich Carmody.

»Sie hätten sich danach erkundigen sollen.«

»Ich habe einfach nicht daran gedacht . . . Hören Sie, Sie müssen mir einfach helfen. Es kann doch nicht so schwierig sein, herauszufinden, wo mein Planet ist.«

»Es ist unglaublich schwierig«, erklärte ihm der Beamte. »Und >Wo< ist nur eine der drei Koordinaten, die Sie brauchen.«

»Was sind denn die anderen beiden?«

»Sie müssen außerdem das >Wann< und >Welches< wissen. Wir nennen es, die drei >W< der Lokation.«

»Von mir aus können Sie es Emmentaler nennen!« schrie Carmody in einem plötzlichen Wutausbruch. »Wie finden denn andere Lebensformen ihren Weg nach Hause?«

»Sie benutzen Ihren inneren Heimatinstinkt«, belehrte ihn der Bote. »Könnte es nicht sein, daß Sie auch einen haben?«

»Kommt mir nicht so vor«, meinte Carmody.

»Natürlich kann er keinen Heimatinstinkt haben«, brach es plötzlich ungehalten aus dem Preis heraus. »Der arme Kerl ist doch noch nie von seiner Heimatwelt weggewesen. Wie soll er da einen Heimatinstinkt entwickelt haben? Sieht er aus wie ein Zugvogel?«

»Das ist nun auch wieder richtig«, gab der Beamte zu und rieb sich müde die Augen. »Das kommt dabei heraus, wenn man sich mit niedrigeren Lebensformen einläßt. Zum Teufel mit diesem verdammten Computer und seinen frommen Irrtümern.«

»Nur einer auf fünf Milliarden«, sagte der Computer ungehalten. »Da kann man wirklich nicht behaupten, das wäre zuviel.«

»Keiner macht dir Vorwürfe«, beschwichtigte der Beamte. »Niemand macht überhaupt irgend jemand Vorwürfe, das wollen wir mal feststellen. Aber wir kommen nicht darum herum, uns Gedanken zu machen, was nun mit ihm geschehen soll.«

»Es ist eine schwere Verantwortung«, sagte der Bote.

»Das ist es sicher«, stimmte der Lotterie-Beamte zu. »Was halten Sie davon, wenn wir ihn umbringen und die ganze Sache vergessen?«

»Mir soll's recht sein«, meinte der Bote.

»Wenn es euch recht ist«, erklärte der Computer, »will ich dem nicht im Wege stehen. Keine Einwände.«

»Auf mich könnt ihr da nicht zählen«, sagte der Preis. »Ich kann zwar im Augenblick nicht genau sagen was, aber irgendwas an der ganzen Idee kommt mir nicht in Ordnung vor.«

Carmody erhob einige vehemente Einwände, die alle darauf hinausliefen, daß er nicht sterben wollte und man ihn deshalb nicht umbringen sollte. Er appellierte an ihren Instinkt für das Gute und an ihre Fairnis. Diese Äußerungen wurden jedoch als tendenziös beurteilt und aus den Aufzeichnungsbändern entfernt.

»Wartet, ich hab's«, rief der Bote dann überraschend dazwischen. »Als alternative Lösung bietet sich auch das Folgende an: Bringen wir ihn nicht um. Helfen wir ihm mit größtem Ernst und allen unseren Möglichkeiten, lebendig auf seine Heimatwelt zurückzukehren, bei bester Gesundheit und in guter geistiger Verfassung.«

»Das ist ein Gedanke«, gab der Lotterie-Beamte zu.

»Auf diese Art«, führte der Bote weiter aus, »können wir eine beispielhafte Tat höchster Tugend vollbringen, die um so tugendhafter ist, als sie keinerlei Nutzen haben wird. Denn es ist ganz offensichtlich, daß er seine Heimatwelt nie lebend erreichen kann und auf der Rückreise umkommen wird.«

»Dann machen wir uns besser an die Arbeit«, meinte der Beamte. »Sonst wird er noch umgebracht, während wir hier diskutieren.«

»Was soll das heißen?« wollte Carmody wissen.

»Ich erklär dir das alles später«, flüsterte ihm der Preis zu. »Angenommen es gibt ein >später<. Und, sollten wir Zeit dafür haben, werde ich dir auch noch eine wirklich faszinierende Geschichte über mich selbst erzählen.«

»Fertigmachen, Carmody!« rief der Bote.

»Ich bin fertig«, sagte Carmody, »hoffe ich jedenfalls.«

»Fertig oder nicht, auf geht's!«

Und auf gings.

VI

Vielleicht zum erstenmal in der Geschichte der menschlichen Rasse verflüchtigte sich eines ihrer Mitglieder im wörtlichsten Sinne. Von Carmodys Gesichtspunkt aus war es allerdings alles andere, das sich verflüchtigte. Der Bote und der Beamte verschmolzen mit dem Hintergrund. Das Galactic Center verflachte sich und wurde zu einer großen, schlecht ausgeführten Wandmalerei. So kam es Carmody jedenfalls vor.

Dann erschien in der oberen linken Ecke des Wandgemäldes ein Riß, verbreiterte und verlängerte sich und raste zur unteren rechten Ecke. Die Seiten rollten sich zusammen, wie bei einem aus dem Rahmen genommenen Gemälde, und dahinter erschien bodenlose Schwärze. Kein Fetzen blieb von dem Galactic Center-Gemälde übrig.

»Keine Panik«, flüsterte ihm der Preis zu. »Das sind alles nur Tricks mit Spiegeln.«

Diese Erklärung wirkte auf Carmody wesentlich beunruhigender als der Vorgang selbst. Aber er behielt sich fest im Griff und den Preis noch etwas fester. Die Schwärze verschlang jetzt alles und jedes und wurde zu einem Paradigma des endlosen Weltraums. Carmody ertrug es, solange es dauerte, und diese Dauer ist völlig unvorstellbar.

Doch dann fügte sich die Szenerie um ihn herum überraschend wieder zusammen. Er stand auf festem Boden und atmete gesunde Luft. Er konnte kahle Bergrücken von der Farbe bleicher Knochen vor sich sehen und einen Fluß aus erstarrter Lava. Eine schwache, aber beständige Brise wehte

• •

ihm ins Gesicht. Über ihm standen drei Sonnen am Himmel.

Diese Umgebung wirkte noch fremdartiger als das Galactic Center, auf den ersten Blick jedenfalls, doch für Carmody bot der Anblick durchaus Erleichterung. Orte wie diesen hatte er schon in seinen Träumen gesehen. Aber das Galactic Center war aus dem Stoff gewesen, aus dem Alpträume sind.

Dann stellte er mit plötzlichem Erschrecken fest, daß der Preis sich nicht mehr in seiner Hand befand. Hatte er ihn hier irgendwo verlegt? Aus Versehen fallen gelassen? Er schaute sich wild um, wobei ihm auffiel, daß sich eine kleine grüne Baumschlange um seinen Hals ringelte.

»Ich bin's«, sagte die Schlange. »Dein alter Preis. Ich habe nur ein wenig meine Gestalt verändert. Die äußere Erscheinung ist eine Funktion der Umgebung, und wir Preise sind. ganz besonders sensitiv, was Umgebungen angeht. Du darfst dich davon aber keinesfalls weiter beunruhigen lassen. Ich bin noch immer an deiner Seite, alter Junge, und zusammen werden wir Mexiko schon der schlappen Hand dieses verweichlichten Dandys Maximilian entreißen!«

»Was?«

»Du sollst das als Analogie auffassen!« erbat sich der Preis mit Nachdruck. »Siehst du, Doc, trotz unserer hohen Intelligenz haben wir Preise keine richtige eigene Sprache. Es gibt für uns ja auch keinen Grund, eine eigene Sprache zu entwickeln, denn wir werden ja an immer andere Aliens mit einer immer anderen Sprache verliehen. Es ist nicht schwer für uns, die Sprachprobleme zu lösen, aber manchmal gibt es doch gewisse Mißverständnisse. Ich habe nichts anderes gemacht, als eine

Überspielleitung in dein Assoziationszentrum zu legen, und lasse mir von da alles an Worten kommen, was ich brauche, um mich klar auszudrücken. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Nichts ist wirklich klar, wenn man genauer hinsieht«, gestand Carmody ein. »Aber ich glaube, ich habe dich verstanden.«

»Gratuliere, mein Alter«, sagte der Preis. »Ich drücke mich schon mal etwas verwickelt aus, aber am Ende wirst du dich da immer durchfinden. Schließlich sind es deine Ausdrücke, die ich da benutze. Ich kann dir zu diesem Problem übrigens eine nette Geschichte erzählen, aber ich fürchte, damit werde ich noch warten müssen. Es wird hier gleich zu schnell etwas passieren.«

»Was? Was passiert hier?«

»Camody, mon vieux, niemand hat die Zeit alles zu erklären. Es ist sogar gut möglich, daß ich nicht einmal die Zeit haben werde, dir zu erklären, was du unbedingt wissen mußt, um deine Lebensprozesse in der nächsten Zeit aufrecht zu erhalten. Der Lotterie-Beamte und der Bote haben dich . . .«

»Die verdammte Mörderbande!« schrie Carmody, böses ahnend.

»Du solltest Mörder nicht so leichtfertig verurteilen«, erwiderte der Preis leicht indigniert. »Das zeugt nur von einem sehr oberflächlichen Wesen. Ich erinnere mich da eines sehr passenden Dithyrambus, den ich dir später rezitieren werde. Wo war ich stehen gelieben? Ach, ja, der Beamte und der Bote. Unter recht beträchtlichem persönlichen Kostenaufwand haben diese beiden Ehrenmänner dich an den einzigen Ort der Galaxis transportiert, wo man dir - vielleicht jedenfalls - helfen könnte. Du darfst dabei nicht vergessen, daß sie dazu keineswegs verpflichtet waren. Sie hätten dich auf der Stelle umbringen können, wegen zukünftiger Verbrechen etwa. Oder sie hätten dich an die letzte bekannte Position deines Planeten verschik-ken können, wo er mit allergrößter Sicherheit nicht ist. Oder sie hätten tatsächlich seine derzeit wahrscheinlichste Position berechnen können und dich dorthin bringen. Aber da sie miserable Rechner sind, wäre das Ergebnis einer solchen Operation aller Wahrscheinlichkeit ausgesprochen katastrophal für dich gewesen. Du siehts also . . .«

»Wo bin ich hier?« verlangte Carmody zu wissen. »Und was wird mir hier aller Wahrscheinlichkeit nach passieren?«

»Darauf wollte ich ja gerade kommen«, antwortete der Preis. »Der Planet hier wird Lursis genannt, was dir ja wahrscheinlich bereits aufgefallen sein dürfte. Er hat nur einen einzigen Einwohner - den autochthonen Melichrone, der sich hier schon immer befunden hat, solange man sich erinnern kann, und der sich hier solange befinden wird, wie man es sich vorstellen kann. Melichrone ist sui generis auf seine Art, die aber einen großen Haken hat, wie alle solche Dinge. Als ein Autochthoner ist er einzigartig, als Rasse ist er allgegenwärtig, als Einzelwesen ist er unterschiedlich. Von ihm steht geschrieben: >Weh, der einsam eponyme Held paart selbst sich ständig mit sich selbst, derweil er selbst in wildem Kampf wehrt sich dem Ansturm seiner selbst!<«

»Verdammtes Ding!« rief Carmody. »Du redest um die Sache herum wie ein Senatsuntersuchungsausschuß, ohne auch nur die geringste Information zu geben.«

»Das is' doch nur, weil ich Muffensausen hab'« erklärte der Preis mit unüberhörbarem Schluchzen. »Menschenskind, Mann, glaub' doch bloß nicht, ich hätte mir sowas hier ausgesucht. Nervenflattern krieg' ich hier, richtig fieses. Und ich red' doch nur so geschwollen daher, damit ich nicht den totalen Flattermann kriege und am Ende noch alles zusammenkippt wie so'n Kurdenhaus!«

»Karten«, korrigierte Carmody geistesabwesend.

»Kurden!« schrie der Preis ihn an. »Mensch, hast du je mit angesehen, wie so ein Kurdenhaus mit voller Wucht zusammenkracht? Ich hab's, und ich kann dir sagen, das ist kein schöner Anblick.«

»Es klingt, als ob einem die Milch dabei sauer werden könnte«, versicherte Carmody und kicherte schrill.

»Reiß dich zusammen!« flüsterte der Preis ihm zu. »Integriere dich! Vollführe die Pause, die den Geist erfrischt! Entsende deinen Thalamus zum nächsten Stern! Denn jetzt kommt's! Melichrone selbst, meine ich!«

Carmody stellte fest, daß er von einer eigenartigen Ruhe ergriffen wurde. Er blickte nach allen Richtungen über die zerklüftete Landschaft und sah nichts, was er nicht vorher schon dort gesehen hatte.

»Wo ist er?« fragte er den Preis.

»Melichrone wird gleich so hervortreten, daß er mit dir sprechen kann. Antworte ihm gerade heraus, aber mit dem nötigen Takt. Gehe nicht auf seine Mißbildung ein, kein Wort darüber, das würde ihn nur wütend machen. Achte darauf-«

»Welche Mißbildung?«

»Achte darauf, daß du seine einzige Grenze nie aus den Augen verlierst. Und vor allem, wenn er dir seine große Frage stellt, überleg dir deine Antwort ganz genau!«

»Warte!« rief Carmody. »Alles, was du tust, ist, mich noch mehr durcheinander zu bringen! Was für eine Mißbildung? Welche Grenze? Und was ist seine große Frage?«

»Nörgel nicht immer an meinen Auskünften herum!« sagte der Preis. »Das kann ich nicht ab! Und nun bin ich nicht länger in der Lage, mein Wachbewußtsein aufrecht zu erhalten. Ich habe meinen Winterschlaf schon unerträglich lange hinausgezögert, und alles nur deinetwegen. Also, mach's gut, alter Junge, und laß dir bloß keine hölzernen Waschmaschinen von jemanden andrehen.«

Und damit ringelte die Baumschlange sich bequem zurecht, nahm ihren Schwanz ins Maul und schlief ein.

»Du verdammter Schmierenkomödiant!« keuchte Carmody. »Du willst ein Preis sein? Ein Sargnagel bist du!«

Aber der Preis schlief und erwies sich Carmodys Vorwürfen gegenüber desinteressiert, wenn er sie überhaupt mitbekam. Und für Vorwürfe war nun auch wirklich nicht der rechte Zeitpunkt, denn im nächsten Augenblick verwandelte sich der öde Berg zu Carmodys linken in einen explodierenden Vulkan.

VII

Der Vulkan tobte und qualmte, spie leuchtende Flammenzungen und schleuderte rotierende Feuerbälle in den schwarzen Himmel. Dann explodierte er in eine Million bunt schimmernder Einzelteile, und jedes Teilchen spaltete sich wieder und wieder, bis der Himmel von ihrem Strahlenglanz erfüllt war, und die drei kleinen Sonnen dagegen verblaßten.

»Oh, Mann!« sagte Carmody. Es war wie bei einem mexikanischen Feuerwerk zu Ostern im Chaputelpec Park. Carmody kam nicht umhin, sich ausgesprochen beeindruckt zu fühlen.

Während er zusah, fielen die leuchtenden Partikel zur Erde und erloschen in einem eigens dazu sich bildenden Ozean. Vielfarbige Rauchfahnen stiegen aus dem Wasser, verflochten sich miteinander und verwandelten sich in Dampfwolken, aus denen sich seltsame Nebelskulpturen formten, die sich zu schillernden Regenschleiern auflösten.

»Heissa!« rief Carmody.

Der Regen fiel in immer dichteren Schleiern, und ein Wind erhob sich, der die niederrauschenden Wasser zusammenwob, bis sich aus Windböen und Regenschauern ein Kreisel bildete, der zu einem mächtigen Tornado heranwuchs. Als tosender Wirbel, schwarz mit silbernem Schimmer, näherte sich der Tornado Carmody, begleitet vom rhythmischen Krachen ohrenbetäubender Donnerschläge.

»Genug! Das reicht!« kreischte Carmody.

Als der Tornado fast vor Carmodys Fußspitzen angekommen war, verschwanden Regen und Wind himmelwärts und aus dem Donner wurde ein fernes Grollen. Statt dessen erhoben sich Psalmengesänge und Hymnen, zu denen sich DudelsackGeschmetter und das süße Jauchzen von Harfen gesellte. Höher und höher klangen die Instrumente, lauter und immer lauter, ein Lied des Triumphes und des Willkommens, nicht unähnlich der Titelmusik eines MGM-Historienfilms in Breit-, wand und 4-Kanal-Stereo, einem von den sehr teueren, nur besser. Dann gab es einen letzten Ausbruch von Musik, Licht, Farben und verschiedenen anderen Dingen, und dann wurde es still.

Ganz zum Schluß hatte Carmody die Augen zugemacht. Als er sie wieder aufmachte, bekam er gerade noch mit, wie sich Musik, Licht, Farben und die verschiedenen anderen Dinge zu der Gestalt eines heldenhaft gebauten nackten Mannes komprimierten.

»Hallo!« sagte der Mann. »Ich bin Melichrone. Wie hat Ihnen mein Auftritt gefallen?«

»Es war überwältigend«, erwiderte Carmody tief ergriffen.

»War es das? Wirklich?« fragte Melichrone. »Ich meine wirklich überwältigend? Nicht bloß beeindruckend? Die Wahrheit bitte, und keine falsche Rücksicht auf meine Gefühle!«

»Wirklich«, versicherte Carmody. »Ich war wirklich überwältigt.«

»Oh, das ist furchtbar nett von Ihnen«, bedankte sich Melichrone. »Was Sie gesehen haben, war die Ouvertüre der Einführung Meinerselbst, die ich erst kürzlich ausgearbeitet habe. Ich denke - also ich meine, daß ich das wirklich denke - diese Vorstellung sagt eine Menge über mich. Was meinen Sie?«

»Das tut sie sicher!« sagte Carmody. Er bemühte sich, einen Eindruck davon zu bekommen, wie Melichrone aussah. Aber die Heldengestalt vor ihm war rabenschwarz, von perfekten Proportionen und doch völlig gestaltlos, ohne Gesicht und jede Individualität. Das einzige individuelle Merkmal war die Stimme, die verhalten, ängstlich und ein wenig weinerlich klang.

»Das ist natürlich alles irgendwie absurd«, erklärte Melichrone. »Ich meine, sich so großartig vorzustellen und all das. Na, ja, es ist eben mein eigener Planet. Und wenn man nicht mal auf seinem eigenen Planet eine kleine Show abziehen kann, wo sonst? Oder?«

»Dagegen läßt sich nichts sagen«, antwortete Carmody.

»Denken Sie wirklich so?« erkundigte sich Melichrone vorsichtig.

»Davon bin ich aufrichtig und in tiefstem Ernst überzeugt«, versicherte Carmody.

Melichrone brütete eine Weile über dieser Versicherung, dann sagte er abrupt: »Dankeschön. Ich mag Sie. Sie sind ein intelligentes, sensitives Wesen, und Sie haben keine Angst zu sagen, was Sie denken.«

»Danke«, sagte Carmody.

»Nein, ich meine das wirklich.«

»Nun, dann, also dann bedank ich mich auch wirklich«, sagte Carmody, während er sich bemühte einen ersten Anflug von Verzweiflung in seiner Stimme zu unterdrücken.

»Und ich freue mich, daß Sie gekommen sind«, meinte Melichrone. »Wissen Sie, ich bin ein sehr intuitiv veranlagtes Geschöpf (richtig stolz bin ich darauf), und meine Intuition verrät mir, daß Sie mir helfen können.«

Es lag Carmody in diesem Moment auf der Zunge, zu sagen, daß er hierher gekommen war, um selbst um Hilfe zu bitten, nicht um jemanden Hilfe zu geben, denn er war sicher absolut nicht für große Hilfeleistungen geeignet, konnte er doch nicht einmal alleine seinen Weg nach Hause finden. Aber er entschied sich dagegen, etwas derartiges zu sagen, weil er fürchtete, Melichrone könnte darüber beleidigt sein.

»Mein Problem«, sagte Melichrone, »ist meine Situation sozusagen inhärent. Und meine Situation ist einzigartig, ehrfuchtsge-bietend, seltsam und bedeutungsvoll. Sie haben vielleicht schon gehört, daß dieser ganze Planet hier mir gehört. Aber die Sache ist noch viel umfassender. Ich bin das einzige lebende Wesen, das überhaupt hier leben kann. Andere haben es versucht, man hat Kolonien auf mir errichtet, Tiere importiert und fremde Pflanzen gesät. Alles natürlich mit meinem vollsten Einverständnis, und alles vergeblich. Ohne jede Ausnahme zerfiel alle fremde Materie nach kürzerer Zeit zu Staub, den meine Winde hinaus ins All wehten. Was halten Sie davon?«

»Eigenartig«, meinte Carmody.

»Ja, das haben Sie richtig erkannt!« rief Melichrone. »In der Tat, sehr eigenartig! Aber so ist es nun einmal. Kein Leben ist hier möglich, außer meinem eigenen und dessen Ablegern. Als ich das begriff, wurde mir richtig komisch zu Mute.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Carmody.

»Ich bin schon solange' hier, wie ich und jeder sonst, sich erinnern kann«, erklärte Melichrone. »Viele Zeitalter genügte es mir einfach als Amöbe, als Moos oder als Farn vor mich hin zu existieren. In jenen Tagen war noch alles einfach und geradeheraus. Ich lebte in einer Art Garten Eden.«

»Es muß wundervoll gewesen sein«, sagte Carmody.

»Es gefiel mir«, bestätigte Melichrone leise. »Aber natürlich konnte dieser Zustand nicht von Dauer sein. Ich entdeckte die Evolution, und so entwickelte ich mich fort, während ich meinen Planeten dabei meinen sich immer höher entwickelnden Personifizierungen anpaßte. Ich wurde viele Kreaturen, einige weniger schöne darunter. Ich wurde mir der Existenz anderer Welten, außerhalb meiner eigenen bewußt, und ich begann mit den Formen zu experimentieren, die ich dort beobachten konnte. Lange Lebensalter, ganze Geschichtszyklen, verlebte ich in der Gestalt der höchsten Lebensformen dieser Galaxis -humanoid, chterizoid, olichord und was es sonst noch so gab. Dabei entdeckte ich meine Einzigartigkeit, und dieses Wissen brachte ein Gefühl der Einsamkeit mit sich, das auf die Dauer unerträglich wurde. Also ertrug ich es nicht und versetzte mich statt dessen in eine manische Gemütslage, die einige Millionen Jahre anhielt. Ich transformierte mich in ganze Rassen von Individuen, alles Bestandteile meiner selbst, und ich erlaubte diesen Rassen, gegeneinander Krieg zu führen - ja, ich ermutigte sie regelrecht dazu. Fast zur gleichen Zeit entdeckte ich Kunst und Sexualität. Beides machte ich meinen Rassen sofort zugänglich, und für eine Weile hatte ich es wirklich sehr unterhaltsam. Ich teilte mich in maskuline und feminine Komponenten auf, jede Komponente eine völlig eigenständige Einheit, doch dabei trotzdem immer nur ein Bestandteil meines ursprünglichen Selbst. Und ich pflanzte mich mit mir selbst fort, gab mich Perversionen hin, verbrannte mich auf dem Scheiterhaufen, schloß Friedensverträge mit mir selbst, heiratete mich selbst und ließ mich von mir selbst scheiden, durchlebte zahllose Selbst-Tode und Eigen-Geburten. Und meine Komponenten befaßten sich mit Religion und Kunst. Bei letzterem kamen einige hübsche Sachen heraus. Sie beteten mich natürlich an, aber das war nur angemessen, schließlich war ich für sie die eigentliche Ursache all ihres Seins. Aber ich ließ sogar zu, daß sie höhere Wesen erfanden und verehrten, die nicht ich waren. Denn in jenen Tagen war ich extrem liberal eingestellt.«

»Das ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen gewesen«, sagte Carmody.

