»Abu Dun?«, fragte Andrej erschrocken. »Was ist mit

»Sein Fieber ist gestiegen.« Elena hob rasch und beruhigend die Hand. »Keine Sorge - es ist nicht so schlimm, wie ich im ersten Moment befürchtet habe. Aber ich hielt es für besser, Anka zu rufen. Sie hat ihm einen Trank gegeben, der ihm helfen wird. Spätestens morgen Abend wird er das Fieber überwunden haben; vielleicht sogar schon früher.«

»Und das ist Grund genug für Laurus, dich zu schlagen?« Andrej warf einen unsicheren Blick zum Wagen hin. Am liebsten wäre er hineingegangen, um nach Abu Dun zu sehen, aber aus irgendeinem Grund wagte er es nicht, den Wagen zu betreten, ohne von Elena dazu aufgefordert zu werden.

»Laurus sieht es nicht gern, wenn Anka ihren Wagen verlässt«, antwortete Elena. »Schon gar nicht, wenn Fremde im Lager sind. Er hat mir Vorhaltungen gemacht, ein Wort ergab das andere ...« Sie zuckte mit den Schultern. »Laurus ist nervös, wie wir alle. Das, was dein Freund und du von der Mühle erzählt habt, hat ihn nicht unbedingt beruhigt. Vor allem, weil es nicht die Wahrheit war.«

»Wie kommst du darauf ?«, fragte Andrej.

»Das war wirklich nicht schwer zu erraten.« Elenas Lippen verzogen sich zu einem angedeuteten, spöttischen Lächeln. »Ich weiß nicht, was du wirklich bist, Andreas, aber eines bist du ganz gewiss nicht: Ein guter Lügner. Außerdem spricht dein Freund im Fieber. Was ist wirklich dort passiert?«

»Nichts, was ich nicht schon erzählt hätte«, beharrte Andrej stur. Elenas Blick wurde bohrender, und er rettete sich in ein Achselzucken und ein leicht verunglücktes Grinsen. »Jedenfalls nichts, was ich verstehen würde. Ich muss darüber nachdenken.«

Er hatte fest damit gerechnet, dass Elena sich nicht mit dieser Antwort zufrieden geben würde, aber sie sah ihn nur noch einen Moment lang durchdringend an, dann zuckte sie erneut die Schultern und drehte sich mit einem Seufzen weg, mit dem sie das Thema wohl für beendet erklärte. Vermutlich ohne es selbst zu merken, hob sie wieder die linke Hand und strich mit den Fingerspitzen über ihre Wangenknochen und das weiche Fleisch unter den Augen. In den wenigen Augenblicken, die sie miteinander geredet hatten, war die Schwellung deutlich größer geworden, und ihr äußerer Augenwinkel und das Lid begannen sich bereits dunkel zu verfärben. Der Anblick weckte wieder den gleichen Zorn wie vorhin in Andrej, aber er biss sich auf die Lippe und sagte nichts. Er war ganz und gar nicht Elenas Meinung, was das Schlagen von Frauen anging, aber letzten Endes war sie Laurus' Frau, nicht seine, und es war ihre Entscheidung, wie sie leben wollte oder nicht. Auch, wenn Andrej Elena kaum kannte, so war er doch sicher, dass sie zumindest über eine längere Zeit, nichts hinnehmen würde, was sie nicht wirklich wollte.

»Vielleicht solltest du in deinen Wagen zurückgehen«, sagte Elena nach einer Weile, leise, und ohne ihn anzusehen. »Wenn Laurus zurückkommt und dich hier findet, dann wird das seine Laune nicht unbedingt verbessern. Was tust du überhaupt hier?«

»Ich wollte nach Abu Dun sehen«, antwortete Andrej, was ihm im Moment die glaubhafteste Ausrede erschien.

»Er schläft«, antwortete Elena. Sie drehte sich wieder zu ihm um und sah ihm ins Gesicht, und plötzlich, von einem Lidschlag auf den nächsten, fiel es Andrej schwer, ihrem Blick Stand zu halten. Wie schon mehrmals, seit er Elena kennen gelernt hatte, schien eine sonderbare Veränderung mit ihr vonstatten zu gehen. Vielleicht lag es am Licht, an ihrer beider Erregung, oder an der außergewöhnlichen Situation, in der sie zusammen waren, aber mit einem Male kam sie ihm vor wie eine ganz andere, äußerlich unverändert, und doch so verschieden von der Elena, die gerade noch vor ihm gestanden hatte, wie es nur möglich war. Sein Herz klopfte ein wenig schneller. »Ich kann es dir nicht verbieten, aber es wäre besser, wenn du nicht zu ihm gehst. Ich möchte nicht -«

»- dass Laurus mich in deinem Wagen findet«, führte Andrej den Satz zu Ende.

Elena schwieg, aber sie tat es auf eine ganz besondere Art, die ihn begreifen ließ, wie nahe er mit dieser Vermutung der Wahrheit gekommen war und wie unangenehm ihr dieses Wissen sein musste. Plötzlich fehlten ihm die Worte, weiter zu sprechen.

»Geh jetzt zurück«, sagte Elena. »Ich werde nach Laurus sehen. Es hat keinen Sinn, ihn noch wütender zu machen. Und mach' dir keine Sorgen. Er ist manchmal etwas jähzornig, aber er beruhigt sich meistens auch genauso schnell wieder. Morgen früh reden wir in Ruhe über alles.«

Sie wartete einen Moment lang vergeblich darauf, dass er ihrer Aufforderung nachkam und ging, dann hob sie die Achseln, drehte sich rasch herum und stieg die dreistufige Treppe zum Wagen hinauf. Andrej blieb weiter reglos stehen, wo er war, von der völlig unsinnigen Hoffnung erfüllt, dass sie sich doch noch einmal herumdrehen oder wieder zu ihm herauskommen würde, und er ließ selbst dann noch etliche Sekunden verstreichen, als sie die Tür schon längst hinter sich geschlossen hatte.

Was war nur mit ihm los? Nicht zum ersten Mal - aber zum ersten Mal ganz bewusst - fragte er sich, ob er sich möglicherweise in diese verwirrende Frau verliebt hatte. Aber die Antwort war und blieb ein eindeutiges Nein. Elena hatte zweifellos etwas, das jeden Mann um den Verstand bringen konnte, vor allem in Momenten wie dem, den er gerade erlebt hatte, aber dieses Gefühl hatte nichts mit Liebe zu tun. Er hatte viele Frauen getroffen, die ihn anzogen, etliche, die er gemocht und mit denen er eine Weile zusammengeblieben war, und die eine oder andere, von der er sich hätte vorstellen können, auch den Rest seines Lebens mit ihr zu teilen. Aber Liebe, wirkliche Liebe, hatte er nur ein einziges Mal in seinem Leben gefunden, und die war ihm auf eine so grausame und endgültige Art genommen worden, dass er nicht sicher war, ob er jemals wieder einen anderen Menschen wirklich lieben konnte. Er war nicht einmal sicher, ob er es noch einmal wollte. Vielleicht war er zu tief verletzt worden, als dass er sich der Gefahr noch einmal aussetzen konnte, diesen grässlichen Schmerz erneut zu spüren.

Endlich drehte er sich herum und ging, aber er kehrte nicht zu seinem Wagen zurück, wie Elena ihm geraten hatte, sondern ging noch einmal dorthin, wo er gerade hergekommen war. Diesmal machte er einen noch größeren Umweg und bewegte sich noch vorsichtiger, und er ließ etliche Minuten verstreichen, in denen er reglos im Schatten stand und Ankas Wagen beobachtete, bis er ganz sicher war, dass die beiden Brüder nicht mehr hier waren und sich auch sonst niemand in seiner unmittelbaren Nähe aufhielt. Der Lärm hinter ihm im Lager hatte eher noch zugenommen, obwohl es mittlerweile schon spät war, aber das war Andrej im Moment nur Recht. Solange die Sinti damit beschäftigt waren, ihre Gäste zu unterhalten und ihnen das Geld aus den Taschen zu ziehen, bestand wohl kaum die Gefahr, dass jemand hierher kam und ihn überraschte.

Er löste sich aus seinem Versteck, betrat den Wagen, zog die Tür hinter sich zu und wollte einen Moment stehen bleiben, damit sich seine Augen an das praktisch nicht vorhandene Licht hier drinnen gewöhnten. Noch ehe das Geräusch der Tür hinter ihm ganz verklungen war, sagte eine Stimme in der Dunkelheit irgendwo links von ihm:

»Du brauchst nicht zu schleichen, Unsterblicher. Wir sind allein. Und so leise, dass eine blinde Frau dich nicht hört, kannst nicht einmal du auftreten.«

Ein wenig verlegen drehte sich Andrej in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Trotz seiner scharfen Augen konnte er nur verschwommene Umrisse erkennen.

»Warum hast du so lange draußen gestanden und gewartet?«, fragte Anka. »Du musst keine Angst haben, dass uns jemand stört. Meine beiden Urenkel sind längst fort, und außer ihnen und Elena kommt selten jemand hierher.«

»Urenkel?«, wiederholte Andrej - hauptsächlich, um überhaupt irgendetwas zu sagen.

»Vielleicht sind es auch schon meine Ur-ur-ur-Enkel.« Anka lachte leise und meckernd. »Wenn man einmal so alt geworden ist wie ich, dann verliert man leicht den Überblick. Und eigentlich spielt es auch keine Rolle, oder? Aber du bist sicherlich nicht gekommen, um dich über meine Familie zu unterhalten.«

»Nein«, antwortete Andrej. »Ich bin -«

»Du warst vorhin bei Laurus' Wagen«, unterbrach ihn Anka.

»Woher weißt du das?«

»Ich bin vielleicht blind, aber nicht taub«, erwiderte Anka. »Laurus und die anderen scheinen es gottlob aber zu sein, sonst hätten sie dich zweifellos gehört. Ich sollte enttäuscht sein. Ich dachte immer, dass sich Menschen deiner Art lautloser zu bewegen imstande sind.«

»Menschen meiner Art?«

»Ich bin auch nicht dumm«, sagte Anka, eine Spur schärfer. »Aber du scheinst es zu sein. Oder du hast ein kurzes Gedächtnis - oder hast du schon vergessen, was wir bei deinem letzten Besuch besprochen haben?«

»Nein«, antwortete Andrej. »Ich habe vor allem nicht vergessen, dass du mir mehr Fragen gestellt als du Antworten gegeben hast.«

»Und deshalb bist du jetzt hier«, vermutete Anka. Wieder lachte sie, aber diesmal klang es eher wie ein Meckern. Sonderbarerweise war Andrej immer noch nicht in der Lage, sie genau zu erkennen. Seine Augen hatten sich längst an das schwache Dämmerlicht gewöhnt, aber er sah in der Richtung, aus der ihre Stimme kam, trotzdem nur verschwommene Schatten. Einer davon schien sich dann und wann zu bewegen, aber er war nicht sicher, welcher. »Und was willst du jetzt tun? Die Antworten, die du hören willst, aus mir herausprügeln?«

»Bestimmt nicht«, antwortete Andrej. »Ich glaube auch nicht, dass das nötig ist.«

»Dann stell' deine Fragen«, sagte Anka. »Aber tu' es schnell. Ich bin alt. Und alte Menschen brauchen viel Schlaf.«

»Ich dachte immer, alte Menschen brauchen besonders wenig Schlaf.«

»Nicht, wenn sie so alt sind wie ich«, erwiderte Anka, nun vollends in ungeduldigem, fast mürrischem Tonfall. »Wenn du wissen willst, ob dein trinkfester Freund die Nacht überleben wird, kann ich dich beruhigen. Er ist stark wie ein Ochse. Es gehört schon etwas mehr dazu als ein paar Rattenbisse, ihn umzubringen.«

»Du weißt, was passiert ist?«

»Laurus hat es mir erzählt«, antwortete Anka. »Und dein Freund auch. Redet er nur im Fieber, oder manchmal auch im Schlaf?«

Andrej überging die Frage. Er fühlte sich immer verwirrter, und aus dieser Verwirrung erwuchsen allmählich Ungeduld und Zorn. Er war mit dem festen Vorsatz hierher gekommen, sich diesmal nicht wieder abspeisen zu lassen, sondern nicht eher zu gehen, bis er Antworten auf wenigstens einige seiner Fragen erhalten hatte, aber er spürte bereits jetzt, dass ihm das Gespräch auch diesmal wieder zu entgleiten drohte. Die Puuri Dan hatte etwas an sich, dem er einfach nicht gewachsen war. »Ich will wissen, was heute in der Mühle passiert ist«, sagte er. »Und komm' mir nicht damit, dass du es nicht weißt. Diese Ratten waren keine normalen Ratten.«

»Sie waren krank«, antwortete Anka. »Das hast du doch selbst erzählt.«

»Und du weißt genau, dass es nicht stimmt!«, rief Andrej. Ein Teil von ihm war entsetzt über den Ton, in dem er mit der alten Frau redete, aber als er weiter sprach, da klang seine Stimme sogar noch schärfer, fordernder und fast ein wenig drohend. Er war sicher, dass Anka sich davon nicht beeindrucken ließ, aber sein aufgesetzter Zorn half ihm, das Gespräch wieder in die gewünschte Richtung zu bringen. »Was immer mit diesen Ratten war, sie waren nicht krank.«

»Und jetzt willst du wissen, ob es wirklich Elena war, die sie geschickt hat.«

»Unsinn!«, behauptete Andrej.

»Natürlich willst du das wissen!«, behauptete Anka. »Du belügst dich selbst, Unsterblicher. Du sagst, dass es Unsinn ist, und du versuchst dir selbst einzureden, dass du nicht an das glaubst, was dieser närrische Müller erzählt. Aber du bist nicht ganz sicher, so ist es doch? Vielleicht willst du ja sogar, dass sie eine Hexe ist.«

»Warum sollte ich so etwas wollen?«, fragte Andrej unsicher.

»Weil es dir dann leichter fiele, ihrem Zauber zu widerstehen. Was denkst du? Warum verbrennen Männer Frauen, die sie als Hexen bezeichnen? Nicht, weil sie wirklich glauben, dass sie mit dem Teufel im Bunde sind. Niemand glaubt das. Sie verbrennen sie, weil sie genau wissen, dass sie ihrem Zauber sonst erliegen würden. Weil es der einzige Weg ist, sie vor sich selbst zu schützen. So wie auch du weißt, dass du Elena nicht widerstehen wirst.«

»Ich bin nicht wegen Elena hierher gekommen«, erwiderte Andrej lahm. Doch er wusste längst: Die alte Frau, die da in der fast vollkommenen Dunkelheit vor ihm saß, mochte zwar blind sein, aber auf ihre Art konnte sie besser sehen als die meisten anderen Menschen.

Anka ließ ein schmatzendes Geräusch hören. »Vielleicht nicht. Aber sie ist nun einmal hier. Glaubst du denn, du wärest der Erste, dem es so erginge, du junger Narr? Ich kann sie nicht sehen, aber ich habe Ohren, um zu hören, was die anderen sagen - und manchmal auch, um das zu hören, was sie nicht sagen. Willst du einen Rat von mir, Unsterblicher? Warte meinetwegen, bis dein Freund wieder zu Kräften gekommen ist, aber dann geh. Du wirst die Antworten, nach denen du suchst, hier nicht bekommen, aber du könntest etwas finden, an dem du zerbrichst.«

»Warum sollte ich dir glauben?«, fragte Andrej. »Bisher hast du keine meiner Fragen beantwortet, und wenn, so nur in Rätseln.«

»Dann finde ihre Lösung«, riet ihm Anka. »Ich habe dir geantwortet, aber du hörst ja nicht zu. Wie die meisten. Und nun geh. Lass mich allein. Ich bin müde und möchte schlafen.«

»Aber du -«

»Geh!«, wiederholte Anka. »Bason hat dir versprochen, dass du mit mir reden kannst, und du hast mit mir geredet. Ich kann dir nicht antworten, wenn du mir nicht einmal die richtigen Fragen stellst. Du kannst ja zurückkommen, wenn sie dir eingefallen sind.«

Mehr verwirrt denn enttäuscht oder zornig war Andrej in seinen Wagen zurückgekehrt, und zu seiner eigenen Überraschung war er nach einer Weile in einen unruhigen Schlaf gesunken. Ein Schlaf, aus dem er erst lange nach Sonnenaufgang wieder erwachte; so wie am Vortag mit einem schlechten Geschmack im Mund, mit Kopfschmerzen, schweißgebadet und mit der Erinnerung an sinnlose Bilder und Albträume, die ihn gequält hatten. Obwohl er nicht unter einer dünnen Zeltbahn sondern unter dem hölzernen Dach eines Wagens erwacht war, erschien ihm die Luft noch stickiger und heißer als gestern, und es fiel ihm deutlich schwerer, die Nachwirkungen des Schlafs abzuschütteln und aufzustehen.

Als er den Wagen verließ, war das Sinti-Lager schon seit mehr als einer Stunde zum Leben erwacht, und er war so betäubt, dass er fast wie ein Betrunkener taumelte, während er sich auf den Weg zum Bach machte, um sich zu waschen.

Das eiskalte Wasser half, die Benommenheit und auch die Kopfschmerzen zu vertreiben, aber der üble Geschmack in seinem Mund blieb, und auch die Erinnerung an die Albträume, die ihn geplagt hatten, verschwand nicht völlig. Irgendetwas stimmte tatsächlich nicht mit ihm.

Er ließ sich deutlich mehr Zeit als nötig, ehe er die Richtung zu Laurus' Wagen einschlug. Er wollte nach Abu Dun sehen. Vielleicht war es besser, dass er zugegen war, wenn der Nubier aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte.

Die Tür des Wagens stand offen. Andrej klopfte an den Rahmen, wartete einen Moment vergeblich auf eine Antwort und trat schließlich ein. Nach der schon jetzt fast unerträglichen Hitze, die draußen herrschte, und hinter den vorgelegten Läden, war es hier drinnen angenehm kühl und schattig, aber nicht so dunkel, dass er nicht sah, dass das Bett, auf dem er Abu Dun am vergangenen Abend zurückgelassen hatte, jetzt leer war. Im ersten Moment erschrak Andrej bis ins Mark, aber dann rief er sich in Gedanken selbst zur Ordnung. Für ein Gefährt seiner Art war dieser Wagen recht groß, aber auch ein großer Wagen war letztendlich klein, und immerhin diente er schon als Unterkunft für zwei Menschen. Wahrscheinlich hatte Laurus dem Nubier einfach ein anderes Krankenlager zugewiesen.

»Was tust du hier?«

Andrej fuhr erschrocken herum und sah in Laurus' Gesicht. Der grauhaarige Sinti stand draußen vor dem Wagen, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und blickte aus misstrauisch zusammengekniffenen Augen zu ihm hoch, und für den Bruchteil einer Sekunde erinnerte der Anblick Andrej an ein anderes Bild, das er gestern gesehen hatte, andere, kleinere Gestalten, die fast in der gleichen Haltung dagestanden und Abu Dun und ihn angestarrt hatten. Dann verging die absurde Furcht, und Andrej sagte sich selbst, wie lächerlich dieser Vergleich war. »Ich wollte nach Abu Dun sehen«, sagte er. »Entschuldige. Aber die Tür stand offen.«

Er sprang mit einem einzigen Satz zu Laurus hinunter und machte eine entschuldigende Handbewegung. »Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Wo ist Abu Dun?«

»Ich habe ihn in einen anderen Wagen bringen lassen«, antwortete Laurus unfreundlich. »Schließlich ist das kein Krankenlager.«

»Dann werde ich nach ihm sehen«, sagte Andrej. Er wollte sich umdrehen, aber Laurus hielt ihn mit einer entsprechenden Geste zurück.

