Zehn

»Das muss die Hauptflotte der Syndiks sein«, meinte Desjani, die verkrampft in ihrem Sessel saß. »Ihre Hauptstreitmacht. Die Syndiks in diesem System können keine solche Verstärkung angefordert haben. Eine so große Flotte kann nicht so schnell hergeschickt worden sein, also müssen diese Schiffe aus einem anderen Grund hergekommen sein.«

»Da können wir uns ja glücklich schätzen«, murmelte Geary. Das Hypernet-Portal war jetzt fast fünf Lichtstunden entfernt, womit sie etwas beobachteten, was sich bereits vor fünf Stunden abgespielt hatte. Die Syndik-Streitmacht hatte dagegen die Allianz-Flotte unmittelbar nach ihrer Ankunft sehen können, sodass sie inzwischen fünf Stunden lang hatten planen können, was sie unternehmen würden. »Wir müssen die Flotte erledigen, mit der wir uns momentan herumschlagen. Dann können wir…«

»Syndik-Schiffe drehen ab«, rief ein Wachhabender mit nicht zu überhörender Enttäuschung.

»Verdammt noch mal!« Es war kein Zweifel möglich. Anstatt zum nächsten Vorbeiflug anzusetzen, machte die Syndik-Flotte einen Schlenker und beschleunigte auf über 0,1 Licht, um den Abstand zu den Allianz-Schiffen schnell zu vergrößern. »Sie brechen den Angriff ab.«

Mit der Ankunft der Flotte aus dem Hypernet-Portal waren offenbar auch neue Befehle übermittelt worden. Davon war Geary überzeugt, während er mit ansah, wie die gegnerischen Schiffe immer schneller davonflogen.

»Feiglinge«, knurrte Desjani und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Sie haben den Befehl erhalten zu warten, bis diese große Flotte nahe genug ist, um uns anzugreifen.«

»Genau.« Er warf einen Blick auf die Geometrie der Allianz-Flotte und der Syndik-Streitmacht, dann widmete er sich dem Zustand der Brennstoffzellen. »Wir verfügen nicht über genug neue Brennstoffzellen, um sie einzuholen, ohne dass ihre Ladung auf einen kritischen Pegel sinkt.«

»Springen Sie nach Branwyn!«, rief Rione plötzlich, als könne sie nicht begreifen, dass das noch niemand gesagt hatte. »Fliegen Sie zum Sprungpunkt und springen Sie nach Branwyn! Wir haben den Syndiks mehr Verluste zugefügt als umkehrt, also hat es nichts Unehrenhaftes, wenn wir jetzt das Schlachtfeld verlassen.«

Wieder schüttelte Desjani den Kopf.

Geary drehte sich zu Rione um. »Das können wir nicht. Die Syndiks, die sich momentan zurückziehen, werden uns weiterhin beobachten, und sie sind nahe genug, um uns einzuholen, wenn wir den Sprungpunkt anfliegen. Wir müssen erheblich abbremsen, damit wir um das Minenfeld herum in den Sprungraum gelangen können, und den Augenblick werden sie nutzen, um das Feuer auf uns zu eröffnen.«

»Wir würden dort ein narrensicheres Ziel abgeben«, fügte Desjani angespannt hinzu.

»Können wir sie nicht irgendwie austricksen?«, wollte Rione wissen.

Diesmal war es Geary, der eine verneinende Geste machte. »Die haben keine Hilfsschiffe in ihrer Flotte, die sie zu einem langsameren Tempo zwingen. Und sie können ihre beschädigten Schiffe einfach vorübergehend zurücklassen, wenn sie uns attackieren, weil sie wissen, dass wir ihnen nicht folgen können, wenn sie sich zurückziehen. Selbst ohne die Hilfsschiffe wären uns die Hände gebunden, weil wir unsere beschädigten Schiffe nicht im Stich lassen können.« Er deutete auf das Display. »Die Syndiks, gegen die wir vorhin gekämpft haben, werden uns davon abhalten, den Sprungpunkt nach Branwyn zu nutzen. Falls wir es doch versuchen sollten, werden sie uns verdammt wehtun. In der Zwischenzeit wird sich die große neue Flotte auf den Weg zu uns machen, und da wir nicht entkommen können, wird sie sich mit der kleineren Flotte zusammenschließen und gemeinsam gegen uns vorgehen.«

Desjani nickte und machte eine finstere Miene.

»Und jetzt warten wir darauf, dass genau das passiert?«, fragte Rione ungläubig.

»Nicht, wenn ich etwas dagegen unternehmen kann.« Er lehnte sich zurück und versuchte nachzudenken. Eines war offensichtlich: Er musste seine Flotte auf einen neuen Kurs schicken. »Alle Schiffe, bei Zeit vier drei ändern Sie den Kurs um zwei null Grad nach oben und eins null Grad nach Steuerbord.«

Und nun? Der Feind war ihm zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegen, und das verbesserte seine Situation nun wirklich nicht. Wenn es ihm gelang, etwas absolut Geniales zu vollbringen, dann könnte er als Sieger dieses System verlassen. Aber es gab keine Möglichkeit, irgendetwas annähernd Geniales zu leisten, ohne dabei den größten Teil der eigenen Flotte zu verlieren. Die Allianz-Schiffe, die so etwas überleben würden, hätten keinerlei Chance auf eine Heimkehr, und damit wären sie genauso verloren. Ein Sieg ließ sich hier nur erringen, wenn er seine Flotte opferte, und das würde nur zu einer erneuten Pattsituation in diesem Krieg führen. Syndiks und Allianz wären für eine Weile gezwungen, die Kampfhandlungen zu unterbrechen, damit beide Seiten ihre Flotten wieder aufrüsten könnten, und dann würde der Krieg wie gehabt bis in alle Ewigkeit weitergehen. Aber vielleicht würden ja auch die Regierungen beider Seiten zusammenbrechen, was einer Anarchie Tür und Tor öffnete.

Selbst wenn es mir gelingen sollte, gegen eine solch gewaltige Übermacht einen Sieg zu erringen, könnten auch meine größten Anstrengungen das Unvermeidliche nur für eine Weile hinauszögern. Letztlich würden die Syndiks doch diese Flotte vernichten und dabei genügend Schlagkraft bewahren, um gegen die geschwächten Streitmächte vorzugehen, die das Territorium der Allianz verteidigen sollen.

Desjani biss sich auf die Unterlippe, ihre Miene hatte einen entschlossenen Ausdruck. Sie würde tun, was Geary befahl, da sie davon überzeugt war, dass seine Entscheidung zum Sieg führen musste. Er schaute sich auf der Brücke um und konnte bei den Wachhabenden in unterschiedlichen Variationen die gleiche Angst beobachten, die sich mit einem Mut paarte, der es diesen Offizieren und Matrosen erlauben würde, aller Furcht zum Trotz ins Gefecht zu ziehen. Diese Matrosen wären bereit, auf der Stelle ihr Leben zu opfern, wenn Geary es befahl. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie alle ihr Äußerstes geben würden, um einen Sieg zu erringen, auch wenn die Chancen noch so schlecht standen.

Aber er hatte bereits erleben müssen, wohin eine solche Einstellung führen konnte. Die Crew der Paladin war von der gleichen Bereitschaft erfüllt gewesen, zu kämpfen und zu sterben, und am Ende hatte für sie alle der Tod gestanden. Er konnte von diesen Matrosen nicht verlangen, ihr Leben zu geben, nur weil sie bereit waren, jeden seiner Befehle auszuführen. Es musste schon eine begründete Hoffnung bestehen, dass durch ein solches Opfer auch etwas erreicht wurde.

Also gut. Welche Möglichkeiten standen zur Wahl? Die Vernichtung dieser Syndik-Formation, bevor die zuletzt eingetroffene Flotte sie erreichte, und anschließend die Flucht nach Branwyn? Nein, das konnte nur funktionieren, wenn der Kommandant der Syndik-Streitmacht ein völliger Idiot war, doch genau das schien er nicht zu sein. Außerdem war ihnen offensichtlich der Befehl erteilt worden, sich von der Allianz-Flotte fernzuhalten, solange die nicht versuchte, das System zu verlassen.