»Nun, ich gebe mir immer Mühe, Rücksicht zu nehmen«, meinte Melichrone. »Außerdem konnte ich es mir damals leisten rücksichtsvoll zu sein, denn, was diesen Planeten hier angeht, war ich Gott. Es hat keinen Zweck, um den heißen Brei herum zu reden: Ich war allgegenwärtig, unsterblich, allmächtig und allwissend. Alle Dinge dieser Welt existierten nur in mir und durch mich - selbst abweichlerische Ansichten über mich selbst. Kein einziger Grashalm wuchs, der nicht der allerwinzigste Bestandteil meines Wesens war. Jeder Berg, jeder Fluß, alles war von mir gestaltet worden. Ich bestimmte die Erntezeit, und ich bestimmte die Hungersnöte. Ich war das Leben in den Spermen und der Tod in den Pestbazillen. Kein Blatt konnte ohne mein Wissen vom Baum fallen, denn ich war der, der Halt gibt, und der, der löst, das Eine und die Vielen, das, Das Immer War und Das Immer Sein Wird.«

»Das war wirklich etwas«, pflichtete Carmody anerkennend bei.

»Oh, ja«, sagte Melichrone mit einem selbstbewußten feinen Lächeln. »Ich war das Große Rad in der Himmlischen Fahrradfabrik, wie einer meiner Dichter mich pries. Es war alles wirklich ganz herrlich damals. Mein Volk machte Gemälde, und ich machte Sonnenuntergänge. Mein Volk schrieb über die Liebe, und ich erfand die Liebe. Ach, was für wundervolle Tage! Wenn sie nur nie vorübergegangen wären.«

»Wie konnten sie?« fragte Carmody mitfühlend.

»Weil ich erwachsen wurde«, sagte Melichrone traurig. »Unnennbare Äonen lang hatte ich selbst in meiner Schöpfung entdeckt. Nun begann ich mich selbst und meine Schöpfungen in Frage zu stellen. Wissen Sie, meine Priester hatten ständig lange Dispute unter sich über meine Natur und meine Qualitäten und solche Dinge. Und ich begann ihnen wie ein Narr zuzuhören. Es ist immer amüsant den eigenen Priestern zu lauschen, wie sie einen selbst diskutieren, aber es kann auch gefährlich werden. Ich begann mich selbst auch nach meiner Natur und meinem Sinn zu fragen. Und je mehr ich darüber nachdachte, um so schwieriger schien alles zu werden.«

»Aber warum mußten Sie sich denn überhaupt selbst in Frage stellen?« fragte Carmody. »Schließlich waren Sie doch Gott.«

»Das war doch gerade das Kreuz an der ganzen Geschichte«, erklärte Melichrone. »Aus dem Blickwinkel meiner Geschöpfe gab es keine Probleme. Ich war Gott, meine Wege waren unergründlich, aber meine Funktion bestand darin, eine Rasse von Wesen zu hegen und zu pflegen, die freien Willen besaß, wenn sie auch nur aus meiner eigenen Essenz bestand. Soweit es sie anbelangte, war alles, was ich tat, völlig in Ordnung, denn es war ja Gott, der es tat. Das bedeutete nichts anderes, als daß meine Handlungen, selbst die einfachsten und auf der Hand liegendsten, sich jeder letzten Analyse entzogen und unerklärlich blieben, denn ich selbst war ja genauso unerklärlich. Oder, wenn man es anders sagen wollte, daß meine Handlungen der rätselhafte Ausdruck meiner totalen Realität waren, die wiederum nur ich selbst als Gottheit in ihrer Totalität wahrnehmen könnte. So sahen es jedenfalls einige meiner führenden Denker, und sie fügten hinzu, daß ihnen ein vollständigeres Verständnis dieser meiner Realität im Himmel zuteil werden würde.«

»Haben Sie auch einen Himmel geschaffen?« wollte Carmody wissen.

»Sicher doch. Auch eine Hölle dazu.« Melichrone lächelte. »Sie hätten ihre Gesichter sehen sollen, wenn ich sie an dem einen oder dem anderen Ort auferstehen ließ! Nicht einmal die Hingebungsvollsten unter ihnen hatten wirklich an ein Leben nach dem Tode geglaubt.«

»Ich nehme an, das war eine sehr dankbare Sache«, vermutete Carmody.

»Für eine Weile war es wirklich ganz nett, und die im Himmel hatten natürlich ganz besonders viel Spaß an der Sache«, bestätigte Melichrone. »Aber dann wurde es doch langweilig für mich. Ich bin sicher so eitel wie jeder andere Gott auch, aber diese endlosen gläubigen Lobpreisungen langweilten mich so lange, bis sie mir richtig auf die Nerven gingen. Warum in Gottes Namen sollte ein Gott gepriesen werden, der nichts anderes tat, als seinen göttlichen Pflichten nachzukommen? Genausogut könnte man eine Ameise dafür lobpreisen, daß sie ihren Ameisenpflichten nachkommt. Der Zustand der Dinge erschien mir unbefriedigend. Und mir fehlte noch immer jede wahre Selbsterkenntnis, außer der, wie ich aus den Augen meiner eigenen Geschöpfe wirkte, und denen fiel nicht mehr neues ein.«

»Was haben Sie dann gemacht?« fragte Carmody.

»Ich schaffte sie ab«, erzählte Melichrone. »Ich demontierte alles Leben auf meinem Planeten, wie immer es gerade beschaffen war, und das Leben nach dem Tode schaffte ich auch gleich mit ab. Um es ganz offen zu sagen, ich brauchte Ruhe zum Nachdenken.«

»Puh!« meinte Carmody schockiert.

»Genau besehen«, versicherte Melichrone schnell, »habe ich nichts und niemanden zerstört. Ich holte einfach nur alle Fragmente, in die ich mich im Laufe der Zeit aufgelöst hatte, wieder in mich selbst zurück.« Melichrone grinste plötzlich. »Ich hatte da eine ganze Truppe wildäugiger Burschen, die immer die totale Einheit mir mir predigten. Die haben sie jetzt erreicht, das ist nicht zu bezweifeln.«

»Vielleicht gefällt es denen jetzt besonders«, überlegte Carmody.

»Wie kann ihnen jetzt etwas gefallen?« meinte Melichrone. »Einheit mit Mir, das bedeutet Ich zu sein. Notwendigerweise geht diese Einheit mit dem Verlust des Bewußtseins einher, mit dem jemand eine solche Einheit bemerken könnte. Es ist genau das gleiche wie der Tod, nur das es sich viel hübscher anhört.«

»Das ist sehr interessant«, sagte Carmody. »Aber ich glaube, Sie wollten sich mit mir über ein Problem unterhalten.«

»Genau, das wollte ich! Ich wollte gerade darauf kommen. Sehen Sie, ich habe mich von meinem Volk abgewandt und es beseitigt ganz so, wie ein Kind seine Spielsachen aufgibt, wenn es älter wird. Und dann habe ich mich hingesetzt - metaphorisch gesprochen natürlich - und über mein Problem nachgedacht. Und mein wirkliches Problem bestand darin, herauszufinden, was meine Bestimmung war, meine wirkliche Aufgabe, das, wozu ich da war. Sollte ich tatsächlich nichts anderes sein als Gott? Ich hatte dieses Gott-Business ausführlich ausprobiert und es eine sehr beschränkte Beschäftigung gefunden. Es war der richtige Job für einen einfältigen Egomanen. Es mußte etwas anderes für mich zu tun geben - etwas bedeutungsvolleres, etwas, das meinem wahren Selbst wirklich Ausdruck verlieh. Ich bin überzeugt davon, daß es so etwas geben muß. Das ist mein Problem und das ist die Frage, die ich Ihnen stellen möchte: Was soll ich mit mir selbst anfangen?«

»Nun«, sagte Carmody. »Nun, gut. Ja, ich sehe schon, wo Ihr Problem liegt.« Er räusperte sich und rieb sich nachdenklich die Nase. »Ein Problem wie dieses verlangt eine ganze Menge Nachdenken.«

»Zeit spielt für mich keine Rolle«, erklärte Melichrone. »Ich habe grenzenlose Mengen davon zur Verfügung. Aber Sie haben das leider nicht, so leid mir es tut, darauf aufmerksam machen zu müssen.«

»Ich habe das nicht? Wieviel Zeit habe ich denn?«

»Etwa zehn Minuten nach Ihrer Zeitrechnung. Kurz danach wird Ihnen mit größter Wahrscheinlichkeit etwas äußerst Unangenehmes zustoßen.«

»Was wird mir zustoßen? Und was kann ich dagegen tun?«

»Also bitte, bleiben wir doch fair«, beschwerte Melichrone sich. »Erst beantworten Sie meine Frage, und dann beantworte ich Ihre.«

»Aber wenn ich nur zehn Minuten habe . . .«

»Diese Begrenzung wird Ihnen helfen, sich zu konzentrieren«, versicherte Melichrone. »Wie auch immer, hier ist mein Planet, und auf dem passiert alles nach meinen Regeln. Ich kann Ihnen versichern, wenn es Ihr Planet wäre, würde ich mich auch ganz nach Ihren Regeln richten. Das kann man doch einsehen, oder nicht?«

»Schon, doch, ich nehme an, das muß wohl so sein«, bestätigte Carmody unglücklich.

»Neun Minuten«, sagte Melichrone.

Wie erklärt man einem Gott, was seine Aufgabe sein soll? Besonders, wenn man wie Carmody auch noch Atheist ist? Wie kann man sich etwas Bedeutungsvolles einfallen lassen, wenn man weiß, daß die eigenen Priester und Philosophen des Gottes ergebnislos Jahrhunderte über dieser Frage gebrütet haben?

»Acht Minuten«, sagte Melichrone.

Carmody öffnete den Mund und begann loszureden.

VIII

»Es scheint mir«, sagte Carmody, »die Lösung für Ihr Problem ist - ist - ist möglich -«

»Ja?« forschte Melichrone begierig.

Carmody hatte nicht die geringste Vorstellung, was er nun sagen wollte. Er redete in der verzweifelten Hoffnung, daß der Akt des Redens selbst schon den nötigen Sinn ergeben würde, denn Worte haben schließlich ihre Bedeutung, und Sätze haben sogar noch mehr Bedeutung als einzelne Worte.

»Ihr Problem«, fuhr Carmody fort, »besteht darin, in Ihnen selbst eine innere Seinsaufgabe zu entdecken, die einen eindeutigen Bezug zur äußeren Realität aufweist. Dies kann sich allerdings als unmöglich erweisen, denn Sie sind ja selbst eine Realität, weshalb Sie sich selbst kaum außerhalb dieser Realität erkennen können. Ich meine, Sie können Ihre eigene Realität ja nicht verlassen.«

»Wenn ich will, kann ich das«, meinte Melichrone dumpf. »Ich kann verdammt alles machen, was ich will, schließlich habe ich hier ganz allein zu sagen. Und was welche Realität ist, bestimme ich. Ich kann mich auch auf mehrere Realitäten aufteilen. Ein Gott zu sein, heißt nicht, daß man auch ein Solipsist sein muß.«

»Wahr, wahr«, sagte Carmody schnell. (Hatte er noch sieben Minuten übrig? Oder sechs? Und was würde am Ende dieser Frist mit ihm passieren?) »Dann ergibt sich daraus ganz klar, daß die Ihnen eigene Immanenz und Innerlichkeit in Ihren eigenen Augen unzureichend sind, was bedeutet, das sie auch faktisch unzureichend sind, denn Sie als Selbstbestimmer der Fakten Ihrer Realität haben sie bestimmt, so zu sein, wie sie sind, nämlich unzureichend.«

»Das haben Sie schön gesagt«, lobte Melichrone. »Sie sollten Theologe werden.«

»Im Augenblick bin ich Theologe«, versicherte Carmody ihm (Sechs Minuten, fünf Minuten?) »Wir wissen jetzt, wie die Dinge stehen. Was ergibt sich also daraus für Sie? . . . Haben Sie schon einmal daran gedacht, alles Wissen, und zwar Ihr internes und Ihr externes (angenommen es gibt so etwas wie externes Wissen überhaupt) gemeinsam zur Lösung Ihres Problems zu Rate zu ziehen?«

»Um die Wahrheit zu sagen, an so etwas habe ich auch bereits gedacht«, erklärte Melichrone. »Unter anderem las ich jedes Buch in der Galaxis, ergründete die Geheimnisse der Natur und des Menschen, erforschte den Makrokosmos und den Mikrokosmos und so weiter. Eine Zeitlang hatte ich richtig Freude am Lernen, in der letzten Zeit habe ich dann aber doch wieder einiges vergessen. An das Geheimnis des Lebens oder den wahren Sinn des Todes kann ich mich z. B. im Augenblick nicht mehr recht erinnern. Aber ich kann das alles wieder lernen, wenn ich Lust dazu habe. Ich habe gelernt, daß Lernen ein trockene, einseitig passive Sache ist, wenn man auch hin und wieder ein paar wirklich nette Überraschungen dabei erleben kann. Und außerdem habe ich gelernt, daß Lernen keine besondere und unverzichtbare Bedeutung für mich hat. Tatsächlich finde ich das Verlernen fast genauso interessant.«

»Vielleicht ist es Ihnen bestimmt, Künstler zu werden«, schlug Carmody vor.

»Diese Phase habe ich auch schon durchgemacht«, sagte Melichrone. »Ich habe Skulpturen aus Lehm und Fleisch angefangen, ich habe Sonnenuntergänge auf den Himmel und auf Leinwand gemalt, Bücher in Worten geschrieben und Romane Wirklichkeit werden lassen, ich habe Musik für die verschiedensten Instrumente komponiert und Symphonien für Regen und Wind. Meine Arbeiten waren nicht schlecht, glaube ich. Aber irgendwie weiß ich, daß ich immer nur ein Dilettant sein werde. Meine Allmächtigkeit erlaubt mir keine Fehler, wissen Sie. Und da ich die Wirklichkeit hier so allumfassend kontrolliere, ist Präsentation der Kunst für mich etwas völlig abstraktes, das ich nie richtig nachempfinden kann.«

»Hmm, ich verstehe«, sagte Carmody. (Mehr als drei Minuten konnten bestimmt nicht mehr übrig sein!) »Warum werden Sie kein Eroberer?«

»Es besteht keine Notwendigkeit für mich, etwas zu erobern, das ich bereits besitze«, meinte Melichrone. »Und andere Welten, nach denen habe ich nun wirklich kein besonderes Verlangen. Meine besonderen Qualitäten sind ja milieuabhängig, und mein angestammtes Milieu besteht aus diesem Planeten hier. Der Besitz anderer Welten würde mich nur zu meinem Wesen völlig fremden, unnatürlichen Handlungen treiben. Und mal ganz abgesehen davon - was hätte ich schon von irgendwelchen anderen Welten, wenn ich schon mit meiner eigenen nichts anzufangen weiß.«

»Ich sehe, daß Sie sich mit der Sache wirklich sehr intensiv auseinandergesetzt haben«, sagte Carmody, dessen Verzweiflung langsam in Hoffnungslosigkeit überging.

»Natürlich habe ich das. Ich habe einige Millionen Jahre lang an kaum etwas anderes gedacht. Ich habe nach einem Sinn meiner Existenz gesucht, der zugleich außerhalb derselben begründet und doch essentiel mit ihr verbunden ist. Ich suchte überall nach einer Handlungsanweisung, meiner ureigenen kosmischen Direktive, aber ich fand nur immer wieder mich selbst.«

Carmody hätte echtes Mitgefühl für den Gott Melichrone empfunden, wenn seine eigene Lage nicht so verzweifelt gewesen wäre, daß ihm für solche Gefühle nicht mehr viel Leidensfähigkeit übrig blieb. Was er tatsächlich empfand, war ziemliche Verwirrung. Er spürte, wie die Zeit ihm zwischen den Fingern zerrann, und seine Ängste mischten sich auf absurde Weise mit seinem Gefühl für die Leiden dieses unerfüllten Gottes.

Dann hatte er eine Inspiration. Sie war einfach, folgerichtig und löste beide Probleme, sein eigenes und das von Melichrone - was ein glaubwürdiges Zeichen für eine wirklich gute Inspiration ist. Ob Melichrone sie akzeptieren würde, stand auf einem anderen Blatt. Aber mehr als versuchen, konnte Carmody es nicht.

»Melichrone«, ließ er kühn vernehmen, »ich habe die Lösung für dein Problem gefunden.«

»Oh, haben Sie wirklich?« fragte Melichrone gespannt. »Ich meine wirklich wirklich. Also, ich meine, Sie sagen das jetzt nicht nur, weil Sie in siebenunddreißig Sekunden von Ihrem Schicksal ereilt werden, wenn Sie mein Problem nicht zu meiner Zufriedenheit gelöst haben? Diese Aussicht hat Sie doch nicht etwa zu leichtfertigen Schlußfolgerungen verführt?«

»Ich habe dem mir drohenden Schicksal nur erlaubt«, verkündete Carmody majestätisch, »mich soweit zu beeinflussen, wie ein solcher Einfluß der Lösung Ihres Problemes forderlich ist.«

»Ach so, das ist in Ordnung. Dann schnell, erzählen Sie es mir, ich bin so aufgeregt.«

»Das würde ich gern tun«, sagte Carmody, »aber ich kann nicht - es ist mir einfach physikalisch unmöglich alles zu erzählen - wenn Sie mich in siebzig oder sechzig Sekunden umbringen.«

»Ich? Ich habe doch nicht vor, Sie umzubringen! Gütiger Himmel, halten Sie mich wirklich für so blutrünstig? Nein, Ihr Tod ist ein äußeres Ereignis, ganz ohne jeden Bezug zu meiner Person. Bei dieser Gelegenheit, Sie haben nur noch zwölf Sekunden.«

»Das reicht nicht«, stöhnte Carmody.

»Natürlich reicht das! Das hier ist meine Welt, wissen Sie, und ich kontrolliere alles in dieser Welt einschließlich der Dauer der Zeit. Ich habe gerade das örtliche Raum-Zeit-Kontinuum im Zehn-Sekunden-Bereich geändert. Für einen Gott ist das keine schwierige Sache, auch wenn man nachher eine Menge saubermachen muß. Dementsprechend dauern Ihre zehn Sekunden jetzt etwa 25 Jahre meiner örtlichen Zeit. Reicht das?«

»Das ist mehr als ausreichend«, versicherte Carmody. »Und es ist sehr nett von Ihnen.«

»Keine Ursache«, wehrte Melichrone ab. »Aber jetzt lassen Sie mich bitte Ihre Lösung hören.«

»Tja«, sagte Carmody und atmete tief durch, »die Lösung Ihres Problems ergibt sich zwangsläufig aus der Betrachtungsweise, mit der Sie an Ihr Problem herangehen. Sie ist der Betrachtungsweise sozusagen immanent. Anders kann es gar nicht sein. Jedes Problem trägt in sich selbst immer auch den Samen seiner Lösung.«

»Trägt es?« erkundigte Melichrone sich interessiert.

»Es trägt«, verkündete Carmody fest.

»In Ordnung. Für den Augenblick will ich das als Prämisse akzeptieren. Nur weiter!«

»Betrachten Sie also Ihre Situation«, sagte Carmody. »Betrachten Sie die internen und die externen Aspekte dieser Situation. Sie sind der Gott dieses Planeten; aber nur dieses Planeten. Sie sind allwissend und allmächtig, aber nur hier. Sie haben beeindruckende intellektuelle Möglichkeiten, und Sie fühlen sich berufen, einer Sache zu dienen, die außerhalb Ihrer selbst liegt, einer externen Aufgabe. Aber Ihre großen Talente wären an jedem anderen Ort verschwendet, weil sie nur hier richtig zum Tragen kommen, und hier sind nur Sie.«

»Ja, ja, genau das ist meine Situation!« schrie Melichrone. »Aber Sie haben mir noch immer nicht gesagt, was ich tun kann, um sie zu ändern!«

Carmody holte tief Luft und atmete langsam aus. »Was Sie tun müssen«, verkündete er, »ist, all Ihre großartigen Gaben zu nutzen, und zwar hier auf Ihrem eigenen Planeten, wo diese Gaben den größten Effekt erzielen können; und Sie müssen diese Gaben für den Dienst an einem anderen nutzen, denn genau dies ist Ihr tiefstes Verlangen.«

»Im Dienst eines anderen?« fragte Melichrone.

»So sieht es aus«, erklärte Carmody. »Selbst die oberflächlichste Betrachtung Ihres Problems deutet schon in diese Richtung. Sie sind allein in einem multiplexen Universum, aber um eine äußere Tat zu vollbringen muß es eine Außenwelt geben, während Sie hier nur Innenwelt haben. Ihr ureigenstes Wesen hindert Sie daran, die Außenwelt aufzusuchen. Deshalb muß die Außenwelt zu Ihnen kommen. Wenn sie kommt, die Außenwelt, welche Beziehung kann sich dann nur zwischen Ihnen und der Außenwelt entwickeln? Das ist völlig klar. Da Sie auf Ihrer eigenen Welt allmächtig sind, kann man Ihnen nicht helfen oder Sie unterstützen, aber Sie können anderen helfen und sie unterstützen. Das ist die einzige natürliche sinnvolle Beziehung zwischen Ihnen und dem Rest des Universums.«

Melichrone dachte darüber nach und meinte dann: »Ihr Vorschlag ist beachtlich. Er ist überzeugend, das muß ich zugeben. Aber es gibt doch einige Schwierigkeiten. Zum Beispiel kommt die Außenwelt sehr selten bei mir vorbei. Sie sind der erste Besucher, den ich seit zweieinhalb galaktischen Revolutionen habe.«

»Es ist eine Arbeit, die Geduld verlangt«, räumte Carmody ein. »Aber Geduld ist etwas wirklich erstrebenswertes. Zudem dürfte sie Ihnen leicht fallen, da Sie die Zeit manipulieren können. Und was die Zahl der Besucher angeht - zu allererst muß gesagt werden, daß Quantität keinen Einfluß auf Qualität hat. Es liegt kein besonderer Wert in der großen Zahl allein. Ein Mann oder ein Gott macht seine Arbeit, das ist alles, was zählt.

