X.

Der Ortswechsel vollzog sich unverzüglich und ohne jeden Übergang. In einem Moment trat Zara in der Dachkammer von Iliam Zaks Turm durch das Portal, im nächsten breitete sich um sie herum eine düstere glucksende Sumpflandschaft aus. Sie stolperte noch einen Schritt nach vorn – und stieß gegen Jael, die erschrocken herumwirbelte, die Hand sofort am Griff des Schwertes, um es aus der Scheide zu reißen.

„Entschuldige“, flüsterte Zara. „Es – es hat funktioniert?“ Sie schaute sich um und spürte, dass sie fröstelte. Es war kalt hier. Doch das konnte es nicht sein, was diese unnatürliche Kälte in ihr hervorrief. Dies war ein böser Ort, das spürte Zara mit all ihren vampirischen Sinnen. Ein Ort, der auch eine Kreatur wie sie innerlich frieren ließ.

„Ja, es hat funktioniert“, beantwortete Jael die eigentlich überflüssige Frage der Vampirin.

Das Dimensionstor hinter Zara blieb nicht bestehen, wie die Vampirin bemerkte, als sie sich umwandte. Es flimmerte, flackerte, brach dann in sich zusammen und war verschwunden, als habe es nie existiert. Damit war klar, dass die Gefährten es für die Rückkehr nicht mehr würden benutzen können. Das Zauberbuch war auf der anderen Seite des Portals zurückgeblieben, und die entsprechenden Substanzen, die für den Zauber nötig waren, hatten sie auch nicht dabei.

„Das wird ein langer, beschwerlicher Weg zurück nach Sternental“, murmelte Zara. In ihrer Nähe befand sich auch Falk, und Thor sprang hechelnd an ihrem Bein hoch, um seine Herrin freudig zu begrüßen. Zara tätschelte seinen Kopf und schaute sich die Umgebung an, wobei sie auch ihre vampirischen Sinne einsetzte, um zu ertasten, ob in unmittelbarer Nähe eine Gefahr auf sie lauerte. Doch sie registrierte nichts.

Es war eine düstere Landschaft, in die sie geraten waren. Um sie herum gluckste der Sumpf, Nebel waberte, und uralte verkrüppelte Trauerweiden ließen müde ihre langen Zweigarme ins dunkle Wasser hängen. Es war allerdings nicht wirklich dunkel, obwohl die Nacht bereits angebrochen war, während die drei Gefährten in Iliam Zaks Turm versucht hatten, das Dimensionstor zu öffnen; der Himmel war sternenklar, und am Firmament erhob sich bleich und rund der Vollmond und schickte sein silbriges Licht hinab zu Erde, das diesen Sumpf noch unheimlicher wirken ließ und den Nebel über dem dunklen Wasser zum Glühen brachte.

„Und dies ist wirklich Drakenschanze?“, murmelte Zara, noch immer Thors Kopf streichelnd.

Jael nickte und machte ein düsteres Gesicht. „Ein böser Ort ist dies“, flüsterte sie. „Ich spüre die dunkle Magie, die diesen Sumpf beherrscht. Sie ist allgegenwärtig. Schon viele Unschuldige hat dieser Sumpf ins Verderben gezogen, in seine kalten Tiefen, und nie wieder freigegeben. Nicht nur ihre Körper, auch ihre Seelen hält er gefangen. Ich höre das Wispern und Jammern ihrer Geister.“

„Ich habe keine Angst vor Gespenstern“, erklärte Zara.

„Sogar mit einer Horde Zombies sind wir fertig geworden. Also – wo ist dieser Friedhof des Sakkara-Kults, den wir suchen?“

Falk meldete sich zu Wort. „Ich weiß nicht, wo dieser Friedhof liegt, aber“, er wies mit ausgestreckter Hand in eine bestimmte Richtung, „dort scheint sich etwas zu tun!“

Zara sah sofort, was er meinte. Eine Lichterscheinung war dort zu sehen, ein rötliches Flackern, das sich zwischen den Trauerweiden Bahn brach. Fackeln schienen dort zu brennen und erzeugten in der mondbeschienenen Nacht diesen flackernden Schein. Wie weit ihr Ziel aber entfernt war, ließ sich nicht genau erkennen.

„Dort geht etwas vonstatten!“, sagte Falk, und seine Stimme klang mürrisch und entschlossen zugleich. „Ich wette, dort findet das Ritual dieser verfluchten Dämonenanbeter statt.“

„Dann lasst uns dorthin gehen“, entschied Zara, „und diese verdammte Brut bei ihrem Treiben stören. Ich will die Sache endlich zu einem Ende bringen!“

Schon setzte sie sich in Bewegung, machte drei Schritte – und ihr Fuß versank im glucksenden Moor. Gerade noch rechtzeitig packte Jael zu, erwischte Zara am Unterarm und zog sie aus dem Morast, bevor sie weiter versinken konnte.

„Danke“, stöhnte Zara. Sie ließ ihren Blick über das Moor schweifen. Das dunkle Wasser war kaum zu sehen, so dicht lag der Nebel über dem Sumpf. „Und wie kommen wir jetzt dadurch, ohne zu versinken?“

Weder Jael noch Falk wussten darauf eine Antwort – dafür aber offenbar Thor, der sich auf einmal vorwärts bewegte, durch den Nebel und auf den flackernden Schein zu.

Zara wollte ihn zurückrufen, doch Jael brachte sie mit einer Geste zum Schweigen und flüsterte: „Seine tierischen Instinkte weisen ihm den Weg. Wir sollten ihm folgen.“

„Das ist zu gefährlich“, war Zara überzeugt.

Jael zeigte ein kleines Lächeln. „Alles, was hinter uns liegt, und alles, was noch auf uns wartet, war und ist gefährlich. Wir haben mal wieder keine Wahl.“ Und dann fügte sie hinzu: „Aber wahrscheinlich machst du dir weniger Sorgen um uns als um Thor. Dieser Wolf und du – ihr seid von gleicher Art.“

Zara hatte keine Ahnung, was ihr die Seraphim damit sagen wollte, und sie hatte auch keine Lust, nachzufragen. Sie sah aber ein, dass Jael Recht hatte und dass sie Thor folgen mussten, denn es brachte nichts, wenn sie hier herumstanden und Wurzeln schlugen. Sie warf Falk einen Blick zu, der nur mit den Schultern zuckte. Lass es uns versuchen, sollte das wohl heißen.

Thor war schon fast im Nebel verschwunden, also traf Zara ihre Entscheidung. Mit vorsichtigen Schritten folgte sie dem Wolf, und hinter ihr kamen die Seraphim und Falk. Das Tier schien tatsächlich einen sicheren Weg durch das Moor zu wittern. Vorsichtig und schnüffelnd bewegte es sich vorwärts, die Schnauze immer dicht über dem Boden, ging achtsam immer weiter. Die drei Gefährten folgten dem Graupelz.

Zara hatte immer geahnt, dass es sich bei Thor um ein besonderes Tier handelte. Das hatte sie bereits gespürt, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, in der Nähe von Moorbruch, als sie ihn aus dem Fangeisen befreite. Dass er sie jetzt so sicher durch das gefährliche Moor führte, bestätigte ihre Vermutung. Nein, Thor war kein gewöhnlicher Wolf. Da steckte noch mehr dahinter, irgendein Geheimnis umgab ihn.

