Die Füchse von Mahagon

Hallo, Max - Melifaro und du, ihr habt heute was zu feiern«, sagte Sir Juffin und strahlte dabei listig, fast boshaft.

»Dürfen wir Gemeinagenten jetzt etwa einen Harem haben? Hat der König das verfügt?«, fragte ich desinteressiert.

Ich fühlte mich schon den ganzen Tag unwohl, wusste aber nicht, warum.

»Viel schlimmer, Junge: General Bubuta ist wieder gesund.«

»Damit war irgendwann zu rechnen, doch das ist höchstens für seine Mitarbeiter ein Grund zur Sorge. Ich dagegen sehne mich nach ihm. Schließlich hat er großen Respekt vor mir.«

»Stimmt. Desto mehr wirst du dich freuen.«

»Worüber?«, fragte ich und spürte, dass mir eine böse Überraschung bevorstand.

»Bubuta kann nicht vergessen, dass Melifaro und du ihn davor bewahrt habt, sich in eine Pastete zu verwandeln. Er hat euch eingeladen. Ihr sollt ihn morgen bei Sonnenuntergang in seiner Villa besuchen. Na, freust du dich?«

»Ach Juffin, ich fürchte, ich bin morgen schwer damit beschäftigt, Ihnen den Kopf eines Großen Magisters zu liefern oder eine neue Welt zu erschaffen. Deshalb krieg ich es nicht hin, am Abend bei Bubuta vorbeizuschauen. Schade eigentlich.«

»Du träumst wohl! Für seine Fehler muss man büßen. Wenn ihr zwei Bubuta gerettet habt, müsst ihr auch die Konsequenzen tragen. Und mach bitte nicht so ein leidendes Gesicht. Es wird schon nicht so schlimm werden. Ihr findet sicher ein Gesprächsthema. Und danach kommst du zu mir und erzählst mir alles. Das gefällt dir bestimmt. So sind alle zufrieden!«

»Weiß Melifaro schon von seinem Glück?«

»Natürlich, und er freut sich enorm. Bei der Vorstellung, an Bubutas Tisch zu sitzen, konnte er vor Begeisterung kaum atmen.«

»Ich bin schockiert. Aber jetzt mal im Ernst: Muss ich General Bubuta wirklich besuchen?«

»Von Besuchszwang kann zwar keine Rede sein«, meinte Juffin ehrlich, »aber der arme Mann ist seit der Geschichte mit der Pastete sehr gealtert. Er liegt die ganze Zeit im Bett, macht sich Gedanken und sorgt sich um seine Zukunft. Er überlegt sogar, ein neues Leben anzufangen, und setzt deshalb große Hoffnungen auf euren Besuch. Weißt du, im tiefsten Innern ist er wirklich ein netter, mitfühlender Mensch.«

»Fragt sich nur, wer dieses tiefste Innere je zu Gesicht bekommen hat«, murmelte ich. »Na gut, ich gehe hin.«

»Das freut mich, Max. Warum bist du denn so mürrisch?«

»Das mögen die Magister wissen«, sagte ich achselzuckend. »Ringsum sind alle bestens gelaunt, nur ich nicht. Vielleicht liegt es an der Jahreszeit.«

»Na ja«, meinte Juffin etwas ratlos. »Ich hoffe, du hast nicht vergessen, beim Schlafengehen dein Armband anzulegen.«

»Das Armband vom Orden des Geheimen Krauts?«, fragte ich. »Stellen Sie sich vor: Ich hab es nicht vergessen. In letzter Zeit vergesse ich eigentlich gar nichts mehr. Ich mache sogar die Atemübungen von Sir Lonely-Lokley.«

»Aber etwas stimmt mit dir nicht. Träumst du schlecht?«

»Ich träume gar nicht«, murmelte ich genervt. »Die Reise nach Kettari hat mir diese Fähigkeit genommen.«

»Jetzt ahne ich, woher deine schlechte Laune kommt. Aber hübsch langsam: Dir wurde gar nichts genommen. Jedenfalls ist es gut, dass du unter dem Schutz des Armbands stehst.«

»Ich habe den Eindruck, alle Gespenster dieser Welt machen Jagd auf mich.«

»Auf diese Diagnose wäre ich auch ohne dich gekommen«, meinte Juffin ungeduldig. »Aber keine Sorge - irgendwann haben sie es satt, dir zuzusetzen. Alles wird gut. Außerdem kannst du dich nach erholsamem Schlaf besser darauf konzentrieren, was dir im Wachzustand widerfährt.«

»Zum Beispiel auf den Besuch bei General Bubuta. Sie haben Recht, Juffin - wozu brauche ich da noch Albträume?«

»Es geht dir offenbar schon besser«, meinte mein Chef lächelnd. »Weiter so. Lass dir die Laune nicht durch deine Traumblockade verderben. Magst du ein Gläschen Kachar-Balsam? Danach, mein Wunder, kannst du deinen Pflichten weiter nachgehen.«

»Haben Sie vielleicht im Fressfass Abendbrot bestellt?«

»Er hat süße Piroggen geordert«, mischte der Vogel Kurusch sich ein.

Sir Juffin schlug die Hände überm Kopf zusammen, und ich lachte. Plötzlich erschien mir mein Unbehagen maßlos übertrieben.

Abgesehen davon, dass ich seit ein paar Tagen nicht mehr geträumt hatte, ging es mir eigentlich ganz gut. Ich hatte mich nur noch nicht an die Traumlosigkeit gewöhnt und deshalb manchmal das Gefühl, wie ein Toter im Sarg zu liegen.

»Ich glaube, uns steht heute ein unglaublicher Genuss bevor«, meinte Melifaro verträumt.

Er saß entspannt auf seinem Schreibtisch, hatte die Beine übereinandergeschlagen und sah zur Decke hinauf. Ich saß auf seinem Bürostuhl und blies Trübsal.

»Weißt du, dass über Bubuta und seine Mitarbeiter jede Menge Witze gerissen werden?«, fragte Melifaro.

Ich schüttelte den Kopf.

»Du bist wirklich schlecht informiert, Sir Nachtantlitz.«

Melifaro sprang auf, ging im Zimmer hin und her, stützte sich dann feierlich auf die Fensterbank und gab einige dieser Witze zum Besten, die mich sehr zum Lachen brachten.

Merkwürdig war allerdings, dass ich sie alle kannte, und zwar aus meiner Heimat, auch wenn es dort natürlich andere Helden gegeben hatte. Offenbar reisen Witze öfter zwischen den Welten als ihr Personal - und als die, die sie erzählen.

»Sieh mal«, rief Melifaro belustigt, »da kommen die zwei besten und tapfersten Mitarbeiter der Stadtpolizei: Leutnant Kamschi und Hauptmann Schichola.« Mit diesen Worten wandte er sich an die beiden und fuhr fort: »Am besten sprechen Sie mit Sir Max. Für ein ordentliches Bestechungsgeld wird er Ihren Chef heute Abend bestimmt bespucken oder beschimpfen.«

»Das hättest du wohl gern«, brummte ich. »Ich bin unbestechlich.«

»Wieso das denn?«, fragte Melifaro verwundert.

»Keine Ahnung. Ich fürchte, ich bin weit und breit der Einzige.«

»Prima«, rief das Tagesantlitz unseres Ehrwürdigen Leiters erfreut. »Er wird es kostenlos für Sie tun.«

»Sie haben gut lachen, meine Herren, aber wir brauchen Ihre Hilfe, denn wir sind in einer schwierigen Lage«, sagte Leutnant Kamschi seufzend, und Hauptmann Schichola machte ein leidendes Gesicht.

»Natürlich sind Sie in einer schwierigen Lage«, meinte Melifaro lächelnd. »Ihnen steht die Rückkehr des großartigen Bubuta Boch bevor. Und da er sich entschieden hat, zu diesem Wesen hier nett zu sein«, fuhr er fort und wies mit dem Kopf auf mich, »hält er bestimmt bald wieder im Haus an der Brücke Einzug. Ihre fröhlichen Tage sind also gezählt. Tut mir wirklich leid für Sie.«

»Früher oder später wäre das sowieso passiert«, sagte Hauptmann Schichola und seufzte erneut. Er sah aus wie ein Gefangener, der sich jahrelang auf die Vollstreckung seines Todesurteils gefasst gemacht hatte. »Aber ausgerechnet jetzt passt uns seine Rückkehr besonders schlecht.«

»Als ob es einen passenden Termin für Bubutas Rückkehr geben könnte!«, rief Melifaro lachend. »Haben Sie denn etwas Spannendes zu verbergen?«

»Eigentlich nicht. Wir haben es nur mit dem Aufleben alter Sitten und Gebräuche zu tun. Im Wald von Mahagon sind Räuber aufgetaucht.«

»Schon wieder?«, fragte Melifaro erstaunt. »Die Welt ist Dschifa Savancha und seine Bande doch erst seit dreißig Jahren los. Und jetzt hat er einen Nachfolger gefunden? Man sollte seinen Leuten zur Abschreckung das Porträt von Sir Juffin übers Bett hängen. Und wie steht's mit Ihren Bemühungen?«

»Unsere Chancen, die Räuber zu schnappen, sind gar nicht schlecht«, erklärte Kamschi. »Solange General Bubuta zu Hause bleibt und sein Vertreter Fuflos durch die Kneipen zieht, können wir machen, was wir wollen. Aber wenn unser Chef wieder auftaucht, wird er absurde Befehle geben, und wir müssen sie befolgen! Da werden sich die Herren Räuber sicher freuen.«

»Ich verstehe Ihren Kummer«, meinte Melifaro mitfühlend. »Aber wie können wir Ihnen helfen? Sollen wir Bubuta verhexen, damit er keine Lust mehr hat, Befehle zu erteilen? Ich fürchte, das wird sich nicht machen lassen.«

»Das sehen wir auch so, haben aber den Eindruck, harte Arbeit könnte seinen Gesundheitszustand nur verschlechtern«, sagte Kamschi versonnen. »Haben Sie beide nicht auch das Gefühl? Und könnten Sie Lady Boch nicht einen entsprechenden Hinweis geben? Oder besser noch: Könnten Sie General Bubuta nicht persönlich sagen, welche Sorgen Sie sich um ihn machen?«

»Davon träume ich seit Tagen«, rief Melifaro aufgeregt.

»Ich könnte ja behaupten, ich hätte all meine Freizeit der Untersuchung der Pastete gewidmet und sei zu dem Schluss gekommen, dass ein Rückfall nicht ausgeschlossen ist, Bubuta sich also keinesfalls überanstrengen dürfe. Oder etwas in der Art. Warum haben Sie eigentlich nicht versucht, Abilat Paras zu bestechen? Das ist doch der Arzt Ihres Chefs, und jede Warnung aus seinem Munde wäre wirkungsvoll.«

»Er ist so unbestechlich wie Sie, Sir Max«, meinte Leutnant Kamschi. »Außerdem habe ich den Eindruck, der arme Mann hat es längst satt, den General zu behandeln.«

»Na schön, wir werden es versuchen«, meinte Melifaro beruhigend. »Wir werden den General darauf ansprechen, dass er ungewöhnlich blass ist, und Sir Max wird ein wenig über die Gefahren der Überarbeitung sprechen. Die Dunklen Magister können bezeugen, dass wir auf Ihrer Seite sind. Suchen Sie jetzt in Ruhe weiter nach Ihren Räubern. Und genießen Sie das Leben.«

Als die Polizisten Melifaros Büro verließen, wirkten sie deutlich aufgemuntert.

»Ich glaube, Leutnant Kamschi bleibt nicht mehr lange bei der Polizei«, meinte Melifaro nachdenklich, als wir wieder allein waren. »Marunarch Antarop ist schon alt, und die Arbeit als Direktor des Cholomi-Gefängnisses ist sehr anstrengend.«

»Warum denkst du, dass ausgerechnet Kamschi ... ?«

»Ich denke gar nichts. Sir Juffin hat nur mal erwähnt, Kamschi eigne sich besonders gut für diesen Posten. Und was meinst du wohl, wer über die Neubesetzung dieser Stelle entscheidet?«

»Zweifellos Sir Juffin, und das ist auch gut so.«

»Schön, dass du das auch so siehst. Bist du schon zu unserem fröhlichen Treffen bereit?«

»Nein, und das werde ich auch nie sein. Aber wir müssen es jetzt wohl über uns ergehen lassen.«

Die Villa von General Bubuta Boch war so groß wie ein kleines Stadion und lag am vornehmen Linken Ufer der Stadt, allerdings in Randlage, also dort, wo die Grundstückspreise nicht so hoch waren. Direkt am linken Ufer des Churon lebt nur, wer sich weder um Grundstücks- noch um andere Preise kümmern muss. In der Nähe von Bubutas Haus sah ich kaum weitere Bauten. Die Stadt schien hinter seinem Anwesen zu Ende.

»Der Alte lebt auf großem Fuß«, sagte Melifaro beiläufig. »Was für ein Palast.«

»Ich finde, in Echo leben alle auf großem Fuß«, meinte ich. »Erinnerst du dich an mein Haus in der Straße der alten Münzen? Nach meinem Empfinden war es viel zu groß.«

»Du bist wirklich ein Immobilienexperte! Wenn man dich so hört, sollte ein Haus möglichst klein sein.«

»Du wirst es kaum glauben, aber bis vor kurzem hat mir ein winziges Zimmer zum Leben genügt. Wie ich es dort so lange ausgehalten habe, kann ich mir heute nicht mehr erklären.«

»Damals warst du vermutlich schlanker«, meinte Melifaro lächelnd. »Und du hast bestimmt im Stehen geschlafen.«

General Bubuta begrüßte uns schon an der Tür. Er war viel dünner und blasser als früher und wirkte durchaus menschlich.

»Willkommen in meinem Haus, Herrschaften«, sagte er ehrerbietig.

Auch seine Stimme klang ungewöhnlich leise. Melifaro und ich tauschten einen vorsichtigen Blick. Ob dieser sanfte alte Mann tatsächlich das ganze Haus an der Brücke in Angst und Schrecken würde versetzen können? Was war nur mit ihm los? Als Hausherr musste er zwar höflich zu uns sein, und außerdem hatten wir ihm das Leben gerettet, und er hatte schon davor Angst vor mir gehabt - und doch kam uns die Situation sehr merkwürdig vor.

Nach der Begrüßung gingen wir ins Haus. Dort trafen wir seine Frau. Seltsamerweise war sie weder eine Furie noch ein schreckhaftes, sanftes Mädchen. Nach meiner Erfahrung heiraten Männer wie Bubuta nur Drachen oder Unschuldsengel. Lady Boch dagegen war eine sympathische, durchaus attraktive Frau mittleren Alters, die durchaus wohlwollend wirkte.

»Vielen Dank, dass Sie meinen Mann gerettet haben«, sagte sie lächelnd. »In meinem Alter ändert man seine Gewohnheiten nicht mehr so leicht, und ich habe mich so an sein Schnarchen gewöhnt.«

»Lass das, Ulima«, brummte Bubuta etwas gereizt.

»Schweig lieber, mein Herz. Du lädst die Gäste ein, und ich unterhalte mich mit ihnen - das weißt du doch. Wir haben es zwar ein paar Mal umgekehrt gemacht, aber das hat nicht gut geklappt. Also hereinspaziert, meine Herren!«

Wir landeten im Esszimmer, wo ich erneut staunen musste. Ich habe schon erzählt, dass man in Echo eine spezielle Pilzsorte als Lampe benutzt und diese Pilze in besonderen Gefäßen hält. Sie leuchten, wenn sie gereizt werden. Dafür ziehen kleine Bürsten langsam über ihre Hüte. Auch im Haus von General Bubuta nutzte man diese Lichtquelle, aber wie!

Mitten im Esszimmer stand ein riesiges Gefäß. Ich hatte den Eindruck, selbst ein Wal hätte darin Platz gehabt. Tatsächlich allerdings befand sich darin ein gigantischer Leuchtpilz. Bisher hatte ich nur Exemplare gesehen, die groß wie Champignons waren, doch der hier hatte die Größe eines dreijährigen Kindes. Und er gab nicht nur Licht, sondern summte obendrein wie eine Hummel. Nicht nur ich war verblüfft - auch Melifaro stockte der Atem.

»Da staunen Sie, was? Das ist mein Liebling und mein Stolz«, sagte General Bubuta mit breitem Lächeln. »Den hab ich selbst gezüchtet. Er ist ungemein klug und hat schon zu leuchten begonnen, als wir noch nebenan waren. Er weiß selbst, wann er leuchten muss. Ich hab ihn nicht mal eingeschaltet.«

»Ich fürchte, er mag meinen Mann nur nicht«, flüsterte Lady Ulima mir zu. »Wenn ein anderer im Esszimmer ist, reagiert er gar nicht. Ich zum Beispiel muss ihn anschalten.«

»Ich glaube, dieser Pilz ist weltweit einmalig«, beendete General Bubuta das Thema.

»Sie sind auch weltweit einmalig«, sagte Melifaro mit kriecherischem Enthusiasmus.

»Vielen Dank«, sagte Bubuta nickend. »Und hier, meine Herren, können Sie noch eine Reliquie unserer Familie sehen.«

Mit pompöser Geste zeigte er auf die Wand, an der ein großes Gemälde hing. Vorne sah ich den tapferen General Bubuta in seltsam feierlicher Kleidung mit seiner breiten Brust einen älteren, weißhaarigen Mann schützen. In einer Ecke streckte jemand schmale Hände mit gespreizten Fingern aus, denen Bubuta mit dem Schwert drohte. Im Hintergrund kämpften tapfere Kinder mit rosigen Wangen gegen mehrere ungepflegte und unsympathisch wirkende Männer.

Ich fand das Bild scheußlich. Und es war schlimm, Melifaro anzusehen, denn er hatte seine liebe Not, nicht loszuprusten. Der Hausherr setzte seinen Vortrag fort.

»Das Bild stammt von der Hand des Galsa Ilana. Ich hatte wirklich Glück, weil er Hofmaler von König Gurig VII. war. Wer sonst hätte dieses wichtige Ereignis malen sollen? Ich habe dem König in der Schlacht bei Kuchutan das Leben gerettet, und das war der Wendepunkt des Kriegs, wie Seine Majestät immer zu sagen pflegte. Ist das nicht ein tolles Bild, meine Herren? Andere Künstler können nur mühsam etwas zusammenschmieren, aber das ist ein großes Werk.«

Das Schlimmste war, dass unser Gastgeber den letzten Satz so betont hatte, dass er sogar plausibel klang.

»Welchen Schmuck tragen Sie da eigentlich?«, fragte ich und zeigte auf das Bild. »Sind das etwa Amulette?«

»Ganz recht, Sir Max. Das sind die Schutzamulette der Königlichen Garde, die wir vom Orden des Siebenzackigen Blatts, vom Einzigartigen Orden und vom Wohlwollenden Orden bekommen haben. Ohne sie hätten wir damals sicher nicht gesiegt. Immerhin haben wir gegen die magischen Orden gekämpft, und denen kommt man nicht allein mit Schwert und Tapferkeit bei. Nicht auszudenken, was ohne diese Amulette aus mir geworden wäre.«

»Freude meines Lebens«, unterbrach ihn Lady Ulima sanft. »Hast du nicht den Eindruck, unsere Gäste sollten etwas essen? Sie sind schließlich auch deshalb zu uns gekommen.«

»Da hast du Recht, meine Liebe«, sagte Bubuta und wandte sich verlegen an uns. »Hat Ihnen mein Bild gefallen?«

Melifaro und ich nickten schweigend, um die Idylle nicht durch respektloses Kichern zu stören.

Das Abendessen verlief nicht so spektakulär wie der Auftakt des Besuchs. Alles ging glatt. Es gab mehrere Gänge, Lady Ulima unterhielt sich freundlich mit uns, und ihr tapferer Mann mischte sich nur vorsichtig ins Gespräch.

Per Stummer Rede meldete ich mich bei Melifaro: »Es wäre interessant zu erfahren, ob er zu Hause immer so nett ist oder ob das die ersten Zeichen seiner Metamorphose sind.«

»Zu so einer Frau kann er sein Leben lang nett sein. Ich kenne solche Pärchen, bei denen der Mann nicht begreifen kann, warum seine tolle Frau sich ausgerechnet für ihn entschieden hat. Ich glaube, um sie zu besänftigen, würde Bubuta nicht nur flüstern, sondern ihr sogar die Pantoffeln holen. So ein Mann versucht, das alles im Büro zu kompensieren.«

Einmal mehr musste ich zugeben, dass die Tranfunzel Melifaro ein besserer Psychologe war als ich.