»Warte! Ich wollte sowieso mit dir sprechen.«

»Ja? Worüber?«

»Du warst gestern Abend bei Anka«, sagte Laurus. Er hob befehlend die Hand. »Streite es nicht ab. Man hat dich gesehen.«

Das hatte Andrej gar nicht vorgehabt. Aber er war überrascht. Er war sehr sicher gewesen, dass niemand ihn gesehen hatte. Wer auch immer ihm nahe genug gekommen wäre, um ihn beim Betreten oder Verlassen von Ankas Wagen zu beobachten, hätte ihm eigentlich nicht verborgen bleiben können.

Er machte eine Bewegung, die irgendwo zwischen einem Achselzucken und einem Nicken lag. »Ich habe mich lediglich bei ihr bedankt, dass sich sie um Abu Dun gekümmert hat.«

»Ich will nicht, dass du mit ihr sprichst, ohne mich vorher gefragt zu haben«, sagte Laurus. »Anka ist eine närrische alte Frau, die nur Unsinn redet. Aber sie ist vor allem eine alte Frau. Sie darf nicht unnötig aufgeregt werden. Schon ein falsches Wort könnte sie umbringen.«

»Seltsam, aber ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass dir Ankas Tod das Herz brechen würde«, antwortete Andrej kühl. Er wunderte sich selbst ein wenig, dass er das sagte, aber er war es Leid, ständig vor Laurus zu katzbuckeln. Vielleicht war dieser Vorstoß ein Fehler, aber vielleicht lockte er ihn auch endlich aus der Reserve.

Laurus reagierte jedenfalls anders, als er erwartet hatte. Er wurde weder wütend, noch stritt er Andrejs Unterstellung empört ab; er hob nur flüchtig die linke Augenbraue, als hätten ihn diese Worte überrascht, aber nicht wirklich verärgert. Er wechselte mit einem Achselzucken das Thema. »Bason hat bereits nach dir gefragt. Du hast lange geschlafen und nach dem, was euch gestern zugestoßen ist, hast du dir das wohl auch verdient. Aber ich denke, jetzt bist du gut genug erholt, um ihm zur Hand zu gehen.«

»Wobei?«

»Das wird er dir erklären. Er ist hinten bei der Bühne. Später erwarten wir diesen Schulz. Jemand aus dem Dorf hat mir erzählt, er wäre der einflussreichste und wohlhabendste Mann der Stadt. Nicht der Bürgermeister oder Richter, aber letztendlich der, der das Sagen hat. Ich möchte nicht, dass du dich einmischst, wenn ich mit ihm rede.«

»Aber das -«, begann Andrej, wurde aber sofort wieder Von Laurus unterbrochen.

»Du und dein Freund, ihr habt genug Schaden angerichtet.«

»Was soll das heißen?«, fragte Andrej.

»Ich habe dir gesagt, dass ich darüber nachdenke, ob ihr bei uns bleiben dürft oder nicht« antwortete Laurus. »Das habe ich getan. Elena sagt, dass den Freund noch zwei oder drei Tage braucht, um sich zu erholen. Solange könnt ihr hier bleiben. Aber danach verlasst ihr uns.«

»Aber warum?«, fragte Andrej.

»Es gibt keinen Grund für euch, länger zu bleiben«, antwortete Laurus. »Du bist hierher gekommen, um mit unserer Puuri Dan zu sprechen und ihr gewisse Fragen zu stellen. Du hast mit ihr gesprochen, und ich nehme an, du hast deine Fragen gestellt. Also gibt es keinen Grund mehr, länger zu bleiben.«

»Vielleicht habe ich noch nicht alle Antworten bekommen«, sagte Andrej.

»Du wirst von Anka nicht mehr hören, als du bereits gehört hast«, erwiderte Laurus. »Denn du wirst nicht mehr mit ihr reden. Und jetzt geh und arbeite für dein Essen und deine Unterkunft.«

Natürlich war Andrej nicht sofort zu Bason gegangen, sondern hatte zuerst nach Abu Dun gesucht und ihn in dem kleinen Zelt am Rande des Lagers gefunden, in dem sie gemeinsam die beiden ersten Nächte verbracht hatten. Zu seiner Überraschung war der Nubier bereits erwacht, und, zwar noch müde und schwach vom Fieber, das ihm die ganze Nacht über zugesetzt hatte, zugleich aber doch in deutlich besserer Verfassung, als er erwartet hätte. Sie waren nicht allein. Eine der beiden Sinti-Frauen, die sich bereits am Vortag um Pater Flock gekümmert hatten, saß jetzt an Abu Duns Lager, und sie machte auch keine Anstalten, zu gehen, als Andrej ins Zelt kam. Andrej war das im Moment sogar Recht. Abu Dun war noch schwach, zugleich aber auch schon wieder wach genug, um reden und ihn mit finsteren Blicken geradezu aufspießen zu können, und er konnte sich lebhaft vorstellen, was der Nubier ihm zu sagen hatte. Und auch, wenn er mit dem Meisten davon zweifellos Recht haben würde, so fühlte sich Andrej im Moment einer weiteren, sinnlosen Auseinandersetzung mit dem Nubier nicht gewachsen. Er erkundigte sich nach seinem Befinden, und sie tauschten noch einige Belanglosigkeiten aus, dann verließ er das Zelt wieder und machte sich auf die Suche nach Bason.

Der junge Sinti kam ihm auf halbem Wege entgegen, während er sich der Mitte des Lagers näherte. Schon von weitem winkte er Andrej aufgeregt zu. »Andreas!«, rief er. »Ich sehe, es geht dir wieder besser. Das ist gut. Laurus hat mir gesagt, dass ich dich suchen soll.«

»Er sagt, du hättest Arbeit für mich«, antwortete Andrej bewusst unfreundlich.

»Das bist du mir schuldig, oder? Immerhin habe ich meinen Teil der Abmachung eingehalten. Du hast doch mit Anka gesprochen?«

»Jemand hat Laurus verraten, dass ich bei ihr war«, sagte Andrej.

»Ich war es jedenfalls nicht«, versicherte Bason, hörte aber nicht auf, ihn dabei anzustrahlen. »Das wäre auch ziemlich dumm von mir, findet du nicht? Immerhin könnte er fragen, wer dieses Treffen arrangiert hat.«

»Arrangiert kam es mir eigentlich nicht vor«, erwiderte Andrej, aber Bason schüttelte nur heftig den Kopf.

»Glaub' mir, Andreas, Anka mag ein bisschen wunderlich sein, aber sie spricht mit niemandem, mit dem sie nicht sprechen will. Und es gibt nicht mehr viele Menschen, mit denen sie sprechen will. Es war nicht einmal einfach, sie zu überreden.«

Andrej sah sein schlankes Gegenüber nachdenklich an. Er war ziemlich sicher, dass Bason die Wahrheit sagte, was Laurus anging - so unfreundlich, wie er mit ihm, einem Fremden, gesprochen hatte, würde er seinem Adoptivsohn wahrscheinlich den Kopf abreißen, wenn er erführe, dass er das Treffen zwischen der Puuri Dan und Andrej arrangiert hatte. Trotzdem hatte er das vage Gefühl, dass irgendetwas an Basons Worten nicht stimmte. Allerdings nur für einen Moment. Dann gewann Basons strahlendes Lächeln die Oberhand, und Andrej schalt sich in Gedanken selbst einen Narren. Er war einfach zu misstrauisch. Bason mochte ein wenig naiv sein, aber er war einfach niemand, der einen anderen hintergehen würde.

»Also, was soll ich tun?«, fragte er. »Fünfzig Klafter Holz hacken, hundert Fässer Wasser vom Bach heraufholen, oder zwanzig Wildpferde zureiten?«

Basons Grinsen wurde breiter. »Mir das Schwertfechten beibringen«, sagte er.

»Wie?« Andrej blinzelte.

Bason nickte heftig. »Du hast vorgestern nicht viel gesagt, als du unsere Probe zugesehen hast, aber du hast auf eine ganz bestimmte Art nichts gesagt, weiß du? Ich hätte schon blind sein müssen, um nicht zu sehen, was du von unserer Aufführung hältst.«

Andrej war höflich genug, nicht darauf zu antworten.

»Du hast Recht«, gestand Bason. »Am Anfang wollte ich es nicht wahrhaben, aber ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht. Vor allem, nachdem ich deinem Freund, dem Muselmanen, zugesehen habe. Meine beiden sogenannten Schwertkämpfer sind erbärmlich.« Er machte eine Kopfbewegung auf die Stelle, an der Andrejs Schwert gehangen hätte, hätte er den Waffengurt umgebunden. »Bring' mir bei, wie man mit einem Schwert umgeht.«

»Wie kommst du darauf, dass ich das könnte?«

»Habe ich schon gesagt, dass ich ein guter Beobachter bin?«, grinste Bason. Er schüttelte den Kopf. »Außerdem hast du es mir selbst verraten, gestern.«

»Das mag sein«, antwortete Andrej. »Ich verstehe tatsächlich ein wenig von der Kunst des Fechtens. Aber es dauert Jahre, sie zu erlernen. Und ein Schwert ist auch kein Spielzeug.«

»Ich habe auch nicht gesagt, dass ich von dir erwarte, mich in drei Tagen zu einem Schwertmeister auszubilden«, antwortete Bason. »Ich will nicht wirklich das Kämpfen lernen. Um ehrlich zu sein: Ich liebe Waffen nicht besonders. Ich will nicht wissen, wie man tötet, und ich will es auch nicht lernen.«

»Was soll ich dir dann beibringen?«

»Zeig' mir nur genug, damit ich auch den anderen beibringen kann, wie man nicht ganz so unbeholfen herumstolpert und sich zum Narren macht. Mehr wollen die Leute ja auch nicht sehen.«

Andrej zögerte. Basons Bitte klang nur logisch, und natürlich sprach aus ihr auch die Begeisterung eines jungen Mannes für Waffen und Kämpfe, ganz egal, was Bason auch behauptete. Aber auch seine Antwort war nicht nur so dahin gesagt gewesen. Ein Schwert war kein Spielzeug. Nicht einmal, wenn es aus Holz war und der, der es führte, von sich behauptete, das Kämpfen eigentlich nicht zu mögen. Er suchte nach einer möglichst unverfänglichen Antwort, mit der er Basons Bitte abschlagen konnte, aber dann sah er wieder in die Augen des jungen Sinti, und darin standen ein so strahlendes Lächeln und ein so unerschütterliches Vertrauen geschrieben, dass er es einfach nicht übers Herz brachte. So war das nun einmal mit Bason: Er war ihm einfach zu sympathisch, um ihm irgendeine Bitte abzuschlagen.

»Also gut«, sagte er. »Aber erwarte keine Wunder. Wir werden nicht mehr lange bei euch bleiben. Wenige Tage reichen nicht, um dir wirklich etwas beizubringen.«

Bason strahlte noch breiter. »Zeig' mir einfach, an welchem Ende man ein Schwert anfasst«, sagte er. »Das wäre vielleicht schon ein Fortschritt.«

Gegen seinen Willen musste Andrej lachen. Er machte eine auffordernde Geste zur Bühne hin.

»Willst du nicht erst in deinen Wagen, um dein Schwert zu holen?«, fragte Bason.

»Eure Holzschwerter werden reichen, für den Anfang«, sagte Andrej. »Aber nur, damit es klar ist: Damit ist mein Teil der Abmachung erledigt. Ich werde nicht heute Abend dort oben stehen und mich zum Narren machen.«

»Das werden wir sehen«, antwortete Bason. Er lachte, drehte sich herum und lief mit schnellen, weit ausgreifenden Schritten voraus, jetzt wirklich ein Kind, das sich auf eine Überraschung freute und es vor Ungeduld kaum noch aushalten konnte.

Während Andrej ihm etwas langsamer folgte, sah er sich unauffällig nach rechts und links um. Das Lager bot den gleichen Anblick wie am vergangenen Morgen, und es dauerte eine Weile, bis Andrej selbst klar wurde, dass er nach Elena ... suchte. Warum eigentlich? Wenn schon nicht Anka, so hatten ihm doch spätestens Laurus' Worte vorhin klar gemacht, dass es besser war, sie nicht wieder zu sehen. Und auch er selbst hatte sich noch am vergangenen Abend vorgenommen, auf den Rat der Puuri Dan zu hören, die sicherlich nicht in ihrer haarsträubenden Begründung, in der Sache aber Recht hatte. Irgendetwas in ihm spürte ganz genau, wie gefährlich Elena ihm werden konnte, und Andrej hatte schon vor sehr langer Zeit gelernt, dass es besser war, auf seine innere Stimme zu hören. Und trotzdem musste er immer wieder an Elena denken.

Es kostete ihn spürbare Mühe, den Gedanken zu verscheuchen. Er schritt schneller aus, erreichte die Bühne fast gleichzeitig mit Bason und sprang mit einem federnden Satz hinauf, während der junge Sinti einen Umweg über die Treppe nahm. Bason schenkte ihm ein anerkennendes Nicken, verschwand für einen Moment hinter den bunt bemalten Tüchern, die die Rückwand der Bühne bildeten, und kam mit zwei gut meterlangen Holzschwertern in der Hand zurück. Er nahm eine der Waffen in die rechte Hand und wollte die anderen an Andrej weiterreichen, aber Andrej schüttelte den Kopf.

»Aber ich dachte, du wolltest mich unterrichten«, sagte Bason enttäuscht.

»Das werde ich«, antwortete Andrej. »Greif mich an!«

Bason sah einen Moment lang verständnislos auf die beiden Holzschwerter in seinen Händen herab, dann zuckte er mit den Schultern - und machte einen blitzschnellen Ausfallschritt, indem er mit beiden Klingen zugleich nach Andrejs Leib und Gesicht stieß. Für jemanden, der angeblich nicht wusste, an welchem Ende man ein Schwert anfasste, war er erstaunlich schnell, fand Andrej.

Trotzdem nutzte es natürlich nichts. Andrej trat fast gemächlich zur Seite, ließ Bason an sich vorüberstolpern und versetzte ihm einen Fußtritt in die Kniekehle. Bason keuchte, taumelte noch einen hilflosen halben Schritt weiter und fiel dann der Länge nach hin.

»Das war schon die erste Lektion«, sagte Andrej. »Unterschätze niemals einen Gegner, nur weil er keine Waffe in der Hand hat.«

Der junge Sinti rappelte sich mühsam auf. Er hatte beide Schwerter fallen gelassen. Eine der Waffen ließ er liegen, die andere ergriff er mit grimmigem Gesichtsausdruck mit beiden Händen, baute sich breitbeinig vor Andrej auf und meinte: »Noch einmal wird mir das auch nicht passieren.«

Sein zweiter, beidhändig geführter Hieb war womöglich noch schneller als der erste Angriff, und hätte er ein richtiges Schwert in der Hand gehabt und wäre einem normalen Gegner gegenüber gestanden, dann hätte er diesem möglicherweise glatt den Kopf von den Schultern getrennt. Andrej fiel es jedoch nicht besonders schwer, sich unter dem Schwerthieb zu ducken und Bason zugleich einen Schlag mit der flachen Hand vor die Brust zu versetzen, der ihn keuchend nach Luft schnappen und diesmal der Länge nach rücklings zu Boden stürzen ließ.

»Hätte ich mit der Faust zugeschlagen, hätte ich dir eine Rippe gebrochen, vielleicht sogar das Brustbein«, sagte Andrej kopfschüttelnd. »Lektion Nummer zwei.«

Bason brauchte deutlich länger als beim ersten Mal, um sich wieder aufzurappeln und das Schwert aufzuheben. Seine Mundwinkel zuckten, sein Atem ging stoßweise und unregelmäßig. »Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, dass du mir das Schwertkämpfen beibringst, nicht, mich verprügelst«, maulte er. Er hob sein Schwert, und Andrej trat mit einer fast gemächlichen Bewegung neben ihn, entrang ihm die Waffe fast schneller, als Basons Blicke seiner Hand folgen konnten, und setzte ihm die stumpfe Holzklinge an die Kehle.

»Lektion Nummer drei«, sagte er ruhig. »Du solltest dich entscheiden, ob du mit einem Mann reden oder kämpfen willst.«

Bason ächzte. Andrej hatte seinen Kopf so weit zurückgebogen, dass er Mühe hatte, zu sprechen, und auch wenn die hölzerne Klinge keine wirkliche Schneide besaß, so drückte sie ihm doch nahezu die Luft ab. Andrej hielt den jungen Sinti eine gute Sekunde länger in dieser entwürdigenden Stellung, als nötig gewesen wäre, dann trat er rasch zwei Schritte zurück, wartete, bis Bason sich aufgerichtet hatte und wieder halbwegs zu Atem gekommen war und machte schließlich eine Kopfbewegung auf das zweite Holzschwert. »Heb's auf!«

Bason gehorchte, und Andrej wartete gerade lange genug ab, dass er sich wieder aufrichten und mit gespreizten Beinen in Verteidigungsstellung gehen konnte, ehe er mit seinem eigenen Schwert eine blitzschnelle, kreiselnde Bewegung machte, die Bason die Waffe aus der Hand riss und sie in hohem Bogen davonfliegen ließ.

Und so ging es weiter. Sie alberten eine gute Stunde herum - die Bason allerdings mehr auf Bauch und Rücken liegend auf dem Boden zubrachte, als stehend oder gar kämpfend - und Andrej legte nach und nach immer mehr Kraft in seine Angriffe, aber auch in die Hiebe, mit denen er immer wieder Basons praktisch nicht vorhandene Deckung durchbrach und ihn traf. Er wollte ihm wehtun, nicht aus Grausamkeit, sondern, um ihm vielleicht auf diese Weise beizubringen, dass ein Schwert kein Spielzeug und das Kämpfen kein Spaß war, ein wenig aber auch aus dem ganz egoistischen Grund, dass er hoffte, diesen unwürdigen Auftritt auf diese Weise abkürzen zu können. Bason erwies sich jedoch als weitaus zäher, als er erwartet hatte - und auch als weitaus gelehrigerer Schüler. Es gelang ihm nicht ein einziges Mal, Andrej zu treffen, aber er brachte ihn doch zwei oder drei Mal in Bedrängnis, und das war schon mehr, als den meisten anderen gelungen wäre, vor allem nach kaum einer Stunde. Schließlich aber erfüllte Andrejs Zermürbungstaktik ihren Zweck. Basons Atem begann im gleichen Maße schwerer zu werden wie Seine Bewegungen langsamer wurden. Er griff Andrej jetzt nicht mehr an, sondern hatte alle Mühe, Attacken zu widerstehen, die er vor zehn Minuten noch ohne Probleme pariert hätte, und Andrej musste sich ganz im Gegenteil immer mehr darauf konzentrieren, den Sinti nicht aus Versehen zu treffen und möglicherweise zu verletzen.

»Ich glaube, für heute ist es genug«, sagte er. Er ließ das Schwert sinken und trat zwei Schritte zurück, doch Bason schüttelte nur den Kopf und hob mit gespielt drohendem Gesichtsausdruck seine Waffe.

»So leicht kommst du mir nicht davon, Schurke«, grollte er.

»Lass es gut sein«, sagte Andrej lächelnd. Er nickte anerkennend. »Du hast dich wirklich gut geschlagen, und das meine ich Ernst. Aber es nutzt nichts, es zu übertreiben. Schon gar nicht am ersten Tag.«

»Das sagst du doch nur, weil du Angst vor mir hast«, behauptete Bason lachend, riss das Schwert mit beiden Händen über den Kopf und sprang mit einem spitzen Kampfschrei los.

Andrej seufzte. Bason war ein Kind. Vielleicht war es Zeit, dass er anfing, ihn wie ein solches zu behandeln.