Plötzlich spürte die Vampirin Jaels Hand auf ihrem Arm und verhielt im Schritt. „Schau hoch zum Himmel“, flüsterte die Seraphim. „Es ist soweit!“

Zara blickte auf – und sah, wie sich ein kreisrunder Schatten langsam vor den Vollmond schob. Die Mondfinsternis begann.

„Die letzte Stunde ist gekommen, wenn sich die Erde zwischen Licht und Schatten drängt...“, flüsterte Zara. „Es geschieht! Wir kommen zu spät!“

„Noch ist nichts verloren!“, gab sich Jael überzeugt. „Aber wir müssen uns beeilen!“

„Wenn wir den Ort des Rituals nicht sofort finden ...“, begann Zara.

„Wir haben diesen weiten Weg nicht beschritten, um so dicht vor dem Ziel aufzugeben!“, widersprach Jael. „Wir müssen ihn jetzt bis zum Ende gehen!“

Zara nickte. Die Seraphim hatte Recht. Was immer kommen mochte, die Stunde der Entscheidung war angebrochen.

Einige Meter vor ihnen hatte Thor auf sie gewartet, nun setzte er sich wieder in Bewegung, und die drei Gefährten folgten ihm.

Das Moor um sie herum gluckste und schien zu brodeln. Wie knochige Finger streckten die Trauerweiden ihre Zweige nach den Gefährten aus, aber unbeschadet erreichten sie schließlich festen Boden.

Thor war erneut stehen geblieben und erwartete sie. Zara ließ sich neben ihm nieder und kraulte ihn hinter den Ohren. „Gut gemacht, mein Freund“, lobte sie das Tier.

Thor hechelte freudig, als würde er ihre Worte genau verstehen.

„Still!“, zischte Jael auf einmal und hob die Hand, und jetzt hörte Zara es auch. Ein Singsang lag in der Luft, unheilvoll und drohend, hervorgebracht von mehreren männlichen Kehlen. Ein Gesang aus uralter Zeit. In einer Sprache, die längst nicht mehr gesprochen wurde.

„Hier entlang!“, wies Jael die Gefährten an und schob sich zwischen die Zweige eines Busches. Falk, die Vampirin und der Wolf folgten ihr, und sie bewegten sich nahezu lautlos durchs Unterholz und dem unheimlichen Singsang entgegen. Durch Zweige und Geäst erhaschte Zara wieder einen Blick auf den Himmel, und sie sah, wie sich der Schatten der Welt immer mehr über den vollen Mond schob; eine Eishand schien über ihren Rücken zu streichen.

Vor ihr bewegte sich Jael, und hinter sich hörte sie Falks keuchenden Atem. Es ging aufwärts, eine steile Böschung hinauf – und dann hatten sie freie Sicht auf eine uralte Tempelanlage.

Es waren mehrere alte Gebäude, aus grauen und zum Teil fast schwarzen Steinblöcken errichtet. Altäre sahen sie, mehrere Grüfte. Einige der Gebäude schienen verfallen, und ein paar davon hatten schmiedeeiserne Gitter vor den Eingängen, die vor sich hinrosteten. Auch hier waberte Nebel über dem Boden, aber nicht mehr so dicht wie im Sumpf.

Alles war deutlich zu erkennen – wegen der Fackeln, die ihr rötliches, flackerndes Licht verstreuten. Und die Gefährten sahen auch die gut zwei Dutzend von Kapuzenmäntein verhüllten Gestalten, von denen die meisten Fackeln trugen. Einige von ihnen hielten aber auch mannshohe knorrige Holzstäbe in den Händen – Zauberstäbe, wie Zara sofort erkannte.

„Es sind Zauberer von Sternental!“, sagte Jael, die nun neben Falk und Zara auf der Anhöhe der Böschung lag und auf das Geschehen hinabblickte. „Die Kerle mit den langen Stäben – sie gehören zum Rat der Bruderschaft!“, zischte sie erregt. „Diese miesen Verräter!“

Der seltsame Singsang ging von den Kapuzenträgern aus. Sie standen im Halbkreis vor einem Altar oder Opferstein. Gut drei Schritte vor ihnen stand eine weitere Gestalt, die ein Anführer zu sein schien. Sie fiel durch den roten Kapuzenumhang auf, den sie trug, denn die Mäntel der anderen Anwesenden wiesen allesamt ein erdiges Braun auf.

Falk zuckte leicht zusammen. Er erinnerte sich an seinen Traum, der ihn in den Nimmermehrsümpfen heimgesucht hatte. Da hatte ihn eine Gestalt in einem roten Kapuzenumhang durch ein düsteres Labyrinth gehetzt. Eine Gestalt, die behauptet hatte, dass Falk und sie sich kennen würden. War dies dort vorn diese unheimliche Gestalt?

Für Zara und Jael indes war viel interessanter, was sich bei und auf dem Altar tat. Darauf lag ein junges Mädchen, keine zwanzig Jahre alt. Es lag auf dem Rücken, schien wie in Trance, stöhnte und keuchte, hatte die Augen geschlossen, und ihr hübsches Gesicht zeigte Verzückung. Goldblondes Haar umwallte ihren Kopf, und sie trug keinen Faden am Leib.

Sie stöhnte, wand sich, fuhr sich mit der Zunge über die vollen Lippen, und ihr nackter Körper bebte, während die Gestalt, die hinter dem Altar stand, beide Hände immer wieder dicht über den nackten Mädchenkörper gleiten ließ, als würden sie ihn streicheln, ohne ihn jedoch dabei zu berühren. Das Ganze erinnerte an eine erotische Liebkosung, als würde die Gestalt mit unsichtbaren Fingern den nackten Körper betasten und das Mädchen in Wolllust und Verzückung versetzen. Zara erkannte, das dies auch so war. Die Luft um Mädchen und Altar schien zu knistern vor Gier und Fleischeslust, und die junge Frau schien nicht mehr Herrin ihrer Sinne und fieberte dem Höhepunkt entgegen.

Derjenige, der sie in diesen Zustand versetzte, war offensichtlich ein mächtiger Zauberer, der wusste, wie man Menschen in seine Gewalt brachte. Da die Kapuze seines Umhangs zurückgeschlagen war, konnte Zara ihn auch genau erkennen.

Es war Godrik!

Der Vorsteher der Magierenklave Sternental!

„Dieser Hund!“, zischte Jael neben Zara. „Er steckt also mit dem Sakkara-Kult unter einer Decke!“

„Nicht nur das“, knirschte Zara. „Er scheint sogar der Anführer zu sein.“

Die Seraphim schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht glauben. Nein, das hätte ich gespürt. Er mag ein mächtiger Zauberer sein, aber er ist ein schwacher Mensch. Er hat nicht das Zeug, den Sakkara-Orden zu führen!“

Zara warf einen Blick zum Nachthimmel. Die Sterne waren verschwunden, leuchteten nicht mehr. Etwas schien ihr Licht zu verschlucken, eine unheimliche düstere Magie. Und der Schatten der Erde schob sich immer mehr über den Vollmond, bedeckte ihn bereits fast vollständig.

Plötzlich verstummte der Singsang, endete wie abgeschnitten, aber es wurde nicht still, denn Godrik, der einäugige Magier, begann jetzt zu sprechen. Es waren Worte in einer uralten Sprache, die er hervorbrachte, und es hörte sich an, als würde er beten. Er rief die dunklen Götter an, das war den drei Gefährten sofort klar, und er zog einen Opferdolch mit breiter Klinge unter seinem Gewandt hervor, während die andere Hand noch immer über den nackten Leib des Mädchens glitt, das in Ekstase zuckte und sich wand.

