5
Die Verborgene Königin

»Kommt!«, forderte Laurion sie auf. »Folgt mir in die Stadt der Verborgenen Königin.«

Siggi und Gunhild lösten sich aus dem schmalen Gang, der sie hierhergeführt hatte, und dann folgten sie zögerlich dem Lichtalben. Den Schluss bildete der Graue.

Im ersten Augenblick sahen Siggi und Gunhild überhaupt nichts, so hell war das Licht im Vergleich zu dem in den Gängen und Grotten. Aber als ihre Augen sich allmählich an die Helligkeit gewöhnten, waren sie vom Glanz dessen was vor ihnen lag, überwältigt.

Es war ein großer Felsendom, im dem die Lios-alfar eine richtige Stadt erbaut hatten. Die Ankömmlinge standen erhöht über den Dächern dieser Stadt, die sich zu Türmen und geschnitzten Giebeln emporschwangen, bis sie sich im Dämmer der gewaltigen Kuppel verloren. Eine breite Treppe führte hinunter zu den Straßen, wo man hell gekleidete Gestalten ausmachen konnte, die ihren Geschäften nachgingen.

Das Licht kam hier nur zu einem geringen Teil aus den Wänden, wie in den übrigen Höhlen, und es dauerte einen Moment, bis Siggi und Gunhild erkannten, woher die Helligkeit rührte, die sie geblendet hatte und die die Stadt der Verborgenen Königin erstrahlen ließ.

Überall an den Häusern und auf den Wegen gab es Edelsteine, die hell wie Lampen glühten. Doch es war ein weiches, diffuses Licht, das diese Leuchten ausstrahlten, und als die Augen der Kinder sich erst an die Helligkeit gewöhnt hatten, war es ihnen sogar möglich, direkt in die glimmenden Steine zu schauen.

Laurion lächelte. Für ihn war das etwas Alltägliches, aber Midgards Kinder kannten dieses Wunder nicht, und sie waren wie gebannt von dem Licht in der Tiefe.

»Ich bringe euch in mein Haus, und während ihr wartet, werde ich der Königin Bericht erstatten«, sagte Laurion zu ihnen.

»Warum können wir nicht mitkommen?«, fragte Gunhild, die neugierig auf die Königin war.

»Weil«, mischte der Graue sich ein, »die Königin im Verborgenen herrscht und sich nicht jedem zeigt. Sollte sie es für richtig halten, wird sie euch empfangen.«

»Ist das hier ihr ganzes Reich?«, fragte Siggi.

»Nein.« Laurion lächelte. »Um den Dom des Lichts gibt es noch eine Reihe weiterer, etwas kleinerer Höhlen. Das alles zusammen bildet unsere Stadt, unser Heim.«

»Und was ist das da hinten?«, fragte Gunhild und deutete auf eine Stelle auf der gegenüber liegenden Seite, wo es zwischen den Häusern hell glitzerte und die Strahlen der Edelsteine in allen Farben zurückgeworfen wurden.

»Das ist der Garten der Königin. Es wachsen dort außergewöhnliche Äpfel für außergewöhnliche Leute«, sagte Laurion lächelnd und warf einen Blick auf den Grauen, der ihn böse ansah.

»Ob wir ...?«, wollte Siggi fragen.

»Besser nicht«, unterbrach ihn Laurion. »Für Sterbliche sind diese Früchte nicht bestimmt.« Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht mehr darüber verlauten lassen würde.

»Lass uns in die Stadt gehen«, drängte der Alte.

So stiegen sie die Treppe hinab. Das Erscheinen zweier Kinder Midgards im Reich der Königin erregte beträchtliches Aufsehen, aber die Lichtalben hatten genug Anstand, sie nicht zu bedrängen. Allerdings wurden sie beobachtet, wie Siggi bemerkte, doch waren die Blicke nicht feindselig, sondern eher von Neugier geprägt.

Laurion führte sie durch das Gewirr der Straßen in diesem riesigen Felsendom bis zu seinem Haus.

Auf den ersten Blick schien es aus großen Balken errichtet zu sein, eine lange, von einem Giebel gekrönte Halle, aus deren Dach wie eine Krone ein Dachreiter erwuchs, darüber ein zweiter und dritter, sodass sie wirkte wie einer jener japanischen Tempel, die Siggi in einem Buch seines Vaters gesehen hatte. Alles war mit Ornamenten bedeckt, Pflanzen, die zu Tieren wurden, Ranken, die mit Krallen ineinander griffen, ein ständiges Werden und Wandeln. Man hatte das Gefühl, nicht einem künstlich geschaffenen Werk gegenüberzutreten, sondern etwas Gewachsenem, das behutsam in eine Form gebracht worden war, die es sich immer ersehnt hatte. Doch als Siggi näher kam, erwies sich das vermeintliche Schnitzwerk als harter, behauener Stein, in dem nur die verschiedenen Farben und Schichten eine holzähnliche Maserung vortäuschten. Allein der Gedanke, wie viele Arbeitsstunden nötig gewesen sein mochten, aus diesem harten Material solche Formen herauszumeißeln, ließ ihn schlucken.

»Das müsste Vati sehen«, meinte er unwillkürlich. »So was zu bauen, das wäre sein Traum.«

»Das ist keine Höhlenarchitektur«, warf Gunhild leise ein, die hinter ihm stand. »Das sind Pflanzen und Tiere aus der Welt, aus der wir kommen.«

Laurion warf ihr einen überraschten Blick zu, verwundert über so viel Feinfühligkeit.

»Ihr müsst die Welt des Lichtes sehr lieben, um so etwas zu schaffen«, fuhr sie fort.

»Auch wir wohnten einst auf den Höhen«, sagte der Lios-alf nur, führte den Gedanken aber nicht weiter. Auch der Graue sagte nichts, doch sein Gesicht wirkte noch abweisender als sonst, als sehe er ein ganz anderes Bild vor seinem geschlossenen Auge.

Laurion führte sie in die Halle des Hauses, das einzige Zimmer im Inneren des Gebäudes. Die Mitte des Raumes bildete ein lang gezogener Herd; an den Wänden hingen Waffen und Geräte, und im hinteren Teil erkannte man eine Lagerstatt und verschiedene Dinge des persönlichen Bedarfs, Bücher, Vorratsgefäße, Truhen, die vermutlich Kleidung oder Ähnliches enthielten. An der Stirnwand der Halle, wo man einen Thronsitz vermutet hätte, plätscherte kristallklares Wasser in einen steingefassten Brunnen.

»Ihr müsst hungrig sein«, sagte Laurion, als sie auf einer niedrigen Bank an einem steinernen Tisch Platz genommen hatten, und brachte ihnen zu essen und zu trinken. Dann ließ er sie allein in der Obhut des Grauen zurück.

Erst jetzt bemerkten die Kinder, dass sie wirklich einen Wolfshunger hatten. Sie langten kräftig zu. Das dunkle Brot, das ihnen Laurion zusammen mit Butter und Käse gebracht hatte schmeckte süß, wie nach Honig. Dazu tranken sie frisches Quellwasser, und es schmeckte ihnen besser als alles, was sie jemals gegessen und getrunken hatten.