Sollte er sich die zuletzt eingetroffene Streitmacht vornehmen und darauf hoffen, dass geschicktes Taktieren die feindliche Überlegenheit schon wettmachen würde? Das war ein sehr dürrer Strohhalm, an den er sich da klammern müsste, zumal die Bravo-Formation ihnen sofort folgen würde, sollten sie einen solchen Angriff unternehmen. Und wie er bereits zu Rione gesagt hatte, war diese Formation mühelos in der Lage, sie zu überholen, sodass sie letztlich doch wieder der versammelten Flotte gegenüberstünden. Dieser geballten Macht würde es ohne Probleme gelingen, seine Hilfsschiffe zu vernichten, selbst wenn es Geary irgendwie gelingen sollte, den Rest seiner Flotte überleben zu lassen.

Sollte er die Flucht ergreifen? Und wenn ja, wohin? Abgesehen von der Tatsache, dass viele seiner Captains selbst unter den gegenwärtigen Umständen murren würden, wenn er den Rückzug befahl, stand er immer noch vor dem Problem, dass er nicht schneller beschleunigen konnte als die Syndik-Schiffe. Außerdem führte der Sprungpunkt nach T'negu seine Flotte in ein Gewirr aus Minen, während ihm der Feind sofort im Nacken sitzen würde. Einfach in den leeren Raum zu steuern, mochte die Syndiks von einer Verfolgung abhalten, doch das war nichts weiter als ein Selbstmord auf Raten, da die Schiffe innerhalb kürzester Zeit fernab irgendeines Sterns mit leeren Brennstoffzellen festsitzen würden.

Ihm stand immer noch der Sprung zurück nach Ixion offen, aber die Syndik-Streitmacht, die von dort kommend unterwegs war, konnte jeden Moment auftauchen und…

Okay, das ist eine Möglichkeit. Vielleicht nicht gerade der Weg, den Black Jack gehen würde, aber ich bin auch nicht Black Jack.

Jetzt brauchte er nur noch einen Plan, wie er sich dem einzigen sicheren Fluchtweg aus diesem Sternensystem nähern konnte, ohne es für alle Beteiligten offensichtlich zu machen, was er beabsichtigte. Dank der zu erwartenden Ankunft einer weiteren feindlichen Streitmacht eröffnete sich ihm ein Weg, wie er seine Flotte in die Nähe des Sprungpunkts bringen und dabei sowohl dem Feind als auch seinen eigenen Leuten seine wahren Absichten solange wie möglich verheimlichen konnte.

»Wir müssen Zeit gewinnen, und wir müssen uns eine Streitmacht nach der anderen vornehmen«, erklärte er, wobei ihm bewusst wurde, wie ruhig es plötzlich auf der Brücke geworden war, da alle darauf warteten, was er ihnen zu sagen hatte. »Das können wir nur erreichen, indem wir die Bravo-Flotte dazu verleiten, uns zu verfolgen. Es gibt einen Weg, wie wir das schaffen und dabei auch noch die nächste Syndik-Streitmacht gebührend empfangen können, die in Kürze dieses System erreichen wird.« Er deutete auf das Display. »Wir kehren zurück… zum Sprungpunkt nach Ixion. Es ist jeden Moment damit zu rechnen, dass die Syndik-Flotte hier eintrifft, die uns bei Ixion zum Sprungpunkt in dieses System gefolgt ist. Wenn wir nahe genug am Sprungpunkt sind, können wir sie überwältigen, sobald sie hier auftaucht.« Diese Streitmacht hatte nur aus vier Schlachtschiffen und vier Schlachtkreuzern bestanden. »Die Flotte, mit der wir uns eben noch ein Gefecht geliefert haben, wird den Schiffen zu Hilfe eilen müssen, und dann bekommen wir die Gelegenheit, sie wieder unter Beschuss zu nehmen.«

»Die größte Syndik-Flotte ist damit aber immer noch ein Problem«, wandte Rione ein.

»Das ist richtig. Wir werden abwarten, wie diese Flotte reagiert, und dann entscheiden, was wir tun können.« Belüg sie nicht. Schaff dir eine Grundlage, um aus diesem Sternensystem fliehen zu können. »Wir können uns nicht mit allen Formationen gleichzeitig auseinandersetzen. Wir müssen sie uns einzeln vornehmen.«

Captain Desjani studierte die Anzeige auf dem Display und lächelte zufrieden. »Wir ziehen uns nicht zurück.«

»Nein, Captain«, beteuerte Geary so überzeugend, wie er es nur vortäuschen konnte. »Wir ändern die Ausrichtung unseres Angriffs.«


* * *

Er wiederholte diesen Satz zehn Minuten später vor einer hastig einberufenen Konferenz, während die Schiffe der Allianz-Flotte bereits Kurs auf den Sprungpunkt nach Ixion nahmen. »Wir ändern die Ausrichtung unseres Angriffs.«

Ausgiebiges Schweigen folgte, zum Teil weil seine befehlshabenden Offiziere diese Neuigkeit erst einmal verarbeiten mussten, zum Teil weil das Licht erst einmal die Information zwischen den unterschiedlich weit entfernten Schiffen der Flotte hin und her transportieren musste. »Wir wissen nicht, ob die andere Syndik-Streitmacht durch diesen Sprungpunkt kommen wird«, hielt Captain Cresida dagegen. So loyal sie auch zu ihm stand, wollte sie doch gegen die Syndiks kämpfen.

»Erstens hoffe ich darauf, und zweitens glaube ich, wir haben guten Grund zu der Annahme, dass diese Flotte hier eintreffen wird.« Zumindest ein plausibler Grund, der dieses Manöver rechtfertigte. »Wir müssen die Syndik-Flotte Bravo dazu zwingen, von sich aus wieder den Kampf mit uns zu suchen, weil wir sie mit Blick auf den Zustand unserer Brennstoffzellen nicht verfolgen und stellen können.« Mehrere Offiziere wandten sich den Kommandanten der Hilfsschiffe zu und warfen ihnen finstere Blicke zu, als ob einer von ihnen daran die Schuld trug. »Wenn wir die von Ixion kommende Streitmacht in ein Gefecht zwingen, werden wir sie schnell dezimieren können, und gleich danach können wir uns der Bravo-Flotte zuwenden, die herbeigeeilt kommt, um ihren Kameraden zu helfen.« Er zwang sich zu einem selbstsicheren Lächeln.

Tulev nickte noch gleichgültiger als üblich. »Wir müssen diese Syndik-Flotten eine nach der anderen besiegen. Wenn sie Gelegenheit bekommen, sich zusammenzuschließen oder ihre Angriffe zu koordinieren, dann geraten wir in eine sehr schwierige Situation.«

»Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt für Zurückhaltung«, wandte Captain Casia ein. »Wenn wir kehrtmachen und die Flotte jagen, gegen die wir zuletzt gekämpft haben, können wir sie erledigen und uns anschließend den Rest vornehmen.«

»Bei dieser Jagd werden wir den letzten Rest unserer Brennstoffzellen aufbrauchen, und anschließend treiben wir im All und können uns von den Syndiks abschießen lassen«, konterte Duellos wütend. »So etwas nennt man Physik. Rechnen Sie die Zahlen doch mal selbst durch. Sie haben gerade ein Schlachtschiff verloren, weil Ihre Offizierin geglaubt hat, man könne tapfer mit intelligent gleichsetzen. Haben Sie aus dem Verlust der Paladin denn gar nichts gelernt?«

»Diese Flotte kämpft!«, beharrte ein anderer Offizier. »Wir laufen nicht vor dem Feind davon!«

»Eine taktische Neuordnung hat nichts mit Davonlaufen zu tun!«, erklärte Commander Gaes energisch. »Wir sind in Lakota, und wir haben ein Syndik-System angegriffen. Wie können Sie da behaupten, wir würden davonlaufen?«

»Wir sollten diesen Angriff noch einmal überdenken«, meldete sich plötzlich Commander Yin zu Wort.