Godrik rief gutturale Worte in einer Sprache, die längst tot war. Immer lauter rief er sie, seine Stimme hallte über den Platz zwischen den alten Tempeln und Grüften, und seine Anhängerschaft lauschte ihm schweigend. Ansonsten war nur das Stöhnen und Keuchen der Nackten zu hören, deren Wolllust sich immer mehr in Raserei zu steigern schien. Ihr schlanker Mädchenkörper war mit Schweiß bedeckt, das Gesicht verzerrt und die Augen zugekniffen, während sie sich auf die Unterlippe biss, weil sie diesen Zustand absoluter Lust kaum noch aushielt.

Godrik schrie die Worte in die Nacht, hinauf zum Himmel, wo vom Vollmond nur noch eine blasse Sichel zu sehen war, da sich der Erdschatten immer mehr über ihn schob.

Und während Godrik rief, brach der Himmel auf!

Ein Spalt entstand im Sternen- und wolkenlosen Firmament. Ein hell leuchtender Riss, aus dem ein glühender Nebel sickerte und der aussah wie eine Wunde, die aufklaffte. Immer größer wurde der Spalt, und Zara glaubte, ihren Augen nicht trauen zu dürfen.

„Das Tor zur Hölle“, keuchte Jael neben ihr. „Godrik öffnet es! Die Chaos-Dämonen brechen in unsere Welt!“ Ihre Stimme zitterte vor Erregung und nur mühsam unterdrückter Panik.

Godrik schrie noch immer Worte in jener uralten Sprache, die kaum noch ein Wesen in Ancaria verstand. Er hatte den Opferdolch weit erhoben, und unter ihm, unter seiner streichelnden linken Hand, wand sich die Nackte und begriff nicht, was mit ihr geschah. Godrik missbrauchte nicht nur ihren Körper, er hatte auch ihre Seele versklavt und sie sich völlig Untertan gemacht.

Jael ahnte, was das bedeutete und was nun folgen würde. „Wenn er das Mädchen opfert, ist das Ritual geglückt!“, rief sie. „Dann bricht die Hölle in diese Welt!“

Über den uralten Gebäuden riss der Himmel immer weiter auf, glühender Dampf wölkte aus dem Spalt hervor, und Zara glaubte sogar, gierige Krallen zu erkennen, die von innen her versuchten, den Spalt zu erweitern und aufzureißen. Die Chaos-Dämonen wollten sich ihren Weg in die Welt der Sterblichen bahnen, aber noch fehlte ihnen das Blut eines Menschen – eines unschuldigen Menschen, der durch den Zauber Godriks verdorben wurde; das Blut einer Jungfrau, die in Fleischeslust starb!

Zara hatte begriffen: Wenn das Mädchen geopfert wurde, in jenem Moment, in dem die Mondfinsternis komplett war, dann war das Ritual vollzogen, dann würden die Chaos-Dämonen in diese Welt einbrechen!

Plötzlich konnte sie Godriks Worte klar und deutlich verstehen, als er schrie: „Ihr Götter des Chaos! Nehmt dieses Opfer an! Ein unschuldiges Menschenkind, das in Sünde stirbt! Eine reine Seele, die ich euch befleckt schicke!“

Und als das letzte Wort verklungen war, bedeckte der Erdschatten vollständig den Mond, und tiefste Finsternis legte sich über Ancaria, nur erhellt von den Fackeln der Kuttenträger.

Jael wollte aufspringen, aufschreien, irgendetwas tun – es war zu spät!

Die letzte Stunde ist gekommen, wenn sich die Erde zwischen Licht und Schatten drängt...

Aus dem Keuchen des Mädchens wurden spitze Schreie, und die Opferklinge in Godriks Hand blitzte im Fackelschein auf.

Dann bohrte sich die Klinge tief in das Fleisch, und Blut spritzte in einer hellroten Fontäne hervor ...

Doch es war nicht das Fleisch des Mädchens, in das sich die Klinge gebohrt hatte, und es war auch nicht die Klinge von Godriks Opferdolch.

Der Enklavenvorsteher selbst war es, der den scharfen Stahl zu schmecken bekam. Zaras Messer war wie ein Blitz durch die Nacht gezuckt und hatte sich tief in den Hals Godriks gebohrt!

Der Einäugige riss den Mund weit auf, um zu schreien, doch nur ein Gurgeln kam aus seiner Kehle, gefolgt von schäumendem Blut. Er ließ den Opferdolch fallen, hob die andere Hand, um nach dem Messer in seinem Hals zu greifen, schaffte es jedoch nicht, und während die Nackte auf dem Opferstein aus ihrer Trance erwachte, den Sterbenden sah und gellend aufschrie, kippte er röchelnd um, blieb am Boden liegen, zuckend, um sich schlagend und strampelnd – und ertrank an seinem eigenen Blut.

Jael und Falk hatten die Augen weit aufgerissen. Sie konnten kaum glauben, was sie sahen. Beide hatten sie nicht bemerkt, wie Zara neben ihnen aufgesprungen und auf die Kuttenträger zugestürmt war – mit einer Geschwindigkeit, in der sich nur die Kinder der Nacht, die Vampire, bewegen konnten, schneller, als das menschliche Auge sie zu erfassen vermochte.

Jetzt stand sie vor den Kuttenträgern, breitbeinig und grimmig schauend, und sie zog ihre beiden Schwerter. Es war eine fast gemächliche Bewegung, mit der sie dies tat, provozierend langsam und drohend, und ein Raunen ging durch die Höllendiener, das eine Mischung aus Zorn und Entsetzen in sich barg. Sie hatten sich Zara zugewandt, rührten sich jedoch nicht, und auch die Kriegerin unternahm zunächst nichts, sondern erwartete den Angriff der Dämonenknechte.

Für einen langen Moment tat sich nichts – dann rückten die Kuttenträger auf Zara zu.

„Kommt nur!“, knurrte Zara ihnen entgegen und fletschte die Zähne wie ein wildes Tier. Sie wusste, dass sich sehr mächtige Zauberer unter ihren Feinden befanden, und sie machte sich darauf gefasst, es mit übermenschlichen Gegnern zu tun zu bekommen, deren dunkler Magie sie nichts entgegenzusetzen hatte. Trotzdem wich sie keinen Schritt zurück und erwartete den Angriff.

„Ja, kommt nur!“, ertönte es in diesem Moment hinter ihr. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, was in ihrem Rücken geschah. Jael und Falk hatten sich erhoben und näherten sich, die Waffen in den Händen, kampfbereit und entschlossen wie Zara. Sie mussten einen beeindruckenden Anblick bieten, denn die Kuttenträger verharrten, blieben stehen, als wären sie vor eine unsichtbare Wand gelaufen.

Neben sich vernahm Zara ein Knurren – ein Knurren, das ihr in den letzten Tagen vertraut geworden war. Thor befand sich bereits an ihrer Seite, um seine Herrin notfalls mit dem Leben zu verteidigen.