Er wich zur Seite aus, ließ Bason an sich vorüberstürmen und wollte ihm mit der flachen Seite der Klinge einen herzhaften Schlag auf das Hinterteil versetzen, aber Bason überraschte ihn. Er schien genau damit gerechnet zu haben, denn er stürmte keineswegs an ihm vorbei, sondern warf sich mitten in der Bewegung herum. Natürlich verlor er dadurch das Gleichgewicht und fiel, aber er beendete seine Drehung noch im Sturz, und das Holzschwert hackte schräg aufwärts nach Andrejs Knien.

Er reagierte ganz instinktiv, indem er ansatzlos in die Höhe sprang und die Knie anzog und gleichzeitig selbst zurückschlug. Sein Schwert traf das Basons dicht über dem Griff und zerschmetterte es. Bason schrie vor Überraschung, aber auch Schmerz auf, warf sich herum und presste die rechte Hand gegen den Körper.

»Bason! Ach verdammt, das wollte ich nicht!« Andrej schleuderte das Holzschwert fort, fiel neben Bason auf die Knie und drehte ihn mit einem Ruck herum.

Und erstarrte.

Bason lag auf der Seite, hatte die Knie an den Leib gezogen, und presste wimmernd die rechte Hand gegen den Körper. Ein mehr als fingerlanger Holzsplitter hatte sich durch das empfindliche Fleisch zwischen Zeigefinger und Daumen gebohrt und auch die Hälfte des Handballens darunter aufgerissen, bevor er die Haut auf der anderen Seite wieder durchstoßen hatte. Keine gefährliche Wunde. Aber mit Sicherheit eine Verletzung, die sehr schmerzhaft war. Und die heftig blutete.

Die Attacke kam zu schnell, als dass Andrej noch irgendetwas dagegen tun konnte. Er hatte ganz automatisch die Hand ausgestreckt, um nach Basons Arm zu greifen und den Splitter herauszuziehen, aber das Ding in ihm war schneller. Auf Basons Hand war Blut. Warmes, süßes, unendlich verlockendes Blut, eine Essenz, nach der es gierte wie nach nichts anderem in seiner unheiligen Existenz. Und wie am Tag zuvor bei Abu Dun, war es Andrej auch jetzt unmöglich, die unsichtbare Kralle zurückzuhalten, mit der es nun die Lebensflamme des jungen Sinti umklammerte, um sie herauszureißen, seine Seele zu verzehren und seine Lebenskraft der ihren hinzuzufügen.

Basons Augen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen, während Andrej innerlich gellend aufschrie und mit verzweifelter Kraft versuchte, das Ungeheuer in sein finsteres Gefängnis auf dem Grund seiner Seele zurückzudrängen. Sein Gesicht verzerrte sich. Krämpfe schüttelten seinen Körper, und für einen winzigen Moment wurde aus dem verwirrten Entsetzen in Basons Augen etwas anderes, schlimmeres, als Andrej sich vorbeugte, zitternd, stöhnend, den Mund halb geöffnet, wie um die Lippen auf die Wunde in seiner Hand zu pressen und den pulsierenden roten Lebenssaft aus ihm herauszusaugen.

Dann war es vorbei. Plötzlich, von einem Lidschlag auf den anderen, hatte er gewonnen. Das Toben des Vampyrs erlosch, und die Bestie zog sich zurück in ihr Versteck in den lichtlosen Tiefen seines Unterbewusstseins. Andrej richtete auf, schloss die Augen und ballte die Hände so heftig zu Fäusten, dass es weh tat. Alles drehte sich um ihn. Der leise Kopfschmerz, der ihn seit dem Erwachen begleitet hatte, steigerte sich fast zur Agonie, und mit einem Mal fühlte er sich so schwach und ausgelaugt, dass er Mühe hatte, sich aufrecht zu halten und nicht auf der Stelle zusammenzubrechen.

Auch dieser Anfall verging so schnell, wie er gekommen war, und zurück blieb ein Gefühl sonderbarer Leere und Enttäuschung; Gefühle, die nicht seine eigenen waren, sondern die des Vampyrs, der sich um seine Beute betrogen sah, und die doch plötzlich zu ihm gehörten wie ein Stück glühender Kohle, das er angefasst und das sich unverrückbar in seine Haut eingebrannt hatte.

»Andreas?«, fragte Bason. »Ist alles in Ordnung mit dir?« Langsam nickte Andrej. Er konnte nicht sofort antworten, ihm war plötzlich klar, wie absurd Basons Frage war. Er sollte sich nach seinem Befinden erkundigen, nicht umgekehrt. Trotzdem nickte er noch einmal, zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte dann so heftig den Kopf, dass ihm schon wieder leicht schwindelig wurde. »Ich war nur erschrocken. Entschuldige. Das wollte ich nicht.«

In Basons Augen stand ganz deutlich die Frage geschrieben, was er nicht wollte, aber der Sinti sprach sie nicht laut aus, sondern setzte sich stöhnend auf und betastete seine rechte Hand mit der unverletzten linken. Seine Mundwinkel zuckten, und auf seiner Stirn perlte plötzlich Schweiß. »Lass das«, sagte Andrej. »Halt einfach still.« Bason sah nicht so aus, als ob ihn diese Aufforderung in irgendeiner Art beruhigen könnte, streckte aber gehorsam den rechten Arm aus und umklammerte das Handgelenk mit der Linken. Jetzt, als Andrej die Wunde nicht mit den Augen eines ausgehungerten Raubtieres sah, erkannte er, dass sie weniger schlimm war als es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte. Mit einem Ruck zog er den Holzsplitter heraus. Bason zog scharf die Luft ein; Tränen traten ihm in die Augen.

»Schon vorbei«, sagte Andrej in bewusst beiläufigem Ton. »Es tut mir wirklich Leid. Ich wollte dich nicht verletzen.«

»Meine Schuld«, sagte Bason gepresst. Nach einem Moment und mit einem schiefen Grinsen fügte er hinzu: »Aber deshalb tut es nicht weniger weh.«

»Du solltest die Wunde verbinden lassen«, sagte Andrej. Er stand auf und streckte die Hand aus, um Bason hochzuhelfen, aber der Sinti schüttelte nur den Kopf und rappelte sich ungeschickt, aber aus eigener Kraft auf. Die verletzte Hand hatte er gegen die Brust gepresst und mit der anderen abgedeckt, aber sein weißes Hemd war jetzt mit hässlichen roten Flecken übersät.

Andrej betrachtete sie, und der Anblick machte ihm jetzt nichts mehr aus. Aber er war trotzdem verunsichert und verwirrt wie selten zuvor in seinem Leben. Es war das zweite Mal innerhalb weniger Stunden, dass er die finstere Macht, die er so viele Jahre lang sorgsam unter Kontrolle gehalten hatte, nicht mehr beherrscht und um ein Haar zu ihrem Gefangenen geworden wäre. Vielleicht hat Abu Dun Recht, dachte er. Vielleicht sollten wir von hier verschwinden, solange wir noch können.

»Was war das, Andreas?«, fragte Bason mit leiser, zitternder Stimme. »Du bist -«

»- ein unvorsichtiger Narr, ich weiß«, fiel Andrej ihm ins Wort. »Ich hätte nicht so fest zuschlagen sollen. Es tut mir Leid.«

Bason sah einen Moment lang auf seine verletzte Hand hinunter, schüttelte den Kopf und blickte ihn dann auf noch sonderbarere Weise an; auf eine Art, die Andrej einen kalten Schauer über den Rücken jagte. »Das habe ich nicht gemeint«, sagte er. »Ich meine das, was du getan hast.«

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, erwiderte Andrej.

»Ich glaube schon«, beharrte Bason. Der Ausdruck in seinen Augen änderte sich, aber er wurde sonderbarerweise nicht härter, zorniger oder gar vorwurfsvoll. »Du bist -«

»Was ist denn hier passiert?«

Andrej hätte um ein Haar erleichtert aufgeatmet als er die Stimme hinter sich hörte und somit einen Anlass hatte, Bason nicht zu antworten, sondern sich rasch herumzudrehen. Er war nicht sicher, ob er die Kraft gehabt hätte, dem jungen Sinti nicht die Wahrheit zu sagen.

Als er sich umdrehte, wandelte sich das Gefühl der Erleichterung jedoch schlagartig. Hinter ihm stand nicht Laurus oder einer der anderen Sinti, wie er angenommen hatte. Während er mit Bason gesprochen hatte, waren drei Berittene näher gekommen, die jetzt unmittelbar neben der Bühne angehalten hatten. Da sie auf den Pferderücken saßen, befanden sie sich praktisch auf gleicher Höhe mit ihm. Einen der drei Männer kannte er von gestern - Schulz -, die beiden anderen waren ihm fremd, aber ihr Anblick mahnte ihn zur Vorsicht. Sie trugen Kettenhemden und Schwerter, und beide waren ausgesucht große, kräftige Kerle mit harten Gesichtern und gnadenlosen Augen.

»Schulz«, sagte er. »Ihr kommt früh.«

Der Grauhaarige deutete auf Bason. »Hat es einen Unfall gegeben, oder kommen wir im falschen Moment?«

»Ein Unfall«, bestätigte Andrej. »Ich war ungeschickt.«

Schulz lächelte kühl. Sein Blick klebte einen Moment an Basons Hand, dann sah er Andrejs ins Gesicht. »Das scheint mir auch so. Aber wie ich zu meiner Erleichterung sehe, scheint Ihr selbst ja unverletzt zu sein. Offensichtlich kommen immer nur die zu Schaden, die den Fehler begehen, Euch zu nahe zu kommen, Andreas.«

Andrej beschloss, nicht darauf einzugehen. »Ich nehme an, Ihr seid gekommen, um mit Laurus zu sprechen?«

»Unter anderem«, bestätigte Schulz.

»Dann führe ich Euch zu ihm.« Andrej wandte sich noch einmal an Bason. »Geh und lass deine Hand verbinden.«

Er wartete bis Bason gegangen war, um seiner Aufforderung Folge zu leisten, dann sprang er geschmeidig von der Bühne und sah auffordernd zu Schulz und seinen beiden Begleitern hoch. Weder der Grauhaarige noch die beiden anderen Männer machten Anstalten, aus den Sätteln zu steigen, und so drehte sich Andrej achselzuckend um und ging - schon fast provozierend - langsam vor ihnen her. Die Männer und Frauen, an denen sie vorüberkamen, blieben überrascht stehen oder hielten in ihrem Tun inne, und Andrej war sich bewusst, dass er wie ein Gefangener aussah, der vor seinen Häschern einher schritt. Und er fragte sich, ob es tatsächlich so war. Die Anwesenheit der beiden Bewaffneten irritierte ihn. Vielleicht hatte ihn die grimmige Sachlichkeit, die Schulz gestern an den Tag gelegt hatte, dazu verleitet, diesen Mann vorschnell und möglicherweise falsch einzuschätzen.

Auch als sie Laurus' Wagen erreichten, stiegen Schulz und seine beiden Begleiter nicht ab. Der Grauhaarige machte eine auffordernde Kopfbewegung, und Andrej klopfte an die Tür. Sie wurde so schnell geöffnet, als hätte der Sinti bereits dahinter gewartet, und Laurus trat heraus. Schweigend blieb er auf der obersten Treppenstufe stehen und sah Andrej unfreundlich an.

»Wir haben Gäste«, sagte Andrej und deutete auf die drei Männer hinter sich. »Das ist Schulz. Ich habe Euch von ihm erzählt.«

Laurus musterte auch Schulz und seine beiden Begleiter missbilligend, dann deutete er ein Achselzucken an. »Ihr kommt früh.«

»Wir haben eine Menge zu besprechen«, antwortete Schulz. »Meinen Namen kennt Ihr ja schon. Ich nehme an, Ihr seid Laurus, der Anführer dieser ... Familie?«

Laurus' Miene verfinsterte sich ein wenig, als er hörte, wie Schulz das letzte Wort aussprach, und auch Andrej fühlte sich noch ein wenig mehr alarmiert als bisher. Schulz hatte das Wort Anführer ganz gewiss nicht ohne Bedacht gewählt, so wenig wie die winzige Pause vor dem Wort Familie Zufall gewesen war. Konnte es sein, dass er sich so sehr in diesem Mann getäuscht hatte?

»Wir haben keinen Anführer«, antwortete Laurus. »Aber wenn Ihr mit jemandem reden wollt, dann könnt Ihr es genauso gut mit mir wie mit jedem anderen tun.« Er wandte sich an Andrej. »Danke, dass du die Herren hierher gebracht hast. Jetzt geh' wieder an deine Arbeit.«

»Nein«, widersprach Schulz. »Ich möchte, dass er bleibt.«

In Laurus' Augen blitzte es auf, aber er zuckte nur mit den Schultern und ging wieder in seinen Wagen zurück. Andrej folgte ihm, und endlich stiegen auch Schulz und seine beiden Begleiter aus ihren Sätteln. Der Grauhaarige und einer der Bewaffneten gesellten sich zu ihnen, während der andere draußen bei den Pferden zurückblieb. Allein die Art, auf die er sich bewegte, machte Andrej endgültig klar, womit sie es hier zu tun hatten. Auch wenn die beiden Männer bisher kein einziges Wort gesprochen hatten und das wahrscheinlich auch nicht tun würden, so redete ihre Körpersprache doch genug. Er fragte sich, wie viele es noch von ihnen gab. Und wo sie waren.

»Nehmt Platz, die Herren.« Laurus machte eine einladende Handbewegung auf den Tisch, der zusammen mit der an der Wand verschraubten Eckbank und den beiden Stühlen ein Großteil des vorhandenen Platzes einnahm. »Möchtet Ihr etwas trinken?«

Schulz zögerte sichtlich, der Einladung Folge zu leisten, setzte sich aber dann doch, während sein Begleiter mit verschränkten Armen vor der jetzt wieder geschlossenen Tür stehen blieb. Der Blick des Grauhaarigen glitt rasch durch das Innere des Wagens, aber es war nicht festzustellen, ob ihm das, was er sah, gefiel oder nicht. »Nein«, sagte er. »Ich bin nicht hierher gekommen, um mit Euch zu trinken, Laurus.«

Laurus hob die Schultern. »Ich sehe, Ihr seid ein Mann, der das offene Wort schätzt«, sagte er. »Also, warum seid Ihr dann hier?« Er nahm Schulz gegenüber Platz, und Andrej fiel plötzlich auf, wie ähnlich sich die beiden Männer doch waren. Beide hatten ungefähr das gleiche Alter, beide waren grauhaarig und mit denselben offenen, zugleich aber auch energischen Zügen ausgestattet. Und ganz offensichtlich hielten beide nicht allzu viel davon, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Das Gespräch versprach interessant zu werden.

Bevor Schulz antwortete, warf er Andrej einen fragenden Blick zu. Er schien zu wünschen, dass auch Andrej sich setzte, doch stattdessen trat dieser ein Stück zurück und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand. Erst jetzt wurde ihm klar, warum er das getan hatte, und dass er einen ziemlich albernen Anblick bieten musste, wie er nun die unverhohlen drohende Haltung des Bewaffneten vor der Tür nachahmte. Sich jetzt hinzusetzen, hätte die Situation jedoch nur noch peinlicher gemacht, und so blieb er, wo er war. »Also gut«, begann Schulz, nun wieder an Laurus gewandt. »Ihr könnt Euch vermutlich denken, warum ich hier bin.«

»Kann ich das?«, fragte Laurus.

Schulz runzelte die Stirn. »Was gestern bei Handmanns Mühle passiert ist, war eine schlimme Sache«, sagte er. »Pater Flock hat mir davon erzählt. Ich muss mich in unser aller Namen für Handmanns Benehmen entschuldigen. Er ist ein sehr dummer Mann.« Der Blick, mit dem er Laurus maß, wurde ein bisschen lauernd, fand Andrej. »Aber Pater Flock hat mir auch erzählt, was Euer Weib hinterher gesagt hat.«

»So?«, fragte Laurus. »Und was soll das gewesen sein?«

»Sie soll gedroht haben, dass Handmanns Korn von den Ratten aufgefressen wird.«

Laurus wollte auffahren, aber Andrej kam ihm zuvor. »So hat sie das aber nicht gesagt.«

Laurus bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick, während sich Schulz stirnrunzelnd nun ein anderes Ziel suchte. »Und was genau hat sie dann gesagt?«

Andrej war klar, dass es sich als schlimmer Fehler erweisen konnte, diesen Mann noch weiter zu reizen, aber er hatte auch genug Erfahrung im Umgang mit Menschen wie Schulz, um zu wissen, dass sie übertriebene Rücksichtnahme nur zu gerne als Schwäche auslegten. »Ich nehme an, Ihr habt mit Pater Flock gesprochen«, antwortete er. »Dann wird er Euch auch gesagt haben, wie es wirklich war. Es war Handmann, der sagte, er würde sein Korn lieber an die Ratten verfüttern, statt es uns zu verkaufen.«

»Und das Zigeunerweib hat gesagt, das könne er haben, richtig?«

Andrej hob die Schultern. »Wie hättet Ihr reagiert?«, fragte er leichthin.

»Vielleicht nicht anders«, gestand Schulz. »Aber vielleicht wären dann am nächsten Morgen nicht wirklich Ratten gekommen, um sein ganzes Korn aufzufressen.«

»Manchmal sollte man eben vorsichtig mit dem sein, was man sich wünscht«, warf Laurus böse ein. Andrej fuhr sichtbar zusammen. Was dachte sich der Sinti nur dabei?

»Ich weiß nicht genau, wer Ihr seid, Schulz, und was Ihr von uns wollt«, fuhr Laurus fort. »Aber Ihr scheint mir ein vernünftiger Mann zu sein. Ihr glaubt doch diesen Unsinn von Hexerei und Flüchen nicht wirklich, den dieser Narr erzählt?«

Wider Erwarten blieb Schulz ruhig: »Wenn ich das glauben würde, dann lägt Ihr alle schon längst in Ketten«, sagte er. »Dennoch müsst Ihr zugeben, dass dies alles ein sonderbarer Zufall ist.« Er machte eine Kopfbewegung in Andrejs Richtung. »Wir haben uns die Tiere angesehen, die Andreas und seinen Sarazenenfreund um ein Haar getötet hätten. Ich habe zwei der toten Ratten mit in die Stadt genommen und sie dem Apotheker gezeigt. Er konnte weder Anzeichen von Tollwut, noch irgendeine andere Krankheit bei ihnen entdecken.«

»Und das ist natürlich der Beweis dafür, dass Elena sie verhext hat«, meinte Laurus höhnisch.

»Nein«, sagte Schulz. »Nur der Beweis dafür, dass hier irgendetwas ... Seltsames vorgeht.«

Laurus schnaubte abfällig. »Ich verstehe. Die Zigeuner sind in der Stadt, und alles, was passiert, ist fortan ihre Schuld, nicht wahr? Sagt, Schulz, haben die Frauen schon die Wäsche von der Leine genommen und die Kinder im Haus eingesperrt?«

Es fiel Andrej immer schwerer, sich zu beherrschen. Er verstand einfach nicht, was in Laurus gefahren war. Der Sinti Schien es regelrecht darauf anzulegen, Schulz zu provozieren.

