Über drei Tage waren inzwischen vergangen, und die Syndiks hatten sich nach wie vor nicht von der Stelle gerührt. Während die Flotte das Lakota-System durchquerte, nahm die Entfernung zum Portal allmählich ab, und in ein paar Stunden würde der Moment erreicht sein, an dem sie dem Hypernet-Portal am nächsten wären — auch wenn das ein sehr relativer Begriff war, betrug die Distanz doch immer noch dreieinhalb Lichtstunden.
Geary hatte die Syndik-Flotte und seine Formation Echo Five Five nicht aus den Augen gelassen, aber seit Captain Midea mit der Paladin in diese Formation übergewechselt war, hatte sie sich ruhig verhalten und ihre Position nahe der Orion und der Majestic beibehalten.
Die einzige Abwechslung in dieser Zeit hatten die kinetischen Geschosse geboten, die ihrem Weg unbeirrt folgten. Sobald jedes dieser Geschosse sein Ziel erreichte, lieferten die Sensoren gestochen scharfe Bilder vom jeweiligen Einschlag, bei dem Verteidigungsanlagen der Syndiks und fest installierte Waffensysteme in einer Explosion aus Plasma und Trümmern vergingen.
»Wenigstens haben wir irgendetwas in diesem System leisten können«, brummte Desjani, während sie zusahen, wie eine weitere Syndik-Anlage in einen von Schutt umgebenen Krater verwandelt wurde. Dann schaute sie verlegen zu Geary. »Ich wollte damit nicht…«
»Schon gut. Ich bin auch frustriert.«
Von einer Seite näherten sich langsam die gekaperten Erzfrachter; sie wurden von den Allianz-Zerstörern bewacht wie ein paar Schafe von einer Hundemeute. Um mit der Flotte zusammenzutreffen, brauchten die Syndik-Schiffe fast ihre gesamte Antriebsenergie auf, doch das war nicht weiter von Bedeutung, da die Allianz sie nicht mehr benötigte, wenn sie erst mal das Erz an Bord geholt hatten.
»Sieben Stunden, bis Echo Five Five mit diesen Erzfrachtern zusammentrifft«, meldete Desjani.
»Ja. Warum unternehmen die Syndiks nichts? Sie haben sich noch nie so passiv verhalten, wenn wir in ein System gekommen sind.«
Bedauerlicherweise konnte ihm auch der Geheimdienst nicht weiterhelfen. Lieutenant Igers einziger Vorschlag lautete, dichter an der bewohnten Welt vorbeizufliegen, weil das wahrscheinlich einen regeren Funkverkehr mit den Syndiks auslösen würde, der dann ausgewertet werden konnte. Jedoch wollte Geary nicht unnötig Brennstoffzellen verbrauchen, nur um einen Schlenker hin zu dem Planeten zu machen, und er hatte auch nicht die Absicht, seine Schiffe zu nahe an die Syndik-Verteidigungsanlagen auf dieser Welt heranzuführen, weshalb er sich letztlich gegen den Vorschlag aussprach.
Die Allianz-Flotte hatte den Punkt, an dem sie dem Hypernet-Portal am nächsten war, seit fast einer Stunde hinter sich gelassen und Geary überlegte ernsthaft, ob er die Hilfsschiffe irgendwie zu einem einladenderen Ziel machen konnte, doch dann auf einmal tat sich etwas… unerfreulicherweise nichts Gutes.
»Captain Geary, eine Syndik-Flotte verlässt den Sprungpunkt von T'negu.«
Als Geary auf die Brücke der Dauntless kam, hatten die Flottensensoren die Analyse der eintreffenden Streitmacht abgeschlossen. Captain Desjani deutete auf das Display. »Wir haben uns die Zahlen angesehen und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sich dabei um die Blockade-Flotte handelt, die bei T'negu auf uns gewartet hat. Einer der Jäger, die uns bei Ixion beobachtet haben, wird nach T'negu gesprungen sein, sobald klar war, dass wir Lakota zum Ziel haben. Wenn unsere Informationen zutreffen, was die Sprungzeiten von Ixion nach T'negu und von dort hierher in dieses System angeht, dann hat die Zeit gerade gereicht, dass ein Jäger nach T'negu springt, die dortigen Syndiks über unser wahres Ziel informiert und dann mit ihnen herspringt.«
»Damit hätten wir rechnen sollen«, fluchte Geary, der auf sich selbst wütend war. Während ihrer Reise durch das Syndik-Territorium war die Allianz-Flotte nur selten in einem System gewesen, das über eine solche Weltraumgeometrie verfügte, doch das war keine Rechtfertigung für eine solche Nachlässigkeit.
»Normalerweise reagieren die Syndiks gar nicht so schnell«, machte Desjani klar. »Es hätte viel länger dauern sollen, ehe sie die Erlaubnis erhielten, T'negu zu verlassen.«
Geary ging auf diese Bemerkung gar nicht ein, sondern betrachtete mit finsterer Miene die Zahlen zur neuen Syndik-Flotte. »Achtzehn Schlachtschiffe, vierzehn Schlachtkreuzer, dreiundzwanzig Schwere Kreuzer.« Dazu noch etliche Leichte Kreuzer und Jäger. Die Syndik-Flotte vor dem Hypernet-Portal und diese Streitmacht ergaben zusammen eine Kampfstärke, die in etwa der der Allianz-Flotte entsprach. »Das Gleichgewicht der Kräfte ist soeben wiederhergestellt worden.«
»Jede Streitmacht für sich genommen ist uns zahlenmäßig unterlegen«, hielt Desjani dagegen.
»Ja, sofern wir eine von beiden in ein Gefecht verwickeln können, ohne dass die andere eingreift. Aber diese Streitmacht ist groß genug, um uns in Schwierigkeiten zu bringen.« Unwillkürlich dachte er darüber nach, was wohl geschehen wäre, hätten sie sich für den Weg nach T'negu entschieden. Dann wären sie am Sprungpunkt nicht nur von einem Minenfeld empfangen worden, sondern auch von dieser Streitmacht. Es hätte also alles deutlich schlimmer kommen können. Wieder musterte er das Display. »Die müssen uns in dem Moment gesehen haben, als sie ins System gekommen sind. Warum sind die noch immer nicht auf Abfangkurs gegangen?«
Desjani schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Sir. Wir sind auf kleinere Flotten getroffen, die sich aggressiver verhalten haben.« Sie sah ihn an. »Vielleicht haben sie Angst vor Ihnen.«
Fast hätte er darüber gelacht, doch Desjani schien das völlig ernst zu meinen. »Das wäre zu schön, um wahr zu sein«, erwiderte er schließlich. »Aber…«
»Sie drehen bei!«, rief in dem Moment ein Wachhabender. »Syndik-Flotte Bravo ändert Kurs und Geschwindigkeit.«
Gearys Blick kehrte zurück zum Display. Die Syndik-Streitmacht war noch gut drei Lichtstunden entfernt, also hatten die Syndiks sie vor drei Stunden gesehen, bevor der Allianz-Flotte deren Auftauchen überhaupt auffallen konnte. Genügend Zeit also, um einen Plan zu entwickeln oder um Befehle von den Syndik-Behörden in diesem System zu erhalten. Doch erst jetzt schien die neue Flotte auf die Anwesenheit der Allianz-Flotte zu reagieren.
»Die sind bereits über den Abfangkurs hinausgeflogen«, stellte Desjani verdutzt fest. »Wohin wollen die?« Leider wurde die Antwort darauf sehr schnell offensichtlich. »Sie haben Kurs auf den Sprungpunkt nach Branwyn genommen.«
»Springen wollen sie dahin ganz sicher nicht«, ergänzte Geary. Die Syndik-Streitmächte, denen sie bislang begegnet waren, hatten selbst dann aggressiv agiert, wenn das völlig sinnlos war. Diese Flotte ließ ein solches Verhalten dagegen nicht erkennen. »Wollen die nur den Sprungpunkt blockieren? So wie die anderen das Portal besetzt halten? Ist das ihre neue Taktik? Abwarten, bis wir es leid sind und eine Dummheit begehen?«
Desjani legte die Stirn in Falten. »Vermutlich haben sie bei T'negu den Sprungpunkt vermint.«
»Genau.« Ihm wurde auch klar, was das zu bedeuten hatte. »Die werden den Sprungpunkt nach Branwyn verminen, nicht wahr?«
»Ich glaube schon, Sir. Da wir versuchen, dieses Sternensystem zu verlassen, können sie den Sprungpunkt vollständig verminen, damit wir das Minenfeld auf jeden Fall zum Teil durchfliegen müssen, um ihn zu erreichen.«
»Wenn wir nicht zu viele Schiffe verlieren wollen, müssen wir möglichst langsam fliegen, und damit sind wir für Hochgeschwindigkeitsattacken dieser Flotte empfänglich.« Die Zahl der brauchbaren Alternativen nahm rapide ab. »Meinen Sie, wir könnten sie vom Sprungpunkt nach Branwyn weglocken, indem wir vorgeben, mit der Flotte Kurs auf das Hypernet-Portal zu nehmen?«
Desjani dachte angestrengt nach. »Sie können es sich nicht leisten, uns das Portal erreichen zu lassen, wenn wir ihnen so überlegen sind. Und der Kommandant dieser zweiten Flotte wird seines Lebens nicht mehr froh, wenn die erste Flotte das Portal zerstören muss, weil er uns nicht verfolgt hat. Aber die Flotte am Portal kann es aus eigenem Antrieb zerstören, wenn sie das will. Und wenn wir jetzt das Portal zu bedrohen versuchen, würden wir der neuen Syndik-Streitmacht den Rücken zudrehen. Das würde nicht überzeugend aussehen.«
»Ich will diese neue Flotte von ihrer Position locken, damit wir sie angreifen können«, machte Geary klar.