»Butter und Käse?«, fragte Siggi plötzlich. »Woher die wohl kommen?«

»Es gibt anscheinend Kühe hier«, mutmaßte Gunhild, als von dem Alten keine Auskunft kam.

»Wahrscheinlich die Kinder der Urkuh«, grinste Siggi. »Das müssen komische Viecher sein.«

»Es war eine Ziege«, belehrte ihn Gunhild.

Siggi beäugte misstrauisch das Essen.

Der Graue ging unruhig im Zimmer auf und ab. Siggi blickte kurz zu ihm auf, und er konnte sehen, wie es unter der ledrigen Haut seines toten Auges zuckte. Der Alte musste entsetzlich aufgeregt sein; er konnte nicht still stehen. Man spürte förmlich, wie es in ihm arbeitete.

Der brütet etwas aus, dachte Siggi bei sich, als sich die Tür öffnete und Laurion eintrat.

»Ich habe mit der Königin gesprochen. Wir werden einen Trupp unserer besten Männer zusammenstellen, die mit mir zusammen versuchen werden, euren Freund zu befreien.«

»Müssen wir ...«, stammelte Siggi, »ich meine, dürfen wir ...?«

»Natürlich kommt ihr mit. Nur ihr könnt euren Freund überzeugen, uns zu folgen, wenn wir ihn finden.«

»Genau«, pflichtete Gunhild ihm bei.

»Dann kommt mit. Wir gehen in die Rüstkammer. Dort treffen wir die anderen«, sagte Laurion knapp.

Er führte sie durch das verwirrende Labyrinth der engen Gassen der Stadt, und Siggi und Gunhild konnten sich nicht satt sehen an dem, was die Lichtalben hier geschaffen hatten. Überall gab es Bildwerke und feine Ziselierungen, die mit großer Kunstfertigkeit hergestellt waren und für das Schönheitsempfinden der Lios-alfar sprachen.

Sie bemerkten die Unruhe in der Stadt. Immer wieder begegneten sie Leuten, die umherhasteten.

»Was ist los?«, fragte Siggi schließlich.

»Wir rüsten zur Schlacht«, erklärte Laurion. »Die Höhlen hallen von den Kriegshörnern der Dunklen Brut wieder.«

»Aber wir ...«

»Wir werden uns aus einer anderen Richtung heranschleichen und so die Auseinandersetzung meiden«, schnitt Laurion ihm das Wort ab. »Unsere Aufgabe ist wichtig, und da kann uns eine Schlacht eher helfen als schaden. Eine Schlacht lenkt viele Leute ab, und so können wir uns eurem Freund vielleicht unbemerkt nähern.«

Schließlich erreichten sie die Rüstkammer. Es war eine Höhle, die in den Fels gemeißelt worden war, unterteilt in verschiedene Nischen und Gewölbe, in denen sich Waffen, Rüstungen, Lederpanzer und Ähnliches stapelten.

»Wählt euch aus, was ihr braucht«, sagte ihnen Laurion. »Auch in Eurer Größe müsste etwas da sein.«

Siggi und Gunhild machten sich auf die Suche. Als Erstes fand Siggi ein einfaches Wams aus dickem Leder mit Metallbeschlägen, das ihm passte. Dazu wählte er eine der weichen Lederhosen. Nur ein passender Helm war nicht aufzutreiben.

Nun fehlte ihm noch eine Waffe. Er entdeckte ein schönes Schwert, das er schon greifen wollte, als sein Blick von etwas anderem gefesselt wurde. Es war ein Gegenstand mit einem langen schwarzen Griff und einer Lederschlaufe am Ende. Am anderen Ende hatte er einen kurzen, massiven Knauf in Form eines Würfels, der sich auf zwei Seiten trichterförmig fortsetzte und in zwei Spitzen endete. Bis auf die Schlagflächen war jeder Quadratmillimeter davon mit feinen Ziselierungen bedeckt. Im ersten Moment zweifelte Siggi, ob er ihn würde heben können, aber das Ding war leichter, als er gedacht hatte.

»Ein Kriegshammer«, erklärte Laurion. »Eine gute Wahl. Schwerter und Äxte sind nur etwas für Leute, die lange den Umgang mit Waffe geübt hatten, aber du hast dich für den Hammer entschieden, mit dem man auch etwas ausrichten kann, wenn man ungeübt in der Kunst der Waffen ist.«

»Was ist das hier für ein Zeichen?«, fragte Siggi, als er etwas in den Schaft eingraviert fand. Es sah aus wie ein leicht verrutschtes ›P‹, ungefähr so:

»Thurs«, sagte der Graue, der unbemerkt hinter sie getreten war. »Die Rune der Stärke, das Zeichen Thors.« Siggi wartete auf eine weitere Erklärung, aber es kam nichts mehr, und so zuckte er nur die Schultern und schob sich den Hammer in den Gürtel.

Auch Gunhild hatte sich für ein Wams aus festem Leder entschieden, doch fand sich für sie keine passende Hose, sodass sie einen Kilt aus festem Stoff wählte. An ihrer Seite hing ein unterarmlanger Dolch, und sie trug einen Speer.

Unterdessen waren fünf Lichtalben eingetreten, welche mit Schwertern und Schilden bewaffnet waren.

»Das sind Widar und Wali, Modi, Magni und Yngwe«, stellte Laurion die anderen vor, die jeweils leicht den Kopf neigten, wenn ihr Name fiel. Siggi und Gunhild erwiderten den Gruß. Siggi musterte die Lios-alfar genauer. Sie wirkten alle jung, aber kampferfahren. Ihre Mienen waren undurchdringlich, doch nicht unfreundlich.

»Brechen wir auf«, sagte Laurion knapp.

Der junge Hauptmann ging an der Spitze, knapp hinter ihm der Graue, gefolgt von den Geschwistern, und den Schluss bildeten die fünf Lios-alfar, die zu ihrem Schutz abgestellt worden waren.

Siggi fühlte sich prächtig. Der Hammer, der an einer Schlaufe an seinem Gürtel ging, ließ ihn eine unbekannte Seite seiner selbst spüren. Er sah dem Abenteuer zuversichtlich entgegen. Sonst immer eher zurückhaltend, war er nun wild entschlossen, sich den Gefahren zu stellen. Mit dem Hammer an seiner Seite konnte ihm nichts passieren. Mit weit ausholendem Schritt ging er neben Gunhild, die ihren Speer mit Würde trug.

So ließen sie die Stadt hinter sich, und Laurion führte sie sicher und ohne zu zögern durch das Labyrinth aus Höhlen, Stollen, Grotten und Hallen. Die Augen der Kinder gewöhnten sich rasch wieder an das fahle, schwächere Licht, das außerhalb der Stadt herrschte. Sie beobachteten aufmerksam ihre Umgebung, und so manches kleine Wunder bot sich ihnen dar. Mineraladern, die das Licht in den unterschiedlichsten Farben brachen, Kristalle, die sich zu fein gewobenen Geflechten verbanden, und stets neue Tropfsteine und Wasseradern gaben immer wieder Anlass zum Staunen.

»Dort vorn«, Laurion deutete auf den Eingang zu einer Grotte, »werden wir einen kurzen Moment rasten.«

»Warum?«, fragte Siggi, der eine nagende Ungeduld verspürte.