»Ihr schätzt mich falsch ein«, sagte Schulz ruhig, aber mit einer Kälte in der Stimme, die Laurus zu denken geben sollte, wie Andrej inständig hoffte. »Ich habe nichts gegen Fremde, ganz egal, wer sie sind, woher sie kommen, und was für Sitten und Gebräuche sie auch haben mögen. Nicht, solange sie uns in Ruhe lassen und den Frieden unserer Stadt nicht stören. Wären es nur diese Ratten, dann wäre ich nicht hier. Um ehrlich zu sein, gibt es nicht Wenige in der Stadt, die Handmann Von Herzen gönnen, was ihm zugestoßen ist. Aber dieser Vorfall ist nicht der einzige. Bevor Ihr gekommen seid, Laurus, war dies eine friedliche Stadt. Aber gestern wurde Pater Flock um ein Haar getötet.«

»Damit haben wir nichts zu tun«, sagte Laurus. Er klang ein bisschen erschrocken, fand Andrej, und der Ausdruck auf Schulz' Gesicht machte ihm klar, dass es auch ihm nicht entgangen war. »Er hat sich im Wald verirrt und wurde überfallen. Ich weiß nicht, von wem. Vielleicht waren es Räuber.«

»Räuber«, wiederholte Schulz nachdenklich. Sonderbarerweise umspielte ein angedeutetes Lächeln seine Lippen, während er dieses Wort aussprach. »Nie hat es bisher Räuber in dieser Gegend gegeben.«

»Ja, vermutlich haben wir sie mitgebracht!«, rief Laurus aufgebracht. »Haltet Ihr uns für so dumm, Schulz? Selbst wenn wir hinter diesem Überfall stecken sollten - aus welchem Grund auch immer -, glaubt Ihr wirklich, wir hätten es so plump angestellt, dass aller Verdacht sofort auf uns fiele?«

Schulz überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Und wenn, dann hätte ich gleich Soldaten geschickt, statt selbst zu kommen.« Er machte eine kleine Pause, um seinen nachfolgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen und stand auf. »Dennoch müssen diese Vorfälle untersucht werden, und sei es nur, um Euch und Eure Familie von jedem Verdacht reinzuwaschen, Laurus. Ihr habt vor, noch länger hier zu bleiben?«

»Zwei oder drei Tage«, knurrte Laurus.

»Vielleicht werdet Ihr länger hier verweilen müssen«, antwortete Schulz. »Um es klar zu sagen: Ich muss darauf bestehen, dass Ihr hier bleibt, bis die Angelegenheit vollkommen aufgeklärt ist.«

»Dann sind wir Eure Gefangenen?«

»Ich habe nicht das Recht, jemanden gefangen zu nehmen«, antwortete Schulz ruhig. »Ihr könnt Euch frei in Eurem Lager bewegen und Euren Geschäften nachgehen. Ihr könnt auch in die Stadt kommen, das kann und will ich Euch nicht verbieten. Ich kann Euch nur raten, es nicht zu tun. Die Stimmung dort ist im Moment nicht besonders gut. Die Menschen sind nervös und haben Angst, und ob nun zu Recht oder nicht - sie geben Euch die Schuld an allem. Es wäre deshalb in Eurem eigenen Interesse, hier zu bleiben und abzuwarten, was die Untersuchungen ergeben.«

»Und wenn ich das nicht will?«

Schulz hob die Schultern. »Es ist Eure Entscheidung. Wenn es Euch lieber ist, dass ich die Behörden einschalte und es eine offizielle Untersuchung gibt...«

Laurus starrte ihn an, aber er war zu Andrejs Erleichterung diesmal klug genug, nichts mehr zu sagen.

Schulz wandte sich zum Gehen, während Laurus sitzen blieb und ihm nur finster nachstarrte. Sein Begleiter trat respektvoll zur Seite und öffnete gleichzeitig die Tür, aber Schulz wandte sich noch einmal zu Laurus um. »Und was das Mehl angeht, das Handmann Euch nicht verkaufen wollte: Ich habe einen Wagen losgeschickt, der Euch einen ausreichenden Vorrat bringen wird. Ich habe gehört, Ihr gebt abends eine Vorstellung mit Gauklern, Feuerschluckern und -«, er warf einen raschen Blick in Andrejs Richtung, »- Schwertkämpfern?«

»Wenn Ihr nichts dagegen habt«, knurrte Laurus böse. »Ganz im Gegenteil«, sagte Schulz. »Die Zeiten sind hart und die Menschen sind dankbar für jede Zerstreuung. Ich habe gehört, dass Eure Vorstellung sehr gut sein soll. Vielleicht komme ich heute oder morgen Abend und schaue sie mir an.« Er hob die Schultern, als wäre ihm in diesem Moment eine Idee gekommen. »Bei der Gelegenheit kann ich vielleicht auch ein paar Worte mit Eurem Weib wechseln. Sie soll ja eine sehr schöne Frau sein.«

Laurus schenkte ihm nur einen finsteren Blick, und nachdem er einen Moment lang vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte, verließ Schulz endgültig den Wagen. Andrej folgte ihm zur Tür und sah, wie er und seine beiden Begleiter aufsaßen und davon ritten.

Ohne die Tür zu schließen, drehte er sich zu Laurus herum. »Das war nicht besonders klug von Euch.«

»Was? Mir die Unverschämtheiten dieses Kerls nicht gefallen zu lassen?«

»Ihn zu reizen«, antwortete Andrej. »Ich weiß, es geht mich nichts an, aber er hat Recht: Die Menschen sind schnell damit bei der Hand, Fremde für alles Übel verantwortlich zu machen, das ihnen widerfährt.«

Laurus schnaubte. »Vielen Dank für diesen guten Rat, Andreas! Aber stell' dir vor, das habe ich auch schon gemerkt. Zum ersten Mal vor ungefähr vierzig Jahren.« Er stand mit einem so zornigen Ruck auf, dass sein Stuhl zurückflog und umgestürzt wäre, wäre er nicht gegen die Wand geprallt. »Und wo wir schon einmal dabei sind, was habt Ihr und Euer schwarzgesichtiger Freund bei der Mühle getan?«

»Nur das, was ich Euch gestern erzählt habe«, sagte Andrej.

»So?«, schnaubte Laurus. »Und deshalb kommt dieser Narr hierher und bezichtigt meine Frau der Hexerei und uns der Wegelagerei?«

»Laurus, begeht jetzt nicht den gleichen Fehler wie Schulz«, sagte Andrej. »Oder sind Abu Dun und ich nun unweigerlich Schuld an dem, was passiert ist, nur, weil wir für Euch Fremde sind? Und jetzt entschuldigt mich bitte. Ich habe zu tun.«

Auch die Vorstellung an diesem Abend fand ohne Abu Dun und Andrej statt. Er war noch zwei Mal im Zelt des Nubiers gewesen und hatte sich nach seinem Befinden erkundigt, war aber nie nicht lange geblieben, obwohl er gespürt hatte, wie sehr es Abu Dun danach drängte, mit ihm zu reden. Er würde um dieses Gespräch nicht herumkommen, vielleicht noch heute, spätestens aber morgen, aber solange es ihm möglich war, ging er ihm aus dem Weg. Vielleicht, weil er im Grunde schon wusste, wie ihre Unterhaltung enden würde. Es kam selten vor, aber Andrej hatte dem Freund insgeheim schon längst Recht gegeben. Sie konnten nicht hier bleiben. Ja, sie hätten gar nicht erst hierher kommen sollen.

Er beschäftigte sich den ganzen Tag über mit allen möglichen Aufgaben - einige wurden ihm zugewiesen, andere suchte er sich selbst -, und als es dämmerte, die ersten Feuer angezündet wurden und die ersten Gäste ins Lager zu strömen begannen, zog er sich wieder in seinen Wagen zurück. Er war nicht dazu gekommen, weiter Ordnung zu machen, und wollte den letzten Rest vom Tageslicht ausnutzen, um dies nachzuholen.

Natürlich schaffte er es nicht. Er war unkonzentriert, nervös und mit den Gedanken nicht bei der Sache, und als das Licht verblasste und er in dem heruntergekommenen Wagen nur noch Schatten wahrnahm, war er beinahe dankbar dafür. Immerhin hatte er sein Bett hergerichtet und den gröbsten Schmutz und die zerbrochenen Möbel entfernt, und für die ein oder zwei Tage, die sie wahrscheinlich nur noch bleiben würden, reichte diese Unterkunft vollkommen aus.

Jemand klopfte an seine Tür. Andrej war im ersten Moment irritiert, fast erschrocken. Die Auswahl derjenigen, die ihn besuchen würden, war nicht besonders groß, und keinen davon wollte er im Moment wirklich sehen. Dennoch öffnete er und blinzelte einen Moment lang verständnislos in das Gesicht Elenas, die draußen stand und eine brennende Sturmlaterne in der Hand hielt. »Elena?«

»Ja. Jedenfalls war das bis eben mein Name«, antwortete sie lächelnd. »Komme ich ungelegen?« Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern raffte mit der freien Hand ihr Kleid, um die Treppe hinaufzusteigen und drängte sich einfach an ihm vorbei in den Wagen. Das Licht der Sturmlaterne vertrieb die barmherzige Dämmerung, die die Unordnung gnädig eingehüllt hatte, und erfüllte das Wageninnere mit bleicher Helligkeit und harten Schatten. Elena ging bis zur Mitte des Wagens, drehte sich, die Lampe immer noch haltend, einmal um sich selbst und sagte dann: »Oh.«

»Ich bin ... nicht sonderlich gut in solchen Dingen«, sagte Andrej mit einem verlegenen Lächeln.

»Ja, mir scheint auch, hier fehlt die Hand einer Frau«, meinte Elena. Sie sah sich nach einem Platz um, an dem sie die Lampe abstellen konnte, setzte sie schließlich einfach auf den Boden und sah sich noch einmal um. »Ich habe mich immer gefragt, warum Laurus den Wagen nicht schon längst ausrangiert hat, aber ich glaube, jetzt weiß ich es.«

»Er ist besser als ein Zelt«, antwortete Andrej, »und für die kurze Zeit wird es schon reichen. Warum bist du hier?«

Unbemerkt war er so weit von Elena zurückgewichen, wie es in dem kleinen Wagen überhaupt möglich war. Sie neigte den Kopf und schien über seine Frage nachzudenken. »Eigentlich wollte ich dir nur eine Lampe bringen - und dich fragen, wo du bleibst. Wir sind alle draußen am Feuer und feiern.«

»Mir ist nicht nach Feiern zumute«, antwortete Andrej.

»Und nicht danach, Laurus zu begegnen«, sagte Elena mit einem Nicken, das aus der Frage eine Feststellung machte. »Ich kann dich beruhigen. Er ist nicht im Lager.«

»Ist das klug?«, fragte Andrej. »Nach dem, was Schulz heute Morgen gesagt hat?«

»Nur aus diesem Grund ist Laurus in die Stadt geritten«, erwiderte Elena. »Er will sich bei ihm entschuldigen und noch einmal in Ruhe mit ihm reden.«

»Entschuldigen? Laurus?« Die Worte waren ihm in einem fast ungläubigen Ton herausgerutscht, aber Elena lachte nur laut auf.

»Auch wenn man es nicht für möglich hält, aber Laurus weiß tatsächlich, was dieses Wort bedeutet«, sagte sie. »Er ist kein schlechter Mensch. Ganz im Gegenteil. Nur ist er manchmal ein wenig aufbrausend.«

Andrej schwieg dazu und betrachtete ein paar Sekunden lang aufmerksam ihr Gesicht. Wie allen anderen war er auch ihr den ganzen Tag über aus dem Weg gegangen und hatte sie seit gestern nicht mehr gesehen. Er hatte befürchtet, dass ihr Auge angeschwollen oder zumindest verfärbt war, aber er entdeckte nicht mehr die mindeste Spur des Schlages, den Laurus ihr gestern Abend versetzt hatte. Offensichtlich war er doch nicht so heftig gewesen, wie es im ersten Moment schien.

Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich bleibe heute lieber hier. Ich muss über eine Menge nachdenken.«

»Du warst gestern Abend noch einmal bei Anka«, sagte Elena plötzlich.

Andrej seufzte. »Und ich dachte, ich wäre leise gewesen.«

»Das warst du«, beruhigte ihn Elena. »Aber dieses Lager ist zu klein für jedes noch so gut gehütete Geheimnis. Es sei denn«, fügte sie leise hinzu, »ich will es anders.« Andrej wollte diese Bemerkung lieber nicht verstehen. Er hielt ihrem Blick noch einen Moment lang Stand, dann räusperte er sich unbehaglich und verschränkte die Arme vor der Brust. Elena sagte nichts, aber er hatte das Gefühl, dass das amüsierte Funkeln in ihren Augen heller glomm.

»Ich ... danke dir, dass du mir die Lampe gebracht hast«, sagte er. »Aber jetzt...«

»Ja?«

»Man ... wird dich sicher schon vermissen«, sagte er nervös und ohne Elena direkt ins Gesicht zu sehen. »Wenn so viele Gäste kommen, wird doch sicher jede Hand gebraucht.«

»Ich habe gesagt, dass ich nach Anka sehe«, antwortete Elena. Sie kam näher. Ganz plötzlich fiel Andrej auf, dass ihr Duft den engen Wagen erfüllte wie ein schweres, fast schon betäubendes Duftwasser, und wie enervierend das leise Knistern war, mit dem ihr Haar über den Stoff ihres Kleides strich.

»Elena«, sagte er, »wir sollten -«

»Was?«

Ihre Lippen berührten sacht sein Gesicht. Es war nur ein Hauch, aber selbst der war schon zu viel. Da war noch immer ein winziger Rest von Verstand in Andrej, der ihm zuschrie, dass er dabei war, einen gewaltigen, vielleicht nicht wieder gutzumachenden Fehler zu begehen, aber die schiere Explosion von sinnlicher Energie, die die flüchtige Berührung ihrer Lippen in ihm auslöste, fegte die Stimme der Vernunft davon. Statt sich zu wehren oder sie von sich zu stoßen, schloss er die Frau in seine Arme und presste seine Lippen so fest auf die ihren, dass es schon fast wehtat.

Zum ersten Mal im Leben war er nach dem Liebesakt sofort eingeschlafen.

Bisher hatte er nur davon gehört, meist von Frauen, ein paar Mal aber auch von Männern, und er hatte es nie wirklich verstanden - er selbst hatte sich nach dem Beischlaf niemals müde oder gar ausgelaugt gefühlt, sondern frisch und mit neuer, manchmal fast unbändiger Energie erfüllt, während er es gewohnt war, dass die Frauen in seinen Armen einnickten; manchmal für lange Zeit, und manchmal so tief, dass er sich erschrocken gefragt hatte, ob sie überhaupt noch am Leben waren.

Als er noch sehr jung gewesen war, hatte er sich ernsthaft eingebildet, es läge daran, dass er ein so viel besserer Liebhaber sei als die anderen Männer, doch das war nicht der wirkliche Grund. Die eine oder andere Frau hatte ihn von dieser Illusion befreit, und er hatte sich auch schon mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass es durchaus Männer gab, die sich in Bezug auf Ausdauer und Fantasie mit ihm messen konnten. Vielleicht hatte es etwas mit seiner besonderen Gabe zu tun. Vielleicht nahm er den Frauen, mit denen er schlief, mehr als sie ahnten. Er hatte nie versucht, eine Antwort auf diese Frage zu finden, und wozu auch? Keine hatte sich je beschwert, keine hatte je Schaden genommen, und er hatte stets das sichere Gefühl gehabt, dass er den Frauen nicht nur mehr nahm als sie ahnten, sondern zugleich auch etwas gab, was sie von einem sterblichen Mann niemals erwarten konnten.

Jetzt erwachte er vollkommen verwirrt, tief in der Nacht, und mit einem Gefühl so absoluter Erschöpfung, dass es ihm schon schwer fiel, die Augen zu öffnen. Seine Glieder fühlten sich an wie Blei, und sein Herz schlug schwerfällig, wie gegen einen zähen Widerstand ankämpfend.

Andrej drehte den Kopf auf dem strohgefüllten Kissen und stellte fest, dass er allein war. Elena war gegangen während er schlief, aber es konnte noch nicht lange her sein - er spürte noch ihren Geruch, hatte noch ihren Geschmack auf den Lippen und konnte selbst noch einen Hauch ihrer Körperwärme auf dem zerschlissenen Laken neben sich wahrnehmen.

Andrej verspürte ein tiefes Gefühl der Enttäuschung, obwohl ihm sein Verstand sagte, dass sie auf die einzig vernünftige Art gehandelt hatte. Egal, wie vorsichtig sie sich hierher geschlichen hatte, und egal, ob Laurus nun da war oder nicht, in einem hatte Elena zweifellos Recht: Dieses Lager war einfach zu klein, um auf Dauer ein Geheimnis zu wahren.

Er versuchte, sich aufzusetzen, und es gelang ihm nur unter Mühen. Seine Glieder fühlten sich immer noch bleischwer an, sein Herz pumpte immer noch schwer und unregelmäßig in seiner Brust, und sein ganzer Körper war klebrig von eingetrocknetem, erkaltetem Schweiß. Andrej schloss die Augen und konzentrierte sich für einen Moment darauf, sein Herz wieder in einem regelmäßigen Rhythmus schlagen zu lassen - es gelang ihm, aber selbst diese kleine Anstrengung kostete ihn unerwartete Mühe - und versuchte zugleich, sich an die zurückliegende Stunde zu erinnern. Aber diese Erinnerung war ungewohnt, so wie das Gefühl - zwar wohltuender - aber doch vollkommener Erschöpfung und Mattigkeit. Sie hatten sich zweimal geliebt, das erste Mal wild und schnell, sodass es schon nach wenigen Augenblicken vorbei gewesen war, das zweite Mal dafür umso ausdauernder und zärtlicher. Und doch war es anders gewesen als mit jeder Frau zuvor. Ja, sie war fantasievoll und durchaus nicht prüde gewesen - und doch hatte er schon aufregendere Nächte erlebt, mit Frauen, die hundertmal schöner waren und die ihn ungleich mehr erregt hatten. Und doch war die Zeit mit ihr mit nichts anderem zu vergleichen. Niemals zuvor hatte er die Umarmung einer Frau als so weiblich empfunden, ihre Berührungen so wohltuend und beschützend - auf eine Art, an der nichts Schmutziges oder Verwerfliches war. Und zugleich hatte er nie zuvor einen Körper als so begehrenswert empfunden, und vielleicht zum ersten Mal begriff Andrej, warum Männer für eine Frau töten konnten, oder mehr riskierten und auch opferten als nur ihr Leben.

Was er allerdings nicht begriff, war, warum er so erschöpft und müde war.

Vielleicht wurde er tatsächlich krank. Die Tatsache, dass er es noch nie gewesen war, bedeutete noch lange nicht, dass er es nicht werden konnte. Bisher hatte er ganz selbstverständlich angenommen, dass sein unheimlicher Metabolismus gar nicht in der Lage war, krank zu werden, so wenig wie er unter normalen Umständen sterben konnte - aber es gab keinen Beweis dafür. Vielleicht hatte er bisher einfach Glück gehabt, so, wie es ja auch viele Sterbliche gab, die Zeit ihres Lebens niemals krank wurden. Wenigstens waren die Kopfschmerzen, mit denen er aufgewacht war und die ihn fast den ganzen Tag über begleitet hatten, nicht mehr da. Dafür fühlte er sich jetzt so müde, dass er auf der Bettkante langsam nach vorne sank und um ein Haar im Sitzen wieder eingeschlafen wäre. Und vermutlich hätte er dem Verlangen auch nachgegeben, wäre nicht in diesem Moment die Tür aufgegangen und Elena hereingekommen. Sie hatte sich in eine der schäbigen Decken gewickelt, die ihm als Bettstatt dienten, und das Haar hing ihr noch immer zerzaust ins Gesicht. Als sie sah, dass er sich aufgesetzt hatte, wirkte sie für einen Moment irritiert, als erblicke sie etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. Dann aber zog sie die Tür hinter sich zu und kam lächelnd näher.

»Wo warst du?«, fragte Andrej.