Das Abendessen ging zu Ende. Vorsichtig zog ich ein Päckchen kubanischer Zigarren aus der Tasche meines Todesmantels, die ich noch in Kettari gefischt hatte, ohne etwas damit anfangen zu können. Ich weiß nie, was ich durch die Ritze zwischen den Welten so aufgabele, bewahre aber alles auf, denn man weiß ja nicht, wozu es noch mal gut ist.

Zigarren hatte ich nie gemocht und vertrug sie auch nicht. Meine Kollegen waren in dieser Hinsicht noch schlimmer dran. Meine letzte Hoffnung, die Zigarren loszuwerden, war General Bubuta Boch.

»Was ist das, Sir Max?«, fragte er sichtlich gespannt.

»Die kann man rauchen«, sagte ich. »Ich hab kürzlich ein Päckchen aus Kumon bekommen, der Hauptstadt des gleichnamigen Kalifats, in der ich Verwandte habe.«

Ich hatte mir angewöhnt, auf Verwandte in Kumon zu verweisen, um die Herkunft seltsamer Gegenstände zu erklären, denn diese Provinz liegt so weit von Echo entfernt, dass nur Sir Manga Melifaro, der berühmte Verfasser der achtbändigen Enzyklopädie der Welt, mich beim Lügen ertappen konnte. Als neunter Band dieses Weltreisenden hatte wohl mein wunderbarer Kollege Melifaro zu gelten, der Sohn von Sir Manga.

»Wohnen Ihre Verwandten denn so weit weg?«, fragte Lady Ulima erstaunt.

»Ja«, seufzte ich. »Kaum stellt sich heraus, dass welche in der Nähe leben, gleich ziehen sie ans Ende der Welt.«

In diesem Moment zündete Bubuta sich die erste Zigarre seines Lebens an.

»Sir Max!«, rief das unglückliche Opfer meines verwegenen Experiments begeistert. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so herrliche Dinge gibt. Die sind doch alle für mich, oder?«

Bei dieser Frage zitterten seine Hände - Ehrenwort!

»Natürlich«, sagte ich. »Wenn sie Ihnen so gut schmecken, werde ich meine Verwandten bitten, mir mehr davon zu schicken. Sie sind zwar ziemlich stark, aber das ist ja Geschmackssache. Ich bin froh, Ihnen damit eine Freude gemacht zu haben.«

»Das ist wirklich ...«, begann Bubuta, stockte aber, weil er keine Worte für seine Begeisterung fand. Ich hatte das gleiche Problem: Den General mit einer dicken Zigarre im Mund zu sehen, war einfach zu köstlich.

Selbst Melifaro schaffte es, sich zu beherrschen und nicht loszuprusten. Das hatte ich nicht erwartet.

Kurz bevor wir Bubuta verließen, erinnerte ich mich an die Bitte seiner Mitarbeiter.

»Herr General«, begann ich vorsichtig. »Fühlen Sie sich eigentlich wieder ganz gesund?«

»Aber ja, Sir Max. Vielen Dank der Nachfrage. Es geht mir blendend.«

Ich seufzte. Die armen Leute von der Stadtpolizei! Obwohl Bubuta eigentlich recht harmlos geworden war.

»Dann wollen Sie sicher bald ins Haus an der Brücke zurückkehren?«

»In zwei, drei Wochen, denke ich. Meine Frau meint, ich sollte nichts überstürzen.«

Ich seufzte erneut, diesmal vor Begeisterung. Um nichts musste ich mich kümmern - alles erledigte sich von allein.

»Sie haben Recht, Lady Ulima«, sagte ich zu Bubutas Frau und hätte sie am liebsten vor Freude umarmt. »Was Ihrem Mann neulich passiert ist, darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Jede allzu große Anstrengung könnte einen Rückfall bewirken, glauben Sie mir.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte Lady Ulima erschrocken. »Haben Sie diese ekelhafte Pastete etwa auch gegessen?«

»Zum Glück nicht. Aber ich habe ihre Wirkungsweise lange und ausführlich untersucht.«

»Hast du gehört, Liebster?«, meinte Lady Ulima. »Ich glaube, du solltest bis zur Jahresmitte warten, ehe du wieder zur Arbeit gehst. Oder noch länger pausieren.«

Bubuta nickte eifrig. Die Anti-Terror-Maßnahmen von Kamschi und Schichola zeitigten Erfolg.

»Kannst du mich nach Hause fahren, Max?«, fragte Melifaro müde und warf sich auf die Rückbank meines A-Mobils. »Juffin sollte uns beiden jetzt wirklich einen freien Tag geben. Ich bin schon lange nicht mehr so müde gewesen.«

»Wie kommt das? Hat dich die Unterhaltung mit Bubuta so strapaziert?«

»Willst du dich über mich lustig machen? In meinem Elternhaus isst jeder, wenn er hungrig ist, auch die Gäste. Daher sitzt immer jemand mit einem vollen Teller am Tisch. Das bin ich so gewohnt! Und jetzt hab ich drei Stunden an einer üppigen Tafel sitzen, mindestens fünf Gänge über mich ergehen lassen und mich mit vollem Mund über Gott und die Welt unterhalten müssen! Na ja, Bubutas Frau jedenfalls ist sehr sympathisch und der Leuchtpilz fantastisch. Davon können wir allen im Büro erzählen.«

»Und sein Porträt?«, fragte ich kichernd. »Hast du das schon vergessen?«

Melifaro lachte so heftig, dass mein A-Mobil wackelte. Nach einer Viertelstunde stieg er vor seinem Haus in der Straße der dunklen Wolken aus, die mitten in der Altstadt von Echo liegt. Ich schaute ihm neidisch nach und fuhr zum Haus an der Brücke, denn anders als er musste ich noch einige Stunden arbeiten.

Meine Aufgaben erwiesen sich als anspruchsvoll: Ich musste mich bequem hinsetzen, die Beine auf Sir Juffins heiligen Schreibtisch legen und tapfer große Mengen Kamra trinken. Den armen Büroboten gelang es kaum, mir ausreichend Nachschub zu besorgen.

Die Rettung kam rechtzeitig. Kurusch beugte sich gerade phlegmatisch über seine dritte Pirogge. Ich hatte den Eindruck, er entwickelte allmählich einen Widerwillen gegen Süßigkeiten. Auch ich fürchtete langsam zu platzen. Da aber erschien in der Tür ein Objekt, das mich stets aufs Neue begeisterte: die fantastische Nase von Hauptmann Schichola, der erfahren wollte, wie der Besuch bei Bubuta gelaufen war.

Ich lächelte freundlich.

»Kommen Sie rein. Ich hab jede Menge Kamra für Sie und großartige Neuigkeiten.«

»Sind Sie denn nicht beschäftigt?«, fragte der Besitzer der herrlichen Nase taktvoll.

»Das sehen Sie doch, oder?«, meinte ich lächelnd. »Ich stecke bis zum Hals in Arbeit und kann mich kaum rühren. Meine Kamra ist noch warm, mein Teller noch voll - ein Ende meiner Qualen ist also nicht in Sicht. Schlimm, was?«

Schichola kam in mein Büro. Seine imponierende Größe und sein athletischer Körperbau schienen mir nur eine Ergänzung seiner fantastischen Nase.

»Wo ist denn Leutnant Kamschi?«, fragte ich. »Hat er das Warten nicht mehr ertragen? Ist er stattdessen lieber im Churon schwimmen gegangen? Das wäre ein Fehler, denn man sollte die Hoffnung zuletzt verlieren.«

»Er hatte in den letzten Tagen viel zu tun und war so müde, dass er jetzt schläft.«

Schichola hatte eine nette Art, meine Worte immer dann mit einem leicht skeptischen Lächeln zu quittieren, wenn ich einen Witz gemacht oder etwas völlig Absurdes gesagt hatte. Aber jetzt war sein Gesicht ernst.

»Na gut«, meinte ich lächelnd. »Soll er ruhig schlafen, der Arme. Dann bekommen eben nur Sie die tollen Nachrichten zu hören. Und auch meine Kamra ist allein für Sie. Ich kann das Gesöff nicht mehr sehen.«

»Das sagt er immer«, meldete sich Kurusch unerschrocken zu Wort. »Und dann bestellt er wieder einen Krug. Ihr Menschen seid widersprüchliche Wesen.«

»Da hast du Recht, mein Kluger«, pflichtete ich ihm bei. Dann wandte ich mich wieder an Hauptmann Schichola: »Er gewöhnt sich langsam an Sie, mein Freund.«

»Was General Bubuta anlangt

»Den würden Sie nicht wiedererkennen. Er ist ein netter, intelligenter Mensch, der vor Höflichkeit beinahe flüstert. Vielleicht ist er zu Hause ja immer so, und Sie wissen nur nichts davon.«

»Unsinn. Ich hab immer gewusst, dass nur seine Frau ihn zügeln kann. Sie wissen ja, wie er sonst war, auch zu Ihnen.«

»Schnee von gestern. Er hat sich den ganzen Abend erfolgreich um interessante Gesprächsthemen bemüht.«

»Das passt wirklich nicht zu ihm«, pflichtete Schichola mir ausdrücklich bei. »Was mag ihn so verändert haben?«

Der Arme konnte offenbar kaum an meine Worte glauben.

»An Ihrer Stelle würde ich mich nicht zu sehr darüber freuen. Vielleicht ist das eine Vergiftung, von der er bald genesen wird, um wieder der Alte zu sein. Doch was auch immer dahintersteckt: Sie haben Glück, denn Bubuta will nicht so bald wieder ins Büro. Und nach meinem Auftritt will Lady Ulima ihn frühestens zur Jahresmitte aus dem Haus lassen.«

»Sir Max, nicht umsonst kursieren Legenden über Sie ...«

»Tun Sie mir den Gefallen, Schichola, und erzählen Sie mir ein paar davon«, unterbrach ich ihn.

»Ach, hat Ihnen Sir Kofa nichts davon berichtet?«, fragte der Hauptmann und schien wirklich erstaunt. »Ich möchte vor Ihrem Kurusch keine Dummheiten in die Welt setzen.«

»Ich schlaf sowieso«, bemerkte der Buriwuch wie nebenbei.

Ich lachte. Kurusch ist der klügste Vogel weit und breit, aber manchmal doch ein Tollpatsch. Und der lange Umgang mit den Menschen hat ihm nicht gerade gut getan.

»Sehen Sie, Hauptmann: Kurusch schläft. Also legen Sie los! Ich will die schreckliche Wahrheit hören. Wissen Sie, Sir Kofa schweigt nämlich, um meine Nerven zu schonen.«

»Es heißt, Sie seien der uneheliche Sohn von Sir Juffin«, begann Schichola verlegen. »Aber dieses Gerücht haben Sie sicher schon gehört. Man sagt auch, dass Sie fünfhundert Jahre im Cholomi-Gefängnis gesessen haben, weil Sie die drei letzten Vertreter jener königlichen Dynastie, die zugunsten von Gurig VI. auf den Thron verzichtet hat, auf besonders grausame Weise getötet haben sollen. Diese Morde sind eine historische Tatsache, und der Täter wurde nie gefasst. Auch sollen Sie zu den ersten Magistern gehören, die eine der vielen Seelen von Sir Juffin gestohlen haben und

»Das ist schlimmer als je!«, rief ich auf den Spuren von Alice im Wunderland. »Haben Sie noch was über mich gehört?«

»Ja, aber es ist recht ähnlich. Sie sollen so stark sein wie Lojso Pondochwa, doch um Ihre volle Kraft zu entfalten, müssen Sie angeblich noch drei Magister umbringen. Deshalb haben Sie bei der Geheimpolizei angefangen.«

»Ach«, konnte ich nur seufzen. »Dabei bin ich ein netter, harmloser Junge. Geradezu ein Spielzeug. Ich hab natürlich meine Launen, aber das ist doch normal. Glauben die Leute wirklich an diesen Quatsch?«

»Natürlich«, sagte Schichola achselzuckend. »Das Leben ist langweilig. Also muss man was Interessantes dazuerfinden.«

»Wie schön, Hauptmann«, seufzte ich, »dass Sie für alles eine einfache und verständliche Erklärung haben. Die hätte ich auch gern!«

»Machen Sie sich über mich lustig?«, fragte er unsicher.

»Wie kommen Sie denn darauf? Erzählen Sie mir lieber etwas über Ihre Räuber und das, was sie im Wald so treiben. Ist das vielleicht eine romantische Geschichte?«

»Sehr romantisch. Der Chef der Bande ist der rothaarige Dschifa. Und sie bemühen sich wirklich, zur Legende zu werden. Vielleicht sollte ich Ihnen erst etwas über Dschifa Savancha erzählen, der vor über dreißig Jahren die Wälder unsicher gemacht hat. Er stammte aus einer bekannten Familie und war sogar mit dem König verwandt. Solche Leute gehen eher selten unter die Räuber. Seine Karriere hat eigentlich noch in der Traurigen Zeit begonnen. Damals ist bekanntlich allerlei passiert. Die Füchse aus Mahagon machten Jagd auf rebellische Magister, die ihre Orden in der Provinz verlassen hatten und nach Echo gegangen waren. Die Räuber hatten es nur auf jüngere Magister abgesehen, denn für ältere waren sie zu schwach. Aber auch dadurch unterstützten sie den König im Kampf gegen die Magister. Nach Verabschiedung des Chrember-Gesetzbuchs wollte Sir Dschifa nicht in die Hauptstadt reisen, um die verdienten Lorbeeren in Empfang zu nehmen. Ich glaube, er hatte am Räuberleben Gefallen gefunden, wie es ja nicht selten ist.«

»Da haben Sie Recht«, sagte ich lächelnd. »Und womit haben sich diese netten Jungs dann beschäftigt?«

»Sie haben ihre Raubzüge fortgesetzt, sich nun aber eher für Normalsterbliche interessiert - vorausgesetzt, sie waren reich. Händler zum Beispiel. Anfangs versuchte man noch, Dschifa zur Aufgabe zu bewegen, und die königlichen Boten haben ihm etliche Briefe gebracht. Doch schließlich begriff der König, dass seine Bemühungen umsonst waren und der Staat den Räubern das Handwerk legen musste. Dschifa war ein Meister des Versteckens und hatte diese Kunst auch seinen Leuten beigebracht. Die Räuber konnten sich sogar unsichtbar machen, und zwar im wörtlichen Sinne, Sir Max. Als man sie endlich gefangen hatte, konnte man auch ihr Versteck in Augenschein nehmen. Stellen Sie sich vor: Sie haben unter der Erde gelebt und ein System aus Gängen und Höhlen angelegt, das an vielen Stellen in den Wald von Mahagon führte. Deshalb nennt man sie auch die Füchse von Mahagon. Kein Wunder, dass man fünf Jahre nach ihnen gesucht hat.«

»Und was haben sie mit ihrer Beute gemacht?«, fragte ich und musste an die Geschichten von Robin Hood denken, die ich als Kind verschlungen hatte.

»Na was wohl? Sie haben alles in ihren Höhlen versteckt. Was sollten sie mitten im Wald mit kostbaren Dingen anfangen? Einen Teil immerhin hat Dschifa in der Hauptstadt verprasst. Am Anfang seiner Karriere hatte er noch den Mut, seine sommersprossige Nase ab und an in Echo zu zeigen. Aber seit man ihn einmal beinahe geschnappt hatte, vergrub er sich lieber in seiner Höhle.«

»Kein Wunder«, meinte ich.

Es hatte also keine Umverteilung der geraubten Reichtümer an die arme Bevölkerung gegeben. Na ja - auch bei Robin Hood hatte ich so meine Zweifel gehabt.

»Zu Lebzeiten des alten Königs konnte man den Räubern nicht das Handwerk legen«, fuhr Schichola fort. »Erst der jetzige König kündigte offiziell an, auf die Räuber Jagd zu machen, und rief viele frühere Magister zu Hilfe - natürlich keine ehemals rebellischen Magister, sondern solche, die ein anständiges Leben geführt hatten. Das war ein kluger Schachzug, denn diese Leute waren auf die Räuber, die ja ihre alten Freunde umgebracht hatten, nicht gut zu sprechen.«

»Und wie ist diese romantische Geschichte ausgegangen?«

»Vorhersehbar. Die wütenden Magister erhielten die Erlaubnis, Magie besonders hohen Grades einzusetzen, und so kamen die Füchse aus ihren Höhlen gekrochen. Mit Ausnahme von Dschifa. Der hat bis zum letzten Blutstropfen gekämpft, denn er war ein Mann von altem Schrot und Korn, der auf jeden Zauberspruch seiner Gegner eine Antwort wusste. Aber er stand ganz allein gegen sehr viele Magister, und ihr Sieg war nur eine Frage der Zeit. Schließlich hat man auch ihn aus seiner Höhle gelockt. Zwar konnte er noch vier Magister umbringen, doch dann musste er sterben.«

»Ein hübsches Ende für jemanden, der zu einer Legende werden möchte«, meinte ich. »Ich dagegen möchte möglichst lange glücklich und ohne romantische Abenteuer leben.«

»Geschmackssache«, meinte Schichola achselzuckend. »Sind Sie nicht auch manchmal hinterlistig, Sir Max?«

»Nie! Ich bin stets offen, ehrlich und ein mustergültiger Staatsbürger. Na gut, Herr Hauptmann. Jagen Sie Ihre Räuber ruhig weiter, solange der schreckliche Bubuta Sie nicht stört. Und wenn Sie die neue Bande fangen, erzählen Sie mir bitte gleich davon. Das können Sie nämlich wunderbar.«

»Vielen Dank, Sir Max. Ich halte Sie gern auf dem Laufenden, wenn es Sie interessiert.«

»Mich interessiert alles, jedenfalls ein bisschen. Gute Nacht, Herr Hauptmann. Ich habe Sie so lange gequält, dass Sie schon im Stehen einschlafen.«

Schichola trank seine Kamra aus und verabschiedete sich. Ich sah Kurusch an.

»Hat er wirklich alles richtig erzählt, mein Kluger?«

»Eigentlich ja«, bestätigte der Buriwuch. »Er hat nur ein paar Details ausgelassen.«

»Die will ich gar nicht wissen«, meinte ich. »Das reicht mir.«

Den Rest der Nacht verbrachte ich noch nutzloser. Im Haus an der Brücke gab es keine aktuellen Zeitungen mehr. Schon lange hatte ich den für die Ordnung in unseren Büros zuständigen Mann anweisen wollen, die Zeitungen vom Tage nicht gleich wegzuwerfen. Aber natürlich vergaß ich das immer wieder und musste nun ohne die Königliche Stimme auskommen.

Kurz vor Sonnenaufgang erschien Sir Kofa Joch. Diesmal hatte er sich für seinen Zug durch die Wirtshäuser der Stadt ein lustiges rundes Gesicht mit kleinen, dummen Augen zugelegt. Ich musste lachen.

»Was ist denn?«, brummte Kofa. »Das ist ein ganz normales Gesicht. Nicht jeder kann schön sein.«

Nachdenklich fuhr er sich durchs Gesicht, und schon hatte er wieder sein vertrautes, rassiges Antlitz.

»Geh nach Hause, Max. Füttere deine Katzen, scher ihnen das Fell oder mach, was angehende Viehzüchter sonst mit ihren Tieren anstellen mögen. Ich bleib hier und warte auf Juffin.«

»Gut«, meinte ich. »Wenn du das sagst. Du hast heute Vergnügen an der Geheimniskrämerei, was?«

»Nein, ich bin nur müde. Und zu Hause wartet eine schlecht gelaunte Frau auf mich. Ich möchte nur etwas dösen, und wo könnte ich das sonst tun?«

»Eine mies gelaunte Frau hast du daheim?«, wiederholte ich erstaunt.

Plötzlich fiel mir auf, dass ich keine Ahnung von Kofas Familienverhältnissen hatte. Über die Situation aller übrigen Kollegen wusste ich Bescheid. Nur das Privatleben von Sir Kofa war eine unbekannte Größe für mich geblieben.