Geary warf Yin einen fragenden Blick zu, da es ihn überraschte, dass sie auf einmal wieder etwas zur Konferenz beitrug, nachdem sie die letzten Male lieber geschwiegen hatte. Allerdings war da die Fraktion der Geary-Gegner auch von Captain Midea angeführt worden, die sich immer weiter in diese Rolle hineingesteigert hatte. Wäre ihm doch bloß deutlich geworden, worauf ihr Verhalten hinauslaufen sollte, dann hätte er sicher einen Grund gefunden, Midea vor der letzten Schlacht das Kommando zu entziehen. Aber er hätte das nicht tun können, wenn es als Versuch angesehen worden wäre, jemanden zum Schweigen zu bringen, der Dinge sagte, die Geary nicht hören wollte. Jetzt wandte er sich mit ruhiger, fester Stimme an Yin: »Erklären Sie das bitte.«

Yin sah sich nervös um. »Es ist doch offensichtlich, dass die Flotte durch einige Schiffe am Weiterkommen gehindert wird. Manche Schiffe können nicht so schnell fliegen wie der Rest.« Das stimmte grundsätzlich, dennoch wartete Geary ab, da ihm Commander Yin noch viel zu angespannt vorkam. »Einige Schiffe sind durch die Bauart bedingt langsamer, andere sind aufgrund der erlittenen Schäden vorübergehend nicht so schnell, beispielsweise auch meine Orion.«

Zahlreiche Offiziere musterten Yin argwöhnisch, da sie sich fragten, worauf das hinauslaufen sollte. Sie musste schlucken, redete dann aber hastig weiter: »Es ist doch offensichtlich. Wir müssen die langsameren Schiffe an einem sicheren Ort unterbringen, damit der Rest der Flotte ungehindert kämpfen kann.«

»Ein sicherer Ort?«, fragte Duellos.

»Ixion. Wir sind ohnehin in diese Richtung unterwegs. Fliegen Sie dicht an den Sprungpunkt heran, lassen Sie eine Formation mit den Hilfsschiffen und den beschädigten Schiffen nach Ixion zurückkehren, dann kann die Flotte leichter manövrieren und besser kämpfen.« Yin atmete auffallend schnell, ihr Blick war auf ihre Hände gerichtet, die sie immer wieder ballte.

Es wäre kein so unsinniger Vorschlag gewesen, wenn irgendjemand Commander Yin hätte trauen können. Ihr Verhalten ließ erkennen, dass sie besorgt war, wie die anderen Offiziere auf ihre Ausführungen reagierten. Nach langem, feindseligem Schweigen meldete sich Duellos wieder zu Wort und sprach in einem trügerisch unbeschwerten Tonfall: »Wirklich interessant. Das hörte sich doch tatsächlich so an, als würde Captain Numos reden. Es war zwar Commander Yins Stimme, aber der Vorschlag an sich und die Wortwahl, das klang genau wie Captain Numos. Eigenartig, nicht wahr?«

Yin wurde rot im Gesicht. »Captain Numos ist ein erfahrener Offizier, der viele Schlachten geführt hat.«

»Die er überlebt hat, weil er immer davongelaufen ist«, fauchte Captain Cresida. »Genau das hatte er im Syndik-Heimatsystem auch machen wollen! Jeder sollte für sich selbst kämpfen!«

Von beiden Seiten regte sich heftiger Widerspruch, die einen beschimpften Yin, die anderen Cresida. Geary überflog seine Kontrollen und drückte auf die Taste, die alle Anwesenden sofort verstummen ließ. Diese Stumm-Taste war so ziemlich das Einzige, was ihm an seinem Posten als Flottenbefehlshaber richtig gut gefiel. »Sie hören jetzt alle zu! Diese Diskussion führt zu nichts. Unsere Feinde sind die Syndiks. Captain Cresida, es trifft zu, dass Captain Numos zur Last gelegt wird, seine Pflichten im Angesicht des Feindes versäumt zu haben. Aber ein Urteil ist noch nicht gefällt worden.«

Mürrisch nickte Cresida. »Ich entschuldige mich für meinen Kommentar, Sir.«

»Danke. Und nun zu Ihnen, Commander Yin. Captain Numos ist nur so viel Kontakt mit anderen gestattet, wie die humane Behandlung eines Gefangenen erfordert. Es ist ihm nicht erlaubt, Ratschläge zu erteilen, wie Sie Ihr Schiff führen oder wie ich diese Flotte befehligen soll. Haben Sie sich mit ihm in dieser Angelegenheit beraten?«

Yin wich beharrlich seinem Blick aus. »Nein, nein, Sir.«

Wenn er nur ein Argument wüsste, wie er Commander Yin in den Verhörraum der Geheimdienstabteilung an Bord der Dauntless bringen konnte, um die dortigen Sensoren den Wahrheitsgehalt ihrer Antworten überprüfen zu lassen. Aber Geary war sich auch so längst sicher, dass Yin ihn anlog. Duellos hatte völlig recht: Die Wortwahl und der Vorschlag klangen sehr nach Captain Numos. Nur hätte der das Ganze mit einem überheblichen Lächeln vorgetragen, nicht so nervös und ängstlich wie Commander Yin. Allerdings besaß Numos wohl auch viel mehr Erfahrung darin, Lügen zu erzählen, um sich selbst zu schützen.

Für Geary war dies Beweis genug, dass Numos weiterhin gegen ihn arbeitete, obwohl ihm das Kommando über die Orion entzogen worden war.

Mit professionell distanziertem Tonfall erklärte Duellos: »Ich spreche mich gegen Commander Yins Vorschlag aus. Woher wissen wir, dass wir in der Lage sein werden, wieder mit den beschädigten Schiffen und den Hilfsschiffen zusammenzukommen? Diese Gruppe wäre mit den Hilfsschiffen gut versorgt und sogar in der Lage, mit deren vorhandenen Vorräten bis ins Allianz-Gebiet vorzudringen; wobei ich betonen möchte, dass es sich dabei um rein theoretische Überlegungen handelt. Schließlich weiß ich, dass Commander Yin niemals auf die Idee käme, den Rest der Flotte im Stich zu lassen. Aber man muss natürlich auch bedenken, dass unser Teil der Flotte hier auf Leben und Tod kämpfen würde, während wahrscheinlich nicht allzu viele Syndik-Schiffe losgeschickt werden könnten, um diese eine Formation nach Ixion zu verfolgen. Aber wie ich bereits sagte, ist das eine rein theoretische Erwägung, die ich keinem Offizier dieser Flotte unterstellen würde.«

Eine leichenblasse Yin sah Duellos starr an. Die Art, wie er ihren Namen betont hatte, ließ keinen Zweifel daran, welchem anderen Offizier er ein solches Verhalten zutraute. Numos befand sich an Bord der Orion in einer Arrestzelle, doch wie lange würde er dort wohl bleiben, wenn die Orion sich erst einmal vom Rest der Flotte gelöst hatte?

Auch wenn er von Cresida eine Entschuldigung gefordert hatte, wusste Geary verdammt gut, dass Numos sofort die Flucht antreten würde, sobald er das Kommando über diesen Teil der Flotte und die Hilfsschiffe an sich gerissen hatte.

Niemand sprach ein Wort. Rione sah Geary ungeduldig an und nickte ihm zu, als wolle sie ihn daran erinnern, dass hier eine Flottenkonferenz im Gange war.