»Das ist richtig«, stimmte Desjani ihm zu.
»Die werden nicht überhastet angreifen«, ließ Rione verlauten.
Geary drehte sich zu ihr um. Bis zu diesem Moment hatte er gar nicht bemerkt, dass sie auf die Brücke gekommen war. »Wieso nicht?«
»Weil sogar die Syndiks lernfähig sind, wenn sie genügend Verluste einstecken mussten.« Sie schaute Geary an. »Wie viele Syndik-Kriegsschiffe hat diese Flotte unter Ihrem Kommando zerstört? Wie viele Schlachten haben Sie gewonnen? Und nicht bloß gewonnen, sondern praktisch einseitig entschieden? Das ist Ihnen wieder und wieder gelungen.« Sie deutete auf die Darstellung der Syndik-Flotte Bravo auf dem Display. »Die Syndiks haben gelernt. Zweifellos haben sie den Befehl erhalten, nur dann einen Kampf zu beginnen, wenn die Gegebenheiten für sie günstig sind und wir uns in einer schlechten Position befinden. Die Syndiks können abwarten, aber den Luxus haben wir nicht.«
»Sie haben Angst vor Captain Geary!«, wiederholte Desjani triumphierend. »Aber sie können diese Flotte nur davon abhalten, den Sprungpunkt nach Branwyn zu benutzen, indem sie eine Schlacht gegen uns anzetteln.«
Geary studierte aufmerksam die Situation. Alles Wichtige befand sich derzeit ziemlich genau auf der Ebene des Sternensystems, nichts lag deutlich darüber oder darunter. Die Allianz-Flotte, die einem bogenförmigen Kurs durch das System folgte, hatte mehr als die halbe Strecke bis zum anvisierten Sprungpunkt zurückgelegt und war nun auf dem Weg zum Rand des Systems. Das Hypernet-Portal mit seinen Syndik-Bewachern war nur gerade drei Lichtstunden nach Backbord entfernt. Die bewohnte Welt war unterwegs zur abgewandten Seite des Sterns und fast eine Lichtstunde entfernt, sodass ihr als Bedrohung für die Allianz-Flotte keine Bedeutung mehr zukam. Die zweite Syndik-Flotte war durch den Sprungpunkt von T'negu kommend ins System eingetreten, und nach ihrer Kursänderung war sie nun unterwegs zum Sprungpunkt nach Branwyn. Damit würde sie bei gleichbleibender Geschwindigkeit und unverändertem Kurs die momentane Flugbahn der Allianz-Schiffe kreuzen und dabei gut eine halbe Lichtstunde entfernt sein. Aber die Allianz-Flotte musste ihrerseits den Kurs ändern, wenn sie nicht einfach in den leeren Raum weiterfliegen wollte. Die Frage war nur, auf welches Ziel dieser Kurs geändert werden sollte.
Sollten sie einen Schlenker zu der bewohnten Welt unternehmen und sehen, ob die Syndiks ihnen folgten, um zu verhindern, dass sie sie bombardierten? Nein, er hatte in den vorangegangenen Sternensystemen genug gesehen, um zu wissen, dass die Syndik-Führer kein Interesse am Schicksal ihrer Zivilisten oder gar an den Industrieanlagen einer Welt hatten. Bei mehr als einer Gelegenheit hatten die Syndik-Führer sogar versucht, ihn genau dazu zu provozieren, wohl in der Hoffnung, dass ihre Leute weiterhin die Allianz fürchteten.
Sollten sie einen Vorstoß zum Hypernet-Portal wagen und darauf hoffen, von der zweiten Flotte verfolgt zu werden? Wie Desjani bereits gesagt hatte, gab es keine Garantie, dass die Syndiks darauf reagierten. Weiterflug zum Sprungpunkt? Auch wenn klar war, dass die Flotte dort Minen verteilen und warten würde, um sich auf Gearys Schiffe zu stürzen, sobald sie eintrafen? Er musste gar nicht erst Desjani ansehen, um zu wissen, dass sie von Geary erwartete, dass der auf jede noch so große feindliche Streitmacht losging. Und die meisten anderen Kommandanten der Flotte dachten ganz genauso wie sie. Wenn er kehrtmachte, lief er Gefahr, dass einige Schiffe einfach in Richtung Sprungpunkt weiterflogen, nur weil sie unbedingt ein Gefecht vom Zaun brechen wollten.
Geary warf einen Blick auf die Statusanzeigen seiner Schiffe, insbesondere auf den Stand der einzelnen Brennstoffzellen. Ich habe gar nicht genug Reserven, um in diesem System hin und her zu fliegen. Die Syndiks müssen erst reagieren, wenn wir uns tatsächlich dem Hypernet-Portal nähern. Und dann zerstören sie es, und die Flotte ist nicht länger in der richtigen Position, um einen der Sprungpunkte zu erreichen, durch die sie das Lakota-System verlassen könnte. Und wenn das Portal so zusammenbricht, dass die Energieentladung auf einem höheren Niveau stattfindet, dann wird vielleicht das gesamte Sternensystem vernichtet, zusammen mit allem, was sich darin befindet — auch diese Flotte.
Ich brauche eine simple Lösung, die die Brennstoffzellen schont, damit ich auf sie zurückgreifen kann, wenn ich sie brauche. Eine andere Wahl bleibt mir nicht. »Captain Desjani, wir werden die Syndik-Flotte abfangen, die den Sprungpunkt nach Branwyn ansteuert.« Nicht nur sie grinste daraufhin, auch die Wachhabenden auf der Brücke schien dieser Befehl zu freuen. »Können Sie mir einen Abfangkurs empfehlen?«
»Eins drei Grad nach Steuerbord, null vier Grad nach oben«, antwortete sie prompt. »Gleichzeitig müssen wir aber die Geschwindigkeit auf 0,07 Licht erhöhen, damit wir die Syndik-Flotte einholen, sobald die den Sprungpunkt nach Branwyn erreicht. Zeit bis dahin einundvierzig Stunden, zwölf Minuten.«
»Danke, Captain.« Desjani musste den Abfangkurs schon lange vor seiner Anforderung berechnet haben. Auch wenn die Allianz-Schiffe so ausgerichtet waren, dass sie sich eigentlich nach backbord drehten, orientierten sich Steuerbefehle am umgebenden Sternensystem. Ansonsten hätte ein Schiff im All nie wissen können, wo für das andere links und rechts oder oben und unten war, da es in jede beliebige Richtung unterwegs sein konnte. Die Regel lautete, dass in einem Sternensystem Backbord die von der Sonne abgewandte und Steuerbord die entgegengesetzte Seite war, während sich oben und unten nach der Ebene des Sternensystems richtete. Da der Abfangkurs erforderte, dass die Flotte ein wenig in Richtung der Sonne fliegen musste, bedeutete das eine Kurskorrektur nach Steuerbord.
Rione hielt eine Hand gegen ihre Stirn gepresst, ihr Gesicht war von einem frustrierten Ausdruck geprägt. »Auf dem Weg in die Schlacht, Captain Geary?«, fragte sie.
»Das wird sich noch zeigen.« Er aktivierte die flottenweite Komm-Verbindung. »An alle Schiffe, ändern Sie bei Zeit drei zwei den Kurs um eins drei Grad nach Steuerbord und vier Grad nach oben, und gehen Sie auf 0,07 Licht.« Es missfiel ihm, diesen nächsten Befehl erteilen zu müssen, doch nach der Ankunft der zweiten Syndik-Flotte blieb ihm keine andere Wahl. »Zweites und Siebtes Zerstörergeschwader, stellen Sie die Antriebseinheiten der Erzfrachter auf Selbstzerstörung und schließen Sie sich so schnell wie möglich wieder der Flotte an. Sorgen Sie dafür, dass alle gefangen genommenen Syndiks sich mit den Rettungskapseln der Frachter in Sicherheit bringen können. Ich will nicht, dass Sie sich mit denen auch noch während des Gefechts herumschlagen müssen.«
War da noch etwas? O ja, der Köder, auf den die Syndiks nicht reagiert hatten. »Captain Tyrosian, sorgen Sie dafür, dass die Aufstockung Ihrer Vorräte und die Rückkehr aller Shuttles so bald wie möglich, spätestens jedoch in vierundzwanzig Stunden abgeschlossen sind. Captain Mosko, gehen Sie mit Formation Echo Five Five notfalls auf höhere Geschwindigkeit, damit Sie wieder Ihre alte Position in Relation zur Flotte einnehmen.«
»Noch drei Tage müssen wir warten, ehe wir die Syndiks eingeholt haben.« Desjani verzog das Gesicht und wünschte sich offensichtlich, schon jetzt in Waffenreichweite zu sein. »Ich hasse diese Warterei.«
»Hast du vor, mit der Flotte aus diesem System zu springen, oder willst du dir eine Schlacht mit den Syndiks liefern?«, wollte Rione wissen. Auf dem Weg zu seinem Quartier hatte sie diszipliniert geschwiegen, doch gleich nach dem Schließen der Luke warf sie ihm diese Frage an den Kopf.
