II

Seine Unterkunft befand sich in einem kleinen Unterabschnitt, der eines Tages die Sektion des Hospitals mit geringer Schwerkraft, die sogenannte MSVK-Abteilung, beherbergen sollte, und zwar samt Operationssaal und der chirurgischen Station mit den direkt anschließenden Versorgungsräumen. Zwei kleine Räume mit einem Verbindungsgang waren mit den notwendigen Druck— und Schwerkraftverhältnissen auf O’Maras Bedürfnisse angepaßt worden, den Rest der Konstruktion hatte man im luftleeren und somit schwerelosen Zustand belassen. O’Mara schwebte durch kurze, unfertige Gänge und Korridore, die in den freien Raum endeten, und blickte in die kahlen, rechteckigen Kabinen, an denen er vorbeiglitt. Überall zogen sich Installationsleitungen entlang und in jeder freien Ecke standen halb zusammengebaute Geräte, deren Verwendungszweck man unmöglich erahnen konnte, wenn man keinen MSVK-Lehrgang absolviert hatte. Aber sämtliche Kabinen, die er inspizierte, waren entweder zu klein, um den Alien aufzunehmen, oder waren in einer Richtung offen zum All. O’Mara murmelte einen leisen, aber um so befreienderen Fluch vor sich hin, stieß sich zu einer der zerklüfteten Grenzen seiner winzigen Domäne ab und starrte trotzig in sämtliche Richtungen.

Über und unter ihm und zu allen Seiten schwebten bis zu einer Entfernung von fünfzehn Kilometern Teile des Hospitals, die man nicht hätte sehen können, wären nicht die hellen blauen Warnleuchten gewesen, die man eigens für den Schiffsverkehr in dieser Region überall angebracht hatte. O’Mara hatte fast das Gefühl, als befände er sich im Zentrum eines dichten, kugelförmigen Sternhaufens; eigentlich eine angenehme Vorstellung, wenn man die entsprechende Genießerlaune dazu hatte. Ihm war aber nicht danach zumute, denn auf fast sämtlichen dieser schwebenden Unterabschnitte hielten Pressorstrahlentechniker Wache, die dort stationiert waren, um eventuell drohende Kollisionen von Sektionen abzuwenden.

Und selbst wenn er lediglich vorgehabt hätte, das Alienbaby nur zum Füttern nach draußen zu bringen, würden es diese Männer mitbekommen und Caxton sofort davon berichten.

Anscheinend waren Nasenpfropfen die einzige Lösung, dachte er angewidert, während er sich auf den Rückweg machte.

In der Schleuse wurde er von einem Lärm empfangen, der an das blecherne Geräusch eines Nebelhorns erinnerte. Das Alienbaby stieß immer wieder langanhaltende, disharmonische Laute aus, und zwar in solch geringen Abständen, daß ihm dazwischen gerade noch Zeit genug blieb, sich vor dem nächsten Auftreten des Geräusches zu fürchten. Nach eingehender Untersuchung konnte er durch die letzte Nahrungsschicht hindurch freie Hautstellen entdecken, und da sein kleiner Liebling offensichtlich wieder hungrig war, holte er die Spritzpistole.

Als etwa drei Quadratmeter bedeckt waren, gab es eine Unterbrechung — Dr. Pelling war gekommen.

Der Projektarzt nahm nur Helm und Handschuhe ab, spannte die steif gewordenen Finger an und murrte: „Mir wurde gesagt, Sie haben sich am Bein verletzt. Lassen Sie mich mal einen Blick darauf werfen.“

Pelling hätte O’Maras verletztes Bein nicht behutsamer untersuchen können, aber offensichtlich handelte er allein aus Pflichtgefühl und nicht aus Freundschaft. Entsprechend zurückhaltend klang seine Stimme, als er sagte: „Schwere Prellungen und einige Muskelfasern sind gerissen, das ist alles. Sie hatten Glück. Sie müssen das Bein möglichst ruhigstellen. Ich gebe Ihnen etwas zum Einreihen. Ist bei Ihnen neu gestrichen worden?“

„Wie bitte.?“ setzte O’Mara an, dann sah er, wohin der Arzt blickte. „Ach, das ist nur ein Nahrungspräparat. Dieser kleine Bursche hier wollte einfach nicht stillsitzen, während ich ihn besprüht hab. Aber da wir gerade von dem Kleinen sprechen, können Sie mir vielleicht sagen, wie ich.“