»Du wirst es sehen«, lächelte der junge Lios-alf, »mein ungeduldiger Freund.«

Sie betraten die Grotte, und das Erste, was Siggi sah, war ein einziger, riesiger Bergkristall, der wie ein Baum aus dem Boden wuchs. Von den Seiten drang kein Licht herein, nur unter dem Kristall war eine Lichtquelle, die ihn weiß erstrahlen ließ, und sich in den verzweigten Adern in den Felswänden und in der Decke brach, dass es aussah, als ständen sie in einem schimmernden Hain.

Laurion reichte eine Wasserflasche herum, und jeder, auch der Graue, nahm einen Schluck.

Siggi beobachtete den Alten immer wieder. Mochte er auf den ersten Blick auch ruhig erscheinen, aber das Zucken seines toten Auges war ein eindeutiger Hinweis, dass der Graue irgendetwas im Sinne hatte. Er benahm sich immer merkwürdiger, seit er diese seltsame Geschichte erzählt hatte.

»Was sucht ihr im Herzen des Verborgenen Reiches«, erklang eine sanfte Stimme hinter ihnen. Siggi griff, ohne nachzudenken, nach dem Hammer, aber Laurions Hand legte sich auf die seine.

Siggi wandte sich um. Was er sah, war eine schmächtige, doch bezaubernd schöne Frau, die hinter dem Kristall hervorgekommen war. Sei trug ein silbernes Gewand mit blauen Borten und weißem Besatz. Das lange blonde Haar fiel ihr bis auf die Hüften herab. Ihre himmelblauen Augen musterten jeden aus der Gruppe - und Siggi hatte das Gefühl, sie sah sich alle zur gleichen Zeit an. Sie war hochgewachsen und etwas größer als Gunhild.

Sie lächelte jeden der Reihe nach an und nickte ihm zu. Und als ihr Blick ihn traf, war Siggi, als berührte etwas sein Herz.

»Herrin«, begrüßte Laurion die Königin und neigte den Kopf. Siggi tat es ihm gleich und Gunhild knickste.

»Sei gegrüßt, Wanderer«, sagte die Königin zu dem Alten.

Der Graue nickte nur, sagte aber nichts.

»Gunhild, komm zu mir«, sagte die Königin unvermittelt. »Ich habe euch nur herkommen lassen, um dir ein Geschenk zu machen.«

Zögernd trat das Mädchen näher.

»Warum so zaghaft? Mir wurde berichtet, du seist ein forsches Kind«, sagte die Verborgene Königin aufmunternd zu Gunhild.

Gunhild zögerte nicht länger, sondern schritt energisch aus.

»Und jetzt neige deinen Kopf zu mir«, bat die Königin.

Kaum hatte Gunhild sich vorgebeugt, da fühlte sie etwas Kühles auf der Haut. Als sie sich wieder aufrichtete, spürte sie ein Gewicht um ihren Hals, und etwas berührte ihre Haut, kühl, aber nicht unangenehm.

Sie sah an sich hinunter, und für den Bruchteil eines Augenblicks schwindelte ihr. Sie hatte das Gefühl, als wäre die Zeit plötzlich erstarrt und alles um sie herum in der Bewegung eingefroren. Doch das Gefühl verging im selben Lidschlag, in dem es gekommen war.

Ihr Blick fiel auf ein wunderbares Geschmeide, das sich an ihre Brust schmiegte. Es war eine Kette aus neun goldenen Reifen, von denen jeder einen eigenen Edelstein trug, welche in allen Farben des Regenbogens glitzerten. Die Ringe selbst waren mit winzigen Golddrähten umwickelt, die wiederum aufgesetzte Noppen aus Gold trugen. Kleine, eingefügte Plättchen, geschmückt mit kunstvoll verschlungenen Knoten in Form von Vögeln oder anderen Tieren, füllten die Zwischenräume. Die Arbeit war so unendlich fein, dass man sich in der Betrachtung verlieren konnte, wirkte fast zerbrechlich, aber, das konnte Gunhild schon erkennen, war doch fest und stark. Es war ein unglaublich schönes Schmuckstück.

»Oh«, entfuhr es ihr. »Womit habe ich das verdient?«

»Du brauchst es dir nicht zu verdienen; ich will, dass du es trägst. Es ist stärker als die mächtigsten Waffen.«

»Was meint Ihr damit?«, fragte Gunhild, die ihren Blick nicht von ihrem Halsschmuck wenden konnte.

»Du wirst es herausfinden ... eines Tages ... vielleicht bald«, entgegnete die Königin nur.

»Woher stammt der Schmuck?«, wollte Siggi wissen.

»Er ist Teil eines Lohnes, der nicht gezahlt wurde«, antwortete die Königin. »Ich glaube«, sagte sie mehr zu sich selbst, »ihr solltet von dieser Geschichte erfahren.«

Gunhild und Siggi wandten sich automatisch dem Grauen zu, doch dieser machte keine Anstalten, etwas zu erzählen, sondern trat vielmehr einen Schritt zurück in die Schatten, dass sein Gesicht unter dem breitkrempigen Hut nun ganz im Dunkeln lag. Nur das heile Auge blinkte im Widerschein des Goldes.

»Ich sehe, der Einäugige hat euch bereits von den alten Zeiten berichtet«, ergriff die Königin wieder das Wort. »So wisst ihr vielleicht schon von Mimirs Quell, der sich bis in den Urgrund des Riesenreiches erstreckt und an dessen Grund die Erde Gold gebiert.«

Die Kinder nickten.

»Am Golde scheiden sich die Geister. An ihm hängt Fluch und Segen. Menschen töten für Gold. Aber sein Glanz bannt auch Riesen und Asen und alle, die Yggdrasils Welten bevölkern. Hierher kam Alberich, Herr von Nibelheim, König der Swart-alfar, auf der Suche nach den Töchtern Erdas, die den Schatz bewachen. Er suchte kein Gold, nur eine Frau, die sein kaltes Lager teilen und ihm Söhne gebären sollte. Doch als die Hüterinnen des Schatzes ihn zurückwiesen, da schwor er, nie wieder ein Weib zu begehren, und brach damit den Bann, der auf dem Golde lag. Denn so hatten die Nornen beschlossen: Nur wer der Liebe entsagte, konnte dieses Gold in Besitz nehmen.

Kunstreiche Werke schmiedeten die Schwarzalben in ihren unterirdischen Hallen: Äxte und Schwerter, Brünnen, Helme, aber auch Harfen und Posaunen und Kleinode jeglicher Art, und als ihr Meisterwerk schufen die Zwerge das Halsband Brisingamen, dessen Juwelen den Glanz aller neun Welten in sich einfingen.«

Gunhild, plötzlich blass geworden, blickte an sich hinunter. Aber die Königin lächelte nur; dann fuhr sie mit ernster Stimme fort:

»Doch aus dem roten Herzen des Goldes schmiedete Alberich im Feuer von Muspelheim einen Ring. Einen magischen Ring. Einen Ring, der Macht über alle Dinge besaß, welche die Erde hervorbringt. Und der ihn unsichtbar machte.«

Diesmal war es Siggi, der den Blick abwandte und erbleichte, aber zum Glück bemerkte es keiner.