»Das kommt drauf an.« Geary ließ sich in seinen Sessel fallen und aktivierte das Display, das die Situation im Lakota-System zeigte. »Was machen die Syndiks? Wie werden sie reagieren? Mit dieser Flotte kann ich sie nicht jagen, dafür kann ich die Brennstoffzellen nicht vergeuden.«
»Die Hilfsschiffe haben weitere Brennstoffzellen hergestellt. Wenn du…«
»Das genügt nicht!« Er verzog das Gesicht. »Entschuldigung, ich wollte dir nicht das Wort abschneiden.« Rione wurde etwas ruhiger, nachdem ihre Augen schon entrüstet aufgeflackert hatten. »Selbst wenn ich jede Brennstoffzelle von den Hilfsschiffen innerhalb der Flotte verteile, verfügen die Schiffe nur noch ungefähr über sechzig Prozent Energiereserven, wenn wir den Sprungpunkt nach Branwyn erreicht haben — vorausgesetzt, wir fliegen keine weiteren Manöver. Das ist schon keine ausreichende Sicherheitsmarge für einen routinemäßigen Gefechtseinsatz. Für eine Flotte, die hinter den feindlichen Linien in der Falle sitzt, ist das ein erschreckender Wert.«
»Du hast doch gesagt, die Flotte muss die Geschwindigkeit drosseln, um die Minen passieren zu können, die die Syndiks dort verteilen. Das bedeutet aber auch, dass die Brennstoffzellen noch stärker beansprucht werden, nicht wahr?«
»Das habe ich gesagt, und du hast völlig recht. Siehst du jetzt, wie schlecht es um uns steht?«
Sie musterte ihn einen Moment lang, dann lächelte sie. »Ich habe dich schon wieder unterschätzt.«
»Tatsächlich?«
»Ja, John Geary.« Sie begann zu lachen. »Ein begrenzter Vorrat an Brennstoffzellen, der verhindert, dass du die Flotte durch das ganze System und zurück schicken kannst. Und Untergebene, die für Unruhe sorgen könnten, wenn sie glauben, du würdest vor dem Feind davonlaufen. Also gibst du vor, auf direktem Weg in die Schlacht zu ziehen, weil du weißt, dass die Syndiks sich sehr wahrscheinlich im letzten Moment zurückziehen werden, woraufhin die Flotte dieses System verlassen wird. Gut gemacht! Vielleicht wird aus dir ja doch noch mal ein Politiker.«
Er reagierte mit einem schiefen Lächeln. »Ich fürchte, ich bin nicht halb so schlau, wie du annimmst. Ich glaube, die Syndiks werden am Sprungpunkt den Kampf suchen. Sie wissen, dass wir den Sprungpunkt benutzen müssen. Sie werden uns nicht ungeschoren davonkommen lassen.«
Rione sah ihn ernst an. »Und was hast du dann vor?«
»Wie ich sagte, das kommt ganz drauf an. Wird die neue Syndik-Flotte versuchen, uns mit aller Macht zu attackieren? Oder wird sie einem Konflikt auf breiter Front aus dem Weg gehen und sich stattdessen auf unsere Schwachstellen konzentrieren? Wenn sie das wollen, können sie uns durch den Sprungraum folgen und uns unter Beschuss nehmen, sobald wir Branwyn erreicht haben.«
Minutenlang ließ sie sich seine Worte durch den Kopf gehen, schließlich fragte sie: »Bist du dir sicher, dass du nach Branwyn reisen willst?«
»Welche andere Wahl habe ich denn? Es ist schließlich nicht so, als wäre T'negu eine gute Alternative.«
»Du begibst dich in eine Situation, in der du gegen diese Syndik-Streitmacht kämpfen musst.«
»Ich weiß.« Er setzte sich gerader hin und rief etwas auf dem Display über dem Tisch auf, was er sich bislang nur sehr selten angesehen hatte. »Erkennst du das wieder?«
Mit finsterer Miene betrachtete Rione das Display. »Das Heimatsystem der Syndiks. Das werde ich wohl niemals vergessen.«
»Die Allianz-Flotte musste verheerende Verluste hinnehmen, als sie dort in einen Hinterhalt geriet.« Geary deutete auf eine lange Liste von Schiffsnamen, die rot unterlegt waren. »Die führenden Elemente dieser Flotte wurden vollständig ausgelöscht, den Rest schoss man brutal zusammen.«
»Daran musst du mich nicht erinnern!« Mit bleichem Gesicht sah sie zur Seite. »Allein der Gedanke daran ist schlimm genug.«
Geary nickte. »Tut mir leid. Aber du hast auf der Brücke davon gesprochen, wie viele Gefechte wir schon einseitig gewonnen haben. In keiner einzigen Schlacht könnten wir annähernd mit dem gleichziehen, was die Syndiks uns dort angetan haben. Wenn wir allerdings alles zusammenrechnen, dann konnten wir ihnen insgesamt sehr schwere Verluste zufügen.«
Aufmerksam sah sich Rione wieder das Display an. »Und wenn du diese Syndik-Streitmacht auf die gleiche Weise vernichtest, dann hast du nahezu mit ihnen gleichgezogen. Geht es dir darum? Um Rache? Ich hatte etwas Besseres von dir erwartet, John Geary, auch wenn ich zugeben muss, dass der Gedanke, es den Syndiks heimzuzahlen, etwas Verlockendes hat.«
»Es geht mir nicht nur um Rache. Ach, verdammt, das hat mit Rache eigentlich gar nichts zu tun. Wir mussten wie verrückt davonlaufen, weil die Syndiks nach dem Überfall in ihrem System der Allianz zahlenmäßig weit überlegen waren.«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich wieder. »Du willst ihnen diese momentane Übermacht nehmen.«
»Richtig. Wir haben das in weiten Teilen auch schon geschafft, sonst wären die Syndiks bei Ixion nicht gezwungen gewesen, brandneue Schiffe mit völlig unerfahrenen Crews auf uns anzusetzen. Wenn ich die Syndik-Streitmacht auslösche, die nach uns in dieses System gekommen ist, dann werden sie Schwierigkeiten bekommen, uns in irgendeinem anderen Sternensystem eine Flotte entgegenzusetzen, die unserer gewachsen ist. Sie müssen ihre verbliebenen Schiffe weit verteilen, um in jedem System auf uns zu warten, in das wir fliegen könnten. Also werden wir überall zahlenmäßig überlegen sein, was uns wiederum Zeit verschaffen wird, die Vorräte der Hilfsschiffe aufzustocken und alle Schiffe mit Brennstoffzellen, Phantomen und Kartätschen zu bestücken.«
Nachdem Rione eine Weile darüber nachgedacht hatte, sah sie Geary fragend an. »Und wenn es uns genauso schwer erwischt wie die Syndik-Streitmacht?«
»Dann stecken wir in Schwierigkeiten.«
»Das ist ein großes Risiko.«
»Ja, aber wir stecken schon in Schwierigkeiten. So geht das bereits, seit uns die Syndiks in ihrem Heimatsystem in die Mangel genommen haben. Jetzt kann sich das Risiko richtig für uns auszahlen. Ich kann sehr leicht verlieren, wenn ich auf Nummer sicher gehe, doch ich kann gar nicht erst gewinnen, wenn ich nicht etwas riskiere.«
Den ganzen kommenden Tag kam es Geary so vor, als starre er auf die Drehscheibe eines Roulettes, die sich unendlich drehte, sodass die Kugel einfach nicht fallen konnte. Dann verstrich der nächste Tag, und seine Nerven lagen so blank, dass er Rione bei der ersten unglücklichen Bemerkung anherrschte, woraufhin sie ihn im Gegenzug zurechtwies. Eine halbe Stunde lang stritten beide sich so lautstark, dass Geary fast überzeugt war, man müsse sie sogar auf den anderen Raumschiffen gehört haben. Schließlich verließ er sein Quartier und strich ziellos durch die Korridore der Dauntless, während er versuchte, gegenüber den Matrosen und den Junioroffizieren eine zuversichtliche Miene aufzusetzen. Auch wenn er der Flottenkommandant war, handelte es sich bei der Dauntless um Black Jacks Flaggschiff, und das machte das Schiff und seine Crew in ihren Augen zu etwas ganz Besonderem.