»Es gibt Fragen, die man einem Weib nicht stellt«, antwortete Elena. Sie lachte leise. »Aber keine Angst. Niemand hat mich gesehen. Dein guter Ruf ist nicht in Gefahr.« Andrej blinzelte. »Sollte nicht ich derjenige sein, der das sagt?«

Elena drehte sich herum und ließ dabei die Decke von den Schultern gleiten. Sie fiel mit einem Geräusch zu Boden, als wäre sie aus edelster Seide gewoben und nicht aus Stoff, der selbst für eine Zeltplane zu grob war, und das Mondlicht, das durch die offen stehenden Fenster herein strömte, schien ihre Haut mit flüssigem Silber zu überziehen. Für einen Moment wurde der Geruch ihres Haares so übermächtig, dass er ihm fast die Sinne raubte, und er spürte, wie ihn ihr bloßer Anblick schon wieder zu erregen begann, obwohl er sich noch immer so schwach fühlte, dass er nicht wusste, ob er überhaupt die Kraft gehabt hätte, aufzustehen. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Elena: »Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Es ist spät geworden.« Sie zwinkerte ihm zu. »Du hast mich länger aufgehalten, als ich erwartet habe.« Andrej lauschte einen Moment lang nach draußen. Aus dem Lager drangen noch immer Musik und Gelächter herein, aber längst nicht mehr so laut wie zuvor. Auch das war neu: Bisher hatte er nach dem Aufwachen immer ganz genau sagen können, wie viel Zeit im Schlaf verstrichen war. Jetzt konnte er es nicht einmal erraten.

»Ich werde noch einmal nach deinem Freund sehen«, sagte Elena, während sie sich nach ihrem Kleid bückte. »Anka hat einen Trank für ihn gebraut, der das Fieber senkt und ihm hilft, schneller wieder zu Kräften zu kommen. Aber ich bin nicht sicher, ob er ihn auch zu sich nimmt.«

»Ja, Abu Dun ist manchmal ziemlich stur«, murmelte Andrej zerstreut, denn er war vielmehr darauf konzentriert, Elena dabei zuzusehen, wie sie sich ihr Kleid über den Kopf streifte. Selbst derart alltägliche Handlungen waren bei ihr von einer solchen Eleganz und Anmut, dass ihn schauderte. Als sie sich zu ihm herumdrehte und dabei einige Falten im Stoff glatt strich, streckte er den Arm aus und versuchte, sie an sich zu ziehen.

Elena befreite sich aus seinem Griff und schlug ihm scherzhaft auf die Finger. »Ich habe gesagt, es wird Zeit für mich, zu gehen.« Ihre Augen funkelten spöttisch. »Bist du immer so unersättlich, oder warst du nur zu lange allein?«

»Vielleicht habe ich nur noch nie eine Frau wie dich getroffen«, antwortete er und versuchte diesmal, sie mit beiden Armen sie zu sich hinabzuziehen.

Diesmal ließ sie es geschehen. Lachend warf sie sich auf ihn und küsste ihn flüchtig auf die Lippen, stemmte aber dann die Hände gegen seine Brust und zog den Kopf zurück, als er aus diesem Kuss mehr machen wollte als ein neckisches Spiel.

»Du bist ein miserabler Lügner, Andreas«, sagte sie. »Aber charmant.«

»Ich habe noch ganz andere Qualitäten«, antwortete er. Mit einem entschlossenen Ruck zog er sie wieder zu sich, um sie gegen ihren Willen nun wirklich zu küssen.

Diesmal wehrte sich Elena nicht. Dafür biss sie ihn so kräftig in die Unterlippe, dass er sie mit einem Schmerzensschrei losließ und sich überrascht aufrichtete. Elena glitt von ihm herunter und stand auf. »He!«, protestierte er. »Das hat weh getan!«

»Das sollte es auch«, antwortete Elena lachend. »Stell dich nicht so an, großer Krieger. Wenn Laurus von dem erfährt, was wir hier getan haben, dann wird er dir noch sehr viel mehr wehtun.«

Verwirrt fuhr sich Andrej mit dem Handrücken über den Mund. Die Unterlippe war aufgeplatzt und hatte kurz geblutet, aber die Wunde begann sich schon wieder zu schließen, und er wollte nicht, dass Elena das sah. Vermutlich reichte ihr menschliches Sehvermögen ohnehin nicht aus, um alle Details seines Gesichts in dem hier herrschenden Zwielicht auszumachen, aber Andrej hatte gelernt, auch mit dem Unwahrscheinlichen zu rechnen. So wischte er das Blut auf seinen Lippen nicht wirklich ab, sondern verteilte es lediglich ein bisschen.

»Das wird dich lehren, nicht noch einmal die Tugend einer ehrenhaften Frau zu missachten«, sagte Elena lachend. Sie trat einen weiteren Schritt von seinem Bett zurück, wie, um sich außer Reichweite zu bringen, sah aber mit spöttischem Blick auf ihn hinab und betastete dann ihren Mund. Ein einzelner Tropfen von Andrejs Blut glitzerte auf ihren Lippen wie eine rote Träne. Dich sie wischte ihn nicht fort. Sie leckte ihn mit der Zungenspitze auf. Andrej erstarrte. Ein Schlag ins Gesicht hätte ihn kaum härter und unerwarteter treffen können.

»Was ... warum hast du das getan?«, murmelte er fassungslos. Elena schwieg einen Moment, dann neigte sie den Kopf und sah ihn mit einem Ausdruck vollkommener Verständnislosigkeit an. »Was?«

»Das Blut«, murmelte Andrej. »Du hast... das Blut...« Verständnislos hob Elena erneut die Fingerspitzen an ihre Lippen. Dann ließ sie den Arm mit einem Achselzucken wieder sinken. »Und? Glaubst du, nach den letzten beiden Stunden wäre mir noch irgendetwas an dir fremd?«

»Nein«, sagte Andrej betreten. Gleichzeitig schalt er sich einen Narren. Wieso reagierte er so hysterisch auf etwas, das unter normalen Liebenden allerhöchstens ungewöhnlich, wenn nicht anrührend war, und bei dem sich Elena mit Sicherheit nichts gedacht hatte? »Entschuldige. Ich war nur ... überrascht.«

Die Zigeunerin lachte. »Dann warte ab, bis wir uns besser kennen gelernt haben, Andreas. Ich bin vielleicht noch für eine Menge Überraschungen gut. Und jetzt sollte ich wirklich gehen. Ich muss deinem Freund seine Medizin bringen. Und darauf achten, dass er sie auch nimmt.«

Andrej nickte stumm und sah zu, wie sie den Wagen verließ. Die Lampe, die sie mitgebracht hatte, war längst erloschen, und nachdem Elena gegangen war, schien auch das Mondlicht, das durch die Fenster fiel, plötzlich blasser zu werden, sodass er in Schatten und fast vollkommene Stille gehüllt zurückblieb. Und plötzlich hatte er Angst.

Und er wusste nicht einmal, wovor.

Ein unsanftes Rütteln an seiner Schulter weckte ihn am nächsten Morgen.

Noch bevor Andrej die Augen aufschlug, ließ er ein gequältes Stöhnen hören, denn das erste, was er nach dem Aufwachen spürte, war ein rasender Kopfschmerz, der seinen Schädel von innen heraus zu zertrümmern schien.

Flatternd öffneten sich seine Lider, die er jedoch sofort wieder zusammenpresste, denn das Sonnenlicht stach ihm wie glühende Messer in die Augen. Dazu kam das unwillige Gerüttel an seiner Schulter, das noch immer nicht aufhörte und ihm weitere Qual bereitete. Er versuchte, die Hand zur Seite zu schieben, aber es gelang ihm nicht. Sein Arm schien einen Zentner zu wiegen; er hatte kaum die Kraft, ihn zu heben.

»Machst du jetzt endlich die Augen auf, oder muss ich einen Eimer Wasser holen?«, fragte eine wohlbekannte und sehr gereizt klingende Stimme.

Andrej versuchte es noch einmal, wobei er vorsichtshalber den Kopf zur Seite drehte, um nicht direkt in Richtung Fenster zu blicken. Über ihm schwebte ein riesiger schwarzer Schatten, der ihn ärgerlich anblickte.

»Abu Dun?«, fragte er.

»Es sei denn, du kennst noch einen schwarzen, sieben Fuß großen, ehemaligen Sklavenhändler, der ein gut gehendes Geschäft und ein erfülltes Leben gegen die undankbare Aufgabe eingetauscht hat, dich auf deinen haarsträubenden Abenteuern zu begleiten und ständig den Kopf für dich hinzuhalten«, knurrte Abu Dun. »Was ist los mit dir? Hattest du eine harte Nacht, oder hast du leichtsinnigerweise in den Spiegel gesehen und bist endlich zu dem Schluss gekommen, dass du dringend mehr Schönheitsschlaf brauchst?«

Andrej drehte sich ächzend herum und richtete sich unsicher auf. Seine Augen hatten sich an das Licht gewöhnt, und auch der Schmerz hinter seiner Stirn war jetzt nicht mehr ganz so schlimm wie noch vor Augenblicken. Dennoch gelang es ihm nicht, den Schlaf so rasch und mühelos abzuschütteln, wie er es gewohnt war. »Wie ich sehe, geht es dir besser«, murmelte er, während er sich auf die Knie aufstützte und das Gesicht in den Händen verbarg. »Ich bin im Moment allerdings nicht sicher, ob das ein Grund zur Freude ist.« Abu Dun lachte rau. »Der Zaubertrank, den mir die Hexe gegeben hat, hat seine Wirkung getan, ja«, bestätigte er. »Wenn du willst, frage ich sie, ob sie auch etwas für dich hat. Du siehst aus, als könntest du ein wenig Medizin gebrauchen.«


»Bitte, Abu Dun«, murmelte Andrej. »Ich habe Kopfschmerzen. Und ich fühle mich miserabel.«

Abu Dun riss ungläubig die Augen auf. »Kopfschmerzen? Du?« Plötzlich grinste er. »Sag nicht, du hast einen Kater.«

»Dazu müsste ich gestern getrunken haben.« Andrej nahm die Hände vom Gesicht, sah Abu Dun einen Moment lang müde an und versuchte dann, aufzustehen. Es gelang ihm erst im zweiten Ansatz, und er war so unsicher, dass er torkelte. Zu allem Überfluss streckte Abu Dun die Hand aus, um ihn zu stützen.

»Schon gut«, sagte Andrej hastig. »So schlimm ist's nun auch wieder nicht.«

Abu Dun grinste noch immer, aber es war ein Grinsen ohne Beteiligung der Augen. Solange sie zusammen waren, hatte er seinen Freund in einem solchen Zustand höchstens nach einer schweren oder tödlichen Verwundung erlebt. Niemals jedoch nach einem ganz normalen Schlaf.

Andrej rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen und atmete tief ein und aus, um seine Lungen mit Sauerstoff zu füllen. Es half nur wenig; die Benommenheit fiel zwar langsam von ihm ab, aber die Müdigkeit blieb, und er fühlte sich noch immer sehr schwach. Als er sich das nächste Mal zu Abu Dun herum drehte und ihn ansah, war das Grinsen des Nubiers endgültig erloschen, und aus der Verwirrung in seinem Blick war echte Sorge geworden.

Andrej sah an sich herab und stellte fest, dass er nackt war. Peinlich berührt drehte er sich um, suchte in den zerwühlten Laken nach seiner Hose und entdeckte sie schließlich am Ende des Raums auf dem Boden. Während er sich anzog, beobachtete er Abu Dun unauffällig aus den Augenwinkeln.

Der Nubier starrte ihn an, dann blickte er stirnrunzelnd auf das zerwühlte Bett, auf Andrejs Kleider, die überall im Raum verteilt waren - und plötzlich breitete sich ein mokantes Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Oh«, sagte er. »Ich verstehe. Du hattest eine harte Nacht. Es gibt ja auch ein paar wirklich hübsche Mädchen hier im Lager. Hätte allerdings nicht gedacht, dass du so schnell -« Er brach ab. Seine Augen wurden groß und rund, und das anzügliche Grinsen machte einem Ausdruck tiefster Bestürzung Platz. »Elena!«, rief er.

»Du verdammter Esel hast mit Elena -«

»Was ich getan habe und mit wem, geht dich einen feuchten Kehricht an«, unterbrach ihn Andrej scharf. »Oder schreibe ich dir vor, was du mit wem tust?«

»Aber Elena!«, ereiferte sich Abu Dun. »Bei Allah, bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Weißt du nicht, was uns blüht, wenn Laurus dahinter kommt?«

»Er wird uns davonjagen«, antwortete Andrej. »Und? Das ist doch genau das, was du willst, oder etwa nicht?«

»Ich glaube nicht, dass das so einfach laufen würde«, antwortete Abu Dun grimmig. »Und das weißt du auch. Ganz davon abgesehen, dass er Elena vielleicht umbringen wird.«

»Jetzt sag nicht, du sorgst dich um sie.« Abu Dun schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Aber um dich. Und um mich.« Er ächzte vernehmlich. »Egal, ich will nicht mit dir streiten. Du hast Recht. Es geht mich nichts an. Sag mir lieber, was zum Teufel mit dir los ist.« Andrej sah überrascht hoch. Dass Abu Dun so rasch aufgab - noch dazu, wenn er sich so unzweifelhaft im Recht wusste - war mehr als ungewöhnlich. Und er verstand auch dessen Frage nicht. »Was meinst du damit?« Der riesenhafte Nubier machte eine Kopfbewegung zum Fenster. Die Helligkeit dahinter war noch immer so gleißend, dass Andrej die Augen zusammenkneifen musste. Und er konnte spüren, dass dieser Tag noch heißer war als die vorher gehenden. »Es ist fast Mittag.«

»Was?!«

»Bason hat schon zwei Mal nach dir gefragt, und sein Bruder auch. Er hat mich gebeten, dich zu wecken, bevor Laurus es tut. Also, was ist mit dir? Seit wann schaffst du es morgens nicht mehr aus den Federn?«

»Ich weiß nicht«, gestand Andrej. »Ich ... fühle mich nicht gut.«

»Ich dachte immer, du kannst nicht krank werden.«

»Ja, das dachte ich bis heute auch«, antwortete Andrej. Er hob die Schultern. »Vielleicht waren es diese verdammten Ratten.«

Die Worte taten ihm schon Leid, bevor er sie ausgesprochen hatte. Abu Duns Gesicht verdüsterte sich, als er an den Zwischenfall in der Mühle zurückdachte. Aber Andrej war ziemlich sicher, dass es nicht die Erinnerung an die Ratten war, die ihm zu schaffen machte. Zu seiner Erleichterung sprach ihn der Nubier jedoch nicht darauf an, sondern zuckte nur mit versteinerter Miene die Achseln.

Andrej hatte sich mittlerweile vollständig angekleidet und ließ sich noch einmal auf die Bettkante sinken, um sich die Stiefel anzuziehen. »Wie ich sehe, geht's dir dafür umso besser«, sagte er. »Der Trank von Anka scheint gewirkt zu haben.«

»Vielleicht war es auch die gute Pflege«, sagte Abu Dun augenzwinkernd. »Die beiden jungen Täubchen, die sich um mich gekümmert haben, verstanden ihr Handwerk. Die eine hat die ganze Nacht neben meinem Lager gewacht.«

Ächzend schlüpfte Andrej in den zweiten Stiefel. Dann erhob er sich und griff nach seinem Schwertgurt, um ihn langsam und umständlich anzulegen. Allein der Gedanke, in das grelle Tageslicht und die unbarmherzige Hitze hinauszutreten, bereitete ihm Übelkeit, und er fühlte sich noch immer so unendlich schwach und müde, dass er Angst hatte, im Stehen einzuschlafen. Was ist nur los mit mir?

Abu Dun machte eine ausholende Handbewegung. »Einen richtigen kleinen Palast hast du ja hier«, sagte er spöttisch.

»Was hast du getan, dass Laurus dir diese noble Unterkunft zugewiesen hat?«

»Sie reicht auch für zwei«, bemerkte Andrej. »Aber glaube bloß nicht, dass ich dir helfe, dein Gepäck hereinzutragen.«

»Mir gefällt mein Zelt«, erwiderte Abu Dun, und mit einem vielsagenden Blick auf das Bett fügte er hinzu: »Außerdem möchte ich nicht stören.« Andrej zog verärgert die Stirn kraus und verließ den Wagen. Der Freund folgte ihm.

Abu Dun hatte die Wahrheit gesagt. Die Sonne stand im Zenit und tat ihr Möglichstes, um das Lager in einen Backofen zu verwandeln. Die Luft zwischen den Zelten flirrte vor Hitze, und das Licht war so grell, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Immerhin half ihm die Bewegung, die Benommenheit abzuschütteln. Er wandte sich zu Abu Dun um. »Rason hat also nach mir gefragt?«

Der Nubier hob die Schultern. »Vielleicht war es auch Bason«, meinte er. »Ich kann die beiden kaum auseinander halten. Er sagt, ihr hättet eine Vereinbarung, und du wärst ihm noch was schuldig.«

»Stimmt«, knurrte Andrej. »Ich muss ihm noch die andere Hand brechen.«

Abu Dun blickte ihn fragend an, aber Andrej ignorierte ihn und ging los. Er wusste nicht, wo er nach Bason suchen sollte, war aber ziemlich zuversichtlich, dass der Junge sich irgendwo in der Nähe der Bühne herumtrieb. Abu Dun holte mit raschen Schritten zu ihm auf, und wieder stellte Andrej erstaunt fest, wie gut sich der Nubier erholt zu haben schien. Seinen Bewegungen war nicht die mindeste Spur von Schwäche anzusehen, die Wangen waren voll, die Augen strahlend - kurz, der ganze Kerl strotzte nur so vor Kraft und Gesundheit.

Er war genau der Abu Dun, den er seit drei Jahren kannte, nicht der Mann, der binnen einer Woche zwei Mal schwer verletzt worden war und soeben eine Nacht im Fieberwahn durchgestanden hatte. Und dann fiel Andrej auf, dass selbst die kleinen Schrammen und größeren Wunden, die der Nubier davongetragen hatte, fast vollkommen verheilt waren. Er wusste, Abu Dun hatte die Konstitution eines Ochsen und tat Dinge mit einem Schulterzucken ab, die einen anderen Mann umgebracht hätten, aber er hatte noch nie erlebt, dass der Schwarze sich so schnell erholte.

Der Gedanke entglitt ihm, bevor er ihn weiter verfolgen konnte, aber er nahm sich vor, Elena bei nächster Gelegenheit nach der Zusammensetzung des Trankes zu fragen, den Anka gebraut hatte.

Sie fanden Bason nicht bei der Bühne, doch ein anderer Sinti sagte ihnen, dass er und sein Bruder in den kleinen Forst gegangen wären, um Holz zu schlagen. Bei der Erwähnung des Waldstückchens jenseits des Lagers fuhr Abu Dun fast unmerklich zusammen, und auch Andrej sah besorgt zu den Bäumen hin. Nahezu gleichzeitig machten sie auf dem Absatz kehrt und stapften Richtung Wald davon. Andrej war plötzlich froh, seine Waffe mitgenommen zu haben.

Das ungute Gefühl, das die Worte des Sinti in ihm geweckt hatten, wurde stärker, je mehr sie sich den Bäumen näherten. Andrej lauschte in das von Schatten erfüllte Dunkel hinein, und er nahm nichts wahr, was nicht da sein sollte, aber das beruhigte ihn keineswegs. Auch bei Handmanns Mühle hatte er die Anwesenheit der Dämonen erst gespürt, als es zu spät war. Andrej schauderte, als ihm auffiel, dass er insgeheim das gleiche Wort für diese unheimlichen Kinder benutzt hatte wie Pater Flock. Noch vor zwei Tagen hätte er diesen Gedanken als völlig lächerlich abgetan, doch mittlerweile fragte er sich immer häufiger, ob es so etwas wie Dämonen und Teufel tatsächlich gab. Immerhin war er seinem eigenen Dämon schon begegnet; ein Dämon, der vielleicht nicht aus der Hölle stammte, aber womöglich von einem Ort, der noch schlimmer war ...