„Nein, das kann ich nicht“, unterbrach Pelling ihn. „Mein Kopf ist mit den Leiden meiner eigenen Spezies und den Anwendungen artbezogener Gegenmittel bereits überbelastet, und für FROB-Physiologiekurse ist da kein Platz mehr. Außerdem sind diese Hudlarer ausgesprochen widerstandsfähig — die sind doch fa§t/ gegen alles immun!“ Er schnupperte deutlich vernehmbar und schnitt eine Grimasse. „Warum bringen Sie den Kleinen nicht einfach irgendwo draußen unter?“

„Gewisse Leute haben nun einmal ein zu weiches Herz“, antwortete O’Mara leicht verbittert. „Die empfinden es schon als entsetzliche Grausamkeit, wenn man ein Kätzchen am Genick ergreift.“

„Mhm. wohl wahr, aber das ist Ihr Problem“, sagte der Arzt, wobei er fast mitfühlend wirkte. „In ein paar Wochen sehen wir uns wieder.“

„Warten Sie!“ rief O’Mara eindringlich und humpelte Pelling aufgeregt hinterher, wobei das leere Hosenbein flatterte. „Was ist, wenn etwas passiert? Es muß doch Anleitungen geben, wie man diese Biester pflegt und füttert. Simple Anleitungen. Sie können mich hier doch nicht einfach zurücklassen, ohne. ohne.“

„Ich weiß, was Sie meinen“, entgegnete Pelling. Einen Augenblick lang wirkte er nachdenklich, dann fuhr er fort: „Ich hab bei mir irgendwo ein Buch herumliegen, eine Art Leitfaden für die Anwendung Erster Hilfe bei Hudlarern. Aber es ist in Universal gedruckt und.“

„Ich kann Universal lesen“, unterbrach ihn O’Mara. Pelling sah ihn überrascht an. „Kluges Kerlchen! Also gut, ich werde es Ihnen zukommen lassen.“ Er nickte kurz und verschwand.

O’Mara schloß die Kabinentür des Schlafraums, in der Hoffnung, dadurch den penetranten Geruch verringern zu können. Dann ließ er sich auf der Couch in der Wohnkabine nieder, weil er meinte, eine Ruhepause mehr als verdient zu haben. Er legte das verletzte Bein so, daß der Schmerz fast wohltat, und versuchte sich selbst davon zu überzeugen, seine Lage einfach zu akzeptieren. Aber mehr als eine rein philosophische Gelassenheit kam dabei nicht heraus, denn innerlich kochte er vor Wut.

Andererseits war er derart erschöpft, daß ihm selbst die Anstrengung, sich zu ärgern, zu groß wurde. Seine Augenlider wurden ihm schwer, und ein Gefühl angenehmer Trägheit breitete sich, von Händen und Füßen ausgehend, über seinen ganzen Körper aus. Er seufzte, räkelte sich und machte sich zum Schlafen bereit.

Das Geräusch, das ihn von der Couch hochschnellen ließ, war von der durchdringenden, respekteinflößenden Eindringlichkeit sämtlicher existierender Signalhörner der Galaxis und von einer solchen Lautstärke, daß die Tür zur Schlafkabine aus den Laufschienen zu springen drohte. Instinktiv griff O’Mara nach seinem Raumanzug, ließ ihn aber wieder fluchend fallen, als ihm bewußt wurde, was vorging, dann holte er die Spritzpistole.

Junior hatte wieder mal Hunger.!

Während der folgenden achtzehn Stunden wurde O’Mara immer klarer, was er eigentlich wirklich von hudlarischen Kleinkindern wußte. Zwar hatte er sich mit Hilfe des Translators oft mit den Eltern unterhalten, wobei das Baby häufig das Gesprächsthema gewesen war, aber irgendwie waren die wirklich wichtigen Dinge nie zur Sprache gekommen — Schlaf zum Beispiel.

Nach all seinen aktuellen Beobachtungen und früheren Erfahrungen mit FROBs, schlief deren Nachwuchs anscheinend nie. Während der viel zu kurzen Intervalle zwischen den Fütterungen, tollten die Babies statt dessen in Schlafzimmern herum und zertrümmerten sämtliches Mobiliar, das nicht niet— und nagelfest war — metallene Gegenstände verbogen sie bis zur Unkenntlichkeit und absoluten Unverwendbarkeit — oder sie kauerten sich in eine Ecke und machten Knoten in ihre Tentakel. Wahrscheinlich würde dieser Anblick eines Babys, das praktisch nur mit seinen Fingern spielte, bei einem erwachsenen Hudlarer helles Entzücken hervorrufen, aber O’Mara hatte die Nase ganz einfach gestrichen voll davon.