Sein Weg führte ihn schließlich in den Konferenzraum, wo er von finsteren Gedanken erfüllt verschiedene Gefechtssimulationen ablaufen ließ. Doch es gab zu viele unbekannte Faktoren — der wichtigste war die Frage, wie die Syndiks überhaupt reagieren würden —, die die Simulationen zu einem sinnlosen Unterfangen machten.
Schließlich kehrte er in sein Quartier zurück, fest entschlossen sich nicht von Victoria Rione aus seinen eigenen vier Wänden an Bord dieses Schiffs vertreiben zu lassen. Sie wartete auf ihn und zog ihn wortlos ins Bett, als er hereinkam.
Es half, die Zeit zu vertreiben, doch ihr Verhalten verblüffte ihn einmal mehr.
Am dritten Tag saß Geary auf der Brücke der Dauntless und starrte auf das Display. Die Syndiks verhielten sich noch immer so, als würde die Allianz-Flotte gar nicht existieren. »Irgendeine Ahnung, wie wir die Syndiks in diesem System dazu bringen, von uns Notiz zu nehmen?«, fragte er schließlich Captain Desjani.
»Nein, Sir«, antwortete sie bedauernd und deutete auf den bewohnten Planeten. »Jede Syndik-Militäreinrichtung hat von der Führung im System zweifellos genaue Befehle erhalten, und Syndiks befolgen Befehle auf den Buchstaben genau.« Sie sagte es in einem verächtlichen Tonfall, und zweifellos war das gegenwärtig einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der Allianz-Flotte und den Syndiks. Geary hatte einen Großteil seiner Zeit damit verbringen müssen, die Schiffskommandanten davon zu überzeugen, dass es von Vorteil sein konnte, wenn man einen Befehl ausführte. Die Ironie bestand darin, dass beide Methoden — die strikte Kontrolle und Beherrschung der Syndiks und das wilde Drauflosstürmen der Allianz — letztlich zu dem gleichen Ergebnis führten, dass nämlich beide Seiten sich gegenseitig die Köpfe einrannten und die Schlacht durch gegenseitiges Zermürben entschieden wurde.
»Ich fürchte, Co-Präsidentin Rione wird diesmal recht behalten«, entgegnete Geary. »Diesmal werden sie erst angreifen, wenn sie bereit sind.«
»Wahrscheinlich ja«, stimmte sie ihm zu. Ihr Gesicht war von einem abfälligen Ausdruck geprägt, der dieser intellektuellen Herangehensweise an eine Schlacht galt. Im nächsten Moment rief sie sich aber in Erinnerung, dass Geary der Flotte ja beizubringen versuchte, so zu denken und zu handeln. »Sie fangen an zu lernen, nicht wahr? Sie beginnen nachzudenken.«
»Sieht so aus. Oder ihnen ist ihr Selbstbewusstsein in einem gefährlichen Maß abhandengekommen.« In jedem Fall bedeutete es für die Allianz-Flotte nichts Gutes.
»Die werden am Sprungpunkt nach Branwyn den Kampf mit uns suchen müssen.«
Falls keine von beiden Seiten irgendein Manöver vollzog, würden sie die Syndik-Flotte Bravo in zwölf Stunden abfangen. Die gegnerischen Schiffe befanden sich nach wie vor in einer Kastenformation, und sie ließen keine Anzeichen erkennen, dass sie daran irgendetwas ändern würden. Aber zwölf Stunden vor dem Kontakt war es noch viel zu früh, um die Formation der Allianz-Flotte umzustellen.
Wieder widmete er sich den Statusanzeigen und ließ berechnen, wie viele Brennstoffzellen mit den vorhandenen Vorräten noch hergestellt und verteilt werden konnten. Er kam zu dem leider vertrauten Ergebnis, dass es vorne und hinten nicht reichte.
Der Bestand an Minen war geschrumpft, die Schiffe verfügten mal über geringe, mal über bescheidene Vorräte an Phantomen. Wenigstens waren Kartätschen in großem Umfang vorhanden, was aber auch kein Wunder war, ließen sich Geschosse in Form großer Metallkugeln doch schnell und leicht produzieren.
Die Lebensmittelvorräte stellten noch kein Problem dar, aber lange würde auch das nicht mehr gut gehen, wenn nicht bald Nachschub an Bord gebracht wurde. Die aus der Allianz mitgebrachten Vorräte waren längst aufgebraucht. Die Flotte ernährte sich inzwischen von den Rationen, die sie von den eingemotteten Syndik-Einrichtungen und aus den Lagern auf Sancere mitgenommen hatten. Das Essen von Sancere war für Syndik-Verhältnisse gar nicht mal so schlecht, doch danach standen ihnen nur noch die Rationen zur Verfügung, die die Syndiks gar nicht erst hatten mitnehmen wollen, als sie ihre Anlagen und Einrichtungen schlossen. Er hatte davon gegessen, und selbst jemand wie er, der mit der eher zweifelhaften Qualität von Militärverpflegung vertraut war, hatte seine liebe Mühe, dieses Zeugs zu schlucken. Es hielt einen Menschen am Leben, aber das war auch schon das einzig Gute.
»Geschätzte zwölf Stunden bis zum Gefecht. Sorgen Sie bitte dafür, dass Ihre Leute sich bis dahin so gut wie möglich ausruhen«, befahl er allen Captains seiner Flotte, dann verließ er die Brücke, um den Anschein zu erwecken, als würde er sich auch ausruhen.
Fünf Stunden bis zum Abfangpunkt.
»Sie legen einen Sprint ein, Sir«, meldete eine betrübte Desjani, »damit sie vor uns am Sprungpunkt ankommen. Vor einer Stunde haben sie beschleunigt, aber wir haben es eben erst bemerkt. Wir können ein paar Schlachtkreuzer vorausschicken, um vor den Syndiks anzukommen. Die ganze Flotte kann allerdings nicht schnell genug beschleunigen, um mit ihnen mitzuhalten.«
Schlachtkreuzer ganz ohne Unterstützung sollten sich der Syndik-Formation in den Weg stellen? Selbst wenn er noch ein paar Leichte Kreuzer und Zerstörer mitschickte, wären sie dem Gegner deutlich unterlegen. »Nein, wir können die Schlachtkreuzer nicht auf diese Weise aufs Spiel setzen.«
Desjani versteifte sich, sie fühlte sich offenbar in ihrem Stolz getroffen. »Sir, Schlachtkreuzer rühmen sich für ihre Rolle als schnelle Eingreiftruppe der Flotte. Wir können den Feind schnell und wiederholt unter Beschuss nehmen, während der Rest unserer Flotte folgt.«
Wir. Ja, natürlich. Die Dauntless war schließlich auch ein Schlachtkreuzer. »Ich weiß den Gedanken zu schätzen, Captain Desjani, aber wir müssten schon die Syndik-Flotte von ihrem gegenwärtigen Kurs abbringen können, dann hätte es einen Sinn, unsere Schlachtkreuzer vorausfliegen zu lassen. Aber so haben wir schlichtweg nicht genug Feuerkraft gegen eine so große Streitmacht aufzubieten.« Er beugte sich vor und fügte sehr leise an: »Sie wissen, ich könnte die Dauntless ohnehin nicht mit einer solchen Eingreiftruppe losschicken. Sie ist das Flaggschiff dieser Flotte, und es befindet sich etwas äußerst Wichtiges an Bord.« Damit meinte er den Hypernet-Schlüssel, der dem Krieg womöglich die entscheidende Wende bringen würde, wenn er ins Allianz-Gebiet zurückgebracht werden konnte. Jedes seiner Schiffe war wichtig, doch einige waren etwas wichtiger als andere. Und dieser Schlüssel machte die Dauntless zum wichtigsten Schiff von allen.
Desjani wusste das und konnte nichts dagegen einwenden. Also nickte sie zustimmend, auch wenn das an ihrer betrübten Miene nichts änderte.
Nun blieb Geary nichts anderes zu tun, als dazusitzen und zuzusehen, wie die Syndik-Flotte vor ihnen den Sprungpunkt erreichte. Sie hatten ihren Schachzug so berechnet, dass den Allianz-Schiffen nicht mehr genug Zeit blieb, um noch darauf zu reagieren. Allerdings würde Geary ihnen beim Zusammentreffen noch das eine oder andere zum Thema gutes Timing beibringen.