Ob diese Arbeit nun ein oder eine Million Transaktionen verlangt, macht keinen Unterschied.«

»Aber ich bin doch genau so schlecht daran, wie vorher, wenn ich eine Arbeit habe, aber niemanden für den ich sie tun kann.«

»Mit aller Bescheidenheit möchte ich doch darauf hinweisen«, sagte Carmody, »daß Sie mich haben. Ich bin aus der Außenwelt zu Ihnen gekommen. Ich habe ein Problem; nein, ich habe sogar mehrere Probleme. Für mich sind diese Probleme unlösbar. Für Sie - nun, ich weiß nicht. Aber ich vermute, daß es eine Aufgabe ist, die Ihren überragenden Fähigkeiten das Äußerste abverlangen wird.«

Melichrone dachte sehr lange still darüber nach. Carmody s Nase begann zu jucken, aber er widerstand dem quälenden Verlangen, daran zu kratzen. Er wartete, und der ganze Planet wartete mit ihm, während Melichrone sich die Sache durch den Kopf gehen ließ.

Schließlich hob Melichrone seinen jadeschwarzen Kopf und sprach: »Ich glaube wirklich, da ist was dran.«

»Es freut mich, so etwas von Ihnen zu hören«, sagte Carmody.

»Aber ich meine das - wirklich, ganz ernst!« versicherte Melichrone. »Ihre Lösung scheint mir sowohl folgerichtig, als auch elegant zu sein. Und bei weiterer Betrachtung will es mir scheinen, daß das Schicksal selbst, das Menschen, Götter und Planeten beherrscht, unser Treffen hier vorbestimmt hat. Daß ich, ein Schöpfer, ohne eine Aufgabe erschaffen wurde; und daß Sie, ein Erschaffener, zum Schöpfer einer Aufgabe wurden, die nur ein Gott für Sie ausführen kann. Und das Ihnen nun vorbestimmt war, Ihre Lebenszeit darauf zu warten, daß ich Ihnen Ihr Problem löse, während mir bestimmt war, hier eine halbe Ewigkeit darauf zu warten, daß Sie mir Ihr Problem zur Aufgabe machen.«

»Das würde mich nicht im geringsten überraschen«, bestätigte Carmody begeistert. »Würden Sie jetzt vielleicht gerne mein Problem kennenlernen?«

»Ich habe es bereits ermittelt«, erklärte Melichrone. »In Folge meines überlegenen Intellekts und meiner großen Erfahrung weiß ich sogar mehr über Ihr Problem, als Sie selbst darüber wissen. Grob vereinfacht, besteht Ihr Problem darin, wie Sie nach Hause kommen sollen.«

»Genau das ist es.«

»Nein, genau ist es das nicht. Ich weiß schon, warum ich etwas so sage, wie ich es sage. Wenn ich grob vereinfacht sage, meine ich auch grob vereinfacht. Vereinfacht ausgedrückt, müssen Sie wissen Wo, Wann und Welcher Ihr Planet ist, und Sie brauchen einen Weg, dorthin zu gelangen, und Sie müssen dort in etwa in dem Zustand ankommen, in dem Sie sich zur Zeit noch befinden. Wenn das alles wäre, dann wäre die Sache schon schwierig genug.«

»Was gibt es denn sonst noch?« fragte Carmody.

»Na, da ist selbstverständlich noch der Tod, der Sie unerbittlich verfolgt.«

»Oh«, sagte Carmody. Er fühlte sich plötzlich sehr weich in den Knien, und Melichrone erschuf zuvorkommenderweise einen Lehnstuhl für ihn, dazu eine Havanna-Zigarre, einen Rum Collins, ein paar warme Filzpantoffeln und einen fellgefütterten Hausmantel.

»Bequem so?« fragte Melichrone.

»Sehr.«

»Gut. Dann passen Sie jetzt gut auf. Im Folgenden werde ich mich bemühen, Ihnen Ihre Situation kurz, aber prägnant zu erläutern, wozu ich nur einen kleinen Teil meines Geistes abstellen muß, während der Rest sich gleichzeitig an die Aufgabe machen wird, eine angemessene und kostengünstige Lösung für Ihr Problem zu finden. Aber Sie müssen genau zuhören und versuchen alles beim ersten Mal gleich richtig zu verstehen, denn wir haben nicht viel Zeit, extrem wenig sogar.«

»Ich dachte, Sie hätten meine zehn Sekunden zu 25 Jahren ausgedehnt?« meinte Carmody.

»Das habe ich auch. Aber die Zeit ist eine besonders trickreiche Variable, selbst für einen wie mich. Achtzehn von Ihren 25 Jahren sind schon vorbei, und der Rest geht auch schon immer schneller. Aufgepaßt jetzt! Ihr Leben hängt davon ab.«

»Alles klar«, sagte Carmody. Er beugte sich vor und zog an seiner Zigarre. »Kann losgehen, ich bin soweit.«

»Das erste, was Sie verstehen müssen«, begann Melichrone, »ist die Natur jenes unerbittlichen Todes, der Ihnen so hartnäk-kig auf den Fersen ist.«

Carmody spürte eine leichte Gänsehaut und beugte sich noch weiter vor, um alles mitzubekommen.

IX

»Eine der aller grundlegendsten Tatsachen dieses Universums«, sagte Melichrone, »besteht darin, daß eine Spezies die andere Spezies frißt. Das ist vielleicht nicht sehr hübsch, aber so ist es nun einmal. Fressen ist ein Grundgesetz, und die Beschaffung der Futtermittel die Ursache für die meisten anderen Phänomene des Lebens. Aus diesem Konzept ergibt sich das Gesetz des Gefressenwerdens, das sich wie folgt ausdrük-ken läßt: Jede Spezies, wie hoch oder niedrig sie entwickelt sein mag, frißt eine oder mehrere andere Spezies und wird von einer oder mehreren anderen Spezies gefressen.

Daraus ergibt sich ein Grundzustand des Universums, der von bestimmten Umständen bestärkt oder bedroht werden kann, jedenfalls aber als geschlossenes, sich selbst regulierendes System seinen eigenen Erhalt garantiert. Im Kleinen wiederholt sich dieses Prinzip. Jede Rasse schafft es unter natürlichen Umständen in ihrem gegebenen Lebensraum ein Gleichgewicht mit ihren Feinden aufrecht zu erhalten, womit der überwiegenden Mehrheit dieser Spezies erlaubt ist, ihre Lebenszeit in Ruhe auszuleben trotz der Verfolgung durch ihre Verfolger. Dieses Gleichgewicht drücken wir für gewöhnlich mit der Sieger-Besiegten-Relation aus, auch SB-Gleichung genannt. Wenn eine Spezies oder ein einzelnes Mitglied eines Spezies sich in einen fremden und exotischen Lebensraum begibt, verändert sich ganz zwangsläufig der SB-Wert. Gelegentlich gibt es zunächst eine vorübergehende Verbesserung in der Fressen-und-Gefressenwerden-Relation (Sb frei Fg-frei 1). Weit häufiger kommt es aber zu einer Verschlechterung (Sb frei Fg frei 1), die sich langfristig immer einstellt.

Letzteres ist Ihnen passiert, Carmody. Sie haben Ihren natürlichen Lebensraum verlassen, was auch heißt, daß Sie keine natürlichen Verfolger mehr haben. Kein Auto kann sich hier an Sie heranpirschen, kein Virus in Ihr Blut schleichen, kein Polizist kann Sie hier aus Versehen niederknallen. Sie sind von den Gefahren der Erde getrennt, und gegenüber den Gefahren für die anderen galaktischen Spezies sind Sie immun.

Aber diese Verbesserung (Sb frei Fg frei 1) kann eben nur von sehr kurzer Dauer sein. Das eiserne Gesetz des Gefressenwerdens, ohne das die kosmische Natur kein Gleichgewicht bewahren könnte, sorgt für den zwangsläufigen Ausgleich. Sie können nicht aufhören zu jagen, und Sie können nicht verhindern, daß Sie gejagt werden. Ihre Verfolgung ist daher eine Notwendigkeit in sich selbst.

Nachdem Sie die Erde verlassen haben, sind Sie zu einer einzigartigen Kreatur geworden, daher ist Ihr Verfolger auch einzigartig.

Ihr Verfolger wurde als Personifikation und Erfüllungswerkzeug eines kosmischen Gesetzes geboren. Er ist ein Raubtier, daß sich einzig und allein von Ihnen ernährt - ein Carmodyfres-ser. Er wurde passend zu Ihren spezifischen Charakteristika erschaffen. Seine Form und seine Fähigkeiten sind ideal seiner Ernährungsweise angepaßt. Ohne ihn je gesehen zu haben, wissen wir, daß sein Gebiß dafür geschaffen ist, Carmodys zu zerreißen, seine Klauen dafür geformt sind, Carmodys zu pak-ken, sein Magen auf die Verdauung von Carmodys eingestellt ist und seine ganze Persönlichkeit auf die optimale Ausnutzung der Schwächen der carmodyschen Persönlichkeit.

Ihre Situation hat Sie zu etwas Einzigartigem gemacht, Carmody. Also ist Ihr Verfolger auch einzigartig. Es ist Ihr ganz persönlicher Tod, der Sie verfolgt, Carmody, und er tut das mit einer Verzweiflung, die der Ihren nicht nachsteht. Wenn er Sie erwischt, sterben Sie; wenn Sie ihm zurück zu den normalen Verfolgern Ihrer natürlichen Umgebung entkommen, stirbt er aus Mangel an carmodyschem Fressen den Hungertod.

Es gibt nichts, was ich Ihnen sagen könnte, damit Sie dieser Gefahr besser ausweichen können. Ich kann die Tricks und die Verkleidung, mit denen der Verfolger sich Ihnen nähern wird, nicht voraussehen, genausowenig wie ich Ihre Tricks voraussehen kann. Ich kann Sie nur warnen, daß die Wahrscheinlichkeit in der Regel den Jäger begünstigt, obwohl man auch schon von geglückten Fluchten gehört haben soll.

Das ist Ihre Lage, Carmody. Haben Sie mich verstanden?«

Carmody fuhr hoch, wie ein Mann aus tiefem Schlaf. »Ja«, erklärte er, »ich habe nicht alles verstanden, was Sie mir gesagt haben. Aber die wichtigen Dinge habe ich mitbekommen.«

»Gut«, sagte Melichrone »Denn wir haben keine Zeit mehr übrig. Sie müssen diese Welt auf der Stelle verlassen. Nicht einmal ich auf meinem eigenen Planeten kann das kosmische Gesetz des Gefressenwerdens außer Kraft setzen.«

»Können Sie mich zur Erde zurückbringen?« fragte Carmody.

»Wenn ich ausreichend Zeit dafür hätte, könnte ich das aller Wahrscheinlichkeit nach«, behauptete Melichrone. »Aber, wenn ich ausreichend Zeit dafür habe, kann ich natürlich praktisch alles. Einfach wäre es jedenfalls nicht, Carmody. Zunächst einmal müßten die drei großen W bestimmt werden, und zwar jede dieser Variablen durch die beiden anderen. Das hieße, ich müßte erst einmal ermitteln, Wo im Raum-ZeitKontinuum sich Ihr Planet zur Zeit exakt befindet. Dann hieße es, herauszufinden Welche von den Alternativerden der Möglichkeitskette die Ihre ist, und endlich müßte ich die temporale Sequenz suchen, in der Sie geboren wurden, um das richtige Wenn zu bestimmen. Dazu gilt es dann noch den Skorischef-fekt und den Verdopplungsfaktor zu berücksichtigen, mit denen beiden nicht zu spaßen ist. Falls all das gelänge, könnte ich Sie mit ein wenig Glück in Ihre eigene Kosmolokalität zurückverpflanzen (eine faszinierend delikate Aufgabe), ohne dabei die ganze Raum-Zeit zu ruinieren.«

»Können Sie das für mich tun?« fragte Carmody hoffnungsvoll.

»Nein. Dazu ist keine Zeit mehr. Aber ich kann Sie zu Maudsley schicken, einem Freund von mir, der in der Lage sein sollte, Ihnen weiterzuhelfen.«

»Ein Freund von Ihnen?«

»Nun, nicht eigentlich ein Freund«, gestand Melichrone ein. »Mehr ein Bekannter, müßte man wohl sagen. Aber selbst das würde den Grad unserer Bekanntschaft etwas übertreiben. Sehen Sie, einmal, schon vor längerer Zeit, hätte ich meinen Planeten beinahe für eine kleine Rundreise verlassen; und wenn ich das wirklich getan hätte, dann hätte ich Maudsley getroffen. Aber aus den verschiedensten Gründen habe ich diese Reise nie angetreten und deshalb auch Maudsley nie tatsächlich getroffen. Trotzdem, wir beide wissen, daß, wenn ich wirklich zu meinem Trip aufgebrochen wäre, wir uns getroffen haben würden, und unsere Ansichten und Einsichten ausgetauscht hätten, die eine oder andere Sache diskutiert, ein paar Witze erzählt und uns schließlich mit einer gewissen gegenseitigen Sympathie von einander verabschiedet hätten.«

»Pas scheint mir eine doch recht vage Art von persönlicher Beziehung zu sein«, sagte Carmody. »Gibt es sonst niemand, zu dem Sie mich schicken könnten?«

»Ich fürchte, nein«, erwiderte Melichrone. »Maudsley ist mein einziger Freund. Die Möglichkeiten bestimmen eine Beziehung genauso wie die tatsächlichen Gegebenheiten, wissen Sie. Ich bin sicher, Maudsley wird sich sehr gut um Sie kümmern.«

»Tja, dann -«, meinte Carmody und schickte sich zu einem längeren Alternativvorschlag an. Aber dann entdeckte er, daß sich hinter seiner linken Schulter etwas Dunkles und Bedrohliches aus dem Nichts zu formen begann, das immer deutlicher Gestalt annahm. Und Carmody wußte, daß seine Zeit abgelaufen war.

»Schicken Sie mich nur«, rief er. »Und vielen Dank für alles.« »Wirklich keine Ursache«, versicherte Melichrone. »Meine Aufgabe in diesem Universum ist es, Fremden zu helfen. Viel Glück, Carmody!«

Die große bedrohliche Gestalt nahm bereits sehr feste Formen an. Aber bevor sie ihre Materialisation ganz vollendet hatte, war Carmody verschwunden.

X

Carmody fand sich auf einer grünen Wiese wieder. Es mußte mittag sein, denn eine strahlende orangefarbene Sonne stand direkt über ihm. In einiger Entfernung graste eine Herde gefleckter Kühe gemächlich im hohen Gras. Hinter ihnen konnte Carmody einen dunklen Waldrand ausmachen.

Langsam drehte Carmody sich um und blickte in die Runde. Ringsumher breitete sich Wiesenland aus. Dahinter begannen Wälder mit dichtem Unterholz. In der Ferne hörte man einen Hund bellen. Weit am Horizont erhoben sich zerklüftete Bergketten mit weißen Hängen. Weißgraue Wolken verhüllten die höchsten Gipfel.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Carmody eine Bewegung und wandte sofort den Kopf. Es war ein Tier, das verblüffend einem Fuchs ähnelte. Das Tier warf Carmody einen neugierigen Blick zu und huschte dann in Richtung Wald davon.

»Es ist wie auf der Erde«, bemerkte Carmody. Dann erinnerte er sich an den Preis, den er zuletzt als winterschlafende grüne Schlange um den Hals hängen gehabt hatte. Er griff zum Nacken, aber der Preis war nicht da.

»Hier bin ich«, rief der Preis.

Carmody blickte sich suchend um und entdeckte einen kleinen Kupferkessel.

»Bist du das?« fragte er den Kupferkessel und hob ihn auf.

»Natürlich bin ich das«, sagte der Preis. »Kannst du nicht mal deinen eigenen Preis erkennen?«

»Na, ja ... du hast dich ganz schön verändert.«

»Das ist mir durchaus bewußt«, erklärte der Preis. »Aber meine Essenz, mein inneres Wesen, mein wahres Selbst - das verändert sich nie. Was ist los?«

Carmody hatte einen Blick in den Kessel geworfen und ihn danach beinahe fallengelassen. Es lag der gehäutete und stark angefressene Kadaver eines kleinen Tieres darin - eines Kätzchens vielleicht

»Was ist das da in dir drin?« wollte Carmody wissen.

»Das ist mein Lunch, wenn du es unbedingt wissen willst«, antwortete der Preis. »Während des Transits habe ich mal eben kräftig zugelangt.«

»Oh.«

»Selbst Preise brauchen gelegentlich etwas zu essen«, fügte der Preis sarkastisch dazu. »Und, was ich bei dieser Gelegenheit anmerken möchte, außerdem brauchen wir noch regelmäßige Ruhepausen, ein bißchen Gymnastik, sexuelle Zuwendung, hin und wieder ein Besäufnis und geregelten Stuhlgang. Für nichts dergleichen hast du gesorgt, seit ich an dich verliehen wurde.«

»Ja, weißt du«, verteidigte sich Carmody, »ich habe ja auch nichts dergleichen in der letzten Zeit gehabt.«

»Brauchst du wirklich solche Dinge?« fragte der Preis mit erstaunter Stimme. »Ja, natürlich. Ich nehme schon an, das du so etwas brauchst. Es ist eigenartig, aber irgendwie hatte ich immer die Vorstellung, du seist ein rasendes Elementarwesen ohne jedes kreatürliche Bedürfnis.«

»Genau das habe ich auch von dir angenommen!« gab Carmody zu.

»Ich glaube, solche Eindrücke sind unausweichlich«, erklärte der Preis. »Man neigt dazu sich einen Alien als - als irgendwie solide vorzustellen, ohne Innenleben und völlig stuhlgangslos. Und natürlich sind auch einige Aliens so.«

»Ich werde mich um deine Bedürfnisse kümmern«, versprach Carmody, der plötzlich ein starkes Mitgefühl, ja fast Zuneigung für seinen Preis empfand. »Sobald wir aus diesen ganzen verdammten Notlagen heraus sind, werde ich das als erstes tun.«

»Natürlich, alter Junge. Komm, vergiß es. Du bist o.k., und ich bin o.k., und jetzt laß mich fertig essen, bevor 's kalt wird.«

»Nur zu«, sagte Carmody. Er war neugierig zu sehen, wie ein Kupferkessel einen gehäutetes Tier verzehren würde, aber als es dann dazu kam, war er zu zart besaitet, um genauer hinzuschauen.

»Ah, das war verdammt gut«, meinte der Preis. »Wenn du magst, ich hab' dir noch was übergelassen, mein Alter.«

»Im Augenblick habe ich keinen Hunger«, versicherte Carmody. »Was ist das denn, was du da ißt?«

»Wir nennen sie orithi«, sagte der Preis. »Du würdest sie wahrscheinlich für eine Art wandernde Riesenpilze halten. Ganz köstlich sind sie roh oder zart im eigenen Saft geschmort. Die fleckige weiße Art ist besser als die grüne.«

»Ich werde es mir merken«, versprach Carmody, »für den Fall, daß ich einmal einem begegnen sollte. Glaubst du, daß Erdenmenschen sie essen können - ich meine, sind sie bekömmlich für uns?«

»Bestimmt«, sagte der Preis. »Übrigens, wenn du wirklich einmal die Gelegenheit zu einem orihi-Essen bekommen solltest, vergiß nicht dir von ihm ein Gedicht rezitieren zu lassen, bevor du ihn anschneidest.«

»Warum?«

»Weil die meisten orithi große Dichter sind.«

Carmody schluckte hart. Das war die Schwierigkeit mit diesen exotischen Lebensformen; wenn man gerade meinte etwas verstanden zu haben, mußte man feststellen, daß man überhaupt nichts verstand. Und auf der anderen Seite, wenn man dachte, sie wären völlig unbegreiflich, brachten sie einem plötzlich damit aus dem Gleichgewicht, daß sie auf völlig menschliche Art und Weise reagierten. Tatsächlich, entschied Carmody, war das, was Fremdwesen so wirklich fremdartig machte, die Tatsache, daß sie gar nicht so fremdartig waren. Diese Vertrautheit wirkte zu Anfang recht amüsant, aber nach einer Weile geht sie einem ungeheuer auf die Nerven.

»Urps«, sagte der Preis.

»Was?«

»Ich habe gerülpst«, sagte der Preis. »Verzeihung. Jedenfalls mußt du zugeben, daß ich die ganze Sache recht ordentlich hingekriegt habe.«

»Welche Sache?«

»Na, das Gespräch mit Melichrone natürlich«, erklärte der Preis.

»Du hast das hingekriegt? Wieso denn das? Du hast, verdammt noch mal, die ganze Zeit deinen Winterschlaf gehalten. Ich habe uns da ganz alleine rausreden müssen.«

»Ich möchte dir ja nur ungerne widersprechen«, sagte der Preis. »Aber ich glaube, du hast da einen sehr falschen Eindruck gewonnen. Ich habe mich nur in den Winterschlaf versetzt, um all meine geistigen Kräfte auf die Lösung von Melich-rones Problem konzentrieren zu können.«

»Du bist verrückt! Du hast den Verstand verloren!« schrie Carmody.

»Ich sage nichts weiter, als die Wahrheit«, beharrte der Preis. »Denk doch an die lange, geschickt konstruierte Argumentation, mit Hilfe deren unwiderlegbarer Logik du Melichrones Platz und Aufgabe im Plan des Universums aufgezeigt hast.«

»Was war damit?«

»Na, hast du schon jemals vorher in deinem Leben eine solche Argumentation entwickelt? Bist du ein Philosoph oder ein Logiker?«

»Ich habe meinen Philosophie-Kurs am College mit Auszeichnung abgeschlossen«, verteidigte sich Carmody.

»Großartig«, höhnte der Preis. »Da müssen dir ja alle Geheimnisse des Kosmos zu Füßen liegen. Nein, Carmody, du hast einfach nicht den nötigen Hintergrund oder den Intellekt, um auf so etwas zu kommen. Gestehe es dir ruhig ein: das War völlig wesensfremd für einen Burschen wie dich.«

»Das war überhaupt nicht wesensfremd! Ich bin absolut in der Lage, in kosmischen Dimensionen zu denken und mit einer universellen Logik zu argumentieren.«

»Universell? Glaubst du, weil eine Logik universell ist, heißt das, sie ist jedem im Universum zugänglich?«

»Aber ich habe die Sache allein gemacht! Ich habe diese Gedanken gedacht!«

»Ganz wie du meinst«, beschwichtigte der Preis. »Ich wußte ja nicht, daß dir das soviel bedeutet. Und ich wollte dich ganz bestimmt nicht aufregen. Sag mal, hast du schon mal an Ohnmachtsanfällen gelitten oder an Ausbrüchen von unbegründetem Lachen oder Weinen?«

»Nein, habe ich nicht«, knurrte Carmody, der sich wieder in die Gewalt bekam. »Hast du schon vielleicht häufige Flugerlebnisse im Traum und Gefühle der Heiligkeit deiner Person?«

»Das habe ich ganz sicher nicht und nie gehabt!« erklärte der Preis.

»Du bist sicher?«

»Sicher, bin ich sicher!«

»Dann brauchen wir über diese Sache nicht mehr länger zu diskutieren«, verkündete Carmody mit einem absurden Triumphgefühl. »Aber ich würde gerne etwas anderes wissen.«

»Und was wäre das?«

»Was war Melichrones Mißbildung, die ich nicht erwähnen sollte? Und was war seine einzige Grenze?«

»Ich dachte, das wäre nun wirklich schmerzhaft deutlich geworden«, meinte der Preis.