Und fast auf die Minute genau mußte er die Nervensäge alle zwei Stunden füttern. Wenn er Glück hatte, blieb das Junge ruhig liegen, aber meisten mußte er ihm mit der Spritzpistole hinterherjagen. Normalerweise waren FROBs in diesem Alter noch zu schwach, um herumzutollen — aber das galt nur unter den extremen Schwerkraftbedingungen auf Hudlar. Hier, wo für ihn nicht einmal ein Viertel der gewohnten Schwerkraft herrschte, konnte der kleine Hudlarer nach Lust und Laune herumtollen, was ihm offensichtlich Vergnügen bereitete.

Ganz im Gegensatz zu O’Mara: 1 hatte das Gefühl, sein Körper wäre ein dicker, feuchter Schwamm, der vor Erschöpfung triefte. Nach jeder Fütterung ließ er sich auf die Couch fallen und versank jedesmal fast in Ohnmacht. Er war derart ausgelaugt, daß er fest davon überzeugt war, das nächste Hungertröten der Nervensäge garantiert zu überhören, weil er zu tief schlafen würde. Aber kaum war er eingenickt, riß ihn dieses disharmonisch blökende Nebelhorn aus dem Schlaf und ließ ihn wie eine angetrunkene Marionettenpuppe mechanisch jenen Bewegungsablauf nachvollziehen, der dem irrsinnigen Getöse schließlich ein Ende bereitete.

Nach fast dreißig Stunden wußte O’Mara, daß er es nicht mehr lange ertragen könnte. Ob man ihm den Sprößling nun in zwei Tagen oder zwei Monaten abnahm, es käme, was ihn betraf, aufs gleiche hinaus: er würde bis dahin ein Fall für die geschlossene Anstalt sein — falls er nicht zuvor in einem schwachen Moment auf die Idee käme, einen ausgiebigen Spaziergang durchs All zu unternehmen, allerdings ohne Raumanzug.

Zwar wußte er, daß Pelling ihm niemals gestattet hätte, eine solche Strapaze auf sich zu nehmen, aber was die Lebensform der FROBs betraf, war der Arzt ein absoluter Laie. Und Caxton, der diesbezüglich nur etwas beschlagener war, gehörte jenem schlichten, direkten Menschenschlag an, der an solch brutalen Streichen seine helle Freude hatte, besonders dann, wenn er meinte, das Opfer verdiene seine Strafe.

Aber angenommen, der Sektionsleiter war gar nicht so ein schlichtes Gemüt, wie O’Mara vermutete? Angenommen, er wußte genau, wozu er ihn verurteilt hatte, als er ihm den kleinen Hudlarer in Pflege gab? O’Mara fluchte vor sich hin, aber da er die letzten zehn, zwölf Stunden nichts anderes getan hatte, als permanent Verwünschungen auszustoßen, war sein Repertoire an Kraftausdrücken allmählich erschöpft und hatte somit als emotionales Ablaßventil ausgedient. Er schüttelte wütend den Kopf und versuchte vergebens, wieder klare Gedanken zu fassen.

Caxton sollte jedenfalls nicht ungeschoren davonkommen.

O’Mara wußte von sich, daß er der Mann mit der größten Kondition beim ganzen Projekt war und beachtliche Kraftreserven haben mußte. All diese körperliche Erschöpfung und die nervösen Zuckungen waren nichts als Einbildung, redete er sich mit Nachdruck ein, und zwei Tage, in denen er praktisch nicht geschlafen hatte, bedeuteten für seine enorme körperliche Konstitution gar nichts — auch nicht nach dem Schock, den er während des Unfalls erlitten hatte. Außerdem, schlimmer als jetzt konnte die gegenwärtige Situation mit dem kleinen Alien sowieso nicht mehr werden, also konnte sie sich nur noch verbessern. Er wollte sich nicht geschlagen geben. Caxton würde es nicht gelingen, ihn zum Wahnsinn zu treiben, nicht einmal dazu, ihn um Hilfe zu bitten.