Geary betrachtete die Mienen der Anwesenden und stellte erleichtert fest, dass Commander Yins Vorschlag offenbar nur auf wenig Gegenliebe stieß. »Danke, Commander«, sagte er schließlich. »Ich halte es nicht für ratsam, Ihren Vorschlag in die Tat umzusetzen. Diese Flotte bleibt zusammen und kehrt auch zusammen ins Allianz-Territorium zurück.« Sofort war den anderen anzusehen, dass er das Richtige gesagt hatte. »Ich weiß, das Opfer der Renown und der Paladin hat auf Sie alle inspirierend gewirkt. Zerstören wir im Namen dieser beiden tapferen Schiffe möglichst viele gegnerische Schiffe.« Er kam sich wie ein Heuchler vor, dass er die Paladin so lobte, doch ihre Crew war tapfer in den Tod geflogen, und ihr sollte eine angemessene Wertschätzung nicht verwehrt bleiben, nur weil ihr Captain versagt hatte. »Aber wir sollten auch aus dem Beispiel der Paladin lernen. Wenn wir zusammenhalten, können wir die Syndiks vernichten. Wenn jeder von uns auf eigene Faust handelt, dann werden wir ihnen unterliegen.«

Niemand schien ihm widersprechen zu wollen, zu frisch war noch das Bild der sterbenden Paladin vor dem geistigen Auge eines jeden Anwesenden. Allerdings betrachtete Captain Armus vom Schlachtschiff Colossus nachdenklich das Display. »Captain Geary, diese neue Syndik-Streitmacht, die uns zahlenmäßig überlegen ist, kann uns abfangen, bevor wir den Sprungpunkt nach Ixion erreicht haben.«

»Das ist richtig, vorausgesetzt, wir behalten Kurs und Geschwindigkeit bei. Wir werden versuchen, jeden derartigen Versuch ins Leere laufen zu lassen.« Er zeigte auf das Display. »Sie sind momentan fünf Lichtstunden von uns entfernt, also werden sie auch erst in fünf Stunden sehen, dass wir Kurs auf den Sprungpunkt genommen haben. Auf dem Weg dorthin werden wir immer wieder kleine Korrekturen vornehmen, die ausreichen sollten, um die Syndiks zu verwirren, wenn sie erst Stunden später darauf reagieren können.«

Armus nickte unschlüssig. »Und was machen wir, wenn die große neue Flotte uns doch abfängt? Vor allem dann, wenn die Bravo-Flotte bis dahin keine weiteren Verluste erlitten hat und sich ebenfalls in einer Position befindet, um uns anzugreifen?«

Alle sahen Geary an und warteten auf seine Antwort für den Fall, dass tatsächlich die schlimmste anzunehmende Situation eintrat. Eine präzise Erwiderung konnte er nicht liefern. Er wusste weder welche Position die Syndik-Schiffe dann eingenommen haben würden, noch mit welcher Formation er zu rechnen hatte, oder welche hundert anderen großen und kleinen Faktoren zu berücksichtigen sein mochten, die seine Entscheidung beeinflussen konnten. Aber ihm wurde klar, dass es doch eines gab, was er dazu sagen konnte. »Was wir dann machen? Dann werden wir kämpfen wie der Teufel in Person, Captain, damit es ihnen leidtut, dass sie uns herausgefordert haben.«

Niemand sonst sagte etwas, also nickte Geary höflich in die Runde. »Das wäre alles. Captain Casia, Captain Duellos, Sie bleiben bitte noch hier.« Die Bilder der anderen Offiziere lösten sich zügig auf, bis nur noch Casia und Duellos übrig waren, die sich gegenseitig feindselig anschauten. Desjani war ebenfalls noch da, zog sich aber aus dem Erfassungsbereich der Konferenzsoftware zurück, damit Geary ungestört mit den beiden Offizieren reden konnte. Rione saß nur weiter da und sah zu. »Captain Casia«, begann Geary förmlich, »mein Beileid zum Verlust der Paladin aus Ihrer Division.« Casia erweckte den Eindruck, als wollte er Geary vorwerfen, den Einsatz der Paladin nicht begriffen zu haben. Dann jedoch nickte er nur. »Das wäre alles.«

Nachdem Casia verschwunden war, seufzte Duellos. »Vermutlich überlegt er noch, ob der Verlust der Paladin es wert war, dass er sich jetzt nicht mehr mit Midea herumschlagen muss.«

»Ja, vermutlich. Mein Beileid zum Verlust der Renown.«

»Danke.« Der Captain schüttelte den Kopf. »Oft ist es nur eine Frage von Glück oder Pech. Ich mochte die Renown, ich mochte den befehlshabenden Offizier und ebenso die Crew. Es wird lange dauern, bis ich mich daran gewöhnt haben werde, dass sie nicht mehr Teil meiner Formation ist.« Wieder seufzte er. »Aber der größte Teil der Crew konnte sich wenigstens retten, und das ist ja auch schon was.« Duellos salutierte. »Hoffen wir, es wird nicht noch schlimmer.«

»Dafür bete ich.« Geary erwiderte den Salut und Duellos verschwand.

Desjani kehrte an den Tisch zurück und warf Rione einen leicht reumütigen Blick zu, während die andere Frau sitzenblieb und sie beobachtete. »Sir, ich wollte sagen… Ich habe verstehen können, wie schwer es für Sie gewesen sein muss, die Renown zu beobachten… nach Grendel.«

Geary nickte. Natürlich hatte sie es verstehen können. »Ja, das hat einige unschöne Erinnerungen geweckt.« Er hielt inne und dachte zurück an diese Schlacht, die für ihn nur ein paar Monate zurücklag, während sie für Desjani, Rione und für jeden anderen in der Flotte hundert Jahre in der Vergangenheit lag. »Ich musste den gleichen Befehl geben, alles entbehrliche Personal solle sich zu den Rettungskapseln begeben. Das ist ein brutaler Befehl. Meine XO wollte nicht gehen. Sie sagte, sie sei unentbehrlich.«

Er konnte sie so klar und deutlich vor sich sehen. Lieutenant Commander Decala. Eine gute Offizierin, die ihren Posten nicht verlassen wollte. »Ich sagte ihr, sie solle gehen. Ich gab ihr den direkten Befehl, doch sie wollte nicht auf mich hören.« Er atmete tief durch und fühlte mit einem Mal wieder all das, was damals auf ihn eingestürmt war. »Ich sagte ihr, sie würde gebraucht. Ich sagte, dass die Allianz gute Offiziere braucht, um sich gegen die Syndiks zur Wehr zu setzen und Vergeltung zu üben für diesen Überraschungsangriff. Ich machte ihr klar, dass ihre Ehre von ihr verlangte, das Schiff zu verlassen. Dann endlich ging sie.«

Desjani nickte betrübt. »Wissen Sie, was aus ihr geworden ist?«

»Ja. Vor einem Monat konnte ich mich endlich dazu durchringen, die offiziellen Aufzeichnungen der Gefallenen durchzusehen.« Schon eigenartig, welche Überwindung es ihn gekostet hatte, ihren Namen einzutippen und herauszufinden, was aus Lieutenant Commander Decala und all den anderen Besatzungsmitgliedern geworden war. »Sie starb fünf Jahre nach Grendel, als ihr Schiff beim Angriff auf ein Syndik-Sternensystem zerstört wurde.« Vor fünfundneunzig Jahren, als Geary im Kälteschlaf gelegen hatte.

Desjani ließ den Kopf sinken. »Mein Beileid, Sir. Seit damals ruht sie sicher in Ehren im Kreise ihrer Vorfahren.«

»Das sage ich mir auch.« Er riss sich zusammen. »Danke, dass Sie gefragt haben, Tanya. Das gehörte mit zu den Dingen, denen ich mich früher oder später werde stellen müssen.«

Sie nickte, salutierte und verließ den Raum.