»Unter uns gesagt, ist sie eigentlich meine Haushälterin. Gestern Abend hab ich ihr einmal mehr zu verstehen gegeben, dass ich sie nicht heiraten werde, und sie hat gesagt, diese Antwort habe sie schon zum sechzigsten Mal von mir bekommen. Atili ist eine wunderbare Frau, und es tut mir leid, dass ich offizielle Zeremonien aller Art verabscheue. Warum glauben manche nur, diese Rituale verstärken die Gefühle füreinander?«

»Ich bin ganz deiner Meinung.«

»Das war mir schon klar. Deine Aversion gegen Rituale aller Art steht dir ins Gesicht geschrieben. Geh nach Hause, Max. Du bist eine große Wohltat in meinem misslungenen Leben, aber geh jetzt bitte. Ich bin wirklich müde.«

»Schon gut. Ich verschwinde.«

Rasch verließ ich das Gebäude. Der arme Kofa sollte sich erholen. Ich ging nach Hause und konnte mich endlich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Was das hieß? Ich hatte endlich Zeit, meine Wohnung sauber zu machen!

Das Problem Frühjahrsputz hing schon lange wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf und war in den letzten Tagen immer dringlicher geworden. Meine Katzen Armstrong und Ella hatten wirklich alles auf den Kopf gestellt. Natürlich hätte ich jemanden zum Saubermachen beschäftigen können, aber irgendwie gefiel es mir nicht, dass ein armes Würstchen zu mir nach Hause kam und mit dem nassen Lappen durch die Wohnung streifte, während ich mir neue Reinigungsaufgaben ausdachte und alsdann gemütlich essen ging. Auch widerstrebte es mir, dass irgendwer meine Schränke durchsah, wichtige Unterlagen in die Finger bekam und meinen Nippes falsch aufstellte. Was für ein Albtraum!

Jetzt kam die Zeit, wo ich für meine Haltung bezahlen musste. Niemand ist gezwungen, Personal zu beschäftigen, aber wenn du darauf verzichtest, Max, musst du schon selbst im Haushalt ran, ermunterte ich mich. Dann führte ich mir vor Augen, wie wichtig es für mein inneres Wohlbefinden war, nicht im Chaos zu leben.

Jetzt oder nie! Mit dieser tollkühnen Devise fuhr ich nach Hause, war mit meinem A-Mobil aber bezeichnenderweise deutlich länger unterwegs als sonst. Irgendwann kam ich an. Manches kann man einfach nicht ewig aufschieben.

An mein Haus in der Straße der gelben Steine hatte ich mich lange nicht gewöhnen können, denn seine riesigen Zimmer waren viel zu groß für nur eine Person. Eins davon hatte ich zum Wohnzimmer gemacht, ein anderes im ersten Stock zum Schlafzimmer, und die übrigen Räume dienten mir als Spielwiese für meine innenarchitektonischen Experimente. Irgendwann stellte ich auch fest, dass zwei gut gefütterte Katzen zwölf Stunden lang pausenlos spielen können.

Seltsam: Als meine Tiere und ich in der Straße der alten Münzen mit zwei Zimmern hatten auskommen müssen, waren sie sehr ruhig gewesen, Liegekatzen geradezu. In meiner neuen Wohnung dagegen bestätigte sich einmal mehr, dass große leere Räume das Chaos begünstigen. Eigentlich hätte ich am liebsten Karten gespielt, doch dazu hätte ich menschenähnliche Partner gebraucht.

Mit den leeren Zimmern war ich schnell fertig, denn in geübten Händen ist ein nasser Mopp eine gute Waffe.

Mein Schlafzimmer sah eigentlich recht ordentlich aus. Dort verbrachte ich den Großteil meiner Freizeit. Deshalb hatte das Chaos dort keine Chance, und das bisschen Unordnung machte den Raum eher gemütlich. Ich musste nur etwas Staub wischen und dann lüften, damit wieder neuer Staub reinwehte.

Versonnen betrachtete ich mein Bett und sagte mir: Mein Lieber, du hast auch noch ein Wohnzimmer. Schon vergessen?

Von meiner Entschiedenheit überrascht, lief ich die Treppe runter, um den Hausputz im Erdgeschoss fortzusetzen. Unterwegs dachte ich, ein kleines, aber gut gefülltes Tablett aus dem Gefräßigen Truthahn könnte einem ermüdeten Helden wie mir unmöglich schaden. Also meldete ich mich per Stummer Rede beim Wirt des Lokals. Eigentlich war es noch geschlossen, aber für einen Kunden im schwarzgoldenen Todesmantel wurde sicher eine Ausnahme gemacht.

Richtig, der Mantel! Jetzt, da ich so intensiv Ordnung machte, merkte ich, dass ich vergessen hatte, mich umzuziehen. Also kehrte ich ins Schlafzimmer zurück, schlüpfte in meine Hausskaba und fühlte mich gleich wohler. Besser spät als nie!

Im Wohnzimmer erwartete mich ein seltsamer Anblick. Die Reisetasche, die ich in Kettari dabeigehabt hatte, stand seit der Rückkehr unausgepackt mitten im Raum. Armstrong spielte mit dem Kissen, das die Ritze zwischen den Welten bedeckte, und hatte keinen Respekt vor Maba Kalochs Zauberdingen. Ella zupfte melancholisch am Rand des kostbaren Teppichs, den ich aus Kettari mitgebracht hatte und der seit meiner Rückkehr ebenfalls unausgerollt in der Ecke stand. Und damit war die Liste meines häuslichen Versagens längst noch nicht komplett.

Der raue Alltag im Kleinen Geheimen Suchtrupp der Stadt Echo hatte aus mir einen wahren Helden gemacht. Noch vor einiger Zeit wäre ich über meine jetzige Lage verzweifelt gewesen. Nun aber machte ich einfach weiter. Nach einer halben Stunde war der Tisch sauber wie der Himmel über der Wüste. Das schien mir ein guter Anfang, denn kurz zuvor war die Tischplatte noch voller Fettflecke und überflüssiger Gegenstände gewesen. Mir hatte es einfach an Tapferkeit gefehlt, tief Luft zu holen und den Dunklen Magistern meinen gesamten Nippes in den Rachen zu werfen.

Es klopfte. Das war mein Abendessen, das sich in Gesellschaft eines erschrockenen und verschlafenen Boten aus dem Gefräßigen Truthahn auf meiner Türschwelle eingefunden hatte. Immerhin war ich höflich genug, danke zu sagen. Alles stand bestens. Der Gefräßige Truthahn war ein stadtbekanntes Wirtshaus. Mit diesem Nachbarn hatte ich wirklich Glück.

Ich machte eine kurze Pause, biss dann aber die Zähne zusammen und setzte den Kampf um Sauberkeit fort. Nach zwei Stunden, als mein Kraftakt langsam zu Ende ging und ich mich fühlte, als hätte ich die letzten tausend Jahre im Steinbruch gearbeitet, klopfte es wieder.

»Kommen Sie ruhig rein, es ist offen!«, rief ich.

Körperliche Anstrengung hat meine Laune noch nie verbessert - im Gegenteil. Und warum sollte ich ein netter Kerl sein, wenn ganz Echo mich für ein Monster hielt? Das lehrreiche Gespräch mit Hauptmann Schichola hatte in meinem Selbstbewusstsein tiefe Spuren hinterlassen.

Die Tür quietschte. Dann hörte ich schnelle Schritte im Foyer. Plötzlich stand ein seltsames Wesen in der Tür,

das einen für die Jahreszeit viel zu dicken Lochimantel trug. Unter dem dunklen Turban sah ein durchaus sympathisches Gesicht hervor. Wo hatte ich es nur schon mal gesehen?

Ach, natürlich! Der Mann sah aus wie Apollinaire in jungen Jahren, wie ein Dichter also, den man in dieser Welt nicht kannte. Vielleicht handelt es sich bei meinem Besucher ja auch um einen Dichter oder Künstler, dachte ich ironisch. Ein echter Dichter wäre mir jetzt gerade recht gewesen.

»Arbeitest du für Sir Max, Junge?«, fragte mein Gast heiter.

Sündige Magister - nuscheln tat er auch noch!

»Wie kommst du nur auf die Idee, mit einem Putzlumpen herumzulaufen?«, wollte er dann wissen.

»Wie komm ich wohl darauf? Ich mache sauber«, entgegnete ich lächelnd. Jetzt musterte er mich erstaunt mit seinen hübschen Mandelaugen. Hier hatten sich offenbar zwei Sturköpfe aus verschiedenen Welten getroffen! Ich wollte aus Höflichkeit vor ihm den Turban ziehen, trug aber leider keinen.

»Wer bist du, meine Freude?«, fragte ich interessiert und machte mich daran, die achte Fensterbank des Zimmers zu putzen. Was mochte sich Sir Juffin nur gedacht haben, als er dieses »bescheidene Häuschen« (wie er sich ausdrückte) für mich aussuchte?

»Ich heiße Ande Pu und bin Chefreporter der Königlichen Stimme«, erklärte der Ankömmling stolz. »Verstehst du, Junge? Ich arbeite nicht für irgendein Boulevardblättchen.«

»Bist du wirklich Chefreporter?«, fragte ich zweifelnd.

An den Namen Pu nämlich konnte ich mich nicht erinnern, und das war bei meiner Leidenschaft für die Presse recht seltsam. Aber vielleicht hatte ich nur ein schlechtes Namensgedächtnis.

»Ich bin einer der Chefreporter. Was macht das schon für einen Unterschied?«, sagte mein Besucher achselzuckend. »Unser Chefredakteur, Sir Rogro Schill, hat mich gebeten, einen Artikel über die Katzen von Sir Max zu schreiben, die mal die Eltern der königlichen Katzen sein werden. Also habe ich beschlossen, Sir Max persönlich zu treffen, obwohl mir meine Kollegen seltsame Dinge über ihn erzählt haben. Willst du mir keine Kamra anbieten, mein Freund?«

Ich sah mich um und merkte, dass dieses Naturwunder schon an meinem Tisch Platz genommen hatte und mit meinen Tassen hantierte. Der Versuch, Ordnung zu schaffen, schien umsonst gewesen.

»Schau in den Krug«, murmelte ich. »Vielleicht ist noch was übrig. Keine Ahnung.«

Dann hörte ich nur noch leises Schlürfen. Ich seufzte und wandte mich meiner letzten Aufräumaktion für heute zu: Ich wollte den Teppich aus Kettari ausrollen. Schließlich hatte ich das schwere Schmuckstück den ganzen Weg hierher im Auto transportiert und musste es endlich mal in Dienst stellen.

»Kommt Sir Max bald nach Hause?«, fragte Ande Pu mit vollem Mund.

Donnerwetter - der Kerl hatte sich auch noch über mein Essen hergemacht!

»Das weiß ich nicht«, antwortete ich verärgert. »Wenn er Lust hat, wird er schon kommen. Ich geh jetzt schlafen.«

••Ja, erhol dich nur. Ich würde gern bleiben und auf Sir Max warten«, sagte mein Gast. »Dann lerne ich auch seine berühmten Katzen kennen. Wo sind sie eigentlich?«

»Ich fürchte, die liegen in meinem Bett«, seufzte ich. »Wie wäre es, wenn du später wiederkommst?«

»Was?«, fragte Ande Pu erschrocken. »Morgen muss ich dem Redakteur meinen Artikel geben. Wenn ich Sir Max heute nicht treffe, ist das für mich das Ende. Und wenn ich nicht mal die Katzen zu sehen bekomme, dann gute Nacht!«

In seinen Augen stand solche Angst, dass mein steinernes Herz weich wurde. Ich klopfte mit den Näpfen an die Treppe, und gleich hörte ich Samtpfoten die Stufen runterkommen. Meine Tiere ließen keine Gelegenheit aus, sich den Bauch vollzuschlagen.

»Da sind sie«, sagte ich stolz und füllte die Näpfe. »Schau sie dir an, streichle sie, versuch aber nicht, ihr Essen zu kosten. Das ist lebensgefährlich.«

»Wie sieht es eigentlich bei euch zu Hause mit dem Essen aus? Ich meine, Sir Max ist ja ein reicher Mann. Da wird er doch nicht geizen, oder?«

»Nein«, sagte ich lächelnd. »Aber ausgerechnet heute wirst du hier weiter nichts Essbares finden. Ich hab nämlich schon alles vertilgt.«

Der arme Ande Pu blickte mich erstaunt an und tat mir wirklich leid.

»Na schön, vielleicht finde ich noch was für dich.«

Ich schob die Hand unter den Tisch. Das war ein guter Anlass, meinen Zaubertrick mit der Ritze zwischen den Welten zu wiederholen. Vielleicht funktionierte er ja nicht mehr.

Doch mein Gast war ein echter Glückspilz: Diesmal hatte ich weder einen kaputten Regenschirm noch eine Flasche Mineralwasser in der Hand, sondern eine heiße Pfanne, in der Rührei mit Zwiebeln und Tomaten brutzelte. Donnerwetter! So einen guten Griff hatte ich nicht erwartet.

»Wenn du das gegessen hast, mach unbedingt den Tisch sauber«, sagte ich schroff. »Falls Sir Max hier Unordnung entdeckt, sucht er gleich nach dem Schuldigen und trifft ihn mit seiner giftigen Spucke. Ich rate dir: Lass es nicht dazu kommen. Du musst also über die Katzen berichten? Hier hast du sie. Jetzt schreib über die Tiere, und geh nach Hause, wenn du fertig bist. Mit einem guten Text wirst du den Chefredakteur bestimmt beglücken. Alles klar? Ich geh jetzt schlafen.«

Ich hatte keine Kraft mehr abzuwarten, bis Ande Pu fertig war, und hinter ihm die Tür zuzumachen. Ich hatte zu gar nichts mehr Kraft.

»Toll! Woher hast du das Essen?«, fragte mein wunderbarer Gast.

»Ich hab's unterm Tisch hervorgezogen. Woher sonst?«

»Toll!«, rief Ande Pu begeistert.

Ich tat, als hätte ich seinen Enthusiasmus nicht bemerkt, und ging ins Schlafzimmer. Dort legte ich das Armband an, das vom Orden des Geheimen Krauts stammte und ohne das ich nicht mehr einschlafen durfte. Dann schloss ich die Augen.

Den Magistern sei Dank! Ich hatte endlich einen Traum. Er war zwar ziemlich dumm, aber nach so langer Abstinenz war mir fast alles recht. Als ich aufwachte, fühlte ich mich wie der glücklichste Mensch im Universum. Endlich war alles, wie es sein sollte!

In bester Laune kam ich wieder runter ins Wohnzimmer. Der lustige Journalist - wie hieß er gleich? Ande Pu? - saß noch immer am Tisch und verbreitete Unordnung, obwohl ich ihn davor gewarnt hatte. Die kokette Ella schnurrte in seinen Armen, und Armstrong spielte phlegmatisch mit seinem Mantel.

»Sir Max ist doch nicht gekommen«, sagte er enttäuscht. »Ich geh dann mal. Das war's für mich.«

»Du meinst, das ist dein Ende?«, fragte ich lächelnd. »Nein, Freund, du hast mehr Glück als du ahnst. Sir Max ist ein schwieriger Typ. Er hätte dich fertiggemacht. Was hast du da eigentlich auf dem Tisch angestellt?«

»Ach, ich wusste nicht, was ich mit dem ganzen Zeug machen sollte. Außerdem ist es ja wohl dein Job aufzuräumen. Dafür wirst du sicher gut bezahlt.«

»Ich bekomme nichts dafür«, sagte ich. »Ich bleibe am Leben - das war's. Siehst du die Tür? Sie führt in den Flur, falls du es schon vergessen hast. Dort steht ein Kohlenbecken. Bring es her und leg alles rein, was auf dem Tisch ist. Ich hoffe, das schaffst du.«

»Kein Problem«, antwortete mein Gast und wirkte etwas verlegen.

Ich nickte ihm freundlich zu und ging mich waschen. Meine gute Laune hatte keinen Schaden gelitten.

Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, sah ich meinen Besucher alles, was auf dem Tisch lag, ins Kohlenbecken legen. Das tat er so ruhig und unerschütterlich, dass ich fürchtete, er würde bis zum Abend brauchen. Ich seufzte und verfrachtete die Reste des Durcheinanders mit einer Handbewegung ins Becken. Dann schnippte ich mit den Fingern. Diesen Trick hatte ich erst kürzlich gelernt und ließ keine Gelegenheit aus, damit anzugeben. Und wirklich: Das Kohlenbecken war leer.

»Das war's schon«, verkündete ich.

»War das Verbotene Magie? Das hast du toll hingekriegt«, sagte der einzige Zuschauer meiner kleinen Zaubervorstellung.

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich. »Ich setze doch keine Verbotene Magie ein. Das war Fingergymnastik.«

Es klopfte mal wieder.

»Na«, meinte ich, »vielleicht ist das ja Sir Max. Ich vermute allerdings, dass da meine morgendliche Kamra kommt. Lass uns mal nachsehen.«

Mein Gast setzte sich bequem hin und schlug den Lochi-mantel vor der Brust zusammen. Journalisten sind wirklich tollkühn, dachte ich bewundernd. Nicht mal vor einem Monster wie mir haben sie Angst.

Dann ging ich mein Frühstück holen.

Natürlich musste ich Kamra und Gebäck mit Ande Pu teilen. Das war eigentlich nicht schlimm, denn Ella mochte den Jungen sehr, der allem Anschein nach bis an sein Lebensende in meinem Wohnzimmer bleiben wollte. Der arme Schreiberling schien geradezu nach einer seelischen Erschütterung zu lechzen.

Nach dem Frühstück ging ich nach oben und zog den Todesmantel an. Wenn ich schon gezwungen bin, mich in ein Monster zu verwandeln, will ich wenigstens Applaus dafür einheimsen, dachte ich auf dem Weg ins Erdgeschoss.

»Das gibt's doch nicht!«, rief Ande Pu begeistert, aber auch etwas erschrocken. »Du ... also Sie sind Sir Max? Das ist mein Ende!«

Ich kicherte. Dass er stets sein Ende ankündigte, gefiel mir. Außerdem mochte ich seine lebensfrohe Ungezwungenheit, doch nun wurde er stumm.

»Was hast du denn? Du wolltest doch etwas über meine Katzen erfahren«, meinte ich erstaunt. »Also frag mich. Aber schnell - ich muss gleich los.«

»Die Katzen ...«, begann Ande Pu ehrfürchtig. »Verzeihen Sie, aber wenn Sie es eilig haben ... Ich bin wohl etwas zu lange bei Ihnen geblieben ... Ich hoffe nur, Sie nicht gestört zu haben ...«, stammelte er, und ich merkte, wie schnell ihn der Mut verließ.

»Du hast nicht gestört«, sagte ich gnädig. »Na schön -falls du noch Fragen hast, kannst du dich ja per Stummer Rede bei mir melden.«

»Darf ich das wirklich? Vielen Dank, Sir Max.«

Ande Pu verschwand im Flur und machte leise die Haustür zu. Ich zuckte die Achseln und fuhr zum Haus an der Brücke.

»Du siehst prima aus, Max«, sagte mein Chef. »Anscheinend hat dir das Treffen mit Bubuta gutgetan. Vielleicht solltest du ihn öfter besuchen.«

»Ich wusste, dass Sie das sagen würden. Machen Sie sich ruhig über mich lustig - mir macht das nichts aus. Ich hab endlich wieder geträumt.«

»Ja?«, fragte Juffin und zog die Brauen hoch. »An deiner Stelle würde ich mich darüber nicht so voreilig freuen.«

»Ach was«, meinte ich abwinkend. »Erstens war es wider Erwarten kein Albtraum, und zweitens ... aber das ist egal. Haben Sie schon von Bubutas gewaltigem Leuchtpilz gehört?«

»Versuch du bitte nicht auch noch, mir diese Geschichte zu erzählen«, sagte mein Chef, und sein Erschrecken wirkte echt. »Zum achtzehnten Mal werde ich das nicht überleben.«

»Melifaro hat diese Geschichte doch nur zehnmal zum Besten gegeben, Chef«, mischte sich Kurusch ein. »Ihr Menschen übertreibt manchmal ganz schön.«

»Nein, meine Freude: Zehnmal hat er in deiner Anwesenheit davon erzählt. Und dann noch siebenmal bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit.«

»Der fiese Melifaro ist mir also zuvorgekommen«, seufzte ich. »Da haben Sie einiges verpasst, Sir Juffin - ich hätte Ihnen diese Sache viel hübscher erzählt.«

»Daran zweifle ich keine Sekunde, aber mir reicht es jetzt wirklich. Komm, lass uns ins Fressfass gehen. Ich muss ein paar Dinge mit dir besprechen.«

»Wie nett!«

»Ach, nichts Besonderes - eher Kleinigkeiten. Du magst deine Arbeit, oder?«

»Ich hasse Sie«, erklärte ich mit Nachdruck. »Aber ich bin ein knallharter Karrierist und will mich hochboxen. Haben Sie das noch nicht gemerkt?«

Im Wirtshaus zeigte sich, dass Juffin mir eine neue Aufgabe zugedacht hatte. Ich sollte einen Übeltäter schnappen und ins Haus an der Brücke schaffen. Schon seit Tagen hatte Sir Kofa die Aktivitäten dieses Mannes, der sein Geld mit Kartentricks im Wirtshaus verdiente und dabei unerlaubterweise Weiße Magie sechsten Grades benutzte, genüsslich beobachtet. Sir Juffin behauptete, meine Teilnahme an dieser Aktion würde ihr besonderes Gewicht geben. Sicher würden anschließend viele Gerüchte in der Stadt kursieren und potentielle Falschspieler abschrecken. Es sei besser, beizeiten gegen kleine Verbrecher vorzugehen, als sie später im großen Stil bekämpfen zu müssen.