Das hier war eine Herausforderung, entschied er mit überdrüssiger Entschlossenheit. Bis zum heutigen Zeitpunkt hatte er sich immer wieder darüber beklagt, daß seine Fähigkeiten noch nie voll ausgeschöpft worden waren. Nun, hierbei handelte es endlich um ein Problem, das sowohl sein physisches als auch psychisches Durchhaltevermögen bis an die Grenzen der Belastbarkeit beanspruchen würde. Ihm war ein junger Alien in Obhut gegeben worden, und er wollte sich unter allen Umständen um ihn kümmern, sei es nun für zwei Wochen oder gar für zwei Monate. Obendrein wollte er sich darum bemühen, daß ihm der Allgemeinzustand des kleinen Hudlarers zur Ehre gereichen würde, sobald dessen Pflegeeltern eintrafen.

Nach der achtundvierzigsten Stunde in Gesellschaft mit dem jungen FROB und der siebenundfünfzigsten ohne festen Schlaf schienen O’Mara solche unlogischen und gefühlsduseligen Gedanken keineswegs fremd.

Doch plötzlich trat bei dem, was er mittlerweile als den unabänderlichen Lauf des Schicksals anerkannt hatte, eine Veränderung ein: Nach dem üblichen Hungertröten und der darauffolgenden Fütterung weigerte sich der kleine FROB, Ruhe zu geben.

Zunächst reagierte O’Mara überrascht und gekränkt zugleich — das war gegen die Spielregeln! Wenn eine Nervensäge kreischte, fütterte man sie, damit sie aufhörte zu kreischen — wenigstens für eine Weile. Das hier aber war so unfair, daß ihm vor lauter panischer Ratlosigkeit zunächst keine geeigneten Gegenmaßnahmen einfielen.

Es entwickelte sich eine Lärmorgie in verschiedenen Variationen. Langanhaltende, disharmonische Blasgeräusche prasselten auf ihn ein, wobei sich Tonhöhe und Lautstärke auf völlig irrsinnige und willkürliche Art und Weise veränderten, und hin und wieder folgte ein knirschendes Stakkato, als hätten sich Glassplitter und Heftzwecken in die Luftröhre verirrt. Es gab auch zwei bis dreißig Sekunden lange Intervalle der völligen Stille, während derer O’Mara bereits mit Schaudern dem nächsten Lärmausbruch entgegensah. All das hielt er so lange aus, wie er es ertragen konnte — etwa zehn Minuten —, dann schleppte er seinen bleiernen Körper wieder von der Couch zur vermeintlichen Schlafkabine.

„Verdammt noch mal! Was ist eigentlich los mit dir?“ brüllte O’Mara gegen den Lärm an. Der FROB war von oben bis unten mit dem Nahrungspräparat bedeckt, Hunger konnte er folglich nicht haben.

Als der kleine Alien ihn jetzt gesehen hatte, nahmen die Lautstärke und die Eindringlichkeit seiner Schreie noch zu. Die äußere, blasebalgartige Muskelklappe auf dem Rücken des süßen Kleinen — die allein zur Geräuscherzeugung diente, da die FROBs keine Sauerstoffatmer waren — schwoll rasch an und ab. O’Mara preßte sich die Hände gegen die Ohren, was ihm allerdings kaum Erleichterung verschaffte, und brüllte: „Jetzt halt endlich das Maul!“

Ihm war klar, daß sich der erst kürzlich zum Waisen gewordene Hudlarer noch immer verwirrt und ängstlich fühlen mußte und der bloße Fütterungsvorgang unmöglich all seine emotionalen Bedürfnisse befriedigen konnte — all das wußte O’Mara, und er empfand tiefes Mitleid mit dem Wesen. Aber dieses Mitgefühl regte sich bei ihm in einem gelassen, gesund und rational denkenden Abschnitt seines Gehirns, abgeschottet von all dem Schmerz und der Müdigkeit und den schrecklichen Geräuschattacken, denen sein geschundener Körper gegenwärtig hilflos ausgesetzt war. Er war in dieser Frage wirklich gespalten — während die eine Seite den Grund für diesen Lärm verstand und damit umzugehen wußte, reagierte die andere, rein körperliche Seite instinktiv und boshaft darauf und wollte den Radau mit aller Macht unterbinden.

„Halt’s Maul! Halt endlich dein verfluchtes Maul!“ schrie O’Mara, wobei er begann, mit Fäusten und Füßen wild auf den Kleinen einzuschlagen.

Erstaunlicherweise hörte der Hudlarer nach etwa zehn Minuten zu schreien auf.