»Mir nicht.«

»Ein paar Stunden ruhigen Nachdenkens müßten dich aber sofort darauf kommen lassen.«

»Zum Teufel«, sagte Carmody, »ich will es aber jetzt wissen. Erzähl es mir einfach.«

»Na gut«, sagte der Preis. »Melichrones Mißbildung besteht darin, daß er lahm ist. Es ist eine Art genetischer Defekt, der seit seinen frühsten Anfängen manifest ist. Er besteht in all seinen Verwandlungen und Ablegern in einer analogen Form.«

»Und seine einzige Grenze?«

»Das einzige, was er niemals kann, ist seine eigene Lahmheit erkennen. Als Gott ist ihm jedes vergleichende Wissen verwehrt. All seine Schöpfungen erschafft er nach seinem eigenen Bilde; was in Melichrones Fall natürlich heißt, daß sie auch alle lahm sind. Und seine Kontakte zur externen Wirklichkeit, zur galaktischen Außenwelt, sind so gering, daß er glaubt, Lahmheit wäre die Norm und die nicht lahmen Kreaturen hätten einen kuriosen Fehler. Das Fehlen von komparativem Wissen ist übrigens einer der wenigen Fehler des Gottseins. Zu den Grundvoraussetzungen eines Gottes gehört sogar seine absolute Eigenbeschränktheit, was heißt, daß sich seine Macht, in welchem Maßstab auch immer, in jedem Fall nach Innen richten muß, auf seine eigene Welt nämlich. Perfekte Kontrolle des Kontrollierbaren und perfektes Wissen alles Weißbarens sind die ersten Schritte dazu, Gott zu werden, falls du es jemals versuchen möchtest.«

»Ich? Versuchen Gott zu werden?«

»Warum nicht?« fragte der Preis ihn. »Es ist eine Beschäftigung so gut wie jede andere auch, wenn man mal von dem so großartig klingenden Titel absieht. Es ist keine leichte Sache, das kann ich dir garantieren, aber es ist auch nicht schwerer als ein erstklassiger Dichter oder Ingenieur zu werden.«

»Ich glaube, du hast komplett den Verstand verloren«, sagte Carmody mit einem Schaudern, wie es den Atheisten befällt, wenn er zu seinem Entsetzen bemerkt, das etwas seine religiösen Gefühle verletzt hat.

»Überhaupt nicht. Ich bin nur in diesen Dingen besser informiert als du. Mit mir zusammen kannst du irgendwann allmächtig werden, vorausgesetzt, du lebst lange genug. Aber jetzt machst du dich besser bereit, es geht gleich los.«

Carmody sah sich blitzschnell um und- entdeckte drei kleine Gestalten, die langsam über die Wiesen kamen. In respektvollem Abstand folgten ihnen zehn andere Gestalten.

»Der in der Mitte ist Maudsley«, erklärte der Preis. »Er ist immer sehr beschäftigt, aber er könnte sich die Zeit nehmen, ein paar Worte mit dir zu wechseln, wenn du es richtig anfaßt.«

»Hat er irgendwelche Mißbildungen oder Grenzen?« fragte Carmody sarkastisch.

»Jedenfalls keine, die für dich signifikant sind«, belehrte ihn der Preis. »Mit Maudsley hat man auf eine ganz andere Weise umzugehen und sieht sich ganz anderen Problemen gegenüber.«

»Er sieht wie ein Mensch aus«, stellte Carmody fest, als die Gruppe näher kam.

»Er trägt diese Gestalt«, gab der Preis zu, »aber das besagt nicht viel, denn die menschliche Gestalt ist in diesem Teil der Galaxis sehr verbreitet.«

»Auf welche Weise muß ich denn nun an ihn herangehen?« wollte Carmody wissen.

»Das kann ich schlecht im Detail beschreiben«, erklärte der Preis vage. »Maudsley ist für mich zu fremd, als das ich ihn verstehen oder seine Reaktionen vorhersagen könnte. Aber es gibt einen Hinweis, den ich dir geben kann: Paß auf, daß du seine ungeteilte Aufmerksamkeit gewinnst, und versuche ihn mit deiner Menschlichkeit zu beeindrucken.«

»Ja, sicher«, versprach Carmody.

»Es ist nicht so einfach, wie es sich anhört«, warnte der Preis. »Maudsley ist eine extrem beschäftigte Person, die ständig bis über beide Ohren in ihrer Arbeit steckt. Er ist ein hoch talentierter Ingenieur, mußt du wissen, und einer, der in seinem Projekt aufgeht. Aber er neigt dazu, ausgesprochen geistesabwesend zu reagieren, besonders wenn er neue Materialien oder Methoden erprobt.«

»Na, das klingt nicht zu schlimm.«

»Für Maudsley ist es nicht schlimm - aber für andere. Man könnte es für eine harmlose Schrulle halten, wenn er nicht in seiner geistesabwesenden Art dazu neigen würde, alles, was ihm über den Weg läuft, als Rohmaterial für seine Projekte- zu betrachten. Ein Bekannter von mir, Dewer Harding, besuchte ihn vor einiger Zeit mit einer Einladung zu einer Party. Der arme Dewer schaffte es nicht, sich ausreichend bemerkbar zu machen.«

»Und was passierte ihm?«

»Maudsley verbaute ihn in dem gerade laufenden Ingenieurprojekt. Ganz ohne böse Absicht natürlich. Jedenfalls ist der arme Dewer jetzt drei Getriebe und ein Kugellager in einer Kolbenmaschine, und man kann ihn wochentags in Maudsleys Museum der historischen Kraftmaschinenentwicklung besichtigen.«

»Das ist ganz schön schockierend«, sagte Carmody. »Kann man denn nichts mehr für ihn tun?«

»Niemand möchte Maudsley darauf aufmerksam machen«, erklärte der Preis. »Maudsley haßt es, Fehler zugeben zu müssen, und er kann ausgesprochen unangenehm werden, wenn er das Gefühl hat, jemand wollte ihm auf die Finger sehen.«

Der Preis mußte etwas aus Carmodys Gesichtsausdruck gelesen haben, denn er ergänzte: »Aber du brauchst jetzt nicht gleich in Panik zu geraten. Maudsley ist nie gemein oder hinterhältig. Er ist in Wahrheit ein richtig netter Bursche. Er hört gerne Lob, wie wir alle das ja tun, aber er verabscheut Schmeichelei. Sprich einfach frei heraus und stell dich vor, zeige deine Bewunderung, aber vermeide jede Übertreibung, sag, was dir nicht gefällt, aber sei nicht überkritisch und mäkel nicht kleinlich herum an Dingen, die du nicht verstehst. Kurz

• •

gesagt, sei zurückhaltend in allen Äußerungen außer dort, wo ein klares Wort angebracht ist.«

Carmody wollte sagen, daß dieser Rat so gut wie überhaupt kein Rat war, ja sogar noch schlechter, da er ihn noch zusätzlich nervös machte. Aber dafür war jetzt keine Zeit mehr. Maudsley war da, hochgewachsen und weißhaarig, in Rollkragenpullover und Lederjacke, von zwei Männern in Geschäftsanzügen begleitet, mit denen er sich angeregt unterhielt.

»Guten Tag, Sir«, sagte Carmody mit fester Stimme. Er trat vor und konnte gerade noch zur Seite springen, bevor das ins Gespräch vertiefte Trio ihn umgerannt hätte.

»Kein guter Anfang«, flüsterte der Preis.

»Halt's Maul«, flüsterte Carmody zurück. Mit einer gewissen grimmigen Entschlossenheit lief er hinter der Gruppe her.

XI

»Das soll es also sein, was, Orin?« fragte Maudsley.

»Ja, Sir, das soll es sein«, sagte Orin, der Mann zu Maudsleys Linken, mit zufriedenem Lächeln. »Was halten Sie davon, Sir?«

Maudsley drehte sich langsam und musterte die Wiesen, die Berge, die Sonne, den Fluß, den Wald. Sein Gesicht verriet mit keiner Miene, was er davon hielt. Dann sagte er: »Was halten Sie davon, Brookside?«

Brookside erklärte mit zittriger Stimme: »Nun, Sir, ich glaube, daß Orin und ich hier gute Arbeit geleistet haben. Wirklich gute Arbeit, wenn Sie berücksichtigen, daß dies unser erstes selbstständiges Projekt ist.«

»Und teilen Sie diese Einschätzung, Orin?«

»Sicher, Sir«, bestätigte Orin.

Maudsley bückte sich und riß einen Grashalm ab. Er roch daran und warf ihn weg. Er scharrte mit dem Fuß die Erde auf, dann starrte er für einige Minuten schweigend in die grelle Sonne. In sehr pointiertem Tonfall meinte er schließlich: »Ich bin erstaunt, sehr erstaunt. Aber auf eine sehr unerfreuliche Weise. Ich bat Sie darum, eine Welt für einen meiner Kunden zu bauen, und Sie kommen mit so einem Ergebnis! Halten Sie sich wirklich für Ingenieure?«

Die beiden Gehilfen antworteten nicht. Sie versteiften sich wie zwei kleine Jungen, die auf den Stock warten.

»Ingenieure!« sagte Maudsley und legte gut hundertfünfzig Pfund von Herzen kommender Verachtung in dieses Wort. »>Kreative, dabei praktisch denkende Wissenschaftler, die einen Planeten, wo und wann immer man ihn braucht, hinbauen können.< Kennt jemand von euch beiden diese Worte noch?«

»Sie sind aus der Standardbroschüre«, sagte Orin.

»Das ist korrekt«, bestätigte Maudsley. »Und? Halten Sie das hier für ein Beispiel >kreativer, praktischer Ingenieurkunst

Die beiden Männer schwiegen. Dann brach es schließlich aus Brookside heraus: »Also, Sir, ja, ich tue das, Sir. Wir haben die Bestellung sehr gründlich durchgearbeitet. Es sollte ein Typ-34Bc4-Planet werden, mit einigen besonderen Variationen. Und genau das haben wir hier gebaut. Sie haben jetzt natürlich nur eine kleine Ecke davon vor sich, aber . . .«

»Aber ich kann daran durchaus erkennen, ob ihr Burschen anständig gearbeitet habt«, führte Maudsley den Satz zu Ende. »Orin! Was für eine Heizanlage habt ihr eingebaut?«

»Eine Typ-05-Sonne, Sir«, antwortete Orin. »Sie paßt ausgezeichnet zu den thermischen Spezifikationen des Auftrages.«

»Das will ich nicht bestreiten.' Aber dies war eine BudgetWelt, wie Sie sich vielleicht erinnern werden. Wenn wir die Kosten nicht so niedrig wie möglich halten, machen wir bei der ganzen Sache keinen Gewinn. Und der größte Einzelposten bei den Kosten ist immer das Heizsystem.«

»Dessen sind wir uns bewußt, Sir«, versicherte Brookside. »Es hat uns auch überhaupt nicht gefallen, eine 05-Sonne für ein Ein-Planeten-System zu verwenden. Aber die Wärme- und Strahlungsanforderungen des Kunden . . .«

»Haben Sie denn überhaupt nichts von mir gelernt?« schrie Maudsley. »Dieser Sternen typ ist absolute Energieverschwendung. Du da!« Er winkte einem der Arbeiter hinter ihnen. »Nimm das sofort ab!«

Der Arbeiter kam mit einer Teleskop-Leiter angerannt. Zwei andere halfen ihm. Einer hielt die Leiter, und der andere zog die Verlängerungen heraus - zehn mal, hundert mal, eine Million mal, während der erste Arbeiter bereits die Leiter hinaufkletterte.

»Geh' vorsichtig damit um!« rief Maudsley zu ihm hinauf. »Und vergiß nicht, Handschuhe anzuziehen! Das Ding ist heiß!«

Mittlerweile war der Arbeiter an der Spitze der Leiter angekommen. Er nahm den Stern vom Haken, faltete ihn zusammen und legte ihn in eine Schachtel mit der Aufschrift: >STERN - VORSICHT! NICHT STÜRZEN!«

Als er den Deckel zufallen ließ, wurde alles dunkel.

»Bin ich denn hier nur von Idioten umgeben!« brüllte Maudsley. »Verdammt noch mal! Es werde Licht!«

Und es ward Licht - ganz prompt und ohne Rückfragen.

»Okay«, sagte Maudsley. »Die 05-Sonne kommt zurück ins Lager. Für einen Job, wie das hier, können wir auch einen Typ-G13-Stern nehmen.«

»Aber, Sir«, wandte Orin nervös ein, »der ist nicht heiß genug.«

»Das weiß ich«, sagte Maudsley. »Und genau da erwarte ich von euch, daß ihr eure Kreativität benutzt. Wenn ihr den Stern näher heran rückt, dann wird er heiß genug sein.«

»Das wird er, Sir«, sagte Brookside. »Aber er sendet dann zuviel harte Strahlung auf den Planeten, Und die könnte diese ganze Rasse, für die wir diese Welt gebaut haben, umbringen.«

Sehr langsam und sehr entschieden erwiderte Maudsley: »Wollen Sie mir damit sagen, daß G13-Sterne aus unserer eigenen Produktion gefährlich sind, Brookside?«

»Also, Sir, nein, nein. So hat er das wirklich nicht gemeint«, versicherte Orin schnell. »Er wollte damit nur andeuten, daß alle Dinge in diesem Universum gefährlich sein können, wenn man sie nicht mit der notwendigen Umsicht behandelt.«

»Das hört sich schon vernünftiger an«, meinte Maudsley.

»Die notwendige Umsicht«, erklärte Brookside, »besteht in diesem Fall darin, daß man etwa 25 Kilo schwere Bleischutzanzüge tragen muß. Doch das ist sehr unpraktisch, weil die Rasse des Bestellers im Durchschnitt nur 8 Kilo wiegt.«

»Man sollte niemanden wegen seiner Größe unterschätzen«, wies Maudsley ihn zurecht. »Außerdem ist es nicht unser Job, diesen Burschen zu erzählen, wie sie ihr Leben hier zu führen haben. Bin ich vielleicht dafür verantwortlich, wenn sich jemand einen Zeh an einem Stein stößt, den ich auf diesem Planeten verbaut habe? Abgesehen davon ist es wirklich nicht nötig, daß die Kerle Bleianzüge tragen. Sie können als vertraglieh garantierte Extraleistung gegen einen vernünftigen Aufpreis einen meiner Sonnenschirme zum Ausblenden harter Strahlung erwerben.«

Die beiden anderen lächelten nervös. Endlich meinte Orin sehr vorsichtig: »Ich glaube, es handelt sich hier um eine etwas unterpriviligierte Rasse, Sir. Ich könnte mir vorstellen, daß sie sich keinen Sonnenschirm leisten kann.«

»Na, wenn nicht jetzt, dann vielleicht später«, sagte Maudsley. »Wie dem auch sei, die Strahlung ist ja nicht direkt tödlich. Selbst wenn sie ihr ausgesetzt sind, haben die Bewohner dieser Welt noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 9,3 Jahren, was für jeden reichen sollte.«

»Jawohl, Sir«, bestätigten die beiden Assistenten schnell, aber nicht sehr glücklich.

»Weiter«, fuhr Maudsley fort. »Wie hoch sind die Berge da drüben?«

»Durchschnittlich zweitausend Meter über dem Meeresspiegel.«

»Das ist mindestens tausend Meter zu hoch«, stellte Maudsley fest. »Denken Sie etwa, Berge wachsen auf den Bäumen? Tragt die halbe Höhe ab und bringt alles zurück ins Lager.«

Brookside nahm ein Notizbuch heraus und trug die gewünschten Veränderungen ein. Maudsley wanderte weiter herum, besah sich alles und runzelte die Stirn.

»Wie lange halten die Bäume da?«

»Achthundert Jahre, Sir. Es handelt sich um das verbesserte Modell Apfeleiche. Sie geben Früchte, spenden Schatten, Nüsse, Rindensaft, die Blätter lassen sich auf drei verschiedene Arten zu Textilien verarbeiten, das Holz ist ein exzellentes Baumaterial, die Wurzeln halten die Muttererde und die -«

»Wollt ihr mich ruinieren?« donnerte Maudsley. »Zweihundert Jahre reicht absolut für einen Baum! Sorgen Sie dafür, daß die Lebensenergie entsprechend reduziert wird und alles zurück in unsere Lebenskraft-Akkus kommt!«

»Dann werden sie aber nicht mehr in der Lage sein alle vorgesehenen Funktionen zu erfüllen«, wandte Orin ein.

»Dann schränken Sie eben die Funktionen ein! Schatten und Nüsse ist eine ganze Menge, wir müssen aus diesen Bäumen doch keine Supermärkte machen! Nun zu den Kühen - wer hat diese Herden hier aufgestellt?«

»Das war ich, Sir«, gestand Brookside. »Ich dachte mir, der Platz würde so ... nun, es würde alles ein wenig einladender wirken.«

»Sie Niete!« tobte Maudsley. »Man sorgt dafür, daß eine Welt einladend aussieht, bevor man sie verkauft hat, nicht nachher! Wie oft habe ich euch das gepredigt! Dieser Platz hier wurde ohne Zubehör verkauft. Zurück mit den Kühen in die Protoplasma-Tanks!«

»Jawohl, Sir«, sagte Orin. »Tut uns furchtbar leid, Sir. Ein Mißverständnis. Gibt es sonst noch etwas?«

»Es sind noch gut zehntausend andere Dinge falsch«, erklärte Maudsley. »Aber die könnt ihr selber rausfinden, wenn ihr euere Hirne benutzt, hoffe ich jedenfalls. Was, zum Beispiel, soll das da sein?« Er deutete auf Carmody. »Eine Statue oder sowas? Kunst? Steht er etwa da herum, um ein Gedicht aufzusagen oder ein Begrüßungslied zu singen, wenn die neuen Bewohner ankommen?«

Carmody rief: »Sir, ich gehöre nicht dazu! Ein Freund von Ihnen namens Melichrone hat mich hierher geschickt. Und ich versuche zu meiner eigenen Welt zurückzufinden . . .«

Maudsley hörte eindeutig nichts von dem, was Carmody von sich gab. Denn während Carmody versuchte, sich bemerkbar zu machen, sagte Maudsley: »Was immer er sein soll, im Kaufvertrag wird er nicht verlangt. Also steckt ihn zusammen mit den Kühen zurück in die Protoplasma-Tanks.«

»He!« schrie Carmody, als zwei Arbeiter ihn an beiden Armen hochhoben. »He, wartet einen Augenblick!« brüllte er. »Ich gehöre nicht zu diesem Planeten! Melichrone hat mich geschickt! Wartet! Nicht! Hört mir doch zu!«

»Ihr solltet euch wirklich schämen«, fuhr Maudsley fort, ohne sich um Carmodys Schreie zu kümmern. »Was sollte der denn nun sein, na? Eine von Ihren dekorativen Feinheiten, Orin?«

»Oh, nein«, versicherte Orin. »Ich habe ihn nicht da aufstellen lassen, bestimmt nicht.«

»Dann war er also von Ihnen, Brookside?«

»Ich habe ihn noch nie in meinem Leben gesehen, Sir!« »Hmmm«, sagte Maudsley. »Ihr seid alle beide Idioten, aber Lügner seid ihr eigentlich nicht. He!« rief er den Arbeitern nach. »Bringt ihn wieder hierher!«

»So«, sagte Maudsley zu Carmody, der von einem unkontrollierten Zittern befallen worden war, »nun reißen Sie sich mal zusammen. Ich kann hier nicht rumstehen, bis Sie mit Ihren hysterischen Anfällen fertig sind. Besser? Na also, und nun würden Sie mir bitte erklären, was Sie hier auf meinem Baugelände zu suchen haben und warum ich Sie nicht in Protoplasma rückverwandeln lassen soll?«

XII

»So ist das«, sagte Maudsley, nachdem Carmody alles erklärt hatte. »Es ist eine interessante Geschichte, auch wenn ich glaube, daß Sie ein wenig überdramatisiert haben. Jedenfalls sind Sie nun hier, und Sie suchen nach einem Planeten - wie war das? - Erde, nicht wahr?«

»Das ist korrekt, Sir«, sagte Carmody.

»Erde«, überlegte Maudsley laut, während er sich den Kopf kratzte. »Sie scheinen Glück zu haben. Ich glaube, ich kann mich an diesen Platz erinnern.«

»Tatsächlich, Mr. Maudsley?«

»Ja, ich bin mir ziemlich sicher«, meinte Maudsley. »Es ist ein kleiner blauer Planet, und er wird von einer monomorphen humanoiden Rasse bevölkert, nicht unähnlich Ihrem eigenen Aussehen? Habe ich recht?«

»Völlig richtig!« bestätigte Carmody strahlend.

»Ich habe für solche Dinge ein Gedächtnis«, erklärte Maudsley. »Und in diesem besonderen Fall ist es sogar so, daß ich diese Erde gebaut habe.«

»Das haben Sie, Sir?« fragte Carmody.

»Ja. Ich kann mich recht genau daran erinnern, denn im Rahmen dieses Auftrages habe ich auch die Wissenschaft erfunden. Vielleicht macht Ihnen diese Geschichte Spaß.« Er wandte sich an seine beiden Gehilfen. »Und für Sie könnte diese Geschichte sehr instruktiv sein.«

Niemand würde Maudsley daran hindern, eine Geschichte zu erzählen. Daher nahmen Carmody und die beiden Gehilfen eine Haltung gespannter Aufmerksamkeit an, und Maudsley begann:

DIE GESCHICHTE VON DER ERSCHAFFUNG DER ERDE

Ich war damals noch ein kleiner Ingenieur, der hier und da einen Planetenauftrag bekam und schon mal einen Zwergstern bauen durfte. Aber man kam nur schwer an interessante Jobs, und die Kunden gaben sich in der Regel kapriziös, mäkelten an allem herum und zahlten nur mit Verspätung. Iri jenen Tagen konnte man es den Kunden nie recht machen, sie hatten an den kleinsten Details etwas auszusetzen. Ändere dies und ändere das, warum muß das Wasser nach unten fließen, warum ist die Schwerkraft so schwer, warum steigt die heiße Luft nach oben, wo ich sie doch unten haben möchte. Und so weiter.

Damals war ich noch ein recht naiver junger Bursche. Ich versuchte die ästhetischen und praktischen Gründe für alles, was ich baute, zu erklären. Es dauerte nicht lange, und die Erklärerei nach der Arbeit war aufwendiger als der Auftrag selbst. Die Sache drohte zu einem reinem Dauergeschwätz zu werden. Ich wußte, daß ich dagegen etwas unternehmen mußte, aber mir fiel nichts Überzeugendes ein.

Dann, das war kurz vor diesem Erde-Auftrag, entwickelte ich langsam eine völlig neue Idee der Kundenbetreuung. Ich merkte, wie ich ständig vor mich hin murmelte: »Funktion ist Form.« Das hörte sich gut an und gefiel mir. Aber dann kam mir unweigerlich die Frage: »Warum ist Funktion Form?« Und der Grund, den ich mir selbst dafür nannte, war: Funktion ist Form, weil dies ein unveränderliches Gesetz der Natur und ein Grundaxiom aller angewandten Wissenschaft ist.« Und das hörte sich noch viel besser an, auch wenn es nicht viel Sinn ergab.

Aber Sinn spielt keine große Rolle. Was zählte war, daß ich eine neue Entdeckung gemacht hatte. Ohne es zu wissen, hatte ich damals den Zugang zu den Künsten der Werbung und des Marketing gefunden. Und gleichzeitig hatte ich einen Kunstgriff entdeckt, der für mein Geschäft nahezu unbegrenzte Möglichkeiten erschloß - den sogenannten wissenschaftlichen Determinismus.