Schließlich stand Rione auf und kam zu ihm. Sie wirkte ungewohnt niedergeschlagen. »Es gibt Dinge, die werde ich nie in dem Maß verstehen, das eigentlich erforderlich ist.«

»Es gibt Erinnerungen, die sollte kein Mensch haben«, erwiderte Geary. »Aber so ist nun mal der Krieg.«

Einen Moment lang schloss sie die Augen. »Ich habe jetzt ein paar mehr von diesen Erinnerungen, darum weiß ich genau, was du meinst. Sag mir die Wahrheit, John Geary. Glaubst du, unsere Flotte schafft es noch, dieses System zu verlassen?«

»Ich weiß es nicht. Bei meiner Ehre, Victoria, ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, wir müssen es versuchen.«


* * *

Ungefähr sieben Tage hatte es gedauert, von dem Sprungpunkt, der von Ixion ins System führte, zum Sprungpunkt nach Branwyn zu gelangen. Nun waren sie auf dem Rückweg und flogen wieder einen Bogen durch das Lakota-System. Geary hatte die Flotte zunächst eine Stunde lang in Richtung Sprungpunkt nach Seruta fliegen lassen, um die größte Syndik-Flotte dorthin zu locken. Dann befahl er eine Kursänderung, um seine Schiffe in die Nähe des Sprungpunkts nach Ixion zu bringen.

Wie befürchtet hatte die Syndik-Formation Bravo mit gut zwanzig Lichtminuten Abstand begonnen, der Allianz-Flotte zu folgen. Damit waren die Syndiks nahe genug, um alles zu beobachten und notfalls einen Satz nach vorn zu machen. Gleichzeitig blieben sie so weit entfernt, dass sie sofort den Rückzug antreten konnten, sollte Geary auf die Idee kommen, eine Attacke zu befehlen.

Das einzig Gute an der momentanen Situation war, dass seine Flotte wieder ein wenig an Kampfstärke zulegen konnte, da die Reparaturen an der Warrior, der Orion und der Majestic so weit abgeschlossen waren, dass sie als Begleitung für die unersetzlichen Hilfsschiffe zum Einsatz kommen konnten. Deren Schicksal in die Hände von Schiffen zu legen, die sich in der Schlacht nicht bewährt hatten, bedeutete zwar einen immensen Vertrauensvorschuss, aber die Moral der Crews musste genauso wiederaufgebaut werden wie die Kampfkraft ihrer Schiffe.

Am Ende des ersten Tages wurde deutlich, dass die Syndik-Flotte Delta, die durch das Hypernet-Portal gekommen war, mit der Verfolgung der Allianz-Flotte begonnen hatte, und das mit Nachdruck. »0,15 Licht«, las Desjani ab. »Sie nähern sich 0,2 Licht.«

Normalerweise hatte eine so schlechte Nachricht auch ihre gute Seite. Bei dieser Geschwindigkeit erzeugten die relativistischen Verzerrungen kleine Wahrnehmungsfehler der Umgebung der Schiffssensoren. Auf die große Entfernung hochgerechnet, die die Syndik-Flotte Delta zurücklegen musste, konnten selbst winzige Fehler zu großen Ungenauigkeiten führen. Doch in diesem Fall befand sich die Bravo-Flotte unmittelbar hinter den Allianz-Schiffen, und wenn die ihre Geschwindigkeit auf 0,1 Licht anpasste, war die Delta-Flotte in der Lage, akkurate Daten zu empfangen.

»Sie werden uns definitiv eingeholt haben, bevor wir den Sprungpunkt nach Ixion erreichen«, fuhr Desjani fort. »Es ist eine weite Strecke, aber sie sind sehr schnell, und diese Bravo-Flotte wird sie mit genügend Vorlauf wissen lassen, wenn wir irgendwelche Tricks versuchen.«

»Sie werden uns ein paar Stunden vor dem Sprungpunkt abfangen«, merkte Geary an, sprach aber nicht aus, was sie beide wussten: dass dies ein paar sehr lange Stunden werden konnten.

»Und das gilt nur, solange alle stur dem gleichen Kurs folgen. Wenn die Syndiks aus dem Sprungpunkt von Ixion auftauchen und uns in ein Gefecht verwickeln, dann sind alle Berechnungen hinfällig.« Sie lehnte sich zurück und schloss einen Moment lang die Augen. »Sir, vielleicht ist es nicht ratsam, die Delta-Flotte anzugreifen, auch wenn es derzeit gar nicht danach aussieht, als würde sich die Gelegenheit dazu überhaupt ergeben.«

Das war ja mal etwas ganz Neues, dass ausgerechnet Desjani zur Vorsicht riet. »Meinen Sie?«, fragte er und grübelte über ihre Beweggründe nach.

»Wir befinden uns nicht in der besten Position, um uns eine Schlacht mit einer so großen Streitmacht zu liefern«, erklärte sie. »Ich kann mir denken, dass Ihnen das längst klar ist, aber ich habe etwas länger gebraucht, um es zu erkennen. Wenn wir die von der Bravo-Flotte ausgehende Bedrohung ausräumen könnten, bevor die Delta-Flotte uns abfängt, dann würde das einen großen Unterschied ausmachen. Aber sofern nicht die Flotte von Ixion genau im richtigen Moment eintrifft, sieht es für mich nicht danach aus.«

»Der gleiche Gedanke kam mir auch.«

»Ich wusste es.« Sie nickte entschieden, schlug die Augen auf und sah ihn an. »Wir müssen zu unseren Bedingungen gegen die Syndiks kämpfen. Das haben Sie mehr als einmal gesagt. Als ich die Paladin sterben sah… Nun, auf einmal sah ich, wie ganze Flotten von Allianz-Kriegsschiffen über Jahrzehnte hinweg genau das Gleiche taten und damit sich und ihre Besatzungen den Syndiks zum Fraß vorgeworfen haben. Sicher, es ist ehrenhaft und mutig, aber erreicht haben wir damit nicht viel, nicht wahr?«

»Nein.« Geary verzog den Mund. »Manchmal zeugt es von mehr Mut, wenn man einem Kampf aus dem Weg geht.«

»Weil andere einem vorwerfen werden, dass man Angst hat?« Desjanis Miene war wie versteinert. »Mir hat man in der letzten Zeit Schlimmeres als das vorgeworfen. Wir werden nach Ixion springen, sobald wir können, richtig, Sir?«

»Ja. Wenn das gelingt, ohne dass wir uns einen Kampf mit der Delta-Flotte liefern müssen, dann werden wir das machen.«

»Gut.« Nachdem sie Geary dadurch geschockt hatte, dass sie sich für Vorsicht im Gefecht aussprach, grinste Desjani ihn nun breit an. »Wir werden mehr von ihnen töten, wenn wir mit ihnen kämpfen wann und wo wir es wollen.«

Das war eine Aussage, wie sie wahrer und schlichter nicht hätte ausfallen können. »Richtig.«


* * *

»Was ist mit Seruta?«, wollte Rione wissen, während sie das Display in Gearys Kabine betrachtete. »Wenn wir in diese Richtung ausweichen…«

Geary schüttelte den Kopf, woraufhin sie schwieg. »Das größte Problem besteht darin, dass der Sprungpunkt nach Seruta näher zur Syndik-Flotte Delta liegt. Sie würden uns früher abfangen, und wir müssten länger gegen sie kämpfen, ehe wir den Sprungpunkt erreicht haben.« Er betrachtete den Stern. »Die etwas kleineren Probleme können auch nicht außer Acht gelassen werden. Wir wissen nicht, was die Syndiks bei Seruta haben. Unsere erbeuteten Daten besagen, dass es sich um ein sehr altes und sehr armes System handelt. Keinerlei Planeten, nur ein paar dünne Asteroidenwolken, die um einen sterbenden roten Stern ziehen. Gute Metalle haben die Asteroiden nicht zu bieten. Es gab dort mal eine Notfallstation der Syndiks, aber die wurde vor langer Zeit stillgelegt. Die Syndiks könnten uns ein paar böse Überraschungen hinterlassen haben, und wir wissen schon jetzt, dass wir keine Ressourcen finden können, die wir wirklich benötigen.«

Rione ließ sich nachdenklich nach hinten sinken. »Dann fliegen wir weiter in Richtung des Sprungpunkts nach Ixion? Obwohl wir wissen, dass die Syndiks uns lange davor einholen werden.«

»Ich werde ein paar Manöver versuchen, mit denen wir sie vielleicht auf Abstand halten können.«

»Versuchen?«, wiederholte sie. »Das klingt nach einer sehr, sehr schwachen Hoffnung, John Geary. Wie konnten wir in diese Situation geraten?«

»Außerordentliches Pech ist ein Faktor. Wäre die Delta-Flotte nicht aufgetaucht, dann hätten wir die Bravo-Flotte vernichten und Kurs auf Branwyn nehmen können.« Er starrte auf das Sternendisplay. »Und eine Fehlentscheidung. Meine Fehlentscheidung. Ich habe beschlossen, dass wir nach Lakota reisen, und das war eine sehr schlechte Entscheidung.«

»Tatsächlich? Weil du nicht wusstest, dass du hier außerordentliches Pech haben würdest?« Sie stand auf, setzte sich zu ihm und lehnte sich gegen seine Schulter. »Du kannst dir nicht die Schuld daran geben. Ich muss das wissen, schließlich bin ich die Expertin dafür, mir selbst die Verantwortung aufzuerlegen.«

»Es passt irgendwie nicht, dass du mir nicht die Meinung sagst, weil ich zu aggressiv vorgegangen bin«, merkte Geary an.

