VIERTER TEIL

Warum stehst Du so ferne, Herr, entziehst dich in der Zeit der Not? …

Psalm 10

1. IN DEN WOLKEN

»Abschalten«, befahl Krebs.

Grant verharrte ungewiss in der dickflüssigen Atmosphäre des Brückenraumes, die Füße in den Bodenschlaufen verankert, die Arme in Brusthöhe treibend, und kämpfte gegen die Versuchungen der Macht.

»Abschalten!«, wiederholte Krebs. »Jetzt!«

Der Flugplan sah vor, dass sie Jupiter wenigstens zweimal umkreisen sollten, lange genug, um sicherzugehen, dass alle Bordsysteme einwandfrei funktionierten. Dann erst würde Krebs den Befehl zum Eintauchen in die Atmosphäre geben.

Grant schaltete die Verbindung mit dem ganzen Widerwillen eines Süchtigen ab, der sich von seinen Drogen zurückziehen muss. Er war wieder allein, separat, nicht mehr als ein Klumpen Protoplasma in einer fleischigen Hülle.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte Muzorawa, als er die Füße aus den Bodenschlaufen zog und sanft in der Flüssigkeit schaukelte.

»Ein wenig wacklig«, gab Grant zu.

Karlstad schwamm zu ihnen. »Ich sehe nicht, warum wir um den verdammten Planeten kreisen müssen. Warum bleiben wir nicht verbunden und machen weiter?«

»Sie müssen ausruhen«, antwortete Krebs. »Essen, entspannen. Schlafen. Es ist nicht gut, zu lange mit der Sonde verbunden zu bleiben.«

O'Hara, die noch an ihrer Kommunikationskonsole stand, sagte: »Kapitän, Dr. Wo möchte Sie auf dem privaten Kanal sprechen.«

Krebs nickte und zog Kopfhörer über ihren kahlen Schädel.

»Wann schläft sie?«, flüsterte Karlstad.

Muzorawa nickte. »Ich glaube nicht, dass sie die Kontakte gezogen hat, seit wir uns zuerst anschlossen.«

Grant zuckte die Achseln und schwamm zum Nahrungsspender. Er fühlte sich nervös, müde aber aufgeputscht. Vielleicht war ein kurzer Schlummer das, was er brauchte.

Es war ihm noch immer unangenehm, den Schlauch in die Ventilfassung in seinem Hals zu stecken, aber er zwang sich dazu. Als der Zähler im Metallgesicht des Nahrungsspenders die Sättigungsmarke erreichte und der Strom intravenöser Flüssigkeit versiegte, zog er den Schlauch mit einer schaudernden Grimasse heraus.

»Was ist los, schmeckt es nicht köstlich?«, spottete Karlstad.

Grant steuerte seine Koje an, ohne zu antworten. Die drei anderen blieben um den Nahrungsspender versammelt.

Obwohl er wusste, dass er in ein paar Stunden wach und einsatzbereit sein musste, konnte Grant nicht schlafen. Er musste weiter an den Kitzel der Macht denken, den er in der Verbindung mit der Tauchsonde verspürt hatte. Die Frage war, ob es im weiteren Verlauf durch Gewöhnung leichter sein würde, oder womöglich noch verführerischer, noch verderblicher. Er betete um Gottes Hilfe, dass er ihnen die Kraft gebe, der Versuchung zu widerstehen.

Dann dachte er daran, eine Botschaft für Marjorie aufzusetzen, obwohl er nicht imstande sein würde, sie vor ihrer Rückkehr von dieser Mission abzuschicken. Wenn sie zurückkehrten, sagte er sich. Dann hörte er die drei anderen in die Katakombe kommen und leise miteinander murmeln und schließlich in ihre Kojen schlüpfen.

Grant ließ ihnen genug Zeit zum Einschlafen, dann kroch er so leise er konnte aus seiner Koje, streifte schnell den Turnanzug ab und zog einen frischen aus dem Spind. Hellwach, da er wusste, dass er nicht würde schlafen könne, öffnete er die Luke und trieb in den Brückenraum.

Krebs schlief nahe der Decke in der leichten Strömung treibend und von ihr bewegt. Ihre Augen waren geschlossen, ein leise gurgelndes Geräusch, das in normaler Luft wahrscheinlich ein Schnarchen gewesen wäre, drang aus ihrem halb offenen Mund. Und sie war noch mit den Bordsystemen verbunden. Grant sah, dass die Drähte von den Deckenanschlüssen noch immer fest in den Elektroden ihrer dicken, haarlosen Beine steckten.

Sie schläft angeschlossen, dachte Grant bei sich und überlegte, wie das wohl sein mochte. Dann fragte er sich, ob das gut war oder nicht. War sie womöglich süchtig geworden? War das die Freude, die sie dem Leben abgewann?


* * *

Einer nach dem anderen kehrten Muzorawa, Karlstad und O'Hara zur Brücke zurück, beinahe wie Schlafwandler, und nahmen ihre Plätze an den Konsolen ein. Krebs schnarchte noch immer sanft und trieb oben nahe der Decke, leicht bewegt von der Strömung. Grant steckte die Füße in die Bodenschlaufen und sah, dass seine Konsole alle Systeme im Normalbetrieb zeigte. Nichts als grüne Kontrollleuchten. Er legte einen Finger auf das Tastfeld der Konsole, um die Hilfssysteme zu überprüfen. Schon jetzt kam ihm das manuelle Verfahren lästig vor. Wenn er verbunden war, konnte er alle Systeme fühlen und wusste mit geschlossenen Augen, wie sie ihren Dienst erfüllten.

Aber sie durften die Steckverbindungen nicht herstellen, bevor Krebs den Befehl erteilte, und sie schlief noch, trieb über ihnen unter der Decke.

»Nun, wenigstens wissen wir, dass sie auch schlafen muss«, flüsterte Karlstad vernehmlich. »Das ist gut«, flüsterte O'Hara zurück. »Jeder muss manchmal schlafen.«

»Sie können es nicht erwarten, mit der Arbeit zu beginnen«, ertönte Krebs' kalte, harte Stimme. »Gut.«

Karlstad verdrehte die Augen zum Himmel.

»Stecken Sie Ihre Anschlüsse ein«, befahl Krebs.

Diesmal arbeitete Grant schneller und war noch vor Karlstad fertig. Ein angenehmes Gefühl von Erwartung erwärmte ihn, und er sah O'Haras Gesichtsausdruck an, dass es ihr ähnlich ging.

»Verbindung einschalten«, sagte Krebs.

Wieder fühlte Grant sich von der Kraft des Fusionsgenerators durchströmt, fühlte die Musik der elektrischen Ströme. Die Triebwerke, bat er stumm. Zeit, die Zündung einzuschalten.

Stattdessen überprüfte Krebs geduldig das Navigationssystem und wartete ab, bis sie in ihrer Umlaufbahn den genauen Punkt erreichten, wo sie die Umlaufbahn verlassen und in die Atmosphäre eintauchen sollten.

»Wir nähern uns dem Schlüsselloch«, rief Muzorawa.

Ohne um Erlaubnis zu bitten, schloss Grant die Augen und verband sich momentan mit Zebs Sensoren. Nun sah er, was sie zeigten: die streifigen, turbulent dahinjagenden Wolken, angetrieben von der ungeheuer schnellen Umdrehung des Riesenplaneten, der sie in lange, ockergelbe, blassgraue und rostbraune Streifen zog. Blitze zuckten durch die Wolken, Entladungen ungeheurer elektrischer Energien. Er fühlte die Wärme, die von diesen Wolken ausstrahlte, hörte das immerwährende Heulen von Orkanen, neben denen sich die wildesten Wirbelstürme auf Erden harmlos ausnahmen.

Und die Sensoren zeigten, dass gerade in dem Bereich, wo sie in die Wolkendecke eintreten wollten, ein enormer Wirbelsturm blendend weißer Wolken tobte.

»Der Eintrittsbereich ist von einem Zyklon bedeckt«, sagte Muzorawa mit gepresster Stimme.

Grant öffnete die Augen. Zebs Gesicht war eine ausdruckslose Maske. Als er den Kopf wandte, sah er, dass O'Hara und Karlstad beide besorgt aussahen.

Krebs machte ein Geräusch, das ein Grunzen sein mochte. Oder ein unterdrücktes Knurren. »Gut, dann werden wir zum alternativen Eintrittspunkt weiterfliegen.«

Grant blickte auf zum großen Wandbildschirm. Er zeigte ihre Umlaufbahn vor den wirbelnden Wolkenstreifen. Der alternative Eintrittspunkt war eine Viertelumlaufbahn entfernt. Näher dem Roten Fleck, sah Grant. Nicht nahe genug, um gefährlich zu sein, aber jede Annäherung an diesen titanischen Orkan war beunruhigend.

Niemand sprach während der neunundvierzig Minuten, die sie brauchten, um den alternativen Eintrittspunkt zu erreichen. Grant beschäftigte sich einstweilen mit dem Fusionsgenerator; er war wie ein wärmendes, knackendes Kaminfeuer an einem kalten Wintertag. Bald würden sie in den Wolken sein, dachte er bei sich. Und dann im Ozean. Dort würde sich zeigen, wie genau seine kartographische Aufzeichnung der Strömungen gewesen war.

»Automatische Startzählung«, rief Krebs endlich.

Grant leckte sich die Lippen, als der Bordrechner die Sekunden zählte. Der Geschmack in seinem Mund war seltsam, nicht unangenehm, aber die Perfluorcarbon-Flüssigkeit ähnelte nichts, was seine Geschmacksknospen jemals in der Vergangenheit kennen gelernt hatten. Er hatte in seinem Gedächtnis keine Bezugspunkte dafür, nicht einmal auf der Ebene, wo der Instinkt regierte.

»Zündung in zehn Sekunden«, sagte die synthetische Stimme des Computers. In Erwartung der Triebwerkszündung hielt Grant den Atem an.

Und dann liefen die Triebwerke an. Grant fühlte sich von ihrer Kraft durchdrungen wie von der Brandungswelle eines Tsunami, die Kaimauern einreißt, Bäume entwurzelt, Gebäude wegschwemmt, Hügel einebnet und alles fortreißt, was in ihrer Bahn ist.

Er biss die Zähne zusammen und setzte seine ganze Willenskraft ein, um nicht nachzugeben. Er war übermächtig! So sehr, dass er die Tauchsonde mit den bloßen Händen auseinander reißen konnte. Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte er in das flammende Plasma blicken, das aus den Austrittsöffnungen der Triebwerke schoss, die Energie fühlen, die aus dem Fusionsgenerator strömte, als wären es seine eigenen Muskeln, die ihre Sonde tief in die Wolkenhülle Jupiters hineintrieben, hinab ins Unbekannte, jenseits der Reichweite jeder Hilfe, jedes Verständnisses der jämmerlichen, gebrechlichen zweibeinigen Affen, die sich an die Muschelschale der Orbitalstation klammerten.

Draußen begann ein Wind zu heulen und zu kreischen, als protestiere er gegen ihren Eintritt in die Atmosphäre. Grant lachte in sich hinein. Nur zu, tu was du willst!, forderte er Jupiter heraus. Die Kraft der Triebwerke war seine eigene Kraft, sein eigener Körper stand gegen die blinde Wut dieser fremden Welt. Die Tauchsonde schwankte und wurde von Stößen hin und her geworfen, blieb aber auf ihrem Kurs und drang tiefer in die Wolkenhülle ein. Grant fühlte sich wie ein erbarmungsloser Eroberer, der sich einer heftig widerstrebenden Frau aufzwang. Er vergewaltigte Jupiter, und wie dieser auch widerstand, er war zu mächtig, zu rücksichtslos, um Barmherzigkeit oder Zurückhaltung zu zeigen.

Plötzlich schalteten sich die Triebwerke ab. Grant fühlte es wie einen Schlag in die Magengrube. Er keuchte, würgte beinahe. Einen endlosen Augenblick stand er schwankend in den Fußschlaufen, die Hände zu Fäusten geballt. Er war entsetzt über seine eigenen Gedanken, seine Empfindungen. Schuldgefühl, Scham und Schrecken über die primitive, in ihm vergrabene Wildheit peinigten seine Seele. Er konnte den Wind lauter kreischen hören, als der Sturz der Tauchsonde durch die tiefe Atmosphäre andauerte. Er fühlte, wie die Außenhaut durch die Reibungshitze weißglühend aufleuchtete.

Sie stürzten jetzt durch die tiefe Atmosphäre, angezogen von der mächtigen Schwerkraft Jupiters, keine Eroberer mehr, sondern bescheidene Diener, die der massiven Anziehungskraft des Planeten gehorsam waren.

Grant öffnete die Augen und blickte zu den Bildschirmen über Muzorawas Konsole, wo die Aufzeichnungen der Sensoren zu sehen waren. Sie stürzten durch einen Strudel wirbelnder Wolken. Zeb stand wie erstarrt davor, den Blick gebannt auf die Bildschirme gerichtet, die Hände zu Fäusten geballt.

Vorsichtig und verstohlen, ohne Befehl, stellte er wieder die Verbindung mit Zebs Sensoren her und fühlte plötzlich die weißglühende Hitze ihres überschallschnellen Eintritts in diese dichte, turbulente Atmosphäre. Die Tauchsonde zitterte und bockte, geschüttelt von den Stößen der Orkanwinde, und verwandelte die Wolken ringsum in kochenden Dampf, in brennende Gase, die ihnen wie ein langer Kometenschweif folgten.

Wieder übermannte ihn die Wildheit des primitiven Instinkts. Am liebsten hätte er den brennenden Gasen, die ihre Sonde einhüllten, seinen Trotz entgegengeschrien. Ihr könnt uns nichts anhaben!, knurrte er in sich hinein. Du kannst nur tun, was wir wollen, sagte er dem Riesenplaneten. Wir gebrauchen dich, gebrauchen deine dichte Atmosphäre, um uns genug zu verlangsamen, dass wir in deine See eindringen und deine Geheimnisse entdecken können.

Jupiter dachte anders darüber. Die Tauchsonde schwankte seitwärts, taumelte, als sie von ungeheuren Windgeschwindigkeiten gebeutelt wurde. Grant taumelte, wurde gegen die Konsole geworfen und wäre durch den Brückenraum gesegelt, wenn er nicht in den Fußschlaufen verankert gewesen wäre. Er musste sich mit beiden Händen an der Konsole festhalten, um nicht noch einmal gegen sie geschleudert zu werden.

Die Sonde verlangsamte. Grant fand sein Gleichgewicht wieder, blickte umher und sah, dass niemand von den anderen seine Raserei bemerkt hatte. Oder wenn sie etwas gesehen hatten, schenkten sie ihm keine Beachtung. Zeb, Lane und Egon waren eingeschlossen in ihre eigenen Wahrnehmungswelten, fühlten, hörten, sahen und schmeckten sogar die von den Bordsystemen und Sensoren ausgehenden Signale. Grant hatte von der rohen, urtümlichen Kraft gekostet, und nun, in ihrer Abwesenheit, fühlte er sich leer, beraubt, zornig. Und furchtsam.

»Wir nähern uns dem Boden der Wolkendecke.« Krebs' Stimme klang verfremdet und fern, eine Störung in Grants Universum von Macht und Stärke wie das Schrillen eines Weckers, das einen warmen, erregenden Traum stört.

Die rauschhafte Begeisterung der ersten Stunde war verflogen, aber der Fusionsgenerator sang noch immer sein verführerisches Lied von Macht, flüsterte zu Grant von den unbekannten Tiefen des Universums, von Welten, die zu entdecken und zu erobern waren.

»Sehen Sie sich das an!«

Grant konnte nicht feststellen, wer es sagte, aber die Worte weckten ihn aus seiner nahezu hypnotischen Trance.

»Bringen Sie es auf den großen Bildschirm.« Das war eindeutig Krebs' Stimme. Ihr harter, scharfer Tonfall war selbst in der unheimlichen Verzerrung dieses dickflüssigen Mediums, in dem sie lebten, unverkennbar.

Der Wandbildschirm über ihren Konsolen zeigte eine wilde Wolkenlandschaft, soweit die Sensoren sehen konnten, ein ungeheures Panorama brodelnder Wolken, die von mächtigen Windströmungen getrieben dahinjagten, während aus dunstigen Tiefen neue Wolkengebirge heraufbrodelten, bis ihre Köpfe von den orkanartigen Winden abgeschert wurden. Hoch über allem war der Himmel bedeckt von seiner immerwährenden dicken Schicht vielfarbig getönter Wolken, welche die ganze Welt umspannten, deren Farben von der Unterseite her gesehen aber seltsam gedämpft und pastellartig wirkten.

Die Wasserstoff-Helium-Atmosphäre war transparent wie … ja, wie Luft und in dichten Massen durchsetzt von den dicken, sich auftürmenden Wolken, die beinahe den hoch aufgetürmten Kumuluswolken eines tropischen Himmels auf Erden ähnelten, bis sie in die Zone der stärksten Turbulenzen gerieten und auseinander gerissen wurden.

Tief unten, wo sie entstanden, war nur Dunst auszumachen. Grant erinnerte sich, dass die Jupiteratmosphäre sich allmählich verdichtete, bis sie unter dem ungeheuren Druck flüssig wurde, und dass es keine klare Trennungslinie zwischen Luft und See gab. Irgendwo dort unten dehnte sich ein weltumspannender Ozean, dessen Wasser sauer und korrosiv war, stark vermischt mit Ammoniak und exotischen Verbindungen.

Nicht wie auf Erden, sagte sich Grant. Ganz und gar nicht wie auf Erden, wo die Ozeane Becken in der steinigen Kruste füllen und die Schwere bei weitem nicht ausreicht, die Luft zu verflüssigen. Nicht wie Mars oder Venus oder gar die Galileischen Monde, nicht wie diese Kugeln aus Gestein und Eis. Dies war eine fremde Welt, völlig verschieden von allem, was man je gesehen hatte.

Die Zheng He taumelte und bockte in den Turbulenzen, die im Randbereich der Strahlströme entstanden. Grant sah die Tauchsonde als eine winzige Scheibe, die von den Strahlströmen, Wirbelstürmen und Orkanen der Jupiteratmosphäre wie ein Blatt im Wind herumgewirbelt und fortgerissen wurde.

»Fernbereichssensoren«, befahl Krebs.

Die Ansicht auf dem großen Bildschirm verschwand, und Sekunden später erschien eine andere. Am fernen Horizont schien das Wolkenpanorama begrenzt von einer dunklen Wand, die aus der Tiefe bis hoch hinauf in die Wolkendecke reichte. In dieser Unheil verkündenden Wand, die Ähnlichkeit mit einer aufziehenden Gewitterfront hatte, wetterleuchtete es unaufhörlich.

»Das muss der Große Rote Fleck sein«, meinte Karlstad. Seine Stimme klang hohl vor Ehrfurcht. »Wir sind verdammt nahe daran.«

»Triebwerke einschalten. Minimale Marschgeschwindigkeit«, befahl Krebs.

Seit sie in die Atmosphäre eingetreten waren, hatten sie die Triebwerke nur zeitweilig in Schubumkehr laufen lassen, um den freien Fall abzubremsen, den größten Teil der Bremswirkung aber der dichten Atmosphäre überlassen, die ihre Fallgeschwindigkeit in Wärme umgewandelt hatte. So waren sie wie ein durch den Jupiterhimmel geschleuderter Diskus durch die dichte Wolkendecke und hinab in die klarere Wasserstoff-Helium-Atmosphäre geglitten.

»Hören Sie schlecht, Archer? Triebwerke einschalten, sagte ich!«

Grant schrak zusammen und aktivierte die Triebwerke mit einem Gedanken. Sicherheitshalber drückte er mit einer Fingerspitze auf die Einschalttaste seiner Konsole. Unaufmerksamkeit und Träumen, erkannte er, konnte hier ebenso gefährlich sein wie die Versuchung der Macht, wenn sie in die Hände Sterblicher gelegt war. Wenn er die Maschinen mit einem Gedanken beherrschen konnte, so konnte er auch sich selbst und die anderen mit einem törichten Impuls vernichten.

2. HERAUSFORDERUNG

Tiefer und tiefer sanken sie in die Atmosphäre, abwärts in den alles umschließenden Dunst, der sich allmählich zum Weltozean verdichtete.

Grant strengte die Augen an, um den dunkelnden Dunst zu durchdringen, den die optischen Sensoren auf den zentralen Bildschirm übertrugen. Es gab nichts zu sehen; nicht einmal im infraroten Bereich war etwas auszumachen, und doch starrte Grant angestrengt auf den Bildschirm. Zum Teil konzentrierte er seine Aufmerksamkeit darauf, weil es ihm half, nicht vollends dem hypnotischen Zauber der verstärkten sensorischen Systeme in seinen implantierten Biochips zu verfallen. Es erinnerte an den Rat seines Vaters zu unreinen Gedanken, als er noch vor der Pubertät zu den Verführungen des Körpers erwacht war: »Denk an etwas anderes, Junge. Beschäftige dich nicht mit der Versuchung.«

Grant starrte in die Leere und versuchte den tiefen, ungebetenen aber hartnäckigen Drang zum Hochfahren der Triebwerke und dem beschleunigten Eintauchen in den Ozean, der tief unter ihnen wartete, aus seinen Gedanken zu vertreiben.

Wo sind die jovianischen Lebensformen?, fragte er sich. Wo sind die Medusen und diese ballonartigen Segler, die von den unbemannten Sonden gefunden worden waren? Und die Algenkolonien, die in den Wolken schweben sollten? Ringsumher sah der Himmel leer und öde aus.

Er hatte bemerkt, dass keiner der anderen seit ihrer Verbindung mit den Bordsystemen mehr als ein paar Worte gesprochen hatte. Auch sie mussten wie er selbst in den Sog dieser elektronischen Verführung geraten sein. Zwar hatten sie mehr Erfahrung damit, doch bedeutete das nicht, dass es ihnen leichter war, damit fertig zu werden.

»Ich dachte, wir würden luftbewohnende Organismen sehen«, sagte er laut.

Karlstad zuckte zusammen, als wäre er plötzlich aus einer Trance erwacht. »Sie sind dort draußen«, sagte er.

»Die Sensoren haben keine ausgemacht«, konterte Muzorawa.

»Nicht einmal im mikroskopischen Maßstab?«

»Na gut … Mikroorganismen sind fast überall gegenwärtig«, räumte Muzorawa ein.

»Aber was ist mit den großen Lebensformen?«, fragte Grant.

»Sie sind ziemlich dünn gesät«, erwiderte Karlstad. »Wahrscheinlich benötigen sie riesige Territorien, um sich zu ernähren.«

»Vielleicht fürchten sie sich vor uns«, meinte O'Hara. »Schließlich kamen wir wie ein gewaltiger glühender Meteor hier herunter, nicht wahr?«

Karlstad dachte darüber nach. »Ja, das ist zu bedenken.«

O'Hara wollte noch etwas hinzufügen, ließ aber den Gedanken fahren und sagte stattdessen: »Kapitän, Botschaft vom Direktor.«

Die Ansicht einförmig dunstiger Leere auf dem Bildschirm verschwand und wurde ersetzt durch ein körniges, von atmosphärischen Störungen gestreiftes Bild Dr. Wos. Er sah grimmig aus.

»Die Untersuchungskommission der IAB bereitet ihr Rendezvousmanöver mit der Station vor«, sagte er ohne Vorrede. »Ich bin angewiesen worden, Ihre Mission zurückzurufen. Es wird erwartet, dass Sie sofort zur Station zurückkehren.«

Alle im Raum erstarrten. Grant wandte sich ein wenig zur Seite und sah Krebs unter ihren Deckenanschlüssen schweben, eine Hand an der Metallverkleidung, um ihre Position zu halten. Sie starrte mit steinerner Miene auf den Bildschirm.

»Sie haben den Empfang dieser Botschaft zu bestätigen«, sagte Wo. Er zog jedes Wort in die Länge, wie um es zu betonen.

In der Enge des Brückenraumes herrschte vollkommene Stille. Grant war geschockt. Bittere Enttäuschung über den Abbruch der Mission, Zorn auf die IAB und ihre unsinnige Entscheidung erfüllten ihn. Er wollte weiter, wollte mit der Sonde verbunden bleiben und tiefer in die fremde See eindringen.

O'Hara streckte die Hand nach der Tastatur ihrer Konsole aus.

»Was tun Sie da?«, fuhr Krebs sie an.

»Der Direktor sagte, wir sollten den Empfang seiner Botschaft bestätigen.«

»Ich werde entscheiden, wann und ob wir sie bestätigen«, sagte Krebs.

»Aber …«

Krebs verharrte länger als eine Minute schweigend in ihrer schwebenden Position. Dann zeigte sie auf Grant und befahl: »Zwanzig Prozent Schubverstärkung.«

Grant reagierte automatisch und fühlte sofort die Verstärkung der Antriebsenergie. Es war ein gutes Gefühl, stark und richtig. Jenseits von O'Hara, die mit unsicherem Stirnrunzeln an ihrem Platz stand, blickte Karlstad beunruhigt zu ihm herüber.

Die Brücke schien sich merklich zu neigen. Muzorawa meldete: »Bahnneigungswinkel übersteigt zwanzig Grad … fünfundzwanzig …«

»Es ist unnötig, den Neigungswinkel auszurufen«, erwiderte Krebs. »Wir gehen mit maximaler Sinkgeschwindigkeit in den Ozean.«

Muzorawa zögerte einen Moment, sagte dann: »Kapitän, der Direktor hat uns den Abbruch der Mission befohlen.«

»Ich bin mir dessen bewusst«, sagte Krebs in scharfem Ton. »Ich habe entschieden, dass wir früher als geplant in den Ozean eindringen.«

»Sollten wir Dr. Wo nicht antworten?«, fragte O'Hara.

»Wie können wir?«, sagte Krebs. »Wir sind jenseits der Möglichkeit direkter Kommunikation.«

»Aber wir können doch …«

»Wir sind jenseits der Möglichkeit direkter Kommunikation«, wiederholte Krebs mit eiserner Härte in der Stimme. »Wir haben den Befehl zum Abbruch der Mission nie erhalten, also können wir ihn nicht bestätigen.«

Grant bewunderte sie. Entgegen dem Befehl der IAB ließ sie sich nicht von der Mission abbringen. Zeb sah besorgt aus, aber er sagte nichts. Es hatte keinen Sinn, über eine bereits getroffene Entscheidung zu argumentieren.

Krebs sagte zu O'Hara: »Ihre Kommunikationspflichten sind beendet. Behalten Sie einen offenen Kommunikationskanal nur zur Überwachung eingehender Botschaften. Wir werden auf Botschaften von der Station nicht antworten.«

Lane schien zwischen den gleichen widersprüchlichen Empfindungen zu schwanken, die Grant beschäftigten: Besorgnis wegen des offenen Ungehorsams gegen den Stationsdirektor rang mit dem Verlangen, die Mission fortzusetzen.

»Sie werden von nun an die Steuerung der Sonde übernehmen, O'Hara. Unter meinem direkten Befehl, versteht sich.«

»Ja, Kapitän«, sagte Lane mit tonloser Stimme.

»Bahnneigungswinkel von dreißig Grad beibehalten.«

»Ja, Kapitän«, wiederholte Lane. Mit wenigen Handgriffen hatte sie das Navigationsprogramm auf ihre Konsole heruntergeladen.

Grant blickte zu Muzorawa; er schien besorgt, und Karlstad schien nicht nur geschockt, sondern ängstlich.

Aber niemand sagte ein weiteres Wort. Grant fand, dass er über Krebs' Entscheidung, den Befehl zu missachten, froh war. Es war offensichtlich, dass Dr. Wo gezwungen gewesen war, den Rückrufbefehl zu senden. Aber sie waren hier, kurz vor dem Eintauchen in den Ozean und würden ihre Mission erfüllen, und weder Wo noch die IAB noch die Neue Ethik konnten sie aufhalten. Grant grinste in sich hinein, erfüllt von freudiger Erwartung.

O'Hara meldete die Bereitschaft ihrer Konsole, und Krebs stieß sich ab und kam zu ihr herunter, um neben O'Hara Aufstellung zu nehmen, einen Fuß in der Schlaufe. Sie zeigte auf den kleinen Bildschirm in der oberen linken Ecke der Konsole und sagte: »Halten Sie diesen Kanal offen für eingehende Nachrichten. Von uns werden keine Botschaften hinausgehen, solange ich es nicht eigens anordne. Verstanden?«

»Verstanden.«

Sie wandte sich zu Muzorawa und sagte: »Bereiten Sie eine Datenkapsel für den Abschuss vor.«

»Ja, Captain.«

Krebs langte an O'Hara vorbei und schaltete das Mikrofon ein, sagte dann in ruhigem, nüchternem Ton: »Datenkapsel Nummer eins. Wir haben die Wolkenhülle durchdrungen und gehen in den Ozean nieder. Alle Systeme funktionieren normal, ausgenommen die Kommunikation, die durch unerwartete elektrische Interferenzen in der Jupiteratmosphäre vollständig blockiert ist. Da wir außer Stande sind, Botschaften zu empfangen oder zu senden, werden wir unsere Mission wie geplant fortführen und nach Bedarf durch Datenkapseln Meldung machen.«

Dann wandte sie sich zu O'Hara und fragte: »Haben Sie das aufgezeichnet?«

»Aufgezeichnet«, bestätigte Lane.