Die Erde war der erste Testfall für meine neue Verkaufsstrategie, und deshalb werde ich mich immer an sie erinnern.

Ein großer, bärtiger Alter mit stechenden Augen war zu mir gekommen und hatte einen Planeten bestellt. (So fing das mit Ihrem Planeten an, Carmody.) Na, ich habe schnelle Arbeit geliefert, sechs Tage brauchte ich nur, glaube ich. Ich dachte, damit wäre die Sache erledigt gewesen. Es war wieder einer von diesen Budget-Planeten, und ich hatte hier und da etwas abzwacken müssen, um mit den Mitteln hinzukommen. Aber wenn man sich danach den Besitzer angehört hat, hätte man meinen können, ich hätte ihm die Haare vom Kopf geklaut.

»Warum gibt es da so viele Tornados?« wollte er wissen. »Das ist ein Teil des Atmosphären Zirkulations-Systems«, erklärte ich. (Tatsächlich war ich in Eile gewesen und hatte dabei ein Luftzirkulationsüberdruckventil vergessen.)

»Drei Viertel von der Welt sind Wasser!« jammerte er. »Und ich hatte eindeutig ein Verhältnis zwischen Land und Wasser von vier zu eins bestellt.«

»Tja, das ließ sich leider so nicht hinkriegen«, erzählte ich ihm. (Ich hatte irgendwann seine lächerlichen Spezifikationsunterlagen verlegt. Bei diesen absurden kleinen Ein-Planeten-Projekten konnte ich nie richtig bei der Sache bleiben.)

»Und das bißchen Land, was ich bekommen habe, ist mit Wüsten, Sümpfen, Dschungeln und Gebirgen überfüllt.«

»Das sind landschaftliche Schönheiten«, versuchte ich ihm klarzumachen. '

»Landschaftliche Schönheit interessiert mich nicht«, donnerte er da los. »Oh, sicher, ein Ozean, ein Dutzend Seen, ein paar Flüsse, zwei oder drei Gebirgsketten, das wäre ganz nett gewesen. Aber den ganzen Planeten voll damit, das ist doch meschugge!«

»Es gibt einen guten Grund dafür«, versicherte ich. (Tatsache war, daß wir bei dem Auftrag nur Gewinn rausholen konnten, indem wir vorgefertigte Hochgebirge nahmen, jede Menge Flüsse und Meere als Lückenbüßer und ein halbes Dutzend Großwüsten, die ich mir billig von Urie dem Planetentrödler besorgt hatte. Aber ich hatte nicht vor, ihm das zu erzählen.)

»Einen Grund!« schrie er. »Was werde ich meinem Volk erzählen können? Ich will eine ganze Rasse auf diesen Planeten setzen, vielleicht auch zwei oder drei. Sie werden Menschen sein nach meinem Bilde, und Menschen sind notorische Nörgler, genau wie ich. Was, stellen Sie sich vor, soll ich denen erzählen?«

Na, ich hätte schon gewußt, was er denen am besten erzählt hätte. Aber ich wollte nicht beleidigend werden, das ist nicht gut fürs Geschäft. Also tat ich so, als würde ich eine Weile über die Sache nachdenken. Und so merkwürdig das heute klingen mag, ich geriet dabei wirklich ins Denken. Und heraus kam dabei der eine Kunstgriff des Planetenverkaufs, der heute allgemeine Geschäftsgrundlage geworden ist.

»Sie erzählen ihnen einfach die reine wissenschaftliche Wahrheit«, sagte ich. »Sie erzählen ihnen, daß alles, wissenschaftlich gesehen, das ist, auch so sein muß.«

»He?« sagte er.

»Das ist Determinismus«, sagte ich. Der Namen fiel mir gerade so dafür ein. »Es ist ganz einfach, wenn es auch ein bißchen esoterisch klingt. Um es kurz zu machen: Funktion ist Form. Wissenschaft ist invariabel, also ist alles, was nicht invariabel ist, auch nicht Wissenschaft. Und schließlich muß man beachten, daß alles festen Gesetzen gehorcht, den Naturgesetzen. Man kann nicht immer genau herauskriegen, wie diese Gesetze im einzelnen lauten, aber man kann sicher sein, daß es sie für alles gibt. Daher liegt es auf der Hand, daß niemand zu fragen hat, warum dies anstelle von jenem? Statt-dessen gehört es sich so, daß alle fragen, wie funktioniert das?«

Na, er stellte mir ein paar ganz schön knifflige Fragen dazu, und er war ein cleverer alter Bursche, das mußte man ihm lassen. Aber er wußte verdammt wenig über die Arbeit eines Ingenieurs. Sein Gebiet war Ethik und Moral und Religion und dieses ganze übernatürliche Zeug. Deshalb kam er natürlich nicht auf wirklich schwer zu widerlegende Einwände. Er gehörte zu diesen Typen, die auf Abstraktionen stehen, und bald fing er an zu wiederholen: »Alles, das ist, muß auch so sein. Hmmm. Eine sehr faszinierende Formel und nicht ohne eine gewisse Patina von Stoizismus. Ich sollte einiges davon in die Lektionen aufnehmen, die ich meinem Volk erteilen werde . . . Aber sagen Sie mir eins: Wie kann ich denn diese indeterminierte Fatalität der Wissenschaft mit dem freien Willen in Einklang bringen, den ich meinem Volk geben möchte?«

Na, da hatte der alte Knabe mich fast drangekriegt. Ich lächelte und holte tief Luft, um erst mal Zeit zum Denken zu gewinnen, und dann antwortete ich: »Die Antwort liegt auf der Hand!« Was immer eine gute Antwort ist, soweit einem noch nichts besseres eingefallen ist.

»Das mag wohl so sein«, sagte er, »aber ich komm trotzdem nicht drauf.«

»Sehen Sie«, sagte ich, »dieser freie Wille, den Sie Ihrem Volk geben wollen, ist das nicht auch etwas sehr fatales?«

»Man könnte es so betrachten. Aber der Unterschied -«

»Und abgesehen davon«, unterbrach ich ihn schnell, »seit wann sind freier Wille und Fatalität unvereinbar?«

»Sie scheinen ganz sicher unvereinbar zu sein«, meinte er.

»Das scheint Ihnen nur so, weil Sie nicht verstehen, was Wissenschaft bedeutet«, machte ich ihm klar, und dann legte ich richtig los. »Sehen Sie, mein lieber Herr, eines der grundlegenden Gesetze der Wissenschaft ist, daß es überall einen beständigen Wechsel gibt. Alles verändert sich. Und Veränderlichkeit, werden Sie sicher wissen, ist das mathematische Äquivalent zu freiem Willen.«

»Aber was Sie da sagen, ist doch widersprüchlich in sich selbst«, erklärte er mir.

»Das kann auch gar nicht anders sein«, erwiderte ich. »Widersprüchlichkeit gehört zu den fundamentalen Gesetzen dieses Universums. Widersprüchlichkeit bringt Streit hervor, ohne den der Kosmos längst ein Stadium finaler Entropie erreicht haben müßte. Deshalb könnten wir gar keinen Planet und kein Universum haben, wenn die Dinge nicht durch einen scheinbar beständigen Zustand des Widerspruchs in Bewegung und auseinander gehalten würden.«

»Scheinbar?« fiel er mir blitzschnell ins Wort.

»Sonnenklar«, sagte ich. »Widersprüchlichkeit, die wir vorläufig einmal als die Existenz von in der Realität bestehenden Gegenteilen definieren wollen, ist nicht das letzte Wort in dieser Sache. Nehmen wir uns zum Beispiel eine einzelne isolierte Tendenz vor. Was passiert, wenn man eine Tendenz bis ins Äußerste vorantreibt?«

»Ich habe nicht die geringste Vorstellung«, gab der alte Knabe zu. »Das Fehlen jeden praktischen Bezugs in dieser Diskussion -«

»Was passiert«, sagte ich ihm, »ist, daß die Tendenz in ihr Gegenteil umschlägt.«

»Tut sie das wirklich?« fragte er richtig eingeschüchtert. Diese religiösen Typen sind schon eine Nummer, wenn sie sich mit der Wissenschaft befassen.

»Das tut sie«, versicherte ich ihm. »Ich habe entsprechende Versuche in meinem Laboratorium gemacht, die ich Ihnen gerne vorführe, auch wenn solche Demonstrationen meist einen sehr üblen Geruch -«

»Aber bitte, Ihr Wort reicht mir völlig«, sagte er schnell. »Wir haben ja schließlich einen Bund geschlossen.«

Dieses Wort benutzte er immer anstelle von >Vertrags Es bedeutete das gleiche, aber es klang wohl besser, und für Pathos hatte er viel über.

»Beständiger Widerspruch«, überlegte er. »Determinismus. Dinge, die zu ihrem Gegenteil werden. Das ist alles ein wenig verwirrend, fürchte ich.«

»Und außerdem sehr ästhetisch«, sagte ich. »Aber ich war noch nicht mit der Transformation der Extreme fertig.«

»Würden Sie dann freundlicherweise fortfahren«, bat er mich artig.

»Vielen Dank. Nun, wir haben also die Entropie, was bedeutet, daß sich die Dinge in zunehmender Bewegung befinden, solange es keinen äußeren Einfluß gibt. (Manchmal auch, wenn es einen äußeren Einfluß gibt, meiner Erfahrung nach jedenfalls.) Die Entropie treibt also die Dinge beständig soweit, bis sie in ihr Gegenteil umschlagen. Wenn eine Sache zu ihrem Gegenteil getrieben wird, dann werden alle Sachen zu ihrem Gegenteil getrieben, weil die Wissenschaft konsistent ist in ihren Gesetzen. Begreifen Sie jetzt, wie es um uns aussieht? Wir haben all diese Gegenteile, die nichts besseres zu tun haben, als sich wie verrückt ständig in ihre Gegenteile zu transformieren. Auf einem höheren Niveau der kosmischen Organisation haben wir Gruppen von Gegenteilen, die sich genauso verhalten. Das setzt sich höher und höher hinauf fort. Soweit, so gut?«

»Ich glaube schon«, meinte der alte Herr.

»Schön. Nun stellt sich natürlich die Frage, ist das alles? Ich meine, diese Gegenteile, die sich da von morgens bis abends von außen nach innen und von innen nach außen kehren, ist das schon das ganze Spiel? Und um jetzt zum Schönsten an der ganzen Sache zu kommen, es ist nicht! Nein, mein Herr. Diese Gegenteile, die da herumflippen wie trainierte Seehunde sind nur ein Aspekt von dem, was wirklich geschieht. Weil -« Und hier machte ich eine bedeutsame Pause und sprach dann mit gesenkter Stimme weiter. »- weil es eine Weisheit gibt, die hinter das Toben und Wirbeln der Welt mit ihren äußeren Phänomenen blickt. Diese Weisheit durchschaut die illusionäre Qualität der realen Dinge und erblickt dahinter das geheime Wirken des Universums, das sich in einem Zustand großartiger und wunderbarer Harmonie befindet.«

»Wie können Dinge zugleich Realität und Illusion sein«, hakte der alte Bursche ruckzuck nach.

»Es steht mir nicht zu, eine solche Frage zu beantworten«, erklärte ich ihm. »Ich bin nur ein einfacher wissenschaftlich arbeitender Ingenieur, und ich sehe, was ich sehe, und handele danach. Aber es könnte doch sein, daß hinter all dem ein ethischer Grund steht.«

Der alte Knabe dachte eine ganze Weile darüber nach, und ich konnte ihm ansehen, daß er kräftig daran zu kauen hatte. Er konnte einen logischen Widerspruch so gut entdecken, wie jeder andere auch, und meine Argumentation war völlig durchsetzt mit solchen Widersprüchen. Aber wie alle philosophischen Eierköpfe faszinierten ihn Widersprüchlichkeiten, und er hatte das starke Bedürfnis sie in sein eigenes System einzubringen. Und all diese Behauptungen, die ich da aufgestellt hatte, nun, sein gesunder Menschenverstand mußte ihm sagen, daß die Dinge nicht wirklich so verwickelt sein konnten. Aber seine Intellektualität, die sagte ihm wahrscheinlich, daß die Dinge möglicherweise doch so kompliziert aussehen könnten, dahinter aber dann ein hübsches einfaches vereinendes Prinzip stand. Oder, wenn schon kein vereinendes Prinzip, so doch wenigstens eine gute solide Moral. Und schließlich hatte ich ihn mir geangelt, indem ich von Ethik sprach. Denn dieser alte Gentleman war verrückt nach Ethik, er ging richtig in ethischen Problemen auf. Um es deutlich zu sagen, man hätte ihn ohne

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Übertreibung zum Mister Ethik des Universums ausrufen können, oder zum Mister Universum der Ethik. Jedenfalls hatte ich ihm so ganz zufällig die Idee eingegeben, das ganze verdammte Universum wäre eine Serie von Gardinenpredigten und Widersprüchlichkeiten, von Gesetzen und Ausnahmen, alles zu einer sehr exquisiten und seltenen ethischen Ordnung führend.

»Dies hat eine größere Tiefe, als ich zunächst den Eindruck hatte«, gestand er schließlich. »Ich hatte vorgehabt, mein Volk nur in Ethik zu unterweisen und seine Aufmerksamkeit auf moralische Fragen zu lenken - Fragen, wie >warum und wie der Mensch leben soll<, nicht Fragen danach, woraus die lebende Materie entstanden sein könnte. Ich wollte meine Kinder die Tiefen der Freude, der Furcht, der Frömmigkeit, des Glaubens und der Hoffnung erforschen lassen, und sie nicht zu Wissenschaftlern machen, die Sterne vermessen und Regentropfen und großartige und unpraktische Hypothesen aufstellen, auf der Basis dessen was sie dabei herausfinden. Ich war mir des Universums wohl bewußt, aber ich hielt es für überflüssig. Sie haben mich in dieser Ansicht korrigiert.«

»Ja, sehen Sie«, sagte ich, »ich wollte Ihnen keinen Ärger machen, müssen Sie mir glauben. Ich dachte nur, man sollte Sie vielleicht auf solche Sachen hinweisen . . .«

Der alte Herr lächelte. »Indem Sie mir Ärger bereitet haben«, sagte er, »haben Sie mir größeren Ärger erspart. Ich kann nach meinem eigenen Bilde erschaffen, aber ich werde keine Welt erschaffen, die von Miniaturversionen meiner selbst bevölkert wird. Freier Wille ist wichtig für mich. Meine Geschöpfe sollen ihn haben, zu ihrem Ruhm und ihrem Leid. Sie werden dieses glitzernde, verführerische nutzlose Spielzeug, die Wissenschaft, ergreifen, und sie werden es zu einer Gottheit erheben. Physikalische Widersprüche und Abstraktionen werden sie faszinieren. Sie werden dem Wissen über solche Dinge nachlaufen und darüber vergessen, das Wissen in ihrem Herzen zu erforschen. Sie haben mich davon überzeugt, daß es so kommen wird, und für diese Warnung bin ich Ihnen dankbar.«

Ich gebe ganz offen zu, daß er mich mit solchen Worten damals doch irgendwie nervös gemacht hat. Ich meine, er war ein Niemand. Er kannte keinerlei wichtige Leute, hatte nirgendwo Einfluß. Aber er hatte diesen gewissen Stil, dieses großartige Benehmen. Und ich bekam das Gefühl, er könnte mir eine Menge Ärger machen einfach mit ein paar Worten, einem Satz, der sich wie ein vergifteter Dolch in meine Gedanken bohren würde und niemals wieder loszuwerden wäre. Um die Wahrheit zu sagen, das machte mir richtig ein bißchen Angst.

Na, der alte Gauner mußte meine Gedanken gelesen haben. Denn er sagte: »Fürchte dich nicht. Ich werde die Welt, die du für mich erschaffen hast, so nehmen wie sie ist. Und die Fehler und die Mängel werde ich auch so nehmen, wie sie sind. Und dies alles nehme ich an, und ich bin dir dankbar dafür, und du sollst deinen gerechten Lohn erhalten - auch für die Fehler.«

»Wie?« fragte ich. »Wie zahlen Sie für Fehler?«

»Indern ich sie ohne Einspruch nehme, wie sie sind«, sagte er. »Und indem ich mich nun abwende von dir und mich meinen eigenen Dingen und den Dingen meines Volkes zuwende und dich in Frieden lasse.«

Und der alte Herr ging ohne jedes weitere Wort.

So schloß Maudsley seine Erzählung, aber nach einer kurzen Pause ergriff er noch einmal das Wort. »Nun, der Alte ließ mich ganz schön nachdenklich zurück«, erzählte er weiter. »Ich hatte die guten Argumente alle auf meiner Seite gehabt, aber der alte Knabe hatte irgendwie das letzte Wort behalten. Ich wußte, was er meinte. Er hatte seinen Vertrag mit mir erfüllt, und damit war die Sache erledigt. Er verließ mich, ohne ein persönliches Wort für mich. Aus seiner Sicht war das eine Art Strafe.

Aber das war natürlich nur aus seiner Sicht so. Was hätte ich schon von einem Wort gehabt, das er mir noch dagelassen hätte? Ich hätte natürlich gerne so etwas gehört, so eine persönliche Botschaft eben, das kann man ja verstehen. Und eine Zeitlang versuchte ich ihn noch einmal zu sprechen. Aber er ging mir aus dem Weg, und es kam kein Termin zustande.

Alles in allem machte es mir nicht viel aus. Ich hatte bei der Welt einen hübschen Profit herausgeschlagen, und selbst wenn ich den Vertrag an der ein oder anderen Stelle sehr frei ausgelegt habe, so habe ich ihn doch nirgendwo wirklich gebrochen. So stehen die Dinge nun einmal. Man ist es sich ja schließlich schuldig in seinem eigenen Geschäft mit Gewinn zu arbeiten, sonst bricht das Unternehmen irgendwann zusammen. Und mit den Konsequenzen kann man sich nicht lange aufhalten, sonst fängt man besser gar nicht erst mit unserem Job an.

Aber ich habe das alles nicht ohne Grund erzählt. Und ich will, daß ihr Jungs mir deshalb jetzt mal genau zuhört und etwas daraus lernt. Wissenschaft besteht aus einer Unmenge von Gesetzmäßigkeiten, weil ich es so erfunden habe. Warum habe ich das so erfunden? Weil Gesetzmäßigkeiten eine große Hilfe für einen cleveren Ingenieur sind, genau wie Gesetze eben eine große Hilfe für Rechtsanwälte sind. Die Gesetzmäßigkeiten, Doktrinen, Axiomen, Gesetze und Prinzipien der Wissenschaft sind dazu da euch zu helfen, nicht euch zu behindern in euerer Arbeit. Sie sind dazu da, damit ihr begründen könnt, was ihr tut. Die meisten von ihnen sind außerdem wahr, mehr oder weniger jedenfalls, und das ist eine große Hilfe.«

Aber vergeßt nie - diese Gesetze sind dazu da, damit ihr dem Kunden erklären könnt, was ihr tut, nachdem ihr es getan habt, nicht vorher. Wenn ihr ein Projekt vorhabt, dann gestaltet es genau so, wie es am besten und kostengünstigsten nach euren Vorstellungen möglich ist. Dann paßt die Tatsachen dieser Schöpfung an, aber niemals andersherum!

Denkt daran - diese Gesetze sind als eine sprachliche Barriere gedacht gegen alle Leute, die dumme Fragen stellen. Aber keinesfalls sollten sie eine Barriere für euere Arbeit sein. Wenn ihr überhaupt irgend etwas von mir gelernt habt, dann wißt ihr, daß unsere Arbeit absolut unerklärlich ist. Wir machen sie einfach, und damit basta. Manchmal kommt etwas Gutes dabei heraus, und manchmal haut es nicht so gut hin.

Aber versucht niemals euch selber erklären zu wollen, warum bestimmte Dinge passieren und andere Dinge nicht passieren. Fragt nicht, und stellt euch auch nicht vor, es könnte eine Erklärung dafür geben! Verstanden?«

Die beiden Assistenten nickten heftig. Sie sahen erleuchtet aus wie Menschen, die eine neue Religion entdeckt haben. Carmody hätte jede Wette darauf abgeschlossen, daß diese beiden ernsten jungen Männer sich jedes Wort des Baumeisters unauslöschlich ins Gedächtnis geprägt hatten und nun daran gehen würden diese Worte weiterzuentwickeln zu - einem Naturgesetz.

XIII

Nachdem er nun wirklich mit seiner Geschichte fertig zu sein schien, blieb Maudsley für eine ganze Weile schweigsam. Er schien gedankenverloren und abweisend, von unangenehmen Erinnerungen geplagt. Aber nach einiger Zeit straffte er sich und sagte: »Carmody, eine Person in meiner Position wird ständig zu irgendwelchen Wohltätigkeiten aufgefordert. Ich spende jedes Jahr großzügig für den Sauerstoff-Fond der überalterten Hominiden-Welten. Ich leiste dazu erhebliche Beiträge zur Interstellaren Wohlfahrtsstiftung, dem Kosmischen Heimstättenprogramm und der Gesellschaft zum Schutz unreifer Rassen. Das scheint mir alles zusammen durchaus ausreichend, und außerdem ist es eine erhebliche Steuerersparnis.«

»Schon klar«, sagte Carmody in einer plötzlichen Anwandlung persönlichen Stolzes. »Ich möchte nicht an Ihre Wohltätigkeit appellieren.«

»Bitte unterbrechen Sie mich nicht«, sagte Maudsley. »Ich sagte, das meine Wohltätigkeitsspenden durchaus genug sind, um meine humanitären Instinkte zu befriedigen. Ich mag mich nicht um individuelle Notlagen kümmern, weil sowas nur Ärger gibt und persönlich wird.«

»Ich habe schon verstanden«, unterbrach Carmody. »Ich gehe dann jetzt wohl besser«, fügte er hinzu. Obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, wo er hinging und wie er dort hin kommen sollte.

»Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen mich nicht unterbrechen«, belehrte ihn Maudsley. »Also, ich nehme mich nicht gerne persönlicher Angelegenheiten an, wie ich gerade erklärt habe. Aber ich habe vor, diesmal eine Ausnahme zu machen und Ihnen zu helfen, zu Ihrem Planeten zurückzufinden.«

»Warum?« fragte Carmody.

»Eine Laune«, meinte Maudsley leise. »Einfach eine Idee mit vielleicht einem winzigen Anflug Altruismus dabei. Also -«

»Ja?«

»Nun, wenn Sie es jemals bis nach Hause schaffen - was trotz meiner Hilfe sehr zweifelhaft sein dürfte - würde ich mich freuen, wenn Sie eine Botschaft von mir überbringen könnten.«

»Sicher«, versprach Carmody. »Für wen soll diese Botschaft sein?«

»Na, sie ist natürlich für diesen bärtigen alten Herrn, für den ich damals den Planeten gebaut habe. Ich nehme doch an, er ist noch immer auf seinem Posten?«

»Ich weiß nicht«, sagte Carmody. »Es ist gerade über diese Frage in der letzten Zeit bei uns viel diskutiert worden. Einige Leute sagen, er wäre noch immer da, wie er es immer gewesen ist. Aber andere behaupten, er wäre tot (obwohl ich glaube, das ist mehr metaphorisch gemeint), und noch andere erklären sogar, daß es ihn nie gegeben hätte.