Seine Befürchtungen erwiesen sich jedoch als unbegründet. Schon während sie sich dem Waldrand näherten, hörten sie Stimmen und das Splittern und Brechen von Holz, dann ein helles Lachen, das Andrej als das Basons identifizierte.

Laut die Namen der beiden Sinti rufend, drangen sie ins Unterholz vor. Sie trafen die Brüder nur wenige Schritte vom Waldrand entfernt an, wo Rason dabei war, mit einer Handaxt Äste von den Bäumen zu schlagen, die sein Bruder sorgfältig aufschichtete. Der Stapel war allerdings schon jetzt so hoch, dass selbst zwei Mann ihn unmöglich wegtragen konnten.

»Andrej, Abu Dun!« Rason wedelte aufgeregt mit der Axt umher. »Seid ihr gekommen, um uns zu helfen?«

»Ihr seht nicht so aus, als ob ihr Hilfe bräuchtet«, antwortete Andrej. Er nickte Rason zu und warf dann einen etwas längeren Blick auf dessen Bruder. Basons rechte Hand war so dick verbunden, dass sie fast unförmig wirkte, aber er schien trotzdem keine Mühe zu haben, sie zu benutzen, wie Andrej erleichtert feststellte.

»Ein paar zusätzliche Hände können nie schaden«, antwortete Bason fröhlich.

»Oder zwei«, fügte sein Bruder hinzu.

»Haltet ihr das für klug, ausgerechnet hier Feuerholz zu sammeln?«, wandte Abu Dun ein.

Rason blinzelte und sah den Schwarzen fragend an, und auch sein Bruder ließ die Axt sinken und blickte verständnislos drein.

»Nicht weit von hier ist der Pfaffe überfallen worden«, erklärte der Nubier, »und bisher weiß niemand, wer es war.«

Die Brüder tauschten einen beredten Blick. »Wir wissen uns unserer Haut schon zu wehren«, sagte Bason schließlich. »Außerdem glaube ich kaum, dass der, der das getan hat, noch einmal zurückkommt. Jedenfalls nicht an den gleichen Ort.«

»Und wenn doch, dann bist du der erste, der es erfährt, ich weiß«, sagte Abu Dun. »Habt ihr irgendwelche Spuren gefunden?«

»Nein«, sagte Bason.

»Wir haben aber auch nicht danach gesucht«, fügte Rason hinzu. Er holte aus und schlug seine Axt so kraftvoll in den erstbesten Baumstamm, dass die Klinge fast zur Hälfte darin stecken blieb.

Für einen Mann seiner Statur und seines Alters ist er erstaunlich stark, dachte Andrej. Er wandte sich an Bason. »Was macht deine Hand?«

»Tut kaum noch weh«, antwortete der junge Sinti. »Der Verband wäre gar nicht mehr nötig, aber Elena besteht darauf, damit sich die Wunde nicht entzündet. Manchmal weiß ich nicht, wer ängstlicher ist - sie oder Anka. In einigen Tagen kann ich sie bestimmt wieder ganz normal benutzen.« Plötzlich schmunzelte er. »So lange falle ich natürlich bei meiner eigentlichen Arbeit aus. Du weißt, was das bedeutet?«

»Dass ich Holz sammeln muss?«, fragte Andrej.

Basons Grinsen wurde breiter. »Immerhin war ich bisher die größte Attraktion auf der Bühne«, behauptete er. »Die Leute sind nur gekommen, um einen wahren Meister der Schwertkunst zu sehen. Sie werden enttäuscht sein, wenn ich nicht auftreten kann.«

»Und da meinst du -«, begann Andrej.

»- dass es nur recht und billig ist, wenn du mich vertrittst, bis ich wieder vollkommen genesen bin«, beendete Bason den Satz. »Oder willst du den Rest deines Lebens von einem schlechten Gewissen geplagt werden, weil du nicht vergessen kannst, dass du in meiner Schuld stehst?«

Gegen seinen Willen musste Andrej lachen. Basons Argumentation war so haarsträubend und dabei so dreist, dass sie ihm schon wieder fast gefiel. Es war wie verhext: Selbst wenn er es sich fest vornahm, es gelang ihm einfach nicht, Bason irgendetwas abzuschlagen. »Wir werden sehen«, sagte er.

»Vielleicht sollten wir uns ein wenig umsehen«, ließ sich Abu Dun vernehmen. Auf Andrejs fragenden Blick fuhr er fort: »Es war fast an dieser Stelle, wo der Pfaffe überfallen wurde. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber vielleicht finden wir noch Spuren.«

»Tut das«, sagte Rason. »Wir sind hier gleich fertig, und wenn wir ins Lager zurückkommen, wartet eine köstliche Mahlzeit auf uns. Elena hat gekocht, und sie hat mir gesagt, dass sie mir den Kopf abreißt, wenn ich dich und deinen Freund nicht zum Essen mitbringe.«

»Laurus wird nicht begeistert davon sein«, sagte Abu Dun, aber Rason zuckte nur mit den Schultern und trennte mit einem kraftvollen Hieb einen weiteren, handgelenkdicken Ast von einem Baum. »Die Wahrheit ist, dass es Elena noch nie sonderlich interessiert hat, was Laurus recht ist und was nicht«, sagte er. »Sucht nur nach euren Spuren. Aber kommt nicht zu spät. Sonst reißt Elena euch den Kopf ab.« Andrej war nicht wohl dabei, weiter in diesen unheimlichen Wald einzudringen. Nach zwei Tagen und bei der herrschenden Hitze war es vollkommen unmöglich, dass sie noch Spuren fanden, und das wusste Abu Dun ebenso gut wie er. Dennoch gab er dem Nubier mit einem Nicken zu verstehen, dass er mit dem Plan einverstanden war, und sie bewegten sich tiefer in das schattige Halbdunkel hinein. Erst als sie außer Hörweite der Brüder waren, blieb er stehen und drehte sich ruckartig zu Abu Dun herum.

»Was soll das?«, fragte er scharf. »Hier gibt es keine Spuren mehr, und das weißt du ganz genau.«

»Natürlich«, antwortete Abu Dun. In seiner Stimme und viel mehr noch in seinem Blick lag ein sonderbarer Ernst, der Andrej nicht nur alarmierte, sondern ihn auch schlagartig alles vergessen ließ, was er hatte sagen wollen.

»Ich wollte nur weg von den beiden.«

»Rason und Bason?«, fragte Andrej. »Warum?«

»Weil mit ihnen was nicht stimmt«, antwortete Abu Dun.

»Unsinn!«, widersprach Andrej. »Wenn es hier jemanden gibt, der wirklich harmlos ist, dann sind es diese beiden Jungen.«

Abu Dun sah ihn eine Weile grüblerisch an, dann nickte er. Aber es wirkte nicht wie eine Bestätigung von Andrejs Worten, sondern eher wie eine Bestätigung dessen, was er selbst gedacht hatte. »Ja«, sagte er. »Mir geht's genau so. Man denkt, das sind zwei nette junge Burschen, denen man einfach nichts abschlagen kann. Wenn sie dich bitten würden, dir selbst die Kehle durchzuschneiden, würdest du es vermutlich auch tun, habe ich Recht?«

»Was soll der Unsinn?«, fragte Andrej mehr verwirrt denn verärgert.

»Was ist das für ein Abkommen, das du mit Bason getroffen hast?«, fragte Abu Dun.

»Er hat mich gebeten, in seinem Stück mitzuspielen«, antwortete Andrej fast widerwillig. »Und ihm das Schwertkämpfen beizubringen.«

»Hast du ihn dabei verletzt?«

»Es war ein Unfall«, verteidigte sich Andrej. »Wir haben mit Holzschwertern geübt. Eines ist zersplittert, weil ich ungeschickt war und zu fest zugeschlagen habe. Tut mir sehr Leid.«

»Es tut dir nicht nur Leid, es macht dir zu schaffen«, stellte Abu Dun fest. »Merkst du es nicht, Andrej?«

»Was?«

»Seit wann bist du so zart besaitet?«, fragte Abu Dun. Er machte eine abwehrende Handbewegung, als Andrej protestieren wollte. »Erinnerst du dich noch an vergangenes Jahr, das kleine Fischerdorf ? Du hast einem Kerl beide Arme gebrochen, nur weil er in deiner Gegenwart ein Kind geschlagen hat. Und als sie Alessa umgebracht haben, da hast du ein ganzes Dorf niedergebrannt, und wenn ich mich recht erinnere, ohne auch nur eine Träne zu vergießen. Seit wann also plagt dich das schlechte Gewissen wegen eines verstauchten Handgelenkes ?«

»Ich hätte wissen müssen, was passiert«, antwortete Andrej. Abu Duns Worte verunsicherten ihn, und er konnte nicht sagen, warum. Irgendetwas in ihm schien zu spüren, dass der Freund die Wahrheit sagte, aber das Gefühl war zu vage, um es zu greifen. »Es war meine Schuld. Punktum.«

»Das bestreite ich auch nicht«, sagte Abu Dun. »Es macht dir nur so sehr zu schaffen, weil du diesen Jungen so magst, habe ich Recht? Leugne es nicht. Mir geht es ganz genauso. Und wenn ich noch ein paar Tage länger bleibe, dann frage ich die beiden, ob ich sie an Kindes statt annehmen darf.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Dass das alles nicht mehr normal ist«, antwortete der Nubier Er schürzte die Lippen. »Selbst jetzt fällt es mir schwer, so über sie zu sprechen, obwohl sie nicht einmal in der Nähe sind. In ihrer Gegenwart -«, er hob die Schultern und ließ den Satz unbeendet. »Was ist in ihrer Gegenwart?«

Abu Dun schwieg einen Moment, dann sagte er in einem Tonfall, der zugleich nachdenklich als auch fast grollend klang: »Ich kann mir nicht helfen, aber ich muss immer wieder an gewisse andere Kinder denken, denen ich auch nichts zuleide tun konnte, obwohl sie drauf und dran waren, mich umzubringen.«

Andrej starrte ihn fassungslos an. »Das ist jetzt nicht dein Ernst!«

»Und wenn doch? Schneidest du mir dann das Herz heraus, weil ich es gewagt habe, schlecht über die beiden zu reden? Oder begnügst du dich damit, meine Seele zu fressen?«

Andrej fuhr wie unter einem Hieb zusammen, und auch Abu Dun machte ein betroffenes Gesicht und biss sich auf die Unterlippe. Er musste nicht sagen, dass ihm seine Worte Leid taten.

Eine Zeit lang schwiegen sie, standen einfach nur da und starrten aneinander vorbei. Schließlich sagte Andrej in die immer quälender werdende Stille hinein: »Worauf willst du hinaus, Abu Dun?«

»Wenn ich das wüsste«, antwortete der Nubier bekümmert. »Alles, was ich sagen kann, ist, dass hier etwas nicht stimmt. Mit diesem Ort, mit diesen unheimlichen Kindern, und auch nicht mit diesen angeblichen Zigeunern. Ich weiß, du willst es nicht mehr hören, und ich weiß auch deine Antwort schon, aber trotzdem: Lass uns von hier verschwinden, Andrej. Diese Leute ... machen mir Angst.«

»Seit wann gibt es irgendetwas, das dir Angst macht?«

»Seit heute«, antwortete Abu Dun ernst.

Tatsächlich dachte Andrej einige Augenblicke lang ernsthaft über die Worte des Nubiers nach. So haarsträubend das alles auch klingen mochte, tief in sich spürte er, dass sie der Wahrheit näher kamen, als ihm recht war. Und darauf, dass hier etwas ganz und gar nicht so war, wie es aussah, war er selbst schon vor Tagen gekommen. Dennoch schüttelte er schließlich den Kopf. »Nein. Noch nicht, Abu Dun.«

»Warum?«, fragte Abu Dun. »Glaubst du wirklich, du würdest hier noch irgendetwas in Erfahrung bringen?« Er schüttelte heftig den Kopf, und seine Augen blitzten. »Anka wird dir nicht mehr sagen, als sie dir schon gesagt hat. Wir werden hier nichts finden, Andrej. Außer vielleicht unseren Untergang.«

»Du verstehst nicht«, sagte Andrej. »Selbst, wenn ich wollte, wir können nicht gehen. Als du gestern Abend im Fieber dagelegen hast, sind Männer aus der Stadt gekommen. Sie haben es nicht direkt ausgesprochen, aber ich denke, sie glauben, dass Laurus oder einer aus der Sippe für den Überfall auf Pater Flock und die Mühle verantwortlich ist. Die Sinti dürfen diesen Ort nicht verlassen.«

»Mach' dich nicht lächerlich, Andrej«, antwortete Abu Dun. »Seit wann hat es dich je interessiert, was du darfst oder nicht? Wer will uns daran hindern, auf unsere Pferde zu steigen und davon zureiten?«

»Niemand«, sagte Andrej. »Aber Laurus und seine Familie würden dafür bezahlen.«

»Und vor allem sein Weib, nicht wahr?« Andrej nickte. »Auch sie. Du hast Recht, Abu Dun. Es hat mich nie geschert, wenn jemand für das bezahlen muss, was er selbst getan hat, auch wenn der Preis hoch war. Aber es kümmert mich sehr wohl, wenn ein Unschuldiger diesen Preis bezahlen muss.«

»Wenn er unschuldig ist«, sagte Abu Dun. Andrej verzog das Gesicht. »Ja, sicher. Jetzt wirst du gleich sagen, dass es Elena war, die das Rattenpack geschickt hat.«

»Und wenn?«, fragte Abu Dun.

Andrej musste sich beherrschen, um halbwegs ruhig zu antworten. »Du weißt ganz genau, wer es war. Du hast sie gesehen. Genau wie ich.«

»Ich weiß nicht, was ich gesehen habe«, sagte der Nubier. »Sie sahen aus wie Kinder, aber wer sie wirklich waren ...« Fast verzweifelt hob er die Hände. »Es ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich einem eurer Kirchenvertreter zustimme, aber Vielleicht hatte dieser Flock ja Recht. Vielleicht sind es Dämonen.«

»Ich werde jedenfalls nicht davonlaufen«, beharrte Andrej.

»Und wenn ich dich darum bitte?«

Andrej war fassungslos. »Du bittest mich, vor einer Gefahr zu fliehen? Das ist das erste Mal, dass ich das erlebe.«

»Es ist auch das erste Mal, dass ich dich so erlebe«, antwortete Abu Dun ernst. »Glaub mir, Andrej, was immer wir hier finden werden, du bist ihm nicht gewachsen. Ich weiß, dass du nicht viel von meinen Ahnungen hältst, aber ich bitte dich inständig, diesmal auf mich zu hören. Etwas Schreckliches wird passieren, wenn wir hier bleiben.«

Das Schlimmste war, dass Andrej wusste, dass der Freund Recht hatte. Seit sie auf diese Sippe scheinbar harmloser Zigeuner getroffen waren, hatte er mehr und mehr das Gefühl, auf einen Abgrund zuzustraucheln. Ein Abgrund, der zwar noch zu weit entfernt war, um sein wahres Wesen schon zu erkennen, dessen Sog er sich aber schon jetzt nicht mehr entziehen konnte. Und doch konnte er nicht zurück. Nicht jetzt, wo er vielleicht so dicht davor stand, die Antworten auf all die Fragen zu finden, die ihn Zeit seines Lebens gequält hatten.

Und nicht jetzt, wo Elena vielleicht in großer Gefahr war.

»Nein«, sagte er ruhig, aber so bestimmt, dass Abu Dun verstehen musste, wie sinnlos es war, das Gespräch fortzusetzen. »Vielleicht hast du sogar Recht. Ich verlange nicht, dass du hier bleibst. Nimm dein Pferd und reite davon. Laurus wird nicht versuchen, dich aufzuhalten. Und ich werde schon eine Erklärung für dein Verschwinden finden.«

»Du weißt, dass ich das nicht kann«, sagte Abu Dun.

»Aber du solltest es«, antwortete Andrej. »Ich meine es Ernst. Das hier geht allein mich etwas an. Ich kann nicht verlangen, dass du dein Leben riskierst, nur weil ich ein paar Antworten suche.«

Der Nubier sah ihn lange traurig an, dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Dann lässt du mir keine andere Wahl.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ging davon. Gegen seine innere Überzeugung und die immer lauter werdende Stimme ignorierend, die ihn warnte, es nicht zu tun, hatte Andrej Basons Einladung schließlich doch angenommen und war ihm zum Wagen seiner Stiefeltern gefolgt, um mit Elena, Laurus und den anderen zu essen. Bason hatte nicht übertrieben - seine Schwester und Stiefmutter war tatsächlich eine ausgezeichnete Köchin - aber die Mahlzeit verlief trotzdem in einer angespannten Atmosphäre. Laurus sprach nur wenig, und wenn, dann über unverfänglich allgemeine Themen, während Bason und Rason herumalberten, und das auf einem Niveau, das nicht nur Andrej schnell auf die Nerven ging. Elena indes sagte während der ganzen Mahlzeit nichts, abgesehen von der einen Gelegenheit, bei der sie sich erkundigte, ob es schmeckte - doch sie nutzte jeden Vorwand, um Andrej anzusehen, und zwei oder drei Mal lächelte sie ihn offen an und schenkte ihm dabei einen so unübersehbaren zweideutigen Blick, dass Laurus schon hätte blind sein müssen, um das nicht zu sehen. Andrej war froh, als er sich endlich unter einem Vorwand zurückziehen konnte.

Der Rest des Tages war kaum besser. Andrej stürzte sich wie besessen auf jede Arbeit, die er fand, aber weder die Bewegung noch die kräftige Mahlzeit vom Mittag halfen ihm wirklich, Müdigkeit und Schwäche zu überwinden. Als am Abend die Feuer angezündet wurden und die ersten, noch vereinzelten Gäste ins Lager zu strömen begannen, war er so müde, dass er sich ab liebsten sofort wieder in seinen Wagen zurückgezogen und schlafen gelegt hätte.

Statt dessen machte er sich auf den Weg zu Abu Duns Zelt. Er hatte den Nubier den ganzen Tag über nicht wiedergesehen und auch nicht nach ihm gesucht, und er fand ihn auch jetzt nicht. Als er aber das Zelt wieder verließ und sich umwandte, da stand Bason vor ihm.

»Ich habe dich gesucht«, sagte der Sinti. »Wohin gehst du?«

»Ich wollte mit Abu Dun sprechen«, antwortete Andrej.

Bason schüttelte den Kopf. »Er ist nicht im Lager.«

»Nicht im Lager?«, fragte Andrej überrascht. Er warf noch einmal einen Blick ins Zelt: Abu Duns Satteltaschen lagen am Boden, und ein Teil seiner Habseligkeiten war überall im Zelt verstreut. Hätte irgendein anderer hier gewohnt, hätte man annehmen können, jemand hätte dessen Sachen durchwühlt. Abu Dun aber war der vielleicht unordentlichste Mensch, den Andrej kannte. Er hätte eher Misstrauen geschöpft, wenn sein Lager aufgeräumt gewesen wäre. So wie es schien, hatte Abu Dun sein Angebot nicht angenommen und sich in aller Heimlichkeit davongemacht.

»Wo ist er?«, fragte Andrej.

Bason hob die Schultern. »Er ist vor einer Stunde oder so weggeritten. Ziemlich schnell. Ich weiß nicht, wohin.« Er machte ein besorgtes Gesicht. »Ich hoffe, Laurus merkt es nicht. Er hat strengste Anweisung gegeben, dass niemand das Lager verlässt.«

»Ich nehme an, das war gestern, nachdem er aus der Stadt zurückgekommen ist«, vermutete Andrej. Er hatte es bisher vermieden, Laurus oder irgendeinen der anderen nach dem Ausgang des Gesprächs mit Schulz zu fragen, aber er konnte sich dessen Inhalt auch so vorstellen.

