20. Die Heimkehr

Die Reise nach Caer Dallben verlief rasch und ohne jeden Zwischenfall, denn die Herren der südlichen Lande hatten sich nach dem Tod des Gehörnten Königs davongemacht wie Ratten in ihre Löcher. Gwydion selbst führte Taran und seine Gefährten am Ufer des Ystrad nach Süden. Auch Eilonwy hatte darauf bestanden, mit ihnen zu reiten, um Dallben und Coll, von denen so oft die Rede gewesen war, endlich von Angesicht kennenzulernen. Gwydion hatte jedem von ihnen ein Pferd geschenkt. Das beste und schnellste von allen hatte Taran bekommen: den grauen, silbermähnigen Hengst Melynlas aus Melyngars Stamm. Hen Wen thronte wohlgelaunt in einer von zwei Pferden getragenen Sänfte und machte einen außerordentlich zufriedenen Eindruck. Die Begrüßung in Caer Dallben übertraf Tarans kühnste Erwartungen. Er konnte sich nicht genug darüber wundern, daß solch ein berühmter Held wie Coll sich dazu herabließ, einen Hilfsschweinehirten ans Herz zu drücken. Dann umarmte der alte Recke auch Eilonwy, Hen Wen und alle anderen, wie er ihrer gerade habhaft wurde. Dabei strahlte er übers ganze Gesicht wie ein Winterfeuer, und sein Kahlkopf glänzte vor Freude. Anschließend feierten sie ein Fest, wie man es sich nicht fröhlicher denken kann. Dallben unterbrach der Feier zuliebe seine wissenschaftlichen Betrachtungen; freilich zog er sich schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder in seine Stube zurück und blieb für den Rest des Tages verschwunden. Später gesellte sich Gwydion zu ihm, und sie verbrachten mehrere Stunden allein miteinander, denn es gab wichtige Dinge, die Gwydion mit dem alten Zauberer nur unter vier Augen besprechen konnte. Gurgi, der sich völlig wie zu Hause fühlte, verkroch sich nach dem Festmahl unter einem Heuhaufen in der Scheune zu friedlichem Schlaf. Während Fflewddur und Doli sich ein wenig in Caer Dallben umsahen, ging Taran mit Eilonwy hinter das Haus zum Schweinegarten, wo Hen Wen sie mit freundlichem Grunzen empfing, als ob gar nichts geschehen wäre.

„Dies also ist der Ort, wo alles begonnen hat“, sagte Eilonwy. „Ohne dir nahetreten zu wollen, Taran: Wenn du Hen etwas besser bewacht hättest, wäre dir eine Menge Ärger erspart geblieben – findest du das nicht auch? Es gefällt mir in Caer Dallben, und gewiß hast du nichts dagegen, daß du nun wieder zu Hause bist… Ist es nicht so, als habe man lange verzweifelt nach etwas gesucht und plötzlich fällt einem ein, wohin man’s gesteckt hat?“

„So ungefähr ist es“, sagte Taran und lehnte sich gegen das Gatter, wobei er es unwillkürlich auf seine Haltbarkeit prüfte.

„Was wirst du nun tun?“ fragte Eilonwy. „Gedenkst du dich weiterhin als Hilfsschweinehirt zu betätigen?“

Taran nickte, ohne aufzublicken. „Eilonwy“, setzte er zögernd an, „ich möchte gern von dir wissen … Das heißt, ich meine…“

Ehe er weitersprechen konnte, kam Coll herbeigeeilt und bestellte ihm, daß Dallben ihn zu sprechen wünsche.

„Eilonwy…“, begann Taran noch einmal, brach dann jedoch unvermittelt ab und eilte davon. Als er die Stube des Meisters betrat, schrieb Dallben gerade im „Buch der Drei“. Sobald er den Jungen erblickte, legte er den Federkiel aus der Hand. Er klappte das Buch zu, schob es beiseite und meinte: „Es scheint mir erforderlich, daß wir beide uns miteinander in Ruhe aussprechen. Sag mir vor allem: Was hältst du nach deinen jüngsten Abenteuern vom Heldentum? Du müßtest auf deine Taten eigentlich stolz sein, oder?“

„Zum Stolzsein habe ich wenig Anlaß“, sagte Taran, während er seinen altgewohnten Platz auf der Bank einnahm. „Es war Gwydion, der den Gehörnten König vernichtete – und Hen Wen hat ihm dabei geholfen. Gurgi ist es gewesen, der Hen gefunden hat, und nicht ich. Doli und Fflewddur haben sich ruhmreich geschlagen; ich aber habe ein Schwert gezogen, das ich nicht hätte ziehen dürfen.