Während sich Jael und Falk der Vampirin näherten, setzten sich auch die Kuttenträger wieder in Bewegung, schritten auf Zara zu, die nun die langen Barte sah, die unter den Kutten hervorwallten. Sie ließen die Fackeln fallen, und einige von ihnen zogen blitzende Schwerter und Dolche unter ihren Mänteln hervor, andere senkten ihre Zauberstäbe, um die Vampirin mit ihrer Magie anzugreifen, und Zara machte sich auf das Schlimmste gefasst.

„Halt!“

Die Dämonendiener verharrten. Es war die Gestalt im roten Umhang, die ihnen Einhalt geboten hatte. Sie trat nun vor, und die Kuttenträger schufen ihr eine Gasse, sodass sie sich bis auf wenige Schritte Zara nähern konnte und dann stehen blieb. Inzwischen hatten Falk und Jael ihre Gefährtin erreicht.

„Das Ritual ist gescheitert“, sagte Zara zu der Gestalt im roten Umhang und zeigte keine Furcht, keinerlei Emotion, obwohl ihr Inneres bebte und zitterte vor Erregung und Anspannung. „Die Chaos-Dämonen werden nicht in diese Welt eindringen!“

Ein Kichern drang unter der roten Kapuze hervor, unter der das Gesicht der Gestalt nicht zu erkennen war. Sie wandte den Kopf, blickte hinter sich und empor zum sternenlosen Himmel, wo der „Riss“ noch immer zu sehen war. Nichts hatte sich verändert, weiterhin drang glühender Nebel daraus hervor, und ein leises Fauchen lag in der eiskalten Luft. Nur der Schatten der Erde löste sich allmählich wieder vom bleichen Antlitz des Mondes.

Die Gestalt wandte sich wieder Zara zu, und eine volltönende männliche Stimme erklang. „Noch ist nichts verloren. Noch warten die Dämonen darauf, eure Welt heimsuchen zu können. Es kann funktionieren. Es wird funktionieren. Auch ohne Blutopfer. Die Magie der Jungfrauenherzen ist stark und wirkt noch immer.“

„Die Jungfrauenherzen, die Ihr unschuldigen Mädchen aus der Brust habt reißen lassen von Euren Blutbestien!“, ergriff Jael das Wort.

Die Gestalt nickte nur.

„Dann seit Ihr Ishmael Thurlak, der angeblich seit Jahren tot ist?“, fragte Zara.

Wieder nickte die Gestalt. „Das ist mein wirklicher Name. Obwohl“, fügte der Unheimliche hinzu, „du mich unter einem anderen kennst!“

Damit hob er die Hände, fuhr damit zur Kapuze, ergriff deren Saum und schlug sie zurück. Darunter hervor kam ein männliches Gesicht mit sehr markanten Zügen, in dem das Auffalligste das leicht hervorspringende Kinn und der gepflegte, kurz geschnittene Vollbart waren.

Zara kannte dieses Gesicht.

„Gregor ...“, flüsterte sie.

Ein Ring aus Eis schien sich um ihr Herz zu legen und es einfrieren zu lassen. Sie konnte nicht fassen, was sie sah, wollte es nicht fassen.

Aber es war die Wirklichkeit, sie sah es mit eigenen Augen, und als sie die Wahrheit akzeptierte, war nur noch Schmerz in ihr. Schmerz und Enttäuschung. Das Gefühl, das sich alles Menschliche für immer von ihr abgewandt hatte. Sie zitterte am ganzen Leib, ohne es zu merken, starrte auf den breitschultrigen, hoch gewachsenen Mann vor sich, und ihre beiden Schwerter glitten ihr fast aus den Händen. „Sag mir, dass du es nicht bist, Gregor ...“

Er lächelte sie an. Es war ein oberflächlich liebevolles, in Wirklichkeit aber spöttisches und damit äußerst verletzendes Lächeln. „Doch, es ist wahr, Zara“, sagte er. „Ich bin Ishmael Thurlak!“

„Nein“, keuchte Zara, obwohl sie wusste, dass er die Wahrheit sprach. „Nein, das kann nicht sein!“

„Du ... du mieses Schwein, du!“, hörte sie Falk neben sich schreien. „Du bist das übelste Stück Dreck, das ich …“

Ein Blick aus Gregors eiskalten Augen ließ ihn verstummen. Dieser Mann hatte eine Präsenz und Ausstrahlung, die ihm eine natürliche Macht über andere Menschen verlieh. Dafür bedurfte es keiner Magie.

„Wer ist dieser Kerl?“, fragte Jael. „Woher kennt ihr ihn?“

Sie selbst hatte ihn nur kurz zu Gesicht gekommen, als sie mit Zara und Falk in Moorbruch aufgebrochen war. Sie war ja erst später in die Ereignisse dort verstrickt worden.

Zara konnte ihr keine Antwort geben, ihr fehlten die Worte, und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Deshalb sprach Falk an ihrer statt: „Landgraf Gregor D’Arc aus Moorbruch. Wir trafen ihn dort, und er bot uns seine Unterstützung an. Zara und er ...“ Falk verstummte, denn er wusste, dass jedes weitere Wort die Vampirin nur noch mehr verletzen und in ihr Herz schneiden würde wie eine Klinge.

„Wir hatten eine ...“, fuhr der Graf für ihn fort, „nennen wir es: Affäre! Ist dies deiner Meinung nach der richtige Ausdruck, Zara?“ Er lächelte sie an. Dieses freundliche, spöttische Lächeln voller Hohn und Arroganz.

„Mir bedeutete es mehr“, flüsterte sie.

Er lachte auf. „Das hast du mir nicht gezeigt, Zara. Wenn es so war, kannst du deine Gefühle gut verbergen, das muss ich dir sagen. Wir hatten eine äußerst heiße Liebesnacht, und ich muss gestehen, dass ich mit dir sehr zufrieden war. Doch dann machtest du dich auf und davon, um Salieris Kreaturen zu vernichten, und du hast dich nicht mehr bei mir blicken lassen. Als du dann Moorbruch verlassen hast und ich dich noch einmal sprechen wollte, wirktest du etwas ... nun, sagen wir: kühl.“

„Sie verfügt eben über eine gute Menschenkenntnis!“, sagte Falk.

„Das bezweifle ich“, höhnte Gregor D’Arc, ohne den Blick von Zara zu nehmen. „Sonst hätte sie sich mir nicht hingegeben – mit Haut und Haaren und noch viel, viel mehr!“ Er gluckste vor falscher Freude.