»Oben aber auf seinem hohen Sitz in Asgard sah Odin, der Herr der Asen, alles, was auf Erden und unter der Erde geschah. Er sah den Glanz des Schwarzalbenreiches und Alberichs wachsende Macht. Und da er stets weiter vorausdachte als die anderen Götter, beschloss er, eine neue Feste zu errichten, Walhall geheißen, höher, als die Mauern von Asgard jemals gewesen waren. Da die Asen selbst dieses Werk in der Kürze der Zeit nicht vollbringen konnten, nahm er dafür die Dienste zweier Riesen an, Fafnir und Fasolt mit Namen. Und auf den Rat Lokis hin gab er ihnen dafür nur neun Tage Zeit; wenn sie binnen dieser Frist nicht den letzten Stein der Mauer auftürmten, sollten sie leer ausgehen, doch sonst wollte er ihnen einen Wunsch erfüllen, so er es vermochte. Dies schwor er mit heiligem Eid.

In jeder Nacht riss Loki, als Wolf verkleidet, einen Teil der Mauer wieder ein, doch jeden Tag wuchs das Werk dennoch weiter, und nach neun Tagen war der letzte Stein gefügt. Da kamen die Riesen zu Odin, um ihren Lohn zu fordern.

›Was begehrt ihr?‹

Und sie sagten: ›Freya.‹

Als Thor, der Donnerer, dies hörte, ergrimmte er und hob seinen Hammer, um sie zu erschlagen. Doch Odin gebot ihm Einhalt.

›Ich habe beim Speer des Gesetzes geschworen‹, sprach er, ›und diesen Eid muss ich halten, damit die Ordnung der Welt nicht in Stücke geht.‹

Doch Loki, der Listenreiche, sagte: ›Gebt uns einen Tag und eine Nacht, dann könnt ihr von uns haben, was immer Euer Begehr ist.‹

Die Riesen aber wollten nicht mit sich handeln lassen, ehe man ihnen nicht Freya, die Schöne, als Geisel ließ. Daraufhin gelobten sie, wiederzukehren, sobald die Frist verstrichen sei, um sich zu entscheiden.

Also blieben die Götter allein in Walhall zurück, und Odin sprach zu Loki: ›Du warst es, der mir den Rat gab, mit den Riesen einen solchen Pakt zu schließen. Was rätst du mir nun.‹

›Es gibt nur eines auf der Welt, was höher steht als die Reize einer Frau‹, entgegnete Loki, ›und das ist das Gold, um dessentwillen Alberich der Nibelung der Liebe entsagte. Nur der Schatz des Nibelungen wird die Riesen bewegen, uns Freya zurückzugeben. Ich werde dich dorthin führen, und mit deiner Zaubermacht und meiner List werden wir diesen Preis erringen.‹

Odin aber dachte im Geheimen an den Ring, den er begehrte, und so sagte er: ›Dann zeig mir den Weg!‹ «

Die Verborgene Königin machte eine Pause und fuhr dann fort:

»Wer Loki wirklich war, das haben wir ... haben die Asen nie gewusst. Einige sagen, er sei der Sohn eines Riesen gewesen; andere meinen, er sei einer der Wanen; wieder andere behaupten, er sei aus dem Urfeuer selbst geboren worden, in den fernsten Regionen von Muspelheim. Doch als Loki in Odins Halle kam, begrüßte ihn der Allvater wie einen lange ersehnten Bruder. Vielleicht war er sein Bruder, ob im Blute oder im Geiste, sein anderes, dunkles Ich. Er war schön von Gestalt, doch in seinen Augen brannte eine unstete Flamme. In jenen frühen Tagen war Loki das Feuer der Götter - sie bedienten sich seiner, sie spielten damit, doch am Ende verbrannten sie sich.

Gemeinsam stürzten sich Odin und Loki in die Tiefe von Mimirs Quell, der mit allen Welten in Verbindung steht, und durch die Schwefelklüfte schwangen sie sich hinunter nach Nibelheim, ins Reich der Schwarzalben.

Der Erste, den sie dort trafen, war Regin, Alberichs Bruder. Er neidete diesem seit langem seinen Glanz und seine Macht. Als er die Götter sah, sprach er: ›Wer seid ihr, und was wollt ihr hier? Wisst ihr nicht, dass dies Alberichs Reich ist?‹

Darauf antwortete Loki, der Listenreiche: ›Wir sind gekommen, die Schwarzalben aus der Knechtschaft Alberichs zu befreien.‹

Regin aber entgegnete: ›Keiner ist stärker als Alberich. Der Ring der Macht, den er sich geschmiedet hat, macht ihn unsichtbar. Keiner hat mehr den Mut, etwas gegen ihn zu sagen - oder zu tun.‹

Doch Loki sprach: ›Führ uns zu ihm.‹

So wurden sie vor Alberichs Thron geführt, in eine dunkle, verrußte Halle, wo sich hässlich und schwarz sein Sitz erhob, umgeben vom Gewimmel seiner verkrümmten, ängstlich geduckten Sklaven. Alberich aber war der hässlichste von allen, wenngleich seinen Hals das Brisingamen, das schönste aller Kleinode zierte, und als er die Asen sah, zischte er:

›Kommen nun endlich auch die Götter von ihren Höhen herab, um mir zu huldigen?‹

Odin setzte zu einer zornigen Erwiderung an, doch Loki sagte: ›Wir kamen, um die Wahrheit über die mächtigen Wunder von Nibelheim zu erfahren. Doch am meisten wundert mich, wie sehr die Zwerge vor diesem goldenen Ring zittern, den du angeblich besitzt. Es heißt, er gebe dir die Macht, dich unsichtbar zu machen?‹

Alberich zog den Ring hervor, den er stets verborgen hielt, und streifte ihn über den Finger. Alsgleich verschwand er vor den Augen aller; doch Loki wurde von einem Schlag zurückgeschleudert, und eine Stimme ertönte aus dem Nichts: ›Ergibst du dich nun, du elender Wicht?‹

Loki wand sich am Boden und sprach: ›Verschone mein Leben, schrecklicher Nibelung!‹

Doch Odin öffnete sein zweites Auge, das aus den Tiefen von Mimirs Quell immer nach innen blickt, und er sah den Unsichtbaren, trat von hinten an ihn heran und zog ihm den Ring vom Finger.

Da verwandelte Loki sich, seiner Natur gemäß, in eine lodernde Flamme, dass alle von ihr geblendet waren. Und als Alberich wieder zu sehen vermochte, lag er gebunden auf dem höchsten Gipfel von Midgard, und Odin wies ihm den Ring der Macht und sprach: ›Wenn dir dein Leben lieb ist, so wirst du uns den Schatz ausliefern, bis auf das letzte Stück.‹ Und Alberich, des Ringes beraubt, hatte keine Wahl, als ihnen zu Willen zu sein, und so schafften in nächtlicher Arbeit die Schwarzalben den Schatz ihres Königs hinauf gen Asgard, Stück um Stück.

›Bist du nun zufrieden?‹ fragte Alberich. ›Das ist alles.‹

›Bis auf das Halsband Brisingamen‹, sprach Odin.

Da riss sich Alberich das Geschmeide vom Hals und warf es auf den Haufen und verfluchte alles an dem Schatz, das nicht aus freiem Willen gegeben sei. Dann stürzte er sich zurück in die dunkle Kluft, der er entstiegen war.