Ich rümpfte die Nase und meinte, so mancher Nagel lasse sich nur schlecht mit dem Mikroskop einschlagen. Mein Chef hörte mir aufmerksam zu und wies dann wortlos zur Tür.

»Verstehe«, meinte ich reumütig. »Ich geh ja schon.«

»Nur nicht schmollen. Und viel Spaß mit dem neuen Fall, Sir Mikroskop.«

Natürlich schmollte ich ganz und gar nicht. Ein abendlicher Zug mit Sir Kofa durch diverse Wirtshäuser würde sicher sehr vergnüglich sein. Man muss nur manchmal vorab etwas schimpfen, um in Schwung zu kommen.

Gegen Mitternacht kehrte ich bester Laune ins Haus an der Brücke zurück. Die Verhaftung von Toja Baklin hatte nicht lange gedauert, doch meine Anwesenheit hatte Sir Kofas Appetit ungemein stimuliert.

Ich wollte unseren Dienstsitz gerade durch die Geheimtür betreten, als ich vor dem Besuchereingang eine vertraute Silhouette bemerkte. Ich pfiff leise, und Ande Pu kam zu mir.

»Willst du eine Reportage über die Arbeit des Kleinen Geheimen Suchtrupps machen?«, fragte ich ihn freundlich. »Bist du denn schon mit dem Bericht über meine Katzen fertig?«

»Ach, Sir Max«, sagte Ande Pu finster. »Ich warte schon drei Stunden auf Sie und wollte gerade nach Hause gehen.«

»Da hast du Glück gehabt«, meinte ich. »Normalerweise wartet man viel länger auf mich. Mein Chef hat schon überlegt, ein Bett vor meine Tür zu stellen, um denen, die mich sprechen wollen, das Leben zu erleichtern. Aber warum bist du auf der Straße geblieben? Wir haben doch ein hübsches Wartezimmer, in dem man sogar rauchen darf.«

»Das Haus an der Brücke gefällt mir einfach nicht«, sagte Ande Pu finster. »Hier laufen mir zu viele Bullen rum.«

»Irgendwo müssen sie sich aufhalten«, gab ich zu bedenken. »Und das Haus an der Brücke ist immerhin Sitz der Stadtpolizei. Hast du etwa Angst vor Polizisten?«

»Angst hab ich keine - ich mag sie bloß nicht.«

»Das versteh ich«, sagte ich und lachte los. »Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, doch noch vor kurzem ging es mir genauso. Na schön, du mutiger Vertreter der vierten Gewalt - gehen wir in mein Büro.«

»Wie haben Sie mich gerade genannt?«, fragte der Arme und schien völlig verwirrt.

»Ach, egal. Komm mit. Oben können wir Kamra trinken und Gebäck knabbern. Das verstehst du doch, oder?«

Er folgte mir auf dem Fuße und hielt sich stets direkt im Schatten meines Todesmantels, um den vermeintlich bösen Blicken der Mitarbeiter von General Bubuta zu entgehen. Vor mir hatte er erstaunlicherweise keine Angst.

»Was ist los?«, fragte ich, als wir in mein Büro kamen. »Oder hast du nur Sehnsucht nach mir gehabt? Setz dich!«

Ande Pu machte es sich im Sessel bequem und betrachtete neugierig den auf der Lehne schlafenden Kurusch. Mit rascher Handbewegung verschob er dann meine Zigaretten, die auf dem Schreibtisch lagen, und fragte nicht mal,

woher das seltsame Zeug stammen mochte. Vielleicht hatte er sie ja nicht bemerkt. Auch dem Boten, der kurz darauf mit Kamra und Gebäck erschien, schenkte er keine Beachtung. Doch als der Krug auf den Tisch kam, stand er schnell auf und goss sich eine Tasse ein. Nach der zweiten Tasse raffte er sich auf, mir von seinen Problemen zu erzählen.

»Sir Max«, begann er ehrerbietig. »Mein Chefredakteur, also Sir Rogro Schill, versteht gar nichts. Ich glaube, er ist verrückt geworden. Das ist mein Ende, fürchte ich.«

»Ach ja?«, meinte ich recht desinteressiert. »Was ist denn los mit ihm? Ich fürchte allerdings, dass ihm im Haus an der Brücke niemand helfen kann. Hier sind alle ziemlich verrückt. Uns könnte nicht mal ein guter Arzt kurieren. Aber das muss unter uns bleiben, denn es handelt sich um ein Staatsgeheimnis.«

»Sir Max«, rief Ande Pu begeistert, »Ihre Witze sind herrlich. Ein Traum geradezu. Niemand kann Ihnen da das Wasser reichen.«

»Freut mich, einen Verehrer meines Talents zu treffen«, entgegnete ich lächelnd. »Aber ich bin heute satt, guter Laune und zufrieden und darum eigentlich nicht in Form. Was ist nun mit dem Chefredakteur?«

»Er will meinen Artikel nicht drucken«, verkündete Ande.

Ich lachte auf, so sehr überraschte mich diese Nachricht.

»So, er will ihn nicht drucken? Frechheit!«

»Nein, nein, den Text über die Katzen hat er natürlich sofort genommen und sogar versprochen, ihn gleich zu bezahlen. Das ist nicht selbstverständlich, denn manchmal muss man lange auf sein Geld warten. Aber meinen zweiten Text hat er abgelehnt.«

»Du bist wirklich ein fleißiger Schreiberling«, meinte ich bewundernd.

Das war freilich nichts Besonderes. Alle Bürokraten und Literaten des Vereinigten Königreichs besitzen sich selbst beschriftende Tafeln. Wenn der Kopf eines Autors nicht völlig leer ist, kann er seinen Text also rasch verfertigen.

»Ich hab über Sie geschrieben, Sir Max. Das wird eine Sensation. Die anderen Journalisten werden bestimmt grün vor Neid.«

»Was für eine Sensation denn? Dass ich mein Wohnzimmer selbst sauber mache? Sir Juffin Halli würde dir und deinem Chefredakteur für solche Nachrichten den Kopf abreißen.«

»Schon gut. Hätten Sie nicht Lust, sich den Text anzusehen?«, fragte er und gab mir zwei von seinen Tafeln.

Ich las. Der Artikel trug die Überschrift Rendezvous mit dem Tod. Das klang einfach und einladend, und der Text entsprach der Überschrift ganz und gar. Aus dem Artikel ergab sich, dass ich den Verfasser einen Tag in meinem Wohnzimmer eingesperrt hatte und von zwei verzauberten Riesenkatzen hatte bewachen lassen, während ich unterwegs war, um kurzfristig einige grässliche Morde aufzuklären. Ande Pu geizte nicht mit Adjektiven, um meinen Haushalt und das erschreckende Miauen von Armstrong und Ella zu beschreiben. Natürlich hatte er auch nicht vergessen, seine Tapferkeit zu erwähnen. Schlimm war das, ganz schlimm.

»Steck das wieder ein«, sagte ich schroff. »Du bist ein netter Mensch, aber wenn dieser Mist erscheint, spuck ich dich an. So was kannst du allenfalls deinen Freundinnen erzählen. Dagegen habe ich nichts.«

»Und ich hatte geglaubt, der Text würde Ihnen gefallen«, sagte Ande Pu und errötete. »Ich dachte, Sie würden sich per Stummer Rede bei Sir Rogro melden, und er würde das drucken.«

»Willst du diesen Quatsch etwa mit meiner Hilfe verbreiten?«, fragte ich lachend. »Für wen hältst du mich?«

»Na ja«, meinte Ande Pu, »es passiert eben manchmal, dass eine Reportage dem Porträtierten nicht gefällt. Verzeihen Sie bitte die Störung.«

Es tat weh, den Armen nur anzusehen.

»Möchtest du mit mir zu Abend essen?«, fragte ich gnädig.

Sein Gesicht hellte sich auf, und die Tragik schwand aus seinen dunklen Augen, die nun zu glänzen begannen.

»Natürlich willst du. Warum frage ich eigentlich noch?«, meinte ich und meldete mich per Stummer Rede im Fressfass.

»Bestellen Sie Ihr Essen etwa in Bunbas Fressfass«, fragte er kennerisch und schnupperte an seiner Kamra. »Das ist ein sehr gutes Lokal, in dem ich schon viel Zeit verbracht habe. Damals war ich noch so faul, dass ich die Bedienung habe sich nach dem Geld bücken lassen, das mir aus der Hosentasche gefallen war.«

»Wirklich?«, fragte ich erstaunt. Ande Pu sah weder reich noch frisch verarmt aus.

»Ach, Sir Max, Sie wissen über mich so wenig«, seufzte er und winkte ab. Dazu machte er ein Gesicht, das mich an den müden König Lear denken ließ. »Glauben Sie etwa, ich habe schon immer solche dummen Reportagen geschrieben? Von wegen! Mit kaum neunzig Jahren war ich bereits Pressesprecher am Königshof! Ich hatte meine Ausbildung gerade beendet und tolle Perspektiven. Aber irgendein Teufel hat mich geritten, mich mit dem Schreiberling eines hiesigen Boulevardblatts so offen wie mit einem Freund zu unterhalten. Am nächsten Tag ist der entsprechende Artikel erschienen. Das war mein Ende.«

»Traurige Geschichte«, sagte ich mitleidig. »Aber so was passiert manchmal. Nimm es nicht so schwer, Ande. Jetzt hast du einen anständigen Beruf.«

»Das ist doch kein Beruf, das ist bloße Scharlatanerie!«, brummte der gescheiterte Höfling traurig. »Ich muss für Leute schreiben, die sich von Silbe zu Silbe quälen - falls sie überhaupt lesen können. Und denken Sie, ich werde gut dafür bezahlt? Vergessen Sie's! Einen Hungerlohn bekomme ich dafür. Ich sollte ein echter Schriftsteller sein, nach Tascher fahren und all meine Feinde zu den Dunklen Magistern schicken.«

»Warum ausgerechnet nach Tascher?«, fragte ich erstaunt.

Von dieser sonnigen Stadt hatte Kapitän Gjata, dem ich das Leben gerettet hatte, so geschwärmt. Sir Juffin Halli hatte den armen Seemann auf tollkühne Art und Weise von seinem mit Perlmutt besetzten Gürtel - einem Meisterwerk des verrückten Magisters Chroper Moa - befreit, und ich war dabei gewesen, als das geschah. Es war eine komplizierte, lebensgefährliche Aktion, doch alle Beteiligten überlebten. Als Kapitän Gjata wieder zu sich kam, wollte er sich mir gegenüber für seine Rettung erkenntlich zeigen und verkündete, er werde so lange in der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs bleiben, wie ich ihn brauchte.

Ich versuchte ein paar Mal, ihm eine Aufgabe zu geben, aber der tapfere Mann aus Tascher pflegte immer zu sagen: »Das muss doch nicht sein.« Und ich muss offen gestehen: Er hat genau gewusst, was nötig ist.

Der Kapitän hatte sich in Echo ganz gut eingelebt, war aber irgendwann in seine Heimat zurückgekehrt.

Wann immer es möglich ist, nutze ich die Gelegenheit, etwas über Echo zu lernen. Darum hatte ich Gjata immer gern zugehört und wusste aus seinen Erzählungen, dass Tascher keine intellektuelle Hochburg war - eher das Gegenteil.

»Ach, Sir Max, dort ist es immer warm«, meinte Ande Pu träumerisch. »Und überall wächst Obst. Außerdem habe ich gehört, dass man dort Leuten, die einigermaßen gut lesen und schreiben können, großen Respekt zollt. Was glauben Sie wohl, wie man dort Schriftsteller behandelt? Wahnsinn!«

»Das kann ich mir vorstellen«, meinte ich lachend.

»Darf ich kurz stören, Sir Max?«, fragte Hauptmann Schichola von der Tür her. »Ach, Verzeihung, Sie haben gerade Besuch.«

»Das ist nur ein Freund, und wir sind fast fertig. Kommen Sie doch in ein paar Minuten wieder.«

»Gern.« Schichola zog die Nase rasch aus meinem Büro.

Ande Pus Mandelaugen füllten sich mit Sorge. Vielleicht hatte er gehofft, unser nettes Gespräch fortsetzen zu können und das Abendbrot bis zum Frühstück auszudehnen.

»Warte im Besucherzimmer auf mich, mein Freund«, sagte ich. »Ich muss mit meinem Kollegen einiges besprechen. Danach können wir das süße Faulenzen fortsetzen.«

Schon lange war ich nicht mehr so nett gewesen. Hatte Ande Pu mich vielleicht verzaubert?

»Im Besucherzimmer?«, fragte er finster. »Vielen Dank, Sir Max. Ich gehe lieber. Sie haben sicher zu tun, und ich möchte noch bei Tschemparkaroke vorbeisehen. Gegen einen guten Teller Rekreationssuppe werde ich mich nicht sträuben. Ich habe nette Erinnerungen an dieses Gericht ... Übrigens, Sir Max: Wie sieht Ihre Finanzlage aus? Könnten Sie mir ein bisschen Geld leihen? Wenn Sir Rogro meinen Artikel über Ihre Katzen tatsächlich rasch bezahlt, kann ich meine Schulden morgen begleichen.«

»Gern, aber ich habe selbst nur eine Krone und ein paar Groschen. Besonders reich bin ich nicht.«

Beim Kramen in der Schreibtischschublade fand ich ein paar Münzen. Unwahrscheinlich, dass sie alle mir gehörten. Juffin und ich leeren unsere Taschen immer aus, ehe wir auf Verbrecherjagd gehen, denn es wäre nicht gerade professionell, wenn uns Agenten bei der Festnahme von Übeltätern Kleingeld aus den Taschen fiele. So was schadet dem Renommee.

»Vielen Dank, Sir Max. Wenn ich es morgen nicht zurückzahlen kann, dann sicher in drei Tagen.«

»Du brauchst es mir gar nicht zurückzugeben. Betrachte das Geld einfach als Honorar für deinen misslungenen Text. Aber ich rate dir dringend, es mit diesem Artikel bei keiner anderen Redaktion zu versuchen. Ich bin ein netter Kerl, und du brauchst nicht immer >Sir< zu mir zu sagen, doch wenn du diesen Artikel veröffentlichst, bringe ich dich womöglich um. Glaubst du mir das?«

»Behalten Sie die beiden Tafeln nur. Da ich sie schon gekauft habe, möchte ich sie ungern wegwerfen.«

»Alles klar«, sagte ich erleichtert. »Mit dieser Lösung dürften alle zufrieden sein. Gute Nacht, Ande.«

»Gute Nacht, Max.«

Von dem Wort Sir trennte sich mein neuer Freund so schnell und leicht, wie man sich von leeren, bedeutungslosen Phrasen trennen sollte. Diese Lebenseinstellung bezaubert mich immer wieder, und so schloss ich Ande Pu rasch ins Herz.

Das mandeläugige Wunder verschwand aus meinem Büro, und gleich tauchte Hauptmann Schichola wieder auf.

»Habe ich wirklich nicht gestört?«, hakte er nach.

»Wie gesagt ... Was gibt's denn?«

»Ach, nichts Besonderes. Jedenfalls nichts, womit ich Sie von der Arbeit ablenken könnte. Aber da Sie sowieso nichts zu tun haben ... Ich wollte Ihnen ein paar Gerüchte erzählen hinsichtlich

»Gibt es neue Gerüchte über mich?«, fragte ich lächelnd. »Wissen Sie, allmählich reicht es mir. Ich bin leicht reizbar. Dabei sollte ich nur positiv über die Menschen denken. Das ist besser für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.«

»Nein, nein, Sir Max, es geht nicht um Sie, sondern um die Räuber, die wir gerade verfolgen. Das alles klingt ziemlich seltsam, aber vielleicht sollten Sie davon erfahren. Ich wollte eigentlich mit Sir Juffin darüber sprechen, aber er ist ein viel beschäftigter Mensch und hat für solchen Kleinkram keine Zeit.«

Ja, dachte ich, viel beschäftigt ist er schon. Besonders in den letzten Wochen. Er muss mal gähnen, mal Kamra trinken, mal mit Kurusch plaudern. Aber das behielt ich natürlich für mich und nickte brav.

»Was Kleinkram und Klatsch angeht, sind Sie bei mir richtig. Legen Sie los, Hauptmann. Ich platze vor Neugier.«

»Leutnant Kamschi und ich haben in letzter Zeit viele Leute verhört, denen im Wald von Mahagon Geld abgenommen wurde oder die den Räubern glücklich entkommen sind. Alle haben uns nützliche wie nutzlose Informationen geliefert, und wissen Sie was? Sie alle haben uns versichert, Sir Dschifa Savancha, den wir alle noch gut in Erinnerung haben, stehe an der Spitze der Bande - der rothaarige Mann mit der schrecklichen Narbe an der Wange also, der seit vielen Jahren tot ist.«

»Der tote Sir Dschifa?«, fragte ich ungläubig, nickte dann aber und sagte klug: »So was kann schon mal passieren.«

»Ich glaube, die Lösung des Rätsels ist einfacher, als es scheint«, sagte Schichola hoffnungsvoll. »Alle Zeugen haben übereinstimmend berichtet, der Anführer der Bande ähnele dem Toten, sei aber viel grausamer. Das ist durchaus glaubwürdig, denn erstens gibt es mitunter tolle Zufälle, und zweitens spricht einiges dafür, dass der neue Räuberhauptmann dem alten täuschend ähnlich sein möchte. In der Epoche der Orden zum Beispiel hatte Ganagov Pestruschka im Gugonwald eine Bande. Diesem Ganagov wurde im Gefecht ein Ohr abgeschlagen. Nach seinem Tod hat sein Sohn die Führung der Bande übernommen und sich ein Ohr abgeschnitten, um dem Vater zu ähneln. Diese Marotte hat sich durch die Jahrhunderte gezogen. Insgesamt gab es vier Ganagovs, und alle hatten ein abgeschnittenes Ohr. Dann ist ein tapferer Sheriff in den Gugonwald gezogen und hat ein für alle Mal Ordnung geschaffen. Räuber sind Romantiker, und der rothaarige Dschifa ist für sie eine wahre Lichtgestalt - genau wie für Ihre Kunden Lojso Pondochwa.«

»Sie meinen also, der Mann hat sich die Haare rot färben lassen und sich eine Narbe beigebracht?«

»Ja. Dschifa hat sich allerdings zu Lebzeiten nie in diese Behörde verirrt. Warum sollte er es nach seinem Tode tun? Ich finde, Sie sollten Bescheid wissen. Alle, die jetzt erklären, Dschifa sei wiedergeboren worden, haben ihn früher gut gekannt. Manche davon hat er ausgeraubt, und mit manchen hat er in einem Wirthaus namens Goldenei Widder getrunken. Diejenigen dagegen, die es für Zufall halten, dass der neue Räuberhauptmann dem alten so ähnelt, kennen Dschifa nur aus Erzählungen. Das alles gefällt mir nicht, Sir Max. Vielleicht sollten Sie doch Sir Juffin davon berichten.«

»Das mache ich übermorgen. Sind Sie sicher, dass Sie mir sonst nichts sagen wollen? Würden Sie sich womöglich besser fühlen, wenn jemand vom Kleinen Geheimen Suchtrupp Sie in den Wald begleiten würde?«

»Na ja, eigentlich ...«, begann Schichola und trat von einem Bein auf das andere.

«... dürfen Sie uns nicht offiziell um Hilfe bitten«, setzte ich seinen Satz fort. »Das darf nur der Stellvertreter Ihres bezaubernden Chefs, Kapitän Fuflos also. Aber den muss man erst aus der Kneipe zerren und ihm alles erklären, und das ist der Knackpunkt. Diese Aufgabe ist selbst für kluge Leute wie Sie oder Kamschi zu schwer. Hab ich richtig geraten?«

»Sie sind ein Hellseher«, meinte Schichola lächelnd.