Sie starrte ihn an, noch immer fassungslos, noch immer nicht in der Lage, den Sturm der Gefühle, der in ihr tobte, zu beschwichtigen. „Dann“, flüsterte sie, „war alles gelogen, was du mir erzählt hast. Über dich, über deine Frau – über deinen tot geborenen Sohn und deinen Schmerz, der dich nach Moorbruch trieb ...“

Er zuckte mit den Achseln. „Gelogen nicht“, sagte er. „Nur ist das alles schon ein paar Hundert Jahren her und berührt mich nicht mehr. Doch der Grund, warum ich mich in Moorbruch aufhielt, der war tatsächlich ein anderer.“

„Du warst dort, um Salieri bei seinem Treiben zu überwachen“, schlussfolgerte Zara mit trauriger Stimme, „um sicher zu gehen, dass seine Blutbestien auch alle zwölf Frauenherzen herbeischafften und Salieri sein verderbliches Ritual richtig durchführte, um die schwarze Magie auf diesen Ort hier konzentrieren zu können.“

„Richtig. Und um meine schützende Hand über Salieri zu halten.“ Gregor D’Arc nickte. „Du bist nicht nur eine heißblütige und sehr fantasievolle Bettgespielin, Zara, sondern auch ein kluges Kind.“

„Er war nicht nur in Moorbruch, um dem Morden der Blutbestien beizuwohnen und seinen Lakai zu schützen“, vermutete Jael. „Durch die magischen Portale war er in der Lage, an all jenen Orten nahezu gleichzeitig zu sein, an denen die Blutbestien zuschlugen und wüteten, und das unter vielen verschiedenen Identitäten, nachdem er hier in Sternental schon vor Jahren seinen eigenen Tod vortäuschte. Letzteres war nicht schwierig, da er den Enklavenvorsteher auf seiner Seite wusste, und so hatte er in seinem Handeln völlig freie Hand.“

„Auch das ist richtig“, bestätigte D’Arc, lächelte schmierig und hob die Schultern. „Ich gestehe, ich bin durchschaut!“ Aus seinem falschen Lächeln wurde ein breites Grinsen, dann wies er wieder hinter sich und zum Himmel, wo der Vollmond wieder erstrahlte, jedoch auch noch immer der hell leuchtende Riss im Sternenlosen Himmel klaffte. Glühende Nebel umwaberten ihn, und jetzt sah Zara tatsächlich ganz deutlich spitze, scharfe Klauen, die von der anderen Seite her versuchten, den Spalt zu erweitern, an seinen Rändern rissen und zerrten. Knurren und Fauchen war zu hören.

„Aber jetzt haben meine Getreuen und ich noch etwas Wichtiges zu erledigen hier“, sprach D’Arc alias Ishmael Thurlak weiter. „Das Ritual muss fortgesetzt werden, und ich hoffe, dass es trotz eurer Störung noch klappt. Es wird dadurch schwieriger, wir brauchen mehr magische Energien, aber es dürfte trotzdem zu schaffen sein.“

Er wollte sich abwenden, so als würden ihn die drei Gefährten gar nicht mehr interessieren, doch Zara sprach ihn noch einmal an. „Gregor!“

Er drehte sich wieder nach ihr um. „Ja?“

„Du warst es, der die Mordbuben im Felskessel auf mich hetzte, richtig? Du hast mir diese Falle gestellt und diese Mörderbande gedungen, um mich zu töten!“

Er nickte unbekümmert. „Du hast Recht, Zara. Es war ein Fehler. Ich hätte es tun sollen, nachdem ich mit dir geschlafen habe.“

Sie ließ sich von ihm nicht provozieren und sagte mit ruhiger Stimme: „Dann bin ich dir noch was schuldig!“

Und mit diesen Worten riss sie blitzschnell ihren rechten Arm hoch, und eines ihrer Schwerter bohrte sich mit brutaler Gewalt in seinen Leib. Die Klinge drang in seine Brust, durchbohrte ihn und trat am Rücken wieder heraus. Bis zum Heft rammte sie ihm mit dieser unglaublich schnellen Bewegung das Schwert in den Leib, dann ließ sie den Griff los.

Er keuchte, riss Mund und Augen weit auf, schien sie ungläubig anzustarren und taumelte zurück, während die anderen Kapuzenträger entsetzt aufschrieen.

Sein Gesicht verzerrte sich, und Schmerz und Pein standen darin geschrieben – doch dann änderte sich dieser Ausdruck, seine Miene entspannte sich, und er lachte gellend auf.

Mit einer lässigen Bewegung zog er sich das Schwert aus dem Leib und zerbrach die Klinge mit bloßen Händen. „Zara“, sagte er, und es klang tadelnd, „Wesen wie du und ich hätten nicht all die Jahrhunderte überlebt, wenn wir normale Menschen wären. Unterschätze nicht die schwarze Magie!“ Er warf die beiden Bruchstücke des Schwertes achtlos beiseite und befahl seinen Getreuen: „Tötet sie – grausam, aber schnell, damit wir endlich fortfahren können!“

Wieder rückten die Anhänger des Sakkara-Ordens vor, einige von ihnen Schwerter und Dolche in den knorrigen Fäusten. Diese Gegner kümmerten Zara kaum. Aber die Zauberer, die nun wieder ihre Stäbe gegen sie richteten, die bereiteten ihr arge Probleme. Sie spürte die Magie, die in diesen Holzstöcken schlummerte. Eine Magie, der sie nichts entgegenzusetzen hatte. Eine Magie, die sie zerschmettern würde, die selbst ihrem untoten Dasein mit Leichtigkeit ein Ende bereiten konnte. Schwärzeste Magie, die in der Lage war, jeden Körper zu zerreißen oder zu Asche zu verbrennen.

Schon setzte einer der Magier seinen Zauberstab gegen Zara ein – und ...

Thor sprang den Langbart knurrend an, noch bevor seine verderbliche Magie wirksam werden konnte. Ein Biss seiner Fänge, und er zerfetzte dem Kuttenträger die Kehle. Röchelnd ging er nieder, während Thor bereits den nächsten Gegner attackierte und ihm die Hand zerbiss.

Auch Zara war nicht mehr zu halten. Wie ein Blitz fuhr sie unter die Schar der Feinde, ließ ihr verbliebenes Schwert kreisen, zog die Klinge durch zuckende Leiber, zerschnitt Muskeln, Fleisch und zerhackte Knochen. Sie dachte nicht mehr nach, wollte nicht mehr denken. Was sie eben erfahren hatte, hatte ihren Verstand ausgeschaltet.

Wie eine Furie tobte sie unter den Kuttenträgern, schlug immer wieder zu und badete ihr Schwert im Blut ihrer Gegner.

Auch Jael ließ ihr Schwert kreisen, zertrümmerte damit einen Schädel, stieß es einem anderen Gegner durch den Leib. Als sie sah, wie einer der Zauberer seinen Stab gegen Falk richtete, sprang sie heran, schlug zu, und der Stab fiel zu Boden, noch immer von beiden Händen umklammert. Der Verstümmelte hatte nicht lange zu leiden, denn noch bevor er begriff, was geschehen war, bettete sich sein abgetrennter Kopf neben dem Stab.

Auch Falk kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung. Es war seltsam, dass er keine Angst mehr verspürte. Er wuchs über sich hinaus und verbannte sein bewusstes Denken. Mit dem Dolch stieß er zu, schlitzte damit Kehlen und Bäuche auf und rammte die Waffe einem Gegner tief in die Finsternis unter der Kapuze.

Er sah, wie erneut ein Zauberstab gegen ihn gerichtet wurde, sprang instinktiv zur Seite, und dort, wo er eben noch gestanden hatte, spritzte der hart gefrorene Boden auf, als die magische Energie mit Urgewalt einschlug und Erdbrocken emporschleuderte.

Wieder wollte der Magier den Zauberstab gegen Falk einsetzen, konnte es aber nicht, weil der junge Bursche plötzlich von anderen Gegnern umringt war, die ihn niedermachen wollten. Als der Zauberer wieder freie Bahn hatte, sah er plötzlich einen Schatten auf sich zuhechten, der sich sodann in sein Gesicht verbiss. Der Zauberstab entglitt seinen Händen, während er kreischend zu Boden stürzte und verzweifelt versuchte, den Wolf von sich zu zerren.