Bei 0,1 Licht legte die feindliche Flotte dreißigtausend Kilometer in der Sekunde zurück. Auf einer Planetenoberfläche wäre eine solche Geschwindigkeit undenkbar gewesen. Mit Blick auf die Größe eines durchschnittlichen Sternensystems wie Lakota, wo der äußerste Planet von seiner Sonne gut zehn Lichtstunden oder rund elf Milliarden Kilometer entfernt war, schienen die Schiffe förmlich durch die Schwärze des Alls zu kriechen. Manchmal musste Geary sich fragen, wie die Menschen es bloß bei ihren ersten Schritten ins All ertragen hatten, nicht einmal annähernd ein Zehntel Lichtgeschwindigkeit erreichen zu können, sodass es Wochen, Monate oder sogar Jahre gedauert hatte, um Planeten oder Monde zu erreichen, die nicht einmal außerhalb des eigenen Sonnensystems lagen. Andererseits musste es für die heutige Planetenbevölkerung auch schwer zu begreifen sein, dass man früher Wochen, Monate oder Jahre benötigt hatte, nur um einen Kontinent zu durchqueren.
»Egal, wie schnell wir sind, es ist nie schnell genug«, murmelte Geary.
Zu seiner Verwunderung schien Desjani seine Worte mit Verärgerung zur Kenntnis zu nehmen. »Sir, wenn die Flotte mehr leisten könnte…«
»Tut mir leid, aber ich habe die Flotte gar nicht gemeint. Die funktioniert wie üblich ganz hervorragend. Nein, nein, ich musste nur gerade über die Menschheit im Allgemeinen nachdenken.«
»Verstehe, Sir.« Nein, sie verstand offensichtlich nicht. Aber da die Ehre ihres Schiffs und die der Flotte nicht auf dem Spiel stand, und da es außerdem galt, den Feind zu beobachten, ließ sie die Sache auf sich beruhen.
Geary ließ den Feind ebenfalls nicht aus den Augen, der sich dem Sprungpunkt nach Branwyn näherte, und hoffte, die Syndiks würden dort nicht das machen, was er von ihnen erwartete.
Doch es kam genau so.
»Die nehmen Kurs auf uns«, meldete Desjani. »Sie haben stark verzögert, als sie sich vor dem Sprungpunkt befanden, und nun beschleunigen sie und kommen uns entgegen.«
Geary atmete frustriert aus und wünschte, irgendetwas würde endlich einmal richtig laufen. Einerseits verspürte er Erleichterung, weil schließlich eingetreten war, was die ganze Zeit über ihm geschwebt hatte, andererseits war er genau deswegen natürlich angespannt. »Ich benötige so schnell wie möglich eine Bestätigung: Haben sie im Vorbeiflug vor dem Sprungpunkt Minen abgesetzt?« Das war für ihn die einzige Erklärung für das Bremsmanöver, denn nur so war es möglich, die Minen möglichst dicht zu verteilen. Aber es konnte ebenso gut nur ein Bluff gewesen sein.
»Ja, Sir«, meldete ein Wachhabender. »Unsere Sensoren versuchen derzeit noch die Dichte und die Ausmaße des Minenfelds zu berechnen, jedoch registrieren wir auch so bereits eine Fülle an visuellen Anomalien. Es sieht so aus, als hätten sie die Minen unmittelbar vor dem Sprungpunkt abgesetzt.«
Desjani stutzte. »So dicht? Sehen Sie sich das an, Sir. Die Minen liegen so nah dran, dass der Sprungpunkt sie dazu bringt, relativ schnell wegzutreiben.«
»Relativ schnell heißt was genau?«, fragte Geary, der einen Hoffnungsschimmer sah.
»Ein paar Wochen«, erwiderte sie. »Die physikalischen Bedingungen spielen in der Nähe eines Sprungpunkts immer ein wenig verrückt, aber wir können eine Analyse durchführen, um den Zeitraum genauer zu schätzen.«
»Wenn die Schätzung nicht gleich ein paar Wochen unter Ihrer ersten liegt, dann hilft sie uns auch nicht weiter.« Er widmete sich weiter dem Display, während die Sensoren der Flotte gründlich nach den winzigen Anomalien suchten, die selbst noch so gut getarnte Minen ans Licht brachten. Jede entdeckte Mine wurde als Lichtpunkt dargestellt. Sie waren genau vor dem Sprungpunkt verteilt worden, wie Desjani auch gesagt hatte.
Vielleicht würden sie im Verlauf einiger Wochen von ihrer Position wegtreiben, doch bis dahin konnte die Flotte nur an ihnen vorbeikommen, wenn sie praktisch anhielt, um dann eine möglichst enge Kurve zu fliegen. Das würde aber bedeuten, dass sie bei einem Hochgeschwindigkeitsangriff der Syndiks auf dem Präsentierteller saß.
»Mir gefiel es besser, als die Syndiks mich noch unterschätzt haben«, ließ er Desjani leise wissen.
»Wenn wir erst mal die Syndik-Flotte zerstört haben, können wir in aller Ruhe um die Minen herumfliegen, oder wir warten, bis sie weggetrieben sind«, schlug sie vor.
»Mal sehen.« Er sollte ein paar Wochen lang in Lakota warten? Das klang gar nicht erfreulich, denn so wie es aussah, wurde es umso schlimmer, je länger sie hier blieben.
»Die Syndik-Flotte Bravo ist weiter auf einem Abfangkurs zu uns«, meldete der Steuer-Wachhabende. »Sie beschleunigen immer noch und sind jetzt bei 0,05 Licht.«
»Bis zum Zusammentreffen mit uns werden sie wieder bei 0,1 Licht sein«, sagte Desjani voraus. »Das ist ihre übliche Vorgehensweise.«
»Unsere auch«, hielt Geary ihr vor Augen. »Aber ich werde unsere Schiffe vorläufig noch nicht auf 0,1 Licht gehen lassen.«
»Wenn die Syndiks 0,1 Licht erreichen und beibehalten«, ließ Desjani ihn nach einigen Berechnungen wissen, »und wenn wir 0,07 Licht beibehalten, können wir in gut eineinhalb Stunden einen Kontakt erwarten.«
»Okay.« Geary überlegte kurz, dann rief er alle Schiffe seiner Flotte. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte: In etwa einer Stunde müssen wir mit Kampfhandlungen rechnen. Behalten Sie Ihren Platz in der Formation bei, und ich garantiere Ihnen, wir werden diesen Syndiks die gleichen Dinge beibringen, die schon die anderen Syndik-Flotten vor ihnen lernen mussten.«
Er rechnete nicht mit einer Rückmeldung, doch dann ging tatsächlich eine ein. »Geben Sie bitte an, wann vor dem Kampf wir auf 0,1 Licht beschleunigen sollen.«
Er überprüfte die Identifikation der Übertragung und fand seinen Verdacht bestätigt. Es hatte sich nach Captain Midea von der Paladin angehört, und sie war es auch gewesen. »Wir werden zeitig vor dem Kontakt mit den Syndiks beschleunigen. Den Befehl dazu sowie jeden Befehl zur Veränderung der Formation werden Sie zu gegebener Zeit erhalten.«
»Und gleich fragt sie, wann die gegebene Zeit sein wird«, murmelte Desjani.
»Hier spricht die Paladin«, kam prompt die Meldung hinterher. »Präzisieren Sie bitte, was die gegebene Zeit ist.«
Geary verkniff sich eine giftige Retourkutsche. »Die gegebene Zeit ist dann gekommen, wenn ich den Befehl erteile, Paladin.« Kopfschüttelnd wandte er sich an Desjani. »Midea ist doch nicht so dumm, oder etwa?«
»Ich glaube nicht.«
»Dann wird sie wissen, dass mein Verhalten davon abhängt, was der Feind macht. Erst, wenn der Kontakt kurz bevorsteht und ich ihre Formation sehe, wenn ich weiß, wie schnell sie sind und welche Manöver sie noch in letzter Minute vornehmen, erst dann kann ich etwas unternehmen.«
»Das ist richtig, Sir, aber das weiß ich auch nur, weil Sie es mir beigebracht haben«, hielt sie dagegen. »Bevor Sie das Kommando übernommen haben, sahen unsere Taktiken viel einfacher aus.«
Das war sogar noch untertrieben, wenn man es genau nahm. Da ausgebildete und erfahrene Offiziere bei Schlachten, die zunehmend an Gemetzel erinnerten, gleich reihenweise gefallen waren, war das Wissen um wirkungsvolle Manöver mit ihnen gestorben. Nach hundert Jahren beschränkten sich die Taktiken darauf, wieder und wieder auf den Gegner loszustürmen, bis sich eine von beiden Seiten eine so blutige Nase geholt hatte, dass sie sich zurückzog oder ausgelöscht wurde. »Ich hoffe, Sie sind nicht die Einzige, die von mir lernt«, merkte er an.
»Oh, natürlich nicht.«
Geary schaute wieder auf das Display, wo die Syndik-Flotte Bravo sich weiter der Allianz-Flotte näherte. Hoffentlich hatten die nicht auch aus dem Studium seiner Kampftaktiken gelernt.
Während allmählich die Zeit verging, wurde deutlich, dass die Syndiks zwar ein paar kleinere Dinge begriffen hatten, ihnen der Blick für das Gesamtbild aber nach wie vor fehlte. Sie näherten sich in der Kastenformation, in der sie seit ihrer Ankunft in Lakota unterwegs waren, nur dass dieser Kasten jetzt mit einer Breitseite zur Allianz-Flotte hin ausgerichtet war.