»Er ist noch da«, versicherte Maudsley überzeugt. »Einen Burschen, wie den, bringt man nicht mit einer Heugabel um. Und was seine scheinbare Abwesenheit angeht, das paßt ganz genau zu ihm. Er ist melancholisch, wissen Sie, aber dabei von hohen Moralvorstellungen erfüllt, die er erwartet, in anderen wiederzufinden. Er kann launig sein und einfach für eine Weile verschwinden, wenn ihm nicht gefällt, wie die Sache läuft. Und er kann sehr subtil vorgehen. Er weiß, daß die Leute von nichts zu viel mögen, ob es nun Roastbeef, schöne Frauen oder Gott ist. Es würde deshalb gut zu ihm passen, wenn er sich selbst, bildlich gesprochen, für einige Zeit von der Speisekarte gestrichen hätte, bis sich wieder ausreichender Appetit auf ihn entwickelt hat.«

»Sie scheinen eine Menge über ihn zu wissen«, sagte Carmody. ,

»Je, nun. Ich hatte auch eine Menge Zeit, über ihn nachzudenken.«

»Und außerdem muß ich doch darauf hinweisen«, wies Carmody darauf hin, »daß die Art, wie Sie ihn sehen, sich mit keiner theologischen Betrachtungsweise deckt, von der ich je gehört habe. Die Idee, daß Gott melancholisch, launig . . .«

»Aber er muß so sein«, unterbrach Maudsley. »Und noch einiges andere! Er muß ein Wesen von ganz extremer Emotionalität sein. Denn Sie sind ja schließlich auch so, und ich nehme an, daß sich Ihre Artgenossen darin nicht von Ihnen unterscheiden.«

Carmody nickte.

»Na also! Er sagte mir damals ganz eindeutig, daß er nach seinem eigenen Bilde erschaffen wollte. Und offensichtlich hat er das auch getan. Im ersten Augenblick, als ich mir Sie näher angesehen habe, fiel mir gleich die Ähnlichkeit auf. In Ihnen steckt ein kleiner Gott, Carmody, auch wenn Ihnen das nicht gleich zu Kopf steigen sollte.«

»Ich habe nie irgendwelchen Kontakt zu ihm gehabt«, gab Carmody zu. »Ich weiß überhaupt nicht, wie ich ihm eine Botschaft übermitteln sollte.«

»Das ist doch einfach, ganz einfach!« rief Maudsley ein wenig gequält. »Wenn Sie nach Hause kommen, müssen Sie mit fester, klarer Stimme zu ihm sprechen.«

»Wie kommen Sie darauf, daß er mich hören könnte?« fragte Carmody.

»Er kann gar nicht anders, als Sie hören«, versicherte Maudsley. »Es ist doch sein Planet, wissen Sie. Und er hat gezeigt, wie sehr er an seinem Volk interessiert ist. Wenn er wollte, daß seine Mieter auf irgendeine andere Art mit ihm kommunizieren, hätte er das längst bekanntgegeben.«

»In Ordnung«, sagte Carmody. »Ich mach's. Was soll ich Ihm erzählen?«

»Nun«, meinte Maudsley, den plötzlich gewisse Zweifel zu beschleichen schienen, »es ist eigentlich nicht viel, was ich ihm gerne mitgeteilt hätte. Aber er war so ein würdiger älterer Herr, ein richtiger Gentleman eben, und ich habe irgendwie ein kleines bißchen ein ungutes Gefühl wegen des Planeten, den ich damals für ihn gebaut habe. Nicht, daß mit dem Planeten irgend etwas nicht in Ordnung wäre, wenn man es genauer betrachtet. Er ist ganz brauchbar und was man so von einem Planeten verlangen kann. Aber der alte Knabe war jemand, der Stil hatte, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. Und so etwas gibt es wirklich selten, solche Burschen von der alten Schule. Nun, ich würde ihm gern anbieten, den Planeten zu renovieren, ganz kostenlos. Er brauchte keinen Pfennig dafür zu bezahlen. Wenn er zustimmt, würde ich aus dem Planeten ein kleines Paradies machen, ein richtiges Schaustück. Ich bin ein wirklich guter Ingenieur, das muß ich Ihnen einmal sagen. Es ist ganz unfair, mich nach dem Schund zu beurteilen, den ich immer wieder produzieren muß, um mich am Leben zu erhalten.«

»Ich werde ihm das sagen«, versprach Carmody. »Aber, um mal ganz offen zu sein, ich glaube nicht, daß er so ein Angebot annimmt.«

»Ich glaube das auch nicht«, bestätigte Maudsley mit einem schwermütigen Lächeln. »Er ist ein eigensinniger alter Bursche, und er läßt sich von niemandem einen Gefallen tun. Trotzdem möchte ich dieses Angebot machen, und ich meine es völlig ernst und aufrichtig.« Maudsley zögerte kurz, dann fügte er hinzu: »Sie könnten ihn außerdem fragen, ob er nicht mal für ein Schwätzchen vorbeischaut.«

»Warum gehen Sie nicht einfach mal bei ihm vorbei?«

»Ich habe das schon ein paar Mal versucht, aber er ging mir aus dem Weg. Er wollte mich einfach nicht sehen. Er kann ziemlich schwierig sein, Ihr alter Herr, Carmody. Wissen Sie, er ist einer von den Typen, die nicht mit jedem reden, das müßte Ihnen doch auch schon aufgefallen sein.«

»Kann schon sein«, pflichtete Carmody bei. »Aber, wenn Sie unbedingt mit einem Gott reden wollen, warum besuchen Sie dann nicht Melichrone?«

Maudsley warf den Kopf zurück und lachte laut los. »Melichrone? Diesen Mistkerl? Er ist ein lächerlicher, egozentrischer Stubenhocker ohne den geringsten Charakter, mit dem es sich zu befassen lohnen würde. Lieber würde ich dann schon mit einem Hund über Metaphysik diskutieren! Nein. Melichrone ist ein Spinner. Wenn man es mal technisch ausdrücken will, dann ist das Gott sein eine Frage der Macht und der Kontrolle, sonst nichts. Es ist überhaupt nichts Übernatürliches dabei, und es ist auch keinesfalls eine besondere Auszeichnung. Keine zwei Götter sind gleich. Wußten Sie das nicht?«

»Nein, wußte ich nicht.«

»Merken Sie es sich gut. Man kann nie wissen, wann ein Stückchen Information, wie dieses hier, sich als nützlich erweist.«

»Danke«, sagte Carmody. »Ich muß gestehen, daß ich vor dieser ganzen Sache hier überhaupt an gar keinen Gott geglaubt habe.«

Maudsley blickte nachdenklich drein und meinte dann: »So wie ich es sehe, ist die Existenz von Gott oder von Göttern offensichtlich und bedarf keines Beweises. Und der Glaube an einen Gott ist so einfach und so natürlich, wie der Glaube an einen Apfel, und genauso viel oder wenig von Bedeutung. Wenn man es mal ganz genau betrachtet, gibt es eigentlich nur eine einzige Sache, die diesem Glauben im Weg steht.«

»Und welche wäre das?« wollte Carmody wissen.

»Das allgemeine Geschäftsprinzip, das wesentlich fundamentaler ist als das Gravitationsgesetz. Wo immer Sie in der Galaxis hingehen, können Sie ein Lebensmittelgeschäft finden, ein Baugeschäft, ein Regierungsgeschäft und so weiter. Und natürlich auch ein Gottgeschäft, das man allerdings meist >Religion< nennt, und das für mich ein recht anrüchiger Erwerbszweig ist. Ich könnte jahrelang von den perversen und widerwärtigen Dingen erzählen, die diese Religionen versuchen im Namen eines Gottes an das Volk zu bringen, aber ich bin sicher, Sie haben selbst schon genug Derartiges gehört. Aber eins will ich doch besonders erwähnen, weil es fast allem, was Religionen predigen, beigemengt ist und eine so ganz besonders augenfällige Perversion des Denkens darstellt.«

»Und?« fragte Carmody neugierig.

»Es ist der tiefverwurzelte, fundamentale Berg von Pharisäertum, auf dem sich jede Religion begründet. Schauen Sie: Es heißt doch, daß ein Wesen Gott nur dienen kann, wenn es einen freien Willen besitzt, was logisch ist. Besäße es keinen, könnte es sich eben nicht dafür entscheiden. Freier Wille aber, ist frei. Und gerade durch seine Freiheit ein einzigartiges und wirklich göttliches Geschenk, auf das sich alle Selbstentfaltung der Kreatur gründet. In Freiheit existieren ist eine wilde, seltsame Sache, und war ganz klar auch beabsichtigt so zu sein. Aber was machen die Religionen daraus? Sie sagen: >Sehr schön, du hast einen freien Willen, aber nun mußt du deinen freien Willen benutzen, um dich einem Gott zu unterwerfen, dich zum Sklaven seiner Religion zu machen.< Diese ungeheuerliche Zumutung! Gott, der jeder Fliege ihren freien Willen läßt, wird als der oberste Sklavenhalter hingestellt! Angesichts einer solchen Unverschämtheit muß sich einfach jede Kreatur, die Geist besitzt, dagegen auflehnen, muß dagegen rebellieren. Sie muß Gott entweder ganz aus ihrem eigenen Willen und ihrer Laune dienen oder jeden Dienst an ihm völlig ablehnen, wenn sie sich selbst und dem göttlichen Geschenk ihrer Freiheit treu bleiben will.«

»Ich denke, ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Carmody.

»Ich habe es zu sehr verkompliziert«, sagte Maudsley. »Es gibt einen viel einfacheren Grund, nichts von Religion zu halten.«

»Welchen?«

»Sehen Sie sich doch nur den Stil der Religionen an - bombastisch, aufgeblasen, überheblich, sauertöpfisch, herablassend oder anbiedernd, langweilig, mit Schreckensbildern oder mit billigen Slogans um sich werfend, ein Lebensinhalt für senile alte Weiber und verängstigte kleine Kinder, aber für niemanden sonst. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Gott, wie sie in mein Büro kommen, jemals eine Kirche betreten würde. Ihr Gott, Carmody, hätte viel zu viel Geschmack und Temperament, zu viel Stolz und Zorn dazu. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Warum also sollte ich einen Ort aufsuchen, den ein Gott niemals betreten würde?«

XIV

Während Maudsley sich daran machte, eine Maschine für die Rückkehr zur Erde zu konstruieren, blieb Carmody sich selbst überlassen. Er langweilte sich bald furchtbar. Maudsley konnte nur bei völliger Ruhe arbeiten, und der Preis war offenbar wieder in seinen Winterschlaf verfallen. Orin und Brookside, die beiden Nachwuchsingenieure, erwiesen sich als trockene Wissenschaftlertypen, die völlig in ihrer Arbeit aufgingen und an nichts anderem Interesse zeigten.

So blieb für Carmody niemand, mit dem er sich unterhalten konnte.

Er vertrieb sich die Zeit, so gut er konnte. Er besichtigte eine Fabrik, in der Atome hergestellt wurden, und hörte sich pflichtbewußt an, was ein rotgesichtiger Vorarbeiter ihm über die Herstellungsprozesse zu sagen hatte.

»Früher war das hier alles Handarbeit«, berichtete der Vorarbeiter. »Jetzt gibt es Maschinen dafür, aber der Herstellungsvorgang ist im wesentlichen der gleiche geblieben. Zuerst suchen wir uns ein Proton heraus und verbinden es dann mit einem Neutron, wozu wir Mr. Maudsleys patentierten Energiekleber verwenden. Dann verspinnen wir die Elektronen mit einer mikrokosmischen Standardzentrifuge an den richtigen Stellen. Danach wird dann alles, was jeweils gebraucht wird, dazu gemischt - Mu-Mesonen, Positronen, die ganze Teilchensuppe. Und das war's dann schon.«

»Bekommen Sie viele Bestellungen für Gold- oder Uranatome?« erkundigte sich Carmody.

»Nicht zu viele. Sind zu teuer. In der Hauptsache produzieren wir hier Wasserstoff.«

»Wie steht es mit Antimaterie?«

»Ich selbst halte da nicht viel von«, bemerkte der Vorarbeiter. »Ist 'ne überflüssige Sache. Aber Mr. Maudsley macht das so als eine Art Nebengeschäft. Dafür gibt es aber natürlich eine getrennte Fabrik.«

»Natürlich«, sagte Carmody.

»Das Zeug explodiert, wenn es mit normalen Atomen zusammenkommt.«

»Davon habe ich gehört. Das Zeug muß schwer zu verpacken sein, nicht wahr?«

»Nein, eigentlich nicht«, erklärte der Vorarbeiter. »Es kommt einfach in neutrale Kartons.«

Sie gingen weiter um die riesigen Maschinenanlagen herum, und Carmody überlegte, was er wohl sonst noch sagen könnte. Schließlich fragte er: »Machen Sie Ihre eigenen Protonen und Elektronen?«

»Nein. Mit dem wirklich kleinen Zeug wollte Mr. Maudsley nie etwas zu tun haben. Unsere subatomaren Teilchen bekommen wir von verschiedenen Zulieferern, meist Heimarbeitern.«

Carmody lachte, und der Vorarbeiter sah ihn ein wenig mißtrauisch von der Seite an. Sie setzten ihren Rundgang fort, bis Carmody die Füße wehzutun begannen.

Er fühlte sich müde und gelangweilt, und das verdarb ihm die Laune. Er fühlte, daß er fasziniert hätte sein müssen an einem Ort, wo Atome hergestellt wurden. Dort drüben stand eine Maschine, die dem unbehandelten Raum die kosmische Hintergrundstrahlung entzog und sie in kleine grüne Behälter abfüllte. Dahinter befand sich ein Großthermometer für die Therapie altersschwacher Sterne, die in der nächsten Abteilung eine Verjüngungskur erhielten. Und links davon . . .

Es hatte keinen Zweck. Der Besichtigungsgang durch Maudsleys Fabrik erweckte in Carmody eine unerträgliche Langeweile, wie er sie zuvor nur als Student bei einer Führung durch ein Hüttenwerk in Indiana erlebt hatte. Und dieses Gefühl dumpf en Widerwillens, diese Woge angeekelter Erschöpfung - genauso hatte er sich immer bei den endlosen Museumsrundgängen mit seiner Frau gefühlt, in den gedämpften, endlosen Korridoren des Louvre, des Prado oder des Britischen Museums. Das Gefühl des Wunderbaren, stellte Carmody fest, verträgt immer nur sehr wenig Wunder auf einmal. Der Mensch bleibt im Grunde überall nur sich selbst und seinen eigenen Interessen treu. Er ist der Gefangene seines Charakters, selbst wenn man diesen Charakter plötzlich nach Tim-buktu oder nach Alpha Centauri transportiert. Und mit schamloser Ehrlichkeit gestand Carmody sich ein, daß er lieber auf Ski die Nosdive-Abfahrt bei Stowe herunter wedeln würde oder mit einem Einhandsegler in der Frisco-Bay kreuzen, als sich die größten Wunder des Universums anzusehen. Irgendwie schämte er sich dafür, aber er konnte nichts dagegen tun.

»Es scheint mir, ich habe nichts besonders Faustisches an mir«, sagte er zu sich selbst. »Hier liegen die Geheimnisse des Universums vor mir ausgebreitet wie alte Zeitungen, und ich träume von einem schönen Wintermorgen in Vermont, bevor der Schnee verharscht ist.«

Eine Zeitlang fühlte er sich regelrecht elend, aber dann begann sich etwas in ihm zur Wehr zu setzen: »Jedenfalls mußte selbst Faust nicht durch dieses ganze Erkenntniszeug spazieren, als wäre es eine Ausstellung alter Meister. Er mußte sich verdammt dafür anstrengen und hat sich richtig die Seele aus dem Leib gearbeitet, wenn ich mich recht erinnere. Wenn es ihm der Teufel so einfach gemacht hätte, dann hätte Faust das ganze Streben nach Erkenntnis hingeschmissen und sich etwas wirklich Anstrengendem zugewandt, Bergsteigen vielleicht oder etwas ähnlichem.«

Er dachte noch eine Weile nach. Dann sagte er sich: »Egal. Was ist schon Großes dran an den Geheimnissen des Universums? Man hat sie eben überschätzt, wie man alles sonst ja auch immer viel großartiger darstellt, als es sich nachher entpuppt. Wenn man es erst mal wirklich vor sich hat, ist nichts so toll, wie man es sich vorher immer vorgestellt hat.«

Das alles, selbst wenn es nicht unbedingt stimmen mußte, half Carmody jedenfalls sich erheblich besser zu fühlen. Aber er langweilte sich noch immer, und Maudsley ließ sich weiterhin nicht außerhalb seiner Werkstatt blicken.

Die Zeit verging endlos langsam, zumindest erschien es Carmody so. Natürlich war es unmöglich, darüber irgendwelche objektiven Feststellungen zu treffen, aber für Carmody reihte sich Tag an Tag und Woche an Woche, nach seinem subjektiven Lebensrhythmus beurteilt. Es kam ihm auch so vor, als hätte Maudsley seine Schwierigkeiten, dem schnell gegebenen Versprechen nun wirklich nachzukommen. Offenbar war es schwieriger einen neuen Stern zu bauen, als einen alten zu finden. Da er soviel Zeit hatte, darüber nachzudenken, erschien Carmody diese Aufgabe immer komplexer und unlösbarer. Er begann allen Mut zu verlieren.

Eines Tages (um es etwas konventionell auszudrücken) sah er Orin und Brookside bei der Konstruktion eines Waldes zu. Die Primaten von Coeth II hatten diesen Hain bestellt, weil ihr alter von einem Meteor getroffen worden war. Der neue hatte vollständig aus einer Schulkindersammlung finanziert werden müssen, aber es war eine ausreichende Summe für eine erstklassige Bestellung zusammengekommen.

Als die Ingenieure und Arbeiter fertig waren und den Bauplatz verlassen hatten, wanderte Carmody allein unter den Bäumen her. Er bewunderte, welche großartige Arbeit Maudsleys Leute leisten konnten, wenn sie die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt bekamen, denn dieser Wald erwies sich als Prunkstück kreativer und durchdachter Planung.

Die Bäume sahen alle recht erdähnlich aus, und Carmody benannte sie für sich selbst einfach nach ihren irdischen Gegenstücken. Es gab breite ästhetisch schön geschlungene Pfade mit einem weichen Moosteppich für die Füße und einem hoch gewölbten Blätterdach darüber, das gerade angenehmen Schutz vor zuviel direkter Sonneneinstrahlung bot, ohne das es am Boden zu dunkel gewesen wäre. Seichte kleine Flüsse, keiner tiefer als fünfzig Zentimeter, sodaß auch kleine Kinder gefahrlos darin baden konnten, und lauschige Seen, ebenfalls völlig kindersicher, rundeten das Bild ab.

Aber es gab noch mehr als das, wie Carmody bemerkte. Selbst jemandem so ungeschulten wie ihm fiel auf, mit welcher Sorgfalt dem Wald eine kleine, einfache, freundliche und sinnvolle Ökologie beigegeben worden war. Es gab Vögel, Waldtiere und allerlei Kreaturen, zu denen Carmody kein rechter Vergleich einfiel, weil sie auf der Erde kein Äquivalent besaßen.

Blumen blühten überall, und Bienen, selbstverständlich ohne Stachel, summten fleißig umher, um die Bestäubung vorzunehmen. Und durch das nicht zu hohe und nirgendwo verfilzte Unterholz tapsten drollige kleine Bären, die ständig unterwegs waren, um den Bienen den Honig abzujagen. Es gab Raupen in den schönsten Farben, die an den Blumen fraßen, und leuchtend gefiederte Vögel, die von den Raupen lebten, und schnelle rote Füchse, die den Vögeln nachstellten, und Bären, die die Füchse fraßen, und Primaten, die die Bären aßen.

Aber auch die Primaten von Coeth II starben irgendwann, und dann wurden sie im Wald in ein schattiges, weiches Grab ohne Sarg gelegt, taktvoll, aber ohne jede überflüssige Zeremonie, und die Maden fressen von ihnen, und die Vögel, die Füchse, die Bären und selbst einige besondere Blumenarten. Auf diesem Wege waren auch die Coethianer ein fester Bestandteil des Waldzyklus von Leben und Tod. Und das gefiel den Primaten sehr gut, denn sie hatten nie etwas anderes als ein Bestandteil ihrer Ökosphäre sein wollen.

Carmody beobachtete dies alles, während er mit dem Preis unter dem Arm (er war noch immer ein Kupferkessel) durch den Wald wanderte und dabei düsteren Gedanken an seine eigene verlorene irdische Heimat nachhing. Dann hörte er hinter sich das Rascheln eines Zweiges.

Es gab keinen Wind, und die Bären badeten alle gerade in einem der Teiche. Carmody drehte sich langsam herum, weil er wußte, daß etwas hinter ihm sein mußte, und wünschte sich dabei, es wäre nicht dort.

Es war tatsächlich etwas dort. Eine Kreatur in einem unförmigen, grauen Plastikraum anzug, grauen unförmigen Schuhen Modell Frankenstein, einem transparenten Bubblegum-Raumhelm und einem breiten Gürtel, von dem über ein Dutzend Werkzeuge, Instrumente und Waffen baumelten.

Carmody erkannte diese Erscheinung auf Anhieb als einen Erdenmenschen; kein anderes Wesen würde sich so anziehen.

Etwas hinter der Gestalt zu ihrer Rechten stand eine schlankere, ähnlich gekleidete Figur. Carmody sah auf Anhieb, das dies eine Erdenfrau war, und zwar ein sehr attraktives Modell.

»Großer Gott!« sagte Carmody. »Wie, um alles in der Welt, kommt ihr denn hierher, Leute?«

»Nicht so laut«, erwiderte der Erdenmann. »Ich danke Gott, daß wir gerade noch rechtzeitig gekommen sind. Aber ieh fürchte, daß der wirklich gefährliche Teil des Unternehmens jetzt erst anfängt.«

»Haben wir überhaupt eine Chance, Vater?« fragte das Mädchen.

»Es gibt immer eine Chance«, sagte der Mann mit einem grimmigen Lächeln. »Aber ich würde auf unsere kein Geld verwetten. Trotzdem, Kopf hoch. Vielleicht kann Dr. Maddox die Lösung finden.«

»In solchen Lagen ist er wirklich großartig, nicht wahr, Vater?« sagte das Mädchen.

»Das ist er, Mary«, antwortete der Mann mit beruhigendem Tonfall. »Doc Maddox ist der beste, den wir je hatten. Aber er -wir alle - könnten bei diesem Unternehmen an unsere Grenzen gestoßen sein.«

»Ich bin sicher, er wird einen Weg finden«, meinte das Mädchen mit herzzerreißender Verzweiflung in der Stimme.

»Er wird alles versuchen«, sagte der Mann. »Wir werden ihnen schon zeigen, daß wir von der Erde nicht auf den Kopf gefallen sind. Noch weiß hier keiner, was es heißt, sich mit Terranern anzulegen, und das ist unsere große Chance.« Er wandte sich an Carmody, und sein Gesicht wurde hart. »Ich hoffe nur, Sie sind das alles wert, mein Junge«, verkündete er. »Drei Menschen haben für Sie das äußerste gewagt.«

Dies war eine Mitteilung, auf die eine angemessene Erwiderung, besonders wenn sie so überraschend verlangt wird, nicht gerade einfach ist. Carmody versuchte es gar nicht erst.