Und außerdem war es Eilonwy, die Dymwyn aus der Königsgruft mitgenommen hat. Was mich betrifft, habe ich meist nur Fehler gemacht.“

„Ach du liebe Zeit!“ sagte Dallben. „Das hört sich ja wenig erfreulich an. Dennoch, so scheint es mir, hast du Grund dazu, einigermaßen stolz zu sein. Warst du es nicht, der die Gefährten zusammenhielt, der sie führte? Was du dir vorgenommen hast, hast du erreicht: Hen Wen ist zu Hause in Caer Dallben. Wenn du Fehler gemacht hast, so hast du daraus gelernt, wie mir scheint. Ich sagte dir ja bereits, daß das Suchen nach einer Antwort zuweilen wichtiger ist als die Antwort selbst.“ Dallben strich sich den Bart und fuhr fort: „Kommt es in Wirklichkeit darauf an, wer von euch was getan hat? Ihr alle habt euch darum bemüht, ein gemeinsames Ziel zu erreichen, und habt euch in alle Gefahren redlich geteilt. Ein Stück von uns selbst steckt in jedem anderen Menschen. Du, Taran, solltest das wissen – vor allem du! Bist du nicht oftmals genauso ungestüm wie der Barde Fflewddur? Wie Gurgi neigst du dazu, dich selbst zu bemitleiden; und wie Doli verbeißt du dich dann und wann in den Wunsch, das Unmögliche möglich zu machen.“

„Ja“, räumte Taran ein. „Doch das ist noch nicht alles, was mich bedrückt. Ich hatte oft Sehnsucht nach Caer Dallben, und bald kannte ich nur noch den einen Wunsch: heimzukehren zu Euch und Coll. Nun, da ich endlich hier bin, freut sich mein Herz darüber; und dennoch sieht alles verändert aus. Das Zimmer, in dem ich schlief, ist viel kleiner geworden seither; und auch die Felder und Wiesen sind nicht mehr ganz so lieblich wie einst. Dies alles verwirrt mich, als ob ich ein Fremder im eigenen Haus sei.“

Dallben sprach ihm Trost zu. „Du solltest das nicht so schwer nehmen“, sagte er. „Caer Dallben ist nicht kleiner als eh und je. Du nur, mein Junge, bist größer geworden – und daran liegt es wohl.“

„Noch etwas macht mir Kummer“, bekannte Taran. „Was soll aus Eilonwy werden? Würdest du ihr erlauben, bei uns zu bleiben?“

Dallben wiegte das Haupt und blickte zum Fenster hinaus.

„Alles, was recht ist“, sagte er, „aber Prinzessin Eilonwy sollte zu ihren Verwandten zurückkehren. Ja, sie ist eine Prinzessin – hat sie dir’s nicht gesagt? Nun, es eilt nicht mit ihrer Abreise. Wenn sie hierbleiben will, mag sie bleiben, solang sie Lust hat. Du solltest mit ihr vielleicht mal darüber sprechen …“

„O ja!“ rief der Junge, „das will ich tun!“ Er eilte aus der Stube und rannte zum Schweinegarten. Eilonwy stand noch immer am Gatter und beobachtete Hen Wen.

„Du kannst hierbleiben!“ rief Taran. „Ich habe Dallben gefragt, er ist einverstanden!“

Eilonwy blickte ihn kopfschüttelnd an. „Und ich?“ hielt sie ihm entgegen. „Mich braucht man wohl nicht zu fragen?“

„Ja – aber ich dachte…“, stammelte Taran. „Ich dachte mir…“

„Denken war nie deine starke Seite“, seufzte Prinzessin Eilonwy. „Tut nichts, der gute Coll ist gerade dabei, mir ein Zimmer zu richten.“

„Coll?“ rief Taran überrascht. „Wie hat er das wissen können? Und woher weißt du davon?“

„Hm“, meinte Eilonwy nur. Und Hen Wen grunzte vielsagend.

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