Als nun die Riesen mit Freya zurückkehrten, da erblickten sie das Gold, und so groß war die Macht jenes Goldes in der Altvorderenzeit, dass Fafnir und sein Bruder sagten: ›Wenn ihr uns die Göttin mit Gold bedeckt, dann wollen wir das Gold an ihrer statt nehmen.‹

So bedeckten sie Freya mit Gold, bis nur noch eine schimmernde Locke hervorsah. Fasolt wollte es dabei bewenden lassen, doch Fafnir sagte: ›Was ist es, das da an deinem Finger glänzt, Allvater? Ist das nicht auch noch Teil des Schatzes?‹

›Das ist mein Ring, den lasse ich nicht!‹ rief Odin.

›Dann ist die Göttin unser‹, antwortete Fafnir.

Da warf Odin den Ring auf den Haufen Goldes, und er verfluchte den Ring und sprach: ›Ewigen Zwist soll dieser Ring bringen, Bruder gegen Bruder, Erbe gegen Erben, Sohn gegen Sohn, ehe er nicht in den Tiefen von Mimirs Brunnen liegt, woher er genommen wurde!‹

Da aber Freya sich erhob, hatte sich das Brisingamen wie von selbst um ihren Hals gelegt, und Fasolt, der sie so sah, entbrannte in Liebe zu ihr und sagte: ›Herrin, mehr ziemt es diesem Geschmeide, Euch zu zieren, als in den Tiefen der Erde zu verdämmern. Darum gebe ich es Euch aus freien Stücken von meinem Anteil des Schatzes.‹

Darauf ergrimmte sein Bruder und sagte zu ihm: ›Du verteilst die Beute freigebig, bevor wir uns noch einig wurden. So werde ich denn den ganzen Schatz behalten, und nichts soll dir übrig bleiben.‹ Und er nahm eine Keule und erschlug seinen Bruder, und so wurde der erste Teil von Odins Fluch erfüllt. Dann raffte er den Schatz zusammen und schaffte ihn fort, in eine tiefe Höhle, und ließ sich darauf nieder, um zu brüten.

Und darum liegt kein Fluch auf dem Halsband Brisingamen, weil es aus freien Stücken gegeben wurde, und Freya trug es lange Jahre in Walhall, zu ihrem Ruhme und zur Freude der Götter.«

Keiner wagte, etwas zu sagen, obwohl Siggi und Gunhild viele Fragen auf den Lippen brannten. Vor allem in Gunhilds Kopf wirbelten die Gedanken. Dieses Halsband? Ein Erbstück aus dem Reich der Sagen und Legenden? Sie berührte das Metall an ihrem Hals; es fühlte sich warm an, keineswegs kalt, wie Gold sonst war, aber es war hart, konkret, wirklich. Doch wenn das alles wirklich so war, dann ...

Sie führte den Gedanken nicht zu Ende. »Wir müssen weiter«, sagte Laurion, der ebenfalls ergriffen geschwiegen hatte. Er beugte das Knie vor der Königin, und die anderen Lios-alfar taten es ihm gleich. Siggi machte eine Verbeugung, weil ihm ein Kniefall irgendwie komisch vorgekommen wäre, aber Gunhild brachte einen regelrechten Knicks zustande, was er ihr gar nicht zugetraut hätte. Nur der Alte gab kein Zeichen der Ehrerbietung von sich, als sie sich wortlos zurückzogen.

Als die Gruppe die Kristallgrotte bereits verlassen hatte, hörten sie noch einmal ihre Stimme. »Lass dein Herz sprechen, Einauge. Gefühle und Weisheit sind nicht immer eins. Höre auf die Stimme deines Herzens.«

Der Graue knurrte unwillig. Siggi sah, wie sich die Miene des Alten für einen Moment verfinsterte, doch wie immer ging dieser Eindruck schnell vorbei, und wäre da nicht das fortwährende Zucken unter der Lederhaut des toten Auges, könnte man meinen, den Grauen ging das alles nichts an.

Gunhild konnte nicht von ihrem Geschmeide lassen. Ständig berührte sie es oder sah an sich herunter.

Es war schön. Mit einem Mal war ihr bewusst, dass sie noch nie etwas so Schönes besessen hatte. Sie hatte auf Schmuck und solche Dinge nie besonderen Wert gelegt, aber jetzt hatte sie das Gefühl, als ob das Halsband auch sie schön machte, schöner, als sie je gewesen war. Und auch das hatte für sie eigentlich bislang nie eine Rolle gespielt.

Gunhild blickte auf. Die Lios-alfar sahen sie an. Da war ein Funkeln in den Augen der Männer, das sie nicht zu deuten vermochte. Es war nicht feindselig, und es war ihr in keiner Weise unangenehm.

Und doch. Diese Geschichte ...

»Vorsicht!«, mahnte Laurion. »Hier wird es eng.«

Ein Teil des Ganges war eingestürzt, die Trümmer versperrten den halben Gang. Sie mussten über das Geröll klettern, um ihren Weg fortsetzen zu können.

Galant reichte Laurion Gunhild die Hand, und diese ergriff, ohne nachzudenken, die dargebotene Hilfe, obwohl sie sich genauso gut auf ihren Speer hätte stützen können.

»Danke«, murmelte sie.

»Bitte, stets zu Diensten«, entgegnete Laurion förmlich und lächelte, aber es war nicht der Schalk, der in seinen Augen glänzte, sondern etwas, das Gunhild unbekannt war.

Sie setzten ihren Weg fort, Laurion hatte die Spitze übernommen, der Graue hielt sich dicht auf seinen Fersen, ihm folgten Siggi und Gunhild. Danach kamen die fünf Lios-alfar, die ihnen helfen sollten, Hagen aus den Klauen der Schwarzalben zu befreien.

Als Siggi an die gesichtslosen Jäger dachte - die Worte der Königin vom ›Gewimmel der verkrümmten Sklaven‹ waren ihm nicht aus dem Kopf gegangen -, griff er unwillkürlich nach seinem Hammer. Diesmal würde er nicht weglaufen, sondern es so halten, wie Laurion gesagt hatte. Wiederkehren und es ihnen im Kampf zeigen. Er hatte nun eine Waffe und immer noch sein Geheimnis. Es war ihm gelungen, den Ring unauffällig in einen Lederbeutel zu schmuggeln, der am zum Lederwams gehörenden Gürtel hing.

Unauffällig tastete er nach dem Goldreif, der schwer an ihm zog, aber das Gewicht war spürbar leichter geworden. Vielleicht gewöhne ich mich daran, dachte Siggi, und er hoffte, das es so war.

Auf jeden Fall fühlte Siggi sich selbstsicher. Der Ring und der Hammer, das war seine Chance, es den Schwarzalben heimzuzahlen!

Plötzlich hielt der Graue an, als hätte er sich an etwas Dringendes erinnert, das er noch erledigen müsste.

»Ich werde euch hier verlassen«, verkündete er ohne Vorwarnung.

»Hast du wieder eigene Pläne, Alter?«, fragte Laurion spöttelnd.

»Das geht dich nichts an!«, meinte der Graue, um dann versöhnlicher fortzufahren: »Es gibt viele Wege, die zum Ziel führen.«

»Tu, was du willst«, sagte Laurion lapidar.