»Dann alles auf dem schnellsten Weg zurück zum Schiff«, befahl der Mann. »Jede Sekunde zählt. Lassen wir uns überraschen, was Doc Maddox inzwischen herausgefunden hat.«

Er zog eine klobige Strahlwaffe aus dem Gürtel und wandte sich dem Wald zu. Das Mädchen reihte sich hinter ihm ein und warf Carmody einen aufmunternden Blick zu. Carmody lief hinter ihr her.

XV

»He, wartet doch mal eine Minute!« rief Carmody, während er hinter den raumbeanzugten Terranern durch den Wald lief. »Was hat das alles zu bedeuten? Wer seid ihr? Was macht ihr hier?«

»Meine Güte!« antwortete das Mädchen. Sie wurde fast ein wenig rot vor Verlegenheit, als sie sich zu ihm umwandte. »Wir sind vielleicht gut. Da kommen wir angerannt und schleppen Sie mit, ohne uns auch nur vorzustellen. Sie müssen ja einen richtig schlechten Eindruck von uns bekommen, Mr. Carmody.«

»Überhaupt nicht«, versicherte Carmody höflich. »Aber ich hätte gerne gewußt - na, Sie verstehen mich sicher. Etwas mehr gewußt eben, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Oh, natürlich. Ich weiß, was Sie meinen«, sagte das Mädchen. »Ich bin Aviva Christiansen, und dies ist mein Vater, Professor Lars Christiansen.«

»Auf dieses Professor-Gerede können wir ruhig verzichten«, knurrte Christiansen. »Nennen Sie mich einfach Lars, oder Chris, oder wie es Ihnen sonst gefällt.«

»Alles klar, Daddy«, sagte Aviva mit einem liebevollen, leicht genervten Blick. »Jedenfalls, Mr. Carmody . . .«

»Tom ist mein Name.«

»Tom, also dann«, fuhr Aviva fort, wobei sie auf hinreißende Art ein ganz klein wenig errötete über diese plötzliche Intimität. »Wo war ich stehengeblieben? Ach, ja. Dad und ich arbeiten für den Interstellaren Terranischen Rettungsdienst (ITR), der Büros in Stockholm, Genf und Washington hat.«

»Ich fürchte, ich habe noch nie von diesem ITR gehört«, gestand Carmody.

»Das ist nicht weiter verwunderlich«, erklärte Aviva. »Die Erde hat sich ja gerade erst auf die Schwelle der interstellaren Forschung gewagt. Gerade jetzt erst sind überall in den Labora-torien Terras Versuche mit neuen Energieformen im Gange, die alles in den Schatten stellen werden, was es bisher an notdürftiger Atomtechnologie gab, wie Sie sie kennen. In aller nächster Zukunft werden bereits die ersten Raumschiffe mit menschlicher Besatzung zu den fernsten Ecken unserer Galaxis vorstoßen. Und daraus wird dann natürlich eine neue Periode des Friedens und des Wohlstandes für unseren erschöpften alten Planeten entstehen.«

»Wird sie?« fragte Carmody. »Warum?«

»Weil es nichts mehr geben wird, um das man kämpfen müßte«, erklärte ihm Aviva etwas außer Atem, denn sie rannten während des Gesprächs alle drei weiter durch das Unterholz. »Hier draußen gibt es zahllose Welten für uns«, fuhr sie fort. »Das dürften Sie ja schon bemerkt haben, Tom. Hier gibt es genug Platz für alle Gesellschaftsformen, für alle sozialen und psychologischen Experimente, für Abenteuer, für alles, was man sich vorstellen kann. Deshalb werden sich die Energien der Menschheit von nun an nach außen richten, anstatt sich wie bisher in selbstzerstörerischen innerrassischen Kriegen zu verzehren.«

»Mädchen, du verpaßt ihm da aus dem Handgelenk eine geballte Ladung«, meinte Lars Christiansen in seiner tiefen, freundlich-knurrigen Stimme dazu. »Sie hört sich an wie eine SF-Schreiberin, Tom, aber sie hat ein halbes Dutzend Doktortitel und doppelt soviel Diplome nachgeworfen bekommen. Deshalb muß man davon ausgehen, daß sie weiß, was sie redet.«

»Und mein Paps mag sich anhören, wie ein alter Kneipenbruder«, konterte Aviva lächelnd, »aber er hat zu Hause drei Nobel-Preise über dem Schuhschränkchen hängen.«

Vater und Tochter wechselten einen schnellen Blick, der sowohl leichte Verärgerung als auch riefe gegenseitige Sympathie bezeugte.

»Jedenfalls«, nahm Aviva den Faden wieder auf, »so sieht es zur Zeit aus, oder wird es, genauer gesagt, in ein paar Jahren aussehen. Wir sind dieser Entwicklung dank Doc Maddox um eine Nasenlänge voraus, und deshalb sind wir bereits hier.

Maddox werden Sie ja gleich kennenlernen, Tom.« Sie zögerte einen Augenblick, und sagte dann etwas leiser. »Ich glaube, es ist kein Vertrauensbruch, wenn ich Ihnen schon einmal zur Vorbereitung sage, Doktor Maddox ist ein - ein - ein Mutant!«

»Verdammt noch mal, das kann man ruhig laut sagen«, fuhr Christiansen dazwischen. »Gibt gar keinen Grund, sich da was vorzumachen. Ein Mutant kann genauso gut seih, wie jeder von uns. Und im Fall von Doc Maddox ist er sogar noch tausendmal besser.«

»Es war Dr. Maddox, der dieses Projekt eigentlich in den Orbit geschossen hat«, erklärte Aviva. »Sehen Sie, er berechnete die Zukunft und machte eine exakte Extrapolation (wie das im Detail ging, kann ich Ihnen jetzt nicht erläutern), und deshalb kam er schon so früh darauf, daß es nach der Entdek-kung billiger, unbegrenzter Energie in fast jeder gewünschten Form bald eine Unmenge von Raumschiffen geben würde. Und viele Leute würden einfach ins All hinaus jagen, ohne die entsprechende Ausrüstung oder die nötigen Navigationsinstrumente oder . . .«

»Eben diese Vollidioten, wie wir sie schon immer bei irgendeiner neuen Sache dabei haben«, kommentierte Christiansen trocken.

»Paps! Jedenfalls würden diese Leute Hilfe brauchen. Aber es würde keinen organisierten galaktischen Rettungsdienst (das hat er ganz besonders genau vorausberechnet) in den nächsten 87 238 874 Jahren geben. Begreifen Sie jetzt?«

»Doch, doch«, versicherte Carmody. »Ihr drei erkanntet das Problem und - und ihr nahmt euch der Sache an.«

»Ja«, sagte sie einfach. »Wir nahmen uns der Sache an. Daddy hat sich immer schon gerne bemüht, anderen zu helfen, auch wenn man es seiner knurrigen Art nicht gleich anmerkt. Und was für meinen Daddy eine wichtige Sache ist, ist für mich auch gut genug. Und was Dr. Maddox angeht - also er ist die maximale Realisierung allen menschlichen Potentials. Einem größeren Menschen bin ich nie begegnet. Er ist der genialste aus meinem ganzen Bekanntenkreis, müssen Sie wissen.«

»So ist es, nur daß er mindestens das Doppelte von dem ist, als was Sie ihn sich jetzt vorstellen, Tom«, ergänzte Lars Christiansen ruhig. »Der Mann hat eine bemerkenswerte Geschichte. Sie wissen ja, daß Mutationen in der Regel negativen biologischen Wert haben. Die Evolution siebt sich da bloß alle paar Tonnen Sand ein Körnchen Gold aus ihrer Pfanne. Aber in Dr. Maddoxs Fall gibt es eine Familiengeschichte sich wiederholender Mutationen, die meistens positiv und alle völlig unerklärlich.«

»Wir vermuten daß ein außerirdischer Einfluß dahinter stehen könnte«, sagte Aviva, fast flüsternd. »Die Maddox-Familie läßt sich nur etwa zweihundert Jahre zurückverfolgen. Es ist eine seltsame Geschichte. Aelill Maddox, ein Ur-Urgroßvater, war ein walisischer Bergarbeiter. Über zwanzig Jahre lang schuftete in der berüchtigten Auld Gringie-Mine und gehörte zu den wenigen Arbeitern, die das gesund überstanden. Das war Anfang des 18. Jahrhunderts. Als die Mine vor einigen Jahren wieder geöffnet wurde, entdeckte man darunter das berühmte Scatterwail-Uranlager.«

»Damals muß es angefangen haben«, erzählte Christiansen weiter. »Die nächste Spur der Familie findet sich 1801 in Oaxca, Mexiko. Thomas Maddoxxe (wie er sich selbst schrieb) heiratet dort die schöne und mächtige Teresita de Valdez, Gräfin von Arragon und Besitzerin der größten Hazienda im südlichen Mexiko. Thomas war auf den Weiden unterwegs, als am Morgen des 6. April 1801 der Estrella Roja de Muerto - der rote Stern des Todes (inzwischen als großer radioaktiver Meteor identifiziert) - im Abstand zweier Meilen von der Ranch nieder-gihg. Thomas und Theresita gehörten zu den wenigen Überlebenden.«

»Danach müssen wir in die dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts springen«, übernahm Aviva wieder den Erzählfaden. »Eine der nächsten Generationen, der inzwischen verarmten Maddox-Familie war nach Los Angeles gezogen. Dort tat sich Ernest Maddox, der Großvater unseres Doktors, damit hervor, daß er Ärzten und ZahnärzteA eine Maschine verkaufte, die er Röntgenapparat nannte. Maddox demonstrierte die Maschine über zwanzig Jahre lang mindestens zweimal täglich am eigenen Leib. Trotz der Überdosis an Strahlung, die er dabei abbekommen haben muß, oder vielleicht gerade deswegen, erreichte er ein respektables Alter.«

»Sein Sohn«, sagte Lars, »reiste aus uns unerforschlichen Gründen plötzlich halsüberkopf nach Japan und wurde fort 1935 Zen-Mönch. Er lebte in einem tsuktsuri, einer Kellerecke, die ganzen Kriegsjahre hindurch, ohne jemals ein einziges Wort zu sagen. Die Leute ließen ihn in Ruhe, weil sie ihn für einen exzentrischen Pakistan! hielten. Maddox' Keller lag bei Hiroshima, genau 7,9 Kilometer vom Epizentrum des ersten Atombombenabwurfs entfernt. Direkt nach der Explosion verließ Maddox Japan und reiste zum Kloster von Hui-Shen, das auf einem der unzugänglichsten Berge des nördlichen Tibet liegt. Wenn man der Geschichte des englischen Touristen glaubt, der sich zur gleichen Zeit dort aufhielt, wurde Maddox von den Lamas erwartet! Er ließ sich dort nieder und verschrieb sich ganz dem Studium gewisser Tantras. Er heiratete eine Frau aus dem kaschmirischen Königshaus, von der er einen Sohn bekam: Owen, unseren Doktor Maddox. Die Familie reiste aus Tibet in die Vereinigten Staaten ab, einen Monat bevor die Chinesen einmarschierten. Owen wurde in Havard, Yale, UCLA, Oxford, Cambridge, an der Sorbonne und in Heidelberg ausgebildet. Wie er mit uns zusammenkam ist eine fast noch seltsamere Geschichte, die Sie bei einer etwas passenderen Gelegenheit hören sollen. Denn jetzt sind wir gleich beim Schiff, und ich glaube, wir sollten keine weitere Zeit verquatschen.«

Carmody sah auf einer kleinen Lichtung ein majestätisches Raumschiff vor sich, daß sich wie ein gigantischer Wolkenkratzer hoch über die Bäume in den Himmel reckte. Es besaß Antennen, Düsen, Schleusen, Teleskope und jede Menge anderer hochtechnischer Verzierungen. Vor dem Schiff saß auf einem Klappstuhl ein Mann mittleren Alters mit gutmütigem, faltenreichem Gesicht. Er konnte kein anderer als Maddox der Mutant sein, wie sich sofort zeigte, denn er besaß sieben Finger an jeder Hand und seine Stirn wölbte sich gewaltig vor, um Platz zu schaffen für sein Extrahirn.

Maddox erhob sich elegant (auf fünf Beinen!) und nickte ihnen zur Begrüßung zu. »Ihr seid gerade noch rechtzeitig gekommen«, sagte er. »Die Projektionslinien der zukünftigen Wahrscheinlichkeiten stehen dicht vor einem unausweichlichen Kreuzungspunkt höchster Gefahr. Kommt alle schnell ins Schiff! Wir müssen ohne jede weitere Verzögerung unseren Schutzschirm errichten und den Notstart vorbereiten!«

Lars Christiansen schritt schneller aus, offenbar zu stolz, einfach loszurennen. Aviva ergriff Carmodys Arm, und Carmody bemerkte, daß sie zitterte und daß der formlose graue Raumanzug die mädchenhaften Formen dem genaueren Blick nicht verbergen konnte/ Formen, die sich jetzt schutzsuchend an Carmody drängten.

»Eine widerwärtige Situation, in die wir da geraten sind«, murmelte Maddox, faltete den Stuhl zusammen und trug ihn zur Schleuse. »Meine Kalkulationen haben diesen Krisenpunkt natürlich berücksichtigt, aber die Natur der Krise besteht eben gerade darin, daß sich von diesem Augenblick an nicht mehr genau sagen läßt, was weiter passieren wird. Nun, wir werden unser Bestes tun.«

Vor der weit offenen Hauptschleuse zögerte Carmody kurz. »Ich glaube wirklich, daß ich mich noch bei Mr. Maudsley verabschieden sollte«, erzählte er Maddox. »Vielleicht sollte ich ihn sogar um Rat fragen. Er ist sehr hilfsbereit, wissen Sie. Und er arbeitet gerade an einer Maschine, die mich zurück zur Erde bringen sollte.«

»Maudsley!« rief Maddox und tauschte mit Christiansen einen bezeichnenden Blick aus. »Ich habe bereits vermutet, daß er dahinter steckt.«

»Es sah ganz nach seiner verdammten Handschrift aus«, knurrte Christiansen.

»Was soll das heißen?« fragte Carmody.

»Das soll heißen«, sagte Maddox, »daß Sie zum Opfer und zur Schachfigur in einer gigantischen Verschwörung geworden sind, bei der es um nicht weniger als siebzehn Sonnensysteme geht. Ich kann jetzt nicht alles erklären. Aber Sie müssen mir glauben, es geht hier nicht nur um Ihres und unsere Leben, nein, das Leben von mehreren Dutzend Milliarden Humanoi-den steht auf dem Spiel, die meisten davon blauäugig und hellhäutig.«

»Oh, Tom, schnell, schnell!« schrie Aviva und zog ihn am Arm.

»Nun gut«, sagte Carmody, »aber ich will eine vollständige und befriedigende Erklärung für das alles.«

»Die sollen Sie haben«, sagte Maddox, als Carmody in die Schleuse trat. »Und zwar gleich jetzt und hier.«

Carmody wandte sich blitzschnell um, denn er hörte einen drohenden Unterton aus Maddox Stimme heraus. Er sah den Mutanten scharf an und erlebte einen plötzlichen Schock. Er sah noch einmal hin, besah sich seine drei Retter, und sah sie zum ersten Mal wirklich.

Der menschliche Geist ist so konstruiert, daß er optische Wahrnehmungen in seinem Gehirn zu einer Gestalt des beobachteten Objektes umsetzt. Ein paar Kurven ergeben in der Umsetzung das Bild eines Berges mit allen dazu gehörenden Assoziationen, ein halbes Dutzend gebrochener Linien produzieren eine passable Welle, lehrt uns die Gestaltpsychologie.

Unter Carmodys forschendem, mißtrauischem Blick brach die Gestalt nun zusammen. Er erkannte, daß Avivas wunderschöne Augen nur stilisiert wären wie die eines Schmetterlingsflügels. Lars hatte ein dunkelrotes Oval im unteren Drittel seines Gesichtes, von einer dunkleren Querlinie unterbrochen. Das sollte der Mund sein. Maddox Finger, alle sieben, waren in Hüfthöhe auf den Körper aufgemalt.

Die Gestaltwahrnehmung löste sich jetzt vollständig auf. Carmody entdeckte die dünnen schwarzen Linien, die jede der Figuren mit dem Schiff verband - wie Risse im Boden. Er stand völlig erstarrt da und sah, wie die drei auf ihn zukamen. Sie hatten keine Hände, die sie heben konnten, keine Füße, sich zu bewegen, keine Münder, damit zu erklären. Sie waren nichts anderes als halbrunde, glatte Zylinder, kunstvoll, aber nur oberflächlich als menschliche Wesen verkleidet. Sie hatten keine Glieder, mit denen sie irgend etwas tun konnten, sie waren selber Glieder, und diese Glieder taten jetzt das einzige, was sie zu tun hatten. Sie waren die Fingerglieder einer riesigen Hand. Und die Hand näherte sich mit knochenloser Geschmeidigkeit, um ihn tiefer in den dunklen Schlund des Schiffes hinein zu stoßen.

Das Schiff? Carmody wich den dreien aus und rannte um sie herum dorthin zurück, woher er gekommen war. Aber die Schleuse fuhr spitze Zähne aus, reckte sich ein wenig auseinander und begann sich dann zu schließen. Wie konnte er das nur für Metall gehalten haben? Die dunklen, schimmernden Wände des Schiffes wellten sich und begannen sich zusammenzuziehen. Carmody s Füße verfingen sich in einem schwammigen, klebrigen Dreck, und die drei Finger legten sich vor ihn, um ihn von dem kleiner werdenden Spalt des Tageslichts abzuschneiden.

Carmody kämpfte mit der zappelnden Verzweiflung einer Fliege, die in ein Spinnennetz geraten ist (der Vergleich paßte recht genau, aber diese Einsicht kam zu spät). Er wehrte sich wie ein Wahnsinniger, aber ohne Erfolg. Der Lichtspalt war kaum noch größer als ein Fußball, die Öffnung schimmerte nun rot und feucht. Die drei Zylinder hielten ihn fest, und Carmody konnte keinen mehr vom anderen unterscheiden.

Das war das ultimative Grauen, der Höhepunkt des Schrek-kens. Das, und die Beobachtung, daß die Wände und die Decke des Raumschiffes (oder was immer es sein mochte) eine tropfnasse, fleischige Röte angenommen hatten und sich langsam zusammenzogen, um ihn zu verschlingen.

Es gab kein Entkommen. Carmody war hilflos, unfähig sich zu bewegen oder zu schreien, unfähig überhaupt irgend etwas anderes zu tun, als das Bewußtsein zu verlieren.

XVI

Wie aus weiter Entfernung hörte Carmody eine Stimme sagen: »Was meinen Sie, Doktor? Können Sie ihm irgendwie helfen?«

Er erkannte die Stimme, es war der Preis.

»Ich komme für alle Kosten auf«, sagte eine andere Stimme. Er erkannte sie als die von Maudsley. »Glauben Sie, man kann noch etwas für ihn tun?«

»Er kann gerettet werden«, sagte eine dritte Stimme, vermutlich die des Arztes. »Die Medizin erkennt keine Grenzen des Machbaren an, nur die Grenzen des Erträglichen, und das sind bekanntlich die Grenzen des Patienten, nicht die unseren.«

Carmody kämpfte, die Augen zu öffnen oder den Mund, aber er mußte feststellen, daß er völlig gelähmt dalag.

»Scheint also doch was Ernstes zu sein, nicht?« fragte der Preis.

»Es ist schwierig auf eine solche Frage, eine präzise Antwort zu geben«, sagte der Arzt. »Zunächst einmal, um damit anzufangen, muß ich darauf hinweisen, daß es einen Unterschied zwischen medizinischer Wissenschaft und medizinischer Ethik gibt. Wir, als Angehöriger des Galaktischen Ärztebundes, haben unseren Eid geschworen, das Leben zu erhalten. Man erwartet von uns, daß wir im besten Interesse der jeweiligen Lebensform handeln, die wir behandeln. Aber was sollen wir tun, wenn diese beiden Grundsätze ärztlichen Handelns miteinander in Widerspruch geraten? Da sind zum Beispiel die Uiichi von Devin V, die einen Arzt aufsuchen, um sich von ihm von der Krankheit des Lebens heilen zu lassen, damit sie endlich ihre ersehnte Erfüllung im Tod finden. Damit werden wir vor ein verdammt verzwicktes Problem gestellt, will ich ganz offen zugeben. Die ganze Sache ist sowieso nur möglich, wenn ein Uiichi alt und kraftlos geworden ist, denn sonst sind die Burschen zum Sterben einfach zu zäh, nicht todzukriegen. Und was sagt nun die Ethik zu dieser seltsamen Verkehrung des Patientenwunsches? Sollen wir tun, was die Uiichi von uns verlangen, und was in fast jeder anderen Ecke der Galaxis völlig verwerflich ist? Oder sollen wir nach den Grundsätzen unserer eigenen Ethik handeln und die armen Uiichi so zu einem Schicksal verurteilen, das im wahrsten Sinne des Wortes schlimmer als der Tod ist?«

»Was hat das alles denn mit Carmody zu tun?« wollte Maudsley wissen.

»Nicht sehr viel«, gab der Doktor zu. »Aber ich dachte, Sie würden es interessant finden und es würde Ihnen helfen zu verstehen, warum wir solche hohen Honorare verlangen müssen.«

»Ist sein Zustand ernst?« forschte der Preis eindringlich.

»Nur der Tod kann als wirklich ernster Zustand betrachtet werden«, stellte der Doktor fest. »Und selbst da gibt es Ausnahmen. Pentathanaluna, zum Beispiel, vom Laien auch oft einfach der Fünf-Tage-Tod genannt, ist tatsächlich nicht schlimmer als ein Schnupfen, auch wenn man sich im Volksmund schreckliche Dinge darüber erzählt.«

»Aber was ist nun mit Carmody?« fragte Maudsley.

»Er ist definitiv nicht tot«, sagte der Doktor beruhigend. »Er befindet sich vielmehr in einem Zustand - oder einer Phase -tiefen Schocks, der Katalepsie nicht unähnlich, aber doch von oberflächlicherer Beschaffenheit. Um es einmal etwas einfacher auszudrücken, er ist, wie der Volksmund zu sagen pflegt, in Ohnmacht gefallen.«

»Können Sie ihn da rauskriegen?« erkundigte sich der Preis drängend.

»Ihre Art, sich auszudrücken, ist unklar«, erklärte der Arzt. »Meine Arbeit ist auch schon so schwer genug, ohne daß . . .«

»Ich wollte damit sagen, können Sie ihn wieder in seinen normalen Zustand zurückversetzen?« faßte der Preis schnell nach.