Am ganzen Körper zitternd kehrte O’Mara zur Couch zurück. Während dieser zehn Minuten war er von einem unkontrollierbaren, fast mörderischen Zorn erfaßt worden. Er hatte brutal um sich geschlagen und getreten, bis ihn die Schmerzen an den Händen und dem verletzten Bein dazu zwangen, diese Körperglieder lieber nicht mehr einzusetzen. Aber wild um sich tretend und Beschimpfungen ausstoßend, hatte er die ihm noch verbliebenen Waffen eingesetzt — sein gesundes Bein und seine große Klappe. Die schiere Boshaftigkeit dessen, was er gerade getan hatte, schockierte ihn jetzt, und er ekelte sich vor sich selbst.

Es nützte auch nichts, sich einzureden, daß der Hudlarer ein zäher Bursche war und die Schläge möglicherweise nicht einmal gespürt hatte; jedenfalls hatte das Junge aufgehört zu schreien, und er mußte sich ihm irgendwie verständlich gemacht haben. Zugegebenermaßen waren Hudlarer stark und kräftig, aber hier handelte es sich um ein Baby, und Babies haben nun einmal empfindliche Stellen. Menschliche Babies haben zum Beispiel direkt oben auf dem Kopf eine sehr weiche Stelle.

Als O’Mara völlig erschöpft in den Schlaf fiel, war sein letzter, einigermaßen zusammenhängender Gedanke, daß er der mieseste und niederträchtigste Scheißkerl war, der jemals das Licht dieser Welt erblickt hatte.

Sechzehn Stunden später wachte er auf. Es war ein langsamer, natürlicher Prozeß, der ihn allerdings kaum über die Schwelle der Bewußtlosigkeit ins Diesseits beförderte. Kurz wunderte er sich darüber, daß der kleine Alien nicht für sein Aufwachen verantwortlich gewesen war, dann sank er wieder in tiefen Schlaf. Das nächstemal wachte er fünf Stunden später von dem Geräusch auf, das Waring beim Öffnen der Luftschleuse verursachte.

„Doktor Pe-Pe-Pelling hat mich beten, Ihnen das hier zu bringen“,

sagte er und warf O’Mara ein kleines Buch auf die Couch. „Und damit will ich Ihnen keinen Ge-Ge-Gefallen tun, verstanden? Ich ma-ma-mache das nur, weil er ge-ge-gesagt hat, es sei zum Wohle des kleinen Hudlarers, Wie ge-ge-geht es ihm überhaupt?“

„Er schläft“, murmelte O’Mara.

Waring feuchtete sich die Lippen an. „Ich soll nach ihm se-se-sehen, hat Ca-Ca-Caxton gesagt.“

„Ty-ty-typisch Ca-Ca-Caxton“, äffte O’Mara ihn nach.

Er beobachtete Waring stumm, während dessen Gesicht immer röter wurde. Waring war ein hagerer junger Mann, zartbesaitet, nicht sehr kräftig, aber durchaus aus dem Stoff, aus dem Helden gemacht werden.

Nach O’Maras Ankunft jedenfalls hatte man ihn umgehend mit den Heldentaten dieses Traktorstrahlentechnikers überschüttet. So hatte es beim Probelauf eines Kernreaktors einen Zwischenfall gegeben, wobei Waring in einem Abschnitt festgesessen hatte, der nicht ausreichend gegen Strahlung abgeschirmt gewesen war. Aber er hatte damals einen klaren Kopf behalten und es geschafft, nach Instruktionen, die ihm von draußen durch einen Ingenieur per Funk vermittelt worden waren, eine langsame Atomexplosion abzuwenden, die sonst sämtlichen Mitarbeitern in seiner Sektion das Leben gekostet hätte. Dabei soll ihm die ganze Zeit durchaus bewußt gewesen sein, daß die Strahlendosis, der er ausgesetzt gewesen war, ausgereicht hätte, ihn in wenigen Stunden zu töten.

Aber die Abschirmung hatte sich als wirksamer erwiesen, als man erwartet hatte, und Waring war am Leben geblieben. Dennoch hatte der Unfall seine Spuren bei ihm hinterlassen, wie man O’Mara erzählte. Seither hatte er Blackouts, stotterte, und sein Nervensystem war in Mitleidenschaft gezogen worden. Außerdem, so sagte man, gäbe es noch andere Dinge, die O’Mara schon selbst feststellen würde und die er auf keinen Fall beachten sollte. Schließlich habe Waring ihrer aller Leben gerettet und verdiene deshalb, besonders behandelt zu werden. Deshalb ließ man ihn auch überall gewähren, egal, wo er auftauchte. Man ließ ihn sämtliche Prügeleien gewinnen, jeden Streit, jejd|ps Spiel, jede Wette, und behandelte ihn stets so, als sei er in einen Kokon aus hochempfindlicher Verbandwatte gewickelt.