Grußlos verschwand der Graue in einem abzweigenden Gang, der, so schien es Siggi, nach unten führte.

Sie sahen dem Grauen nach, wie er im Zwielicht des Ganges verschwand. Ein lautes Krächzen der Raben war wie der Abschiedsgruß, den ihnen der Alte verweigert hatte. Dann war er aus ihrem Blick verschwunden.

»Komischer alter Kauz«, ließ sich einer der Lios-alfar vernehmen. Auch von den anderen kamen gemurmelte Bemerkungen, die nicht sonderlich schmeichelhaft für den Alten waren.

»Lasst Einauge seiner Wege gehen. Es ist nicht leicht für ihn. Zu sehr leidet er ...«, sagte Laurion und ließ seinen Satz unvollendet.

»Worunter leidet er denn?«, fragte Gunhild. »Und wer ist er überhaupt?«

»Er hat uns immerhin vor den Schwarzalben gerettet«, sagte Siggi, der das Verhalten der Lios-alfar gegenüber dem Grauen als respektlos empfand, trotz aller Vorbehalte, die er selbst gegenüber dem Alten hatte.

»Er hat viel verloren. Nicht nur sein Augenlicht, sondern fast alles, was er je erreicht hat«, erklärte Laurion. »Und er war einst groß.«

»Wer ist er?«, fragte Siggi. »Er macht den Eindruck, als wäre er sehr weise; manchmal zumindest.«

»Weise?« Laurion klang wie ein Echo. »Weise? Ja, das ist er wohl. Und du weißt sogar, wie er an seine Weisheit gekommen ist.«

»Woher ...«, Siggi unterbrach sich selbst. Dann erinnerte er sich an die Geschichte, die der Graue erzählt hatte: Wie Ygg seine Weisheit erlangte ...

»Aber das ist nicht möglich ...!«, entfuhr es ihm.

»O doch«, entgegnete Laurion. »Dieser alte Mann, der euch vor den Schwarzalben rettete und der so viele Namen hat, ist kein anderer als Allvater Odin selbst...«

Siggi und Gunhild sahen sich an.

»Du meinst«, sagte Gunhild, »ein Gott?«

»Ein richtiger Gott?«, fügte Siggi hinzu.

Sie hatten bislang schon manches akzeptiert: die Anderswelt, Lichtalben und Dunkelwesen, unterirdische Städte mit leuchtenden Kristallen und Legenden vom Anbeginn der Zeit ... und einen magischen Ring, der unsichtbar machte, wie Siggi in Gedanken hinzufügte. Und Gunhilds Hand ging wieder zu ihrem Halsband aus Gold und Edelsteinen.

Aber ein Gott? Ein Gott, der mit einem redete und durch die Gegend zog? Und ein streckenweise ziemlich müder Gott obendrein ...

Überhaupt, Gott, das war etwas, zu dem man betete, in der Kirche. Wenn dieses ... dieses Wesen da ein Gott war, dann musste sich dahinter etwas ganz anderes verbergen, als sie mit diesen Begriff verbanden. Ein heidnischer Gott außerdem ...

Siggi schlug unwillkürlich ein Kreuzzeichen, aber es wurde nur so etwas wie ein T daraus. Wie ein Hammer. Aber das war auch ein Hammer, diese Geschichte!

Laurion sah ihn mit einem schiefen Blick an.

»Ihr habt seine Namen gehört: Allvater, Heervater, Wanderer. Man nannte ihn auch Siegvater, aber das ist lange vorbei.«

»Er wirkt manchmal so zynisch, so unbeherrscht«, sagte Gunhild. »Woher kommt das?«

»Er hat viel hinnehmen müssen. Manches hat er trotz seiner Weisheit selbst verschuldet, aber an vielem tragen andere zumindest eine Mitschuld«, erwiderte Laurion, und seine Stimme klang traurig.

»Aber warum hat er keine Macht mehr?«, fragte Gunhild.

»Weil sein Speer zerbrach. All seine Macht war in dieser Waffe«, sagte Laurion. »Der Speer war die Macht, die nur er zu nutzen verstand, aber ohne ihn war er machtlos. Seitdem irrt er durch die Anderswelt und manchmal durch Midgard, aber er kann nur zuschauen und nur noch sehr, sehr wenig bewirken. Und dabei ist ihm seine Weisheit manchmal mehr im Weg, als er es sich eingestehen will. Erinnert euch an die Worte der Königin. Er hört nicht auf sein Herz, sondern nur auf seinen Verstand; doch manchmal liegt im Gefühl mehr Wahrheit als in der Weisheit selbst.«

Siggi sah Laurion an und versuchte den Sinn des Gehörten zu ergründen.

»Vielleicht«, sagte Laurion zu Siggi, »wirst du die Worte der Königin irgendwann begreifen.«

»Wie ist denn der Speer zerbrochen?«, wollte Gunhild wissen.

»Das ist eine alte Geschichte, die ich euch ein andermal erzählen werde«, sagte Laurion. »Jetzt müssen wir erst einmal weiter.«

»Bitte«, bettelte Siggi.

»Nein, es könnte sein, die Schwarzalben hören uns und könnten uns in einen Hinterhalt locken.«

»Ich glaube«, warf Wali, einer der Lios-alfar ein, »die Kinder sollten diese Geschichte hören. Sie ist lehrreich. Wir könnten spähen, um zu verhindern, dass die dunkle Brut uns vor der Zeit bemerkt.«

»Viele Späher werden hier ohnehin nicht sein, die meisten dürften um die Aufmarschgebiete der großen Heere herum unterwegs sein«, meinte Widar.

»Gut, geht! Ich werde ihnen erzählen, wie Walvater Odin seine Macht verlor«, gab Laurion sich geschlagen. »Auch wenn ich es nicht so gut vermag wie die Königin.«

Er ließ sich auf einen gewachsenen Felsblock nieder, und Siggi und Gunhild hockten sich zu ihm.

»Ihr habt von Fafnir gehört, der das Gold des Nibelungen gewann. Groß ist die Macht des Goldes, das aus dem Schoß der Erde kommt, und je länger Fafnir darüber brütete, umso mehr veränderte sich seine Gestalt, und er wurde zu einem mächtigen Drachen -«

»Fafnir!«, rief Siggi aus. »Das ist der Drache, den Siegfried getötet hat!«

Laurion hob überrascht die Brauen. »Du kennst die Geschichte?«

»Klar«, meinte Siggi. »Ich habe sogar die Oper gesehen.«

»Die Oper?«

»Aber ja!«

»Was ist das?«

»Da, wo die Leute die ganze Zeit singen.«

Laurion schien mit dieser Erklärung nicht sehr viel anfangen zu können; denn er runzelte die Stirn und sagte: »Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Es ist so eine Art Geschichte in Liedern. Wie ein Musical«, versuchte Gunhild zu erklären.