»Also! Das ist nun ein ziemlicher Aufwand, den Sie da wünschen. Ich vermute, Sie sind sich nicht darüber im klaren, was Sie von mir verlangen, Was war, bitte, sein normaler Zustand? Weiß einer von Ihnen das? Würde er selbst das wissen, wenn man ihn, wunderbarerweise, zu seiner eigenen Behandlung befragen könnte? Wie sollen wir wissen, welche von den Millionen subtilen Veränderungen der Persönlichkeit, von denen manche nur kaum einen Herzschlag dauert, welche von diesen unzähligen Carmody-Zuständen sein ganz charakteristischer eigener war? Ist eine verlorene Persönlichkeit nicht so etwas wie eine verlorene Sekunde - etwas, daß wir annähernd aber eben niemals wirklich wiederholen können? Dies sind Fragen, meine Herren, schwere Fragen, denen wir uns zunächst zu stellen haben.«

»Verdammt schwere«, knurrte Maudsley. »Schlage vor, Sie bringen ihn einfach in einen Zustand zurück, der seinem früheren am nächsten kommt. Wäre das möglich?«

»Für mich schon«, verkündete der Doktor. »Ich habe schon beträchtliche Zeit in diesem schweren Beruf gearbeitet und meine Erfahrungen gesammelt. Ich bin an die gräßlichen Anblicke gewöhnt und an die furchtbarsten Behandlungsweisen. Das soll natürlich nicht heißen, daß ich etwas gleichgültig geworden wäre. Ich habe lediglich gelernt, mich der traurigen Notwendigkeit zu beugen, mein Herz vor den schrecklichen Dingen zu verschließen, die meine ärztliche Pflicht von mir verlangt, und nicht aus falsch verstandenem Mitleid vor unangenehmen Behandlungsmethoden zurückzuschrecken.

»Oh, Mann!« stöhnte der Preis. »Doktor, was harn' se mit meinem armen Kumpel vor?«

»Ich muß operieren«, erklärte der Arzt. »Es ist der einzige erfolgversprechende Weg. Ich werde an Carmody eine Dissektion vornehmen (etwas laienhaft ausgedrückt) und seine Glieder und Organe zunächst einmal in Konservierungsflüssigkeit legen. Dann werde ich ihn in meiner hochprozentigen K-5-Lösung ein wenig aufweichen. Mit Hilfe besonderer Instrumente werde ich anschließend seine Nervenfasern und sein Gehirn aus Kopf und Rumpf lösen. Der weitere Fortgang sieht vor Hirn und Nervensystem an einen Simulator anzuschließen, über den die Synapsen mit diversen heftigen Reizungen beschickt werden. Durch diese, salopp >Befeuerung< genannte Verfahrensweise können wir feststellen, ob es im Nervensy-stem irgendwelche Unterbrechungen, Knoten, Schwachstellen oder ähnliches gibt. Davon ausgehend, es wird nichts Schwerwiegendes gefunden, kommen wir sodann zur Sektion des Hirns selbst, das bis auf den Nervenknoten, der die Verbindung zum Körper herstellt, abgetragen wird. Wenn bis dahin alles in Ordnung ist, wird der Knoten geöffnet, auf Schäden untersucht und die einzelnen Bewußtseinsebenen ausgebreitet und durchgecheckt. Um es anzuregen, das Gesamtbewußtsein meine ich, da es sich in dieser Phase zumeist recht unansprechbar zeigt, stimulieren wir mit heftigen Energieschocks, die bisher immer zur vollständigen Wiederbelebung der Denkvorgänge geführt haben. Danach werden alle Teile des Körpers wieder zusammengesetzt und der Patient kann nach einer kurzen Rekonvaleszenz noch im Simulator wiederbelebt werden, woran sich eine mehrjährige Rehabilitationsbehandlung anschließt. Das wäre im Großen und Ganzen alles.«

»Uaaahhh«, keuchte der Preis. »So würde ich nicht mal einen Hund behandeln.«

»Ich auch nicht«, versicherte der Arzt, »solange sich diese Gattung nicht weiter entwickelt hat. Wollen Sie, daß ich die beschriebene Operation vornehme?«

»Ja, wissen Sie . . .«, meinte der Preis vorsichtig. »Ich nehm doch an, man kann ihn hier nich' weiter einfach so rumliegen lassen. Was meinen Sie, Mr. Maudsley?«

»Natürlich kann man das nicht«, bestätigte Maudsley. »Der arme Kerl zählt auf uns. Wir sind ihm das schuldig. Doktor, tun Sie Ihre Pflicht.«

Carmody hatte während des ganzen Gesprächs mit der Fehlfunktion seiner Körperfunktionen heftig gekämpft. Er hatte mit ständig wachsendem Entsetzen zugehört und mit der sich ständig verfestigenden Überzeugung, daß einem die eigenen Freunde schlimmeres antun können, als alle Feinde es sich auch nur vorstellen können. Nun sprengte er mit einer titanischen Anstrengung seinen Mund auf und zerrte seine verklebte Zunge vom Gaumen frei.

»Keine Operation«, krächzte er. »Ich schlage euch die gottverdammten Schädel ein, wenn ihr die gottverdammte Operation zulaßt!«

»Er hat seinen Verstand zurückerlangt«, sagte der Doktor und klang dabei recht zufrieden. »Oft ist es nämlich so, müssen Sie wissen, daß eine ausführliche Beschreibung des Operationsvorganges in Gegenwart des zu operierenden Patienten bereits besseren therapeutischen Effekt zeigt als die Operation selbst erbringen könnte. Es ist natürlich nur ein Placebo-Effekt, aber man sollte solche Methoden in jedem Fall ernst nehmen.«

Carmody kämpfte sich auf die Füße, und Maudsley half ihm aufzustehen. Er sah sich den Doktor nun zum erstenmal richtig an und entdeckte, daß er ein dünnes, hochgewachsenes Individuum in schwarzem Anzug vor sich hatte, Abraham Lincoln wie aus dem Gesicht geschnitten. Der Preis war kein Kessel mehr, sondern hatte sich möglicherweise wegen des Stresses in einen Zwerg verwandelt.

»Rufen Sie mich, wenn ich gebraucht werde«, sagte der Doktor und verabschiedete sich.

»Was ist passiert?« fragte Carmody. »Das Raumschiff, diese Leute -«

»Wir haben dich gerade noch rechtzeitig da raus gezogen«, erklärte der Preis. »Aber das war kein Raumschiff, Alter!«

»Ich weiß. Was war es wirklich?«

»Das«, sagte Maudsley, »war Ihr Jäger. Sie sind ihm direkt ins offene Maul hinein spaziert - dem Verfolger.«

»So kam es mir auch vor«, meinte Carmody.

»Und auf diesem Weg hätten Sie beinahe Ihre einzige Chance verspielt, jemals zur Erde zurückzufinden«, fuhr Maudsley fort. »Ich glaube, Sie setzen sich besser erst einmal etwas hin, Carmody. Sie haben jetzt nur noch wenige Möglichkeiten, und keine davon ist besonders - nun, es wird sie nicht gerade besonders begeistern.« i

Carmody setzte sich.

XVII

Zuforderst und allererst klärte Maudsley Carmody über Jäger und Verfolger auf, ihre Folklore und Sitten, Angewohnheiten und Reaktionen, ihre Stärken und Schwächen. Es war wichtig für Carmody genau zu verstehen, was eigentlich mit ihm passiert war, auch jetzt noch, nachdem eigentlich schon alles vorbei war, und das Wissen erst nach dem Zwischenfall kam.

»Besonders weil es nach dem Vorfall kommt«, erläuterte der Preis.

Maudsley fuhr fort zu erklären, daß es genau wie es für jeden Mann eine Frau gibt, für jeden lebenden Organismus einen Jäger gibt, der sich von diesem Organismus ernährt. Die Große Kette des Fressens (ein poetisches Bild für die Totalität des Lebens als Zustandes einer kosmischen Dynamik) mußte weiter gehen, aus Gründen der inneren Notwendigkeit, wenn es nicht noch wichtigere geben sollte. Leben, wie wir es kennen, verlangt Fortpflanzung, und Fortpflanzung ist nicht vorstellbar ohne Tod. Daher -

»»Warum ist Fortpflanzung nicht vorstellbar ohne Tod?« wollte Carmody wissen.

»Stellen Sie keine dummen Fragen. Wo war ich stehengeblieben? Ach, ja. Daher ist Mord eine gerechtfertigte Sache, wenn auch einige der Täter sich weniger hoher Wertschätzung erfreuen mögen. Eine Kreatur in ihrem natürlichen Lebensraum überlebt gewisse andere Kreaturen und wird wiederum selbst von anderen überlebt. Dieser Prozeß ist für gewöhnlich so natürlich und einfach und befindet sich in einer so stabilen ökologischen Balance, daß Jäger und Gejagte gemeinsam dazu neigen, ihn für die meiste Zeit einfach zu ignorieren und ihre Aufmerksamkeit statt dessen der Erschaffung von Kunst, dem Sammeln von Nüssen oder Komtemplation des Absoluten zuwenden, oder woran auch immer die Spezies gerade den meisten Spaß haben. Und genauso soll es auch sein, denn Mutter Natur (die wir uns einmal personifiziert als ältere Dame mit nicht, wenn ihre Gesetze und Regeln zum Stoff des Klatsches auf Cocktailpartys werden, im frisch ausgebrüteten Nest, der Konklave, dem Kongreß, der Kurie oder wo sonst noch immer herumgeschwätzt wird. Aber Sie, Carmody, der den Jägern und der Ökosphäre des Heimatplaneten entkommen sind, müssen sich damit in ganz besonderer Weise wieder dem Gesetz des Gefressenwerdens stellen. Wenn es also in den Weiten des Raumes nirgendwo einen Jäger für Sie gibt, dann muß einer gefunden werden. Und wenn keiner gefunden werden kann, dann muß eben einer erschaffen werden.«

»Ja, schön und gut«, sagte Carmody. »Aber das Raumschiff, diese Leute . . .«

». . . waren nicht das, was sie zu sein schienen«, beendete Maudsley den Satz. »Das muß doch jetzt für Sie klar sein.«

»Jetzt schon.«

»Sie waren in Wahrheit es, ein einziges Wesen, eine Kreatur, nur dazu erschaffen, um Sie zu jagen, Carmody. Ganz für Sie allein. Es war Ihr Jäger, Carmody. Und er folgte ganz den klassischen Gesetzen der Jagd.«

»Die sind?« fragte Carmody.

»Ja, die sind«, seufzte der Preis. »Wie schön du das auf den Punkt gebracht hast, mein Alter. Wir mögen gegen das Schicksal und die Welt anrennen, aber am Ende bleiben wir doch mit immer der gleichen Botschaft auf der Strecke: Das sind die Dinge, die sind!«

»Ich wollte keinen Kommentar dazu abgeben«, korrigierte Carmody. »Ich habe gefragt. Was sind die Gesetze der Jagd?«

»Oh, 'tschuldige«, meinte der Preis. »Kleines Mißverständnis.«

»Das ist schon in Ordnung«, sagte Carmody.

»Danke«, erwiderte der Preis.

»Es macht nichts«, versicherte Carmody. »Ich habe es nicht so gemeint. . . Nein, verdammt, ich habe es doch so gemeint. Ich meinte, was sind diese einfachen Gesetze der Jagd?«

»Die Gesetze des Fressens und Gefressenwerdens.«

»Ja, aber wie lauten diese Gesetze?«

»Müssen Sie das wirklich fragen?« fragte Maudsley.

»Ja, ich fürchte ich muß das.«

»Wenn Sie eine Frage daraus machen«, erklärte Maudsley ein wenig verletzt, »hört die Jagd auf, eine einfache Sache zu sein, und selbst das besagte Gesetz wird zu einer dubiosen Sache. Das Wissen um die Jagd, um das Verfolgtwerden ist allen Organismen von Anbeginn mitgegeben, genau wie Arme und Beine und Köpfe, aber wesentlich, sicherer. Es ist wesentlich grundlegender als die Gesetze der Wissenschaft, wissen Sie, und es verträgt deshalb keine simplen Reduktionen. Je mehr eine solche Frage gestellt wird, wie Sie gerade gestellt haben, desto unmöglicher wird es sie verständlich zu beantworten.«

»Trotzdem meine ich schon, daß ich alles über Jagd wissen sollte, was es zu wissen gibt«, beharrte Carmody. »Besonders über die auf mich.«

»Ja, das sollen Sie wirklich wissen«, sagte Maudsley. »Oder, besser, Sie sollten es wissen. Nun, ich will versuchen, was ich Ihnen vermitteln kann.«

Maudsley rieb sich nachdenklich über die Stirn und stellte dann fest: »Man ißt, also wird man gegessen. Soviel sollten Sie bereits wissen. Aber wie genau werden Sie nun gegessen? Wie werden Sie in die Falle gelockt, gefangen, erlegt und zubereitet? Wird man Sie ofenheiß auftragen oder eisgekühlt oder gar mit Zimmertemperatur? Ganz offensichtlich wird das alles vom Geschmack dessen abhängen, der Jagd auf Sie macht. Soll Ihr Jäger Ihnen aus einer bestimmten Höhe auf den Rücken springen? Soll er eine Grube für Sie graben, ein Netz spinnen, Sie zum Zweikampf herausfordern oder Sie mit gefletschten Zähnen anspringen? Das hängt von der Natur Ihres Jägers ab, die sich wiederum aus dessen Funktion ergibt, die die Form bestimmt. Diese Natur spiegelt aber in erster Linie Ihre eigene Natur wieder, Carmody, die aber, wie die des Jägers, aus Ihrem freien Willen in bestimmtem Rahmen veränderlich ist und so letztendlich für immer unvorhersehbar. Nicht anders mit der des Jägers.

Nun zu den Einzelheiten. Anspringen, graben oder spinnen sind einfache, geradlinige Jagdmethoden, aber sie sind gegen ein Wesen, das logisches Denk- und Erinnerungsvermögen besitzt, nicht sehr erfolgversprechend. Ein Wesen wie Sie, Carmody, würde, nachdem ihm einmal geglückt ist der Falle zu entkommen, nie wieder auf den gleichen Trick hereinfallen.

Die Wege der Natur sind auch selten gerade. Man sagt, daß die Natur besonderen Gefallen an allen Spielarten der Tarnung und der Täuschung findet. Ich werde das nicht in Frage stellen. Gehen wir einmal von diesem Konzept aus, dann muß Ihr Jäger sich recht komplexer Methoden bedienen, um eine so komplexe Kreatur wie Sie in die Falle zu locken.

Das Problem hat aber noch eine andere Seite. Ihr Jäger wurde ja nicht nur für die alleinige Funktion erschaffen Ihnen nachzustellen. Sie sind das einzige Ding, das ihm für sein ganzes Leben am wichtigsten sein wird, aber er besitzt freien Willen, und ist deshalb nicht allein der strikten Logik seiner Freßbe-gierde unterworfen. Feldmäuse mögen davon überzeugt sein, daß die Eule nur zu dem einzigen Zweck existiert, Mäuse zu jagen, und keine andere Funktion besitzt. Aber wir wissen, daß eine Eule auch einmal andere Dinge im Kopf haben kann. So steht es mit allen Jägern, auch mit Ihrem. Daraus können wir eine wichtige Schlußfolgerung ableiten: das alle Jäger ihre Funktion nur unvollkommen erfüllen in Folge ihres freien Willens.«

»So habe ich noch nie darüber nachgedacht«, gestand Carmody ein. »Hilft mir das irgendwie?«

»Nun, eigentlich nicht richtig. Aber ich dachte Sie sollten es jedenfalls wissen. Wenn man es von den praktischen Möglichkeiten her sieht, werden Sie wahrscheinlich nie in der Lage sein, aus den Schwächen Ihres Jägers irgendwelchen Nutzen zu ziehen. Tatsächlich werden Sie wahrscheinlich nicht einmal erfahren, worin diese Schwächen bestehen könnten. Sie befinden sich da in der gleichen Situation wie die Mäuse. Sie hören das Schwirren der Flügel und finden schnell ein Loch, wenn Sie Glück haben, aber Sie werden niemals die Gelegenheit bekommen, die Natur, die Fähigkeiten und die Grenzen einer Eule zu analysieren.«

»Na, das ist ja wirklich großartig«, rief Carmody sarkastisch. »Ich bin schon vor dem Start so gut wie aus dem Rennen. Oder, um in Ihrem Bilde zu bleiben, ich bin schon so gut wie gegessen, auch wenn mir noch keiner die Gabel in den Bauch gestochen hat.«

»Auf dem Teppich bleiben, Alter«, beschwichtigte ihn der Preis. »Ist alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«

»Wie heiß ist es denn dann? Kann mir einer von euch eigentlich auch etwas sagen, von dem ich ein bißchen was habe?«

»Genau das versuchen wir die ganze Zeit«, sagte Maudsley.

»Dann sagt mir, wie der Jäger aussieht.«

Maudsley schüttelte den Kopf. »Das ist ganz unmöglich. Glauben Sie jedes Opfer könnte herausbekommen, wie sein Jäger aussieht? Wenn es das gäbe, wäre das Opfer bald unsterblich!«

»Und das wäre gegen die Regeln«, warf der Preis ein.

»Dann geben Sie mir doch wenigstens einen Hinweis, einen Tip«, bettelte Carmody. »Läuft er immer als Raumschiff verkleidet durch die Gegend?«

»Natürlich nicht«, erklärte Maudsley. »Aus Ihrer Sicht müßte man ihn wohl als einen Gestaltwandler bezeichnen. Keine Maus rennt der Schlange in den Rachen, keine Fliege geht der Spinne ins. Netz, wenn sie diese Gefahr vorher als solche erkennen kann. Deshalb müssen Sie sich selbst fragen, was Sie gesehen haben und was Sie nicht gesehen haben, als Sie hinter drei Fingern Ihres Jägers hergelaufen sind.«

»Sie sahen wie Menschen aus«, sagte Carmody. »Aber ich weiß noch immer nicht wie der Jäger aussehen könnte.«

»Es gibt keinen Weg, wie ich Sie da erleuchten könnte«, erklärte Maudsley. »Informationen über Jäger sind nicht leicht zu beschaffen. Sie sind einem selbst meist zu ähnlich, um sie deutlich erkennen zu können. Sie haben etwas Komplementäres zum Wesen ihres Opfers an sich. Ihre Fallen und Tarnungen beruhen auf den Träumen, den Erinnerungen und den Phantasien ihres Opfers. Sie sind der Grundstoff für das Psychodrama, das der Jäger zu seiner Täuschung aufführt, wie Sie selbst ja gerade erlebt haben, Carmody. Um Ihren Jäger zu kennen, müssen Sie sich selbst kennen. Und es ist einfacher das ganze Universum zu kennen als sich selbst.«

»Was kann ich tun?« fragte Carmody.

»Lernen!« rief Maudsley. »Seien Sie auf ewig wachsam, trauen Sie nichts und niemandem, bleiben Sie immer in Bewegung. Denken Sie nie daran, sich zu entspannen, bevor Sie nicht wieder zu Hause sind.«

»Zu Hause!« seufzte Carmody.

»Ja. Auf Ihrem eigenen Planeten werden Sie sicher sein. Diese Höhle kann der Jäger nicht betreten. Vor ihm ist es die sicherste Zuflucht, allerdings sind Sie dort wieder allen natürlichen Gefahren und Katastrophen ihrer normalen Umwelt ausgesetzt.«

»Können Sie mich nach Hause schicken?« fragte Carmody. »Sie sagten, Sie würden an einer Maschine arbeiten.«

»Ich habe diese Maschine fertiggestellt«, erklärte Maudsley. »Aber Sie müssen sich darauf einstellen, daß diese Maschine ihre Grenzen hat. Mehr Zeit habe ich nicht, diese Grenzen auszuweiten. Die Maschine kann Sie dorthin befördern, wo die Erde jetzt gerade ist, aber nicht mehr.«

»Aber das ist alles, was ich brauche«, freute sich Carmody.

»Nein, das ist es keinesfalls. >Wo< ist ja, wie Sie vergessen haben, nur die erste der drei Lokationen. Es fehlen >Wann< und >Welche<. Nehmen Sie sich die in der richtigen Reihenfolge vor, so wie ich sie genannt habe. Sie müssen sofort von hier aufbrechen, denn Ihr Jäger, dem Sie so leichtsinnig Appetit gemacht haben, kann jeden Augenblick zurückkehren. Und bei meinem nächsten Rettungsversuch könnte ich weniger Glück haben.«

»Wie haben Sie es eigentlich geschafft, mich aus dem Maul herauszukriegen?« wollte Carmody wissen.

»Ich fabrizierte schnell einen Köder«, erklärte Maudsley. »Er sah genauso aus wie Sie, aber ich baute ihn ein wenig überlebensgroß und gab ihm etwas mehr Vitalität. Der Jäger ließ Sie fallen und beugte sich, Speichel tropfend, über den leckereren Köder. Aber das können wir nicht noch einmal versuchen.«

Carmody zog es vor, nicht danach zu fragen, ob der Köder irgend etwas gespürt hatte. »Ich bin fertig«, sagte er. »Aber wohin werde ich jetzt befördert, und was passiert dann weiter.«

»Sie werden zur Erde transportiert, ganz ohne Zweifel der falschen Erde. Aber ich werde einen Brief an einen mir bekannten Herrn schreiben, der in der Lösung temporaler Probleme ganz besonderes Geschick besitzt. Er setzt sich mit Ihnen in Verbindung, wenn er Ihren Fall übernimmt, und dann. . .nun, wer will das schon wissen, Carmody? Nehmen Sie es, wie es kommt, und sind Sie dankbar, wenn überhaupt etwas kommt.«

»Ich bin dankbar«, versicherte Carmody. »Ganz egal was dabei herauskommt, ich möchte Ihnen von Herzen danken.«

»Das ist schon ganz in Ordnung«, sagte Maudsley. »Vergessen Sie meine Botschaft an den alten Herrn zu Hause nicht, wenn Sie es jemals bis dorthin schaffen. Alles fertig? Die Maschine steht hier direkt neben mir. Ich habe keine Zeit mehr dafür gehabt, sie sichtbar zu machen, aber sie sieht ziemlich so aus wie ein alter Volksempfänger, wenn Sie die Dinger kennen. Wo ist sie denn? Ah, hier, zum Teufel! Haben Sie Ihren Preis?«

»Ich habe ihn«, rief der Preis und klammerte sich an Carmodys rechte Hand.

»Dann sind wir soweit. Ich nehme diese Schaltung hier vor, dann diese Einstellung hier und dann dort die zwei Tasten . . . Sie werden froh sein, aus dem ganzen Makroskosmos rauszukommen, Carmody, und endlich wieder zurück auf Ihrem eigenen Planeten zu sein, selbst wenn es nicht exakt Ihrer ist. Es gibt natürlich keinen wirklich qualitativen Unterschied zwischen Atomen, Planeten, Galaxien oder Universen. Es ist alles eine Frage davon, in welchem Maßstab Sie gerne leben wollen. Und nun drücke ich dies -«

Bums! Zong! Huüühhhh! Schnelle Auflösung, langsame Auflösung, sich überlappende Auflösung. Elektronische Musik aus dem Weltraum, Weltraum aus elektronischer Musik. Blätter wirbeln von einem Abreißkalender, Carmody stürzt Hals über Kopf in den freien Fall. Kesselpauken dröhnen fern und bedrohlich, helle Farbblitze, Frauengelächter, Kinderstimmen in einer Echokammer, Montagen von Jaffa-Orangen, die wie Planeten aussehen, Collage des Sonnensystems auf zerlaufendem Acryl . . .

Es war ein Hammer von einem Trip, aber nichts was Carmody sich vorgestellt hatte.

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