Er nickte zufrieden, bis er auf einmal bemerkte, dass Desjani und einige der Wachhabenden ihn lächelnd ansahen. Erst da wurde ihm bewusst, dass er selbst auch lächelte. »Wir behalten unsere Formation bei. Nein, ich werde eine Änderung vornehmen.«
Seine Flotte war in der Anordnung der fünf münzenförmigen Unterformationen geblieben, in der sie bereits in Lakota eingetroffen waren. Derzeit waren die Münzen mit der flachen Seite nach vorn ausgerichtet und steuerten auf den Gegner zu, während Echo Five Five sich nach vor im Schutz von Echo Five Four hielt. Geary spielte mit den Manöversystemen, bis er die richtige Anordnung gefunden hatte, dann sendete er sie. »Alle Einheiten in Echo Five Five, erhöhen Sie Ihre Geschwindigkeit, um mit Echo Five Four zu verschmelzen, und nehmen Sie die angegebenen Positionen ein.«
Desjani sah fasziniert auf das Display und spielte den Befehl durch. »Sie klemmen praktisch die alte Five Five an die Unterkante von Five Four.«
»Richtig.«
»Und die Siebte Schlachtschiffdivision hält sich unter dem Rand der alten Five Four?« Wieder musste sie lächeln. »Ich kann es kaum erwarten.«
Bis zum Kontakt verblieb noch über eine Stunde, da die Flotten noch rund zehn Lichtminuten voneinander entfernt waren. Auf dem Display war zu beobachten, wie die Schiffe von Echo Five Five langsam ihre Kameraden überholten und ihre neuen Positionen einnahmen. Er wusste, dass die Syndiks dieses Manöver in zehn Minuten sehen konnten, sich aber vermutlich keine Gedanken darüber machen würden, da sich der größte Teil beider Flotten weiterhin auf Kollisionskurs befand.
Als der Kontakt nur noch eine halbe Stunde entfernt war, erteilte Geary weitere Befehle. »Formationen Echo Five Two und Echo Five Three« — die beiden Münzen links und rechts des Hauptpulks —, »drehen Sie bei Zeit fünf null Ihre Formation um neun null Grad entlang der Vertikalachse. Drehen Sie Ihre Formation gleichzeitig so um vier fünf Grad entlang der Horizontalachse, dass der vordere Rand Ihrer Formation Richtung Echo Five Four geneigt ist.« Einen solchen Befehl hätte er nicht erteilen können, wenn die Veränderungen von Menschenhand hätten ausgeführt werden sollen. Es wäre schlicht zu komplex gewesen, so viele Schiffe gleichzeitig in vertikale und horizontale Richtung zu lenken, um die neue Position einzunehmen, auch wenn die Steuersysteme ein klares Bild davon zeigten, wohin sich jedes Schiff begeben sollte.
»Formationen Echo Five One und Echo Five Four«, fuhr er fort, »drehen Sie bei Zeit fünf null Ihre Formation um neun null Grad auf der horizontalen Achse nach vorn.«
Die Manöver entpuppten sich als ein unglaublich komplizierter Tanz in drei Dimensionen, da sich die Münzformationen so verschoben, dass der vordere dünne Rand der Vorhut und der der Hauptformation nun auf die herannahenden Syndiks zeigten, während die beiden Flanken schräg zu beiden Seiten herunterhingen, deren flache Seite ebenfalls nach vorn wies. Ein so komplexes Ballett zu beobachten, war schon etwas Außergewöhnliches.
Fünfzehn Minuten vor dem Kontakt waren sämtliche Manöverbewegungen abgeschlossen. »Die Syndiks werden sehen, dass wir unsere Formation verändert haben«, bemerkte Desjani.
»Stimmt.« Gearys Blick war weiter auf das Display gerichtet, da er auf den Moment wartete, um den nächsten Zug zu unternehmen. Die Syndiks konnten jede seiner Maßnahmen in immer kürzeren Abständen mitverfolgen, daher musste er seinen nächsten Zug so planen, dass die Syndiks im richtigen Moment und auf die falsche Weise reagierten. Sie würden seine erste Bewegung sehen und keinen Grund erkennen, an ihrem Kurs oder ihrer Formation etwas zu ändern. Aber nicht mehr lange.
Die Syndiks waren jetzt nur noch zwei Lichtminuten entfernt, also noch etwas mehr als zwölf Minuten bis zum Kontakt, der sich bei einer kombinierten Geschwindigkeit von 0,17 Licht ereignen würde. »Alle Einheiten, erhöhen Sie bei Zeit eins fünf die Geschwindigkeit auf 0,1 Licht. Alle Formationen, ändern Sie bei Zeit eins fünf den Kurs um null fünf Grad nach oben.«
Die Allianz-Flotte beschleunigte und flog nach oben, während Desjani hämisch grinste. »Jetzt verstehe ich. Aber deren Commander wird das früh genug sehen, um noch reagieren zu können.«
»Darauf zähle ich ja.« Geary hielt inne, zählte die Sekunden und verließ sich zum Teil auf seinen Instinkt, was den exakten Zeitpunkt für den nächsten Zug anging. »Alle Formationen, ändern Sie bei Zeit eins neun den Kurs um eins null Grad nach oben und null eins Grad nach Steuerbord.«
Eine Minute später sah er, wie die Syndiks auf seine vorangegangenen Manöver reagierten und ihre Kastenformation nach oben lenkten, damit die Schiffe beider Flotten mit einer kombinierten Geschwindigkeit von knapp unter 0,2 Licht dicht aneinander vorbeiflogen. Eine höhere Geschwindigkeit hätte relativistische Störungen zur Folge gehabt, sodass es äußerst schwierig geworden wäre, die tatsächliche Position der feindlichen Schiffe zu bestimmen. Doch bei unter 0,2 Licht sollten die Gefechtssysteme noch in der Lage sein, jene Geschwindigkeiten zu kompensieren, bei denen sich tatsächlich das Bild des Universums um einen herum zu verändern begann.
Zu dumm nur, dass Gearys zweite Kursänderung den Winkel abermals veränderte, in dem sich die Flotten begegnen würden. Dieser Zug erfolgte so kurz vor dem Kontakt, dass der Syndik-Kommandant keine Zeit mehr hatte, entsprechend zu reagieren. »Alle Einheiten, setzen Sie Kartätschen und Höllenspeere ein und eröffnen Sie geschwader- und divisionsweise das Feuer, sobald der Feind in Feuerreichweite gelangt.« Auf diese Weise war gewährleistet, dass jedes Geschwader und jede Division auf ein einzelnes feindliches Schiff feuerte, wodurch die Chancen deutlich größer wurden, dass sie in dem kurzen Moment Treffer landen konnten, in dem beide Flotten nahe genug waren, um sich gegenseitig zu beschießen.
»Feindliche Raketen und Kartätschen fliegen unter uns vorbei«, meldete der Gefechtssystem-Wachhabende strahlend, als das Sperrfeuer der Syndiks dort ins Leere traf, wo sich eigentlich die Flotte hätte befinden sollen.
Dann kam der Moment des Kontakts und war auch gleich schon wieder vorbei. Hätte das menschliche Auge schnell genug reagieren können, um die Begegnung wahrzunehmen, dann wäre zu sehen gewesen, wie die Vorhut und die Hauptformation der Allianz-Flotte sich mit dem flachen Rand der Münzenform über die Vorderkante der Kastenformation der Syndiks schoben. Dadurch wurde es möglich, den Beschuss auf die relativ wenigen feindlichen Schiffe nahe dem Rand zu konzentrieren, während die Syndiks nur mit eben diesen Schiffen das Feuer erwidern konnten. Die flankierenden Münzen glitten über die oberen Ecken des Kastens und konnten ihren Beschuss sogar noch stärker konzentrieren.
Geary blinzelte und fragte sich, ob er in dem Sekundenbruchteil, den die automatischen Gefechtssysteme benötigten, um schneller als jeder Mensch zu zielen und zu feuern, tatsächlich die Lichtblitze der abgefeuerten Waffen und die Detonationen der Treffer gesehen hatte. Während sich die Schiffe beider Seiten wieder voneinander entfernten, riefen Wachhabende Schadensmeldungen von den Allianz-Schiffen über die Brücke.
»Wir haben sie erwischt!«, rief Desjani.
Auf dem Display verloren zwei Syndik-Schlachtkreuzer den Anschluss an die Flotte, zu ihnen gesellten sich die Wracks von einem Schlachtschiff, fünf Schweren Kreuzern und mehreren Leichten Kreuzern und Jägern. Die Begleitformation am oberen Rand der Syndik-Formation war praktisch ausgelöscht worden. Weitere Syndik-Schiffe waren getroffen worden, doch keines von ihnen so schwer, dass es als verloren hätte gelten können.