Zara machte gerade einen weiteren Kuttenträger nieder, als sie aus den Augenwinkeln mitbekam, wie Ishmael Thurlak alias Gregor D’Arc zum Altar lief, davor stehen blieb und das nackte Mädchen, das dort weinend am Boden kauerte, auf die Füße riss. Plötzlich hatte er einen Dolch in der Hand und schrie empor zum Himmel: „Ihr Götter des Chaos! Dämonen der Vernichtung! Nehmt dieses Opfer, das Euer nicht würdig ist, und spürt die Kraft der Magie, die diesen Ort beherrscht!“

Mit einer beiläufigen Bewegung schnitt er dem Mädchen die Kehle durch, ließ das sterbende Opfer zu Boden gleiten und riss beide Arme hoch. „Kommt, Ihr Götter des Chaos! Ich beschwöre Euch! Ich befreie Euch!“

Vom Himmel her war ein tiefes Grollen zu hören, und der Riss dort erweiterte sich, wurde ein Stück mehr aufgefetzt von scharfen Dämonen-Klauen.

Zara konnte darauf nicht mehr achten. Sie wütete zwischen ihren Feinden, zerhackte den Zauberstab eines abtrünnigen Magiers, bevor der ihn gegen sie einsetzen konnte, schlug dem Gegner den Kopf von den Schultern und bekam gleichzeitig mit, wie ein anderer seinen Zauberstab gegen Jael richtete, die mit einem einzigen Schwertstreich zwei Gegner tötete.

Ein unsichtbarer Blitzschlag schien die Seraphim zu treffen, schleuderte sie meterweit durch die Luft, bevor sie gegen die Mauer eines Gebäudes prallte. Sie rutschte am Gestein zu Boden und blieb reglos liegen, die Glieder in unnatürlicher Verrenkung, als wären alle Knochen in ihrem Körper gebrochen.

„Jaaaeeel! Neeeiiin!“, schrie Zara auf.

Es überlief sie eiskalt. Wenn selbst Jael gegen diese Magie schutzlos war, wie sollte dann sie – Zara – siegen?

Und warum rührte sich die Seraphim nicht mehr? War sie tatsächlich getötet worden, nicht mehr am Leben? Es musste so sein, so wie sie dalag, in dieser Verrenkung, die der menschliche Knochenbau normalerweise nicht zuließ, und Zara schien bei diesem Gedanken, der sich ihr als Gewissheit präsentierte, innerlich zu vereisen.

Erneut schrie sie auf: „Jaaaeeell!“

Dann überwand sie den Schmerz und die Trauer. Sie musste weiterkämpfen, musste die Gegner besiegen. Sonst war Jaels Opfer umsonst, und das wollte sie nicht.

Sie wirbelte herum und schlitzte einem der Schwertträger dabei die Gurgel auf.

Ein Zauberstab wurde gegen sie gerichtet, doch mit ihrer übermenschlichen Schnelligkeit konnte Zara dem magischen Schlag gerade noch entgehen. Stein zerbarst und zersplitterte wie Glas, als habe eine Titanenfaust die Mauer jener Gruft getroffen, vor der Zara gerade noch gestanden hatte. Das ganze Gebäude bebte und drohte einzustürzen.

Zara tauchte zwischen zwei Gegnern auf, und bevor diese die Gefahr erkannten, verlor einer den Kopf, der andere die rechte Hand – und dann ...

Dann erwischte es Zara doch. Ein magischer Schlag traf sie und riss sie von den Füßen.

Es war ihr, als würde ihr Körper zerfetzt, als würden alle Sehnen und Muskeln reißen und ihre Knochen zu Brei zerstampft. Den Gegner, der nahe neben ihr gestanden und dem sie die Hand abgeschlagen hatte, traf der magische Schlag ebenfalls, doch Zara bekam nicht mit, wie sein Körper in Stücke zerrissen wurde. Sie prallte zu Boden und konnte sich vor Schmerz kaum rühren.

Sie hörte Ishmael Thurlak düstere Beschwörungen in einer unbekannten Sprache schreien. Er stand bestimmt noch am Altar und versuchte zu retten, was von seinem unseligen Blutritual noch zu retten war. Sehen konnte sie ihn nicht. Sie sah auch nicht, wie Falk von einem der Zauberer niedergestreckt wurde.

Gerade hatte er einen weiteren Gegner erdolcht, da tauchte hinter ihm einer der Zauberer auf und setzte seinen Stab ein, jedoch nicht auf magische, sondern auf sehr konventionelle Weise. Wie eine Keule zog er Falk das harte Holz über den Schädel, und ächzend ging der junge Bursche zu Boden, wo er besinnungslos liegen blieb.

Zara versuchte sich zu erheben, schaffte es aber nicht. Die Gegner näherten sich ihr, richteten ihre Schwerter und magischen Stäbe gegen sie, und sie war nicht mehr in der Lage, sich zu verteidigen.

Ihr ganzer Körper war nur noch Schmerz.

Aus, dachte sie. Aus und vorbei. Wir haben alles gegeben – und verloren!

Die abtrünnigen Zauberer würden sie mit ihrer Magie zerfetzen, ihren Körper mit ihren Schwertern zerhacken und ...

Ein Knurren drang an ihre Ohren. Schwach hob sie den Kopf und sah, wie Thor auf die Gegner zusprang, einem der Kuttenträger an die Gurgel ging und ihn erledigte. Dann schnappte er sich den nächsten – und wurde von dem magischen Schlag aus einem der Zauberstäbe getroffen. Der Kuttenträger, in den er sich verbissen hatte, wurde zerfetzt, Thor durch die Luft gewirbelt.

Und dabei verwandelte sich sein Körper. Verformte sich, verbog sich, änderte seine Gestalt in einer Metamorphose des Grauens. Als Thor auf dem Boden prallte, war er kein Wolf mehr, sondern ein ... ja, was?

Eine Mischung aus Wolf und Mensch erhob sich knurrend. Ein muskelstrotzender menschlicher Körper, über und über mit Fell bedeckt, das Gesicht eine wölfische Fratze -und dennoch irgendwie menschlich. Das Wesen fletschte die mächtigen Reißzähne, knurrte drohend, und seine Augen leuchteten wie Lichter.

Dann war Thor – oder das, wozu er geworden war – wieder zwischen seinen Gegnern, stürzte sich auf sie, eine fast menschliche Gestalt von über zwei Metern, bepackt mit Muskeln und bewehrt mit dolchartigen Fängen und messerscharfen Krallen, die durch Fleisch und Knochen fuhren und grausam wüteten unter dem Feind. Zara sah es – und konnte es kaum fassen!

Sie hatte von Werwölfen gehört, aber nie an sie geglaubt, denn in all den Jahrhunderten, in denen sie bereits existierte, hatte sie nie einen dieser düsteren Gestaltwandler zu Gesicht bekommen. Aber sie wusste ja inzwischen, dass es offenbar alles gab, was der Mensch sich vorstellen konnte – und wahrscheinlich noch sehr viel mehr.

Thor – oder wie immer er heißen mochte – war ein Wesen wie sie. Ein Geschöpf der Verdammnis. Menschlich und gleichzeitig absolut unmenschlich. Belegt mit einem Fluch, den das Schicksal auf ihn lenkte. Unschuldig und doch schuldig.