»Die Kapsel ist abschussbereit«, meldete Muzorawa.

»Gut. Abschießen!«

Nichts geschah. Plötzlich wurde Grant klar, dass es seine Aufgabe war, die Kapsel abzuschießen. Zu spät. Krebs zog ihren Fuß aus der Schlaufe und fuhr zornig herum.

»Archer!«, blaffte sie. »Archer, wo sind Sie?«

Verdutzt stammelte er: »Ich … ich bin hier, Captain.«

Krebs kam wie die leibhaftige Nemesis auf ihn zu. »Warum stehen Sie einfach da? Schießen Sie die Kapsel ab! Worauf warten Sie noch?«

»Ah … ja, Captain«, stotterte Grant. Verzweifelt suchte er sich an die Kommandosequenz für das Abschussprogramm zu erinnern. Die Kapseln mussten manuell abgeschossen werden, so viel erinnerte er; sie waren nicht in die Biochip-Verbindung mit eingeschlossen.

Mit nervös fummelnden Fingern rief er das Abschussprogramm ab. Es war ziemlich einfach, sah er, aber da Krebs wie ein schwelender Vulkan kurz vor dem Ausbruch über seine Schulter sah, waren zwei Versuche nötig, bevor Grant die Befehle in die richtige Reihenfolge brachte. Der Abschuss der Kapsel ging wie ein Prickeln durch seinen Körper. Er erinnerte Grant daran, wie er in einem atemlosen Hochgefühl die Skiabfahrt für Fortgeschrittene in den winterlichen Wasatch Mountains gewagt hatte.

Bis Krebs knurrte: »Was gibt es da so einfältig zu lächeln, Archer? Kommen Sie zu sich.«

Es kostete eine große Willensanstrengung, aber Grant schaffte es.


* * *

Stunden vergingen, und die Sonde sank noch immer zur See hinab. Krebs brachte die Aufzeichnungen verschiedener Sensoren auf den großen Bildschirm, aber alle zeigten nichts als leeren, einförmigen Dunst, grau in grau, ohne Farbe, leer und tot.

Bis Muzorawa »Da!«, rief.

»Was?«

»Moment, ich verstärke schnell die Vergrößerung«, murmelte Zeb, die Finger auf der Tastatur. »Da. Sehen Sie?«

»Schnee«, sagte Grant. Weiche weiße Flocken segelten durch den Dunst. Es sah schön aus, wie zu Hause.

»Nicht Schnee«, sagte Karlstad. »Organische Stoffe. Sie bilden sich in den Wolken und regnen ab.«

»Manna vom Himmel«, sagte O'Hara.

Muzorawa schmunzelte. »Es ist nur Nahrung, wenn es in der See Lebewesen gibt, die das Zeug essen. Andernfalls ist es bloß organischer Schnee.«

Grant dachte an die entfernten, schattenhaften Umrisse, die Dr. Wo ihm von der Aufzeichnung der ersten Mission gezeigt hatte. Lebensformen? So groß wie Städte? Kilometerlang? Es schien unmöglich.

»Karlstad und Archer, Ruheperiode«, sagte Krebs. »Abtrennen, essen und vier Stunden schlafen.«

Grant musste seine Hand zwingen, die Verbindung abzuschalten. Plötzlich war er nicht mehr mit der Tauchsonde verbunden und wieder allein in seinem eigenen Körper. Verdrießlich zog er die optischen Fasern aus den Biochips in seinen Beinen und verstaute sie, dann schwamm er zum Nahrungsspender.

Karlstad schloss bereits den Schlauch an die Ventilöffnung in seinem Hals an. »Anstellen zur Armensuppe«, sagte er, als er die Pumpe des Nahrungsspenders einschaltete.

Auch Grant hängte sich an den Schlauch. Diese Art von Nahrungsaufnahme bot keine Befriedigung. Er schien niemals Hunger zu verspüren, wahrscheinlich weil die Perfluorcarbon-Flüssigkeit dafür sorgte, dass sein Magen gefüllt blieb. Aber es gab keinen Genuss, wie man ihn beim Essen haben konnte. Keinen Geschmack, kein Aroma.

Karlstad beugte sich näher, sodass er Grant beinahe berührte, und flüsterte: »Haben Sie bemerkt, dass Krebs Sie nicht finden konnte?«

»Was?«

»Als Sie die Datenkapsel abschießen sollten. Sie waren direkt vor ihr, nicht weiter als drei Meter entfernt, und Krebs konnte Sie nicht sehen.«

Grant erinnerte sich. »Ja, das war unheimlich.«

»Sie war nahe an einer Panik.«

Grant blickte über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Krebs nicht in der Nähe war, und flüsterte: »Sie hat eine komische Art, mich anzusehen.«

»Uns alle.«

»Was kann der Grund sein?«

»Zeitweilige Perioden von Blindheit, vielleicht.«

»Sie ist blind?«

»Vielleicht. Kurzzeitige Ausfälle der Sehkraft. Ich stelle es mir so vor, dass ihr Sehvermögen immer wieder für einige Sekunden oder auch länger aussetzt.«

»Ist sowas möglich?«

Karlstad deutete ein Achselzucken an. »Ich weiß nicht. Ich werde sehen, ob ich was in der medizinischen Bordbibliothek finden kann.«

»Könnten die Implantate ihr Sehvermögen beeinträchtigen?«

»Könnte sein. Schlimmer aber ist ihre Weigerung, den Abbruchbefehl des Direktors zu befolgen.«

Die Glocke des Nahrungsspenders läutete. Karlstad zog den Zuleitungsschlauch aus seinem Hals wie ein Mann, der sich von einem Blutegel befreit.

Grant sagte: »Darin bin ich auf ihrer Seite. Wo sollte diese Mission nicht abbrechen, nur weil eine Untersuchungskommission der IAB es verlangt.«

Karlstad zog die Brauen hoch. »Sie? Der Rechtgläubige? Sind Sie jetzt bereit, Häresie zu begehen?«

»Das hat nichts mit Religion zu tun!«

»Von wegen. Diese IAB-Inspektoren sind wahrscheinlich allesamt Leute von Ihrer Neuen Ethik oder meinetwegen der Jünger Gottes.«

»Egal, was sie wollen, ich möchte mit der Mission weitermachen«, erklärte Grant. »Sie nicht?«

»Gewiss. Aber was geschieht, wenn wir zur Station zurückkehren? Wie, glauben Sie, werden diese Inspektoren uns behandeln? Befehlsverweigerung wird auch Meuterei genannt, wissen Sie.«

Grant blieb der Mund offen stehen. Meuterei?

Das Glockensignal ertönte. Seine Zeit war abgelaufen.

»Hören Sie auf mit dem Gemurmel«, rief Krebs ihnen zu. »Legen Sie sich schlafen, alle beide.«

Grant zog den Nahrungsschlauch aus dem Anschluss am Halsventil. Meuterei? Würde man sie nach ihrer Rückkehr als Meuterer behandeln?

3. STURMGEPEITSCHT

Grant schlief unruhig. Er träumte, dass er von einer Riesenhand geschüttelt wurde, die ihn erbarmungslos herumstieß. Er fuhr aus dem Schlaf auf und fand, dass es kein Traum war. Die Sonde stieß und bockte und taumelte, als wäre sie zwischen die Kiefer eines wütenden Riesenhundes geraten und wurde zu Tode geschüttelt.

Als er aus der engen Koje glitt, stieß er sich die Schulter, und als er gleich darauf aufstand, schlug er sich das Schienbein an. So tief in der Atmosphäre sollte es keine derartigen Turbulenzen geben, sagte er sich. Vielleicht waren sie jetzt im Ozean! Es könnten turbulente Strömungen flüssigen Wassers sein. Er wünschte, er hätte Gelegenheit gehabt, seine Kartierungen in der Abteilung für Flüssigkeitsdynamik vollständiger auszuarbeiten. Die Wahrheit war, dass weder er noch sonst jemand im Sonnensystem mehr als vage Vorstellungen davon hatte, wie es in dieser Tiefe auf dem Jupiter zuging, wo die Atmosphäre fließend in den Ozean überging.

Er wankte durch die Lukenöffnung zum Brückenraum. Dass die Zheng He ähnlich einer Zwiebel aus mehreren Schalen konstruiert war, von denen die innerste die Besatzung beherbergte, war ihm bekannt. Zwischen jeder Metallschale war eine unter Druck stehende Flüssigkeit, die mithalf, die starren Metallschalen gegen den gewaltigen Druck von außen zu schützen und durch Turbulenzen verursachte Vibrationen zu dämpfen.

Wenn sie hier im Kern der Tauchsonde so schwer herumgestoßen wurden, dachte Grant, als er zu seiner Konsole wankte, musste draußen ein gewaltiger Sturm toben.

Der Große Rote Fleck! Barmherziger Gott, dachte Grant, sind wir in den Großen Roten Fleck geraten? Er stellte sich vor, wie die kleine Sonde in den Rachen eines überwältigenden Wirbelsturms gerissen und wie ein zerbrechliches Blatt zermalmt wurde.

»Was tun Sie da?«, fuhr Krebs ihn an, als Grant sich daran machte, seine Verbindungen anzuschließen.

»Ich schließe mich an, Captain«, antwortete er.

»Mr. Archer, habe ich Ihnen befohlen, Ihre Ruheperiode abzukürzen?«

»Nein, aber mit dem Sturm …«

»Sie sollten ruhen.«

»Aber ich dachte …«

»Befolgen Sie meine Befehle, Mr. Archer! Ich bin durchaus imstande, die Sonde ohne Ihre Hilfe unter Kontrolle zu halten.«

Grant schwebte vor seiner Konsole. Drei optische Fasern waren mit seinen Implantaten verbunden, die anderen tanzten in der Flüssigkeit vor ihm. Muzorawa und O'Hara waren auf ihren Positionen und vollständig angeschlossen. Zeb warf ihm einen Blick zu und lächelte freundlich, Lane konzentrierte sich auf ihre Konsole, wo ihre Finger gewandt über die Tastatur flogen.

»Kehren Sie in Ihre Koje zurück, Archer!«, befahl Krebs. »Wenn ich Ihre Hilfe brauche, werde ich Sie rufen.«

Beschämt löste Grant die Verbindungen und schwamm die wenigen Meter zur Luke. Die Sonde sackte heftig durch, und er musste sich am Lukenrand festhalten, um nicht mit Krebs zusammenzuprallen, die in der Mitte des Brückenraumes schwebte. Er blickte über die Schulter und sah, dass sie lächelte. Lächelte!

Sie hatte ihre Freude an der Turbulenz, war mit allen Bordsystemen verbunden und ritt diesen Sturm scheinbar mit Vergnügen ab.

Er erinnerte sich, wie ihm zumute gewesen war, als sie die Wolkendecke erreicht hatten: der Kitzel von Macht, die Erregung, mit dem Generator und den Triebwerken der Sonde vereint die turbulenten Stürme Jupiters zu überwinden. Wie musste es sich anfühlen, mit der ganzen Tauchsonde und ihren sämtlichen Systemen verbunden zu sein, während sie sich durch einen Sturm kämpfte? Die Kraft der Triebwerke, die die Zheng He auf Kurs hielten, die Entladungen elektrischer Energie, die übermenschlichen Wahrnehmungen durch die Sensoren. Sie musste jedes Zittern des Rumpfes als ein Erschauern ihres eigenen Körpers fühlen. Sie musste das Gefühl haben, gestreichelt und liebkost zu werden. Er beobachtete ihr Gesicht: die Augen halb geschlossen, das seltsame kleine Lächeln in ihren teigigen Zügen. Kein Zweifel, sie genoss die Bewusstseinserweiterung nicht anders als eine Drogensüchtige.

Grant tauchte durch die Luke und glitt in seine Koje. Er schloss die Augen und versuchte Krebs aus seinem Bewusstsein zu verdrängen. Die Sonde schwankte und taumelte, warf ihn in der Enge seiner Koje von einer Seite zur anderen. Schlaf war unmöglich.

»Grant … sind Sie wach?« Es war Karlstads flüsternde Stimme.

Grant glitt mit den Füßen voran aus seiner Koje und sah, dass Karlstad am Ende seiner Schlafstelle saß, die Füße um die dicken kurzen Metallbeine der Koje gehakt und über einen Taschencomputer gebeugt, den er in einer Hand hielt. Der kleine Bildschirm warf einen geisterhaften grünlichen Schein auf sein Gesicht, das in den Schlieren ihres flüssigen Mediums zu verschwimmen schien.

»Sind wir in der Nähe des Roten Flecks?«, fragte Grant. Karlstad blickte zu ihm auf. »Ha? Der Fleck? Nein, im Gegenteil. Wir sind auf der anderen Seite des Planeten.«

»Ach. Gut.«

Die Sonde taumelte unter einem heftigen Stoß und warf Grant beinahe von seiner Koje.

»Dies ist schlimm genug, meinen Sie nicht?«, fragte Karlstad. Er blickte besorgt zur Decke auf.

»Ich dachte bloß …«

»Sie treibt uns absichtlich durch diesen Sturm«, sagte Karlstad grimmig.

»Warum sollte sie das tun?«

»Sie bringt uns zurück zu unserer ersten Eintrittsposition«, sagte Karlstad. »Sie folgt dem Plan für diese Mission so blindlings wie ein Lemming, der sich von einem Kliff stürzt.«

»Zurück in den Sturm, dem wir ausgewichen sind? Das ist verrückt!«

Karlstad hielt seinen Taschencomputer an den Mund und sprach hinein. Grant bewegte sich näher und setzte sich am Ende seiner Koje neben ihn. Die Sonde sackte durch, dann wurde sie emporgehoben. Grants Magen rebellierte.

»Hier, sehen Sie.« Karlstad hielt den Computer so, dass Grant den leuchtenden kleinen Bildschirm sehen konnte. Seine Hände zitterten so, dass Grant die seinen darüber legte, um sie ruhig zu halten.

»Wenigstens lässt die Windgeschwindigkeit nach. Ist gerade unter fünfundfünfzig Meter pro Sekunde gesunken«, murmelte Karlstad und tippte mit dem Zeigefinger an den Bildschirm. »Das sind weniger als zweihundert Kilometer pro Stunde. Wir kommen heraus.«

»Ich denke mir, sie erwartete nicht, dass der Sturm in dieser geringen Höhe so viel Turbulenz erzeugen würde«, meinte Grant.

»Darauf würde ich nicht wetten«, murrte Karlstad.

Dann sagte er zum Computer: »Darstellung Gradient Außendruck.«

Der kleine Bildschirm wurde leer.

»Sie sind mit dem Bordcomputer verbunden?«, fragte Grant.

»Was sonst?«

Nun zeigte der Bildschirm eine bizarr gewellte Kurve mit einer tiefen Ausbuchtung in der Mitte.

»Sehen Sie?« Karlstad zeigte auf die Darstellung. »Es ist ein kleiner, kompakter Sturm. Dort ist das Zentrum. Wir sind in dieser Region hier.«

»Warum hat Krebs den Sturm nicht ganz gemieden?«, fragte Grant. »Wir hätten ihm ohne weiteres ausweichen können.«

»Wie ich Ihnen sagte, sie folgt dem Plan«, antwortete Karlstad mit einem bitteren Lächeln. »Nach dem Plan sollen wir hier sein, also sind wir hier, ungeachtet der Bedingungen draußen.«

Grant schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn.«

»Aber sicher, für eine wie Krebs, die unter pathologischer Analretention leidet.«

»Vielleicht will sie nur Daten über den Sturm gewinnen«, meinte Grant. »Schließlich ist sie Wissenschaftlerin. Niemand hat bisher Daten aus dem Innern eines jovianischen Zyklons gewonnen. Dies ist eine Gelegenheit.«

»Der wahre wissenschaftliche Idealismus«, höhnte Karlstad. »Die Daten müssen her, selbst wenn wir alle dabei umkommen.«

»Die Sonde ist nicht in Gefahr«, sagte Grant. »Nicht wirklich. Wir können einen Sturm wie diesen abreiten.« Aber mit seinem inneren Auge sah er noch immer Krebs' hingerissenen Ausdruck, als die Sonde unter der Wut des Sturmes erzitterte. Und er erinnerte sich seiner eigenen Leidenschaft.

Karlstads Miene wurde sehr verdrießlich. »Ich habe die medizinischen Daten des Bordcomputers durchsucht.«

»Gibt es was über sie?«

»Die persönlichen Daten sind alle gesperrt«, sagte Karlstad. »In den offenen Daten gibt es nicht viel mehr als Anweisungen für Fälle Erster Hilfe und Anleitungen für Tieftemperaturbehandlung bei schweren Unfällen.«

»Dann hat es nichts genützt?«

»Ich glaube, ich kann jetzt einen gebrochenen Knochen einrichten, aber es gibt nichts, was uns helfen könnte, eine Diagnose für unseren schieläugigen Kapitän zu stellen.«

»Na, macht nichts«, sagte Grant. »Was sollten wir mit der Information anfangen, wenn wir sie hätten?«

Karlstad schürzte die Lippen, dann sagte er: »Ich bin noch nicht fertig. Wenn sie nächstes Mal schläft, werde ich mir Zugang zu den medizinischen Akten der Station verschaffen.«

»Aber sie hat alle Kommunikationen mit der Station unterbrochen!«

Karlstad zuckte die Achseln. »Ich brauche nur einen kurzen Spritzer Daten. Ein paar Picosekunden sollten reichen. Sie wird es nie erfahren.«

»Aber in der Station werden sie es merken«, sagte Grant. »Sie werden wissen, dass wir nicht außer Funkkontakt sind. Sie werden wissen, dass die Botschaft, die Krebs mit der Datenkapsel schickte, eine dreiste Lüge ist!«

Karlstad lachte. »Na und? Seien Sie nicht so geradlinig, Grant. Außerdem wird niemand einen komprimierten Kontakt von einer Picosekunde bemerken. Es wird nicht einmal eine Person beteiligt sein. Es handelt sich bloß um eine medizinische Frage unseres Bordcomputers an den medizinischen Stationscomputer, zack! Das ist alles. Sie werden es gar nicht bemerken.«

»Hoffen Sie«, sagte Grant.

»Hören Sie zu. Welches Risiko ist Ihnen lieber? Den Befehl des Kapitäns gegen Flinkkontakte mit der Station zu missachten oder mit einer Verrückten am Steuer in diesen Ozean einzutauchen?«

Wieder ging ein Stoß durch die Sonde. Grant glaubte ein hohles Dröhnen wie fernen Donner zu hören. »Sie können nicht behaupten, dass sie verrückt sei.«

»Kann ich nicht? Meinen Sie, ein vernünftiger Mensch würde uns vorsätzlich durch einen Sturm wie diesen treiben?«


* * *

Als Grant sich wieder zum Dienst im Brückenraum meldete, lag der Sturm größtenteils hinter ihnen. Das Schiff zitterte noch unter gelegentlichen Böen, aber die schweren Stöße, das plötzliche Durchsacken und Schwanken hatte aufgehört.

Grant brachte die Steckkontakte an und schaltete die Verbindung ein. Bei der Erinnerung an seine Unaufmerksamkeit und Krebs' Tadel während der letzten Schicht errötete er vor Scham. Krebs schwebte mit strenger Miene über ihm. Sie weiß, wie es ist, sagte er sich zur Beruhigung. Sie ist mit allen Systemen an Bord verbunden, kein Elektron vibriert, ohne dass sie es weiß und fühlt. Sie kennt das überwältigende Gefühl von Macht. Kein Wunder, dass sie die Verbindungen nicht unterbrechen will und den Schlaf meidet.

Muzorawa und O'Hara lösten ihre Verbindungen und gingen zum Nahrungsspender. Grant blickte hinüber zu Karlstad, der leicht schwankend vor seiner Konsole stand, die Füße in den Bodenschlaufen verankert.

»Dr. Karlstad?«, rief Krebs. Ein unheimliches Prickeln überlief Grant. Karlstad hatte Recht; es war, als würde sie nicht richtig sehen.

»Captain?«, antwortete Karlstad.

Krebs richtete ihren Blick auf ihn. »Sie werden während dieser Wache die Navigation übernehmen, zusätzlich zur Überwachung der lebenserhaltenden Systeme.«

»Ich bin geehrt, Captain.«

Wenn sie den Sarkasmus heraushörte, gab sie es nicht zu erkennen. »Mr. Archer?«

»Ja, Captain?«

»Sie werden zusätzlich zu den Antriebs- und Energiesystemen die Überwachung der Sensoren übernehmen.«

»Ja, Captain.«

Grant übernahm das Überwachungsprogramm der Sensoren auf seine Konsole, und die zusätzlichen Daten strömten durch die implantierten Biochips und sein Nervensystem direkt zum Gehirn. Sofort setzte die erweiterte Wahrnehmung ein und ließ sein Herz schneller schlagen. Wieder konnte er die Außenwelt sehen, den vorbeipfeifenden Wind hören, den Ozean tief unter ihnen durch reflektierte Sonarsignale als eine gewaltige kompakte Fläche wahrnehmen und sogar Geruchsmerkmale der Außenatmosphäre einfangen, die reich an Salzen und Verbindungen war, welche keine menschliche Nase jemals gewittert hatte. Fern am Horizont flackerten Blitze; Grant sah sie durch die Sensoren und fühlte sie als ein elektrisierendes Prickeln entlang den Nervenbahnen. Er benötigte keine Tabellen, Diagramme oder Skalen; er untersuchte keine Daten, er erlebte sie direkt mit den Rezeptoren seines Gehirns für Sinnenswahrnehmungen, war vollständig eingehüllt in die Fülle dieser weiten, unerforschten Welt.

Aber er war gewarnt, und die innere Stimme seines Verstandes meldete sich zu Wort: Sei vorsichtig. Lass dich von alledem nicht überwältigen. Du musst Geistesgegenwart und Wachsamkeit bewahren. Verliere dich nicht an Eindrücke und Empfindungen.

Wie wurde Krebs damit fertig? Wie konnte sie Stunde um Stunde an ihrer Konsole ausharren und sich nicht vollständig dieser Erfahrung hingeben? Wie konnte sie ruhig und vernünftig bleiben, wenn sie ständig all diesen Wahrnehmungen ausgesetzt war?

»Sie schläft.«

Karlstads Flüstern erreichte Grant durch dessen inneren Aufruhr. Er stutzte, wandte den Kopf zu Karlstad, der zwei Konsolen entfernt stand.

Es dauerte ein paar Herzschläge, bis Grant sich erinnerte, wo und wer er war. Mit einem Gefühl verlorener Freude und verzweifelter Entschlossenheit zwang er die sensorischen Wahrnehmungen der Bordsysteme in den Hintergrund seines Bewusstseins.

»Sie schläft«, wiederholte Karlstad und zeigte mit einem Daumen über die Schulter.

Grant sah, dass Krebs' Augen geschlossen waren. Sie trieb, leicht bewegt von der Strömung, die durch die Umwälzpumpe erzeugt wurde, an ihren Anschlüssen, die sie mit den Verbindungsstellen an der Decke verbanden, schlief aber allem Anschein nach fest. Welche Träume musste sie haben, wenn sie ständig mit allen Bordsystemen verbunden blieb? Das würde wohl immer ihr Geheimnis bleiben.

»Jetzt ist es Zeit«, wisperte Karlstad und tippte an seine Konsole.

»Tun Sie es nicht!«, zischte Grant.

Karlstad warf ihm nur einen mitleidigen Blick zu, während seine Finger schon die Eingabe bearbeiteten.

4. LEVIATHAN

Dem Tode nahe, trieb Leviathan im kalten, leeren oberen Abgrund, hoch über seinem gewohnten Lebensbereich im Ozean. Es bedurfte einer Willensanstrengung, um seine Teile zusammen zu halten und zu verhindern, dass sie spontan den Verbund auflösten.

Wir müssen zusammenbleiben, wiederholte er mehrmals. Wenn wir auseinander brechen, wird jeder unserer Teile absterben, ob wir knospen oder nicht. Wir werden Nahrung für die Aasfresser sein, die in den heißen dunklen Tiefen warten. Gemeinsam können wir überleben. Wenn wir lange genug zusammenbleiben können, werden wir vielleicht Nahrung finden.

Aber auf dieser Ebene war der Ozean kalt und öde. Legenden berichteten von Ungeheuern, die in dieser kalten Leere ihr Unwesen trieben, gleitende, sich schlängelnde Bestien, die einander auflauerten und keinen von Leviathans Art verschmähten, der töricht genug war, bis in diese Höhe aufzusteigen.

Leviathan hielt diese Berichte für bloße Legenden, die von den Alten verbreitet wurden, um die Jungen von Versuchen abzuschrecken, zu weit aus den sicheren Regionen der See aufzusteigen.

Es war Zeit, in die wärmeren Regionen zurückzukehren, wusste Leviathan. Aber er konnte seine Auftriebsglieder nicht zwingen, sich zusammenzuziehen. Sie hatten nicht mehr die Kraft, das Gas auszustoßen, das sie füllte. Es erforderte Energie, ihre Muskeln zur Kontraktion zu bewegen, und absterbende Glieder hatten keine Energie, mit der sie arbeiten konnten.

Kälte und Leere umgaben ihn. Leviathan fühlte, wie ihm die Kontrolle über die äußeren Glieder zu entgleiten begann. Eine Einheit gepanzerter Haut löste sich spontan ab. Statt der verheißenen Freude des Knospens fühlte Leviathans Geist sich von einer unbeherrschbaren Woge des Kummers überrollt. Wir zerfallen. Wir werden alle hier sterben, allein, um niemals zu knospen, niemals neues Leben zu erzeugen.

Drei der Flagellenmitglieder brachen unvermittelt aus und flatterten orientierungslos in der kalten Strömung. Leviathan erkannte, dass das Ende nahe war. Sobald die lebenswichtigen Organmitglieder sich ablösten, würde seine Existenz beendet sein, ohne das Wissen, dass seine Teile neue Knospen erzeugen und neue Mitglieder schaffen würden, die sich in einem Nachkommen zusammentun könnten.

Die Symmetrie würde zerbrechen. Der immerwährende Zyklus des Lebens, das durch Knospung neues Leben hervorbrachte, würde enden. So sollte es nicht sein, das wusste Leviathan. Es war ihm nicht gelungen, die Symmetrie zu erhalten.

Ein Sinnesorgan begann heftig zu zittern, der erste Schritt in seiner Loslösung. Leviathan konnte es nicht verhindern.

Und doch …

Das Sinnesorgan hörte plötzlich auf zu flattern und wurde still. Es sandte ein Bild in Leviathans Gehirn. Ein Ungeheuer. Ein langes, flaches, vielarmiges Wesen glitt lautlos auf Leviathan zu, erfasste die losgelösten Glieder mit seinen Fangarmen und stieß sie in eine runde, schnappende Mundöffnung, die von scharfen Zähnen umringt war.

Eine Sekunde lang dachte Leviathan, sein Sinnesorgan halluziniere, sei am Rande des Verhungerns und der Auflösung hysterisch geworden. Aber nein, andere Sinnesmitglieder übermittelten das gleiche Bild. Das Lebewesen war riesig, beinahe so groß wie Leviathan selbst, und dazu beinahe transparent, schwierig zu sehen, bis es nahe herangekommen war. Es glitt durch die See und erzeugte kaum ein Kräuseln des Wassers, sodass es aus der Ferne unmöglich auszumachen war.

Es war eines der hirnlosen Ungeheuer, vor denen in den alten Legenden gewarnt wurde. Es verfolgte Leviathan und verschlang dessen Mitglieder, wenn sie sich ablösten und hilflos im kalten Abgrund trieben.

Mit scheinbar ziellos wedelnden Fangarmen hielt es auf Leviathan selbst zu. Die zähnestarrende Mundöffnung schnappte auf und zu, auf und zu.

Flucht war Leviathans erste instinktive Regung. Konnte er aber in seinem geschwächten Zustand diesem Aasfresser entfliehen? Das Ungeheuer wurde langsamer, als es sich Leviathan näherte, streckte zwei seiner längsten Fangarme aus und berührte leicht Leviathans Haut.

Schmerz! Leviathan hatte nie zuvor einen elektrischen Schlag verspürt, aber der brennende Schmerz der Berührung ließ ihn reflexhaft zurückweichen. Das Ungeheuer folgte langsam, hatte es nicht eilig, einen Kampf mit Leviathan zu wagen. Anscheinend wartete es lieber, bis weitere Mitglieder sich von Leviathan ablösten. Es war mehr ein Aasfresser als ein Räuber, dachte Leviathan.

Schwach, beinahe hilflos, beobachtete Leviathan den anderen. Der eigentliche Körper war ein breites, flaches Blatt, das sich gallertartig wellte. Der klaffende Mund war an der Unterseite; die Oberseite war besetzt mit rundlichen Auswüchsen, die Sinnesorgane sein mussten. Dutzende von Fangarmen wedelten und schlängelten sich um die gesamte Peripherie des zentralen Körpers. Zwei von ihnen waren viel länger als die anderen und endeten in runden Verdickungen.

Leviathan fragte sich, ob alle Fangarme mit ihrer Berührung Schmerzen verursachen konnten. Vorsichtig zog er sich von dem Ungeheuer zurück. Es folgte im gleichen Tempo, behielt seinen Abstand bei und wartete geduldig. Ein neuer Gedanke bildete sich in Leviathans Geist. Dieses Ungeheuer konnte Nahrung sein. Die alten Legenden berichteten, dass diese Lebewesen einander auffraßen, wenn keine andere Nahrung verfügbar war. Es wollte seine Mitglieder fressen, vielleicht, dachte Leviathan, können wir es essen.