»Darüber staune ich selbst mitunter.«

»Können Sie uns trotzdem helfen?«

»Wissen Sie, Hauptmann, wenn ich Leute wie Bubuta oder Fuflos als Vorgesetzte hätte, säße ich längst in der Psychiatrie. Was Sie dagegen anlangt, kann ich nur sagen: Hut ab! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch - ich mache mich nicht über Sie lustig. Ich benutze mitunter einfach seltsame Ausdrücke. Für Sie könnte ich mich sogar umbringen, aber ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Soweit ich weiß, gehört auch Sir Juffin zu Ihren Fans. Wann wollen Sie im Wald von Mahagon eigentlich mit dem Großreinemachen anfangen?«

»Mit dem Großreinemachen? Was meinen Sie damit?«

»Ich meine Ihren Kampf gegen die Räuber. Wann wollen Sie die Füchse jagen? Doch sicher nicht erst in einem Jahr? Ich möchte nicht neugierig sein, aber Sir Juffin wäre für diese Information sicher dankbar. Er trennt sich ungern von seinen liebsten Mitarbeitern.«

Schicholas Gesicht hellte sich auf. »Sie meinen also, er wird es erlauben?«

»Was denken Sie denn? Sir Juffin verstößt nur zu gern gegen das Protokoll und hat ein Faible für romantische Geschichten.«

»Kamschi und ich wollen morgen Nacht mit dem A-Mobil zum Wald von Mahagon starten. Übermorgen früh sind wir da. Unsere Mitarbeiter sind schon dort. Sie haben Echo nacheinander verlassen, übernachten in Wirtshäusern in der Nähe des Waldes, sammeln dort Informationen und halten die Augen auf. Wissen Sie, wenn plötzlich zwölf Fremde gemeinsam in der tiefsten Provinz auftauchen, erregt das gleich Aufsehen und Verdacht. Übermorgen wollen wir uns alle vormittags im Wald treffen und den Kampf beginnen.«

»Sie haben das alles ja sehr schön geplant. Aber warum wollen Sie sich erst vormittags und nicht schon in der Nacht treffen? Können Ihre Leute in der Dunkelheit nichts sehen?»

»Soll das ein Witz sein? Alle aus Uguland sehen bei Nacht wunderbar, selbst Polizisten«, sagte Schichola und klang etwas beleidigt. »Aber die Räuber tauchen grundsätzlich vormittags auf. Abends hat man sie zwar auch schon gesehen, aber ...«, meinte Schichola und winkte ab.

Ich hatte keinen Schimmer, worauf sein Aber zielen mochte, wollte jedoch nicht nachhaken. Stattdessen goss ich ihm großzügig Kamra ein und sah ihn erwartungsvoll an.

»Wie gesagt, Kamschi und ich fahren morgen Abend. Die Reise dauert vier Stunden«, sagte er nach einer langen Pause. »Und falls Sir Juffin einverstanden ist ... Wissen Sie, Sir Max, es ist mir peinlich, darum zu bitten, aber Kamschi und ich wären ruhiger, wenn Sie mitkämen.«

»Ich? Warum ausgerechnet ich? Meiner Ansicht nach ist Sir Schürf Lonely-Lokley derjenige, mit dem man sich stets wohl und sicher fühlt. Wenn ich Ihnen einen Rat geben dürfte

»Sie haben natürlich Recht. Aber mit einem Menschen, der Sir Schürf das Leben gerettet hat, fühlt man sich eben noch sicherer. Außerdem macht es Spaß, mit Ihnen zusammenzuarbeiten - trotz Ihrer

»Trotz meiner dummen Witze, wollten Sie sagen?«, fragte ich kichernd. »Woher wissen Sie eigentlich, dass ich Sir Schürf gerettet habe? Gibt es neue Gerüchte in der Stadt?«

»Sir Schürf und ich sind Nachbarn«, erklärte Schichola. »Und seine Frau ist die beste Freundin meiner Schwester - mit Geheimnissen ist es da nicht weit her. Außerdem habe ich Ihren Humor nicht kritisieren wollen, sondern etwas anderes gemeint: Von jemandem, der den Todesmantel trägt, kann man kaum erwarten, dass er sich wie jeder andere benimmt. Trotzdem ist es sehr angenehm, mit Ihnen zu tun zu haben.«

»Sie laden mich also zu einem Picknick im Wald von Mahagon ein, weil mein Benehmen so gut ist«, stellte ich zufrieden fest. »Ich glaube, Sir Juffin wird mich freigeben. Er sammelt Abenteuer, bei denen allerdings nicht er, sondern ich den Kopf hinhalten muss, und wird uns bestimmt einen Korb Piroggen für unterwegs mitgeben.«

»Meinen Sie wirklich, dass Sir Juffin Ihnen die Reise erlaubt?«, fragte Schichola und wirkte nicht ganz überzeugt.

»Ja«, sagte ich nickend. »Sie werden schon sehen.«

Natürlich hätte ich meinen Posten sofort verlassen und mich ins Abenteuer stürzen können. Sir Juffin wirkte so froh, als er von meiner baldigen Abreise erfuhr, als wäre ich nicht sein Lieblingsmitarbeiter, sondern seine verhasste alte Tante.

»Das klingt toll, wirklich«, sagte mein Chef und lächelte verträumt. »Du bekommst frische Luft und die angenehme Gesellschaft der klügsten Mitarbeiter der Stadtpolizei. Auch wenn sie dir allenfalls schüchtern in die Augen schauen werden. Ich würde am liebsten selbst mitfahren.«

»Machen Sie's doch«, meinte ich. »Was hindert Sie daran?«

»Mich hat keiner gebeten mitzukommen«, antwortete Juffin schmollend. »Diese blöden Polizisten haben vergessen, mich zum Picknick einzuladen. Und ich bin stolz und möchte mich nicht aufdrängen.«

Ich konnte es mir nicht verkneifen, Juffin zu fragen: »Warum freuen Sie sich eigentlich so darüber, dass ich wegfahre? Wollen Sie mich los sein?«

»Ach was«, meinte Juffin und winkte ab. »Es ist sehr nett mit dir. Aber ich hatte in letzter Zeit Angst, du würdest Urlaub beantragen, und wenn du nun in den Wald fährst, wird dein Gewissen das sicher nicht zulassen.«

»Ich? Urlaub beantragen?«, fragte ich und verzog das Gesicht. »Auf keinen Fall. Länger als drei Tage ohne Arbeit würde ich nicht aushalten. Dann würde ich nur Trübsal blasen und über mein gebrochenes Herz und meine verlorene Jugend jammern. Da können Sie beruhigt sein.«

»Umso besser. Aber ich bin gespannt, wie du in ein paar Jahren darüber denken wirst.«

»Genau wie Sie. Wann waren Sie das letzte Mal im Urlaub? Vor fünfhundert Jahren, als Sie noch jung und dumm waren?«

Juffin räusperte sich erstaunt: »Das liegt keine fünfhundert Jahre zurück, sondern ... Jetzt reicht's mir aber! Du musst im Wald auf jeden Fall vorsichtig sein. Wenn dir dort tatsächlich ein von den Toten Auferstandener begegnet, wirst du bestimmt mit ihm fertig. In letzter Zeit ist das ja dein Spezialgebiet geworden.« Er lächelte tückisch, musterte mich und schüttelte den Kopf. »Wie auch immer - du wirst die Sache schon schaukeln. Auch wenn es sich um eine einzigartige Räuberbande handelt. Ich möchte dich allerdings bitten, keine Waffen zu benutzen, aber mit denen kannst du ja sowieso nicht umgehen. Und pass auf, dass du nicht in die Schusslinie gerätst - sonst wirst du noch zur Zielscheibe. Jedenfalls fürchte ich, dass dieser Fall nicht einfach wird.«

»Haben Sie eine Vorahnung?«

»Das nun nicht gerade. Ich kenne nur die Geschichte des rothaarigen Sir Dschifa. Er hat mich mal gebeten, für mich arbeiten zu dürfen. Damals war ich noch der Jäger aus Kettari und nicht der Ehrwürdige Leiter des Kleinen Geheimen Suchtrupps. Dschifa war ein sehr romantischer junger Mann, aber leider ganz untalentiert. Er eignete sich nicht für das, was ich tat, und ich musste ihn abwimmeln.«

»Den Jäger aus Kettari würde ich gern kennen lernen«, sagte ich und seufzte verträumt. »Den kann ich mir gar nicht vorstellen.«

»Warum nicht? Ich hab doch seither keine Metamorphose durchgemacht. Ich sehe nur etwas älter und vielleicht seriöser aus. Außerdem schlafe ich inzwischen besser.«

»Verstehe. Könnten Sie mir mehr über den untalentierten Dschifa erzählen? Worum ging es damals eigentlich genau?«

Juffin zuckte die Achseln. »Dschifa? Weißt du, Max, solche Leute nehmen immer ein böses Ende. Zuerst versuchte er, mit großem Elan zu zaubern - im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten natürlich. Dann merkte er, dass es nicht klappte, und musste pausieren. Später überfiel er erst junge, dann ehemalige Magister, bis die ihn schließlich umbrachten. Dieser Mann hat durchaus das Zeug, als Wiedergänger von den Toten aufzuerstehen und auf diese Weise zu einem traurigen Postskriptum in seiner Biografie zu kommen«, sagte mein Chef und betrachtete den dösenden Buriwuch. »Kurusch, mein Kluger, was wissen wir über den Tod von Sir Dschifa Savancha? Na los, wach auf!«

Kurusch plusterte sich auf und öffnete die runden Augen.

»Ihr Menschen seid ungeduldige Leute«, sagte der kluge Vogel streitlustig. »Ich will zuerst eine Pirogge.«

»Gleich bekommst du eine«, versprach ihm Juffin. »Max, für dich auch zwei?«

»Mindestens drei.«

»Die Piroggen kommen gleich«, versprach uns Juffin. »Und jetzt erzähl, mein kluger Vogel. Mich interessieren allerdings nur die Leute, die etwas mit den alten Orden zu tun hatten.«

»Sir Pefuta Jongo, ein jüngerer Magister des Ordens der Löcherigen Tasse«, begann Kurusch.

Juffin musste lächeln: »Oho, ein früherer Kollege unseres Mitarbeiters Lonely-Lokley! Über den kannst du dich sicher mit Sir Schürf unterhalten, Max. Sprich weiter, süßer Vogel.«

»Sir Chonti Tufton und Sir Abaguda Tschenels, zwei jüngere Magister des Ordens der Klaren Zeit.«

»Ah ja, zwei Zöglinge von unserem Sir Maba! Toll!«

»Sir Pichpa Schun«, setzte Kurusch ungerührt fort, »ein jüngerer Magister vom Orden des Bellenden Fischs.«

Juffin verzog unzufrieden das Gesicht, sagte aber nichts.

»Sir Bubuli Dschola Gjoch, ein jüngerer Magister vom Orden der Gitter und Spiegel; Sir Jofla Kumbaja, ein jüngerer Magister vom Orden des Schlafenden Schmetterlings; Sir Altafan Mall, ein jüngerer Magister vom Orden der Kupfernadel. Das war's. Wo ist die Pirogge?«

»Hinter der Tür, mein Süßer.«

In diesem Moment öffnete sich die Tür. Ein verschlafener Bote trat mit einem vollen Tablett ein und verschwand rasch wieder im dunklen Korridor.

»Und?«, fragte ich fünf Minuten später mit vollem Mund.

»Was und?«, fragte mein Chef und aß seelenruhig weiter.

»Ist Ihnen etwas aufgefallen?«

»Ja und nein. Fahr ruhig zu deinem Picknick, Max. Wenn du Fragen hast, kannst du dich ja per Stummer Rede mit mir in Verbindung setzen.«

»Na schön«, sagte ich. »Sie wollen offenbar nicht, dass ich gewisse Dinge erfahre. Dann bleibe ich eben dumm. Solange ich im Wald bin, müssen Sie darunter ja nicht leiden. Übrigens, Kurusch, mein kluger Vogel: Sagt dir der Name Ande Pu etwas? Er ist Chefreporter der Königlichen Stimme - sofern er mich nicht angelogen hat.«

»Das tut ihr Menschen ja oft«, sagte Kurusch stoisch. »Ich glaube nicht, dass er Chefreporter ist, denn ich habe bisher noch nichts von ihm gehört. Und ich kenne die Kurzbiografien aller wichtigen Persönlichkeiten von Echo. Aber vielleicht solltest du dich an das Große Archiv wenden, Max. Mit Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab.«

»Wie wichtig ihr zwei euch nehmt! Das ist ja zum Verrücktwerden!«, seufzte ich. »Und die Leute im Großen Archiv schlafen bis zum Mittagessen. Ich werde es also schwer haben, mich zu informieren. Na schön, ich geh jetzt in die Heia.«

»Das hättest du schon lange tun sollen«, meinte Juffin. »Du hast Ringe unter den Augen und eingefallene Wangen.

Und das, obwohl du nicht gerade wenig isst. Ich kann dich nicht länger ansehen. Also verschwinde.«

»Die hohlen Wangen kommen vom gestrigen Frühjahrsputz. Mit diesen Händen habe ich alles sauber gemacht«, sagte ich und wedelte vor Juffins Nase herum.

»Das glaube ich dir gern. Es hätte mich gewundert, wenn du dir wie jeder normale Mensch jemanden zum Putzen genommen hättest. Schlaf gut, Max. Und komm morgen noch mal vorbei, um dich zu verabschieden.«

Ich schlief gut und tief und hatte süße Träume, erwachte aber seltsam schlecht gelaunt. Ich ging nach unten, und wer saß im Wohnzimmer? Ande Pu! Er hockte bescheiden auf der Kante eines Stuhls, trug meinen alten, warmen Lochimantel und sah versonnen vor sich hin. Ella lag schnurrend auf seinem Schoß, Armstrong zu seinen Füßen. Allem Anschein nach hatten meine Tiere sich nicht nur in meinen Besucher verliebt, sondern wollten ihn auch vor eventuellen Wutanfällen meinerseits schützen.

»Hallo, ihr drei! Wenn ich störe, verschwinde ich gleich wieder«, sagte ich von der Türschwelle her.

Ella miaute leise. Armstrong kam zu mir geschlendert und rieb den Rücken an meinen Beinen. Ich hatte den Eindruck, er wollte mir sagen: Keine Sorge, Max. Wir dulden dich. Du bist gar nicht so schlimm, aber du musst uns jetzt füttern.

»Ich bitte um Verzeihung, Sir Max, dass ich mir erlaubt habe, einfach so vorbeizukommen, aber es ging nicht anders.«

»Schon gut«, meinte ich abwinkend. »Wenn ich erst gebadet habe, bin ich wieder nett. Du hast eine Menge riskiert. Morgens bin ich nämlich viel schlimmer als allgemein vermutet. Du hast nur Glück, dass mein kleines süßes Mädchen so verrückt nach dir ist«, sagte ich und wies mit dem Kopf auf Ella, die Ande Pu offenbar für ihr neues Kissen hielt.

Im Badezimmer kehrte meine gute Laune langsam zurück. Die ersten anderthalb Stunden nach dem Aufwachen bin ich nicht gerade gesellig und habe absolut keine Lust, Gäste zu empfangen. Gleich wird er mir noch sagen, dass er keine Wohnung besitzt, dachte ich finster. Und dass ich doch so viele leere Zimmer habe. Und dass er hungrig ist. Am Ende wird er mich bitten, meine Zahnbürste benutzen zu dürfen, und nicht mal mein Todesmantel kann mich dann noch schützen.

Doch als ich in die fünfte Wanne stieg, verschwand meine Gereiztheit. In der sechsten Wanne war ich schon harmlos, und in der siebten sehnte ich mich bereits, meine morgendliche Kamra in Gesellschaft zu trinken. Die achte Wanne ließ ich aus, weil mich die Prozedur zu ermüden begann. Stattdessen zog ich mich an und ging ins Wohnzimmer.

Jetzt lagen schon beide Katzen auf Ande Pus Schoß. Wie konnte der Arme diese schwere Last überhaupt ertragen? Ich war hin und weg und meldete mich per Stummer Rede beim Wirt des Gefräßigen Truthahns, denn ich brauchte dringend frische Kamra und Gebäck. Was hätte ich sonst tun sollen?

»Und?«, fragte ich Ande. »Was gibt's denn so Dringendes?«

»Ach, Sir Max! Ich ...«, begann Ande Pu.

»Wir wollten doch ohne >Sir< auskommen. Merk dir das endlich, denn solche Fehler sind Gift für meine Laune.«

»Sie klopfen vielleicht Sprüche!«, meinte Ande Pu erstaunt. »Aristokraten würden sich anders verhalten.«

»Ich bin aber kein Aristokrat. Ich bin was Besseres«, sagte ich hochnäsig. »Erzähl mir lieber, was los ist. Hat wieder jemand einen deiner Artikel abgelehnt? Du bist übrigens gar nicht Chefreporter der Königlichen Stimme - ich hab das geprüft. Aber du kannst beruhigt sein: Ich an deiner Stelle hätte auch so geprahlt. Doch merk dir für die Zukunft, dass man mich nicht unbedingt belügen sollte. Wie du es mit anderen hältst, ist mir gleich.«

Ande Pu schlürfte einen großen Schluck Kamra und seufzte.

»Ich hätte Ihnen doch unmöglich sagen können, dass ich einfach so vorbeigekommen bin. Dann hätten Sie gar nicht erst mit mir reden wollen. Ich arbeite tatsächlich ab und zu für die Königliche Stimme. Sie können mir glauben: Dort strengen sich alle festen Mitarbeiter gewaltig an, so gut zu schreiben wie ich. Aber sie haben gegen mich intrigiert, und Sir Rogro will mir keinen Vertrag geben. Da hab ich zufällig erfahren, dass die Königliche Stimme einen Bericht über Ihre Katzen bringen will, dass sich aber niemand zu Ihnen traut. Also hab ich mir gedacht: Das lass ich mir nicht entgehen. Schließlich hab ich nichts zu verlieren. Früher hab ich mich nicht mit solchen Kleinigkeiten beschäftigt. Das können Sie mir glauben«, sagte Ande Pu kopfschüttelnd und dachte lächelnd an seine gute alte Zeit.

»Ach so«, sagte ich, ließ die Hände knacken und goss mir noch eine Tasse Kamra ein. »Das versteh ich. Aber jetzt erzähl mir endlich dein Problem. Ich muss nämlich gleich zur Arbeit - Menschen umbringen.«

»Sie klopfen immer unglaublichere Sprüche!«, meinte Ande.

Einmal mehr war mir nicht klar, ob er das im Scherz gesagt hatte oder ob er meine Worte wirklich ernst nahm. Dann machte er sich daran, mein Geschirr umzuräumen. Nach einigen Minuten stand eine kühne Komposition aus Geschirr und Essensresten auf meinem Tisch. Ich wartete geduldig.

»Eigentlich habe ich Ihnen schon lange davon erzählen wollen. Ja, ich hab endlich tatsächlich die Aussicht, Reporter der Königlichen Stimme zu werden.«

»Wirklich?« Ich begann langsam zu begreifen. »Du hast Rogro Schill also erzählt, dass wir befreundet sind? Das durftest du ruhig. Damit hab ich kein Problem.«

»Wissen Sie, ich dachte, das wäre meine einzige Chance«, murmelte Ande schuldbewusst. »All die Leute mit Festanstellung leben wie die Made im Speck. Besonders die, die an der Chronik arbeiten oder über Verbrechen berichten. Die bekommen ein dickes Gehalt und obendrein noch Zeilenhonorar! Für jeden Buchstaben kriegen die so viel wie ich für eine Spalte! Und heute bin ich zu meinem Chef gegangen und hab ihm gesagt, dass ich Sie jeden Tag besuchen darf.«

»Hast du »jeden Tag« gesagt?«, fragte ich erschrocken.