Und deshalb führte sich Waring heute unerträglich und affektiert wie ein verhätscheltes Muttersöhnchen auf.

O’Mara mußte grinsen, als er jetzt Warings weiß angelaufene Lippen und seine geballten Fäuste sah. Wenn er es irgendwie anstellen konnte, ließ er Waring bei jeder Gelegenheit den kürzeren ziehen. Als sich der Traktorstrahlentechniker zum erstenmal auf einen handgreiflichen Streit mit ihm eingelassen hatte, war das auch zugleich das letztemal gewesen. Zwar hatte O’Mara ihn dabei nicht verletzt, hatte aber genug Durchschlagskraft an den Tag gelegt, um ihm zu demonstrieren, daß es keine so gute Idee war, sich mit jemandem wie ihm anzulegen.

„Jetzt sehen Sie schon endlich nach“, sagte O’Mara schließlich gelangweilt. „Tun Sie, was Ca-Ca-Caxton Ihnen befohlen hat.“

Sie gingen gemeinsam hinein, warfen auf den schwach mit seinen Tentakeln zuckenden kleinen Hudlarer einen kurzen Blick und kamen wieder heraus. Waring stammelte, er müsse nun gehen, und steuerte bereits auf die Luftschleuse zu. Wie O’Mara wußte, stotterte Waring seit einiger Zeit eigentlich kaum noch, aber wahrscheinlich hatte er gerade Angst, die Geschichte mit dem Unfall könnte zur Sprache kommen.

„Einen Moment noch“, rief O’Mara ihm hinterher. „Mir geht das Nahrungspräparat aus, könnten Sie mir etwas davon holen und.“

„Ho-ho-holen Sie es sich doch selbst!“

O’Mara starrte ihn so lange an, bis Waring beiseite sah, dann fuhr er leise fort: „Beides auf einmal kann ich nicht machen, auch nicht für Caxton. Da man sich um diesen Kleinen so gründlich kümmern muß, daß mir nicht einmal gestattet ist, ihn im luftleeren Raum zu füttern oder aufzubewahren, würde ich fahrlässig handeln, wenn ich ihn hier einige Stunden allein zurückließe, nur um Essen zu holen. Sicherlich sehen Sie das ein. Gott allein weiß, was dem Kleinen alles zustoßen könnte, wenn man ihn allein läßt. Man hat mich für das Wohlergehen dieses Sprößlings verantwortlich gemacht, und deshalb bestehe ich dauf daß Sie.“

„A-a-aber ich will ni-ni.“

„Das heißt lediglich, daß Sie alle zwei, drei Tage etwa eine Stunde Ihrer Freizeit opfern müssen“, unterbrach O’Mara ihn scharf. „Und jetzt hören Sie endlich auf, hier herumzunörgeln. Und stottern Sie gefälligst nicht so. Sie sind alt genug, um anständig zu reden.“

Waring knirschte vor Wut mit den Zähnen. Er atmete tief ein und bebte am ganzen Körper. Dann stieß er die Luft durch die noch immer fest zusammengepreßten Kiefer aus, wobei das Geräusch an ein aufgebrochenes Luftschleusenventil erinnerte. Schließlich zischte er: „Das. kostet. mich. meine. nächsten beiden Pausen. Die FROB-Unterkünfte werden samt Lebensmittellager übermorgen an die Hauptsektion angeschlossen. Also müßte das Nahrungspräparat schon vorher geholt werden.“

„Sehen Sie, so einfach ist das, wenn man sich Mühe gibt“, sagte O’Mara grinsend. „Am Anfang haben Sie noch etwas gestammelt, aber ich hab jedes Wort verstanden. Sie machen das schon ganz prima. Ach, und noch etwas, wenn Sie die Essensbehälter vor der Luftschleuse stapeln, würden Sie bitte darauf achten, leise zu sein, damit unser Kleiner nicht aufwacht?“

Die nächsten zwei Minuten schleuderte Waring O’Mara Schimpfwörter an den Kopf, ohne sich auch nur einmal wiederholen oder stottern zu müssen.

„Ich hab doch gesagt, daß Sie das schon ganz prima machen“, bemerkte O’Mara mit gönnerhafter Miene. „Aber müssen Sie denn gleich so angeben?“

Загрузка...