»Ich habe dir doch gesagt, ich möchte nicht zu berechenbar sein.« Sie setzte sich gerade hin und gab einen aufgebrachten Laut von sich. »Vielleicht sollen wir ja nicht nach Hause zurückkehren. Vielleicht sind wir in den Besitz von zu gefährlichem Wissen gelangt.«

»Das werde ich nicht akzeptieren.«

»Gut.« Sie stand auf. »Ich muss mit jemandem Frieden schließen, wenn es mir gelingt. Vielleicht bleiben mir nicht mehr sehr viele Tage, um es zu versuchen.«

Desjani'? »Mit wem?«

»Mit meinen Vorfahren. Ich bin bald zurück.«

»Hast du was dagegen, wenn ich dich begleite?«

Sie sah ihn abweisend an. »Du bist nicht mein Ehemann. Du gehörst nicht zu mir in diesen Raum.«

»Ich weiß. Bis dahin wollte ich dich auch nicht begleiten. Ich will auch mit meinen Vorfahren reden.«

Ihre Miene hellte sich auf. »Vielleicht wissen sie ja einen guten Ratschlag.«

»Falls nicht, kann ich mich immer noch an dich wenden.«

Rione verdrehte die Augen. »Ratschläge kann ich genug erteilen. Gute Ratschläge sind dagegen ein ganz anderes Thema.«

»Du hast mir gesagt, ich müsse wohl dumm oder wahnsinnig sein, wenn ich mit dieser Flotte nach Lakota fliege«, machte Geary ihr klar. »Wie es aussieht, hast du da durchaus richtig gelegen.«

Aus irgendeinem Grund schien sie das ein wenig zu amüsieren. »Ich glaube, ich sagte, du bist dumm und Falco ist wahnsinnig. Okay, du kannst mich begleiten. Soll die Crew sehen, dass ihr Held und seine Liebhaberin fromm und anständig sein können. Und wenn ich nicht von meinen vor Scham im Erdboden versunkenen Vorfahren zu Asche verbrannt werde, dann können wir uns ja anschließend hier treffen und vergleichen, welche Inspirationen oder Warnungen wir gespürt haben.«

Geary stand auf und lachte stumm. »Das ist eine verdammt tolle Grundlage für eine militärische Planung, nicht wahr? Zeichen und Wunder. So als wären wir unsere eigenen Vorfahren, die zum Himmel sehen, die Sterne betrachten und sich fragen, was das wohl für Lichtpunkte sein mögen.«

Auf dem Weg zur Luke blieb Rione stehen und sah Geary ernst an. »Die Vorfahren glaubten, die Sterne seien die Götter, John Geary. Und das denken wir auch, wenngleich auf eine völlig andere Weise. Aber wir unterscheiden uns gar nicht so sehr von den Vorfahren, die aus dem Blickwinkel des Universums nur einen Moment lang existierten, die aber ihr ganzes Dasein mit dem Versuch verbrachten, zu verstehen, warum sie auf dieser Welt sind und was sie mit der Gabe ihres Lebens tun sollen. Ich versuche, mir das immer vor Augen zu halten.«

Er nickte und wunderte sich einmal mehr über die Frau, die in Victoria Rione steckte.


* * *

Auf halber Strecke zum Ixion-Sprungpunkt hing die Syndik-Flotte Bravo ihnen noch immer im Genick, während die Syndik-Flotte Delta eine Kurve durch das System flog, die sie zwei Stunden vor dem Sprungpunkt die Flugbahn der Allianz-Flotte kreuzen lassen würde. Die Syndik-Flotte Alpha zog nach wie vor in aller Ruhe vor dem Hypernet-Portal ihre Bahnen, um einen verzweifelten und zunehmend unmöglicher werdenden Sturm der Allianz-Schiffe auf das Portal zu verhindern. Noch immer war nichts von der kleineren Flotte zu sehen, die von Ixion herkommen musste.

Da seine Vorfahren ihm kein Omen und keinerlei Inspiration geschickt hatten, saß Geary da und beobachtete, wie sich die Formationen langsam durch das Lakota-Sternensystem bewegten. Alle historischen Beispiele für Streitmächte, die sich in einer ähnlichen Situation wie die Allianz-Flotte befanden, hatten ein ähnliches Ende genommen — und es war kein gutes Ende für die Allianz-Schiffe.

Er versuchte, einen Kopfschmerz zu ignorieren, der sich zwischen seinen Augen festsetzte und aus Stress geboren war. Wie hatte es zu dieser Lage kommen können? Wäre er bloß nicht immer wieder von neu eintreffenden Syndik-Flotten überrumpelt und gezwungen worden, seine Pläne zu ändern. Anstatt selbst das Heft in der Hand zu halten, hatte er nur auf die Schachzüge des Feindes reagieren können.

Ja, genau. Er hatte auf jeden Zug des Feindes reagieren müssen.

Der Feind war schneller. Die Bravo- und die Delta-Formation konnten beide schneller beschleunigen als Gearys Flotte, und sie waren in der Lage, höhere Geschwindigkeiten beizubehalten. Das war eindeutig ein Vorteil, aber ein langsameres Schiff konnte eine engere Kehre fliegen, auch wenn der Radius bei 0,05 Licht nicht so viel kleiner ausfiel. Trotzdem… er hatte die ganze Zeit über nur reagieren können. Wenn er eine Möglichkeit fand, die Syndiks zu überrumpeln und zu einer eigenen Reaktion zu zwingen…

Es war kein genialer Plan, doch es war immerhin ein Plan.


* * *

Das Gesicht von Commander Suram, dem befehlshabenden Offizier der Warrior, blickte Geary skeptisch an und rechnete zweifellos mit schlechten Neuigkeiten. Suram war zuvor Captain Kerestes' XO gewesen, aber was für ein Typ war er wirklich? Niemand wusste eine Antwort auf diese Frage, doch Geary musste dem Mann jetzt eine Chance geben. »Commander Suram, die Crew der Warrior hat mit der Reparatur der Gefechtsschäden erstklassige Arbeit geleistet. Ihre Schilde sind wieder voll einsatzfähig, und die Hälfte der Höllenspeer-Batterien ist wieder funktionstüchtig.«

Suram nickte. »Ja, Sir. Wir haben es allerdings nicht geschafft, alle beschädigten Panzerplatten zu reparieren. Und der Antrieb leistet derzeit nur fünfundsiebzig Prozent.«

»Das genügt, um mit den Hilfsschiffen mithalten zu können. Ich habe einen speziellen Auftrag für die Warrior, Commander Suram. Ich übertrage Ihnen zusätzlich das Kommando über die Orion und die Majestic.«

»Sir?«, kam Surams verdutzte Reaktion.