»Ja, hab ich - um ihn dazu zu bringen, mich einzustellen. Aber wir brauchen uns natürlich nicht jeden Tag zu sehen«, sagte Ande großzügig. »Allerdings hat mein Chef mir ohnehin nicht abgekauft, dass ich bei Ihnen ein und aus gehe. Dafür hat schon wieder dieses Ekel gesorgt, mein ehemaliger Mitstudent Jofla Baba nämlich. An der Uni war er immer still, aber inzwischen kriecht er Sir Rogro in den Hintern. Hätte er keine Gerüchte über mich verbreitet, hätte ich schon lange einen Vertrag in der Tasche. Und heute hat er Sir Rogro wieder zu verstehen gegeben, dass ich alles, was ich über die Katzen geschrieben habe, von deinen Nachbarn erfahren hab.«

»Er weiß offenbar nicht, dass ich keine Nachbarn habe.«

So war es wirklich: Die Häuser in der Nachbarschaft standen allesamt leer. Die Straße der gelben Steine war eine der neuesten von Echo. Außerdem waren die Immobilien dort sehr teuer und verkauften sich schlecht.

Es gibt Dinge, die ich mag, und andere, die ich nicht ertragen kann, und manchmal tauschen diese Dinge ihren Platz. Aber Leute wie Baba hasse ich seit eh und je. Ich betrachtete Ande Pu aufmerksam. Diesmal hatte er sich bestimmt nichts ausgedacht. Menschen wie mein neuer Freund haben immer eine Schar von Leuten um sich, die ihnen übel wollen.

»Außerdem wollte Sir Rogro Beweise. Ich hab ihm gesagt, er könnte sich ja per Stummer Rede bei Ihnen melden, aber das wollte er nicht. Ich glaube, dieser Blödmann hat selber Angst vor Ihnen«, meinte Ande.

»Und das ist auch gut so«, sagte ich und lächelte matt. »Was meinst du? Soll ich mich bei ihm melden?«

»Das wäre eine gute Idee«, meinte Ande Pu erfreut. »Tun Sie das per Stummer Rede?«

»Damit der Arme einen Herzinfarkt bekommt? Gute Idee - das mache ich.«

»Max, Sie sind toll, absolut toll!«

Offen gestanden freute ich mich über dieses Kompliment.

Ich trank meine Kamra aus, stellte die Tasse auf den Tisch und versuchte, mich an Rogro Schill zu erinnern. Ich war ihm nur einmal kurz begegnet: Am letzten Tag des Jahres war er wie ich in der Königlichen Kanzlei erschienen und hatte der Verleihung der Orden und Auszeichnungen beigewohnt, die der König zum Jahreswechsel vornahm. Solche oberflächlichen Bekanntschaften begünstigen den Kontakt per Stummer Rede nicht gerade, aber ich probierte es trotzdem, und es klappte.

»Guten Tag, Sir Rogro. Hier spricht Sir Max, das Nachtantlitz des Kleinen Geheimen Suchtrupps«, stellte ich mich trocken vor. »Ich treffe mich wirklich ab und an mit Herrn Ande Pu und werde es auch in Zukunft tun. Glauben Sie jetzt endlich, dass er Ihnen die Wahrheit gesagt hat?«

»Aber selbstverständlich, Sir Max. Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie einem unserer fest angestellten Mitarbeiter so viel Aufmerksamkeit schenken.«

Mir wurde klar, dass dieser Rogro Schill eine harte Nuss war. Die knappen Worte, in denen er mir zu verstehen gegeben hatte, dass mein Protege gute Aussichten besaß, zeigten meiner Meinung nach, dass er ein sehr erfahrener Journalist war.

»Prima, Sir Rogro. Es tut mir leid, Sie gestört zu haben, aber ich hasse Ungerechtigkeit.«

»Ich bin selber schuld. Ich muss einfach mehr Vertrauen zu den Menschen haben«, meinte Sir Rogro nachdenklich.

»Besser nicht. Behandeln Sie den Fall lieber als Ausnahme. Gute Nacht! Und entschuldigen Sie bitte nochmals die Störung.«

»Aber Sir Max! Es war mir eine Ehre! Ihnen auch eine Gute Nacht!«

Wir schienen beste Freunde zu sein.

»Das war's«, sagte ich mit Nachdruck zu dem aufgeregten Ande. »Ich bin ein viel beschäftigter Mensch und du auch. Geh also jetzt deinen Vertrag unterschreiben und pass auf, dass auch dein Gehalt anständig ausfällt - mindestens das Doppelte von dem, was die anderen bekommen. Aber ich verbiete dir, ohne meine Zustimmung etwas über mich zu veröffentlichen. Wenn ich so ein Glanzstück wie dein Rendezvous mit dem Tod in der Zeitung sehe, bringe ich dich eigenhändig um. Verstanden?«

»Natürlich«, sagte Ande und nickte eifrig. »Sie sind wirklich ungemein wortgewandt, Max. So wie Sie reden, haben Sie den Alten vorhin bestimmt in die Ecke getrieben.«

Er setzte vorsichtig erst den gähnenden Armstrong, dann die dösende Ella auf den Boden. Die Katzen sahen uns aus großen blauen Augen aufmerksam an, vergewisserten sich, dass ich ihren neuen Liebling nicht bedrohte, und gingen dann langsam zu ihren Näpfen.

Ich musste Ande mit dem A-Mobil zur Zeitung bringen. Von meinem Haus in der Neustadt hätte er zu Fuß zwei Stunden gebraucht. Natürlich fuhr ich Höchstgeschwindigkeit, doch der Junge blieb tapfer und saß reglos auf dem Beifahrersitz. Womöglich betete er ja. Aber das glaube ich kaum. Die Bewohner von Echo brauchen für ihr lustiges Dasein keinen Gott.

Schließlich gelang es mir, meinen neuen Freund zu verabschieden. Er ging in die Redaktion, um seine Lorbeeren zu ernten, und ich fuhr zum Haus an der Brücke. Alle meine Wege führen dorthin.

»Guten Tag, Max«, sagte Lady Melamori und stand auf, als sie mich sah. Dann überlegte sie es sich anders und ließ sich wieder in ihren Sessel fallen. »Es heißt, du verlässt die Stadt mit ein paar Leuten von der Polizei.«

»Stimmt«, sagte ich. »Von wem hast du das gehört?«

»Schichola und Kamschi haben es mir erzählt. Und alle anderen sprechen fast über nichts anderes. Glaubst du, da draußen im Wald passiert wirklich etwas Interessantes?«

»Ich glaube gar nichts. Das ist nicht mein Metier«, antwortete ich lächelnd. »Ich lass mich einfach überraschen. Magst du vielleicht mitkommen? Ich kann dir ein nettes Picknick versprechen. Und ich vermute, Juffin hätte nichts dagegen. Du könntest uns behilflich sein und den Räubern auf die Spur treten.«

Lady Melamori schaute mich ehrerbietig und zugleich verlegen an, und mein Herz setzte kurz aus. Zeit heilt alle Wunden, aber leider nicht gerade schnell.

»Natürlich hab ich nichts dagegen«, sagte Sir Juffin, der gerade ins Zimmer kam. »Ein bisschen Praxis kann Ihnen nicht schaden, Lady. Und sehen Sie Max nicht so skeptisch an. Er hat Ihnen nur einen Vorschlag gemacht. Da wir versprochen haben, den Leuten von der Polizei zu helfen, sollten wir es auch ernst meinen damit. Warum sollte nur der grausame Max mit den Polizisten durch den Wald ziehen und die Räuber aufspüren?«

»Sie brauchen mich nicht erst zu überzeugen. Natürlich fahre ich mit, und zwar mit Vergnügen!«

Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ein Mensch eine so traurige Stimme mit einem so fröhlichen Gesicht kombinieren konnte. Aber Lady Melamori gelang das blendend.

»Geh nach Haus, um dich zu erholen«, riet ich ihr. »Wir fahren eine Stunde vor Sonnenaufgang. Das ist vielleicht nicht die beste Zeit, um aufzustehen, aber ich kann nichts dafür. Wenigstens werde ich alle Teilnehmer unseres Ausflugs mit Kachar-Balsam versorgen.«

»Dafür wirst du vermutlich meine Flasche nehmen«, mischte sich Juffin ein. »Deine lässt du ja immer zu Hause - angeblich aus Zerstreutheit.«

»Tja«, meinte ich und zog ein schuldbewusstes Gesicht.

»Kamschi hat doch gesagt, wir fahren ein, zwei Stunden nach Mitternacht«, bemerkte Lady Melamori.

»Ja, das hat er. Aber du hast nicht bedacht, dass ich das A-Mobil steuere. Also sind wir mindestens viermal schneller da, als Kamschi und Schichola vermuten. Ich will hundertzwanzig, hundertdreißig Meilen pro Stunde schaffen.«

»Nach dieser Reise wird euer A-Mobil in so kleine Stücke zerfallen«, meinte Sir Juffin und zeigte mit Daumen und Zeigefinger einen Abstand von etwa zehn Zentimetern. »So war es schließlich schon nach der Rückkehr aus Kettari.«

»Von wegen, Sir Juffin! Damals hab ich dreihundert Meilen pro Stunde geschafft«, sagte ich und lächelte bescheiden. »Ich wollte Sir Schürf so schnell wie möglich nach Hause bringen, um zu verhindern, dass er in ein gefährliches Abenteuer geriet. Na schön, ich gehe jetzt ins Große Archiv. Ich muss endlich wissen, wen ich auf dem Hals habe.«

»Meinst du den Jungen, nach dem du dich bei Kurusch erkundigt hast?«, fragte Juffin interessiert. »Wie ist er eigentlich an dich geraten?«

»Gute Frage. Am besten erkundige ich mich bei Lukfi Penz nach ihm. Ande Pu ist ein lustiger Mensch.«

»Lustig mag er sein, aber versuch trotzdem, alles über ihn herauszufinden«, sagte mein Chef. »Und erzähl es mir.«

»Bei passender Gelegenheit mache ich Sie mit ihm bekannt. Er wird Ihnen sicher gefallen. Bis später, Melamori. Ich hol dich ab.«

»Ja, komm vorbei. Und vergiss deine Flasche Kachar-Balsam nicht. Am frühen Morgen kann diese kostbare Flüssigkeit wirklich nicht schaden.«

»Meine Flasche liegt irgendwo bei mir zu Hause. Ich hab keine Ahnung, wo, aber der Schreibtisch meines Chefs hat eine Schublade, in der ...«, sagte ich lächelnd, wandte mich an Juffin und klopfte mir zweimal mit dem rechten Zeigefinger an die Nasenspitze. Das war eine berühmte Geste aus Kettari, die bei den praktisch veranlagten Bewohnern der kleinen Stadt bedeutete: Zwei kluge Menschen können sich immer verständigen. Juffin lächelte breit und klopfte sich ebenfalls an die Nase.

Melamori verfolgte unser Ritual misstrauisch. Vielleicht hätte sie uns gern zum Arzt gebracht, doch sie sagte nichts.

Dann verabschiedeten wir uns. Ich ging ins Große Archiv, musste mich allerdings beeilen, da die Sonne schon dicht überm Horizont stand. Ich wusste zwar nicht, was die Buriwuche in der Nacht trieben, aber wenn es dunkel war, erledigten sie keine Anfragen mehr.

»Sir Max, ich freue mich, Sie wiederzusehen. Wir haben uns lange nicht getroffen.«

Lukfi Penz eilte mir entgegen und machte mir die Tür auf. Zwar hatten wir uns zwei Tage zuvor gesehen, aber offenbar besaß er ein anderes Zeitgefühl als seine Umgebung.

»Guten Abend, Lukfi, guten Abend, ihr Klugen«, sagte ich und verbeugte mich vor den Vögeln. »Ausnahmsweise bin ich mit einem persönlichen Anliegen zu euch gekommen. Lukfi, seien Sie bitte so gut und fragen Sie Ihre klugen Tiere, was sie über einen gewissen Ande Pu wissen. Wenn er mich nicht belogen hat, war er bis vor einiger Zeit am Hof tätig und ist dort nach einem Skandal rausgeflogen. Ich hab ihm eine Festanstellung bei seinem Chef Rogro Schill besorgt und frage mich nun, ob das richtig war. Vielleicht wird Schill mich deswegen in ganz Echo jagen.«

»Aber Sir Max, wer würde es wagen, sich mit Ihnen zu streiten? Außerdem bekämpft Rogro schon lange niemanden mehr. Er ist zahm geworden«, antwortete Lukfi sehr ernsthaft.

Dann wandte er sich an einen Buriwuch. »Schpusch, mein Lieber, erzähl Sir Max von Ande Pu. Wenn ich nicht irre, bist du für Informationen über die Höflinge zuständig.«

»Du irrst dich nie«, sagte der Vogel nickend. »Dossier über Ande Pu, geboren in Echo am 222. Tag des 3162. Jahres der Ordensepoche.«

Ich rechnete schnell im Kopf nach. Die Ordensepoche endete im Jahre 3188, und jetzt hatten wir das 116. Jahr der Epoche des Gesetzbuchs. Ande Pu war also gut hundertvierzig Jahre alt und damit etwas älter als Melifaro, der am ersten Tag der Epoche des Gesetzbuchs geboren worden war. Ich hatte mich daran gewöhnt, Melifaro als jemanden zu betrachten, der etwas jünger war als ich. In Echo nämlich endet die Jugend mit etwa neunzig Jahren, und Melifaro war - so seltsam das klingen mag - nach hiesigen Maßstäben tatsächlich etwas jünger als ich. Deshalb durfte ich Ande Pu wohl für einen Gleichaltrigen halten. Diese ganze Rechnerei machte mich langsam verrückt. Ande war also so alt wie ich, hatte in Echo aber so wenig Erfolg gehabt wie ich in meiner alten Heimat. Schluss mit diesen trüben Gedanken, sagte ich mir dann und hörte wieder dem Buriwuch zu.

»Sein Großvater Sochma Pu und sein Vater Tschorko Pu sind im Jahre 2990 der Ordensepoche von einer Insel im Ukumbischen Meer nach Echo gekommen. Informationen über ihre Vergangenheit liegen nicht vor, doch es ist bekannt, dass die Bewohner dieser Inseln vor allem Piraten waren.«

»Das waren sicher Spießgesellen von Henry Morgan«, meinte ich und stieß einen leisen Pfiff aus.

»Henry Morgan?«, fragte Lukfi interessiert.

»Ach, das war nur ein Räuber bei uns in den Leeren Ländern. Aber verzeih, Schpusch. Mach bitte weiter.«

»Kein Problem«, sagte der Buriwuch wohlwollend. »Ihr Menschen unterbrecht uns Vögel ohnehin ständig ... Zuerst hat Sochma Pu das Haus Nr. 22 in der Straße der runden Dächer gekauft und dort mit seinem Sohn gelebt. Im Jahr 3114 der Ordensepoche wurde Tschorko Pu Chefkoch der Residenz des Ordens der Grünen Monde.«

»Ist das nicht der Orden, in dem Magister Mener Gjusot tätig war?«, fragte ich, um sicherzugehen, dass ich mich nicht täuschte. »Der Mann, der die Fetane so leidenschaftlich bekämpfte, Hauptfeind des Ordens des Siebenzackigen Blatts war und schließlich Selbstmord beging? Er war mal mein Nachbar und hat mir ein paar sehr abwechslungsreiche Nächte bereitet.«

••Soll ich weitermachen, oder haben Sie schon erfahren, was Sie wissen wollten?«

»Entschuldige, mein Lieber - erzähl bitte weiter.«

»Der große Magister Mener Gjusot war ein Bewunderer der ukumbischen Küche. Das führte dazu, dass sein Koch Tschorko Pu bei ihm ein gutes Leben hatte. Im Jahre 3117 der Ordensepoche begann Sochma Pu sogar, bei seinem Sohn als Küchenhilfe zu arbeiten. Der Orden hatte damals starken Zulauf, und nicht nur in der Küche fehlten Arbeitskräfte. Im Jahre 3148 hat Tschorko Pu Frau Chesa Ruma aus Echo geheiratet. Ihre Familie ...«

»Zu den Magistern mit ihrer Familie, Schpusch! Erzähl mir lieber etwas über Ande Pu selbst.«

»Wie gesagt, er wurde am 222. Tag des 3162. Jahres der Ordensepoche geboren. Von Geburt an hat er im Haus der Eltern seiner Mutter gelebt, weil Kinder auf dem Gelände des Ordens nicht erlaubt waren. Am 233. Tag des 3183. Jahres wurde die Residenz des Ordens der Grünen Monde von der mit dem Orden des Siebenzackigen Blatts vereinigten königlichen Armee zerstört. Sochma und Tschorko Pu und Chesa Ruma kamen dabei zu Tode. Ande überlebte im Haus seiner Großeltern. Im zweiten Jahr der Epoche des Gesetzbuchs wurde ein königliches Dekret erlassen, das Verwandten von Opfern der Traurigen Zeit eine Reihe von Privilegien gewährte. Dank dieses Gesetzes konnte Ande Pu an der königlichen Universität studieren, die er als einer der Besten seines Jahrgangs verließ.«

Ich stieß erneut einen Pfiff aus. An dieser Universität studiert man im Schnitt sechzig Jahre. Wahnsinn! Aber ich sagte nichts dazu, und der Buriwuch fuhr fort.

»Nach seinem glänzenden Examen hatte Ande Pu kein Problem, einen interessanten Posten bei Hofe zu bekommen.«

Offenbar hat Pu mich also nicht angelogen, dachte ich.

»Im Jahre 68 der Epoche des Gesetzbuchs wurde Ande Pu wegen des Ausplauderns von Interna des Königshofs verurteilt. Er verlor seine Rentenansprüche und darf nie wieder bei Hofe eingestellt werden. In diese Angelegenheit war auch ein Reporter namens Kuom Manio von der Zeitung Trubel von Echo verwickelt, für den die Angelegenheit aber straffrei ausging. Seit dem Jahre 68 lebt Ande Pu in dem Haus, das er von seinen Großeltern geerbt hat. Er hat keine feste Anstellung und hat sich bis zum Jahre 88 mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser gehalten. Dann hat er wegen seiner Schulden die Hälfte des Hauses an die Familie Pela abtreten müssen. Ab und zu schreibt er Artikel für die Königliche Stimme und ist ein paar Mal wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet worden. Er ist keiner größeren Verbrechen verdächtig. Das war's«, sagte der Buriwuch und wandte sich an Lukfi: »Sei so lieb und gib mir ein paar Nüsse.«

»Vielen Dank, Schpusch«, sagte ich und stand auf. »Ich kann deine Informationen ergänzen. Welchen Tag haben wir heute?«

»Den 113.«, antwortete Sir Lukfi.

»Natürlich ... Am 113. Tag des 116. Jahres wurde Ande Pu auf Anweisung des Chefredakteurs Rogro Schill bei der Zeitung Königliche Stimme als Reporter eingestellt. Das ist das Neueste über ihn, und ich habe für diese Anstellung gesorgt. Nochmals vielen Dank, Sir Lukfi. Besuchen Sie mich doch am Abend mal auf eine Tasse Kamra. Wenn man Sie nicht ausdrücklich einlädt, kommen Sie ja nie vorbei.«

»Vielen Dank, Sir Max«, sagte Lukfi lächelnd. »Aber Sie könnten auch mal bei mir und meiner Frau Warischa vorbeisehen. Es heißt, ihr Wirtshaus Der dicke Mann in der Kurve sei eins der besten in Echo. Ich würde die Küche meiner Frau nicht loben, wenn ich nicht von ihrer Kochkunst überzeugt wäre.«

»Das weiß ich doch, Sir Lukfi. Und ich hätte Sie längst besuchen sollen. Wie unhöflich von mir. Übrigens sind wir inzwischen Nachbarn. Ich wohne jetzt nämlich auch in der Neustadt. Wenn ich aus dem Wald von Mahagon zurück bin, besuche ich Sie sicher bald.«

»Machen Sie dort Urlaub?«, fragte Lukfi höflich.

»Ja, aber ich gehe dort auch auf die Jagd - in Begleitung von Lady Melamori und von zwölf Männern unserer Stadtpolizei.«

»Sie haben wirklich ein interessantes Leben!«, rief er.

Mit diesen netten Floskeln verabschiedeten wir uns.

Kurz darauf ging ich mit Sir Juffin essen und erzählte ihm etwa eine Stunde lang von Ande Pu. Mein Chef mochte die Geschichte, ohne dass mir klar geworden wäre, ob er eher an meinem Erzählen oder an Andes Biografie Gefallen fand.

Dann ging Juffin heim, und ich kehrte ins Haus an der Brücke zurück. Im Büro stieß ich auf Lonely-Lokley. Er ging unruhig auf und ab. Seine Miene war ungerührt wie immer, seine Hände steckten in großen Handschuhen, und sein schneeweißer Lochimantel schleifte über den Boden.