Aber zuerst würde er das Ungeheuer töten müssen. Und um das zu tun, würde er den schmerzenden Fangarmen ausweichen müssen.

Wäre Leviathan nicht geschwächt und dem Tode nahe gewesen, hätte es keinen Zweifel am Ausgang des Kampfes geben können. Seine Geschwindigkeit und Stärke hätten mit diesem hauchdünnen, halb durchsichtigen Lebewesen kurzen Prozess gemacht. Nur diese langen, Schmerzen austeilenden Tentakel galt es zu meiden.

Leviathan ersann einen Plan, der teils aus Verzweiflung, teils aus Schläue geboren war. Er verlangte ein Opfer.

Mit Bedacht stieß Leviathan drei weitere seiner Flagellenmitglieder ab. Pflichttreu und ohne eigenes Denken lösten sie sich von Leviathans Körper und begannen den wärmeren Tiefen zuzustreben.

Sofort jagte das Ungeheuer ihnen nach, so schnell, dass Leviathan erkannte, sein Plan könne nicht gelingen. Aber es gab keine andere Wahl. Er tauchte dem Ungeheuer nach.

Dessen lange Tentakel berührten die erste der Flagellen und lähmte sie augenblicklich. Die Tentakel übergaben das bewegungslose Opfer den kürzeren Fangarmen, die es ihrerseits der schnappenden, grässlichen Mundöffnung zuführten. Die zwei anderen Flagellen flohen instinktiv abwärts, tauchten blindlings zur Wärme der tieferen Meeresschichten ab. Das Ungeheuer verfolgte sie zielsicher. Und das gab Leviathan seine Gelegenheit.

Unter Aufbietung der letzten Kraftreserven tauchte er dem Ungeheuer nach und rammte hinein. Durch den Aufprall wanderten Stoßwellen durch den gallertigen Körper des Ungeheuers; seine Tentakel zuckten und wanden sich in Schmerzen. Rasch machte Leviathan so viele seiner Mundglieder wie möglich an dem breiten, flachen Körper fest. Die längeren Tentakel des Ungeheuers schnellten zurück und brannten Leviathan wieder und wieder, suchten blindlings nach den Teilen, wo die gepanzerten Hautglieder sich abgelöst hatten und die verwundbaren inneren Organe freigelegt waren.

Trotz der Schmerzen, die seinen gewaltigen Körper durchschossen, riss und fetzte Leviathan sich durch den Körper des Ungeheuers. Seine Mundglieder zermalmten das dünne Körpergewebe. Endlich erschlafften die Fangarme des Ungeheuers und Leviathan verzehrte den toten Körper. Er schmeckte abscheulich, aber es war Nahrung.

Gestärkt trotz der seltsam sauren Reaktionen seiner Verdauungsorgane, setzte Leviathan seine Reise um den großen Sturm fort und nahm Kurs auf die tieferen Gewässer, wo er reichlich Nahrung und andere seiner eigenen Art zu finden hoffte.

Leviathan hatte ihnen eine Geschichte zu erzählen.

5. IN DIE SEE

Karlstad nickte befriedigt, warf dann einen schnellen Blick über die Schulter. Krebs schien noch immer zu schlafen und trieb völlig entspannt unter ihren Deckenanschlüssen.

Grant wagte nicht zu fragen, aber Karlstad grinste ihm zu und machte einen Kreis mit Daumen und Zeigefinger. Grant entnahm der Geste, dass es ihm gelungen war, in die medizinischen Akten der Station einzudringen. Obwohl er Karlstads Vorgehen missbilligte, fragte sich Grant, was Krebs' Akte über sie aussagen mochte.

Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Anzeigen der Bordsensoren. Generator und Triebwerke arbeiteten so nahe an ihren Optimalwerten, dass Grant sie beinahe vernachlässigen und in einen Winkel seines Bewusstseins verbannen konnte, wo sie ein Hintergrundgeräusch summender Energie in sein Nervensystem sandten.

Die Sensoren waren etwas anderes, obwohl er durch die trübe fremdartige Atmosphäre nicht besser sehen konnte als an einem bedeckten, dunstigen Tag auf Erden.

In der Ferne zeigte die Radarortung einen wirbelnden Schneesturm reflektierender weißer Partikel, die zur See absanken. Sie waren nicht wirklich weiß, sagte er sich, weil das Radar nicht ihre Farbe wiedergab. In Wirklichkeit waren sie vermutlich dunkel, rußig von Kohlenstoffverbindungen; das Manna, das Dr. Wo auf den Gedanken gebracht hatte, es müsse Lebewesen in der See geben, die sich von diesem Überfluss organischer Partikel ernährten.

Natürlich, sagte sich Grant, war Wos Überlegung mehr Wunschdenken als Logik. Nur weil es organische Partikel regnete — oder vielmehr schneite —, bedeutete das noch nicht, dass es im Ozean Lebewesen geben musste, die sich von ihnen ernährten. Das war ein klassischer Trugschluss.

Die Radarmessung ergab, dass sie dem Schneesturm näher kamen. Ohne bewusst daran zu denken, rief Grant den geplanten Kurs der Tauchsonde ab, der als eine dünne hellgelbe Linie vor dem Schneesturm erschien. Sie würden ihn um mehr als vierhundert Kilometer verfehlen. Gut so; er hatte kein Verlangen, einen weiteren Sturm abzureiten. Doch auf einer tieferen Ebene fühlte er sich enttäuscht.

Und neugierig. Warum waren die Partikel dort so dicht konzentriert und anderswo in Reichweite der Sensoren nicht wahrzunehmen? Wenn die organischen Stoffe in der Wolkenhülle gebildet wurden, müsste es überall einen gleichmäßigen Nieselregen von ihnen geben.

Es musste sich so verhalten, dass sie nur in bestimmten Bereichen der Wolkenhülle gebildet wurden; die Prozesse, die zur Entstehung der organischen Stoffe führten, konnten demnach nicht gleichmäßig in der gesamten Wolkenhülle stattfinden. Grant beschloss, darüber mit Karlstad zu sprechen. Wenn es Lebewesen im Ozean gab, die sich von diesen organischen Stoffen ernährten, waren sie am wahrscheinlichsten unter den Stürmen zu finden, wo ihre Nahrung konzentriert zusammengefegt wurde.

Der Außendruck nahm gleichmäßig zu, während die Atmosphäre sich zu Flüssigkeit verdichtete. Die Sensoren ließen jetzt eine lange, starke Dünung erkennen, Strömungen, die durch das ammoniakhaltige Wasser zogen. Diesen Ozean zu befahren, würde nicht einfach sein, erkannte er. In dieser hohen Dünung steckte ein gewaltiges Maß an Energie.

Als Lane und Zeb zur Brücke zurückkehrten, war Krebs längst wach und gab ihre Befehle. Die Sonargeräte gaben helle Ping-Geräusche von sich, als die ausgesandten Töne von kompakten Wassermassen reflektiert wurden. Grant übergab Muzorawa widerwillig die Sensoren. Ausgerechnet jetzt, wo sie tatsächlich in den Ozean eindrangen, würde Zeb die Verbindungen übernehmen, dachte er eifersüchtig.

O'Hara begann die Zahlen des Höhenmessers auszurufen. »Zehntausend Meter zur reflektierenden Schicht. Sinkgeschwindigkeit nominal.«

»Still!«, sagte Krebs. »Ich kann die Daten sehr gut selbst ablesen.«

Sie wirkte gereizter als gewöhnlich. Das unmittelbar bevorstehende Eintauchen in den Ozean sorgte für allgemeine Nervenanspannung.

»Triebwerke auf Schubumkehr schalten. Ein Drittel Leistung«, befahl Krebs.

Grant führte den Befehl aus. Er musste nun zum zentralen Bildschirm aufblicken, um zu sehen, was draußen vorging. Wellen waren zu sehen, lange Reihen unruhiger Dünung, scheinbar ganz nahe. Er hatte den Eindruck, dass sie sich der Tauchsonde entgegenreckten, zornig anschwollen, höher und höher brandeten.

Er stieß die Füße tiefer in die Bodenschlaufen und erfasste die Handgriffe an seiner Konsole. Ein schneller Blick über die Schulter zeigte ihm, dass Krebs sich mit einer Hand an einem Griff in der Decke festhielt und dort wie ein gedrungener Affe baumelte.

Tiefer hinab zu dieser langen, mächtigen Dünung. Grant hörte den Pulsschlag in den Ohren pochen. Muzorawa sah angespannt aus. Seine Hände umklammerten die Konsolengriffe, dass die Muskeln seiner Unterarme sich klar abzeichneten.

Grant wandte sich zu O'Hara, als Krebs befahl: »Fünf Grad backbord!«

Auf dem großen Bildschirm sah Grant eine starke Strömung gerade auf sie zulaufen, blutrot in der Falschfarbenwiedergabe des Sonarsystems.

»Nach dem Eintauchen volle Kraft voraus!«, befahl Krebs. Schon kam der Aufschlag. Die Tauchsonde prallte trotz verhältnismäßig geringer Sinkgeschwindigkeit auf die Oberfläche, als wäre sie fester Boden. Eine von Grants Bodenschlaufen riss sich los, und einen Moment verlor er den Kontakt mit den Triebwerken.

Er starrte auf die Konsole, aber die Sonde zitterte und schwankte so heftig, dass auf den Monitoren nur verschwommene Bilder zu erkennen waren. Dann fühlte er die Triebwerke wieder auf Schub laufen und ihre Leistung rasch auf volle Kraft steigern. Er lächelte zufrieden, als sie die Sonde unter die mächtige Oberflächenströmung trieben, tief hinab unter ihre seitwärts drückende Gewalt.

Das Zittern und Schwanken der Turbulenz verloren sich. Nun waren sie wirklich im Ozean, sicher unter der gefährlich unruhigen Oberfläche, in einer Zone, wo die Strömungen glatt und gleichmäßig dahinzogen — jedenfalls die meiste Zeit.

»Triebwerke auf halbe Kraft«, sagte Krebs beinahe freundlich.

»Wir sind im Ozean«, sagte Karlstad, als könnte er es kaum glauben.

»Offensichtlich«, erwiderte O'Hara.

»Schluss mit dem Geschwätz«, grollte Krebs. »Alle Systeme überprüfen.«

Grant fand, dass der Generator und die Triebwerke einwandfrei arbeiteten. Der einzige Schaden, den er feststellen konnte, war die losgerissene Fußschlaufe am Boden.

»Die vordere Infrarotkamera funktioniert nicht«, meldete Muzorawa. »Sie muss beim Aufschlag beschädigt worden sein.«

»Reparieren oder ersetzen«, sagte Krebs.

Muzorawa nickte. »Ich habe eine Diagnose laufen, Captain. Wenn der Schaden zu ernst ist, um repariert zu werden, werde ich auf die Ersatzkamera übergehen.«

O'Hara meldete keine größeren Probleme mit den Manövriersystemen, obwohl eines der Leitwerke sich nur teilweise entfaltet hatte. Die Tauchsonde hatte sechs Leitwerke zur Steuerung und zwei in Reserve. Krebs befahl O'Hara, eine der Reserven einzusetzen und das schadhafte Leitwerk wieder einzuziehen.

»Lebenserhaltende Systeme?«, fragte Krebs.

»Alle Systeme funktionieren einwandfrei, Captain. Keine Probleme«, sagte Karlstad.

Bevor Krebs mit weiteren Bemerkungen kommen konnte, sagte Lane in besorgtem Ton: »Captain, ich kann das Leitwerk nicht wieder einfahren. Es sitzt in halb offener Position fest.«

Krebs musterte sie stirnrunzelnd. »Fahren Sie das Leitwerk auf der gegenüberliegenden Seite bis zur gleichen Stellung ein und fixieren Sie es dort. Zum Manövrieren machen Sie Gebrauch von den beiden Ersatzleitwerken.«

O'Hara nickte.

»Noch etwas?«

Niemand von der Besatzung hatte weitere Probleme zu melden. »Sehr gut«, sagte Krebs. »Machen Sie eine halbe Stunde Pause. Aber nicht schlafen! Für den Fall, dass ich Sie brauche, müssen Sie wach und einsatzbereit sein.«

Sie zogen ihre Kontakte ab und versammelten sich am Nahrungsspender. Karlstad erreichte ihn zuerst und griff nach einem der Schläuche. Grant ließ O'Hara den Vortritt.

»Sie wollen ein Kavalier werden, wie?«, neckte sie ihn.

»Ah, ja, kann sein«, murmelte Grant.

»Dann sage ich danke«, sagte Lane und nahm den anderen Schlauch.

Es störte Grant noch immer, zu sehen, wie sie den Schlauch in die Ventilöffnung im Hals steckte. Wenn er sich bewegte, fühlte er einen leichten Verspannungsschmerz in Schultern und Nacken. Er wandte sich zu Muzorawa, der neben ihm wartete, und sagte: »Nun wären wir also im Ozean.« Es war müßiges Geschwätz, das war ihm bewusst.

»Krebs hat den Eintritt sehr gut bewerkstelligt«, sagte Zeb mit halblauter Stimme. »Als wir während der ersten Mission in die starke Oberflächenströmung stießen, fielen fünfzig Prozent der Energie aus.«

»Wie konnte das geschehen?«, fragte Grant. »Es sind alles Festkörperschaltungen.«

»Der Generator nicht«, erwiderte Muzorawa. »Eine der Zufuhrleitungen für Deuterium wurde losgeschlagen. Es war ein hartes Stück Arbeit, sie zu reparieren.«

Grant war entsetzt. »Die Strahlung …!«

Muzorawa lächelte. »Das beste an Fusionsgeneratoren ist, dass die Strahlung ganz im Inneren der Reaktionskammer bleibt. Deuterium und Helium drei, die dort eingeführt werden, sind nicht radioaktiv.«

»Oh«, sagte Grant. Er reckte die Arme, soweit es in dem engen Winkel beim Nahrungsspender möglich war.

»Haben Sie sich verletzt?«, fragte O'Hara.

»Nein, nur eine Verspannung. Die wird vergehen.«

»Ich habe Kopfschmerzen«, sagte sie. »Wenn das ein Trost für Sie ist.«

»Ich auch«, bemerkte Karlstad. Er wandte sich zu Muzorawa. »Was ist mit Ihnen, Zeb? Irgendwelche Beschwerden?«

Der schwieg einen Moment lang. Dann meinte er: »Wir werden alle unter Schmerzen und Beschwerden zu leiden haben, und sie werden noch zunehmen, so lange die Mission dauert.«

»Sehr tröstlich«, sagte Karlstad.

»Ich glaube, dass es mindestens teilweise an den neuralen Verbindungen liegt. Wir fühlen die Bordsysteme als unsere eigenen körperlichen Empfindungen.«

Grant nickte.

»Und in dem Maße, wie die Systeme beansprucht und abgenutzt werden«, fuhr Muzorawa fort, »werden wir ihre Schmerzen fühlen.«

»Richtig, ich erinnere mich«, sagte O'Hara.

»Also können wir uns auf mehr und mehr Schmerzen gefasst machen«, murrte Karlstad.

»Genau.«

»So schlimm ist es nicht«, meinte O'Hara. »Man kann damit fertig werden.«

Muzorawa nickte wissend. »Die Bordsysteme mögen zusammenbrechen, aber wir nicht. Maschinen haben keinen Geist, keinen Mut, keinen Willen zum Erfolg ungeachtet der Kosten.«

»Vielleicht sehen Sie es so«, sagte Karlstad. »Ich jedenfalls nicht.«

»Doch, Sie auch, Egon«, widersprach O'Hara. »Sie wollen es bloß nicht zugeben. Nicht einmal sich selbst gegenüber.«

Karlstad blickte unbehaglich drein, dann wandte er sich zu Grant. »Da fällt mir was ein«, flüsterte er. »Nach diesem köstlichen Imbiss sollten wir einen Blick in die medizinische Patientendatei tun.«

Grant blickte unwillkürlich zu Krebs, die in der Mitte der Brücke schwebte und mit allen Bordsystemen verbunden war. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ihre Haltung schien entspannt, als läge sie im sonnenwarmen Wasser vor einem ruhigen tropischen Strand.

Muzorawa sah verwundert von einem zum anderen. Grant flüsterte: »Egon hat den Computer der Krankenstation angezapft und die Akte Krebs abgerufen.«

Muzorawas Gesichtsausdruck zeigte Missbilligung, beinahe Zorn. »Das war nicht klug, mein Freund.«

Karlstad zog sich den Schlauch aus dem Hals und erwiderte: »Sehen wir mal, was wir haben.«

Er schlüpfte durch die Luke in die Katakombe ihrer Schlafkojen, gefolgt von Muzorawa.

»Warten Sie auf mich«, zischte O'Hara.

Grant sagte: »Beenden Sie ruhig Ihre Mahlzeit, Lane. Es wird Ihnen nichts entgehen.«

Zeb und Egon saßen zusammen am Ende von Karlstads Koje über seinen Taschencomputer gebeugt. Grant schwebte hinauf zur Decke und hielt sich dort mit einer Hand fest.

»Sie haben sich tatsächlich in Dr. Krebs' persönliche Patientendatei gehackt?«, flüsterte Muzorawa.

Karlstad nickte. »Schließlich bin ich der Spezialist für lebenserhaltende Systeme auf dieser Mission, nicht wahr? Jeder Rang hat seine Privilegien.«

Natürlich wagten sie nicht, den Inhalt der Akte auf den Bildschirm ihrer gemeinsamen Kammer zu bringen; Krebs könnte ihn durch den Bordcomputer anzapfen. Also blinzelte Grant in den winzigen, grün glimmenden Bildschirm von Karlstads Taschencomputer. Er merkte kaum, dass O'Hara hereinkam und wortlos neben ihm Platz fand.

»Ich sehe hier nichts Ungewöhnliches«, murmelte Muzorawa.

O'Hara wisperte: »Das ist ein Ausspionieren ihrer persönlichen Angelegenheiten, Egon. Eine Verletzung ihrer Privatsphäre.«

Noch über den Taschencomputer gebeugt, wisperte Karlstad: »Sie könnte uns alle ins Jenseits befördern, Lane. Das hebt ihr Recht auf Privatsphäre auf, soweit es mich betrifft.«

»Aber die Angaben zu ihrem Gesundheitszustand sind gut«, sagte Muzorawa. »Sie hat sich von ihren Verletzungen während der ersten Mission vollständig erholt. ›Voll diensttauglich‹ steht hier.« Er zeigte auf den leuchtenden grünen Bildschirm.

»Moment«, flüsterte Karlstad ungeduldig. »Hier ist das psychologische Material.«

»Es ist normal.«

»Langweilig normal«, stimmte Karlstad zu. Er klang enttäuscht. »Es ist beinahe so, als ob … halt! Was ist das?«

Grant sah die Worte in einem Absatz, der so von medizinischen Fachausdrücken wimmelte, dass er kaum verständlich war: infolge dieses physiologischen Traumas leidet die Patientin unter mäßiger visueller Agnosie.

»Visuelle Agnosie?«, fragte Grant neugierig. »Was ist das?«

»Nicht so laut, verdammt!«, fauchte Karlstad.

»Aber was ist es?«, echote O'Hara.

»Ich weiß nicht. Ich werde nachsehen müssen.«

Muzorawa sagte: »Sie können nicht den Bordcomputer anzapfen, ohne zu riskieren, dass Krebs herausbringt, was Sie tun.«

»Und Sie können nicht noch einmal den Stationscomputer befragen«, fügte Grant hinzu.

»Warum nicht?«

»Weil man Sie erwischen wird!«

Karlstad schaltete den Taschencomputer aus. Grant stieß sich von der Decke ab und kam herunter, gefolgt von O'Hara.

»Hört zu«, flüsterte Karlstad in dringendem Ton. »Es ist möglich, dass diese Sonde von einer Verrückten befehligt wird. Wir sollten wissen, was es mit ihrem Zustand auf sich hat. Wir haben das Recht!«

Muzorawa sagte: »Es spielt keine Rolle. Nun, da wir im Ozean sind, haben wir wirklich keine Kontakte mit der Station.«

»Es sei denn, wir fahren die Antenne aus«, sagte O'Hara. »Sie ist fünf Kilometer lang. In unserer gegenwärtigen Tiefe könnten wir sie gebrauchen, um mit der Station Kontakt aufzunehmen.«

»Krebs würde es merken«, warnte Grant.

»Nicht, wenn wir es tun, während sie schläft«, konterte Karlstad.

»Wenn sie schläft, bevor wir tiefer hinuntergehen«, sagte O'Hara.

»Lane, stimmen Sie Egon zu?«, fragte Muzorawa.

Sie runzelte die Stirn, bemüht, ihre Empfindungen in Worte zu fassen. »Ich bin nicht sicher. Sie benimmt sich eigentümlich, finden Sie nicht?«

Grant wollte dagegen argumentieren, ließ es aber sein und fragte Muzorawa: »Zeb, was meinen Sie? Sollten wir das Risiko auf uns nehmen und noch einmal den Stationscomputer anwählen?«

Muzorawa schwieg lange, während er das Für und Wider abwog. Endlich sagte er ernst: »Ja, ich fürchte, wir müssen das Risiko auf uns nehmen. Der Psychiater mag sie ebenso wie der Allgemeinarzt für diensttauglich erklärt haben, aber die Stressfaktoren der Mission könnten ihren Zustand verschlimmert haben, was immer es ist.«

»Wir haben ein Recht, es zu wissen«, wiederholte Karlstad.

»Ja«, stimmte Muzorawa zu. »Wahrscheinlich ist es nichts, und wir verhalten uns töricht. Aber wir sollten es wissen, wenn auch nur aus keinem anderen Grund als unserer eigenen inneren Ruhe.«

Grant kam plötzlich auf eine andere Idee. »Wir könnten sie fragen«, platzte er heraus.

»Was?«

»Sie nach ihrem Zustand fragen«, sagte Grant.

Karlstad ächzte bei der Vorstellung. Muzorawa schüttelte den Kopf. O'Hara sagte: »Ich glaube nicht, dass das zweckmäßig wäre, ganz und gar nicht.«

6. KOMMUNIKATION

Wieder im Dienst, behielt Grant O'Haras Navigationsprogramm im Auge. Die Zheng He kreuzte fünfzehnhundert Meter unter dem Punkt, wo die atmosphärische Dichte der Dichte des Wassers an der Erdoberfläche gleichkam. Die Antenne war mehr als dreimal so lang. Wenn Krebs nicht Befehl gab, tiefer zu gehen, konnten sie das faseroptische Kabel abspulen und die Station rufen.

Wenn Krebs schlief. Sie zeigte allerdings keine Neigung dazu. Sie kreuzten durch den Ozean und überprüften alle Bordsysteme. Muzorawa stand mit glasigem Blick an seiner Konsole, während die Sensoren einen unendlichen Datenstrom in den Computer ergossen — und mit allen Arten von sensorischen Wahrnehmungen direkt in sein Nervensystem.

Generator und Antrieb arbeiteten so reibungslos, dass Grant sich an seiner Konsole beinahe langweilte. Seine Beine schmerzten jetzt, und ein unbestimmter dumpfer Schmerz hinter seinen Augen plagte ihn, kaum an der Schwelle des Bewusstseins, doch hinreichend, um als lästig empfunden zu werden. Er schaltete sich in Zebs sensorische Daten ein, um wenigstens für ein paar Augenblicke die eingehenden Informationen zu verfolgen.

Sofort überschwemmte ihn eine Flut von Sinneswahrnehmungen. Deutlich konnte er die ausgefällten Flocken organischen Materials in die dunklen Tiefen niedersinken sehen. Das Wasser strömte an der Tauchsonde vorbei, als glitte sie wie ein Fisch durch den Ozean, der zusehends wärmer wurde, je weiter sie in seine Tiefe vordrangen.

In diesem Meer gab es keine Lebewesen, sah er. Keine Fische, keine Büschel von Pflanzen. Um das zu sehen, mussten sie tiefer sinken. Dr. Wo hatte gesagt, sie hätten die bewegten Objekte in mehr als zehn Kilometern unter der Oberfläche ausgemacht, und selbst dann seien sie noch weit weg gewesen …

»Sie schläft.« Grants Aufmerksamkeit fand zurück zur Brücke. Er musste mehrmals zwinkern und seine Perspektive umstellen. Die Loslösung vom Informationsstrom der Sensoren war wie das Erwachen in einer anderer Wirklichkeit.

Grant sah, dass Krebs tatsächlich die Brücke verlassen hatte. Die faseroptischen Drähte, die sie mit den Bordsystemen verbunden hatten, steckten in ihrem Aufbewahrungskasten an der Decke.

»Endlich hat sie die Brücke verlassen«, sagte Karlstad leise. »Nach fast fünfzig Stunden im Dienst.«

»Sie hat einige Male geschlafen«, sagte O'Hara.

»Spulen Sie die Antenne aus«, sagte Karlstad. »Schnell, solange wir die Möglichkeit haben.«

Muzorawa sagte: »Grant, es könnte zweckmäßig sein, wenn Sie zur Luke gehen und Krebs im Auge behalten. Warnen Sie uns, wenn sie aus ihrer Koje kommt.«

»Dazu werde ich die Anschlüsse lösen müssen«, wehrte Grant ab.

»Ich werde Ihre Systeme mit überwachen«, erwiderte Muzorawa.

Mit noch größerem Widerwillen als sonst löste Grant die Anschlüsse, während O'Hara die Antenne ausspulte und das Sende- und Empfangsgerät einschaltete.

»Oho, da sind eine Menge Botschaften für uns eingegangen«, sagte sie. Dann nahm ihr Gesicht einen ratlosen Ausdruck an. »Nein, Moment. Es ist nur eine Botschaft, aber sie haben sie ständig wiederholt.«

»Kümmern Sie sich nicht um den eingehenden Mist«, sagte Karlstad ungeduldig. »Verbinden Sie mich mit dem Computer.«

Grant schwebte bei der Luke, beobachtete Krebs' Koje und zugleich den Wandbildschirm, über den jetzt Texte im medizinischen Fachjargon wanderten. Krebs' Koje war durch ihr Rollo abgeschlossen. Sie ruhte zum ersten Mal seit dem Verlassen der Station allein in ihrer Koje, losgelöst von allen Bordsystemen.

Er fragte sich, was sie antrieb. In der ersten Tiefenmission mit knapper Not dem Tode entgangen, war sie schon wieder zurück im Ozean und blieb bei weitem länger mit den Bordsystemen verbunden als sie musste, länger auch als sie sollte. War sie der emotionalen Macht der Verbindung erlegen? Doch wenn es sich so verhielt, wie konnte sie sich dann nach so vielen Stunden freiwillig von den Verbindungen lösen? Sie musste zäh sein, dachte er; viel stärker als er.

»Das also ist es!«, rief Karlstad mit unterdrückter Stimme. Die drei anderen waren noch an ihren Konsolen, und Grant sah noch immer medizinische Texte über den großen Bildschirm wandern. »Visuelle Agnosie«, sagte Karlstad, »bedeutet Störungen des Erkennens. Trotz normaler Sehleistung werden Zusammenhänge einzelner Details nicht erkannt, zum Beispiel Physiognomien. Ihre visuelle Wahrnehmung ist geschädigt.«

»Sie meinen, sie kann Gesichter nicht erkennen?«, fragte O'Hara.

Karlstad nickte energisch. »Deshalb sieht sie einen so komisch an. Sie kann nicht erkennen, mit wem sie es zu tun hat, bis man etwas zu ihr sagt. Dann erkennt sie die Stimme.«

»Das ist seltsam«, sagte Muzorawa.

Karlstad fixierte den betreffenden Abschnitt aus dem medizinischen Befund auf dem Bildschirm und sagte: »Es ist selten, aber vielfach dokumentiert, wie es scheint.«

»Was verursacht es?«

»Ein Hirnschaden, zum Beispiel. Ein physikalisches Trauma, eine Gehirnblutung.«

»Ein Schlaganfall?«

»Oder ein Schlag an den Kopf.«

»Aber nach dem Befund hatte sie keins von beiden«, sagte Muzorawa.

Karlstad nickte. »Richtig, aber während der ersten Mission erlitt sie schwere Verletzungen.«

»Keine Kopfverletzungen, wenn ich mich richtig entsinne«, sagte O'Hara.

»Ja, das stimmt.« Karlstad klang enttäuscht.

Grant meldete sich zu Wort. »Könnte der Aufenthalt in dieser Hochdruck-Umgebung die Ursache sein? Könnte das zu einer Gehirnblutung führen?«

»Die frühesten Experimente verursachten Nervenschäden«, sagte Karlstad. »Darum erhöhen wir den Druck langsam und geben dem Körper Zeit, sich anzupassen.«

»Meinen Sie, Dr. Krebs hätte durch den Druckanstieg eine Gehirnblutung bekommen?«, fragte O'Hara.

»Offensichtlich«, sagte Karlstad. »Was sollen wir dann dagegen tun?«

»Nichts«, sagte Muzorawa.