Und so wie Zara hatte Thor dennoch irgendwie einen Teil des Fluchs bezwungen, streunte nicht des nachts durch die Wälder auf der Jagd nach menschlicher Beute, um sich an dem zuckenden Fleisch und dem dampfenden Blut seiner Opfer zu laben. Wie er das geschafft hatte, wusste Zara nicht.

Jetzt aber ließ er seinen wölfischen Trieben freien Lauf. Er musste es tun, wenn sie überleben wollten, wenn sie das Schlimmste verhindern wollten, was der Welt der Sterblichen widerfahren konnte.

Und Zara begriff auf einmal, dass dies der richtige Weg war. Dass es keine andere Möglichkeit gab. Dass jeder von ihnen zu dem stehen musste, was er war, wenn sie siegen wollten.

Und dann erzwang sie die Verwandlung ...

Der Werwolf wütete unter den Kuttenträgern wie ein Berserker, zerfetzte Kehlen, schlug seine messerscharfen Krallen in menschliche Leiber. Die Schwerthiebe seiner Widersacher konnten ihn nicht stoppen. Wenn sich die Klingen in seinen Körper bohrten, stieß er nur jedes Mal ein Heulen aus, doch seine Wunden schlossen sich sogleich wieder, ohne dass Blut aus ihnen hervortrat. Seine Krallen rissen Hälse auf und Bäuche und fuhren durch die Gesichter der Gegner, die er mit einem einzigen Prankenhieb zerstörte.

Dann aber erwischte ihn erneut ein Schlag aus einem der Zauberstäbe, riss ihn von den Beinen, doch noch bevor er davongeschleudert wurde, traf ihn der nächste magische Energieblitz. Der Wolf heulte auf, lauter denn zuvor und diesmal voller Schmerz und Pein. Und als ihn der dritte magische Schlag in rascher Folge traf, hörte man nicht nur seine Knochen brechen, man sah auch, wie sie sich unter seinem Fell verformten und zersplitterten.

Wieder ein Schlag reiner schwarzer Magie, und er wurde gegen die Mauer einer Gruft geschleudert, so heftig, dass das Gestein unter der Wucht des Aufpralls vernehmlich knackte und Risse bekam. Ein letztes Heulen, das in ein Wimmern überging, seine Augen flackerten, dann rutschte er an der Mauer zu Boden, wo er reglos liegen blieb, und zwar als Mensch.

Ein Mann lag dort, nackt und von anmutiger Gestalt. Er mochte Mitte Dreißig sein, hatte ein markantes Gesicht und eine Silbersträhne im schulterlangen braunen Haar. Er bewegte sich nicht mehr, atmete nicht mehr, und unter der Haut war deutlich zu sehen, dass mehrere Knochen gebrochen und verformt waren.

Die Gewalt der magischen Entladungen hatte ihn getötet. Auch der dunkle Keim des Werwolfs in seinen Adern hatte ihn nicht retten können. Kein Leben war mehr in ihm.

Es waren nur noch sechs Kuttenträger übrig, unter ihnen vier mit den gefahrlichen Zauberstäben. Vorsichtig näherten sie sich der reglos daliegenden menschlichen Gestalt, blieben vor ihr stehen, und einer stieß den nackten Körper mit dem Fuß an. Als Thor sich nicht rührte, sprach der Zauberer: „Die Bestie ist tot – vernichtet!“ Und ein anderer der Langbärte murmelte: „Gegen solch ein Ungeheuer – halb Mensch, halb Tier – möchte ich nicht noch einmal kämpfen müssen!“

Doch er musste. Er und seine verbliebenen Mitverschwörer. Das wurde ihnen klar, als sie das zornige Fauchen hinter sich vernahmen, sich langsam umwandten und jene Kreatur erblickten, die sich ihnen näherte und die nur noch entfernt an Zara erinnerte.

Gellend schrieen sie auf, als sich die Vampirin auf sie stürzte. Und schon im nächsten Moment brach Zara mit einer nahezu beiläufigen Bewegung einem der Zauberer das Genick, dem nächsten schlug sie ihre Blutzähne tief in die Kehle. Der Schock über das Auftauchen dieser Bestie hatte die Langbärte mit einer solchen Wucht getroffen, dass sie erst reagierten, als Zara auch den dritten aus ihrer Mitte mit ihren Fangzähnen die Kehle aufriss.

Dann aber richtete einer der verbliebenen Zauberer seinen magischen Stab auf sie, und Zara registrierte es nicht mal, weil sie am Hals ihres Opfers hin und gierig schlürfend den roten Lebenssaft in sich sog. Der Zauberer hob den Stab und murmelte einen Zauberspruch – den er allerdings nie vollendete.

Ein Messer schwirrte durch die Luft und bohrte sich in sein rechtes Auge. Mit einem krächzenden Schrei ging der Langbart in die Knie.

Jetzt bemerkte ihn auch Zara – und sie sah etwas abseits Falk stehen, der wieder zu sich gekommen war und das Messer geworfen hatte. „Jetzt zeig’s ihnen, Zara!“, rief er. „Mach sie alle!“

Nichts anderes hatte sie vor. Das Gesicht die Fratze eines Dämons und den Mund blutbesudelt, stürzte sie sich fauchend auf die letzten Gegner. Sie starben schreiend.

In diesem Moment hatte Gregor D’Arc alias Ishmael Thurlak endlich Erfolg. Der sternenlose schwarze Himmel riss noch ein Stück weiter auf, Donner krachte, und es grollte und rumorte am Firmament. Zara brach dem letzten Kuttenträger das Genick und sah, was geschah. Der Riss am düsteren Nachhimmel hatte sich erweitert, und zwar beträchtlich. Dahinter sah sie scheußliche Dämonenfratzen, glühende Augen und geifernde Raubtiermäuler, und Krallenhände schoben sich aus der Spalte hervor in die Welt der Lebenden.

Ishmael Thurlak frohlockte. Mit glänzenden Augen und die Arme erhoben stand er vor dem Altar und rief: „Es glückt! Es glückt! Die Magie ist stark genug! Auch ohne Ritualopfer schaffe ich es! Die dunklen Götter des Chaos – sie dringen in diese Welt, um sie sich zu unterwerfen!“ Er brach in ein irres Gelächter aus, das bewies, dass sein Geist bereits verwirrt war, vielleicht schon seit vielen Jahrhunderten.

Erneut drohte die Verzweiflung Zara zu packen. Was sollte sie tun? Wie sollte sie die Dämonen aufhalten? Gegen diese Kreaturen kam sie nicht an! Niemand kam gegen sie an! Wie also konnte sie noch verhindern, dass das Grauen über diese Welt ausgeschüttet wurde? Sie sah keinen Weg mehr!

Und dann – dann brach auf einmal ein gleißendes weißes Licht über die Szenerie. Ein Licht, strahlend rein. Ein Licht, das Falk und Zara schon zuvor gesehen hatten.

Beide schauten sich um, denn dieses Licht vermochte sie nicht zu blenden, so gleißend hell es auch war.

Und dann sahen sie Jael, die wieder zu Bewusstsein gekommen war. Wie auf dem Friedhof während des Kampfes gegen die Zombies kniete sie am Boden, die Hände wie betend gefaltet, und das gleißende Licht strahlte aus ihrem Körper, drang ihr in weißen Lichtbahnen aus Augen und Mund, den sie weit aufgerissen hatte.