Bason nickte. »Wir wollen keinen Ärger mit der Obrigkeit.«

»Den werdet ihr auch nicht bekommen«, sagte Andrej. »Ich weiß nicht, wohin Abu Dun geritten ist und warum. Aber all seine Sachen sind noch hier. Er wird zurückkommen. Und ich kann dich beruhigen. Ich kenne ihn lange genug. Wenn er nicht will, dass ihn jemand sieht, dann sieht ihn auch niemand.«

»Hauptsache, Laurus sieht ihn nicht«, sagte Bason mit einem schiefen Grinsen. »Wir haben noch ein wenig Zeit bis zur ersten Vorstellung.« Er wedelte mit der verbundenen rechten Hand. »Bringst du mir noch ein paar Tricks bei?«

»Soll ich dir die andere Hand auch noch zerschlagen?«, fragte Andrej finster. »Vergiss es. Es war ein Fehler, überhaupt damit anzufangen.«

»Es war allein mein Fehler«, sagte Bason. »Niemand wirft dir etwas vor.«

Andrej öffnete den Mund zu einem Widerspruch, doch dann zögerte er, Bason eine endgültige Abfuhr zu erteilen. Warum eigentlich nicht? Die Worte seines Gegenübers klangen ehrlich. Obwohl er Bason ziemlich übel verletzt und ihm zweifellos eine Menge Schmerzen bereitet hatte, schien er ihm den kleinen Unfall tatsächlich nicht nachzutragen, und schließlich konnte er selbst ja nichts dafür, dass die Theaterwaffen aus minderwertigem Material gefertigt waren. Was vergab er sich schon, wenn er diesem Jungen noch ein paar kleine Tricks beibrachte, mit denen er bei den anderen angeben konnte?

Und dann musste er an das denken, was Abu Dun gesagt hatte. Die Worte erschienen ihm nach wie vor so absurd wie vorhin, als er sie aus dem Mund des Nubiers gehört hatte, und dennoch konnte er sich ihrer Wahrhaftigkeit nicht entziehen. Was war das mit Bason und seinem Bruder, dass es ihm völlig unmöglich schien, ihm nur die geringste Bitte abzuschlagen?

»Vielleicht später«, sagte er - wobei ihm der enttäuschte Ausdruck in Basons Gesicht ein so schlechtes Gewissen bereitete, dass er seine Worte um ein Haar wieder zurückgenommen hätte. »Morgen. Oder übermorgen. Glaub mir, Bason, es ist besser. Ich kenne mich mit Verletzungen aus. Auch wenn du jetzt vielleicht schon keine Schmerzen mehr hast, wäre es ein Fehler, die Hand schon jetzt zu sehr zu belasten. Wenn du es übertreibst, dann wird es nur umso länger dauern, bis du sie wieder richtig gebrauchen kannst.« Bason machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, aber er versuchte auch nicht, Andrej zu überreden, sondern drehte sich einfach um und ging davon. Und plötzlich fühlte sich Andrej so schlecht, als hätte er einem verhungernden Kind das letzte Stück Brot weggenommen.

Andrej hatte sich tatsächlich in seinen Wagen zurückgezogen, die Läden geschlossen und versucht, zu schlafen. Aber er hatte keine Ruhe gefunden. Trotz des Zustandes totaler körperlicher Erschöpfung, in dem er sich befand, lag er mehr als eine Stunde auf seinem unbequemen Lager wach und starrte in die allmählich verblassende Dämmerung. Und natürlich war es wie immer, wenn man darauf wartete, einzuschlafen: Er hatte das Gefühl, immer wacher zu werden.

Je dunkler es wurde, desto schärfer schienen seine Sinne zu werden. Die Musik, die von draußen hereindrang, klang jetzt lauter und aufpeitschender, das Lachen der Zuschauer schriller, selbst das prasselnde Feuer schien die Lautstärke eines gewaltigen Waldbrandes angenommen zu haben. Er roch den Duft von Gebratenem und das Aroma des schweren, süßen Weines, den die Sinti großzügig ausschenkten, und er konnte hören, wie weitere Besucher zu Pferde oder auch mit Fahrwerken oder zu Fuß ins Lager kamen. Einmal glaubte er, einem kurzen, heftigen Streit zu lauschen, der aber ebenso rasch wieder geschlichtet wurde, wie er entstand, und dann drang das helle Lachen einer Frau an sein Ohr, und es war dieses Geräusch, das ihn endgültig dazu bewog, sich auf der Bettkante aufzusetzen.

Es war Elenas Lachen gewesen.

Müde fuhr sich Andrej mit beiden Händen durch das Gesicht, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ den Blick durch das Innere des winzigen, noch immer unaufgeräumten Wagens wandern. Elenas Lachen hatte ihm klargemacht, warum er keinen Schlaf fand, so, wie ihm das, was er sah, klarmachte, dass er auch keinen Schlaf finden würde. Alles hier drinnen, jeder Fußbreit Boden, die leer gebrannte Sturmlaterne, die in einem Winkel neben der Tür stand, die verwischten Fußabdrücke im Staub, das fast silberne Mondlicht, das in schrägen Bahnen durch die Ritzen der vorgelegten Läden fiel, erinnerte ihn an Elena. So, wie er den ganzen Tag über eigentlich nur an sie gedacht hatte.

Er hatte es sich nicht eingestehen wollen, aber es war die Wahrheit: Auch wenn er sich krampfhaft mit allen möglichen Dingen beschäftigt hatte, so war doch keine Sekunde vergangen, in der er nicht auf einer tieferen Ebene seines Bewusstseins an sie gedacht hatte. Und als hätte dieses Eingeständnis die Gespenster der vergangenen Nacht geweckt, glaubte er plötzlich wieder ihre Nähe zu spüren, den verlockenden Duft ihres Haares und ihres Körpers, das seidige Gefühl ihrer Haut auf der seinen und den süßen Geschmack ihrer Lippen. Für einen Moment mischte sich ein hässliches Bild in diese Erinnerungen: Elenas Zunge, die mit einer kleinen, gierigen Bewegung über ihre Lippen fuhr und eine glitzernde rote Träne aufsog, aber das Bild erlosch, bevor es wirklich Substanz gewinnen konnte, und Andrej stand mit einem Ruck auf. Fast hatte er Angst davor, Elena zu begegnen, und zugleich wusste er auch, dass er keine Ruhe finden würde, bevor er ihr nicht wenigstens noch einmal in die Augen geblickt hatte.

Als er den Wagen verließ, drangen Gelächter und Beifallklatschen so laut an sein Ohr, dass er überrascht aufsah. Er konnte nur flackernde, rote Lichtsplitter und tanzende Schatten erkennen, aber dann hörte er ein dröhnendes, überhebliches Lachen, das er auf Anhieb erkannte. Abu Dun war zurück. Und offensichtlich war er nicht mehr ganz so gereizter Stimmung wie am Vormittag. Und obwohl er dem Freund geraten hatte, zu verschwinden, war er zugleich auch sehr erleichtert, dass er es nicht getan hatte. Als er sich dem Festplatz in der Mitte des Lagers näherte, rief eine Stimme hinter ihm seinen Namen und Andrej blieb überrascht stehen und drehte sich um. Ein Schatten tauchte aus der Dunkelheit hinter ihm auf und zerfiel in vier unterschiedlich große Schatten, die nur einen Moment später Umrisse und Gesichter bekamen. Es war der Krämer, den sie vor ein paar Tagen in der Stadt getroffen hatten, begleitet von seinen beiden Söhnen und einer unscheinbaren Frau, die ihn mit gesenktem Blick und fast furchtsam musterte. Andrej erinnerte sich an sein letztes Zusammentreffen mit diesem Mann und spannte sich innerlich ein wenig. Er hatte keine Angst vor ihm und seinen beiden Begleitern, aber er hoffte inständig, dass sie nicht gekommen waren, um Ärger zu machen.

»Ihr erinnert Euch doch an mich?«, fragte der Krämer, während er einige Schritte vor Andrej stehen blieb und ihn unsicher ansah. Andrej nickte. »Selbstverständlich.«

»Dann bin ich erleichtert«, sagte der Krämer. »Ihr hattet mir versprochen, dass meine Familie und ich uns Eure Vorstellung ansehen dürfen«, fuhr der Mann fort. Er wirkte verkrampft und sprach in einem Tonfall, als wäre er fest davon überzeugt, dass Andrej seine Bitte einfach abschlagen musste. »Gilt Euer Wort noch?«

»Unser Wort gilt immer«, sagte Andrej, bemühte sich aber, dieser Aussage mit einem Lächeln die Schärfe zu nehmen, die man leicht darin vermuten konnte.

»Kommt mit«, sagte er. »Ich bringe Euch zu den anderen und sage Bescheid, dass ihr nichts bezahlen müsst.«

Der Krämer wirkte erleichtert und erschreckt zugleich, als bekäme er allmählich Angst vor der eigenen Courage, und Andrej fragte sich, warum er überhaupt hierher gekommen war. Sicher nicht, um den Gauklern und Feuerschluckern zuzusehen. Er wartete vergeblich darauf, dass der Mann noch irgendetwas sagte und ging schließlich mit einer einladenden Geste voraus.

Es war das erste Mal, dass er das Lager am Abend und Laurus' Sippe in einer solch ausgelassenen Stimmung erlebte, und gleich, ob aufgesetzt oder nicht, sie wirkte ansteckend. Als sie die Bühne erreichten, auf der gerade ein Feuerschlucker seine Fertigkeiten zum Besten gab und dabei sein Möglichstes zu tun schien, um die Dekoration und am besten gleich das ganze Lager in Brand zu setzen, da fühlte er sich zwar alles andere als fröhlich, aber seine niedergeschlagene Stimmung war trotzdem einer heiteren Gelassenheit gewichen. Als er nach jemandem Ausschau hielt, in dessen Obhut er seine vier Gäste geben konnte, entdeckte er Abu Dun. Der Nubier stand ein Stück entfernt inmitten einer kleinen Menschenansammlung und prahlte mit lauter Stimme von zurückliegenden Abenteuern und überstandenen Gefahren. Zu Andrejs Verwunderung entdeckte er auch Laurus unter den Zuhörern, die den Worten des Nubiers gebannt folgten, und vielleicht zum ersten Mal, seit sie hierher gekommen waren, sah der Sinti nicht übellaunig oder besorgt aus, sondern schien ganz in Abu Duns Erzählung versunken zu sein. Die fast kindliche Begeisterung, die Andrej auf seinen Zügen entdeckte, unterschied sich in nichts von der auf den Gesichtern der anderen.

Natürlich entdeckte ihn Abu Dun, als er näher kam, doch der Freund ignorierte ihn und fuhr nicht nur fort, seine haarsträubenden Geschichten zu erzählen, sondern trumpfte sogar noch mehr auf. Andrej machte sich nicht die Mühe, wirklich hinzuhören, aber auf seinem Gesicht begann sich ein amüsiertes Lächeln auszubreiten, während er langsam näher schlenderte. Abu Dun sah zwar aus wie ein Dschinn aus einem arabischen Märchen, der gekommen war, um die gesamten christlichen Kreuzfahrerheere auf einmal zu verspeisen. Aber er war auch ein ausgezeichneter Geschichtenerzähler, und er tat dies auf seine typisch orientalische, blumige Art so perfekt, dass er seine Zuhörer fast immer in seinen Bann zog und es keine Rolle spielte, ob sie ihm seine Geschichten glaubten oder nicht. Wären die Zeiten anders gewesen, dachte Andrej mit einem Anflug von Trauer, dann wäre Abu Dun jetzt vielleicht ein reicher Mann. Mit einem solchen Talent wäre es ihm gewiss nicht schwer gefallen, als Märchenerzähler von Stadt zu Stadt zu ziehen und die Zuhörer in Scharen anzulocken.

Abu Dun war am Ende seiner Geschichte angelangt. Die Zuhörer applaudierten - Laurus eingeschlossen -, und der Beifall war noch nicht ganz verebbt, da erschien Bason auf der Bühne und nahm den Platz des Feuerschluckers ein.

»Geehrte Gäste!«, rief er mit tragender Stimme. »Und nun kommen wir zum Höhepunkt des Abends. Das Talent als Geschichtenerzähler unseres verehrten Gastes aus dem fernen Morgenland habt Ihr ja nun schon kennen gelernt, und doch ist das nichts gegen das, was Euch jetzt erwartet! Unser hoch geschätzter Gast, der in seiner Heimat vom gefürchteten Piraten fast bis zum Kalifen von Bagdad aufgestiegen ist, übernimmt nun die Hauptrolle in einem Drama, das eigens für Sie, verehrte Gäste, geschrieben wurde, und in dem Sie den verzweifelten Kampf christlicher Kreuzfahrer gegen die heidnischen Horden der Muselmanen miterleben können, wie er sich in längst vergangener Zeit wirklich abgespielt hat.«

Zaghafter Applaus wurde laut, als Bason sich verbeugte, und brandete auf, als Abu Dun auf die Bühne stieg und seinen schwarzen Mantel zurückschlug, unter dem ein kupferfarbener Brustharnisch und der Griff seines Krummsäbels zum Vorschein kamen.

Andrej beobachtete die Szene mit gemischten Gefühlen. Abu Dun als Geschichtenerzähler, das ging noch an, aber es fiel ihm einfach schwer, zu glauben, dass der Nubier sich tatsächlich freiwillig vor einem halben Hundert wildfremder Menschen zum Narren machen sollte; schon gar nicht nach dem, was am Vormittag zwischen ihnen vorgefallen war. Und doch schien Abu Dun genau dies vorzuhaben, denn er stolzierte nicht nur gemessenen Schrittes über die Bühne, sondern nahm schließlich breitbeinig und mit verschränkten Armen hinter Bason Aufstellung. Und er überragte den Jungen wie ein Fleisch gewordener Berg, der sich alle Mühe gab, das Publikum mit möglichst finsterem Gesicht zu mustern. Das Johlen und Klatschen hielt an, und es mischte sich auch der eine oder andere anerkennende Pfiff hinein. Andrej musste zugeben, dass Abu Dun selbst in der Rolle des Hanswurst immer noch Respekt gebietend und Furcht einflößend wirkte, wie er so dastand mit seinem riesigen Turban, sicherlich sieben Fuß groß, ein Koloss, dem man ansah, dass sich unter den enormen Fleischmassen stahlharte Muskelpakete verbargen.

»Abu Dun, der gewaltigste Schwertkämpfer des Orients«, sagte Bason mit dramatisch erhobener Stimme. »In der Sprache seiner Heimat bedeutet sein Name Vater des Todes, und wie Sie gleich sehen werden, geschätztes Publikum, trägt er seinen Namen zu Recht.«

Der Applaus wurde für einen Moment geradezu frenetisch. Bason verbeugte sich noch einmal und verschwand dann mit schnellen Schritten hinter der Bühne, während Abu Dun weiter reglos stehen blieb und das Publikum musterte, als wäre er auf der Suche nach jemandem, den er mit Haut und Haaren verschlingen konnte.

»Dein Freund ist ein beeindruckender Mann, das muss man ihm lassen«, sagte eine Stimme neben ihm. Andrej wandte den Kopf und erkannte Laurus, der sich seinen Weg durch die Menschenmenge gebahnt hatte, um an seine Seite zu gelangen. Hinter ihm kam eine zweite, etwas kleinere Gestalt näher, und Andrej wäre um ein Haar zusammen gefahren, als er sah, dass es Elena war. Er gab sich Mühe, sie nicht Direkt anzusehen, ohne ihrem Blick dabei allzu offen auszuweichen. »Ist er wirklich so gefährlich, wie er aussieht, und wie Bason behauptet?«, wollte Laurus wissen.

»Nicht, wenn man sein Freund ist«, erwiderte Andrej.

»Und was sagen seine Feinde über ihn?«, wollte Elena wissen.

Andrej hob die Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Bisher hat noch keiner von ihnen lange genug überlebt, als dass ich ihn hätte fragen können.«

Laurus lachte leise. Elena drängte sich mit sanfter Gewalt zwischen sie und hakte sich zuerst bei ihrem Mann, und dann ganz unverblümt bei Andrej unter. Andrej erstarrte für einen Moment, aber Laurus schien daran nichts Ungewöhnliches zu finden, und genau genommen war es ja nichts weiter als eine freundschaftliche Geste unter Menschen, die nach einem langen, arbeitsreichen Tag ein wenig ausgelassen feierten.

Wenigstens wäre es das gewesen, hätte das Gefühl von Elenas bloßer Nähe und ihre Berührung ihn nicht beinahe in den Wahnsinn getrieben. Für einen Moment musste er mit aller Kraft gegen den Impuls ankämpfen, sie einfach an sich zu reißen und zu küssen, und zugleich wäre er am liebsten schreiend davongelaufen.

»Ungläubige!«, schrie Abu Dun von der Bühne herab. »Fürchtet euch, denn Abu Dun ist gekommen, der Vater des Todes, um in Allahs Namen die Gottlosen zu zerschmettern und die zu bestrafen, die es wagen, an den Worten des Propheten zu zweifeln!«

Elena lachte leise, und auch Laurus verzog kurz das Gesicht, aber Andrej war überhaupt nicht zum Lachen zumute. Er starrte Abu Dun fast entsetzt an. Die meisten Zuschauer - die Sinti eingeschlossen - lachten herzhaft, aber einige wirkten auch irritiert, und vielleicht diente das eine oder andere Lachen auch nur dazu, den eigenen Schreck zu überspielen. Wenn Abu Dun auf Wirkung gezielt hatte, so hatte er Erfolg. Aber er spielte mit dem Feuer, und eigentlich sollte er das auch wissen. »Ja, lacht nur, ihr Ungläubigen! Lacht, solange ihr noch könnt! Denn ich, Abu Dun, der Vater des Todes, bin gekommen, um euch herauszufordern und die zu bestrafen, die es wagen, an Allahs Allmacht zu zweifeln!«

Elena lachte noch ein wenig lauter, aber Laurus' Lächeln begann allmählich zu erstarren, und auch Andrej fühlte sich immer unbehaglicher.

Der Vorhang hinter Abu Dun teilte sich, und dann traten Bason und sein Bruder vor. Bason trug einen gewaltigen Hackklotz, den er vor dem Nubier abstellte, während Rason einen kaum weniger großen Holzscheit herbeischleppte; so lang wie ein Arm und zwei gute Handspannen dick. Um einen Scheit wie diesen zu spalten, hätte es einer jener gewaltigen Kriegsäxte bedurft, die man nur mit zwei Händen führen konnte, und selbst dann nur, wenn man stark war wie ein Ochse. Abu Dun jedoch benutzte keine Axt. Nachdem die beiden Brüder zurückgetreten waren, zog er seinen Krummsäbel, schwang ihn mit beiden Händen hoch über den Kopf und spaltete das Holz mit einem einzigen, gewaltigen Hieb. Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge, hier und da auch ein erschreckter Aufschrei.

»Beeindruckend«, sagte Laurus, und Elena murmelte: »Was für ein Mann!«

Nicht nur Andrej sah sie erstaunt an, auch Laurus wandte kurz den Kopf und bedachte sie mit einem missbilligenden Stirnrunzeln.

Aber Elena lachte nur noch herzhafter. »Was schaust du mich an?«, neckte sie ihn. »Wäre es dir lieber, ich würde mich für Schwächlinge begeistern?«

Laurus war klug genug, nicht darauf zu antworten, sondern es bei einem noch tieferen Stirnrunzeln und einem angedeuteten und alles andere als überzeugenden Lächeln zu belassen und sich dann wieder auf Abu Dun und das Geschehen auf der Bühne zu konzentrieren. Aber während er den Kopf drehte, streifte sein Blick flüchtig Elenas rechten Arm, mit dem sie sich bei Andrej untergehakt hatte, und Andrej spürte, wie Laurus innerlich zusammenfuhr. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich gehe, dachte er.