»Überhaupt nichts?«

»Krebs hat sich ihrem Problem angepasst. Es hat ihre Arbeit nicht beeinträchtigt, nicht wahr?«

»Nein«, sagte O'Hara nachdenklich. »Ich denke, das ist nicht der Fall.«

»Noch nicht«, sagte Karlstad.

»Die medizinischen Gutachter empfahlen sie für diese Mission«, ergänzte Muzorawa. »Die Psychologen hatten keine Einwände.«

Karlstad war nicht überzeugt. »Sie ist eine wandelnde Zeitbombe«, murmelte er.

»Da bin ich anderer Meinung«, sagte Muzorawa.

»Das könnte uns alle das Leben kosten.«

Muzorawa sah ihn ernst an. »Egon — ich denke, wir verhalten uns am besten so, dass wir Dr. Krebs sorgfältig beobachten. Wenn sie Anzeichen von Unfähigkeit zeigt oder sich auffällig oder launenhaft benimmt, werden wir entscheiden müssen, was zu tun ist. Gegenwärtig kommt sie ihren Aufgaben ganz normal nach.«

»Beinahe fünfzig Stunden mit der Sonde verbunden zu sein, ist normal?«, entgegnete Karlstad.

»Hat sie ihre Pflichten nicht gut erfüllt?«, gab Muzorawa zurück. »Haben wir bisher die Ziele unserer Mission nicht erreicht?«

Die beiden funkelten einander an. Karlstad mit seinem gewohnten hochmütigen, beinahe höhnischen Ausdruck; Muzorawa stur und entschlossen.

O'Hara überwand den toten Punkt. »Wir sollten uns die Botschaft ansehen, die uns in ständiger Wiederholung von der Station zugegangen ist.«

»Gute Idee«, sagte Muzorawa. Karlstad nickte.

Der medizinische Text verschwand vom Bildschirm, und an seiner Stelle erschien das blaue und weiße Symbol der Internationalen Astronautischen Behörde, um rasch vom finster blickenden Gesicht eines Mannes in einem grauen Uniformrock abgelöst zu werden, der an einem Datenanschluss saß.

Grant starrte überrascht. Er kannte dieses Gesicht. Es war Ellis Beech, der Beamte der Neuen Ethik, der ihn beauftragt hatte, Dr. Wo nachzuspionieren.

Beechs dunkle Augen blickten ruhig und fest, sein langes, schmales Gesicht sah gefasst und gleichmütig aus. Aber Grant spürte, dass unter diesem kühlen Äußeren etwas siedete, etwas Unnachgiebiges und Unerbittliches.

»Dr. Krebs, ich bin der Vorsitzende der Untersuchungskommission der IAB, die sich im Anflug auf die Station befindet. Sie haben bereits Befehl von Dr. Wo erhalten, Ihre Mission abzubrechen und zur Station Gold zurückzukehren. Dr. Wo erteilte diesen Befehl auf mein Drängen hin. Nun befehle ich Ihnen persönlich, zur Station zurückzukehren. Im Namen der IAB befehle ich Ihnen, die Mission abzubrechen und sofort zurückzukehren! Wir wissen, dass die Botschaft, die Sie mit der Datenkapsel geschickt haben, eine bewusste Irreführung ist. Sie sind nach wie vor in der Lage, Funkverbindung mit der Station zu unterhalten. Kehren Sie sofort zurück oder Sie verlieren Ihre Position in der Station Gold und gehen Ihrer Professur in Heidelberg verlustig. Brechen Sie Ihr Unternehmen ab und kehren Sie augenblicklich zurück!«

Grant starrte in Beechs eisige Miene auf dem Bildschirm. Wie konnte er Vorsitzender der IAB-Kommission sein? Das war nur möglich, wenn die Neue Ethik die Kontrolle über die Untersuchungskommission erlangt hatte. Vielleicht hatte sie die ganze IAB übernommen …

Auch Karlstad starrte mit offenem Mund auf den Bildschirm.

»Sie müssen entdeckt haben, dass Sie den Stationscomputer angezapft haben«, sagte Muzorawa leise. Es war keine Anschuldigung, nur die Feststellung einer beklagenswerten Tatsache.

»So ist es«, sagte O'Hara. Sie schüttelte traurig den Kopf.

Karlstad schloss den Mund, zuckte die Achseln und sagte: »Also haben sie es herausgebracht. Was tun wir?«

»Ich weiß nicht«, sagte Muzorawa. »Das ist eine schreckliche Situation.«

»Für Krebs«, sagte Karlstad.

»Für uns alle«, erwiderte Muzorawa.

»Vielleicht nicht«, sagte Karlstad. »Schließlich hat sie den Befehl über die Tauchsonde. Wir befolgen nur ihre Anweisungen. Sie hat angeordnet, Wos Rückkehrbefehl nicht zu bestätigen.«

»Dr. Wo erteilte diesen Befehl unter Zwang«, sagte Grant hitzig. »Es ist offensichtlich, dass sie ihn zwangen, diesen Befehl zu geben.«

»Das hilft uns noch immer nicht zu entscheiden, was wir jetzt tun sollten«, sagte O'Hara. »Wir …« Sie brach ab, ihre Augen weiteten sich.

Hinter Grant ertönte Krebs' heiser-schrille Stimme. »Also haben Sie mich in den Fleischwolf gesteckt, hm?«

Grant fuhr herum. Wie lange stand sie schon dort in der Luke? Wie viel hatte sie gehört?

»Ich kann Ihnen allen versichern«, fuhr Krebs fort, »dass Sie mit mir untergehen werden, wenn man mich zur Rechenschaft zieht.«

7. ENTSCHLOSSENHEIT

»Wir sind hier, um den Ozean zu erforschen«, sagte Krebs mit fester Stimme. »Wir kehren nicht um, weil irgendein Bürokrat in der IAB den Politikern erlaubt hat, ihr eigenes Verantwortungsgefühl zu überstimmen.«

»Aber Captain …« begann Karlstad.

»Still! Männer und Frauen sind für dieses Ziel gestorben. Glauben Sie, dass ich auf ihre Gräber spucken werde, indem ich umkehre? Nicht bevor wir unser Möglichstes getan haben, um festzustellen, ob es dort unten Leben gibt.«

»Ja, Captain«, sagte Karlstad, als hätte er nie an etwas anderes gedacht.

»Ich stimme damit vollkommen überein«, sagte Muzorawa.

»Es spielte keine Rolle, ob Sie übereinstimmen oder nicht«, schnarrte Krebs. »Wir gehen tiefer. Jetzt.« Sie zeigte auf O'Hara. »Und keine Kommunikation mit der Station! Nichts! Aus keinem Grund. Selbst wenn wir in diesem Sarg zugrunde gehen sollten, werden wir keinen Versuch machen, mit der Station Verbindung aufzunehmen, es sei denn auf meinen Befehl hin. Ist das klar?«

»Völlig klar«, antwortete Lane.

»Gut. Nun übernehmen Sie Ihre Positionen. Wir gehen auf zehn Kilometer Tiefe.«

Wortlos schlossen die vier und Krebs ihre Kontakte an. Grant fühlte sich beinahe erleichtert. Wenigstens wusste sie jetzt alles. Es wurde nicht mehr hinter ihrem Rücken gemunkelt. Die visuelle Agnosie beeinträchtigte nicht ihre Fähigkeiten, die Expedition zu leiten.

»Bereit für Verbindung«, meldete er. Vor den anderen, wie er bemerkte.

»Sehr gut, Mr. Archer. Sie können sich einschalten.«

Als Grant zum Konsolenschalter griff, der ihn wieder mit den Antriebs- und Energiesystemen verbinden würde, erkannte er, dass Krebs keine Zelotin sein konnte. Sie wollte diese Mission nicht sabotieren, sie wollte sie durchführen, ungeachtet der späteren Konsequenzen.

Er fühlte sich erleichtert, was sie und die Mission betraf. Was nach der Mission geschehen würde, wenn sie zur Station und dem wartenden Ellis Beech zurückkehrten, stand auf einem anderen Blatt. Daran mochte er jetzt nicht denken.

Sobald die anderen angeschlossen waren, gab Krebs den Befehl, auf zehn Kilometer Tiefe zu gehen. Nach mehreren Stunden hatten sich die Kopfschmerzen hinter Grants Augen auf den ganzen Schädel ausgedehnt. Er merkte, dass der Druck sich aufbaute. Je tiefer sie tauchten, desto stärker wurde der Außendruck auf die Hülle, was bedeutete, dass auch der Innendruck zur Kompensation erhöht werden musste.

Wie tief konnten sie gehen, ohne sich schwere Gesundheitsschäden einzuhandeln? Er kannte die Spezifikationen der Tauchsonde und ihre zulässige Tauchtiefe, aber das waren nur Zahlen. Entscheidend war, wie viel Druck die Besatzung aushalten konnte. Die Sonde konnte wahrscheinlich einen viel höheren Druck aushalten als ihre Insassen. Sie würden lange vor der Sonde zusammenbrechen.

Er blickte zu Karlstad, der die lebenserhaltenden Systeme überwachte. Er sah angespannt aus, seine Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst, das Gesicht noch blasser als gewöhnlich. Wenn wir nicht in dieser Flüssigkeit untergetaucht wären, dachte Grant, würde er schwitzen. Egon kann den Druck fühlen, der auf der Hülle lastete; für ihn musste es wie eine gigantische Schraubzwinge sein, die versuchte, seinen Körper zu zermalmen.

»Zehn Kilometer«, rief Lane.

»Sinkgeschwindigkeit und Abstiegswinkel beibehalten«, sagte Krebs. »Wir gehen tiefer.«

Grant hörte ein Ächzen. Es kam nicht von einem der anderen, es war ein metallisches Knirschen.

»Achten Sie nicht auf dieses Geräusch«, sagte Krebs. »Es ist nicht wichtig.«

Als ob es ihr gehorchen würde, hörte das metallische Ächzen auf.

»Unterstützungszylinder neun braucht Schmierung«, sagte Krebs, um sie zu beruhigen. »Kein Grund zur Sorge.«

Die konzentrischen Schalen, die den Rumpf der Zheng He bildeten, waren untereinander durch hydraulische Zylinder als Stützen verbunden. Sie gaben unter dem Außendruck ein wenig nach und verteilten ihn weiter, aber Grant begann sich zu fragen, wie gut die Hydraulik die einzelnen Schalen stützen würde, wenn auch nur einer der Zylinder nachgab.

Vielleicht hatte er Unrecht. Vielleicht würde die Tauchsonde versagen, bevor ihre Schmerzen unerträglich wurden.

Nach angespannten vier Stunden gleichmäßigen Absinkens wurden Muzorawa und Karlstad für eine Ruhepause abgelöst.

»Eine Stunde, dann melden Sie sich hier zurück, um O'Hara und Grant abzulösen«, befahl Krebs.

Grant übernahm Karlstads lebenserhaltende Systeme. Wie er erwartet hatte, konnte er den Druck in jeder Ebene der Konstruktion anwachsen fühlen. Von allen Seiten presste er ihn zusammen, erdrückte ihn langsam wie eine riesenhafte Boa constrictor, die ihn mit ihren Windungen umschlang. Das Atmen wurde schwierig, es kostete ihn eine bewusste Anstrengung, den Brustkorb beim Einatmen zu heben.

Hör auf!, schalt er sich. Es ist neunzig Prozent Einbildung. Neunundneunzig Prozent! Ein Blick auf die Druckanzeige beweist es; sie ist nur ein paar Prozentpunkte aufwärts gegangen, seit wir in den Ozean eingetaucht sind. Du lässt deinen Verstand von Emotionen überwältigen.

Trotzdem fühlte er sich erdrückt. Die Kopfschmerzen pochten in seinen Schläfen. Er blickte zu O'Hara. Sie schien äußerlich unverändert, überwachte den Kurs und den Neigungswinkel der Sonde, beobachtete mit leuchtenden Augen die Sensoren, die normalerweise von Zeb überwacht wurden. Am liebsten hätte Grant sich in die sensorischen Aufzeichnungen eingeschaltet, um zu sehen, was sie sah. Aber er hatte genug zu tun. Jede unnötige Ablenkung konnte fatale Folgen haben.

Dann fragte er sich aber, wie der zunehmende Druck sich auf Krebs auswirkte. Ihr Zustand war möglicherweise eine Folge des durch Druck erzeugten Gehirntraumas. Dieses konnte sich nur verschlimmern, je tiefer sie sanken. Ob sie unter Schmerzen litt? Unter Verwirrung? Er warf ihr einen schnellen Blick über die Schulter zu. Krebs schien völlig normal, schwebte an ihrem gewohnten Platz unter den Deckenanschlüssen und erwiderte seinen Blick mit finsterer Miene.


* * *

»Sie folgt den Strömen organischer Partikel«, sagte O'Hara zu Grant, als sie in der Katakombe waren, um ihre Ruhepause anzutreten.

»So deutlich können Sie diese Partikel sehen?« Lächelnd sagte sie: »Im Sonar erscheinen sie wie ein Schneesturm, manchmal als Wirbel, manchmal wie Schneetreiben.«

Grant zeigte zum Wandbildschirm. »Können Sie es mir zeigen?«

O'Hara nickte und sprach ins Mikrofon des Bildschirms: »Darstellung Sonaraufzeichnung.«

Der Bildschirm wurde hell und zeigte einen Strom weißer Partikel, die in Wirbeln, aber einer allgemein vorherrschenden Richtung durch den dunklen Ozean trieben. Es war genau wie Lane es geschildert hatte: ein Schneetreiben. Er wusste, dass die weiße Farbe der Darstellung eine vom Computerprogramm geschaffene Unterscheidungshilfe war. Sie ließ die organischen Partikel vor dem schwarzen Hintergrund des Ozeans besser erkennen und verfolgen. Himmel, dachte Grant, hätte ich das gewusst, so hätte ich die Partikel zur Kartierung der ozeanischen Strömungen verwenden können.

Einer plötzlichen Eingebung folgend, trat er ans Mikrofon und sagte: »Korrelation Sonaraufzeichnungen mit Kartierung.«

»Bitte genauere Eingabe«, antwortete die synthetische Stimme des Computers.

Grant steckte den Kopf in seine Koje und suchte sie nach seinem Taschencomputer ab, der normalerweise auf einem Regal über dem Kopfkissen ruhte.

»Das wird eine Weile dauern«, sagte er zu O'Hara und setzte sich auf das Ende seiner Koje nieder.

Sie zuckte die Achseln und kroch in ihre eigene Koje.

Nach ein paar Minuten erschien Krebs im Durchstieg. Sie zog ihre faserotpischen Drähte an den Beinen nach. »Sie sollen ausruhen, Mr. Archer, nicht ihre Doktorarbeit schreiben.«

»Dies ist nicht meine Doktorarbeit, Captain«, sagte er. Ihre Ironie entging ihm völlig. »Ich bringe mein Programm über die Flüssigkeitsdynamik ein, um die Partikelströmungen als Indikatoren zu verwenden, die einen Vergleich ermöglichen. Ähnlich wie in der Aerodynamik Rauch in den Windkanalversuchen verwendet wird.«

»Sie brauchen Ihre Ruhe.«

»Ja, Captain. In ein paar Minuten, bitte.«

Krebs beobachtete ihn ein paar Sekunden lang schweigend, dann machte sie kehrt und trieb zurück in den Brückenraum. Grant arbeitete noch am Taschencomputer, als Muzorawa und Karlstad hereinkamen und ihre Ruhepause antraten.

»Sie haben jetzt Dienst«, sagte Muzorawa.

»In einer Minute«, sagte Grant. »Ich bin hier beinahe fertig.«

»Kann ich helfen?«, fragte Zeb. Er ließ sich neben Grant am Ende der Koje nieder.

»Es würde länger dauern, Ihnen alles zu erklären, als hier fertigzumachen.«

Muzorawa lachte leise. »Die grausame Aufrichtigkeit der Jugend.«

Grant antwortete nicht. Er hörte den anderen kaum. Kaum dass er es bemerkte, als Muzorawa aufstand und wieder zur Brücke hinausging.

Als er endlich fertig war und das Programm richtig lief, stieß Grant sich von der Koje ab und schwamm durch die Luke. Muzorawa stand in seiner Konsole, voll angeschlossen, und O'Hara neben ihm.

»Sind Sie fertig, Mr. Archer?« Krebs' Stimme troff von Ironie.

»Ja, Captain. Das Programm arbeitet jetzt ausgezeichnet. Danke, dass Sie so geduldig waren.«

»Bedanken Sie sich bei Dr. Muzorawa; er tut Ihre Arbeit, statt seine Ruhepause zu genießen.«

Grant fummelte mit seinen Drähten, um sich schnell anzuschließen. Zeb warf ihm ein verständnisvolles Lächeln zu.

»Sie haben den Arbeitsplan gründlich durcheinander gebracht, Archer«, schnarrte Krebs. »Ich hoffe, Ihre Inspiration verbessert das Programm der Flüssigkeitsdynamik hinreichend, um das auszugleichen.«

Grant nickte. Er war überzeugt, dass die Mühe sich gelohnt hatte. Aber er war inzwischen klug genug, den Mund zu halten.


* * *

Sie folgten der spiraligen Strömung organischer Partikel, passierten siebzig Kilometer Tiefe und tauchten noch tiefer. Karlstad klagte über zunehmende Kopfschmerzen, O'Hara sagte, sie habe quälende Schmerzen in den Armen und im Rücken, und sogar Muzorawa gab zu, dass er Schwierigkeiten beim Atmen hatte. Grants Kopfschmerzen dauerten an, nicht viel schlimmer als zuvor, aber auf keinen Fall weniger stark. Krebs sagte nichts, beklagte sich weder über ihren Zustand noch kommentierte sie die Probleme der anderen. Sie schien ihre Schwäche zu verachten; wenn sie ihm einen Befehl zurief, hatte Grant den Eindruck, dass sie nicht ihn ansah, sondern durch ihn hindurch.

Die Tauchsonde knarrte und ächzte jetzt ständig, und Grant fragte sich, wie tief sie gehen konnten, ohne vom Außendruck zermalmt zu werden. Er erinnerte sich, dass im Bauplan eine Tauchtiefe von neunzig Kilometern als Grenzwert angegeben war.

Neunzig, dachte Grant. Wir haben alle schon bei siebzig Probleme; wie wird es erst sein, wenn wir noch zwanzig Kilometer tiefer sind?

Trotzdem ließ Krebs Kurs und Neigungswinkel halten.

»Ist Ihnen klar, wohin die Reise geht?«, fragte O'Hara ihn während einer ihrer Ablösungen.

Er war hundemüde; seine pochenden Kopfschmerzen raubten ihm seine Energie. Auch Lane sah erschöpft aus. Sie schwebte ein paar Zentimeter über dem Boden ihres Gemeinschaftsraumes, hatte die Arme halb abgewinkelt.

»Was meinen Sie?«, fragte er. Tatsächlich dachte er an nichts anderes als in seine Koje zu kriechen und die vier ihm zustehenden Stunden durchzuschlafen.

»Zum Fleck«, sagte Lane.

Darauf sperrte Grant die Augen auf. »Zum Großen Roten Fleck?« Seine Stimme hatte selbst im Perfluorcarbon, das alle Töne tiefer klingen ließ, einen quäkenden Klang.

Sie nickte und verhakte eine Ferse am Ende ihrer Koje, um niederzusitzen.

»Wir können nicht in den Großen Roten Fleck«, sagte Grant.

»Dahin führen aber die Strömungen«, sagte O'Hara, »und wir folgen den Strömungen.«

»Aber Krebs wird früher oder später abbiegen. Die Strömungen beschreiben einen riesigen Wirbel um den Fleck.«

»Sie ist überzeugt, dass, wenn es Lebewesen gibt, die diese organischen Stoffe verzehren, den dichtesten Strömen dieser Nahrung folgen müssen. Also folgen wir dem dichtesten Strom, und der fließt auf den Fleck zu.«

»Aber sie wird abschwenken«, wiederholte Grant. »Bevor wir zu nahe kommen.«

O'Hara schloss die Augen. »Das denke ich auch. Im Moment ist es mir wirklich gleich. Ich will nichts als einen guten Schlaf — und ohne diese Rückenschmerzen aufwachen.«

Grant schob sich in seine Koje und befestigte das Netz, das ihn auf der Matratze hielt, während er schlief. Es war wie in einem Kokon, eine der wenigen Bequemlichkeiten auf dieser Mission. Beinahe augenblicklich war er eingeschlafen.

Und träumte, er würde in einen niemals endenden Strudel hineingezogen und ertränkt und zermalmt. Seine Schreie blieben ungehört, seine Schmerzen nahmen kein Ende.

8. ZÄHIGKEIT

»Wir nähern uns neunzig Kilometern«, sagte O'Hara. Ihre Stimme war angespannt, zitternd von Nervosität.

Maximale Tauchtiefe, wusste Grant. Er und Lane waren im Dienst, Karlstad und Muzorawa in ihren Kojen. O'Hara sah so überanstrengt und müde aus wie er sich fühlte. Wie alle sich fühlten. Sie litten ohne Ausnahme. Der Druck setzte ihnen körperlich und geistig zu.

»Bei neunzig abfangen und Kurs beibehalten«, sagte Krebs.

Weiter im Strom der organischen Partikel, interpretierte Grant den Befehl. Weiter in Richtung auf den Großen Roten Fleck. Viel tiefer konnten sie nun nicht mehr gehen, dachte er. Zwar gab es bei der maximalen Tauchtiefe eine Sicherheitsmarge, die wahrscheinlich bis hundert Kilometer Tiefe reichte, ohne die Sonde zu zerstören, das Risiko nahm dann rasch zu, und sie würden den weiter wachsenden Druck kaum aushalten.

Von jovianischen Lebewesen, ob groß oder klein, war noch immer nichts zu sehen. Die organischen Partikel wirbelten und strömten durch den unendlichen schwarzen Ozean, aber wenn es jemanden gab, der sich davon ernährte, ließ er sich nicht blicken. Sie hatten sogar den turbulenten Strom durchquert, worauf die Sonde mit einigen unangenehmen Stößen und Schlingerbewegungen reagiert hatte, doch war es ihren Instrumenten immerhin gelungen, eine Anzahl der Partikel zur Analyse einzusaugen.

»Jovianische Kohlehydrate«, verkündete Karlstad nach der Untersuchung der Proben. »Gut genug, um sie zu essen — beinahe.«

Aber wenn die erste Mission tatsächlich riesige Lebewesen in den Tiefen des Ozeans ausgemacht hatte, so hatten sie sich hier jedenfalls noch nicht gezeigt. Dr. Wos Hypothese, dass es dort, wo es Nahrung gab, auch Esser geben müsse, schien sich als bloßes Wunschdenken zu erweisen. Grant sagte sich: Propter hoc ergo post hoc ist genauso irrig wie anders herum.

Obwohl der Fusionsreaktor und die Generatoren einwandfrei arbeiteten, zuverlässig wie ein winzig kleiner Stern, zeigten die Triebwerke Anzeichen von Abnutzung. Grant fühlte die Erosion ihrer beanspruchten Metallteile als Müdigkeit, eine schmerzhafte Müdigkeit in den Knochen zusätzlich zur wirklichen Müdigkeit und den Kopfschmerzen seines wirklichen Körpers. Er konnte nichts daran ändern. Außerdem zeigten alle diagnostischen Kontrollen, dass der Zustand sämtlicher fester und beweglicher Metallteile noch gut innerhalb tolerierbarer Grenzen war. Es fühlte sich nur so ermüdend an, mit ihnen verbunden zu sein; es war beinahe so, als wäre er ein ans Ruder geketteter Galeerensklave. Er dachte daran, die Verbindung mit den Triebwerken zu unterbrechen und sich auf die gewöhnlichen Ablesungen seiner Konsole zu verlassen, aber er hatte noch nicht den Mut, Krebs um Erlaubnis zu bitten.

In dieser Schicht überwachte er auch die Sensoren, und hier kostete es ihn einige Mühe, sich nicht vom ständig wirbelnden Strom der organischen Partikel hypnotisieren zu lassen. Es war faszinierend, beruhigend und so einschläfernd, dass er Gefahr lief, die Triebwerke und die Kopfschmerzen zu vergessen, die hinter seinen Augen pochten.

Was war das?

Ein aufblitzender Schimmer von etwas. Zuerst glaubte Grant, er habe es sich eingebildet, doch dann sah er es wieder durch die multispektralen Kameras der Sensoren. Etwas glitzerte im Strom der organischen Partikel, kleiner als die Masse dieser Stoffe, reflektierte das Licht von den Bugscheinwerfern der Tauchsonde.

Ohne ein Wort zu sagen, öffnete Grant die Eintrittsöffnungen der Probennehmer, um einige der Partikel anzusaugen. Die meisten waren der gleiche Stoff, dem sie die ganze Zeit gefolgt waren, aber diese neuen Partikel … er fragte sich, was sie sein könnten.

Die Probennehmer fingen etwas von dieser Substanz auf und führten sie automatisch der Analyse durch Gaschromatographen und Massenspektrometer zu. Fast ohne Verzögerung empfing sein Gehirn die Daten. Er sah Diagramme, Photomikrographien, chemische Formeln.

Kohlenstoff. Nichts als Kohlenstoff. Durch den Druck kristallisiert. Dann traf ihn die Erleuchtung.

»Diamanten!«, platzte er heraus.

O'Hara, die neben ihm stand, wandte den Kopf. »Was sagten Sie?«

»Diese kleineren Partikel, die glitzernden … es sind winzige Diamanten!«

»Nein!«

»Doch, wirklich«, sagte Grant. »Rufen Sie die Analyse ab. Es ist reiner kristallisierter Kohlenstoff. Diamanten.«

»Ach du lieber Himmel«, sagte O'Hara.

Krebs, die mit allem anderen auch die Analyseausrüstung überwachte, sagte: »Glückwunsch, Mr. Archer, Sie haben eine Diamantenmine entdeckt.«

»Wir könnten einige mitnehmen«, sagte Grant. Er grinste zum ersten Mal seit Tagen.

»Ach, aber sie sind zu klein, um als Schmuck zu dienen«, meinte O'Hara traurig. »Mikroskopisch, sehen Sie nicht?«

»In Anbetracht der Kosten dieser Mission«, bemerkte Krebs hinter ihnen, »werden sie die teuersten Diamanten sein, die je gefunden wurden.«

Das dämpfte Grants Stimmung beinahe vollständig. Er wandte sich wieder der Überwachung der Sensoren zu. Trotzdem, dachte er bei sich, Ströme von Diamanten, die im Jupiterozean fließen. Ein Schneetreiben von Diamanten. Es fragt sich, ob die Jovianer zu schätzen wissen, was Gott ihnen schenkt?


* * *

Nahezu sechsunddreißig Stunden kreuzten sie in neunzig Kilometern Tiefe. Die Tauchsonde ächzte und knarrte, die Beschwerden der Besatzung nahmen mehr und mehr zu. Karlstad murrte ständig; sogar Muzorawa schien eine schwierige Zeit durchzumachen, obwohl er alle Unannehmlichkeiten in stoischer Ruhe hinnahm und sich nicht beklagte. Keine Spur von Jovianern; nichts im Ozean schien sich zu bewegen, nur die Ströme von Partikeln, die ständig vorüberzogen.

Während dieser ganzen Zeit blieb Krebs auf der Brücke, voll verbunden mit allen Bordsystemen. Grant und die anderen nahmen ihre Ruheperioden wahr, versuchten ein paar Stunden Schlaf zu finden, injizierten Analgetika in die Ventilöffnungen ihrer intravenösen Nahrungsschläuche, um den ständigen Schmerz und Druck zu lindern. Krebs aber blieb wach und im Dienst.

»Captain«, sagte Karlstad schließlich, »als Spezialist für lebenserhaltende Systeme und so etwas wie ein Ersatzmediziner muss ich Sie daran erinnern, dass Sie seit mehr als zwei Tagen ohne Ablösung Dienst tun.«

»Danke, Dr. Karlstad«, erwiderte Krebs mit unüberhörbarer Ironie. »Sie haben mich erinnert. Nun nehmen Sie Ihren Platz ein und tun Sie Ihren Dienst.«

»Es ist meine Pflicht, Sie daran zu erinnern, dass Sie ruhen müssen«, sagte Karlstad mit besorgter Miene.

»Ich bin noch nicht reif für eine Ruhepause«, sagte Krebs mit fester Stimme. »Ich brauche sie nicht.«

Grant und O'Hara waren noch mit ihren Konsolen verbunden, aber bereit, ihre Freischicht anzutreten. Muzorawa wartete bei der Luke, die zu den Kojen führte.

Karlstad schwamm hinüber zu seiner Konsole und wies auf einen der kleinen Bildschirme. »Captain, es ist nicht meine fixe Idee. Es sind die Bestimmungen der Mission. Die medizinischen Monitore zeigen ein gefährliches Niveau von Ermüdungsgiften in Ihrem Blut. Ihre Reflexe sind verlangsamt. Puls und Atmung nähern sich dem roten Bereich.«

Krebs sagte nichts. Sie trieb in der Mitte des engen Brückenraums und musterte Karlstad mit finsterer Miene.

Muzorawa sagte in ruhigem Ton: »Captain, wenn Sie nicht ruhen, wird Ihr Zustand sich weiter verschlechtern. Die Bestimmungen verlangen, dass Sie das Kommando abgeben, wenn Ihre körperlichen Parameter …«

»Ich kenne die Bestimmungen!«, fauchte Krebs.