»Ah, ja.« Der Lios-alf wirkte immer noch nicht überzeugt, aber fuhr fort: »Was weißt du denn von der Geschichte?«

»Na, der Siegfried hatte ein Schwert, das hat ihm irgend so ein Zwerg geholfen zu schmieden, und damit hat er den Drachen erschlagen. Und dann hat er in dem Drachenblut gebadet und ist dann weitergeritten zu einem flammenden Berg, und da hat er eine Frau gefunden.«

Laurion lächelte. »So weit, so gut. Der Name des Zwerges war Regin -«

»Der ... der Bruder von Alberich?« Siggi hatte offensichtlich doch aufgepasst.

»Ja. In ihm schwelte seit langem der Hass, und er wollte sich den Schatz - und den Ring - selbst aneignen, um Herr der Swart-alfar zu werden. Doch sein Plan wurde durch Siegfried zunichte gemacht. Dieser aß unwissentlich von dem Herzen Fafnirs, worauf er die Sprache der Vögel verstand, welche ihn vor Regins Absichten warnten. Und so tötete er ihn, und so wurde der zweite Teil von Odins Fluch erfüllt: Erbe gegen Erbe.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Weißt du, wer Siegfried war?«

»Wie meinst du das?« Siggi war jetzt echt verwirrt.

»Wer seine Eltern waren, meine ich.«

»Nein ... eigentlich nicht.«

»Siegfrieds Vater hieß Siegmund, und er war der Sohn eines Mannes namens Wälse, eines alten, wolfgrauen Wanderers mit nur einem Auge, der einen Speer trug, welcher von Runen bedeckt war ...«

»Ich glaube, ich verstehe«, sagte Siggi.

»Auch Odin hatte seine Pläne. Solange der Ring nicht in seiner Hand war, war Asgard nicht sicher. Und um den Ring zu erlangen, brauchte er einen Helden, der den Drachen für ihn tötete; denn er fürchtete Alberichs Fluch. Und so zeugte er mit einer Frau aus dem Menschengeschlecht, das er selber erschaffen hatte, ein Kind.

Doch mit dem Helden Siegmund gebar sie seine Zwillingsschwester Sieglinde.

Eines Tages kehrten Wälse und sein Sohn von der Jagd zurück und fanden die Mutter tot, die Tochter entführt. Das dunkle Gezücht hatte dies getan und Menschen, die sie mit Waffen versehen und sich dienstbar gemacht hatten.

Als Geächtete mussten Siegmund und sein Vater fliehen und lebten jahrelang im Wald, wie Wölfe. Doch sie erschlugen viele ihrer Verfolger. Dann, eines Tages, wurde Siegmund auf der Flucht von seinem Vater getrennt. Von den Jägern gehetzt, fand er Zuflucht in einer Hütte. Dort fand er eine junge Frau, eine Waise, die einem üblen Mann namens Hunding unter Zwang anvermählt worden war. Und er lag ihr bei, und sie empfing ein Kind von ihm.

Diese junge Frau war niemand anders als seine Schwester, Sieglinde.«

»Du meinst, Bruder und Schwester? Ein Kind?« Siggi war entgeistert und warf einen Blick auf Gunhild, die knallrot geworden war. »Das geht doch gar nicht!«

»Es ist gegen das Gesetz der Natur«, sagte Laurion. »Aber das Schicksal war stärker, und es brachte so den größten Helden hervor, den die Welt je gesehen hat: Siegfried.

Doch Odin wusste, dass er seinem Sohn jetzt nicht mehr helfen durfte; denn seine Macht war auf das Gesetz der Natur gegründet. So befahl er einer seiner Walküren, Brunhild geheißen, von Walhall herabzusteigen und die beiden Geschwister zu töten.«

»Moment«, sagte Gunhild, die sich wieder gefasst hatte. »Das geht mir jetzt zu schnell. Was sind denn Walküren?«

»Blonde Frauen mit Blech-BHs«, grinste Siggi, der natürlich alles wieder mal besser wusste.

Laurion runzelte erneut die Stirn. »Mir scheint, die Geschichte ist unter den Menschen doch nicht so richtig überliefert worden.«

»Lass dich durch ihn nicht irritieren«, sagte Gunhild.

»Die Walküren waren Töchter Odins, die er mit Erda, der Erdmutter, gezeugt hatte - Kriegerinnen in seinen Diensten, welche die Geister der Gefallenen gen Walhall führten und die Lebenden im Kampf inspirierten.

Brunhild hatte Mitleid mit Sieglinde und warnte die beiden Geschwister vor Odins Absicht. Daraufhin stieg Odin selbst von Walhall herab und zerbrach Siegmunds Schwert, das er ihm selber geschmiedet hatte. Und so war Siegmund waffenlos, als Hunding kam, der Gatte seiner Schwester, um ihn zu töten.

Brunhild aber trug Sieglinde auf dem Rücken ihres Pferdes hinweg an einen unbekannten Ort, wo Regin sie sterbend fand, als sie ihren Sohn gebar. Und Regin nahm den kleinen Siegfried mit sich, zusammen mit den Bruchstücken von Siegmunds Schwert -«

»Wir müssen fort!« Einer der Lios-alfar, es war Yngwe, erkennbar an seinen weißblonden Haaren, war wie aus dem Nichts aufgetaucht. »Die Swart-alfar sind in der Nähe. Hört ihr es nicht?«

Die Kinder, die nur Ohren für Laurions Erzählung gehabt hatten, lauschten. Aus dem Fels drang dumpfer Trommelschlag herauf; er schien von allen Seiten zugleich zu kommen.

Laurion sprang auf. »Kommt! Ich werde euch die Geschichte von den Wälsungen ein andermal zu Ende erzählen müssen.«

Er eilte ihnen voraus, den Gang hinunter. Siggi und Gunhild folgten ihm; Yngwe bildete den Schluss.

Ihr Weg führte über einige Windungen nach links und zunächst immer weiter in die Höhe. Schließlich kamen sie an eine Stelle, wo der Gang plötzlich zu Ende war, doch Laurion legte seine Hand auf eine Stelle, und eine Felsplatte schob sich fast geräuschlos zur Seite.

»Schnell!«

Sie huschten durch die Spalte, und hinter ihnen schloss sich der Fels wieder. Siggi blickte sich rasch um, aber es war keine Spur von einer Tür mehr zu sehen.

Sie befanden sich auf einem hohen Sims, und von ferne hörten sie das Rauschen eines Wasserfalls. Ein Lichtschein in der Ferne wies auf eine Öffnung hin, und Siggi erkannte, dass es sich um die Stelle handelte, wo sie das Reich der Lichtalben betreten hatten und wo er zuvor fast in den Abgrund gestürzt war. Doch bevor er etwas sagen konnte, sah er zwei weitere von ihrem Trupp, Modi und Magni, die auf sie warteten und ihnen mit Gesten geboten, zu schweigen.

Laurion zog ihn und Gunhild zu sich heran. »Leise«, hauchte er. »Seht nach unten. Schwarzalben.«

Das Geräusch von Trommeln kam aus der Tiefe, und weit unter ihnen bewegten sich rote Lichter.

Modi deutete nach rechts, und sie alle schlichen so lautlos, wie es im ungewissen Dämmerlicht der Höhle nur möglich war, das Gesims entlang. Die Höhle verengte sich, bis die gegenüber liegende Wand nur noch wenige Meter entfernt war, dennoch unerreichbar über den tiefen Abgrund, der sich zu ihren Füßen auftat. Schließlich mussten sie sich ducken, weil die Decke sich bis zu ihren Köpfen niedersenkte. Hier waren sie bestimmt nicht hergekommen, dachte Siggi; aber er konnte sich nicht mehr erinnern, welchen anderen Weg sie genommen hatten.