Auf der Seite der Allianz waren die Schilde unter Druck geraten, und einige leichtere Einheiten hatten Treffer abbekommen, doch zum Glück konnten sie weiter mit der Flotte mithalten.
Geary nickte und erteilte die Befehle, die er sich lange zuvor schon zurechtgelegt hatte. »Alle Formationen, ändern Sie bei Zeit zwei vier den Kurs um eins zwei null Grad nach oben.« Nicht ganz eine Minute später stiegen die Allianz-Formationen nach oben, beschrieben eine C-Kurve und kehrten in die Richtung um, aus der sie soeben gekommen waren.
Wie Geary erwartet hatte, waren die Syndiks inzwischen ebenfalls umgekehrt und flogen das Spiegelbild der Kurve, der die Allianz-Schiffe folgten. Einmal mehr wurden die Allianz-Formationen in die Lage versetzt, über eine einzelne Seite der gegnerischen Kastenformation hinwegzufliegen, diesmal über die untere Vorderkante. Zum Leidwesen der Syndiks war das zuvor noch die obere Vorderkante gewesen, die bereits dem Beschuss der Allianz ausgesetzt worden war.
Erneut fraß sich die Allianz-Formation in die Vorderkante, und die Syndiks mussten weitaus mehr einstecken, als sie austeilen konnten.
»Zwei weitere Schlachtschiffe!«, jubelte Desjani. »Und ein weiterer Schlachtkreuzer!«
»Diesmal haben wir mehr Treffer einstecken müssen.« Zwei Zerstörer, die Arsegai und die Rapier, hatten ihre Waffensysteme verloren, konnten aber weiter manövrieren. Mehrere Leichte und ein Schwerer Kreuzer hatten etliche Treffer abbekommen, und ein paar Schüsse waren sogar bis zu einigen der Schlachtkreuzer durchgedrungen. Noch während Geary seinen nächsten Befehl erteilte, waren seine Augen auf einen dieser Schlachtkreuzer gerichtet. »Alle Formationen, ändern Sie bei Zeit drei fünf den Kurs um neun null Grad nach unten.« Die Allianz-Flotte setzte zu einer S-Kurve an, während die Syndiks wieder Kurs auf sie nahmen.
Doch ein Schlachtkreuzer der Allianz folgte nicht dem Manöver, sondern flog auf einer leicht gewundenen Bahn weiter, die ihn in die Flugbahn der Syndiks bringen würde. »Was ist mit der Renown?«, wollte Geary wissen.
Ein Wachhabender rief umgehend eine Wiederholung der letzten Begegnung mit dem Feind auf und spielte sie so langsam ab, dass das menschliche Auge den Ereignissen folgen konnte. Die Syndiks hatten diesmal genau gewusst, wo entlang ihr Gegner fliegen würde, und dadurch waren sie in die Lage versetzt worden, ihr Sperrfeuer aus Kartätschen genau richtig zu platzieren. Die Renown, die auf ihrer Seite der Formation dem Feind am nächsten gewesen war, hatte mehrere Salven abbekommen, unter denen die Bugschilde zusammengebrochen waren. Als die Gefechtssysteme automatisch Energie von den Heck- und Seitenschilden umleiteten, waren Syndik-Raketen bis zu dem Schiff durchgedrungen und hatten die Heckpartie getroffen. Die ersten drei Geschosse ließen die geschwächten Schilde zusammenbrechen, die nächsten drei bescherten dem Antrieb einen Totalausfall.
Unter der Wucht der Syndik-Treffer fiel die Renown zurück und trudelte aus der Formation, da sie ohne Antrieb nicht länger folgen konnte.
Ein einzelner Schlachtkreuzer, der seine Schnelligkeit nicht mehr nutzen konnte, um die schwächeren Schilde und die schwächere Panzerung wettzumachen, und der nicht von seinen Kameraden geschützt werden konnte.
»Die Renown schätzt, dass der Hauptantrieb in eingeschränktem Umfang in drei null Minuten wieder zur Verfügung steht«, meldete der Gefechtssystem-Wachhabende.
Niemand musste die Schätzungen der Steuersysteme hören, um zu wissen, dass der Renown keine dreißig Minuten blieben. In gerade mal zehn Minuten würde die Syndik-Formation das Schiff erreicht haben.
Geary schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Er musste die Flotte wenden lassen, er musste seine Schiffe kehrtmachen lassen. Doch er konnte es nicht. Die physikalischen Gesetze wollten es ihm nicht erlauben.
»Was macht denn die Paladin?«, meldete sich plötzlich Desjani zu Wort.
Sein Blick zuckte über das Display. Als hinterstes Schiff der Formation hatte die Paladin sehen können, wie die Renown getroffen wurde, und deshalb war ihr die Zeit geblieben zu reagieren. In diesem Augenblick beschrieb das Schlachtschiff eine so enge Kurve, dass die Trägheitsdämpfer aus Protest laut schreien mussten.
Er konnte nicht seine ganze Formation eine derartige Kurve fliegen lassen. Die am Rand befindlichen Einheiten hatten für eine Kehrtwendung einen viel weiteren Weg zurückzulegen als jene in der Mitte, da sich die Drehung an der zentralen Achse der Formation orientierte. Sie alle könnten der Paladin nur folgen, wenn die Formation aufgelöst würde, doch angesichts der Tatsache, dass die Syndiks weiter in Formation flogen, würde dies zwangsläufig zu einem Desaster führen.
»Paladin«, befahl Geary in barschem Ton. »Kehren Sie sofort auf Ihre Position in der Formation zurück!« In dem Moment musste er den Kurs seiner eigenen Flotte korrigieren, um sie an eine leichte Neigung auf einer Seite der Syndiks anzugleichen. »Alle Formationen, bei Zeit vier null um null zwei Grad nach rechts fliegen.«
»Was können wir tun?«, fragte Rione hinter ihm, diesmal nicht in einem fordernden, sondern in einem besorgten Tonfall.
Dass sie damit die Renown meinte, war gar keine Frage. »Nichts«, erwiderte er flüsternd. »Wenn ich diese Formation zerfallen lasse, werden wir trotzdem nicht rechtzeitig die Renown erreichen, um sie zu retten, und wir werden mehr als nur dieses eine Schiff verlieren.«
»Die Renown meldet, dass der Befehl an alles entbehrliche Personal gegeben wurde, die Rettungskapseln aufzusuchen«, ließ der Gefechtssystem-Wachhabende der Dauntless sie wissen.
Geary nickte nur, da er nicht wusste, ob er einen Ton herausbekam. Vor hundert Jahren, die ihm wie ein paar Monate vorkamen, hatte er bei Grendel genau den gleichen Befehl gegeben.
Desjani sah ihn gequält an, sagte aber nichts.
Die Paladin flog nun deutlich erkennbar auf die Renown zu, während der Rest der Flotte dem Wendemanöver folgte, um zum Feind zurückzukehren.
»Paladin!«, brüllte Geary, den es nicht kümmerte, ob er mitten im Gefecht unprofessionell wütend rüberkam. »Kehren Sie sofort zur Formation zurück! Captain Midea wird mit sofortiger Wirkung das Kommando entzogen! XO, übernehmen Sie das Kommando und bringen Sie die Paladin zurück zur Formation!«
Vermutlich war es bereits zu spät. Nein, es war sogar ganz sicher zu spät. Bei der Geschwindigkeit, mit der die Schiffe unterwegs waren, hatte sich die Paladin längst viel zu weit von der Flotte entfernt. Die Syndiks näherten sich wieder und würden unter dem Pulk der Allianz-Flotte hindurchfliegen, dabei aber geradewegs auf die Renown und die Paladin zuhalten.
Die Renown stieß in mehreren Wellen Rettungskapseln aus und feuerte alle noch verbliebenen Phantome auf die Syndik-Flotte ab. Auch die letzten Kartätschen folgten noch, die sich beim Aufprall auf die Schilde der Syndik-Schiffe in grelle Blitze verwandelten. Zwei Jäger wurden von den Waffen der Renown durchbohrt, ein Leichter Kreuzer trudelte zur Seite weg, die Schilde eines Schlachtkreuzers flackerten und fielen stellenweise aus, sodass ein paar Höllenspeere der Renown beim gegnerischen Kriegsschiff Treffer landen konnten.
Doch im Gegenzug ging eine wahre Lawine an Geschossen auf das Allianz-Schiff nieder. Die Schilde versagten, die dünne Panzerung wurde an hundert Stellen durchbohrt und die Batterien der Höllenspeere verstummten, als der Schlachtkreuzer von jedem weiteren Treffer umhergeschleudert wurde.
»Keine aktiven Systeme auf der Renown mehr feststellbar«, meldete ein Wachhabender mit leiser, aber bebender Stimme. »Das Notsignal der Renown ist erloschen, die überlebende Crew verlässt das Schiff.«
Geary hatte das am eigenen Leib erfahren. In der Hoffnung, noch eine funktionstüchtige Rettungskapsel zu finden, war er durch die einst so vertrauten Korridore gerannt, die durch die immensen Schäden plötzlich fremd gewirkt hatten, während die Waffen der Feinde sich weiter in das tödlich verwundete Schiff fraßen.