»Sie müssen ruhen, Captain«, sagte Muzorawa wie jemand, der einem Kind gut zuredet. »Selbst wenn es nur für eine Stunde ist.«

Grant dachte, sie wolle ihre Verbindungen nicht abschalten, weil sie süchtig sei, ähnlich wie eine Drogenabhängige.

Doch zu seiner Überraschung zerfloss Krebs' unheilvolles Stirnrunzeln in Niedergeschlagenheit. »Nun gut, wenn Sie darauf bestehen.«

»Es ist zu Ihrem Besten, Captain«, sagte Muzorawa.

»Ja, ich verstehe.« Krebs begann langsam die Steckanschlüsse abzuziehen. Alles geschah mit dem größten Widerwillen, wie es Grant schien. Keiner der anderen sagte ein Wort.

Als sie endlich frei von den faseroptischen Leitungen war, sagte sie verdrießlich: »Gut. Dr. Muzorawa, ich übergebe Ihnen die Verantwortung. Dr. Karlstad, wecken Sie mich in einer Stunde.«

»In einer Stunde«, sagte Karlstad. »In Ordnung.«

Sie stieß sich mit einer Hand von der Decke ab und schwamm zur Luke. Muzorawa war noch dort und sah überrascht aus, als Krebs direkt auf ihn zusteuerte.

Sie stieß voll mit ihm zusammen und prallte mit überraschtem Keuchen zurück, riss die Augen auf.

»Verzeihung, Captain«, sagte Muzorawa. Auch er sah erschrocken aus.

»Ich … ich bemerkte Sie dort nicht«, stotterte sie. Sie tastete nach dem Rand der Luke, bekam sie mit einer fleischigen Hand zu fassen, zog sich durch und schloss die Luke vernehmlich hinter sich.

Keiner sagte etwas.

Dann flüsterte Karlstad: »Mein Gott, sie ist blind!«

»Nein«, sagte O'Hara. »Das kann nicht sein.«

»Sie haben sie gesehen«, beharrte Karlstad. »Sie prallte direkt gegen Zeb. Sie sah ihn nicht! Das sagte sie selbst.«

»Darum möchte sie mit den Bordsystemen verbunden bleiben«, meinte Muzorawa nachdenklich. »Dann kann sie durch die Bordsysteme sehen.«

Karlstad nickte grimmig. »Aber wenn sie die Verbindung unterbricht, ist sie blind wie ein Maulwurf.«

9. VERWIRRUNG

»Jetzt stellt sich die Frage, was wir tun sollen«, sagte O'Hara.

»Es geht nicht, dass eine blinde Frau die Expedition leitet«, sagte Karlstad.

Muzorawa steckte die faseroptischen Verbindungen von seiner Konsole in die Beinkontakte. Als er sich aufrichtete, sagte er: »Aber sie ist nicht blind, wenn sie angeschlossen ist.«

Auch Karlstad begann sich anzuschließen. »Was immer der Schaden war, der die Okzipitallappen ihres Gehirns betroffen hat, er ist schlimmer geworden.«

»Es ist der Druck, unter dem wir leben«, sagte O'Hara.

»Richtig. Er schädigt ihr Gehirn noch mehr«, sagte Karlstad.

»Er scheint aber nur ihr Sehvermögen zu beeinträchtigen«, meinte Muzorawa.

»Bisher«, sagte Karlstad. »Wie lang wird es dauern, bevor andere Gehirnpartien ausfallen?«

Den Blick starr auf die geschlossene Luke gerichtet, hörte Grant sich sagen: »Sie hält Kurs auf den Roten Fleck.«

»Sie wird abbiegen, bevor wir in Gefahr geraten«, sagte Muzorawa.

»Wird sie das?«, fragte Karlstad.

»Selbstverständlich.«

»Ich glaube, dass sie verrückt wird«, erklärte Karlstad. »Sie war immer tyrannisch, aber jetzt wird sie fanatisch, ignoriert einen direkten Befehl der IAB.«

»Wir stimmten alle überein, dass wir die Mission fortsetzen wollen«, sagte Muzorawa.

»Wirklich?«, versetzte Karlstad. »Mich hat niemand gefragt.«

»Fürchten Sie sich, Egon?«, forderte O'Hara ihn heraus.

»Ich? Mich fürchten? Neunzig Kilometer unter Wasser, befehligt von einer verrückten blinden Frau, die der IAB eine lange Nase dreht? Was gibt es da zu fürchten?«

Muzorawa hatte seine Drähte angeschlossen. »Ich denke, ein gewisses Maß von Furcht ist ein gesundes Zeichen. Aber wir dürfen uns nicht überwältigen lassen. Wir dürfen nicht in Panik geraten oder uns zu übereilten Handlungen hinreißen lassen.«

»Was verstehen Sie unter übereilt?«, fragte O'Hara.

»Krebs vom Kommando ablösen«, sagte Karlstad ohne zu zögern.

»Das können wir nicht tun«, widersprach Grant.

»Nicht einmal wenn sie uns alle um Kopf und Kragen bringt?«

»Vorläufig gibt es keine konkreten Hinweise, die darauf schließen lassen«, sagte Muzorawa.

O'Hara blickte zur geschlossenen Luke. »Sie muss schreckliche Schmerzen erleiden.«

»Anzusehen ist es ihr nicht«, sagte Karlstad.

»Vielleicht keine körperlichen Schmerzen, aber … stellen Sie sich vor, in solch einer Situation blind zu werden. Nichts mehr zu sehen.«

»Es sei denn, sie ist mit der Sonde verbunden.«

»Ja«, sagte O'Hara im Flüsterton. »Das ist ihr geblieben.«

»Also, was tun wir?«, wollte Karlstad wissen.

Niemand hatte eine Antwort.


* * *

Genau eine Stunde nachdem sie die Brücke verlassen hatte, kehrte Krebs zurück. Karlstad brauchte sie nicht zu wecken.

Grant, der sie beim Einstecken ihrer Anschlüsse beobachtete, gewann den sicheren Eindruck, dass sie tatsächlich nichts sehen konnte. Sie befingerte mit unkonzentriertem Blick die Verbindungen und tastete mit den Fingern nach den Elektroden in ihren Beinen, bis das winzige elektrische Feld das richtige Implantat erkannte und die Steckverbindung hergestellt werden konnte.

Sie konnte die verschiedenen Farbcodierungen der Drähte nicht wahrnehmen, erkannte Grant. Sie konnte anscheinend überhaupt nichts sehen.

Bis sie vollständig verdrahtet war und ihre Verbindung aktiviert hatte. Dann richtete sie sich auf und übernahm das Kommando.

»Mr. Grant, was begaffen Sie da?«, verlangte sie zu wissen.

Grant wandte schnell den Kopf und starrte auf seine Konsole. »Ni … nichts, Captain.«

»Sie kümmern sich um Ihre Pflichten, Mr. Grant, und ich werde mich um die meinen kümmern.«

»Ja, Captain.«

»Dr. Krebs«, sagte Muzorawa, »wir müssen über Ihren Zustand sprechen.«

»Da gibt es nichts zu besprechen.«

»Ich fürchte doch.«

»Ich bin durchaus imstande, meiner Verantwortung nachzukommen«, erklärte Krebs. Grant glaubte eine leichte zittrige Unsicherheit herauszuhören.

»Dr. Krebs, das Trauma im Sehzentrum Ihres Gehirns verschlimmert sich.«

Krebs funkelte ihn an, sagte aber nichts.

»Es ist möglich, dass die Verschlechterung andauern wird«, fuhr Muzorawa fort. Er sprach ruhig, vernünftig, beinahe sanft. »Es könnte zu einer schweren Gehirnblutung führen.«

»Ich weiß das«, sagte Krebs. Ihre Stimme war tiefer als gewöhnlich. »Ich akzeptiere dieses Risiko.«

»Wir sollten die Mission abbrechen und zur Station zurückkehren«, sagte Muzorawa. Grant bewunderte, wie unpersönlich und beinahe beiläufig er es vorbrachte. Ohne Vorwurf, ohne versteckte Drohung.

Krebs schwebte schwer atmend in der Mitte des Brückenraums. Grant sah, wie ihre Brust sich hob und senkte. Die Sonde hielt jetzt ruhig und ohne Turbulenzen Kurs; das gleichmäßige Summen der Generatoren und das gedämpfte Brausen der Triebwerke waren nach wie vor das vertraute und beruhigende Hintergrundgeräusch, nun jedoch zunehmend aus dem Bewusstsein verdrängt, das immer mehr beherrscht wurde vom ständigen schmerzenden Druck hinter den Augen, dem dumpfen Schmerz im Rücken und einer wachsenden Unkonzentriertheit, die ihm zu schaffen machte.

Endlich sagte sie: »Wenn wir zur Station zurückkehren, ohne etwas vorzuweisen, das die Kosten und Anstrengungen der Mission rechtfertigen kann, werden sie niemals eine weitere Mission gestatten. Sie haben uns bereits befohlen, unsere Arbeit aufzugeben. Das werde ich nicht tun. Unter keinen Umständen. Ist das klar?«

»Aber Ihre Gesundheit ist in Gefahr. Ihr Leben …«

»Wozu taugt mein Leben, wenn ich nicht die Forschungen fortsetzen kann, der ich es gewidmet habe?« Krebs hob die Stimme. »Welchen Nutzen würde mein Leben haben, wenn mir nicht erlaubt ist, die Arbeit zu tun, die ich liebe? Ich habe bereits alles andere in meinem Leben geopfert — Familie, Freunde, Heimat, die Annehmlichkeiten einer gesicherten Existenz —, um hier zu sein, in diesem verdammten Ozean, wo ich die Antwort auf die wichtigste Frage von allen suche: gibt es hier intelligentes Leben? Werden wir eine andere Lebensform finden, mit der wir uns verständigen können?«

Keiner der anderen brachte ein Wort heraus. Alle starrten sie an.

Sie lächelte bitter. »Ich sehe den Unglauben in Ihrem Gesicht, Dr. Karlstad. Sie trauen mir nichts mehr zu und denken, ich würde Sie ins Verderben führen.«

»Ah, n … nein, durchaus nicht«, stammelte Karlstad.

»Wir machen weiter«, erklärte Krebs. »Sollte ich hier sterben, es kümmert mich nicht. Besser hier als in irgendeinem staubigen Seminarraum, wo man mir nicht einmal erlauben würde, über die Möglichkeit außerirdischen Lebens zu sprechen.«

»Ja, Captain«, sagte Muzorawa kleinlaut.

Krebs nickte mit einem Ausdruck von Zufriedenheit, dann richtete sie ihren wieder verdüsterten Blick auf O'Hara. »Dr. O'Hara, Neigungswinkel fünf Grad.«

Lane blickte die anderen an und fragte: »Wir gehen tiefer?«

»Tiefer«, sagte Krebs.


* * *

In Grants Kopf pochte der Schmerz. Jeder Pulsschlag war wie ein Hammer, der in Stirnhöhlen und Schläfen seine unbarmherzige Arbeit verrichtete. Sein Rücken schmerzte, als sei er im Prozess allmählicher Versteinerung. Sie hatten eine Tiefe von hundert Kilometern überschritten und gingen noch immer tiefer, immer in einer mäßig absteigenden Bahn, die parallel zum wirbelnden Strom organischer Partikel führte.

Irgendwo draußen in dieser dunklen See wartete der Große Rote Fleck, dachte Grant. Er konnte ihn nicht sehen, nicht einmal, wenn er die Daten der Fernbereichssensoren abrief. Aber er war dort, dieser enorme Wirbel, dieser immerwährende Sturm, der größer als die ganze Erde war und Strömungen über Zehntausende von Kilometern in den gefräßigen Rachen seines Strudels sog. Er wartete auf sie, zog sie an sich wie ein Magnet einen winzigen Eisenfeilspan.

Sie folgten einem dieser dem Wirbel zufließenden Strömungen und wurden immer wieder merklich herumgestoßen, wenn sie in die Nähe der turbulenten Randbereiche der Strömung kamen. Solange sie in ihr blieben, verlief die Reise glatt und ruhig. Grant konnte mit der Leistung der Triebwerke heruntergehen. Der Rote Fleck tat die Arbeit für sie, aber Grant fürchtete, dass die Arbeit zu ihrer Zerstörung führen würde.

Während einer Ruhepause mit Muzorawa bat Grant: »Zeb, lassen Sie nicht zu, dass Krebs uns mit dieser Strömung in den Roten Fleck ziehen lässt.«

»Sie wird abbiegen, bevor wir in Gefahr kommen können«, sagte Muzorawa wie schon einmal. Aber der Blick seiner rot geränderten Augen wich dem Kontakt mit Grants aus.

Der ließ sich müde auf den Rand seiner Koje nieder. »Die Strömung wird stärker«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie weit wir noch gehen können, bevor sie zu stark wird, dass die Triebwerke uns noch daraus befreien können.«

Muzorawa dachte eine gute Weile darüber nach, dann hob er den Blick zu Grant. »Was sagt Ihnen Ihr Programm der Flüssigkeitsdynamik?«

»Ich würde eine Berechnung machen müssen …«

»Tun Sie das«, sagte Muzorawa. »Dann zeigen Sie sie mir. Es könnte der Punkt sein, der eine Entscheidung erzwingt.«

»Eine Entscheidung?«

»Über sie«, sagte Muzorawa mit einer müden Handbewegung zur Brücke.


* * *

Noch immer gingen sie tiefer. Hundert Kilometer, hundertzehn, hundertfünfzehn. Die Tauchsonde knarrte und ächzte und knackte unter dem unvorstellbaren Druck. Sie hörte sich an, als wäre sie in Agonie. Wie wir, dachte Grant.

Nach einer Ruheperiode kam O'Hara mit einem Lächeln auf den Lippen zur Brücke zurück. Es überraschte Grant; seit Tagen hatte er keinen von ihnen lächeln sehen.

»Sie müssen einen schönen Traum gehabt haben«, sagte er, als sie sich anschloss.

»Keinen Traum«, erwiderte sie. »Ich konnte überhaupt nicht schlafen.«

Grant schloss die Augen. Die Kopfschmerzen schienen ein wenig nachzulassen, wenn die Augen geschlossen waren, und er sah den leuchtenden Stern im Herzen des Fusionsreaktors, fühlte seine Wärme, die beruhigenden Harmonien der Elektrizität, die durch das Leitungsnetz der Sonde strömte.

O'Hara stieß ihn an. »Schauen Sie her. Die habe ich aus dem Sammelbehälter der Probenentnahme genommen.«

In ihrer Handfläche lag ein Dutzend oder mehr winzige Steinchen. Nein, keine Steinchen, dachte Grant. Sie waren so klein, dass sie beinahe wie Sandkörner aussahen, und sie waren von einem glasigen Hellgrau.

»Ihre Diamanten«, sagte O'Hara in fröhlich singendem Tonfall.

»Das sind die Diamanten?«

»Tatsächlich, echte Diamanten. Nicht von Edelsteinqualität, fürchte ich, und sehr klein. Aber wie viele Frauen können von sich sagen, sie hätten Rohdiamanten in der Hand gehalten?«

»He, lassen Sie sehen«, sagte Karlstad von seiner Konsole.

Krebs' ärgerliche Stimme warf ein: »Sie sollten im Dienst sein, Dr. O'Hara.«

»Ich zeigte Mr. Archer nur die Diamanten, die der Probennehmer eingesammelt hat«, erwiderte Lane zu ihrer Rechtfertigung.

»Sie hätten Ihre Ruheperiode mit Schlafen verbringen oder sich wenigstens entspannen sollen«, grollte Krebs. »Sie wissen, dass …«

»Da unten bewegt sich etwas«, rief Muzorawa.

»Was?« Krebs schoss wie ein kurz geratener Torpedo zu ihm hinüber.

»Sehr weit entfernt«, sagte Muzorawa. »Sonarsignal. Aber eindeutig ein sich bewegendes Objekt.«

»Entfernung? Geschwindigkeit?«, wollte Krebs wissen. »Wir brauchen Zahlen!«

»Es sind mehrere Objekte!« Muzorawas Stimme bebte jetzt.

Grant zapfte das sensorische System an und sah drei, nein vier schemenhafte Umrisse, die sich langsam in der gleichen Richtung wie die Sonde bewegten. Ein weiteres Objekt kam in Sicht, dann noch zwei.

»Sie sind achtundsiebzig Kilometer entfernt, schräg abwärts voraus«, meldete Muzorwa.

»Wie tief sind sie?«

»Vierzehn Kilometer tiefer als wir.«

»O'Hara, zwei Grad Neigungswinkel.«

»Wir können nicht noch tiefer gehen!«, rief Karlstad entsetzt. »Wir sind schon weit jenseits der Sicherheitsgrenze!«

»Halten Sie den Mund!«, rief Krebs. »Wir gehen tiefer!«

10. LEVIATHAN

Leviathan kreuzte langsam durch den Nahrungsstrom und aß unaufhörlich, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Flagellen knospten bereits, um die verloren gegangenen Mitglieder zu ersetzen, und das erforderte noch mehr Energie. Leviathan aß gierig, schwamm aber gleichmäßig um den großen Sturm, unterwegs zu den heimatlichen Bereichen seiner Sippe.

Auch von den Hautmitgliedern knospten mehrere, aber es würde lang dauern, bevor ihre Sprösslinge verdickt und verhärtet werden konnten, um den Panzer zu ersetzen, den Leviathan oben am Rand des kalten Abgrundes verloren hatte.

Leviathan hatte es eilig, seine Sippe zu finden und war begierig, ihnen die Geschichte seiner Kämpfe mit den Reißern und dem unheimlichen Tentakelungeheuer oben in der kalten Ferne zu berichten. Dabei war ihm klar, dass die Alten ihm ihr Missfallen ausdrücken würden. Sie hatten Leviathan oft davor gewarnt, sich von der Sippe zu entfernen. Die Jungen wollten oft auf eigene Faust hinausziehen, hatten sie Leviathan immer wieder ausgemalt, und ihre Vorstellungsbilder hatten tiefrot geblinkt, um zu zeigen, wie ernst sie es meinten. Aber die Jungen missachteten oft die Weisheit der Alten. Viele waren nie in den Schoß der Sippe zurückgekehrt.

Leviathan würde zurückkehren, sagte er sich, und das im Triumph. Er hatte Regionen der allumfassenden See aufgesucht, die noch keiner von seiner Art jemals gesehen hatte. Er war zum kalten Abgrund aufgestiegen und hatte überlebt. Die Alten bewahrten das Wissen, so dachten sie jedenfalls. Aber wie konnte neues Wissen gewonnen werden, wenn niemand in die unerforschten Teile der Welt vordrang?

Leviathan stellte sich vor, wie er mit den Bildnern schwamm und die Szenen seiner epischen Reise aufzeichnete, sodass sie die Wiedergabe seines Berichts der Bildergeschichte der Sippe hinzufügen konnten. Ganz gleich, wie viele Male ihre Mitglieder sich voneinander trennten und wieder vereinten, dieses Abenteuer würde in den Gedächtnissen aller bleiben, die sehen konnten. Es würde niemals in Vergessenheit geraten.

Zuerst aber musste Leviathan zurück zur Sippe. Er folgte dem Nahrungsstrom in der Richtung, die ihn heimwärts trug. Es würde gut sein, wieder bei der Sippe anzukommen, selbst wenn die Alten Bilder der Unzufriedenheit über sein Abenteuer blinkten. Sie werden eifersüchtig sein, dachte Leviathan. Während sie in den gleichen alten Weidegründen blieben, erforschte ich neue Regionen. Ich werde den Wissensschatz vergrößern, und das ist eine positive Leistung.

Leviathan wusste, dass er in der Zukunft einmal selbst ein Alter sein würde. Der Gedanke erschreckte ihn. Aber er gelobte, niemals mit der Erforschung aufzuhören, auch nicht als Alter. Und er würde niemals einem Jungen von Erforschungen abraten, dessen war Leviathan gewiss.

Dann fühlte ein Büschel seiner sensorischen Glieder ein fernes Vibrieren und Zittern in der Dunkelheit des Ozeans.

Reißer!, warnten sie. Sie folgen uns und holen rasch auf.

11. KONTAKT

»Hydraulikzylinder Nummer vier versagt!«, rief Karlstad.

»Ich sehe es«, erwiderte Krebs mit gepresster Stimme. »Der Kolben klemmt. Strukturelle Integrität ist nicht bedroht.«

»Er kann nicht noch mehr Druck aushalten«, sagte Karlstad.

»Wir sind tief genug«, meinte Krebs. »Beinahe.«

Grant hatte Zebs sensorische Aufzeichnungen angezapft und konnte eine Herde gigantischer Wesen draußen im Ozean sehen, Objekte von der Größe ganzer Inseln oder Berge, so gewaltig, dass Größe alle Bedeutung zu verlieren begann.

»Entfernung?«, fragte Krebs.

»Zweiundfünfzigkommavier Kilometer«, antwortete Muzorawa.

Es hatte wenig Sinn, die Distanz zu verringern, dachte Grant. Sie waren so riesig, dass weitere Annäherung bedeuten würde, dass die Sensoren nur eines der Objekte erfassen konnten. Oder womöglich nur einen Teil von einem.

»Geschwindigkeit herabsetzen«, befahl Krebs. »An ihren Kurs und Geschwindigkeit angleichen.«

Grant nahm die Drehzahl der Triebwerke ein wenig zurück, doch noch immer mussten sie hochtourig laufen, um der Geschwindigkeit der Jovianer gleichzukommen.

Und es waren Jovianer, das stand außer Zweifel. Von atemberaubender Größe, glitten sie durch den Ozean, angetrieben von Reihen gewaltiger Flossen, von denen jede fünfmal so groß war wie die Zheng He. Sie schienen gemächlich durch die Strömung organischer Partikel zu kreuzen und sie in viele Öffnungen einzusaugen, die ihre Unterseiten säumten.

Sie sind lebendig, sagte sich Grant. Aber konnten sie intelligent sein? Sie weiden wie Kühe.

An einem von ihnen blinkte ein Licht auf, ein jähes gelbes Leuchten, das nach einem Moment wieder erlosch.

»Haben Sie das gesehen?«

»Eine Art Licht.«

»Was meinen Sie, ist es natürliche Biolumineszenz?«

»Da! Sie blinken hin und zurück!«

»Wie Signale!«

»Still!«, schnarrte Krebs. »Kümmern Sie sich um Ihre Pflichten. Sorgen Sie dafür, dass alles aufgezeichnet wird.«

Grant klopfte das Herz im Halse. Er sah, wie die riesenhaften Lebewesen entlang ihren massiven Flanken mit Lichtern blinkten, rot, gelb, in einem durchdringenden, intensiven Grün. Was konnte es bedeuten? Sind es intelligente Signale? Können wir sie deuten?

»Wir bewahren den gegenwärtigen Abstand«, wiederholte Krebs. »Wir passen uns ihrem Kurs und ihrer Geschwindigkeit an.«

Nie hatte Grant sich so klein gefühlt, so zwergenhaft. Aus einer Entfernung von mehr als fünfzig Kilometern erinnerten die Jovianer ihn an eine Herde von Walen, aber sie waren so ungeheuer groß. Größer als jedes Lebewesen, das die Erde je gesehen hatte. Groß wie eine Stadt. Verglichen mit ihnen waren die Menschen winzige Insekten. Ameisen. Mikroben.

»Sie folgen dem Strom organischer Partikel«, bemerkte O'Hara.

»Schwimmen mit der Strömung«, ergänzte Karlstad.

»Das sehe ich selbst«, blaffte Krebs. »Hören Sie auf mit diesem Geschwätz! Überprüfen Sie alle Systeme. Jetzt.«

Ärgerlich löste Grant sich von den sensorischen Daten. Warum können wir sie nicht alle beobachten?, murrte er in sich hinein. Wir brauchen die Systeme nicht gerade jetzt zu überprüfen. Wenn etwas nicht stimmt, werden wir es sofort erfahren.

Er merkte jetzt, dass seine Kopfschmerzen andauerten; er hatte sie während der Aufregung über die Sichtung der Jovianer vergessen oder nicht beachtet. Aber die Rückenschmerzen plagten ihn auch, und es war nicht mehr bloße Steifheit, sondern ein Schmerz, den er nicht genau lokalisieren konnte.

Dann sah er es in voller Klarheit. Das zweite Triebwerk stotterte, sein Plasmaausstoß war nicht mehr glatt parallel strömend. Das heiße, ionisierte Gas wurde noch im Rohr verwirbelt. Die Magnetfelder, die das Plasma führen und beschleunigen sollten, pulsierten unregelmäßig.

Grant empfand das bevorstehende Triebwerksversagen als einen zunehmenden Schmerz. Seine erste Regung war, das Triebwerk stillzulegen und dem automatischen Reparaturprogramm Zeit zu geben, das Rohr mit hitzeabschirmender aufgesprühter Keramik auszukleiden und den flüssigen Stickstoff als Kühlmittel für die Magneten zu ergänzen.

Um das zu tun, brauchte er jedoch die Zustimmung des Captains. Das Triebwerk konnte nicht abgeschaltet werden, solange Krebs nicht die Kontrolle über das Antriebssystem aufgab.

»Captain, Triebwerk zwei …«

»Ich sehe es«, sagte Krebs.

»Wir sollten es zur Reparatur abschalten«, sagte Grant.

»Nicht jetzt.«

»Aber es geht einem katastrophalen Versagen entgegen.«

»Nicht in den nächsten zwanzig Stunden.«

Grant hatte das diagnostische Programm auf einem der kleinen Nebenbildschirme und überprüfte es mit einem Blick auf die Anzeigen. »Aber Captain, das ist nur eine Schätzung. Es könnte viel früher versagen.«

In verächtlichem Ton erwiderte Krebs: »Wenn wir das Triebwerk abschalten, werden wir langsamer. Die Lebewesen dort draußen werden sich weiter von uns entfernen. Wir müssen mit ihnen Schritt halten.«

»Selbst wenn wir das Triebwerk ganz verlieren und uns nicht mehr aus dem Ozean befreien können?«, fragte Grant.

»Wir sind hier, um Daten zu bekommen. Wir können immer noch eine Datenkapsel abfeuern.«

»Aber wir werden sterben!«

»Die Daten kommen zuerst. Sie sind wichtiger.«

Es ist ihr gleich, ob wir leben oder sterben, sagte sich Grant. Unser Leben, auch ihr eigenes Leben ist ihr nicht so wichtig wie die Beobachtung dieser Lebewesen.

»Das Triebwerk kann repariert werden, ohne es abzuschalten«, bemerkte Krebs ruhig.

Grant überprüfte das Instandhaltungsprogramm und fand, dass sie bis zu einem gewissen Punkt Recht hatte. »Es würde nur ein zeitweiliges Flickwerk sein«, sagte er. »Das Programm empfiehlt vollständige Abschaltung für notwendige Reparaturen.«

»Tun Sie, was Sie können, Mr. Archer«, sagte Krebs. »Wir anderen haben Beobachtungen zu machen.«

Erbost über die Vorstellung, dass er gezwungen war, Mechanikerarbeit zu tun, während die anderen als Wissenschaftler arbeiteten, rief Grant noch einmal das Instandhaltungsprogramm ab und aktivierte die automatische Sequenz für die Reparaturarbeit, ohne das Triebwerk abzuschalten.

Das Problem war ein gefährlicher Kreis, eine geschlossene negative Rückkopplungsschleife. Die Keramikauskleidung, die das Triebwerksrohr vor dem sternheißen Plasmastrom schützte, war stellenweise erodiert und ließ zu viel Hitze durch die Metallwände des Rohrs dringen und einen Teil des flüssigen Stickstoffs verkochen, der den supraleitenden Magneten des Triebwerks kühlte.

Das Magnetfeld war beeinträchtigt, stellenweise geschwächt und erhitzte sich mehr als normal, wodurch weitere Teile der keramischen Hitzeauskleidung erodiert wurden.

Grant sah das Problem als visuelle Darstellung vor den geschlossenen Augenlidern und fühlte es als einen stechenden Schmerz, der sich über seinen Rücken ausbreitete.

Er musste die Magnetspule abkühlen, das war unabdingbar. Wenn sie sich über ihre kritische Temperatur aufheizte, würde das ganze Magnetfeld zusammenbrechen und genug Energie freisetzen, dass sie wie eine Bombe explodieren würde.

Aber das Pumpen von mehr flüssigem Stickstoff zu den Magnetspulen war ungefähr so, als wollte man den Finger in einen zusammenbrechenden Deich stecken. Nicht mehr als ein Notbehelf. Er musste das Rohr neu mit Keramik auskleiden. Aber wie sollte er das bewerkstelligen, während das heiße Plasma durch das Rohr strömte?

Das Instandhaltungsprogramm zeigte ihm, wie es ging. Er sah das empfohlene Notverfahren: Flüssige Keramik musste in den Plasmastrom gepumpt werden, während das Magnetfeld alternierte, sodass das elektrisch leitende Plasma während des Durchströmens der Röhre spiralig wirbelte. Damit wurde die keramische Schutzschicht an den äußeren Rand des wirbelnden Plasmastroms gezwungen und gegen die Rohrwandung gepresst. Zumindest ein Teil des keramischen Materials würde an der Wand haften bleiben und sich verfestigen.