Das war ein hübscher Anblick, und ich schüttelte bewundernd den Kopf.

»Wo warst du, Schürf? Ich hab dich seit Tagen nicht gesehen.«

»Wo werde ich wohl gewesen sein?«, fragte Lonely-Lokley achselzuckend. »Ich hab im Büro gesessen und gearbeitet. Du bist es doch, der durch die ganze Stadt tigert. Mir ist sogar zu Ohren gekommen, dass du General Bubuta besucht hast. Willst du etwa auch in den Wald von Mahagon fahren?«

»Ja, das weißt du doch.«

»Aber ich weiß nicht, was du tun wirst, wenn plötzlich der tote Dschifa auftaucht. Willst du ihn anspucken? Ich an deiner Stelle wäre damit vorsichtig, denn das wirkt nur bei Lebenden. Hast du eine Idee, wie du ihn besiegen kannst?«

»Nein. Eigentlich wollte ich, dass du mit der Polizei losziehst, aber Hauptmann Schichola meinte, er würde sich sicherer fühlen, wenn ich seine Truppe begleitete. Und auch Juffin hatte keine Einwände gegen meinen Einsatz.«

»Kunststück! Er will schließlich, dass du etwas Neues lernst. Aber ich hab da so eine Vorahnung. Deshalb wollte ich dich unbedingt noch vor deiner Abreise sprechen. Komm mit in mein Büro. Dort zeig ich dir einen Trick. Vielleicht lernst du ihn ja schnell - bei dir weiß man nie.«

»Gerne. Ich liebe Zaubertricks.«

Schürf schüttelte den Kopf und murmelte etwas in sich hinein. Dann gingen wir in sein Büro.

Das Arbeitszimmer von Sir Schürf ist ziemlich seltsam. Es ist groß und fast leer. Nur hinten in der Ecke stehen sein Schreibtisch und ein ungewöhnlich unbequemer Stuhl.

»Setz dich«, sagte Schürf und zeigte auf den Boden.

Lonely-Lokley zog die mir gut bekannte löchrige Tasse aus der Manteltasche und holte eine kleine Keramikflasche aus dem Schreibtisch. Dann überlegte er kurz und gab mir die Tasse.

»Halt mal, Max. In Kettari hast du aus dieser Tasse trinken können. Also klappt es hier auch.«

Gehorsam nahm ich die Tasse, und Schürf schenkte mir ein wenig dunkle Flüssigkeit ein. Aus den Löchern floss kein einziger Tropfen. Das brachte mich erneut zum Staunen.

»Das ist ganz normaler Wein, Max, aber ich hoffe, sein hohes Alter und meine löchrige Tasse zusammen bewirken das richtige Resultat. Obwohl man bei dir ja nichts mit Sicherheit sagen kann. Jetzt trink, aber rasch.«

Ich tat, wie mir geheißen. Der Wein schmeckte seltsam - er war etwas zu stark und etwas zu trocken. Na ja, an mir ist eben kein Weinkenner verloren gegangen.

Lonely-Lokley zog erst seine überdimensionierten Handschuhschoner, dann die berühmt-berüchtigten todbringenden Handschuhe aus, ging zum Schreibtisch, tat beide Paare in eine Schachtel und wandte sich wieder an mich.

»Siehst du die?«, fragte er und hielt mir seine zum Schnippen bereite Linke unter die Nase. »Jetzt mach einfach so!«, fuhr er fort und schnippte kaum merklich, aber laut. Ein kleiner Kugelblitz erschien auf seiner Handfläche, rollte durchs Zimmer und zersprang an der Wand in tausend Funken.

»Jetzt du!«, befahl er. »Denk nicht darüber nach, wie ich das geschafft haben mag, sondern tu es einfach!«

Der alte Wein aus der löcherigen Tasse machte ein Wunderkind aus mir, und ich konnte es Lonely-Lokley schon beim ersten Versuch nachtun. Mein Kugelblitz war allerdings grün und nicht blau wie der von Sir Schürf.

»So was sehe ich zum ersten Mal«, sagte er und schien fast erstaunt. »Das klappt schon ganz gut. Dein tödlicher Kugelblitz allerdings sieht etwas anders aus als meiner.«

»Du weißt doch, dass bei mir nicht alles ist wie bei anderen. Kann dieser Blitz eigentlich töten?«

»Und ob! Ich hoffe, davon überzeugst du dich bald selbst. Der tote Dschifa war eigentlich kein Magister, sondern nur ein mittelmäßiger Zauberer, und ich denke, du kannst ihn überlisten. Wenn du zurückkommst, erzähl mir bitte genau, wie der Blitz bei dir funktioniert hat. Ich hab den Eindruck, im Zaubern bist du ein Naturtalent. Gut, Max - ab und zu habe ich seltsame Vorahnungen, aber das bedeutet nicht immer etwas Böses. Doch geh bitte kein Risiko ein.«

»Einverstanden«, sagte ich nickend. Offen gesagt machten mir Schurfs Worte etwas Angst. »Juffin hat aber keine schlechten Vorahnungen, oder?«

»Wenn ja, würde er dich sicher nicht fahren lassen.«

Ich kehrte in mein Büro zurück und setzte mich gemütlich in meinen Sessel. Ich hatte keine Lust, über die Vorahnungen von Sir Schürf nachzudenken. Dafür hatte ich Appetit auf Kamra.

Als ich mir gerade die zweite Tasse eingeschenkt hatte, stand ein Bote in der Tür. Er war erschrocken, wie es alle Boten sind, die mit mir zu tun haben.

»Sir Max, ein seltsamer Mensch möchte mit Ihnen reden. Er steht vor dem Gebäude und will partout nicht reinkommen. Was soll ich tun?«

»Handelt es sich um einen rundlichen Herrn in dickem Lochimantel?«

»Ja, Sir.«

Der arme Bote hielt mich nun sicher für einen Hellseher.

»Sag ihm, ich bin im Büro. Wenn er nicht kommen will, kann er gern draußen bleiben und weiter von einem Bein aufs andere treten. Falls er es sich aber anders überlegt, führ ihn bitte zu mir.«

Eine Minute später erschien der Nachkomme ukumbrischer Piraten in der Tür meines Büros.

»Ich wollte mich nur bei Ihnen bedanken, Max. Alles ist sehr gut gelaufen. Das ist für Sie«, sagte er und zog ein Fläschchen aus der Tasche. »Das ist nicht irgendein alter Wein - der stammt noch aus dem Keller meines Großvaters.«

»Ist er noch aus Piratenzeiten oder aus den Beständen des Ordens der Grünen Monde? Wie dem auch sei - vielen Dank!«

»Woher wissen Sie das mit den Piraten und dem Orden der Grünen Monde?«

»Ich arbeite schließlich beim Kleinen Geheimen Suchtrupp! Warum hast du eigentlich nicht reinkommen wollen?«

»Hier gibt's einfach zu viele Bullen«, meinte Ande und blickte finster.

»Sag mal, wie willst du in der Zeitung über Verbrechen berichten, wenn du es nicht mal schaffst, das Gebäude der Stadtpolizei zu betreten?«

Ande schwieg. Ich gab ihm eine Tasse Kamra und bekam dabei eine Idee: »Hast du eigentlich einen Auftrag, oder bist du frei wie ein Vogel?«

»Ich muss entweder über Sie oder über den Kleinen Geheimen Suchtrupp schreiben. Aber das hat noch Zeit.«

»Prima. Ich fahre heute in den Wald von Mahagon, und du kommst mit. Ich reise in Gesellschaft einer netten Lady und einiger Polizisten, die du freilich Bullen zu nennen pflegst. So hast du Gelegenheit, dich an sie zu gewöhnen, und bekommst ein paar nette Eindrücke. Und wir haben Spaß mit dir. Später schreibst du einen Artikel über unseren gemeinsamen Sieg über die Räuberbande. Es sei denn, du wirst vorher erschossen - das Leben ist bekanntlich voller Überraschungen.«

»Soll das ein Witz sein?«, fragte Ande vorsichtig. »Die Bullen wollen bestimmt nicht, dass ich mitkomme.«

»Na und?«, fragte ich lächelnd. »Was denkst du, wie meine Beziehung zur Polizei aussieht?«

»Sie geben denen die Befehle, was?«, fragte Ande und begann langsam, die Zusammenhänge zu durchschauen. Nach seinen Erlebnissen mit der Polizei hatte der arme Junge offenbar die Einstellung, Bubutas Behörde sei die schlimmste und stärkste Kraft im Vereinigten Königreich. Diese Illusion musste ich ihm dringend rauben.

»Ja, ich gebe denen die Befehle. Also hab keine Angst. Wichtig ist nur, dass du auf dich aufpasst und dich auf keinen Streit einlässt. Und jetzt musst du dich entscheiden, ob du mitfahren willst oder nicht. Ich habe dir nur einen Vorschlag gemacht.«

»Gut«, sagte Ande und lächelte ein wenig. »Glauben Sie wirklich, ich stehe das durch?«

»Wenn ich das nicht glaubte, würde ich dir nicht Vorschlägen mitzukommen. Geh nach Hause und komm viereinhalb Stunden nach Mitternacht wieder. Deine Flasche trinken wir, wenn wir zurück sind. Ich hatte heute nämlich einen schweren Tag und muss morgen in aller Frühe A-Mobil fahren.«

»Aber ein Gläschen kann unmöglich schaden«, widersprach Ande.

»Doch, glaub mir. Ich brauche kühne und tapfere Leute um mich. Außerdem soll alles so sein, wie ich will, weil... nun ja, weil ich es will. Keine Sorge, Ande, wir trinken diesen guten Tropfen noch, aber später.«

Der Nachkomme von Köchen und Piraten verließ brav mein Büro. Seltsamerweise bat er mich nicht, ihn nach draußen zu begleiten. Das war bestimmt ein erster Schritt, zu einem guten Freund von Sir Max zu werden. Ich dachte mir, dass es eine gute Entscheidung war, diesen seltsamen Mann mitzunehmen. Er würde uns allen - vor allem aber mir - viel Spaß bereiten.

Am meisten aber freute ich mich darüber, Lady Melamori gegenüber in Gesellschaft von Ande Pu kein leuchtendes Beispiel mehr abgeben zu müssen. Ande war mir auf der Reise so unentbehrlich wie es Fruchtbonbons für jemanden sind, der sich das Rauchen abgewöhnt. Ich hoffte allerdings, dass Ande mir nützlicher sein würde als eine Tüte Drops.

Vier Stunden nach Mitternacht klopfte ich bei Melamori an der Haustür. In der Tasche hatte ich eine Flasche Kachar-Balsam, die ich aus Juffins Schreibtisch stibitzt hatte. Melamori öffnete sofort. Sie schien auf mich gewartet zu haben.

»Fahren wir schon?«, fragte sie ausgehfertig. Sie hatte ein müdes Gesicht - viel müder als sonst.

»Wie soll ich sagen ... Ich hatte damit gerechnet, dich aus dem Bett klingeln zu müssen. Jetzt haben wir noch etwas Zeit. Da können wir im Haus an der Brücke frühstücken. Ich hoffe, dir wird beim Wort Frühstück nicht übel. Immerhin hab ich das hier dabei«, sagte ich und reichte ihr die Flasche mit dem Kachar-Balsam.

»Vielen Dank, Max. Das ist sehr nett, denn ich habe keinen Tropfen mehr davon. Dumm, was?«

Melamori nahm einen kräftigen Schluck, und ihre Miene hellte sich deutlich auf.

»Gut, lass uns zum Haus an der Brücke fahren. Um diese Zeit kann man durchaus frühstücken.«

Im A-Mobil schwiegen wir. Allerdings dauerte unsere Fahrt auch nur drei Minuten. Ich raste wie ein Wahnsinniger, denn um diese Tageszeit waren die Straßen völlig leer.

Von unterwegs hatte ich mich im Fressfass gemeldet, und als wir ins Büro kamen, wartete das Frühstück schon im Korridor auf uns. Der Bote hatte sich nicht ins Büro von Sir Juffin und mir getraut. Melamori beschäftigte sich intensiv mit dem, was sie auf dem Teller hatte.

»Ich habe für unsere Expedition eine nette Überraschung«, sagte ich. »Ich hoffe, sie taucht bald auf.«

Auf die Schnelle erzählte ich Melamori die Geschichte des Piratennachkommen. Das war eine gute Idee, denn die hübsche Lady kicherte wie verrückt.

»Ich hab nur Angst, dass ich dem armen Sir Rogro keinen guten Dienst erwiesen habe. Ich wollte nur ein netter Mensch sein und jemandem etwas Gutes tun, dem das Schicksal übel mitgespielt hat.«

»Weißt du eigentlich, wer Rogro ist?«, fragte Melamori. »Er war Novize im Orden des Siebenzackigen Blatts und ein Held der Traurigen Zeit. Damals hat er an jedem Kampf teilgenommen, Hauptsache, es ging hoch her. Und dann, gleich am Anfang der Epoche des Gesetzbuchs, ist er für zehn Jahre im Cholomi-Gefängnis gelandet, weil er bei einer Prügelei unerlaubte Magie sechzehnten Grades benutzt hat. Aus dem Orden haben sie ihn auch geworfen, obwohl sie ihn wirklich mochten. Aber nicht mal seine Kriegsverdienste haben ihm dort noch helfen können. Na ja, und im Gefängnis ist er auf die Idee gekommen, eine Zeitung zu gründen. Dann hat er einen Brief an den König geschrieben, und der war begeistert. Das Gefängnis verließ er als geachteter Mann und Chefredakteur der von ihm gegründeten Königlichen Stimme. Bis dahin gab es in Echo keine Zeitung. Kannst du dir das vorstellen?«

»Seltsam ... Ich kann mir vieles aus der Welt wegdenken, aber Zeitungen nicht. Stammt diese Idee wirklich von ihm? Dann ist er ein Genie.«

»Ja«, nickte Melamori. »Es ist kaum zu glauben, aber früher waren Zeitungen gratis. Nur wenige Leute wussten etwas damit anzufangen, und der König kam für alle Unkosten auf. Später hatten sich die Leute so an die Lektüre gewöhnt, dass sie die Zeitungen auch kauften. Und vor einiger Zeit wurde der Trubel von Echo gegründet. Es heißt zwar, diese Zeitung würde von anderen Leuten herausgegeben, aber dahinter steckt Rogro - das kannst du mir glauben. Mein Vater ist mit ihm befreundet. Deshalb weiß ich das alles. Im Trubel von Echo stehen lauter Dummheiten, aber die Leute mögen das.«

»Vielen Dank für diese Informationen, Melamori. Juffin hat mir schon vor einiger Zeit empfohlen, mir die Akten von Sir Rogro anzuschauen. Offenbar hatte er mal wieder Recht.«

Melamori sah mich aufmerksam an und fragte vorsichtig: »Warum hast du eigentlich so plötzlich beschlossen, dass ich euch begleiten soll?«

Ich zuckte die Achseln.

»Erstens mache ich viele Dummheiten, die kein Mensch außer mir begehen würde. Zweitens sind wir auf deine Hilfe wirklich angewiesen, denn ich will nicht viel Zeit im Wald verbringen, sondern die Räuber schnell verhaften. Und drittens hab ich mir gedacht, ich könnte Kontakt zu dir aufnehmen, obwohl ich es eigentlich nicht darf. Außerdem finde ich, dass es auf der Welt viele spannende Herausforderungen gibt, auf die man sich einlassen sollte.«

»Du bist der interessanteste Junge im Weltall«, meinte Melamori lächelnd. »Besonders, wenn du den Mund aufmachst. Ich glaube, du kannst sogar im Schlaf reden.«

»Im Schlaf benutze ich nur Schimpfwörter. Frag Lonely-Lokley. Der hat einen meiner Monologe protokolliert.«

»Das hat er mir schon erzählt«, sagte Melamori fröhlich.

»Verzeihung, Max, störe ich?«, fragte Ande Pu taktvoll.

Er blieb an der Tür, warf Melamori einen taxierenden Blick zu und sagte: »Ich kann ja hier warten. Kein Problem.«

»Aber nicht doch«, meinte ich, stand auf und goss ihm etwas Kachar-Balsam ein. »Melamori, das ist der Herr, von dem ich dir schon so viel erzählt habe.«

»Das hatte ich bereits durchschaut«, sagte sie lächelnd.

»Ande, das ist Melamori, unsere Verfolgungsmeisterin. Wenn du dich hier vor jemandem ängstigen solltest, dann vor ihr, nicht vor den Polizisten. Vor mir natürlich auch, aber das nur nebenbei. Gut, gehen wir. Ich glaube, Kamschi und Schichola warten schon ungeduldig. Sie sind bestimmt ganz nervös und zweifeln an meinen Fahrkünsten.«

»Ach was«, widersprach Melamori. »Sie sind nur aufgeregt, und das ist bei so einem Einsatz kein Wunder.«

»Na gut. Lasst uns gehen.«

Leutnant Kamschi saß schon in meinem Dienst-A-Mobil, während sein Kollege Schichola sich dieses Wunder der Technik noch von allen Seiten ansah und dann ungeduldig auf die Hupe drückte. Die beiden wirkten sichtlich aufgeregt.

Ich sprang sofort ans Steuer, was sie sehr erleichterte.

»Das ist Ande Pu, Leute«, sagte ich und wies mit dem Kopf auf meinen Protege. »Er ist mein persönlicher Chronist, da ich in letzter Zeit ruhmsüchtig geworden bin. Ich bitte Sie, ihn nett zu behandeln und ihm nicht zu nahe zu treten, und hoffe, dass wir unseren Ausflug in den Wald schnell hinter uns bringen. Ande, merk dir bitte die Namen deiner neuen Freunde: Das ist Leutnant Kamschi, das Hauptmann Schichola. Sie beißen nicht - auch wenn du das Gegenteil annimmst. Melamori, setz dich zu mir, denn hinten wird es eng. Sir Ande ist nicht der Dünnste.«

Ehe meine Mitfahrer nur den Mund aufmachen konnten, war ich schon losgebraust. Schichola seufzte begeistert.

»Ich glaube, wir kommen tatsächlich pünktlich im Wald an«, meinte Leutnant Kamschi.

»Nein«, widersprach ich, »wir werden eine halbe Stunde zu früh dort sein. In der Stadt fahre ich normalerweise langsam und vorsichtig, aber wenn wir Echo erst verlassen haben, werden Sie erleben, was Geschwindigkeit ist.«

Am Steuer eines A-Mobils bin ich unerträglich - so viel ist klar. Und außerhalb der Stadt verliere ich alle Hemmungen. Auch diesmal raste ich, als müsste ich dem Tod entkommen. Die Männer auf der Rückbank saßen so dicht beieinander wie Waisen bei einem Wohltätigkeitsfest. Aber das war auch besser so. Gemeinsam ausgestandene Ängste stärken die gegenseitige Sympathie. Und ich hoffte, Ande, Schichola und Kamschi würden Freunde werden, nachdem sie zusammen einige Gefahren gemeistert hatten.

»Der klopft vielleicht Sprüche!«, flüsterte Ande Pu hinter meinem Rücken. »Die können einen fertig machen.«

»Stimmt«, antwortete Kamschi mit kehliger Stimme.

»Unsere Chauffeure können in Rente gehen«, seufzte Schichola gepresst.

Mit stolzgeschwellter Brust drückte ich noch stärker aufs Gaspedal.

Melamori hielt die Hände im Schoß. Verstohlen blickte ich zu ihr rüber, um mich zu vergewissern, dass sie noch lebte, und war baff: Selten hatte sie so glücklich gewirkt. Ihre Augen glänzten, auf ihren Lippen lag ein verträumtes Lächeln, und vor Verzückung atmete sie flach.

»Ich will auch so fahren können«, flüsterte sie. »Bringst du mir das bei?«

»Da gibt es nichts beizubringen. Das A-Mobil fährt so schnell, wie der Fahrer es sich wünscht. Vergiss das nie, wenn du dich ans Steuer setzt. Irgendwann wirst du selbst mich überholen - daran hab ich keinen Zweifel.«

»Das mach ich«, erklärte Melamori selbstsicher. »Bestimmt nicht gleich, aber in ein paar Jahren.«

»Also nicht später als in zwanzig Jahren, was? Wollen wir wetten?«, fragte ich lächelnd.

»Ich weiß nicht. Geld haben wir dank Sir Juffin und seiner Kasse genug. Machen wir es lieber so: Wer gewinnt, entscheidet, was der Verlierer ihm schuldet.«

»Gut, aber pass auf - ich kann noch schneller fahren.«

»Na los, mach schon«, rief Melamori erfreut.