»Diese Hilfsschiffe müssen unbedingt beschützt werden, Commander Suram«, erklärte Geary ernst. »Wenn wir sie verlieren, ist diese Flotte tot. Das wissen Sie so gut wie ich. Wenn wir es wieder mit den Syndiks aufnehmen, dann werden deren Flotten aus verschiedenen Richtungen auf uns zukommen. Es wäre sehr schwierig für mich, die Titan, Witch, Jinn und Goblin unentwegt im Auge zu behalten, damit sie nicht beschädigt oder vernichtet werden. Ich will, dass die Warrior, die Orion und die Majestic so dicht bei den Hilfsschiffen bleiben, als wären sie aneinandergekettet. Ich will, dass Sie notfalls jeden Beschuss mit Ihren Schiffen blockieren und jedes Syndik-Schiff zerstören, das sich den Hilfsschiffen zu nähern versucht. Können Sie das leisten, Commander Suram?«

Suram schob den Unterkiefer vor. »Jawohl, Sir.«

»Ihnen muss klar sein, dass ich Ihnen damit die wichtigste Aufgabe der gesamten Flotte übertrage. Ich kann kein einzelnes großes Kriegsschiff erübrigen, und auch kein kleines. Ich muss von Ihnen wissen, dass Sie alles Erforderliche tun werden, um bei diesen Hilfsschiffen zu bleiben und sie zu schützen.«

»Eher wird die Warrior zerstört werden, als dass den Hilfsschiffen etwas passiert«, erwiderte Suram. »Ich weiß, wir haben etwas zu beweisen«, fügte er mit rauer Stimme an. »Ich selbst und die Crew der Warrior. Bei Vidha haben wir die Polaris und die Vanguard zurückgelassen, aber diese Hilfsschiffe werden wir nicht aus den Augen lassen. Das schwöre ich bei der Ehre meiner Vorfahren.«

Geary wusste, jeder würde ihm sagen, dass es verrückt war, der Warrior zu vertrauen, von der Orion und der Majestic ganz zu schweigen. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass kein anderes Schiff so viel zu beweisen hatte. Natürlich hieß das nicht, dass er Commander Yin diese Mission ebenso übertragen hätte. Das wäre nun wirklich verrückt gewesen. »Würde ich nicht glauben, dass Sie diese Mission ausführen können, hätte ich Sie Ihnen auch nicht übertragen, Commander Suram. Sagen Sie das Ihrer Crew. Ich weiß, die Warrior wird bis zuletzt kämpfen.«

Wieder nickte Suram, dann salutierte er. »Danke, Sir. Wir werden unsere Ehre zurückerlangen oder bei dem Versuch unser Leben opfern.«

Geary lächelte. »Tun Sie uns beiden einen Gefallen und erlangen Sie lieber Ihre Ehre zurück, anstatt zu sterben. Ich will die Warrior im Gefecht wieder an vorderster Front sehen. Kommen Sie mit den Kommandanten der Orion und der Majestic klar? Werden die Ihre Befehle befolgen?«

»Jeder Offizier und jeder Matrose der Orion und der Majestic wird seine Mission kennen und wissen, welche Gelegenheit sich ihnen allen hier bietet, Sir«, versicherte Suram ihm. »Nochmals vielen Dank, Sir. Unser Schiff wird Ihr Vertrauen in uns nicht enttäuschen.«


* * *

Noch ein Tag bis zum Sprungpunkt. Er verbrachte Stunden damit, den Simulator anzustarren, der eine Darstellung der momentanen Situation anzeigte. Die riesige Syndik-Flotte Delta hatte wieder ihre traditionelle Kastenformation eingenommen, auch wenn die diesmal recht flach ausfiel und der vordere obere Rand wie eine dicke Mauer weit über die Unterkante hinausragte.

Auch die Bravo-Formation hatte sich umgeordnet und glich jetzt dem Delta-Vorbild, wenngleich sie deutlich kleiner war. Auch wenn Bravo durch die Allianz-Flotte an dem Sprungpunkt nach Branwyn schwere Verluste zugefügt worden waren, so verfügten die Syndiks immer noch über fünfzehn Schlachtschiffe und zehn Schlachtkreuzer. Sie hatten auch etliche leichtere Schiffe verloren, doch kleiner wirkte sie nur im direkten Vergleich mit den dreiundzwanzig Schlachtschiffen und zwanzig Schlachtkreuzern der Delta-Formation.

Geary wunderte sich, dass die Bravo-Flotte keinen Sprung nach vorn gemacht hatte, um den Allianz-Matrosen einen Schreck einzujagen oder um den Vorsprung schrumpfen zu lassen, indem die Flotte Ausweichmanöver flog. Sie sind wieder sehr selbstbewusst. Sie glauben, wir sitzen in der Falle und das Ende steht bereits fest.

Wir werden ja sehen.


* * *

Noch eine Stunde, bis der Kurs der Delta-Formation den der Allianz-Flotte kreuzen würde. Geary nahm in seinem Sessel auf der Brücke der Dauntless Platz und nickte Desjani zum Gruß zu. Rione saß auf ihrem üblichen Platz und schien die Ruhe selbst zu sein, aber die Augen verrieten ihre Anspannung.

»Syndik-Flotte Bravo beschleunigt«, meldete der Steuer-Wachhabende.

»Sie wollen uns zur gleichen Zeit einholen wie die Delta-Flotte«, stellte Desjani fest und hörte sich an, als würde sie über eine Simulation reden, nicht über einen taktischen Zug einer erdrückend großen Syndik-Übermacht.

»Zweifellos«, stimmte Geary ihr zu. »Dann wollen wir ihnen mal in die Suppe spucken.« Er betätigte die Komm-Kontrollen. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte, nehmen Sie Formation Omicron ein, sobald Sie diesen Befehl erhalten haben. Die Aufgabenverteilung geht Ihnen jetzt zu.«

»Formation Omicron?«, fragte Desjani und schaute auf das Display. Als Flaggschiff stellte die Dauntless für alle anderen Schiffe einen festen Bezugspunkt dar und würde die eigene Position nicht verändern. »Sir? Ein Zylinder?«

»Ja, richtig.« Er konnte ihre Verwunderung verstehen. »Das verschafft uns zwei Vorteile. Als die kleinere Streitmacht machen wir es den Syndiks auf diese Weise schwerer, jedes unserer Schiffe gleichzeitig zu attackieren. Ihre Kastenformation kann sich nicht schnell genug anpassen, um darauf zu reagieren.« Zumindest hoffe ich das. »Und da wir langsamer sind, können wir unsere Formation schneller wenden.«

Die Schiffe der Allianz-Flotte wechselten in die Formation Omicron, die ganz auf Unterformationen verzichtete. Auch waren die Kriegsschiffe nicht mehr weiträumig verteilt, sondern bewegten sich mit minimalem Sicherheitsabstand. Der Zylinder wirkte nur dann klein und kompakt, wenn man ihn mit den Syndik-Formationen verglich, aber der größte Teil der von der Delta-Formation gebildeten Mauer würde nicht in der Lage sein, in das Geschehen einzugreifen, selbst wenn die beiden Streitmächte durch einander hindurchfliegen sollten.

Geary hatte auch auf die standardmäßige Vorgehensweise verzichtet, leichtere Begleitschiffe zwischen den Kriegsschiffen und dem Feind zu platzieren. Normalerweise hätte das der Fall sein müssen, doch er beabsichtigte ja auch nicht, einen normalen Kampf zu führen. Die Außenseite des Zylinders setzte sich vorne und hinten aus Schlachtschiffen zusammen, die Schlachtkreuzer bildeten in der Mitte eine Art Gürtel. Im Inneren des Zylinders waren die Zerstörer und die Leichten Kreuzer untergebracht, die Schweren Kreuzer stellten die flachen Enden dar, wobei ein Ende durch zwei Scout-Schlachtschiffe verstärkt wurde. Ebenfalls im Inneren folgten die Hilfsschiffe Warrior, Orion und Majestic dicht an dicht, die auf diese Weise maximal geschützt waren.