Sehr schön, dachte Grant, als ihm die Bilder durch den Kopf gingen. Aber der größte Teil des Keramikmaterials wird durch das Rohr gerissen und geht verloren.

Es war eine Notreparatur, aber die einzige, die möglich war, solange Krebs sich weigerte, das Triebwerk für eine gründlichere Reparatur stillzulegen.

Nach kurzem Zögern gab Grant die alphanumerische Sequenz ein, die das Reparatursystem auslöste. Er beobachtete, wie das keramische Material in den Plasmastrom injiziert wurde, während die Magneten nach dem eingestellten Programm zu pulsieren begannen. Sein Rücken zuckte unter stechenden Schmerzen, ein Schwindelgefühl gesellte sich zu den Kopfschmerzen. Es wird nicht funktionieren, sagte er sich. Das Keramikmaterial wird aus der Sonde gepumpt, und mehr wird nicht bewirkt.

Aber langsam begann die Temperatur entlang der Rohrwandung zu sinken. Ein einziges scharfes Ping drang an sein Ohr, und das Programm verstärkte automatisch die Zufuhr flüssigen Stickstoffs zu den supraleitenden Spulen.

Grant sah, wie das Magnetfeld sich stabilisierte und der wirbelnde Plasmastrom sich zu einem glatten, störungsfreien Fluss glättete.

Es war getan. Die Hitzeübertragung entlang der Rohrwandung war wieder innerhalb tolerierbarer Werte. Und der Schmerz in seinem Rücken ließ nach.

Aber es war ein nur zeitweiliger Erfolg, erkannte Grant. Eine Notreparatur, ein Heftpflaster auf einer stark blutenden Wunde. Das Problem würde wiederkehren. Als er die Reserven überprüfte, sah Grant, dass er mehr als die Hälfte des verfügbaren Keramikmaterials verbraucht hatte. Sobald das Triebwerk wieder Schwierigkeiten machte, würde es den gesamten Rest des Keramikmaterials verschlingen. Wenn es reichen würde.


* * *

»Karlstad, bereiten Sie eine Datenkapsel vor«, befahl Krebs. »Alles muss hinein, was wir aufgezeichnet haben. Sämtliche Daten.«

»Captain, das ist die Arbeit eines Kommunikationsspezialisten«, erwiderte Karlstad.

»Übernehmen Sie es«, versetzte Krebs. »Dr. O'Hara muss ihre ganze Aufmerksamkeit der Navigation zuwenden.«

Die Zheng He war noch immer mehr als fünfzig Kilometer von der Herde der Jovianer entfernt. Die Lebewesen weideten noch immer gemächlich im Strom der organischen Partikel. Grant blieb in Sorge wegen des Triebwerks. Es lief einwandfrei, aber es arbeitete fast mit Höchstleisung, um mit den Jovianern Schritt zu halten.

Sie glitten scheinbar mühelos dahin, denn die gewaltige Masse ihrer Körper ließ sie träge erscheinen, obwohl sie so schnell vorankamen, dass die Tauchsonde Mühe hatte, gegen den starken Wasserwiderstand den Kontakt zu halten. Sollten sie es mit der Angst bekommen und die Flucht ergreifen, wären sie bald uneinholbar auf und davon.

Aber die Vorstellung, dass irgendetwas diese riesenhaften Lebewesen ängstigen könnte, war lächerlich. Wer oder was konnte ihnen etwas anhaben? Sie waren die Herren dieser Welt, majestätisch und gewaltig, ungestört in ihrer Macht.

Er hatte das Gefühl für den Zeitablauf verloren. Sie alle waren ständig auf der Brücke, seit sie die Jovianer ausgemacht hatten, und begnügten sich mit kurzen Unterbrechungen, um etwas Nahrung aufzunehmen, wenn das Programm der lebenserhaltenden Systeme ihre eingeplanten Essenszeiten meldete.

Die Lichtsignale, die zwischen den Jovianern hin und her gingen, faszinierten Grant. Was konnten sie bedeuten? Signalisierten sie einander? Konnte es eine Art Sprache sein, eine visuelle Sprache? Oder handelte es sich nur um etwas Ähnliches wie Positionslichter, dass sie einander in der immerwährenden Dunkelheit erkennen konnten? Oder dienten sie am Ende nur der Schaustellung, wie bei einem Pfau, der mit den Schwanzfedern das Rad schlägt?

»Sie scheinen keine Geräusche zur Kommunikation zu verwenden«, meldete Muzorawa. »Unsere Audiophone nehmen nichts als die leichte Turbulenz auf, die von ihren Ruderbewegungen erzeugt wird.«

»Sie schwimmen verstohlen«, bemerkte Krebs.

»Ja«, sagte Muzorawa und nickte. »Sie machen kaum ein Geräusch.«

»Das könnte sie vor der Entdeckung durch räuberische Feinde schützen«, meinte Karlstad.

»Wer würde auch nur daran denken, einen solchen Berg von einem Lebewesen anzugreifen?«, fragte O'Hara.

Karlstad lachte. »Sie haben räuberische Feinde in Ihrem Blutkreislauf, Lane. Wir sind millionenfach größer als Bakterien.«

»Weniger Gerede, Dr. Karlstad«, murrte Krebs. »Machen Sie die Datenkapsel fertig.«

»Sie ist beinahe fertig, Captain«, sagte Karlstad. »Das Datenmaterial ist größtenteils übertragen.«

Grant fragte: »Könnten diese Lebewesen auf Frequenzen miteinander sprechen, die von uns nicht aufgefangen werden können?«

»Unsere Audiophone decken einen sehr großen Frequenzbereich ab«, antwortete Muzorawa. »Die untere Grenze liegt bei weniger als zehn Schwingungen pro Sekunde.«

»Und was ist die Obergrenze?«, fragte Karlstad.

»Annähernd einhundert Kilohertz, weit jenseits des menschlichen Hörbereichs.«

»Wir hätten einen Hund mitnehmen sollen«, murmelte Karlstad.

»Oder ein paar von den Delphinen«, sagte O'Hara.

»Schallwellen dieser Intensität«, bemerkte Krebs, »können lebendes Gewebe zerstören.«

»Oder diese Tauchsonde wie eine Eierschale aufbrechen, wenn sie genug Energie hinter sich haben«, sagte Muzorawa.

»Hübscher Gedanke«, meinte Karlstad.

»Ich bin der Meinung«, sagte Krebs, »dass diese Lebewesen keine solch hohen Frequenzen zur Kommunikation verwenden würden. Es würde sie schädigen.«

»Aber sie könnten sie als Waffe gebrauchen«, sagte Karlstad.

»Wenn sie miteinander kommunizieren«, sagte Muzorawa nachdenklich, »würde es visuell sein, denke ich.«

»Sie leuchten auf wie Reklameschilder, nicht wahr?«, sagte O'Hara.

»Wie diese Luftschiffe, die über Fußballplätzen schwebten, als ich ein Kind war«, stimmte Karlstad zu.

Die Lichter gingen so rasch an und aus, dass Grant nicht erkennen konnte, ob sie bestimmte Muster irgendwelcher Art formten. Sie waren beinahe so schnell wie stroboskopische Blitze.

»Wo ist meine Datenkapsel?«, verlangte Krebs zu wissen.

»Ich wollte es Ihnen gerade sagen, Captain. Die Kapsel ist bereit für Ihre Eingabe.«

Mit verdrießlicher Miene stieß Krebs sich von der Decke ab und ging neben Karlstad nieder wie ein wuchtiger Klotz, der neben einem biegsamen Schilfrohr im Wasser niedersinkt. Karlstad gab seiner Tastatur ein Signal, und das gelbe Kommunikationslicht leuchtete auf.

»Datenkapsel Nummer zwei«, sagte sie und brachte es fertig, ihrer metallisch schrillen Stimme einen emotionslos nüchternen Ton abzugewinnen. »Wir sind auf eine Gruppe sehr großer Organismen gestoßen. Sie scheinen die organischen Partikel einzusaugen, die mit den Strömungen durch die See treiben. Wir folgen ihnen weiterhin, bis unsere lebenserhaltenden Reserven zur Neige gehen.«

Krebs schaltete den Bildschirm aus, und das Licht erlosch.

»Ist das alles, was Sie sagen wollen?«, platzte O'Hara heraus. »Wollen Sie ihnen nicht von den Signallichtern erzählen?«

»Sie werden die Lichter genauso gut sehen können wie wir«, sagte Krebs. »Sie können ihre eigenen Schlussfolgerungen daraus ziehen, ob es Signale sind oder nicht.«

»Aber es müssen welche sein!«, sagte O'Hara. »Was sonst könnten sie bezwecken?«

»Schießen Sie die Kapsel ab«, sagte Krebs zu Karlstad. Mit einem missmutigen Blick zu O'Hara erwiderte sie: »Sie könnten praktisch alles sein. Lassen Sie sich nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten.«

Karlstad schoss die Kapsel mit einem Knopfdruck ab. Grant fühlte den Rückstoß als eine leichte Vibration.

»Die Lichter gehen so schnell an und aus«, bemerkte Muzorawa, »dass man unmöglich sagen kann, was sie sind.«

»Können wir die Wiedergabe nicht verlangsamen?«, fragte Grant. »Ich meine, die Aufzeichnungen in verringerter Geschwindigkeit darstellen.«

»Zeitlupe?«

»Ja.«

Muzorawa dachte einen Augenblick darüber nach, dann nickte er. »Ja, das ist eine gute Idee. Captain?«

»Tun Sie es«, sagte Krebs.

Es kostete Muzorawa mehrere Minuten, die im Computer gespeicherten sensorischen Wahrnehmungen zu programmieren. Schließlich sagte er ihnen, er sei bereit.

»Bringen Sie es auf den großen Bildschirm«, befahl Krebs.

Grants Rückenschmerzen kehrten zurück. Er konnte in den Monitorfunktionen seiner Konsole keine Defekte erkennen, aber der Schmerz warnte ihn, dass das Triebwerk wieder kariös zu werden begann.

Aufblickend, sah er auf dem Wandbildschirm, was ein Standfoto von einem der Jovianer zu sein schien. Nein, die Flossen bewegten sich, aber so langsam, dass Grant kleine silbrige Partikel im Wasser erkennen konnte, die von diesen mächtigen Paddeln in wirbelnde Bewegung versetzt wurden. Diamanten, dachte er. Sie schwimmen durch eine Wolke von Diamanten — und Nahrung.

Obwohl die Lebewesen noch rund fünfzig Kilometer entfernt waren, zeigte die Vergrößerung der Aufzeichnungen deutlich erkennbare Einzelheiten: Ihre Haut sah grau und gummiartig aus, aber gefleckt von Unebenheiten, Knollen und — Augen. Diese Dinger mussten Augen sein; Reihen davon, Hunderte, die in die heiße dunkle See hinausstarrten. Grant schauderte. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, dass diese Augen ihn beobachteten, die Eindringlinge von einer anderen Welt einschätzten und beurteilten. Sie waren riesig. Wie konnte ein Lebewesen zu solch enormer Größer heranwachsen? Wie konnte ein Nervensystem diese Reihen von Flossen kontrollieren? Wo war das Gehirn angesiedelt? Eine dieser Flossen konnte die Tauchsonde mit einem Schlag zermalmen.

Auf der Haut der Lebewesen waren auch Flecken verschiedener Farben auszumachen. Parasiten? Wenn es in diesem Ozean eine komplette Biosphäre gab, musste sie zahlreiche ökologische Nischen für alle Arten von Lebensformen enthalten. Die organischen Partikel waren am unteren Ende der Nahrungskette, und diese gigantischen Superwale mussten an der Spitze sein. Es sei denn, sie entdeckten noch weitere Meeresbewohner.

Rote und orangegelbe Lichter glommen entlang den mächtigen Flanken der urwelthaften Lebewesen, seltsam rätselhafte Muster, die den Ozean mit ihrem unheimlichen Licht erhellten. Grant konnte ihnen keinen Sinn abgewinnen; sie gaben keinen Hinweis auf eine Bedeutung.

»Na, wenigstens sagen sie nicht: ›Verblast euch, Erdlinge‹«, witzelte Karlstad.

»Aber sehen Sie!« Muzorawa zeigte auf den großen Bildschirm. »Sie wiederholen alle die gleiche Serie von Symbolen.«

»Ist es Schrift?«, fragte O'Hara.

»Unmöglich«, sagte Krebs.

»Und doch … Es muss etwas bedeuten«, sagte Karlstad.

»Ihnen bedeutet es etwas, denke ich«, murmelte Muzorawa.

Krebs fing an: »Lassen Sie sich ja nicht zu voreiligen …«

Sie brach mit offenem Mund ab. Auch Grant und die anderen sahen es.

Einer der Jovianer stellte ein scheibenförmiges rundes Objekt mit einer einzigen Reihe von Lichtern an der Vorderseite dar. Die Scheibe war tiefrot, die Lichter hellorange wiedergegeben. Gleich darauf begannen die anderen das gleiche Bild zu zeigen.

»Das sind wir!«, japste Karlstad.

Das gleiche Bild wurde zwischen allen Jovianern im Bild hin und her geblinkt.

»Sie haben uns gesehen«, sagte O'Hara in ehrfurchtsvollem Flüsterton.

»Sie wissen, dass wir hier sind«, bestätigte Krebs. Die Verblüffung dämpfte sogar ihre Stimme.

»Mein Gott«, sagte Grant, »sie sind wirklich intelligent.«

12. LEVIATHAN

Während Leviathan direkt im Nahrungsstrom weidete, erkannte er, dass er sich zu früh beglückwünscht hatte. Ein einzelnes Mitglied der Sippe war immer willkommene Beute für die Reißer, und er war zu weit vom großen Sturm entfernt, um die gleiche Taktik anzuwenden, die ihn vor dem früheren Rudel gerettet hatte.

Schnelligkeit war jetzt Leviathans einzige Hoffnung. Wenn er zu seiner Sippe zurückkehren und sich den anderen wieder anschließen konnte, würden die Reißer keinen Angriff wagen. Selbst wenn sie töricht oder verzweifelt genug waren, einen Versuch zu machen, wäre er zum Scheitern verurteilt. Eine ganze Versammlung der Sippe konnte die Reißer mit Leichtigkeit zermalmen. Diese brachen ihre Angriffe fast immer ab, wenn sie sahen, dass eine ganze Versammlung sich zur Abwehrkugel formierte. Sie zogen es vor, einzelne Mitglieder der Sippe anzugreifen und warteten, bis der eine oder der andere sich von der Sippe entfernte und zu knospen begann.

Aber die Sippe war noch immer weit, weit entfernt. Und die Reißer holten rasch auf. Es würde ein Wettrennen geben, wusste Leviathan, der seine Flagellenmitglieder zu äußerster Geschwindigkeit drängte. Ein Rennen gegen die Zeit. Ein Rennen gegen den Tod.

13. VERFOLGUNG

»Unsinn!«, widersprach Krebs. »Nur weil sie nachahmen können, was sie sehen, müssen sie noch nicht intelligent sein.«

»Es ist auch kein Zeichen von Dummheit«, erwiderte Karlstad.

»Papageien können die menschliche Sprache nachahmen«, sagte Krebs. »Hunde, Pferde, viele Tiere können auf menschliche Befehle reagieren. Macht sie das intelligent?«

»Papageien sind zweifellos intelligent«, sagte O'Hara. »Und Delphine sprechen mit uns.«

Krebs schüttelte hartnäckig den Kopf. »Intelligenz ist das Vermögen zur Lösung konkreter oder abstrakter Probleme, die Fähigkeit zu abstraktem Denken. Das kann man von Delphinen nicht sagen.«

Das Leben unter Wasser, dachte Grant, erforderte eben andere Ausprägungen der Intelligenz. Ohne Hände zur Manipulation ihrer Umgebung, ohne die Möglichkeit, Werkzeuge zu gebrauchen, entwickelte sich ihre Intelligenz in eine andere Richtung.

»Ameisen und Bienen haben ein sehr komplexes und intelligentes Sozialverhalten«, sagte Karlstad.

Bevor Krebs antworten konnte, sagte O'Hara: »Das Kennzeichen der Intelligenz ist die Fähigkeit, abstrakte Ideen mit anderen Angehörigen derselben Spezies auszutauschen. Das tun die Delphine.«

»Abstrakte Ideen?«, fragte Muzorawa.

»Ja«, erwiderte O'Hara entschieden. »Sie können Freundschaft und Loyalität verstehen. Sie haben Familienbande.«

Krebs sah noch immer nicht überzeugt aus. »Alles das gilt auch für andere Tiere, Hunde zum Beispiel. Aber wir sind nicht hier, um Verhaltensforschung zu treiben oder philosophische Diskussionen zu führen. Orientieren Sie Kurs und Geschwindigkeit an den Walen. Je mehr Daten wir über sie sammeln können, desto besser.«

Seine Rückenschmerzen verschlimmerten sich. Grant schloss die Augen und stellte sich das fehlerhafte Triebwerk vor. Der Schmerz verriet ihm, dass es wieder unregelmäßig lief.

Bevor er das Problem ansprechen konnte, beklagte sich Krebs: »Ich brauche volle Kraft von beiden Triebwerken, Mr. Archer.«

»Nummer zwei versagt wieder«, sagte er.

»Das sehe ich. Reparieren Sie es!«

»Wenn ich es abschalten könnte … nur für eine halbe Stunde …«

Krebs schien die Möglichkeit zu erwägen, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Wir würden die Wale verlieren.«

Nun meldete sich Muzorawa zu Wort. »Captain, wir kennen Kurs und Geschwindigkeit der Herde. Wir könnten sie einholen, sobald das Triebwerk repariert ist.«

»Schon jetzt können wir kaum mit ihnen Schritt halten«, sagte Krebs. »Wenn wir die Geschwindigkeit verringern, werden wir sie nie einholen.«

»Der Strom organischer Partikel, den sie abweiden, folgt entsprechend der Meeresströmung einer gekrümmten Bahn«, sagte Muzorawa in ruhig überzeugendem Ton. Er brachte Grants Karte der ozeanischen Strömungen auf den Bildschirm und zeigte den Verlauf. »Wir könnten die Krümmung abschneiden, sobald das Triebwerk repariert ist, und die Herde wieder erreichen.«

Krebs schloss die Augen. Sie sah Zebs Karte durch die Implantate, dachte Grant, um ein Bild zu bekommen, das ihre Augen nicht sehen konnten. Er vermutete, dass der Druck negative Auswirkungen auch auf ihre Sehnerven hatte.

Sie öffnete die Augen, aber sie starrten ins Leere. »Nun gut«, sagte sie widerwillig. »O'Hara, reduzieren Sie die Geschwindigkeit. Archer, Sie schalten Triebwerk Nummer zwei zur Reparatur ab.«

Als Grant einen Seufzer der Erleichterung ausstieß fügte Krebs hinzu: »Und beenden Sie die Reparatur in dreißig Minuten! Nicht eine Sekunde länger!«

»Ja, Captain!«

Achtundzwanzig Minuten später begutachtete Grant das neu ausgekleidete Rohr. Durch die implantierten Biochips fühlte er die Keramikoberfläche, als ob er mit den Händen darüber hinstreichen würde. Sie waren noch warm vom sternheißen Strom ionisierter Gase, der durchgeströmt war. Ja, sagte er sich, die Keramikbeschichtung hat die richtige Stärke und Oberflächenglätte. Alles innerhalb der im Bauplan vorgesehenen Werte. Der flüssige Stickstoff kühlte die supraleitenden Spulen auf der anderen Seite des Rohres. Sie waren weit unterhalb ihrer kritischen Temperatur.

»Nun?«, fragte Krebs. »Sind Sie fertig?«

Mit einem einzigen kleinen Kopfnicken sagte Grant: »Ja, Dr. Krebs. Triebwerk Nummer zwei kann wieder eingeschaltet werden.«

»Gut«, sagte sie, und Grant spürte, dass es einem Schlag auf die Schulter so nahe kam wie es von dieser hartnäckigen, schwer mitgenommenen Frau erwartet werden konnte.

Als beide Triebwerke wieder auf volle Leistung gebracht waren, lenkte Grant seine Aufmerksamkeit mit einiger Anstrengung von den Informationen ab, mit denen die Biochips sein Nervensystem versorgten, und fragte den neben ihm stehenden Muzorawa: »Haben wir sie verloren?«

Der große Bildschirm zeigte nichts anderes als leere Schwärze.

»Sie haben sich aus dem Wahrnehmungsbereich unserer Sensoren entfernt«, antwortete Zeb, »aber wenn sie noch den organischen Stoffen folgen, sollten wir sie in ungefähr einer Stunde wieder sichten.«

Und wenn sie den Kurs geändert haben, werden wir sie wahrscheinlich nicht wiederfinden, dachte Grant. Und es wird meine Schuld sein. Jedenfalls wird Krebs mich dafür verantwortlich machen.

Dann dachte er bei sich, dass es noch andere Herden im Ozean geben müsse. Es konnte nicht nur eine Gruppe von wenigen Dutzend dieser Riesen existieren. Es musste andere von ihrer Art geben, und auch andere Lebewesen. Wer hier hineinging, hatte eine ganze Welt zu erforschen, eine ganze Ökologie, einen Ozean, der tausendmal größer war als die Erde.

Es lag auf der Hand, dass diese Erforschungen nicht von ihnen allein und nicht im Laufe dieser Expedition geleistet werden konnte.

Überhaupt hing die Dauer ihrer Mission jetzt in erster Linie von den Triebwerken ab. Zwar arbeiteten sie einwandfrei, aber die Keramikreserve war aufgebraucht. Ging wieder etwas schief, mussten sie entweder zur Station zurückkehren oder hier sterben. Eine weitere Triebwerksreparatur war nicht mehr möglich. Außerdem liefern sie mit voller Leistung, und wenn auch nur eines versagte, waren sie verloren.

Grant blickte von Muzorawa zu O'Hara und Karlstad, die alle an ihren Konsolen standen, konzentriert auf die Aufgabe, die Herde der jovianischen Wale wiederzufinden. Nur waren es keine Wale, berichtigte sich Grant. Neben ihnen nahmen Wale sich wie kleine Fische aus.

Keinem der anderen schien bewusst, dass die Triebwerke sich in kritischem Zustand befanden. Nur Krebs musste es wissen. Ungeachtet ihrer blinden Augen musste ihr klar sein, dass die Triebwerke jederzeit ausfallen konnten. Aber offenbar war es ihr gleich. Sie würde lieber sterben, als diese Mission aufgeben.

»Ich sehe einen!«, rief Muzorawa. Es erinnerte Grant an alte Geschichten von Walfängern, eisernen Männern in hölzernen Schiffen und ihren Ruf: »Da bläst er!«

Alle versuchten gleichzeitig, die sensorischen Daten anzuzapfen. Grant gewann den Eindruck einer schwachen, zitternden Berührung entlang seiner Arme, als striche ihm jemand sehr sanft und behutsam über die Haut.

»Geben Sie mir eine Sichtverbindung«, befahl Krebs.

»Augenblicklich ist es zu weit entfernt, um anders als mit Sonar erfasst zu werden«, antwortete Zeb.

»Wann kann ich es sehen?«, fragte Krebs.

»In ein paar Minuten«, antwortete Muzorawa. »Ah! Es leuchtet! Können Sie den Schimmer erkennen?«

Grant sah ein mattes rotes Schimmern im sonst schwarzen Bild.

»Dieser Wal scheint allein zu sein«, sagte Muzorawa. »Ich kann keine anderen Lebewesen in seiner Nähe ausmachen.«

»Er hält nicht den gleichen Kurs, dem die Herde folgen sollte«, warf O'Hara ein. »Und er schwimmt mit viel höherer Geschwindigkeit.«

»Der Kurs ist eine Abkürzung«, bemerkte Krebs. »Aber dieser Wal kommt aus einer anderen Richtung als wir.«

»Ich habe jetzt Sichtkontakt«, sagte Muzorawa.

»Ja, ich sehe«, sagte Krebs.

»Er ist allein«, sagte Karlstad.

»Ja«, stimmte Muzorawa zu. Dann: »Nein, ich glaube nicht — es sind andere in seiner Begleitung. Zwei … sechs … zehn und mehr! Aber sie sind kleiner und von anderer Form.«

Grant sah sie auch, schwach und undeutlich aus dieser Distanz. Aber die Szene wirkte in einer schrecklichen Weise einleuchtend auf ihn.

»Sie jagen ihn!«, rief er. »Die Kleineren jagen den Großen!«

»Die Kleineren sind fünfmal so groß wie diese Sonde«, bemerkte Karlstad.

»Räuber«, sagte Krebs. »Archer hat Recht. Sie jagen den Wal. Wir sind Zeugen einer Jagd.«

»Was können wir tun?«, fragte O'Hara.

»Wir gehen näher ran«, befahl Krebs.

»Näher?«

»Ja! Bevor er uns entwischt.«

Mit Höchstgeschwindigkeit versuchten sie schräg auf den Kurs des Jovianers zuzuhalten und den Abstand zwischen ihnen zu verringern. Die mit voller Leistung laufenden Triebwerke übertrugen ihre Anstrengung durch die Biochips auf Grant, der das Gefühl hatte, an einem Marathonlauf teilzunehmen; jeder Muskel in seinem Körper schmerzte.

»Er ist zu schnell«, rief O'Hara. »Wir werden ihn nie einholen.«

Grant zapfte die Übertragung der Sensoren an und sah den gewaltigen Jovianer durch die Tiefen jagen, verfolgt von den zehn kleineren Tieren.

»Näher!«, verlangte Krebs. »Muzorawa, zeichnen die Sensoren alles auf?«

Zeb antwortete nicht gleich.

»Muzorawa!«

»Ja, Captain«, sagte Zeb mit schwacher, zittriger Stimme. »Die Sensoren … ich …«

Grant klinkte sich aus den Aufzeichnungen der Sensoren und sah zu Zeb hinüber. Muzorawa stand wie geistesabwesend an seiner Konsole, die Knie leicht eingeknickt, die Füße in den Bodenschlaufen. Seine Arme waren in Brusthöhe leicht angehoben, der Kopf hing auf die Seite.

»Ich … kann nicht … atmen …« keuchte er. »Druck …«

»Wir sind zu tief!«, schrie Karlstad.

»Was fehlt ihm?«, fragte Krebs.

Karlstad starrte wie in Panik auf seine Konsole. Grant sah eine Reihe unheilvoller roter Lichter glimmen. »Sein Atem geht schnell und flach. Etwas stimmt nicht mit den Lungen. Kapazität ist unten, sinkt weiter …«

»Archer«, befahl Krebs, »machen Sie Dr. Muzorawa los und schaffen Sie ihn zu seiner Koje!«

Hastig begann Grant die faseroptischen Drähte aus Zebs Beinen zu ziehen.

»Tut mir Leid …« stieß Muzorawa keuchend hervor. »Zu viel … kann nicht …«

»Nicht reden«, sagte Grant in beruhigendem Ton. »Sparen Sie Ihre Kräfte.«

Muzorawa schloss die Augen. Sein Kopf sank ihm auf die Brust. Grant sah, dass er bewusstlos war. Oder tot.

»Sie sind der Spezialist für die lebenserhaltenden Systeme«, fauchte Krebs den aufgeregten Karlstad an. »Was sollten wir tun?«

»Nichts wie raus aus diesem höllischen Druck!«, rief er.

»Nein!«, gab sie zurück. »Noch nicht. Nicht jetzt, wo diese Tiere so nahe sind.«

»Sie werden ihn umbringen!«, sagte Karlstad. »Sie werden uns alle umbringen!«

Krebs wandte sich wieder an Grant. »Bringen Sie ihn zu seiner Koje. Senken Sie den Druck in der Kammer.«

Grant, hilflos und verwirrt, fragte: »Wie soll ich den Druck senken?«

»Versiegeln Sie die Luke, sobald Sie ihn in der Koje haben. Ich werde mich um die Druckminderung kümmern.«

»Sie können den Druck nicht genug mindern, um ihm zu helfen«, jammerte Karlstad. »Es sei denn, wir steigen zur Oberfläche auf.«

Krebs fuhr herum und durchbohrte ihn mit einem Blick, als wäre sie bereit, einen Mord zu begehen.

»Ich treffe hier die Entscheidungen«, sagte sie mit unnatürlich ruhiger Stimme. Sie wandte sich an Grant. »Bringen Sie ihn in seine Koje! Jetzt!«

»Ja, Captain.« Grant machte sich daran, seine Kontakte zu lösen.

Plötzlich taumelte die Tauchsonde unter einem Stoß, als wäre sie von einem Torpedo getroffen worden. Grant wurde aus den Fußschlaufen gerissen und segelte durch den Brückenraum, seine Anschlüsse rissen ab. Er prallte schmerzhaft gegen das Schott, und im nächsten Augenblick gingen alle Lichter aus.

14. ANGRIFF

Die Notbeleuchtung ging an, trübe und Angst einflößend. Grant starrte in den Raum, der auf einmal voller Schatten war. Alles sah schief aus, geneigt.

Dann merkte er, dass er seitwärts neben dem Nahrungsspender trieb. Die rechte Schulter und Seite brannten vor Schmerzen. Rote Lichter blinkten fordernd an allen Konsolen.