»Nein, die Leute hinten tun mir leid. Warten wir auf eine bessere Gelegenheit.«

»Einverstanden. Ich werde dich daran erinnern.«

Sie schwieg und sah weiter in die Dunkelheit. Ich war froh, ihr so viel Vergnügen zu bereiten - und das, nachdem ich absolut nicht mehr damit gerechnet hatte.

»Wir sind fast da, Leute«, sagte ich nach vierzig Minuten. »Ihr müsst mir jetzt den Weg zeigen, weil ich keine Ahnung habe, wo wir uns treffen.«

Leutnant Kamschi war konzentriert genug, mir schnell den Weg zu weisen. Wie versprochen, kamen wir eine halbe Stunde früher ans Ziel als nötig. Nur Melamori war darüber sichtlich geknickt. Die übrigen Opfer meines Fahrstils krochen aus dem Wagen und warfen sich ins Gras. Ich ging noch mal zum A-Mobil zurück, um das Kachar-Balsam zu holen.

»Das ist für euch«, meinte ich und reichte die Flasche mit dem Wunder wirkenden Gebräu herum, das meiner Meinung nach gegen alles half.

»Warum geht es euch so schlecht, Leute? Ich wollte euch nur eine angenehm kurze Fahrt verschaffen.«

»Das ist dir auch gelungen«, bestätigte mir Melamori.

Der Lady ging es blendend, und ihre Mitfahrer glotzten sie an, als sei sie verrückt geworden.

»Das war vielleicht ein Rennen!«, sagte Ande benommen. »Davon müssen wir uns erst mal erholen.«

Er streckte sich im Gras aus und sah gedankenverloren in den Himmel. Nicht mal ein Schluck Kachar-Balsam ließ ihn seine Lebensfreude zurückgewinnen. Die Polizisten lagen schweigend neben ihm. Lady Melamori zog die Schuhe aus und wollte gleich mit der Suche nach Dschifa beginnen.

Das unterscheidet die Mitarbeiter des Kleinen Geheimen Suchtrupps von denen der Stadtpolizei, dachte ich und betrachtete die glückliche Lady. Schürf hatte mal gesagt, kein normaler Mensch eigne sich für unsere Arbeit. Jetzt, wo ich die Insassen meines A-Mobils sah, glaubte ich, er habe Recht.

»Ich geh mich etwas umschauen«, meinte Melamori ungeduldig. »Ich bin vorsichtig und bleib hier auf der Lichtung - Ehrenwort.«

»Wenn wir dich im Blick behalten, ist das kein Problem. Aber nimm bitte nicht gleich die Verfolgung auf, wenn du jemandem auf die Spur trittst.«

»Aber Max, ich bin doch kein Kind mehr«, antwortete Melamori streng.

Ich räusperte mich skeptisch. Sie war immer vorsichtig - es sei denn, es ging um ihre Lieblingsbeschäftigung. Und das war nun mal die Verfolgung derer, denen sie auf die Spur getreten war.

»Über diese Lichtung ist schon lange niemand gegangen«, sagte Melamori nach ein paar Minuten. »Max, ich glaube, es wäre sinnvoll ...«

>•... weiterzugehen, ja? Kein Problem, aber dazu brauchst du Gesellschaft«, sagte ich und wandte mich an die noch immer völlig erledigten Polizisten. »Seid ihr noch am Leben? Diese Frau will durch den dunklen Wald spazieren.«

Der galante Kamschi erhob sich mühsam.

»Max, das schaff ich prima allein«, sagte Melamori störrisch.

»Kann sein, aber meine Nerven schaffen das nicht. Ich würde hier die ganze Zeit sitzen und mir vorstellen, wie du den Räubern in die Hände fällst. Ich handele also rein aus Eigeninteresse, wenn ich dir Begleitschutz verordne.«

»Na, wenn das so ist! Gut, Sir Kamschi, gehen wir«, sagte Melamori seufzend. »Je länger ich in dieser seltsamen Firma arbeite, desto mehr Vorgesetzte habe ich. Ist das nicht unlogisch?«

»Ich verstehe Sie sehr gut, Lady Melamori«, pflichtete ihr Kamschi bei und dachte dabei bestimmt an seine Probleme mit Bubuta und Fuflos.

Die beiden verschwanden im Wald. Eigentlich hätte auch ich Lady Melamori begleiten können.

Hinter meinem Rücken raschelte es. Ich sah mich vorsichtig um, weil ich noch ein Weilchen am Leben bleiben wollte.

»Alles in Ordnung, Sir Max. Unsere Leute trudeln ein«, beruhigte mich Schichola.

»Gut so«, antwortete ich bestimmt. »Schließlich geht die Sonne langsam auf. Und was ist mit dir, mein Schreiberling? Lebst du noch?«, fragte ich Ande Pu.

»Ich bin fix und fertig. Ihre Raserei war der reine Wahnsinn! Könnte ich noch einen Schluck Balsam bekommen?«

»Klar«, meinte ich lächelnd und gab ihm die Flasche. »Nehmen Sie auch noch einen Zug, Schichola. Und Kopf hoch, Hauptmann. Raffen Sie sich auf!«

»Ja doch«, seufzte er. »Vielen Dank für den Balsam. Das ist ein teures Getränk - sechs Kronen pro Flasche.«

»Stimmt. Deshalb nehme ich es immer aus der Schublade meines Chefs«, sagte ich vertraulich.

Unsere kleine Gesellschaft wuchs rasant. Von allen Enden des Waldes kamen Polizisten zu uns, die durchweg stattlich, sympathisch und gesund aussahen. Ihre Augen glänzten, wie es bei den Bewohnern von Uguland, die im Dunkeln hervorragend sehen können, üblich war. Ihr Lochimantel war taunass, und in den Haaren steckten ihnen Blätter und Blüten. Das sind keine Mitarbeiter von General Bubuta, dachte ich - das sind Elfen.

Mir war völlig klar, dass ich in dieser Welt ein Fremdling war, und das war sehr schön. Mir stockte der Atem.

Als ich mich an den Kollegen satt gesehen hatte, schaute ich mir ihre Waffen genauer an. Seltsamerweise hatten mich solche Dinge in meiner neuen Heimat bisher nicht interessiert. Die Polizisten hatten kleine Katapulte namens Babum dabei. Wir Mitarbeiter des Kleinen Geheimen Suchtrupps verachten solche Hilfsmittel. Es handelt sich um einfache Geräte, mit denen man Kugeln schießen kann. Die Munition steckt in einem kleinen Ledersack. Man muss vorsichtig mit den Kugeln hantieren, denn sie können bei Reibung oder einem plötzlichen Schlag von selbst losgehen. Jeder mit Babum ausgestattete Polizist hat einen speziellen Handschuh für die Munition.

Die Waffe sieht zwar harmlos aus, ist aber recht gefährlich, wie ich mehrmals feststellen konnte. Babumwunden schließen sich nur langsam und erfordern den mehrmaligen Besuch bei einem Heiler. Und ein Kopfschuss bedeutet den sicheren Tod. Auch jemand, der an dieser Waffe ungeübt ist, kann sie einsetzen, denn die Kugeln haben eine enorme Treffsicherheit. Außerdem hat das Babum scharfe Kanten. Wenn der Schütze also keine Kugeln mehr hat, kann er es als Schlagwaffe benutzen, was die wahren Meister - wie ich zugeben muss - sehr elegant hinbekommen.

»Max, ich hab hier eine sehr unruhige Spur«, sagte Melamori und klang dabei so panisch, dass ich zusammenzuckte. »Ich könnte drauftreten, aber das ist mir zu gefährlich.«

»Unternimm auf keinen Fall etwas!«, sagte ich und erstaunte, wie bestimmt ich per Stummer Rede aufzutreten vermochte.

»Keine Sorge«, sagte Melamori gleich. »Aber was sollen wir jetzt machen? Zu euch zurückkehren?«

»Wartet auf mich. Ich bin gleich da.«

Ich zog sofort los und meldete mich per Stummer Rede bei Schichola: »Bleiben Sie hier. Wir drei kommen gleich zurück. Falls nötig, rufen wir euch.«

Ich flog fast durch den Wald. Wie ich es geschafft habe, nicht gegen Äste zu stoßen und in keine einzige Pfütze zu treten, weiß ich bis heute nicht. Es dauerte jedenfalls kaum eine Minute. So schnell war ich noch nie gelaufen. Schließlich brachte ich den armen Kamschi zu Fall und schaffte es gerade noch, vor der am Boden hockenden Melamori anzuhalten. Unsere ehrwürdige Lady zitterte am ganzen Körper, aber Kamschis Sturz und meine Ankunft entlockten ihr ein kleines Lächeln.

»Das kannst du also auch, Max? Davon hast du mir nie erzählt.«

••Was soll ich können? Große Männer umwerfen? Leutnant Kamschi, verzeihen Sie bitte einem Trampeltier wie mir. Ich hab mich so beeilt, dass ich wohl etwas übertrieben habe. Geht es Ihnen gut?«

Kamschi klopfte sich behutsam den Staub vom eleganten Mantel. »Natürlich, Sir Max, kein Problem. Machen Sie sich nichts daraus. Gut, dass Sie zu Fuß und nicht mit dem A-Mobil unterwegs waren.«

Ich seufzte erleichtert und wandte mich an Melamori. »Was für eine Spur ist das. Ist sie wirklich so schlimm?«

»Ja, du kannst dich gern selbst davon überzeugen.«

»Wie das? Schließlich bin ich kein Verfolgungsmeister.«

»Hast du wieder keine Ahnung, was du so machst?«, fragte Melamori müde. »Was hast du deiner Meinung nach gerade getan?«

»Ich!? Als deine Nachricht kam, hab ich mich erschrocken und bin wie ein verrückter Elch durch den Wald gerast. Ich bin froh, noch am Leben zu sein.«

»Leutnant Kamschi, ich glaube, Schichola und die anderen sollten nicht allein bleiben«, sagte Melamori und sah ihn bedeutungsvoll an. »Wir kommen gleich nach. Wir müssen uns nur noch ein wenig dieser schrecklichen Spur widmen.«

»Selbstverständlich«, sagte Kamschi und nickte höflich.

Sekunden später war er im Dunkeln verschwunden. Die unerschütterliche Ruhe des Leutnants beeindruckte mich. Ich hätte mich nicht so beherrschen können, wenn ich im spannendsten Moment weggeschickt worden wäre.

»Jetzt erklär mir bitte, wie du uns gefunden hast«, sagte Melamori. »Hast du eigentlich eine Ahnung, was gerade passiert ist?«

»Nein«, gab ich zu. »Ich weiß nicht, wie ich dich aufgespürt habe. Das war sicher Intuition.«

»Intuition? Ach so«, sagte sie. »Du bist kein Mensch, sondern ein wandelndes Überraschungsei, Max. Du bist auf meine Spur getreten, obwohl das höhere Kunst ist. Tu das nie wieder, klar? Ich hoffe, das ist zum ersten und letzten Mal passiert, denn das ist kein angenehmer Zustand für mich.«

»Interessant, wie mir das passieren konnte«, meinte ich nachdenklich. »Sir Schürf hat mal gesagt, ich habe besondere Fähigkeiten. Andererseits glaube ich, dass man alles erst lernen muss, und Juffin hat mir nichts beibringen wollen. Deshalb habe ich keine Ahnung »Dann erklär ich es dir jetzt«, unterbrach mich Melamori gereizt. »Wenn du jemandem auf die Spur trittst, bleibt sein Herz stehen. Dieses Verfahren ist also nur geeignet, wenn man sein Opfer ohnehin umbringen will. Du musst unbedingt lernen, den Menschen nicht auf die Spur zu treten, und je schneller du das lernst, desto besser für alle. Doch jetzt schauen wir uns meinen Fund an. Aber vorsichtig!«

»Ich bringe Unheil«, seufzte ich bitter. »Entschuldige, Melamori, ich bin gekommen, um dich zu retten, und hätte dich fast umgebracht. Was soll ich jetzt tun?«

»Ganz einfach: Bevor du aufgeregt zu jemandem hinrennst, frag ihn, wo er ist. Das machen alle so. Und auf diese Weise bleiben alle am Leben«, meinte Melamori lächelnd. »He, was ist los? Es ist doch sehr gut, diese Gabe zu haben.«

Sie stand auf und ging vorsichtig zu einem alten Baumstumpf, blieb dort unentschieden stehen und wandte sich schließlich zu mir um.

»Ich will nicht auf diese furchtbare Spur treten. Mir reicht es für heute«, erklärte sie. »Probier es selber, wenn du willst. Das bekommst du sicher hin.«

Ich betrachtete den Baumstumpf von allen Seiten und sah Lady Melamori dann verlegen an. »Ich spüre gar nichts.«

Sie grübelte und zuckte schließlich die Achseln. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Du musst die Spur unbedingt finden wollen und darfst keine Sekunde daran zweifeln, dass es dir gelingt. Aber was erklär ich dir da? Verhalte dich einfach wie vorhin, als du zu mir gestürmt bist.«

Ich blieb am Baumstumpf stehen und versuchte mich zu erinnern, was ich vor kurzem gespürt hatte. Ich hatte Melamori unbedingt sehen wollen - je schneller, desto besser.

Ach so, dachte ich. Jetzt muss ich also diesen Dschifa unbedingt sehen wollen, der eine so schreckliche Spur hat. Ob mein Wille dafür stark genug ist?

Jedenfalls versuchte ich es. Ich dachte, er wäre sicher gefährlich, da Melamori seine Spur so beunruhigte. Ich musste den schrecklichen Kerl also unbedingt finden, der durch den Wald zog und netten Leuten die Laune verdarb. Das lief wohl auf ein Einpersonenstück hinaus. Ich entspannte mich und dachte an gar nichts, ging hin und her und gab mir alle Mühe, meine Gefühle zu spüren und auf sie zu hören. Dabei umkreiste ich den Baumstumpf mit gesenktem Blick.

Plötzlich blieb ich wie vom Donner gerührt stehen und konnte mich nicht mehr von der Stelle bewegen. Ich wurde zu einer Statue; selbst das Atmen fiel mir immer schwerer. Es war schon mühsam, nur die Zunge zu bewegen. Dennoch gelang es mir, um Hilfe zu bitten.

»Stoß mich schnell weg.«

Zum Glück musste ich meine Bitte nicht wiederholen, denn gleich traf mich ein starker Schlag, und ich ging zu Boden.

»Vielen Dank«, flüsterte ich und merkte erleichtert, dass meine Zunge und auch mein Körper wieder beweglich wurden. »Du kannst ganz schön zuschlagen, meine Liebe.«

»Das will ich hoffen«, sagte Melamori ungerührt. »Siehst du - du bist in eine viel schlimmere Lage geraten als ich. Unsere Gabe ist eben ein zweischneidiges Schwert. Zwar ermöglicht sie vieles, bedroht uns aber auch. Was mag das gewesen sein, Max?«

»Was wohl? Die Spur eines Toten natürlich«, sagte ich zu meiner Überraschung, war aber sofort sicher, mich nicht zu irren. Was hätte es sonst sein können?

»Wirklich?«, fragte Melamori erschrocken. »Das geht doch nicht. Tote hinterlassen keine Spuren.«

Ich zuckte die Achseln.

»Ich fürchte, dein Informationsstand ist etwas veraltet, Melamori. Wie du siehst, hinterlassen Tote mitunter eine Spur. Und ich fürchte, sie stammt vom rothaarigen Dschifa. Er hat sein Grab verlassen, weil er sich nach dem Leben gesehnt hat. Ich kann ihn verstehen. Ich wüsste nur gern, wo er die Mitglieder seiner Bande angeworben hat. In den Nachbardörfern? Oder auf dem Friedhof? Tut mir leid, aber jetzt kann ich nicht mehr auf seine Spur treten. Das ist nämlich lebensgefährlich, wie du siehst.«

»Stimmt«, bestätigte Melamori. »Dein Gesicht war kreidebleich, als du auf seiner Spur gestanden hast.«

»Das sah sicher sehr gut aus«, meinte ich kokett. »Was machen wir jetzt?«

»Dieses Experiment darfst du auf keinen Fall wiederholen. Deine Blässe passt einfach nicht zu deinem Mantel. Jetzt hol die anderen per Stummer Rede. Wenn sie da sind, raffe ich mich auf und trete doch noch auf die schreckliche Spur.«

»Hältst du das denn aus?«, fragte ich zweifelnd.

So was Dummes hatte ich zwar nicht ablassen wollen, aber irgendwas musste ich ja sagen.

»Ich geh schon nicht verloren«, meinte Melamori achselzuckend.

Wir warteten, bis unsere Freunde von der Polizei auftauchten. Als Letzter kam Ande Pu. Sein erschrockenes, aber auch begeistertes Gesicht ließ Melamori und mich lächeln.

»Wir folgen Lady Melamori - je schneller, desto besser«, sagte ich zu allen. »Meine Herren, machen Sie sich aufs Schlimmste gefasst. Einer der Räuber ist tot - so viel ist sicher. Was die anderen anlangt, ermitteln wir noch. Bewahren Sie bitte einen kühlen Kopf. Und jetzt los!«

Melamori trat auf die Spur, verzog das Gesicht, krümmte sich und verschränkte die Arme vor der Brust, als wäre ihr kalt. Ich hätte ihr gern geholfen, aber wie? Sie machte ein paar unentschiedene Schritte, schüttelte dann energisch den Kopf und lief ein Stück voraus.

Ich versuchte, mich von der gefährlichen Spur fernzuhalten, denn ich hatte Angst, erneut zu erstarren.

Glücklicherweise lief Melamori nicht allzu weit, sondern blieb nach ein paar Minuten vor einer Senke stehen, an deren Ende eine Höhle lag, sprang in die Vertiefung, ging auf alle viere und heulte kurz auf. Mir lief ein Schauer über den Rücken.

»Was ist los?«, fragte ich und beugte mich vor, um zu sehen, was sie tat.

»Nichts. Die Spur endet hier. Ich hab ihn gerufen, Max. Frag nicht, warum. Das weiß ich selber nicht. Ich will hier raus. Hilf mir bitte dabei.«

Ihre Stimme klang wieder normal, und niemand würde glauben, dass diese nette Frau noch vor kurzem ein Wolfsheulen ausgestoßen hatte.

»Er kommt gleich, Max«, sagte Melamori. »Weißt du, das kann Dschifa sein, aber auch jemand, der noch schlimmer ist. Doch hier gibt es nur die Spur von Dschifa - also ...«

»Meine Herren, haben Sie gehört?«, wandte ich mich an die Polizisten. »Aus dieser Höhle kriechen womöglich gleich eine Menge Tote hervor. Also bitte aufpassen.«

»Sie werden sie besiegen, Sir Max, oder?«, fragte mich Hauptmann Schichola hoffnungsvoll.

»Wenn ich das wüsste! Ich hab Ihnen doch gesagt, dass Sie in Gesellschaft von Lonely-Lokley besser aufgehoben wären. Sie haben mir nicht geglaubt, und das haben Sie jetzt davon.«

Ich sah wieder zur Höhle hinunter. Die Situation war recht amüsant, weil ich in meinem Leben kein Held gewesen war. Ich war schon alles Mögliche, noch nie aber ein Held. Ich hatte sogar Probleme, das Geschehen für wirklich zu halten.

Schließlich hörte ich verdächtige Geräusche.

»Die Füchse aus Mahagon haben in Höhlen gelebt, oder?«, fragte ich Hauptmann Schichola. »Diese Leute hier haben sich offenbar in einer freien Höhle eingenistet. Melamori, du hast ihn gerufen, ja?«

Sie nickte schweigend. Ihr Blick war gar nicht heiter.

»Wie das wohl enden mag? Der, den du gerufen hast, muss jedenfalls aus der Höhle kriechen.«

»Ja, aber vielleicht kommt er nicht sofort. Oder er leistet Widerstand Ich lächelte, hob die Linke und schnippte mit den Fingern: Das war der Trick, den Lonely-Lokley mir beigebracht hatte.

Ein kleiner Kugelblitz rollte in die Senke, und ein erschrockenes, ziemlich junges Gesicht tauchte aus der Höhle auf. Der Kugelblitz hatte es an der Braue getroffen.

Der arme Mann wirkte unverletzt. Mein Trick hatte ihm offenbar Flinkheit verliehen. Er warf sich in meine Richtung, packte einen Strauch, der zu meinen Füßen wuchs, und kletterte daran hoch.

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