Schließlich hatten sie die Engstelle überwunden und konnten auch wieder aufrecht stehen. Laurion zog sie in eine Nische.

»Wir befinden uns hier in dem umstrittenen Gebiet zwischen Lichtalbenheim und den Brutstätten des Gezüchts«, sagte er, und man merkte den Hass, der in seinen Worten mitschwang, als er das dunkle Volk erwähnte. »Dieses Gebiet wimmelt von Schwarzalben; sie marschieren hier zum Krieg auf. Wir müssen versuchen, ihr Reich weiträumig zu umgehen, um uns von hinten heranzuschleichen. Doch dieser Weg ist nicht frei von Gefahren; seid ihr dazu bereit, es zu wagen?«

»Natürlich!«, sagte Siggi, der bei dem Wort ›Gefahren‹ automatisch nach seinem Hammer gegriffen hatte. »Na klar«, fügte er etwas leiser hinzu.

»Was für Gefahren?«, fragte Gunhild, die sich selber wunderte, dass sie sich hier als die Besonnenere erwies.

»Der Weg ist mit vielen Fallen bestückt. Und vor allem müssen wir erst einmal diese Schlucht überqueren.«

»Wie soll das geschehen?«

»Kommt!«

Sie folgten ihm, bis die Höhle sich wieder öffnete. Aus der Tiefe war das leise Rauschen eines Baches zu hören. In den Nebeln, welche die hochgewirbelten Wassertropfen erzeugten, sahen sie eine Brücke.

Es war eine natürliche Felsbrücke. Sie spannte sich ohne ein Geländer über die Tiefe, mindestens sechs, sieben Meter lang; es war schwer zu schätzen, weil sich das andere Ende im Dunst verlor. Und sie war höchstens einen halben Meter breit.

»Da sollen wir rüber?«, fragte Gunhild.

»Widar und Wali erwarten uns auf der anderen Seite. Ich gehe zuerst, dann ihr, dann Yngwe und die Übrigen.«

»Okay«, sagte Siggi. Gunhild schaute ihn an, als sei ihr kleiner Bruder nicht ganz dicht.

Sie gingen im Gänsemarsch, ein paar Schritte auseinander. Siggi hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und die Lippen aufeinander gepresst, doch er hielt seinen Hammer fest umklammert. Hier, kam ihm der plötzliche Gedanke, würde ihm auch der Ring nicht helfen. Ob unsichtbar oder nicht, wenn er hier runterfiel, war er tot. Lieber nicht daran denken, lieber nicht an das Wasser denken, das da unten in der Tiefe brodelte ... Dann war er drüben.

Er seufzte erleichtert auf. Jetzt bloß nicht mehr zurück, war sein einziger Gedanke. Dann hörte er ein Poltern hinter sich und merkte, dass Gunhild nicht hinter ihm war.

Er drehte sich um. Gunhild stand auf der Mitte des Steges. Sie hatte ihren Speer verloren, der irgendwo unten in die Tiefe trudelte. Sie hielt die Augen geschlossen, die Arme von sich gestreckt, und schwankte wie im Wind, doch das Einzige, was sich bewegte, war das tosende Wasser weit, weit unter ihnen.

»Gunni!«

Gunhild wusste, dass Siggi sie rief, aber sie konnte sich nicht bewegen.

Sie hatte nie solche Angst gespürt. Sie war immer forsch und frech gewesen, hatte nie ein Risiko gescheut. Obwohl sie ihrem kleinen Bruder immer zur Seite gestanden hatte, hatte sie doch nie geahnt, wie es wirklich war, Angst zu haben. Und jetzt hatte sie Angst.

»Gunhild, komm!«

Sie bewegte die Lippen. »Ich ... kann ... nicht.«

Siggi tat einen Schritt auf den Steg hinaus, dann, ohne zu denken, einen zweiten. Dann war er bei ihr.

»Komm, gib mir die Hand.«

Rückwärts, Schritt für Schritt, zog er sie mit sich, und sie folgte ihm. Yngwe, der ihr gefolgt war, hatte sie bei den Schultern gefasst. So gingen sie, bis sie das sichere Felsband erreicht hatten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber dann war es geschafft.

»Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist«, sagte Gunhild, nachdem sie sich auf einen Stein niedergelassen hatte. Die Lios-alfar umstanden sie und sahen sie mit einem Blick an, in dem sich Besorgnis mit einem Ausdruck mischte, den sie nicht recht zu deuten wusste.

»Also, wenn ihr meiner Schwester jetzt irgendwas am Zeug flicken wollt -«, begann Siggi.

»Das will keiner«, unterbrach ihn Laurion. »Aber es zeigt, dass der Wille mächtiger ist als die Natur, nicht wahr. Wie bei Siegfried.«

Gunhild lächelte matt. »Du hast uns immer noch nicht das Ende der Geschichte erzählt«, sagte sie.

Auch Laurion lächelte. »Da gibt es nicht mehr viel zu erzählen. Odin verbannte Brunhild zur Strafe auf einen hohen Felsen und versetzte sie in Schlaf. Doch weil er sie liebte, versprach er ihr, dass nur ein Held sie würde erlösen können. Darum umgab er den Felsen mit einer Flammenwand - es heißt, es sei Loki selbst gewesen in seiner Feuergestalt.

Und dann kam der Held, mit dem er nie gerechnet hatte. Siegfried, der Drachentöter, der Herr des Ringes. Odin versuchte, sich ihm in den Weg zu stellen, doch mit dem neu geschmiedeten Schwert seines Vaters zerschlug Siegfried Odins Speer und nahm ihm seine Macht. Dann drang er durch die Waberlohe und befreite Brunhild.

Das ist eigentlich alles. Wir müssen weiter.«

Vor ihnen taten sich in der Felswand drei Öffnungen auf.

»Wir trennen uns hier«, beschloss Laurion. »Wir nehmen den mittleren Weg, Yngwe, die Kinder, und ich. Modi und Magni den linken, Wali und Widar den rechten. So können sie uns vor Gefahren warnen oder notfalls gegen die Spähtrupps der Feinde schützen. Gehen wir!«

Als sie sich, Laurion voraus, Siggi und Gunhild in der Mitte und Yngwe als Nachhut, in die Tiefe des Ganges vorwagten, meinte Siggi zu seiner Schwester:

»Ich habe das noch nicht ganz verstanden. Wieso hat Siegfried den Speer zerschlagen können? Ich meine, das ging doch gar nicht.«

»Ich glaube«, meinte Gunhild nachdenklich, »das hat etwas damit zu tun, wer seine Eltern waren.«

»Du meinst, weil sie Bruder -«

»- und Schwester waren, ja. Der Einäugige - Odin - hat gesagt, dass keiner seinen Pakt brechen könnte, der unter dem Gesetz der Natur geboren war. Er glaubte sich unfehlbar. Doch sein eigener Plan hatte ihn in die Falle geführt. Denn Siegfried stand außerhalb der Regeln.

So wie wir«, fügte sie hinzu, ehe die Dunkelheit sie verschluckte.

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