»… auf die Plätze!«, rief Krebs. »Die Hilfsgeneratoren können die Triebwerke nicht länger als ein paar Minuten in Gang halten.«

Muzorawa trieb in der Mitte des Brückenraums. Aus seinem offenen Mund wehte ein Schleier von Blut. Krebs stieß ihn beiseite und in die allgemeine Richtung der Katakombe. O'Hara war an ihrer Konsole, aber vornübergekrümmt, als wäre sie von Schmerzen überwältigt. Nur Karlstad schien unverletzt, sah aber verwirrt und hilflos aus, während Krebs wie ein Maschinengewehr Befehle herunterrasselte.

»Zurück an Ihre Konsole!«, sagte sie zu Grant, packte ihn beim Kragen und stieß ihn zu seinem Platz. Grants Schulter und Rippen schmerzten höllisch. Er musste schwer gegen das Schott geprallt sein.

»Was ist geschehen?«, fragte er benommen, während er mit den faseroptischen Drähten fummelte.

»Keine Zeit für Anschlüsse«, sagte Krebs. »Gehen Sie auf manuelle Steuerung. Bringen Sie den Generator wieder in Gang.«

»Aber Zeb …«

»Sie können jetzt nichts für ihn tun. Bringen Sie den Generator wieder in Gang!«

Grant sah, dass die gleiche Fußschlaufe, die schon einmal abgerissen war, sich wieder gelockert hatte und nur von einem Bolzen gehalten wurde. Er stieß seinen Fuß in die andere und überflog die roten Kontrollleuchten seiner Konsole.

»O'Hara!«, rief Krebs. »Machen Sie sich los und kümmern Sie sich um Dr. Muzorawa.«

Lane sah elend aus, im unheimlichen Licht der Notbeleuchtung regelrecht grün. Sie nickte und begann die Drähte abzuziehen.

»Ich werde die Navigation übernehmen«, fuhr Krebs fort. »Karlstad, übernehmen Sie die Sensoren. Archer, warum ist der Generator noch nicht angeschlossen?«

»Ich arbeite daran«, sagte Grant. Seine Finger flogen über die Tasten und Schalter.

Die Brücke schien sich zu heben und zu senken, bald nach rechts, bald nach links zu kippen, als wären sie auf einer Achterbahn. Ein Seitenblick zeigte Grant, dass Krebs an O'Haras Konsole war und die manuelle Steuerung bediente. Ihr Mund war eine dünne, blutlos zusammengepresste Linie. Wieder taumelte die Tauchsonde, und diesmal hörte Grant deutlich einen dumpfen Stoß, als wären sie gegen ein unterseeisches Riff gekracht.

»Diese Haie greifen uns an«, sagte Krebs. Ihre Stimme war seltsam tief und beherrscht. »Sie halten uns für Nahrung.«

Karlstad verlor die Nerven und schrie: »Die Hülle kann diese Stöße nicht aushalten! Sie wird aufbrechen!«

»Ich versuche von ihnen wegzukommen«, sagte Krebs, wandte sich zu Grant und bellte: »Dafür brauchen wir Schub!«

»Es ist nicht der Generator«, meldete Grant. »Der Generator ist in Ordnung. Es ist die Stromschiene; der erste Stoß hat einen Kurzschluss verursacht.«

Ein weiterer Stoß, und die Brücke neigte sich stark auf die Seite. Sogar die Notbeleuchtung setzte für einen Moment aus.

Grant hielt sich mit einer Hand an den Griffen der Konsole fest und arbeitete in verzweifelter Hast an der Wiederherstellung der Stromschiene. Nacheinander klickten die Unterbrecherschalter der Notsicherungen an, und nacheinander wechselten die roten Leuchten seiner Konsole auf Bernsteingelb oder Grün. Die Triebwerke wurden wieder mit Energie versorgt, aber Grant sah, dass ihre Kontrollleuchten bernsteingelb waren. Es musste eine Menge Schaden gegeben haben. Vielleicht hatten die Haie Beulen in die Schubdüsen gestoßen. Er wünschte, er hätte Zeit, sich mit allen Bordsystemen zu verbinden, dann würde er sofort feststellen können, was fehlte.

»Hier kommt wieder einer!«, japste Karlstad.

»Triebwerke hochfahren!«, sagte Krebs. Sie brauchte Grant nicht, um es zu tun, sie erledigte es selbst an O'Haras Konsole.

Trotz der dicken Flüssigkeit, die den Brückenraum füllte, konnte Grant die Beschleunigung spüren. Ein weiterer Stoß folgte, aber diesmal schien er die Sonde nur zu streifen. Trotzdem drehte sie sich im Kreis.

»Ich weiß nicht, wie lange die Triebwerke auf voller Leistung bleiben können«, rief Grant.

»Wir müssen weg von ihnen«, rief Karlstad zurück.

Krebs schüttelte den Kopf. »Die sind schneller als wir. Auch vor uns sind welche.«

»Wenn wir nur eine Waffe hätten«, stieß Karlstad hervor. »Etwas, womit wir uns verteidigen könnten.«

Grant hörte sich sagen: »Wir haben das heiße Plasma aus den Schubdüsen.«

»Was?«

»Den Gasausstoß der Triebwerke. Er ist heißer als zehntausend Grad, wenn er die Schubdüsen verlässt.

Das Wasser hinter uns kocht. Das werden sie nicht mögen.«

Krebs schien einen Moment darüber nachzudenken. »Ja, wenn sie hinter uns blieben …«

»Das tun sie nicht«, sagte Karlstad. Seine geschlossenen Augen sahen, was die Bordsensoren zeigten. »Sie formieren sich wieder vor uns.«

»Wir fahren mit Höchstgeschwindigkeit, und sie jagen an uns vorbei«, sagte Krebs. Zum ersten Mal hörte sie sich mutlos an.

»Sie sind zu blöd, um zu merken, dass wir keine Nahrung sind«, sagte Karlstad mit gepresster Stimme.

»Bis sie das entdecken, werden wir tot sein.«

Grant sagte: »Können wir die Sonde nicht wenden? Oder einen engen Kreis beschreiben? Dann könnten wir unsere heißen Abgase in alle Richtungen versprühen.«

»Was würde das nützen?«

»Es könnte sie entmutigen.«

Karlstad lachte bitter. »Großartig! Sie wollen eine Wagenburg machen, wenn wir nur einen Wagen haben. Absolut brillant.«

»Es lohnt einen Versuch«, sagte Grant.

Krebs nickte. »Wir haben sonst nichts. Wir haben nichts zu verlieren.«

Nun, da die Energie wieder zur Verfügung stand, griff Grant nach den losen Drähten und schloss sie an die Biochips in den Beinen an. Ein scharfer Schmerz wie von Nadelstichen traf ihn. Die Triebwerke liefen mit voller Kraft, aber sie waren beschädigt, die Schubdüsen von den Stößen der Haie verbeult.

Wenigstens griffen sie jetzt nicht an. Krebs manövrierte die Tauchsonde in enge Kreise und umgab sie mit einer Spirale kochenden Wassers und hoch erhitzten Dampfes. Das hielt die Räuber in Schach.

Die Frage war, für wie lange. Grant wusste die Antwort: bis die Triebwerke versagten. Dann würde es keine Rolle mehr spielen, ob sie ihre Angriffe fortsetzten oder nicht, ob sie dachten, dass die Tauchsonde Nahrung war oder nicht. Dann werden wir tot sein, dachte Grant, werden in diesem fremden Ozean treiben, ohne die Energie, wieder zur Oberfläche aufzusteigen und zu starten. Wir werden weiter absinken, bis diese Eierschale von Druck zermalmt wird. Wir werden hier sterben.

15. LEVIATHAN

Leviathan konnte kaum glauben, was seine Wahrnehmung sagte. Die Reißer hatten ihre Verfolgung abgebrochen, um das kleine runde, flache Ding zu jagen, das ihre hungrige Aufmerksamkeit gefunden hatte. Leviathan wusste nicht, wie er es nennen sollte; es war anders als alles, was die Sippe je gesehen hatte, abgesehen von der Geschichte über einen seltsamen, kalten Fremden, der kurz erschienen und dann in den oberen Abgrund verschwunden war. Diese Geschichte hatte unter ihnen die Runde gemacht.

Leviathan erinnerte sich, etwas wie diesen Fremdling ausgemacht zu haben, als er in der öden, kalten Region auf der anderen Seite des immerwährenden Sturmes gewesen war. Es war keiner von der Sippe gewesen, nicht einmal eine Mitgliedseinheit, die sich abgelöst hatte, um zu knospen.

Was immer es war, die Reißer umschwärmten es, und der Fremdling, was immer er war — drehte sich verrückt im Kreis und spie heiße Dampf ströme aus, die das Wasser zum Kochen brachten.

Leviathan fragte sich, wo die Sippe sein mochte, wie weit von hier? Er überlegte, ob er sie rufen solle, fürchtete aber, dass sein Notsignal die Aufmerksamkeit der Reißer von Neuem auf ihn lenken würde.

In ihrer blinden Gier nach diesem kleinen, beinahe wehrlosen Geschöpf hatten die Reißer Leviathan vergessen. Der Fremdling gab ihm eine Chance zur Flucht, unbemerkt von den instinktgeleiteten Reißern.

Das würde bedeuten, dass er den Fremdling den Reißern überlassen müsste. Er schien nicht imstande, ihnen zu entkommen. Jedes Mal, wenn er höher steigen wollte, um den kalten oberen Abgrund zu erreichen, trieben die Reißer ihn wieder zurück. Einer von ihnen kam dem heißen Dampf zu nahe und wand sich in Agonie, heulte so laut, dass Leviathans Geräuschsensoren sich für mehrere Augenblicke schlossen. Zwei der Reißer griffen sofort ihren verwundeten Gefährten an und brachten ihn mit wenigen gefräßigen Bissen für immer zum Schweigen.

Aber die anderen umkreisten weiterhin den Fremdling, hielten ihn in Schach und warteten, dass er sich erschöpft.

16. IN DER FALLE

»Sie müssen höher steigen!«, rief Karlstad mit hysterisch überschnappender Stimme. »Wir müssen weg von hier!«

Krebs schoss ihm einen giftigen Blick zu. »Jedes Mal, wenn ich es versuche, kommen sie über uns und stoßen uns wieder hinunter.«

»Wir können diese Stöße nicht mehr lange hinnehmen«, sagte Karlstad. »Unter dem Druck wird die Hülle bersten …«

Grant war von Schmerzen überschwemmt. Die Kontrollleuchten seiner Konsole flackerten von Bernsteingelb zu Rot. Die Triebwerke waren dem Versagen nahe, und er konnte nichts dagegen tun.

Krebs schien sich über die Situation völlig im Klaren zu sein. Grimmig murmelte sie: »Volle Kraft. Wir durchbrechen den Kreis oder wir kommen hier und jetzt um.«

Mit verschwimmender Sicht, von krampfartigen Schmerzen geschüttelt, fühlte Giant die Belastung der Triebwerke, als er ihnen alle verfügbare Energie zuführte. Wieder gingen die Lichter aus, als die Brücke sich Schwindel erregend neigte. Die Notbeleuchtung glomm schwächlich. Grant tastete nach den Handgriffen an der Konsole.

»Vorsicht!«, schrie Karlstad.

Etwas traf die Tauchsonde mit der Gewalt einer Lawine. Hätte Grant sich nicht festgehalten, wäre er ein weiteres Mal durch den Brückenraum geschleudert worden. Krebs segelte an ihm vorbei und prallte mit einem dumpfen Schlag von Fleisch gegen Metall an den Nahrungsspender. Karlstad hielt sich an beiden Handgriffen seiner Konsole fest, doch wurden seine Füße aus den Schlaufen gerissen und ruderten wild herum.

»Wir sinken!«, schrie er. »Die Hülle ist geborsten!«

Grant sah, dass Krebs bewusstlos war. Oder tot. Aus einer klaffenden Stirnwunde strömte ein Nebel von Blut in die Flüssigkeit, die sie atmeten. Die Drähte baumelten losgerissen von ihren Beinen.

»Was können wir tun?«, rief Karlstad in Panik. »Was können wir tun?«

Grant versuchte seine Schmerzen zu vergessen, als er an der Konsole alle Bordsysteme abrief. Der jähe Informationsschwall brach wie eine Flutwelle über ihn herein. Alles — jeder Chip, jedes Kabel, jeder Quadratzentimeter der Struktur, sämtliche Sensoren, die Steuerungsmechanismen, Triebwerke, der Fusionsreaktor, die Hilfssysteme, alle lebenserhaltenden Einrichtungen an Bord, der medizinische Monitor, die Beleuchtung, die Heizung, die Schweißnähte entlang den konzentrischen Außenhüllen der Tauchsonde, alle Daten, die ständig von sämtlichen Systemen bei den Monitoren einliefen und gebündelt weitergegeben wurden, überschwemmten Grant wie eine unaufhaltsame Brandungswelle. Er wurde in den Sog gerissen, verzweifelt bemüht, an einem Rudiment seiner selbst festzuhalten, einer Spur seiner eigenen Seele in diesem Tohuwabohu von Wahrnehmungen und Empfindungen. Wie konnte er hier eine Übersicht gewinnen und Kontrolle ausüben?

Er fühlte seinen Körper nicht mehr; diese Realität war beiseite geworfen und zurückgelassen in dieser neuen Wirklichkeit von — Macht. Das ist es, sagte er sich. Macht. Ich bin die Tauchsonde. Ich habe all ihre Macht, all ihre Schmerzen, ihr ganzes Schicksal in mir.

Seine Sinneswahrnehmungen erweiterten sich. Er sah, spürte, fühlte jeden Teil der Sonde. Der Riss in der äußeren Hülle war wie ein Messerschnitt; die angestrengte Arbeit der Triebwerke wie die schmerzhafte Verkrampfung überarbeiteter Muskeln.

Die Zheng He verlor Auftriebskraft und erhielt ihre Position nur durch den Schub der Triebwerke gegen die immerwährende gewaltige Anziehungskraft Jupiters.

Und er sah die haifischähnlichen Lebewesen, mehr als ein Dutzend von ihnen, die über und zu beiden Seiten der langsam sinkenden Tauchsonde schwärmten.

Karlstad redete aufgeregt, aber für Grant war es ein undeutliches Gebrabbel im Hintergrund seines Bewusstseins. Ich bin die Sonde, sagte er sich. Ich bin verwundet, schwer verletzt. Wie kann ich aus dieser Lage herauskommen? Wie kann ich mich retten? Als Krebs versuchte, aus dieser Bedrängnis durch Aufsteigen zu entkommen, rammten sie uns so hart, dass die äußere Hülle brach. Was sollte ich tun? Was kann ich tun?

Totstellen, hörte er eine innere Stimme sagen. Triebwerke abschalten. Lass die Haie denken, dass du tot bist. Lass sie entdecken, dass du aus Metall bist, nicht aus Fleisch; ein Fremdkörper, keine Nahrung.

Aber du wirst sinken. Du wirst tiefer sinken, der Außendruck wird sich weiter erhöhen, der Riss in der Außenhülle zu weiteren Schäden führen, du wirst auseinander brechen, zermalmt bevor du die Triebwerke wieder in Gang bringen kannst.

Vielleicht. Dies alles schoss Grant in wenigen Sekunden durch den Kopf. Die einzige Hoffnung, die er hatte, war der Fusionsreaktor. Der arbeitete weiter, als ob nichts, was sich außerhalb des Magnetfeldes in seinem Metalltorus befand, irgendeine Bedeutung hätte. Dieser kleine künstliche Stern fuhr fort, Atomkerne zu verschmelzen und Materie in Energie zu verwandeln, ungeachtet der Wünsche oder Bedürfnisse der Menschen, die ihn gebaut hatten und deren Leben von ihm abhingen. Grant fühlte ihn wie ein Herdfeuer, tröstend, schützend gegen die wütenden Stürme der Außenwelt.

Er schaltete die Triebwerke und die Außenbeleuchtung ab. Der Ozean wurde schwarz, ein blindes Nichts. Aber Grant konnte durch die Infrarotsensoren und Sonargeräte sehen, konnte die riesigen haifischartigen Lebewesen verfolgen, die um die Sonde und über ihr kreisten.

»Wir sinken!«, wiederholte Karlstad mit hoher, bebender Stimme, obwohl das flüssige Medium, in dem sie lebten, alle Töne um eine halbe Oktave tiefer erscheinen ließ.

»Kümmern Sie sich um Krebs«, sagte Grant in ruhigem Ton. »Sehen Sie nach, wie es Lane und Zeb geht.«

»Aber wir sinken!«

»Es wird gut ausgehen«, sagte Grant mit der Hoffnung, dass es wahr sei. »Ich habe die Sonde unter Kontrolle«, log er.

Die Haie kamen näher, als wollten sie die langsam sinkende Zheng He beschnüffeln. Merkt ihr nicht, dass wir aus Metall sind?, fragte Grant sie in Gedanken. Seid ihr zu dumm, um zu sehen, dass wir keine Nahrung sind?

Eines der riesigen Lebewesen streifte die Tauchsonde und stieß sie seitwärts. Grant sah es kommen und hielt sich an seiner Konsole fest.

»Mein Gott!«, keuchte Karlstad. »Die geben uns den Rest! Herr des Himmels!«

Grant lächelte beinahe. Wir könnten Seine Hilfe brauchen, dachte er. Sieht Gott uns hier in der Tiefe dieser fremden See?

Ein leises Rumpeln, so tief, dass Grant es mehr wie eine Vibration in seinen schmerzenden Knochen fühlte, als es zu hören, ging wie fernes Donnergrollen durch die See, aber so machtvoll, dass die Tauchsonde leise vibrierte. Grant musste an ein Erdbeben denken, aber natürlich gab es keinen festen Boden, weder Erde noch Fels, der sich unter tektonischen Spannungen bewegen konnte. Das Sonar prickelte in Grants Nervenbahnen. Er schloss die Augen und sah das Bild: etwas kam auf die Sonde zu, eine kolossale Masse, die sich rasch näherte, und die dieses tiefe, rumpelnde Geräusch von sich gab, Furcht einflößend wie eine Lawine, die donnernd zu Tal geht.

Die Haie ließen von der Tauchsonde ab und drehten alle miteinander in einem so schnellen Manöver ab, dass Grant den harten Wellenschlag fühlte, den sie im Wasser erzeugten. Unterdessen zeigten die Infrarotsensoren, was auf die Zheng He zukam. Es war der gigantische Einzelgängerwal. Er rauschte wie ein Projektil von ungeheuren Ausmaßen auf den Schwarm der Haie zu.

Diese schienen sich vor dem heranbrausenden Wal in Schlachtordnung zu formieren. Die Sonde schien vergessen. Sie waren bereit, den Kampf mit dem Wal zu wagen. Grant sah die Möglichkeit, unbemerkt davonzuschlüpfen.

Vorsichtig zündete er wieder die Triebwerke. Minimale Schubkraft, hoffte er, würde keine Aufmerksamkeit auf die Sonde ziehen. Die Sinkgeschwindigkeit konnte auf diese Weise ausgeglichen werden.

Die Zheng He stieg ein wenig höher. Grant beobachtete durch die Bordsensoren, wie der Gigant auf die deltaförmige Formation der Haie zubrauste. Er gab den Triebwerken ein wenig mehr Schubkraft und manövrierte die beschädigte Tauchsonde fort von den Räubern. Die ganze Zeit hallte der Ozean von dem langen, anhaltenden tiefen Ton wider, der an das melancholische Heulen eines einsamen Wolfes in einer verschneiten Wildnis erinnerte, aber viele Oktaven tiefer und um ein Vielfaches mächtiger war und bei weitem länger andauerte als irdische Lungen es jemals zustande bringen könnten.

Der Meeresgigant brauste in den Schwarm der Haie. Statt aber die Flucht zu ergreifen, wie Grant erwartet hatte, breiteten die Haie ihre Formation zu einem lockeren Netz aus und umringten den Riesenwal. Sie flohen nicht vor ihm, sah Grant, sondern sie griffen ihn an!

17. LEVIATHAN

Leviathan wusste, dass es eine törichte Geste und wahrscheinlich eine fatale war. Das fremde Wesen schien tot zu sein, war dunkel geworden und sank langsam dem heißen unteren Abgrund entgegen.

Doch hatte der Fremde die Reißer abgelenkt und Leviathan vor ihnen gerettet. Jetzt war es für eine Umkehr zu spät.

Sobald Leviathan der Sippe seinen Notruf ausgesandt hatte, waren die Reißer wieder auf ihn aufmerksam geworden, hatten von dem Fremdling abgelassen und sich wieder auf Leviathan konzentriert, der allein und für einen Angriff nahe genug war.

Leviathan wartete den Angriff der Reißer nicht ab. Er warf sich ihnen entgegen, drängte alle Flagellenmitglieder zu äußerster Anstrengung, da er hoffte, die Reißer würden durch seinen Angriff in Verwirrung geraten und sich zerstreuen, bevor sie sich zum Angriff formieren konnten.

Aber sie waren zu schnell und zu beweglich, um diese schwache Hoffnung Wirklichkeit werden zu lassen. Noch als Leviathan auf sie zubrauste, bildeten die Reißer eine weit auseinander gezogene Formation über, unter und zu beiden Seiten seiner Angriffsrichtung.

Leviathan, der weiter seinen Notruf ertönen ließ, hatte kaum Zeit zu bemerken, dass der Fremdling noch nicht tot war. Obwohl er dunkel geworden war und eine Blasenspur zeigte, dass seine Haut aufgerissen war, begann er erhitztes Wasser und Dampf auszustoßen — nicht so kräftig wie zuvor, aber es war gleichwohl ein Lebenszeichen.

Und dann war er von den Reißern umringt, die nach seinen Flanken schnappten, Stücke aus seinen Flagellenmitgliedern rissen. Gelang es ihnen, die Flagellen zu verkrüppeln, war Leviathan hilflos. Aber die hirnlosen Flagellen waren ebenso als Waffen wie zur Fortbewegung zu gebrauchen. Leviathan schlug auf die Reißer ein, die den Flagellen zu nahe kamen, fühlte Knochen brechen und Fleisch aufreißen und hoffte, dass, wenn er ein paar von ihnen tötete, der Rest sich über die toten Artgenossen hermachen und Leviathan in Ruhe lassen würde.

Aber die Reißer würden niemals eine einzelne und verwundete Beute aufgeben. In blutgieriger Raserei würden sie angreifen und immer wieder angreifen, Leviathans schützende Panzerhaut aufreißen, um an die lebenswichtigen Organmitglieder heranzukommen, während die Vibrationen und der Blutgeruch ihres wütenden Kampfes andere aus weiter Ferne heranlocken würden, um am Kampf und dem anschließenden Festmahl teilzunehmen.

Dennoch kämpfte Leviathan. Es gab nichts anderes zu tun.

Die Reißer auf einer Seite zogen sich plötzlich in eiliger Flucht zurück. Leviathan wunderte sich darüber, während er mit allmählich nachlassender Kraft gegen die anderen kämpfte. Der Fremdling! Dieses fremde Wesen aus dem kalten oberen Abgrund war neben Leviathan erschienen und spritzte heißen Dampf und kochendes Wasser in die Mitte der angreifenden Reißer.

Aber es war nicht genug. Es waren zu viele von den Reißern, und mehr kamen hinzu. Der Fremdling hatte nur erreicht, dass er zusammen mit Leviathan getötet würde.

Dann erzitterte das Wasser von einer neuen Vibration: einem Chor auf- und absteigender Töne, die in vollkommenem Gleichklang durch den Ozean dröhnten.

Die Sippe.

18. RETTUNG

Ehrfürchtig und in staunender Faszination beobachtete Grant das Geschehen, so hingerissen, dass er die Schmerzen vergaß, die seinen Körper peinigten, sogar die Schmerzen, die die Zheng He erlitt. Dieses gewaltige, großartige Lebewesen kämpfte mit den Haien, erwehrte sich ihrer in einem Ringen, dessen Auswirkungen die winzige Tauchsonde wie ein Stückchen Treibholz herumwarfen.

Die Zheng He wurde von den Wirbeln und wilden Wellen, die vom Kampf ausgehend durch den Ozean liefen, unberechenbar hin und her gestoßen, hochgehoben und wieder hinabbefördert. Grant sah, dass die Haie die dicke Panzerhaut des Riesenwals aufrissen, mit Zähnen, von denen jeder Einzelne die Größe einer Motorsäge hatte, quadratmeterweise Fleisch zerfetzten. Der Wal wehrte sich nach Kräften, aber es schien ein auf längere Sicht hoffnungsloser, einseitiger Kampf zu sein. Hier und dort trieb ein zerschlagener Hai hilflos davon und färbte das Wasser mit Wolken seiner Körperflüssigkeiten. Aber die anderen griffen weiter an, und ihre blutgierige Raserei schien von Minute zu Minute wilder und wütender zu werden.

Verschwinde!, sagte sich Grant. Mach dich davon, während sie damit beschäftigt sind, sich gegenseitig umzubringen!

Aber er konnte nicht. Ganz gleich, wie sein rationaler Verstand ihm einredete, dass diese Lebewesen einander die ganze Zeit bekämpften, dass dies ihre Welt sei und er keinen Platz darin habe, dass er ohnehin nichts tun könne, um zu helfen — trotzdem verweilte Grant im Randbereich des titanischen Ringens.

Aber vielleicht konnte er doch etwas ausrichten. Grant fuhr die Triebwerke hoch und bewegte sich auf die Flanke des Riesen zu. Es war wie das Vorbeifahren an einem Gebirgszug, der hoch und mächtig neben ihm aufragte. Obwohl er sich wie ein Insekt vorkam, das sich einem Elefanten näherte, lenkte Grant die Tauchsonde in den Kampf mit der Hoffnung, dass die Hitze aus den Triebwerksdüsen einige der Haie kochen oder wenigstens verscheuchen würde.

Es wirkte, war aber nicht genug. Die Haie mochten den hoch erhitzten Dampf nicht, sie flohen vor der Abgasfahne der Tauchsonde, aber Grant sah, dass sie sich bloß ein Stück weiter bewegten und ihre Angriffe gegen die Flanke des gewaltigen Wales dort wieder aufnahmen.

Die ruderartigen Flossen des Wals waren ungefähr von der Größe der Zheng He. Es gab Reihen und Reihen von ihnen, zu Hunderten. Und über ihnen waren Augen. Es war unheimlich, Hunderte von Augen zu sehen, die alle auf ihn gerichtet waren, ihn beobachteten, anstarrten.

Grant bewirkte kaum etwas. Die Haie wichen der Tauchsonde einfach aus. Der Wal war so groß, dass er den Haien genug andere Angriffsflächen bot. Es wäre eine Flotte von Tauchbooten erforderlich gewesen, um dieses eine Lebewesen zu schützen.

Verschwinde, sagte Grant sich noch einmal. Du kannst hier nicht helfen. Verschwinde, so lange du kannst.

Plötzlich begann die Zheng He von einem unheimlichen an- und abschwellenden Geräusch zu dröhnen. Die Frequenzen wechselten regelmäßig wie die einer Alarmsirene, nur waren sie viel tiefer, sodass sie beinahe wie die tiefste Bassnote der größten Kirchenorgel klangen. Ein Ruf zu den Waffen, wie er vom Erzengel Gabriel selbst hinausposaunt sein könnte. Er wurde rasch lauter, schmerzhaft lauter, dass die Brücke vibrierte und Grants Ohren mit einem ungeheuren, beängstigenden und überwältigenden Dröhnen erfüllte.

Die Haie brachen ihren Angriff ab, zogen sich vom Wal zurück und schienen an Ort und Stelle zu verharren, einige mit großen Brocken Walfleisch in den Zähnen.

Das ungeheure hallende Tönen war schmerzhaft, als ob heiße Nadeln in Grants Ohren gestoßen würden. Und immer lauter dröhnte es, bis er nichts mehr hören konnte. Der Schmerz durchbohrte seinen Schädel wie ein Bohrer. Gleichzeitig wurde die Vibration stärker und bewirkte, dass Einzelne der kleinen Kontrollschirme an den Konsolen zersprangen und in Schauern von Kunststoffscherben und elektrischen Funken zerplatzten. Die ganze Brücke vibrierte immer stärker, die Sichtverhältnisse verschlechterten sich, als die Bordsensoren nacheinander ausfielen. Der große Wandbildschirm zerplatzte und spie Funken und Scherben über die Brücke. Grant zog den Kopf ein, als Kunststoffscherben durch die Flüssigkeit um ihn vorbeisegelten, zum Glück verlangsamt durch das dickflüssige Perfluorcarbon. Die konzentrischen Hüllen der Tauchsonde zitterten und dröhnten wie Glocken, die von einer gigantischen Eisenfaust angeschlagen wurden.

Wie eine Schule kleiner Elritzen, die plötzlich vereint handelnd davonschießt, machten die Haie gleichzeitig kehrt und flohen. Einen Augenblick hingen sie noch überall lauernd im Wasser, alle der Quelle des unheimlichen Tönens zugekehrt, im nächsten Augenblick waren sie fort und hinterließen nichts als Wasserwirbel und Blasen.

Die jähe Turbulenz ihrer Flucht warf die Zheng He hin und her und auf den Rücken. Grant hielt sich mit einer Hand an seiner Konsole fest und biss die Zähne zusammen. Er konnte nicht sagen, ob die wütenden Schmerzen seinem eigenen Körper entsprangen oder Signale der Sonde waren. Aber was machte es schon? Konnte es überhaupt noch schlimmer werden?