»Der Antrieb ist auf Überhitzung eingestellt worden. Kein Kontakt mehr zur Renown.«
Auf dem Display war zu sehen, wie das Wrack, das noch vor wenigen Minuten ein vollwertiger Schlachtkreuzer gewesen war, langsam zur Seite rollte, um jeden Moment gesprengt zu werden, damit der Feind nichts ausschlachten konnte. Unterdessen mischten sich die Rettungskapseln mit den Überlebenden unter die, die den zerstörten Syndik-Kriegsschiffen entkommen waren.
Die Renown war längst nicht mehr zu retten, als die Paladin am Schauplatz eintraf und an dem zerschmetterten Kreuzer vorbeiflog. Das Schlachtschiff jagte Höllenspeer-Salven hinter den Syndik-Jägern her, die die Flucht anzutreten versuchten. Zwei Jäger explodierten sofort, ein dritter folgte nur Augenblicke darauf.
Und dann befand sich das Allianz-Schlachtschiff allein unter Leichten Kreuzern der Syndiks. Seine leistungsfähigen Höllenspeer-Batterien ließen die Schilde von zwei gegnerischen Schiffe zusammenbrechen; eines wurde einen Moment darauf komplett zerstört, das andere kampfunfähig geschossen.
Nur eine Sekunde später begannen die Schilde der Paladin zu glühen, so unablässig wurde sie vom Feind unter Beschuss genommen. Ihre Waffen schlitzten einen Schweren Kreuzer auf, während sie weiter auf eine Division Schlachtschiffe zuhielt.
»Captain Midea ist verrückt, dennoch stirbt sie ehrenvoll«, kommentierte Desjani.
»Aber muss sie dafür ihr Schiff und ihre Crew mit in den Tod nehmen?«, flüsterte Geary. Es war zu spät. Zu spät, um Midea das Kommando zu entziehen. Zu spät, um herauszufinden, wie man einen gedankenlos handelnden Offizier bändigt, in dessen Händen das Schicksal eines ganzen Raumschiffs liegt.
»Die Schilde der Paladin versagen«, meldete der Wachhabende.
Auf seinem eigenen Display konnte Geary das ebenfalls sehen. Die Paladin war mittlerweile weit genug vom Rest der Flotte entfernt, dass das Licht des Kampfs mehrere Sekunden benötigte, ehe es die Dauntless erreichte. In diesen Sekunden konnte eine ganze Menge passieren.
So viel Zeit benötigte die Paladin nicht, um geradewegs auf die Schlachtschiffdivision zuzufliegen, die sie sich zum Ziel genommen hatte. Sie erzitterte unter den Treffern, die ihr von allen Seiten zugefügt wurden, konzentrierte aber ihr eigenes Feuer auf ein einzelnes Schlachtschiff, noch während die Waffenbatterien unter dem Dauerbeschuss der Syndiks nach und nach ausfielen. Die Paladin und das Syndik-Schlachtschiff flogen aneinander vorbei, woraufhin die Paladin ihr Null-Feld aktivierte, das tief in den Bug des Gegners eindrang und einen riesigen Krater entstehen ließ.
Das Syndik-Schiff wurde durch diesen schweren Treffer aus der Formation getragen, unterdessen flog die Paladin immer weiter und weiter. Sie feuerte, was ihre Waffen noch hergaben, dabei steckte sie selbst einen Treffer nach dem anderen ein, die die Systeme ausfallen ließen und Stücke aus der Schiffshülle rissen.
Als Gearys Flotte die Kehrtwendung vollendete und auf Kurs ging, um erneut die Syndiks zu beschießen, trudelten die Überreste der Paladin hinter der feindlichen Flotte davon. Das einzige Anzeichen dafür, dass es in dem Trümmerhaufen noch Leben gab, waren die wenigen Rettungskapseln, die ausgestoßen wurden.
»Wir werden sie rächen«, erklärte Geary, als die Allianz-Flotte sich für den nächsten Vorbeiflug bereit machte. Doch diesmal hatte er sich ein wenig verkalkuliert, möglicherweise weil er durch den Verlust der beiden Schiffe aufgewühlt war, und so bewegten sich die beiden Flotten nur gerade eben in Reichweite der Höllenspeere aneinander vorbei, was auf keiner Seite zu nennenswerten Schäden führte.
»Beim nächsten Vorbeiflug knöpfen wir uns die Syndiks richtig vor«, versprach Desjani mit finsterer Miene.
»Ja.« Geary atmete tief durch, dann gab er die nächsten Befehle: »Alle Formationen, ändern Sie den Kurs bei Zeit fünf sieben um eins eins null Grad nach oben und null eins Grad nach Backbord.« Die Flotte setzte zum Wenden an, und dann näherten sich beide Streitmächte wieder auf ineinander verschränkten S-Kurven. Der Syndik-Kommandant sollte eigentlich erkennen, dass er auf diese Weise keine gute Feuerposition erlangen würde, wenn er nicht endlich von seinem immer gleichen Angriffsmuster abwich. Doch die Syndiks würden sich nicht die Gelegenheit nehmen lassen, wieder einen Kontakt herbeizuführen, bei dem sie eine Chance witterten, dem Gegner ein paar Treffer zuzufügen. So war es schon immer gewesen. Die Syndiks klammerten sich ans Kämpfen, weil sie ihre Tapferkeit und ihre Entschlossenheit demonstrieren wollten. Bei dieser Konfrontation hatten die Syndiks schon jetzt deutlich mehr bluten müssen als die Allianz, selbst wenn man die Renown und die Paladin mitrechnete. Wenn sie irgendwann den Entschluss fassten, doch noch zu fliehen, würde die Allianz ihre Flotte so zusammengeschossen haben, dass kein großes Kriegsschiff mehr entkommen konnte.
»Sir, Aktivität am Hypernet-Portal!«
Alarmsignale flammten auf Gearys Display auf. Sein Blick zuckte zur Darstellung des Portals, während der Wachhabende fast atemlos die eingehenden Informationen herunterrasselte. »Syndik-Streitkräfte verlassen das Portal. Zwanzig Jäger. Aktualisierung: achtundzwanzig Jäger, zwölf Leichte Kreuzer. Aktualisierung: zweiundvierzig Jäger, sechsundzwanzig Leichte Kreuzer, acht Schwere Kreuzer. Aktualisierung: neunundsechzig Jäger, einunddreißig Leichte Kreuzer, neunzehn Schwere Kreuzer.«
Geary verfolgte, wie die Symbole für die feindlichen Schiffe immer zahlreicher wurden, während er versuchte, sich seine Bestürzung nicht anmerken zu lassen.
»Das ist eine große Anzahl an Begleitschiffen«, sprach Desjani in einem Tonfall, der in Gearys Ohren bemerkenswert gefasst klang.
Eine große Anzahl Begleitschiffe, die eine beträchtliche Anzahl schwerer Schiffe bedeutete.
Das Display und der Wachhabende bestätigten im nächsten Moment diese Schlussfolgerungen. »Sechzehn Schlachtkreuzer. Aktualisierung: zwanzig Schlachtkreuzer, zwölf Schlachtschiffe. Aktualisierung: dreiundzwanzig Schlachtschiffe.«
Plötzlich wurde Geary bewusst, dass er die ganze Zeit über den Atem angehalten hatte. Wenigstens flammten nicht immer neue Warnsymbole auf. Er nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um sich die endgültigen Zahlen der soeben eingetroffenen Syndik-Streitmacht vor Augen zu halten. Dreiundzwanzig Schlachtschiffe, zwanzig Schlachtkreuzer, neunzehn Schwere Kreuzer, einunddreißig Leichte Kreuzer, hundertzwölf Jäger.
Ihre Überlebenschancen in diesem System hatten sich soeben von »passabel« nach »miserabel« verändert. Die Allianz-Flotte verfügte noch über fünfundzwanzig Schlachtschiffe und siebzehn Schlachtkreuzer. Im Verlauf der Schlacht hatten sie bislang drei Syndik-Schlachtschiffe und vier Syndik-Schlachtkreuzer vernichten können. Aber selbst nach diesen Verlusten verfügte ihr Gegner nun über vierundvierzig Schlachtschiffe und vierunddreißig Schlachtkreuzer, die meisten davon mit vermutlich ausgeruhten Besatzungen und wahrscheinlich randvoll mit Munition, während die Allianz-Schiffe fast alle Geschosse und Kartätschen aufgebraucht hatten. Sie standen einer fast zwanzigfachen Übermacht gegenüber. Auch wenn der eine oder andere in der Flotte davon überzeugt sein mochte, so glaubte Geary nicht, dass ein überlegener Kampfgeist diese Unterlegenheit in Sachen Feuerkraft irgendwie wettmachen konnte.