»Dreißig Minuten bis zum Kontakt mit Syndik-Flotte Delta«, meldete der Gefechtssystem-Wachhabende. »Achtundzwanzig Minuten bis zum Kontakt mit Syndik-Flotte Bravo.«

Das letzte Allianz-Kriegsschiff nahm seinen Platz in der Formation ein, und der Zylinder flog weiter auf den Sprungpunkt nach Ixion zu.

»Der Delta-Commander wird uns zuerst von der Bravo-Formation weichklopfen lassen, die ihrerseits den größten Teil unserer Gegenwehr einstecken muss. Erst dann greift er ein, um uns zu erledigen und um das ganze Lob allein zu kassieren«, sagte Desjani. »Ich konnte noch nie Kommandanten leiden, die sich so verhalten.«

»Auf den hier wartet allerdings eine Enttäuschung.« Hoffe ich jedenfalls. Geary wartete und versuchte, den richtigen Moment abzupassen. »An alle Einheiten, verringern Sie die Geschwindigkeit auf 0,07 Licht.«

Die Syndik-Schiffe waren nun nahe genug, um den Formationswechsel der Allianz-Flotte mit nur wenigen Minuten Verspätung sehen zu können, doch sie würden abwarten müssen, bis die neue Formation abgeschlossen war, bevor sie sich Gegenmaßnahmen seitens der eigenen Formation überlegen konnten. Nun konnte Geary beobachten, wie die Delta-Formation allmählich komprimiert wurde, damit die Mauer kürzer und dicker wurde, um mehr Syndik-Schiffen zu ermöglichen, das Feuer auf die Allianz-Flotte zu eröffnen. Durch Gearys Befehl, die Geschwindigkeit zu reduzieren, kamen die Syndiks allerdings viel schneller in Reichweite, als sie es erwartet hatten.

»Zehn Minuten bis zum Kontakt mit Bravo, zwölf Minuten bis zum Kontakt mit Delta.«

Das war nah genug. Die Bravo-Flotte, die von hinten auf sie zuraste, schloss allmählich auf, während sich die Delta-Flotte von der Seite her näherte und immer noch mit 0,2 Licht herangeschossen kam. Er wird jetzt abbremsen müssen. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte, drehen Sie bei Zeit drei eins die Formation um neun null Grad nach unten und um sieben null Grad nach Steuerbord.« Ein weiteres komplexes Manöver, bei dem die Schiffe gleichzeitig den Zylinder nach unten drehten und ihn auf einen neuen Kurs brachten.

»Delta bremst ab«, meldete Desjani, kaum dass Geary seinen Befehl ausgesprochen hatte und die Dauntless zusammen mit den anderen Schiffen auf einen neuen Kurs ging.

Bei der hohen Geschwindigkeit hatte die Delta-Flotte Mühe, die Allianz-Formation im Auge zu behalten. Da sie zugleich massiv verzögerten, konnten sie ohnehin nichts dagegen unternehmen.

Die Bravo-Formation hinter ihnen versuchte den Kurvenflug nachzuvollziehen, doch wegen der höheren Geschwindigkeit fiel deren Kurve weiter aus.

Ein Hagel aus Raketen und Kartätschen, der von der Delta-Flotte abgefeuert worden war, jagte dort durch den leeren Raum, wo sich nach den Berechnungen der Gefechtssysteme eigentlich die Allianz-Formation hätte befinden sollen.

Die dicke Delta-Kastenformation raste an der Stelle vorbei, wo die Allianz-Flotte eigentlich hätte sein müssen, doch der nunmehr vertikal angeordnete Zylinder flog am äußersten Rand der Reichweite der gegnerischen Höllenspeere entlang.

»Schön«, sagte Desjani zustimmend, nahm den Blick aber nicht vom Display, da sie wusste, das war nur der erste Zug gewesen.

Auch Gearys Augen waren auf die Anzeige gerichtet. Die Syndiks würden ihnen folgen. Bravo wird die Kurve vollenden und einen Satz auf uns zu machen, sobald wir auf dem neuen Kurs sind. Delta wird nach oben oder unten ausweichen, damit der nächste gemeinsame Angriff leichter koordiniert werden kann. Das heißt, ich muss mit meiner Flotte… dorthin. »An alle Einheiten, ändern Sie bei Zeit vier vier den Kurs um eins neun null Grad nach Steuerbord.«

Delta flog nach oben, während Bravo es wiederum versäumte, die Kurve der Allianz-Flotte nachzuvollziehen, und sich dabei noch weiter von ihr entfernte. »An alle Einheiten, ändern Sie bei Zeit vier neun den Kurs um zwei null Grad nach unten und drehen Sie bei Zeit fünf zwei die Formation um sieben null Grad nach oben.«

Diesmal erreichte der Zylinder fast eine horizontale Lage relativ zur Systemebene und raste in dem Moment unter Delta hindurch, als Bravo stark abbremste, um langsam genug zu werden, damit sie den gleichen engen Wendekreis vollziehen konnte wie die deutlich langsameren Allianz-Schiffe. Geary wartete, bis er sah, dass auch Delta ein weiteres Bremsmanöver einleitete. »An alle Einheiten, ändern Sie bei Zeit zwei null den Kurs um neun fünf Grad nach Steuerbord und beschleunigen Sie auf 0,1 Licht.«

Während die Syndik-Formationen abbremsten und aufeinander zuflogen — Delta von oben kommend, Bravo von der Seite —, um die Allianz-Flotte in die Zange zu nehmen, jagte die bereits in Richtung Ixion-Sprungpunkt davon.

»Das ist das seltsamste Gefecht, das ich je miterlebt habe«, erklärte Desjani verwundert.

»Es ist noch nicht vorbei«, erwiderte Geary. »Die werden sich neu ordnen, wieder beschleunigen und uns weiter verfolgen.«

»Sie werden beide genau hinter uns sein.« Desjani rechnete die Steuerlösung durch. »Aber sie werden uns trotzdem vor dem Sprungpunkt einholen.«

»Ja.«

»Wird das Manöver noch einmal funktionieren?«, fragte Rione.

»Das Abtauchen?« Er schüttelte den Kopf. »Früher haben wir das oft zum Spaß gemacht und es damit gerechtfertigt, dass wir so lernten, die Bewegungen einer anderen Formation vorauszuahnen. Vielleicht war das ja auch so. Aber beim nächsten Mal wird es nicht klappen. Die Syndiks erwarten jetzt von uns, dass wir ausweichen, und sie haben genügend Schiffe, um ihre Formation breit zu fächern, damit wir nächstes Mal dem Kontakt nicht wieder entgehen können.«

Rione machte eine betrübte Miene, doch Desjani verstand, was er meinte, und setzte ein diebisches Grinsen auf. »Eine breit gefächerte Formation bedeutet, dass die Syndiks ihre Feuerkraft nicht so sehr konzentrieren können.«

»Richtig, und das werden wir zu unserem Vorteil nutzen.« Er deutete auf das Display, das zeigte, wie die Syndiks erneut zu beschleunigen begannen. »Sieht so aus, als würden sie Bravo und Delta verschmelzen lassen. Ich brauche eine Schätzung, wo sich das Flaggschiff befindet.«

»Es sollte genau im Zentrum der vordersten Linie sein«, antwortete Desjani.

Geary nickte. Der Ehrenplatz. Der Platz, der von einem blindlings drauflos stürmenden Feind am stärksten unter Beschuss genommen werden würde. Es war beileibe keine kluge Taktik, aber so wie die Syndiks war er auch immer noch an die gängige Vorgehensweise gebunden, da jeder in dieser Flotte entsetzt wäre, wenn sich das Flaggschiff nicht im Mittelpunkt des Angriffs befände.

Hinter der Allianz-Flotte breitete sich die zusammengeschlossene Syndik-Formation immer weiter aus und streckte sich dabei gleichzeitig so weit nach oben und unten, dass kein Ausweichmanöver mehr an diesen Schiffen vorbeiführen konnte. Ihr wollt uns fangen? Na schön, dann werdet ihr gleich erfahren, was es bedeutet, seine Hand um eine Hornisse zu schließen.

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