Die Tauchsonde war außer Kontrolle. Die von den Haien erzeugte Turbulenz hatte Grants Fähigkeit, die Zheng He in ausgetrimmtem Zustand zu halten, überwältigt. Die Triebwerke drückten die Tauchsonde jetzt abwärts, und sie kreiste in einer trägen, unkontrollierbaren Spirale hinab, wie ein Flugzeug, das in Zeitlupe abtrudelt. Der Gedanke schoss Grant durch den Kopf, dass der nächste feste Boden Zehntausende von Kilometern unter ihnen sein musste, tief in Jupiters heißem, dichtem Kern. Aber lange bevor sie auf etwas Festes treffen würden, würden sie zermalmt und gekocht sein.

Mit zunehmendem Schrecken versuchte er die Tauchsonde mit Handsteuerung wieder unter Kontrolle zu bringen, aber nicht einmal die Triebwerke reagierten auf seine Befehle. Etwas musste schwer beschädigt sein, sagte sich Grant. Wir werden sterben. Wir werden sterben. Wenn nur Krebs bei Bewusstsein wäre, dachte er, sie könnte imstande sein, die Steuerung zu handhaben und uns aus dieser Lage zu retten. Oder vielleicht Zeb.

Er wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte die Sonde nicht aufrichten.

Die Zheng He sank tiefer und tiefer.

Grant war jetzt völlig taub, als wären seine Ohren mit dicken Handtüchern oder isolierenden Schichten umwickelt. Undeutlich sah er durch die wenigen, noch arbeitenden Sensoren etwas, das ihn bis ins Innerste erschütterte. Dutzende der immensen, kilometerlangen Jovianer, vielleicht hundert oder mehr, glitten mit hoher Geschwindigkeit durch das Wasser auf ihren verwundeten, erschöpften Artgenossen zu.

Mein Gott, dachte Grant, als die gigantischen Lebewesen näher kamen, wir haben nur einen kleinen Teil der Herde erblickt. Es sind so viele von ihnen! Und sie sind so riesenhaft!

Viele von ihnen waren noch wesentlich größer als derjenige, der gegen die Haie gekämpft hatte. Alle blinkten Lichter und signalisierten einander in gleißenden roten, gelben und dem durchdringenden Hellgrün zu. Ihre Lichtsignale erhellten in weitem Umkreis das Wasser.

Aber die Zheng He sank in langsamen Spiralen tiefer, drehte sich immer wieder um ihre Achse, trotz Grants verzweifelter Bemühungen, die Kontrolle zurückzugewinnen.

Eine Berührung seiner Schulter ließ ihn zusammenfahren. Er wandte den Kopf und sah, dass es Karlstad war, der ihn mit ängstlich aufgerissenen Augen anstarrte. Der Mann bewegte die Lippen, aber Grant konnte nichts hören. Als er zu sprechen versuchte, konnte er seine eigene Stimme nicht hören.

Karlstad hob die Hände und zeigte mit beiden Zeigefingern auf seine Ohren. Auch er war taub geworden.

Die Brücke war ein Durcheinander. Die meisten Bildschirme waren herausgeplatzt. Kunststoffsplitter und faseroptische Drähte von den unbesetzten Konsolen trieben nutzlos in der schwachen Notbeleuchtung.

Karlstad stieß sich zu der Konsole links von Grant und bediente die Tastatur. Auf dem einzigen intakten Bildschirm erschien in leuchtenden orangegelben Buchstaben:

WIR MÜSSEN RAUS HIER.

Grant zuckte hilflos die Achseln.

AUFWÄRTS!, tippte Karlstad.

Grant wusste durch seine Anschlüsse, dass die Triebwerke mit einem Bruchteil ihrer Leistung liefen, aber da er die Tauchsonde nicht steuern konnte, fürchtete er, dass er sie noch tiefer in die dunkle heiße Tiefe treiben würde, wenn er die Leistung hochfuhr. Was sollte er tun? Was konnte er tun? In seiner Verzweiflung schaltete er die Triebwerke ganz aus.

ZU VIEL DRUCK!, tippte Karlstad.

Plötzlich wurde Grant klar, was er tun musste. All diese Information musste zur Station zurückgebracht werden. Wir werden es nicht schaffen, dachte er, aber die Information muss Dr. Wo und die anderen erreichen.

Er wandte sich zur Tastatur seiner Konsole und schrieb: DATENKAPSEL.

Karlstads Finger flogen über seine Tastatur. NICHT JETZT. WIR MÜSSEN NÄHER ZUR OBERFLÄCHE.

JETZT, beharrte Grant. SCHIESSEN SIE ZWEI.

Karlstad starrte ihn an, verstand endlich, was er zu sagen versuchte. Wir sind so gut wie tot; es bleibt uns nichts übrig als diese Geste, Daten zur Station zu schicken.

Grant packte ihn bei der Schulter und schüttelte ihn, tippte mit der anderen Hand in seine Tastatur: TUN SIE ES. ZWEI.

Karlstad starrte ihn an, schloss einen Moment lang die Augen, nickte dann sein Einverständnis. Er beugte sich über seine Konsole und schrieb: ZWEI NICHT NOTWENDIG. DATENKOMPRESSION.

Grant drückte ihm den Arm. SCHICKEN SIE ZWEI, wiederholte er. REDUNDANZ.

Obwohl eine Kapsel alle Daten enthalten konnte, die sie aufgezeichnet hatten, wollte Grant nicht das Risiko einer einzigen Kapsel eingehen, die vielleicht versagen und nicht ankommen würde. Er dachte daran, alle vier verbleibenden Kapseln abzuschießen, entschied dann aber, dass zwei ausreichen würden. Mit den wenigen, noch betriebsfähigen Sensoren konnte er weitere Daten aufzeichnen. Die letzten Datenkapseln würde er schicken, wenn das Ende unmittelbar bevorstand.

Als er seine Aufmerksamkeit wieder den Sensoren zuwandte, sah Grant, dass die Wale jetzt in einiger Entfernung über ihnen waren. Die Jovianer umringten ihren verwundeten Kameraden und blinkten mit enormer Geschwindigkeit Lichtsignale hin und her. Grant gewann den Eindruck, dass sie miteinander diskutierten.

Zwei von ihnen glitten abwärts. Entlang ihren riesenhaften Flanken blinkten Lichter.

Versuchen sie sich mit uns zu verständigen? Der Gedanke erschreckte Grant.

Die Zheng He sank noch immer langsam abwärts, trotz Grants Bemühungen, sie wieder aufzurichten und unter Kontrolle zu bringen. Die Bordsysteme reagierten nicht auf seine Kommandos. Wie er sich auch direkt und über Handsteuerung bemühte, sie sanken in langsamen Spiralen tiefer. Unterstützungssysteme, dachte Grant. Für jedes der Hauptsysteme musste es ein Unterstützungssystem geben. Aber die meisten von ihnen waren auch außer Betrieb, sah er.

Mehrere weitere Jovianer glitten hinab zur Tauchsonde, sah Grant, schwammen in weiten Kreisen um das verwundete kleine Tauchboot, blinkten in unaufhörlichen komplizierten Abfolgen mit ihren Lichtern.

Wieder fragte sich Grant, ob es Verständigungsversuche sein mochten. Ohne lange zu überlegen, schaltete er die Außenlichter ein. Nur zwei arbeiteten noch, und eines von ihnen flackerte trübe.

Und die Wale passten sich in weniger als einem Herzschlag genau der Rate des Flackerns an. Grant stockte der Atem. Die Zeichen, die über die immensen Flanken der Wale liefen, waren bei weitem zu kompliziert um sie zu deuten, aber sie blinkten mit derselben Rate wie das Flackern des schadhaften Scheinwerfers ein und aus.

Mimikri oder Intelligenz?, fragte sich Grant.

Karlstad stieß seine Schulter an und erschreckte Grant.

WIR MÜSSEN HINAUF!!!, hatte Egon auf seiner Tastatur geschrieben.

Ich kann nicht, bekannte Grant stumm. Es geht nicht. Aber seine Finger tippten: ICH VERSUCHE.

Grant schaltete ein Diagnoseprogramm ein. Der Mut verließ ihn, als die Resultate vor seinen geschlossenen Augenlidern erschienen. Die Triebwerke waren ausgeschaltet; ihr Zustand blieb unklar. Der Riss in der äußeren Hülle war breiter und länger geworden, verzweigte sich wie ein Riss auf einem eisbedeckten Teich. Die inneren Hüllen waren noch intakt, aber der Druck betrug fast das Doppelte der zulässigen Belastung. Es war nur noch eine Frage von Minuten, bevor sie nachgeben mussten. Am schlimmsten aber war, dass die Tauchsonde noch immer sank. Die Steuerleitwerke waren nutzlos, ihre kleinen Steuerdüsen zu schwach, um die Sonde aus der absinkenden Spirale zu drücken.

»Wir sind erledigt«, sagte Grant. Er konnte die Worte nicht hören. Auch Karlstad, einen Meter neben ihm, der in diesem Augenblick die beiden Datenkapseln abschoss, konnte sie nicht hören.

19. LEVIATHAN

Leviathan sah, dass der Fremdling versuchte, zu ihnen zu sprechen. Seine Sprache war eigentümlich: ein gleichmäßiges Licht und eins, das in unregelmäßigem Rhythmus blinkte. Was konnte es bedeuten?

Leviathan ging tiefer und beobachtete, wie der Fremdling in langsamen Spiralen abwärts zum heißen Abgrund sank. Mehrere der Sippe kreisten in der Nähe, beobachteten, riefen ihn an, versuchten seine rätselhaften Signale zu imitieren.

Er ist verletzt, blinkte Leviathan der Sippe zu.

»Ja, es scheint so«, stimmte einer der Alten zu. »Er kocht das Wasser nicht mehr.«

Trotzdem beschränkten sie sich auf die Beobachtung. Das Absinken in den heißen Abgrund wird ihn töten, dachte Leviathan. Er kam von der Kälte oben, muss so sehr verletzt sein, dass er sich nicht helfen kann.

Er wird sterben, blinkte er den Alten zu.

Die Alten schwammen geduldig um den verwundeten Leviathan und antworteten alle gleichzeitig: Vielleicht beginnt er zu knospen.

Er ist zu klein, um zu knospen, blinkte Leviathan.

Wie kannst du das wissen? Dieses fremde Wesen wird seine eigenen Gewohnheiten haben.

Wir können nicht zulassen, dass der Fremdling stirbt, ohne ihm zu helfen, blinkte Leviathan.

Helfen? Wie?

Ihm helfen, zum oberen Abgrund hinaufzugehen, woher er gekommen ist.

Was würde das Gutes bewirken?

Das ist seine Heimat. Selbst wenn er sterben muss, können wir ihm helfen, im Bereich seines Ursprungs zu sterben.

Die Alten wurden dunkel und dachten nach. Es fiel ihnen schwer, neue Ideen anzunehmen.

Leviathan entschied, dass er nicht warten würde, bis sie es sich überlegt hätten.

20. ERLÖSUNG

Grant war, als steckte sein ganzer Körper in einem Schraubstock, der ihn unerbittlich zerquetschte. Undeutlich erinnerte er sich, gelesen zu haben, dass die Puritaner in Massachusetts während der Hexereihysterie in Salem einen Mann mit schweren Steinen zerquetscht hatten.

Er fing an zu beten, aber der Gedanke, der ihn beherrschte, war: Ich will nicht sterben. O Gott, lass mich nicht sterben. Nicht hier, in dieser dunklen, fernen See. Hilf mir, Herr! Hilf mir!

Karlstad hielt sich neben ihm an seiner Konsole fest und starrte geistesabwesend in irgendein inneres Universum, das seine Seele füllte. Sein Körper war gekrümmt, als wollte er eine schwerelose Fötuslage einnehmen. Er hat aufgegeben, dachte Grant. Er weiß, dass es aus mit uns ist.

Trotzdem gingen seine Finger über die Tastatur, versuchten das sinkende Tauchboot unter Kontrolle zu halten, suchten Verbindungen zu den Unterstützungssystemen, um sie in Gang zu setzen.

Hilf mir, Gott!, bat er. Sag mir nicht, das dieser Ozean jenseits Deines Reiches ist. Gott des Universums, hilf mir!

Die Tauchsonde erbebte.

Grant sah instinktiv auf, wandte sich zu Karlstad. Auch der regte sich, blinzelte.

Die Brücke schien sich zu neigen, dann richtete sie sich auf. Grant schwebte frei von seiner einen intakten Bodenschlaufe, dann berührten seine Füße wieder das Deck.

Er schloss die Augen und versuchte durch die wenigen noch intakten Sensoren hinauszusehen. Nichts. Nur ein fleckiges Grau. Das Schiff zitterte wieder, schwankte. Eines der glimmenden roten Lichter auf Grants Konsole wurde plötzlich bernsteingelb, dann grün.

Als er durch die Bordsensoren spähte, erkannte Grant, dass er eine immense Strecke von einem Jovianer sah, so nahe, dass sie die Tauchsonde berührte und sanft anstieß, wie ein Elefant, der auf seinem Rücken vorsichtig einen Kinderwagen balanciert.

Er konnte kaum atmen. Ein Blick auf seine ramponierte Konsole zeigte ihm, dass das grüne Licht die Lageanzeige war. Die Zheng He sank nicht länger kieloben in Spiralen abwärts.

Er schüttelte Karlstad bei der Schulter, dann tippte er: SENSOREN.

Egon leckte sich trotz ihrer flüssigen Umgebung reflexhaft die Lippen, dann zapfte er die Sensoren an.

Grant schloss die Augen und sah, dass die Tauchsonde auf dem gigantischen Rücken eines der Wale ruhte. Nein, nicht bloß irgendeines von ihnen; es war der Jovianer, der von den Haien angegriffen worden war. Grant konnte breite Stellen rohen Fleisches sehen, wo die Haie ihm die dicke Panzerhaut abgerissen hatten.

WIR STEIGEN?, fragte Karlstad.

JAA! Grants Herz hämmerte gegen die Rippen. Ein Schutzengel! Ein Millionen Tonnen schwerer, zwei Kilometer langer jovianischer Schutzengel trägt uns aufwärts und hinaus …

Sein Hochgefühl versiegte. Der Jovianer kann uns nicht aus dem Ozean tragen. Er kann uns nicht heimfliegen.

Die Triebwerke. Grant überprüfte die gesamten Antriebs- und Energiesysteme. Der Fusionsreaktor war unbeschädigt und arbeitete normal. Die Triebwerke konnten sie lange genug durchhalten, um die Sonde aus dem Ozean zu heben, durch die Atmosphäre und die Wolken, hinaus in die Umlaufbahn?

DATENKAPSELN, tippte Grant. Selbst wenn sie es nicht schafften, sie mussten alle Informationen und Daten durchgeben. Er arbeitete an seiner Tastatur, während Karlstad die beiden letzten Datenkapseln vorbereitete.

Sie stiegen jetzt rasch aufwärts. Durch die Bordsensoren konnte Grant die gesamte Gemeinschaft der Jovianer sehen, die in weiten Kreisen um sie schwamm, glatt und schlank, trotz ihrer immensen Größe fast ohne Turbulenzen, obwohl sie weitaus schneller waren als die Zheng He es aus eigener Kraft hätte fertigbringen können. Die Jovianer blinkten Signale hin und her; Bilder, vermutete Grant und hoffte, dass die Bordkameras noch gut genug arbeiteten, um alles aufzuzeichnen.

Die Triebwerke waren noch abgeschaltet. Konnte er sie zünden, ohne ihr Versagen zu provozieren? Dann kam ihm ein neuer Gedanke: er konnte die Triebwerke nicht zünden, solange die Sonde auf dem Rücken des Jovianers ruhte. Der überhitzte Dampf würde ihn verletzen.

Würde er das? Ja, natürlich, sagte er sich. Der Jovianer ist aus Fleisch gemacht; seine Haut ist kein Hitzeschild. Mit dem heißen Plasma der Schubdüsen hatte er ein paar Haie getötet. Es musste den Jovianer verletzen.

Aber wenn er die Triebwerke nicht zündete, würden sie niemals aus dem Ozean hinauskommen. Der Wal konnte sie nur bis in eine bestimmte Höhe tragen; den Rest des Weges mussten sie mit eigener Kraft zurücklegen.

Grant wandte sich zu Karlstad, aber der würde jetzt keine Hilfe sein, sah er. Er stand steif an seinem Platz, die Fäuste geballt, die Augen fest geschlossen, und beobachtete die Vorgänge draußen durch die Bordsensoren.

Eine Entscheidung war nötig.

Er rief das Flugprogramm ab, dann instruierte er den Computer, ihre gegenwärtige Steiggeschwindigkeit zu berechnen und in das Programm einzubeziehen. Nach atemlos langen Augenblicken zeigte der Bildschirm eine graphische Darstellung mit einer grünen Kurve, die den zur Erreichung der Umlaufbahn erforderlichen Schubvektor darstellte. Die Berechnung ergab, dass er ein sehr kleines Fenster hatte, innerhalb dessen die Triebwerke gezündet werden mussten. Es würde sich in zwölf Sekunden öffnen und eine halbe Minute später schließen.

Trotz seiner Gewissensbisse zögerte Grant nicht länger und ließ die Triebwerke anlaufen. Behutsam, mit nur minimaler Leistung. Damit hoffte er den Jovianer rechtzeitig zu warnen. Der Riesenwal hatte wie die erste Stufe einer Rakete gewirkt und die Zheng He eine Anfangsgeschwindigkeit in dem langen Ringen verliehen, das die Tauchsonde aus Jupiters massivem Schwerefeld befreien sollte.

Keine nette Art, jemand zu behandeln, der einem das Leben gerettet hatte, sagte sich Grant, aber unumgänglich. Tut mir Leid, großer Freund.


* * *

Sogar durch seine dick gepanzerte Haut fühlte Leviathan die Hitze. Seine Sensoren gaben Alarm. Die anderen seiner Sippe, die mit ihm schwammen, blinkten gleichfalls Warnungen.

Leviathan zögerte nur einen Moment, dann tauchte er tiefer und überließ den Fremdling sich selbst. Die Alten blinkten überlegene Weisheit: Der Fremdling belohnt dich mit Schmerz.

Ihre Art ist anders als die unsrige, antwortete Leviathan.

Umso besser, blinkten die Alten. Wir hätten nicht viel höher in die Kälte steigen können. Komm und lass uns in unsere Heimatregion zurückkehren und die Symmetrie wiederherstellen.

Leviathan stimmte widerwillig zu. Aber er warf dem winzigen, zerbrechlichen Fremdling einen letzten Blick zu. Der schoss jetzt durch das Wasser aufwärts, angetrieben vom heißen Dampf, der aus seinen Öffnungen schoss, hinauf in den kalten Abgrund.

Der Dampf stößt ihn durch das Wasser!, wunderte sich Leviathan. Wie die Reißer gebrauchte er den Rückstoß, statt sich mit Flagellen fortzubewegen!

Und er sauste hinauf in den kalten Abgrund. Dort musste er sein wollen. Das musste seine Heimatregion sein.

Wie konnte dort oben etwas leben?, fragte sich Leviathan. Es gibt so vieles, was wir nicht wissen, so vieles zu lernen.


* * *

Eben noch wurden sie vom breiten Rücken des Jovianers durch den Ozean aufwärts getragen. Dann, als Grant die Triebwerke eingeschaltet hatte, stieß der Jovianer sie von seinem Rücken und tauchte abwärts, kehrte zurück in die wärmeren Schichten des Ozeans. Grant steigerte die Triebwerksleistung bis zum Maximum, und die Zheng He stieg mit rasch wachsender Beschleunigung aufwärts. Die aufgerissene und verbeulte Außenhülle klapperte und schüttelte wie ein altes zerbrechliches Flugzeug, das in einen Sturm geraten ist.

Sogar im dickflüssigen Perfluorcarbon konnte Grant die wachsende Beschleunigung fühlen, während er den einzigen noch funktionsfähigen Bildschirm an seiner Konsole beobachtete. Ein roter Punkt zeigte die Position der Tauchsonde entlang der grünen Kurve der berechneten Flugbahn. Sie waren nahe an der Kurve, nicht genau darauf, aber nahe daran.

Nahe genug?

Vielleicht, entschied er. Wenn die Sonde lang genug zusammenhielt. Dann fiel ihm der Rest der Besatzung ein. Er fasste Karlstad wieder bei der Schulter und schüttelte ihn aus seiner Konzentration auf die Sensoren.

Er tippte auf der Tastatur: ZEB? LANE? KREBS?

Karlstad zuckte hilflos die Achseln.

SEHEN SIE NACH!, befahl Grant.

Langsam löste Karlstad seine Verbindungen und schwamm zur Luke. Sie war verschlossen, und er musste den Code eingeben, um sie zu öffnen. Offenbar hatte sie sich automatisch geschlossen, als die Turbulenzen die Tauchsonde geschüttelt hatten.

Grant stand allein im zerschlagenen Brückenraum und fühlte, wie die Triebwerke gegen den Widerstand der Schwerkraft und des Wassers ankämpften, um zunächst die tiefe, von Stürmen durchtoste Atmosphäre und dann die stille Leere des Raums zu gewinnen.

Karlstad kam zurück. Ohne seine Biochips wieder anzuschließen, tippte er: HABE SIE IN DEN KOJEN FESTGESCHNALLT.

WIE GEHT ES IHNEN?, fragte Grant.

ALLE BEWUSSTLOS. ZEB HAT INNERE BLUTUNGEN, KREBS GEHIRNERSCHÜTTERUNG, VIELLEICHT SCHLIMMERES. LAYNIE IM KOMA, KEINE ERKENNBAREN PHYSIOLOGISCHEN SYMPTOME. WIE STEHT'S MIT DER RÜCKKEHR?

MAN BEMÜHT SICH, tippte Grant.

WAS IST MIT KAPSELN?

Grant überlegte kurz, dann tippte er: ABWARTEN.

Langsam vertickten die Sekunden und Minuten, während die Tauchsonde höher stieg, gebeutelt von turbulenten Strömungen. Sie mussten sich der Oberfläche des Ozeans nähern. Durch die Sensoren war unendliche Dunkelheit zu sehen, unterbrochen nur von einem gelegentlichen Lichtschimmer, so schwach, dass er verschwunden war, als Grant seine volle Aufmerksamkeit darauf lenkte. Tiere mit Leuchtorganen? Optische Illusionen? Oder vielleicht nur nervöse Impulse seiner eigenen Gehirnzellen, die unter den Druckverhältnissen ihren Dienst zu versagen drohten.

Da er nichts hören konnte, fühlte er die vibrierende Kraft der Triebwerke wie das animalische Brüllen einer gewaltigen Bestie, die in einer Mischung von wütender Energie und Schmerz ihren Empfindungen Luft machte. Macht weiter, sagte er in stummer Beschwörung zu den Triebwerken. Nur noch ein paar Minuten, nicht mal eine halbe Stunde. Ihr könnt es. Macht nur weiter. Aber die Schmerzen nahmen zu. Die Triebwerke gingen einem katastrophalen Versagen entgegen; die Frage war nur, wann es so weit war.

Die Sicht nach draußen schien sich etwas aufzuhellen. Die völlige Finsternis machte widerwillig einer grauen Tönung Platz. Ja, es wurde draußen deutlich heller, sah Grant; es war wie die zögernde Dämmerung eines Winter morgens.

Er fühlte einen Druck am Arm und wandte sich zu Karlstad.

WIR KOMMEN RAUS, hatte Karlstad getippt.

Ja, dachte Grant. Wenn die Triebwerke durchhalten.

Es wurde nun merklich heller draußen. Sie stiegen durch die dunstige Region zwischen dem Ozean und der dichten Wolkenatmosphäre aus Wasserstoff und Helium.

KAPSELN BEREIT?, fragte Grant.

JA!!

Grant schaltete an seiner Konsole die Verbindung zur Sendeanlage ein. Nichts. Die Verbindung war unterbrochen.

IHRE KOMMUNIKATIONSVERBINDUNG INTAKT?, fragte er Karlstad.

Egon schaltete ein, und seine Kontrollleuchte zeigte Bereitschaft an.

»Hier ist die Forschungssonde Zheng He«, sagte Grant, obwohl er seine eigene Stimme nur als ein kaum artikuliertes dumpfes Dröhnen im Schädel hörte. Er hoffte, das Kommunikationssystem würde seine Stimme besser aufnehmen. »Wir verlassen den Jupiterozean, hoffen die Umlaufbahn zu erreichen und zur Forschungsstation Gold zurückzukehren.«

Er redete weiter und weiter, ohne eine klare Silbe seiner eigenen Erklärung zu hören, während die beschädigte Tauchsonde vibrierend, klappernd und kreischend auf ihrer Abgasfahne aus sternheißem Plasma zu den dahinjagenden Wolken und Strahlströmen der Jupiteratmosphäre hochstieg. Karlstad stand an seiner Konsole, verbunden mit den restlichen intakten Bordsystemen, unfähig, etwas von Grants langer Rede zu hören.

Endlich war er fertig. Zheng He stieg jetzt durch klare Atmosphäre. In weiter Ferne konnte Grant eine Gruppe ballonartiger Medusen langsam durch die Luft treiben sehen.

Er tippte: KAPSELSENDER AUF BREITEST MÖGLICHEN FREQUENZBEREICH EINSTELLEN — VOLLES SPEKTRUM.

Karlstad sah ihn erstaunt an. NICHT NÖTIG.

WICHTIG. TUN SIE ES, BEHARRTE GRANT.

Karlstad zuckte die Achseln und folgte der Aufforderung.

KAPSELN BEREIT, tippte er nach einer Weile.

BEIDE KAPSELN ABSCHIESSEN.

ERLEDIGT.

Die Triebwerke waren inzwischen dem Versagen nahe. Grant fühlte es als Schmerz, der über beide Schultern und den Rücken abwärts brannte. Die Unterseite der Wolkendecke rückte näher und näher. Die graphische Darstellung auf seinem einzigen funktionstüchtigen Bildschirm zeigte, dass sie beinahe Orbitalgeschwindigkeit erreicht hatten und weitgehend der vorgezeichneten grünen Kurve folgten, aber wenn die Triebwerke versagten, so lange sie unter den Wolken oder auch in ihnen waren, würden atmosphärischer Druck und Schwerkraft sie zu einem endgültigen feurigen Absturz in den Ozean zwingen.

Blitze zuckten durch die Wolken über ihnen. Durch die Bordmikrofone konnte Grant das Poltern von Donner hören. Das Gehörzentrum in seinem Gehirn musste noch funktionieren; offenbar waren es nur die Ohren, die geschädigt waren.

Sie erreichten die Zone der Stürme, und sofort begann der Wind die Sonde anzufallen. Grant beobachtete den winzigen roten Punkt auf seiner langsamen Wanderung entlang der grünen Kurve. Beinahe dort. Viel fehlt nicht mehr.

Schon waren sie in den Wolken. Orkanböen schüttelten und stießen die Sonde herum. Der von den Triebwerken auf sein Nervensystem übertragene Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen.

Alles wurde dunkel. Für einen Moment dachte Grant, die Lichter seien wieder ausgegangen, dann aber erkannte er, dass er vor Schmerzen nicht klar denken konnte. Draußen war alles schwarz, sie waren in den dichten Wolken. Nur durchhalten, befahl er sich. Nur noch ein paar Minuten. Nicht nachlassen.

Er konnte es nicht hören, wusste aber, dass er schrie; sein Schädel vibrierte davon. Die Triebwerke drohten zusammenzubrechen, ganze Stücke der verbeulten Schubrohre wurden weggerissen und flogen davon. Die supraleitenden Spulen explodierten und entließen ihre angestaute Energie in einer Druckwelle, die eine breite Schneise in die äußere Hülle der Sonde riss. Für Grant war es, als würde ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen und das Fleisch darunter von den Krallen eines bösartigen Raubtiers aufgerissen.

Er presste die Augen zu. Der Schmerz verschwand, doch seine Erinnerung hallte brutal bis in die feinsten Nervenenden wider. Jeder Muskel in Grants Körper war wund, steif, zerschunden.

Er war nahe daran, das Bewusstsein zu verlieren. Mit geschlossenen Augen sah er winzige helle Lichtpunkte von Sternen über die Dunkelheit verstreut.

Etwas, jemand schüttelte ihn. Als er die Augen öffnete, sah er, dass es Karlstad war, der hysterisch lachte, obwohl Grant nichts hören konnte.

Karlstad gestikulierte und zeigte zu einem der kleinen Bildschirme der unbesetzten Konsole rechts neben Grant. Dort war die gleiche Ansicht zu sehen, die Grant mit geschlossenen Augen gesehen hatte: die Ansicht, die von den Bordsensoren aufgefangen wurde.

Die Sterne.

Die stille schwarze Unendlichkeit des Raums. Auf einer Seite die Krümmung eines gefleckten orangeroten Mondes. Io, bemerkte Grant. Und dann glitt die massive Flanke des mächtigen Jupiters in Sicht, vielfarbige Wolkenstreifen jagten weit unter ihnen dahin.

»Wir haben es geschafft!«, sagte Karlstad mit Lippenbewegungen.

Grant schloss die Augen und sah die gleiche Aussicht, die der Bildschirm zeigte, nur klarer, in schärferen Einzelheiten. Wir haben es geschafft, erkannte er. Wir sind in einer Umlaufbahn.

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