Aber anders als auf dem Friedhof erhob sie sich jetzt, und wie eine brennende Gestalt schritt sie vorwärts, auf den Altar zu, wo Ishmael Thurlak stand und nicht fassen konnte, was geschah. Er konnte es nicht begreifen, konnte es auch nicht sehen, denn anders als Falk und Zara wurde er von dem Licht geblendet und musste die Augen mit den Armen schützen.

Am Himmel tobten die Dämonen. Da war ein Fauchen und Schreien, das in den Ohren schmerzte. Auch sie spürten die Ausstrahlung der Alten Götter, das absolut reine Licht des Guten.

Und Zara ebenso; ohne es zu wollen, ohne sich zuvor zu entspannen, verwandelte sie sich in ihre menschliche Gestalt zurück. Das Vampirische, das Dunkle in ihr konnte in diesem Licht nicht bestehen und verkroch sich tief in ihr Inneres, um sich zu schützen, um nicht aus Zara herausgerissen zu werden, was die Vampirin bestimmt nicht überlebt hätte.

Während sich Jael auf den Altar und Ishmael Thurlak zubewegte, berührten ihre Füße den Boden nicht. Ja, sie schwebte, und obwohl ihre Beine nur sehr gemächliche Schrittbewegungen vollführten, raste die leuchtende Gestalt nahezu dahin. Falk und Zara konnten nur zuschauen und staunen, waren zur Untätigkeit verdammt.

Schon hatte die Seraphim in ihrer Lichtgestalt Ishmael Thurlak erreicht – und sie umschlang ihn mit ihren Armen. Ishmael Thurlak alias Gregor D’Arc schrie auf, gellend und schmerzerfüllt. Das Licht verbrannte ihn, seine Haut warf Blasen, und die Augen unter den geschlossenen Lidern schmolzen wie heißes Wachs.

Er wand sich in den Armen der Seraphim, die ihn umschlungen hielt, und konnte sich nicht befreien. Sein Körper schien in Flammen zu stehen, Rauch wölkte aus seiner Kutte, aus dem Haupthaar und seinem Bart.

„Du wolltest die Finsternis über die Welt bringen!“, hörte Zara die Stimme Jaels, die von überall her zu kommen schien. „Jetzt soll die Finsternis dich verschlingen!“

Zara ahnte Übles und schrie mit gellender Stimme: „Jael – neeeiiin!“

Doch es geschah – auf einmal verschmolzen die beiden Körper, Jael und Ishmael Thurlak wurden eins, zu einem gleißenden Lichtball, der sich erhob, über den Altar schwebte. Und dann schoss er direkt auf den Riss im Himmel zu, wie ein Kugelblitz, aber weit strahlender.

Die Dämonen, die im Riss der Dimensionen zu sehen waren, zuckten erschreckt zurück, man hörte ihr Kreischen und Fauchen, und dann hatte die Lichtkugel die Spalte erreicht – und schoss hindurch.

Das Licht, das dabei entstand, blendete nun auch Falk und Zara, und sie wandten die Gesichter ab. Aus der Spalte erklang das Schreien der Dämonen, Lichtbahnen flackerten daraus hervor, und hinter der Spalte, in jener anderen Dimension, schien im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle zu toben.

Als Zara wieder hoch zum Himmel blickte, glaubte sie etwas zu sehen, was sie nicht begreifen konnte und von dem sie in den vielen Jahrhunderten, die ihr noch bevorstanden, nie wissen sollte, ob es vielleicht eine Täuschung war, eine Einbildung und Produkt ihrer überreizten Nerven. Sie sah Jael als leuchtende Gestalt am Himmel, durchscheinend und majestätisch. Sie trug eine Rüstung aus reinem Licht, hielt ein Breitschwert mit einer Lichtklinge in den Händen und wirkte wie die Königin einer Sagenwelt. Und das auf ihrem Rücken – waren das nicht die Schwingen eines Engels? Mit dem gleißenden Schwert hieb Jael auf die Dämonen ein, die in ihrer Scheußlichkeit nicht zu beschreiben waren und sich vor der leuchtenden Kriegerin jammernd duckten.

Ein weiteres Bild entstand vor Zaras Augen, nur für die Dauer eines Herzschlags. Sie sah Gregor D’Arc alias Ishmael Thurlak in den Fängen der Dämonen. Sie setzten ihn den Qualen der Hölle aus, und das, das Zara sah, war von so unbeschreiblicher Grausamkeit, dass ihr Geist es sofort verdrängte und aus ihrem Verstand verbannte. Es war die Hölle, die Ishmael Thurlak verschlungen hatte, und ihre Grauen waren so schrecklich, dass ein Mensch – oder eine Vampirin – sie nicht begreifen konnte, ohne dem Wahnsinn anheim zu fallen.

Dann – nichts mehr! Die Bilder waren weg. Der grausam gequälte Ishmael Thurlak. Die strahlende Seraphim-Königin mit ihrem Lichtschwert. Und auch der Riss in den Dimensionen war verschwunden! Über Zara und Falk spannte sich nur noch der Nachthimmel, an dem die Sterne wieder leuchteten und funkelten wie Diamanten, die die Alten Götter dort verstreut hatten.

Stille kehrte ein. Die Ruhe des Todes ...

Endlich kam wieder Bewegung in die Zurückgebliebenen. Müde und angeschlagen stakste Falk auf Zara zu, und als er sie erreichte, sah sie die Tränen, die ihm übers Gesicht liefen.

„Jael“, flüsterte er und schniefte. „Sie hat ihr Leben für uns gegeben!“

„Nicht nur für uns“, erwiderte Zara leise und mit brüchiger Stimme. „Für die ganze Welt. Für ganz Ancaria.“ Sie legte ihm die Hand auf die Schulter in einer tröstenden Geste, aber Falk schniefte weiter; er schämte sich seiner Tränen nicht. Tränen, die er vergoss für eine mutige Kriegerin, die sich selbst geopfert hatte, um dem Bösen Einhalt zu gebieten und sie alle zu retten.

Zara wies auf die leblose Gestalt eines nackten Mannes mit sehr männlichen Zügen und einer Silbersträhne zwischen braunen Haaren. „Nicht nur Jael hat sich geopfert“, sagte sie. „Auch andere gingen den Weg des Guten bis zum Schluss.“

Falk war ihrem Blick gefolgt und sagte: „Er war Thor, nicht wahr?“

„Thor oder wie immer er auch hieß“, sagte Zara. „Er war ein Wesen wie ich, auch wenn es ihm zum Schluss nicht mehr möglich war, seine menschliche Gestalt anzunehmen. Er bekämpfte das Böse in sich und gewann diesen Kampf. Vielleicht war das der Grund, warum er in der Wolfsgestalt bleiben musste, auch am Tage und in Nächten ohne Vollmond. Vielleicht ist ein Wolf besser als der Mensch.“

„Nein, Zara“, widersprach Falk. „Wenn ich eins bei diesem Abenteuer gelernt habe, dann dass in jedem Menschen auch etwas Gutes steckt. Sogar in einer Vampirin und einem Falschspieler und Lump wie mir.“

Sie sagte nichts mehr darauf, nickte ihm aber zu. Ob sie damit seine Worte bestätigen oder nur die Unterhaltung beenden wollte, wusste er nicht.

Sie sammelten ihre Waffen ein und begruben den Körper des Mannes, den sie nur als Thor, den Wolf gekannt hatten. Gegen Morgen machten sie sich auf. Es lag noch ein weiter Weg vor ihnen ...

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