»Nun, ihr ungläubigen, Schweinefleisch fressenden Hunde?«, brüllte Abu Dun, während er drohend den Säbel schüttelte. »Zittert vor der Macht Abu Duns. Und messt euch mit ihm, wenn ihr es wagt!« Er versetzte dem Hackklotz einen Tritt, der ihn mitten ins Publikum stürzen ließ. Zwei oder drei Männer sprangen hastig zur Seite, irgendjemand fluchte, was von den Umstehenden jedoch mit einem Chor aus schadenfrohem Gelächter kommentiert wurde. Rason verschwand unterdessen hinter der Bühne. Nach einem kurzen Moment kehrte er wieder zurück; in der linken Hand trug er ein Holzschwert, in der rechten einen runden, aus Weidenzweigen geflochtenen Schild. Er reichte beides an Abu Dun.

»Kommt her, ihr Feiglinge!«, rief Abu Dun herausfordernd. »Wer von euch den Mut hat, sich mit mir zu messen, der soll vortreten! Wer es schafft, mich niederzuschlagen, oder mir so lange Stand zu halten, wie der Sand in dieser Uhr braucht, um hindurchzurieseln, der bekommt fünf Taler auf die Hand!«

Rason zauberte eine kleine Sanduhr unter seinem Wams hervor, die er für alle gut sichtbar über den Kopf hielt. Andrej kam zu dem Schluss, dass es kaum länger als eine Minute dauern konnte, bis die Zeit in diesem Standglas abgelaufen war. Eine trügerisch kurze Spanne für jeden, der annahm, gegen Abu Dun schon irgendwie bestehen zu können. Aber eine Ewigkeit für jeden, der sodann dem säbelschwingenden Nubier gegenüber stand.

Andrej hatte längst nicht mehr vor, zu gehen. Er war über die Maßen alarmiert. Was hatte der Freund vor? Er war immer noch nicht bereit zu glauben, dass der Nubier etwas wirklich Dummes tun könnte, aber plötzlich erinnerte er sich wieder an ihren Streit vom Vormittag, an den fast unheimlichen Ausdruck in Abu Duns Augen und an seine Worte: Dann lässt du mir keine andere Wahl!

»Wagt es keiner?«, rief Abu Dun. »Fünf Taler für jeden!« Das Publikum wurde leiser. Einige Männer lachten noch, irgendwo hatte ein Kind zu weinen begonnen, erschreckt durch Abu Duns herrische Stimme und sein finsteres Gesicht, doch allmählich machte sich betretenes Schweigen unter den Zuschauern breit.

»Was soll das?«, murmelte Laurus. »Das war nicht abgesprochen. Dieser Narr, wenn er die Herausforderung verliert, dann zahlt er den Betrag aus eigener Tasche.«

»Keine Sorge«, murmelte Andrej. »Er wird nicht verlieren.«

»Bist du da so sicher?«, fragte Laurus. Andrej nickte. »Niemand wird sich ihm stellen«, sagte er. »Oder würdet Ihr es tun?«

Laurus hob nur die Schultern, doch gerade, als Andrej dachte, dass tatsächlich niemand das Angebot des Nubiers annehmen würde und er erleichtert aufatmen wollte, löste sich ein Mann aus der Zuschauermenge und ging unter beifälligem Johlen zum Seitenaufgang der Bühne. Ein Blick genügte, und Andrej wusste, dass dies kein Gegner für Abu Dun war. Der Herausforderer war fast so groß wie der Nubier und entsprechend breitschultrig, aber er bewegte sich auf die plumpe Art eines Menschen, der vielleicht sehr stark war, mit dieser Stärke aber nicht wirklich umzugehen wusste. Außerdem war sein Gang nicht mehr sicher, und seine Wangen hatten sich gerötet. Es war offensichtlich, dass er schon zuviel vom süßen Wein getrunken hatte.

»Also ist wenigstens einer unter euch, der es wagt«, sagte Abu Dun. »Nun gut, bereite dich darauf vor, deinem Christengott gegenüberzutreten, Wurm!« Wieder brandete Gelächter auf, doch es klang nicht mehr ganz so laut und überzeugt wie bisher. Der Mann hielt einen Moment lang inne, dann schürzte er trotzig die Lippen, straffte die Schultern und trat kampflustig auf Abu Dun zu. Der Nubier reichte ihm den Schild, den der Mann geschickt anlegte. Andrej schlussfolgerte, dass dieser so etwas nicht zum ersten Mal tat. Dann funkelte er Abu Dun herausfordernd an und streckte die Hand nach dem Holzschwert aus.

Doch Abu Dun schüttelte den Kopf und reichte ihm statt dessen seinen Krummsäbel. Der Mann wirkte irritiert, fast erschrocken, und schien es nicht zu wagen, die Ehrfurcht gebietende Waffe zu ergreifen.

»Nimm nur«, sagte Abu Dun, »und hab keine Furcht. Er beißt nicht.«

Schadenfrohes Gelächter kommentierte seine Bemerkung, und in den Augen des schwarzhaarigen Burschen blitzte es auf. Wütend riss er Abu Dun den Säbel aus der Hand und trat einen Schritt zurück. Abu Dun wechselte das Holzschwert von der linken in die rechte Hand und baute sich breitbeinig und mit ausgestreckten Armen, ohne die geringste Deckung, vor seinem Kontrahenten auf.

»Dein Freund hat Mut, das muss man ihm lassen«, sagte Elena.

»Oder er ist ganz besonders dumm«, fügte Laurus hinzu.

»Worauf wartest du?«, fragte Abu Dun höhnisch. »Greif an! Oder traust du dich nicht?«

Das ließ sich sein Gegenüber sich nicht zweimal sagen. Wild schwang der Mann den Säbel und trat ungestüm auf Abu Dun zu. Der Nubier ließ ihn herankommen, trat dann im allerletzten Moment zur Seite und versetzte seinem Gegner einen derben Tritt ins Hinterteil, dass dieser an ihm vorbeistolperte. Der Mann schrie vor Wut und Überraschung auf, fand strauchelnd sein Gleichgewicht wieder und fuhr zornbebend zu Abu Dun herum. Der nächste Angriff wurde langsamer, aber in den Bewegungen auch koordinierter ausgeführt. Es war klar, dass sich der Mann nicht mehr von seinem eigenen Ungestüm zu einer zu leichtsinnigen Aktion hinreißen lassen wollte.

Natürlich nützte ihm das nichts. Abu Dun machte sich nicht einmal die Mühe, den Hieb des Krummsäbels mit seinem eigenen hölzernen Schwert zu parieren, sondern wich dem Schlag mit einer schnellen Bewegung aus, packte den Burschen blitzschnell mit der freien Hand und kniff ihm so derb in die Nase, dass der Mann vor Schmerz aufschrie und in komischen kleinen Hüpfern über die Bühne sprang. Diesmal war das schadenfrohe Gelächter lauter und es hielt deutlich länger an.

Auch Abu Dun warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend - was seinen Gegner zu einem blitzartigen und, wie Andrej zugeben musste, überraschend geschickten Angriff provozierte. Abu Dun wich der Attacke dennoch mühelos aus, drehte sich lachend herum und deutete mit dem freien Arm auf die Sanduhr, die Rason immer noch hoch über dem Kopf hielt. Fast die halbe Zeit war bereits abgelaufen.

»Du schlägst dich nicht schlecht, Ungläubiger«, spöttelte er. »Nur weiter so. Du bist deinem Gold schon nahe!«

Offensichtlich wollte er seinen Gegner damit provozieren, und das gelang ihm auch. Der nächste Angriff war so ungestüm, dass Abu Dun sich kaum bewegen musste, um ihm auszuweichen, und allmählich schien er des Spiels überdrüssig zu werden. Als der Bursche an ihm vorbeistolperte, ließ Abu Dun sein Holzschwert klatschend auf dessen Hinterteil niedersausen. Die Sanduhr war mittlerweile fast zu zwei Dritteln abgelaufen.

»Der arme Kerl könnte einem fast Leid tun«, sagte Elena. War es wirklich Zufall, dass sie den Kopf an seine Schulter lehnte, sodass ihr Haar an seinem Hals und seiner Wange kitzelte? Andrej versuchte unauffällig, ein kleines Stück zur Seite zu treten, aber es gelang ihm nicht.

»Das ist entwürdigend«, sagte er. »Ich weiß nicht, was in Abu Dun gefahren ist.«

Immerhin näherte sich das grausame Spiel seinem Ende. Die Sanduhr war fast abgelaufen, und Abu Dun brachte es jetzt rasch zu Ende. Das Holzschwert wurde so schnell geschwungen, dass das Auge kaum zu folgen vermochte, und der Krummsäbel flog davon, überschlug sich zweimal in der Luft und blieb zitternd und nur eine Handbreit neben Abu Duns Fuß im Boden stecken. Pfeilschnell sprang der Nubier vor, packte den völlig überraschten Burschen bei der Kehle und riss ihn in die Höhe, sodass er noch atmen konnte. Die andere Hand des Nubiers ließ das Holzschwert fallen, ballte sich zur Faust und holte zum Hieb aus. Andrej konnte hören, wie das Publikum entsetzt den Atem anhielt, und auch Elena fuhr überrascht zusammen. Für einen Moment, einen winzigen schreckerfüllten Moment, war jedermann im Publikum sicher, dass Abu Dun zuschlagen würde.

Er tat es nicht. Die Faust verharrte im letzten Moment, nur noch einen Fingerbreit vom Gesicht seines Gegners entfernt. Dann lachte Abu Dun, ließ den armen Kerl endlich los und versetzte ihm einen Stoß, der ihn rückwärts taumeln und schließlich zu Boden gehen ließ. Grinsend drehte sich der Nubier zum Publikum um und verbeugte sich tief.

Für zwei, drei Herzschläge wurde es vollkommen still, nur das Kind weinte immer noch, und man konnte das leise Stöhnen von Abu Duns Gegner hören, der benommen versuchte, wieder auf die Beine zu kommen.

Endlich ließ Elena Andrejs Arm los und begann zu klatschen, und das Geräusch brach den Bann. Tosender Applaus brandete auf, während Abu Dun sich ein zweites Mal verbeugte und schließlich seinen Säbel aus dem Boden zog, um ihn wieder in den Gürtel zu stecken.

»Das reicht!«, sagte Andrej. »Das sehe ich mir nicht länger an.« Mit einem Ruck drehte er sich um und wollte gehen, aber Elena hielt ihn rasch am Arm zurück.

»Warte!«, sagte sie. »Ich glaube, er ist noch nicht fertig.«

»Ja, das befürchte ich auch«, sagte Andrej und machte sich mit sanfter Gewalt los.

»Nun?«, rief Abu Dun von der Bühne herab. »War das etwa alles? Ist denn keiner mehr unter euch, der bereit ist, sich mit mir zu messen?«

Niemand meldete sich. Das Schauspiel hatte die Zuschauer amüsiert, schien aber auch dem Letzten die Lust daran genommen zu haben, sich mit dem schwarzen Hünen zu messen. Andrej setzte sich zum Gehen in Bewegung.

»Seid ihr alle Feiglinge?«, rief Abu Dun. »He! Du da! Ungläubiger!«

Andrej musste nicht einmal zur Bühne hinsehen, um zu spüren, dass sich plötzlich alle Zuschauer zu ihm herum drehten und ihn anstarrten.

»Ja, dich meine ich!«, rief Abu Dun. »Bleib stehen!«

Die Vernunft sagte Andrej, dass er einfach weiter gehen sollte, ganz egal, was Abu Dun sagte oder tat, aber der Zorn über das kindische Verhalten des Nubiers war einfach stärker. Er drehte sich herum und funkelte den Freund schweigend an.

»Du siehst aus wie ein Mann, der sich zu wehren weiß«, rief Abu Dun. »Immerhin trägst du ein Schwert am Gürtel. Führst du es nur spazieren, um die holde Weiblichkeit zu beeindrucken, oder weißt du auch damit umzugehen?«

»Ich werde nicht mit dir kämpfen«, sagte Andrej ruhig. »Also spar' dir die Mühe.«

»Du bist feige«, höhnte Abu Dun.

»Wenn du meinst«, sagte Andrej ruhig. Warum ging er nicht einfach davon? Es konnte ihm doch vollkommen gleichgültig sein, ob die Zuschauer ihn für einen Jämmerling hielten oder nicht... »Ich verdopple mein Angebot«, sagte Abu Dun. »Zehn Taler, wenn du gegen mich bestehst, Ungläubiger. Und du magst dein eigenes Schwert benutzen, wenn du willst.«

»Übertreib' es nicht, Abu Dun«, zischte Andrej. Die Worte des Nubiers machten ihn immer wütender. Sein Verstand sagte ihm, dass er sich benahm wie ein kompletter Narr und ganz genau das tat, was Abu Dun von ihm erwartete ...

»Kann es sein, du trägst das Schwert nur zum Kartoffeln Schälen?«, höhnte Abu Dun. »Mir scheint, du bist nicht Manns genug, Ungläubiger. Ein Feigling und ein herausgeputzter Geck, das bist du. Sag, wartet dein Weib auf dich, oder musst du heim zur Mutter?«

Es war nicht das spöttische Gelächter der Männer und Frauen ringsum. Es war nicht einmal so sehr die Wut, die Abu Duns Worte immer heißer in ihm brennen ließ. Was Andrej schließlich dazu brachte, zur Bühne zurückzugehen, war Elenas Blick, den er aus den Augenwinkeln auffing. Er wusste, dass es kindisch war und durch und durch leichtsinnig, aber er hätte in diesem Moment den Gedanken einfach nicht ertragen, in Elenas Augen als Feigling dazustehen. Mit einem schnellen Satz war er auf dem Podest, zog das Schwert und trat Abu Dun entgegen. Der Nubier grinste triumphierend. Rason drehte die Sanduhr um und wollte sie wieder in die Höhe halten, aber Andrej schüttelte den Kopf.

»Nicht nötig«, sagte er. »Ich brauche dein Geld nicht. Und so lange wird es auch nicht dauern.«

»Hört, hört!«, rief einer der Zuschauer, andere begannen zu lachen oder stießen schrille Pfiffe aus.

Andrej griff ohne Vorwarnung an. Im letzten Moment riss Abu Dun seinen Säbel in die Höhe und parierte den Hieb, aber zwischen den Klingen sprühten Funken auf, und der riesige Nubier wankte unter der Wucht des Schlages.

Andrej ließ das Schwert sinken, erschrocken vom Ungestüm seines eigenen Angriffs. Er war zornig auf Abu Dun wie selten zuvor, aber er hatte nicht wirklich vorgehabt, ihn zu verletzen. Rasch tat er einen halben Schritt zurück und nahm sich vor, sich mehr zu beherrschen. Abu Dun hatte ihn aus der Reserve locken wollen und das war ihm gelungen, aber nun musste es gut sein.

Unglückseligerweise schien der Nubier das nicht so zu sehen. Er griff nun seinerseits an, und er legte kaum weniger Kraft in seine Hiebe als Andrej es gerade getan hatte.

Rings um sie herum wurde es mucksmäuschenstill, während ihre Schwerter immer schneller vor- und zurückzuckten, klirrend gegeneinander prallten oder nach einer Lücke in der Deckung des anderen suchten. Andrej wich weiter vor Abu Dun zurück. Obwohl er viel stärker als ein normaler Mann war, hatte er der schieren Masse des Nubiers nichts entgegenzusetzen und konnte nur mit Schnelligkeit und Geschick ausgleichen, was ihm Abu Dun an Kraft voraus hatte. Eine Zeit lang wogte der Kampf hin und her, ohne dass einer von ihnen wirklich einen Vorteil errang, doch Andrej spürte auch, wie seine Kräfte zu erlahmen begannen, während Abu Duns Angriffe immer aggressiver zu werden schienen.

»Verdammt, Abu Dun, was soll das?«, raunte er so leise, dass niemand der Umstehenden ihn verstehen konnte.

»Ich hab's dir doch gesagt - du lässt mir keine Wahl«, antwortete Abu Dun.

Andrej fand keine Gelegenheit, über diese Worte nachzudenken, denn er musste sich hastig ducken, um einem Schwerthieb zu entgehen, der ihm sonst den Kopf von den Schultern getrennt hätte.

»Bist du verrückt?«, zischte er. »Was sollte das denn werden?«

Und dann, ganz plötzlich, verstand er, dass aus dem Schaukampf Ernst geworden war. Abu Dun spielte nicht mehr mit ihm. Er wollte ihn verletzen. Töten?

Und er war nicht der einzige, der das begriff. Rings um sie herum wurde es totenstill. Atemlos starrten die Menschen zu ihnen hinauf, während immer hellere Funken zwischen ihren Schwertern aufstoben und die beiden ungleichen Gegner immer blitzartiger zustießen, parierten, auswichen oder angriffen.

»Also gut«, keuchte Andrej. »Du hast es nicht anders gewollt.« Er täuschte einen Hieb gegen Abu Duns Schulter an, warf sich blitzschnell zur Seite und kam nach einer Rolle hinter dem Nubier wieder in die Höhe. Noch in der Bewegung stieß er zu. Tief bohrte sich die Klinge in Abu Duns Wade und fügte ihm eine heftig blutende Verletzung zu. Abu Dun schrie vor Schmerz und Wut, wirbelte herum, und Andrej versetzte ihm einen Fußtritt vor das verwundete Bein, der ihn vollends zu Boden schleuderte. Mit einer fließenden Bewegung war er über dem Nubier, ließ sich fallen und rammte ihm dabei beide Knie in den Leib. Dann setzte er ihm die Schwertspitze an die Kehle.

»Hast du jetzt genug?«, fragte er.

Abu Dun stöhnte. Der rasiermesserscharfe Stahl hatte seine Haut geritzt, und ein einzelner Blutstropfen quoll aus der Wunde und zeichnete eine glitzernde Spur auf seiner schwarzen Haut.

Andrej spürte, dass es schon wieder begann. Es war nur ein einzelner Blutstropfen, aber es fiel ihm unendlich schwer, seinen Blick davon loszureißen. Das Ungeheuer in ihm rührte sich, und Andrej stemmte sich mit aller Kraft gegen die düstere Gier, die schon wieder erwachen wollte. Für einen winzigen Moment war er abgelenkt, und dieser winzige Moment sollte alles entscheiden.

Vielleicht spürte Abu Dun, was geschah, und es war eine Verzweiflungstat, vielleicht hatte er aber auch nur Andrejs Unaufmerksamkeit gnadenlos ausgenutzt. Ohne Rücksicht darauf, dass er sich dabei noch mehr verletzte, warf der Nubier den Kopf zur Seite, sodass aus dem winzigen Schnitt an seinem Hals ein mehr als fingerlanger Spalt wurde, der heftig blutete, stieß Andrej mit der linken Hand von sich und rammte ihm mit der anderen den Krummsäbel bis ans Heft in den Oberkörper.

Im ersten Moment wusste Andrej nicht, was ihn mehr lähmte: Der grausame Schmerz, mit dem sich der Stahl durch seinen Brustkorb fraß, oder der Schock über das, was Abu Dun getan hatte.

Mit einem keuchenden, halb erstickten Schrei warf er sich mit solcher Wucht zurück, dass Abu Dun, der noch immer den Säbel umklammert hielt, erst losließ, als er mit in die Höhe gerissen wurde.

Rings um sie herum erscholl ein Chor entsetzter Schreie und Rufe, einige Frauen begannen zu kreischen, und Andrej sah wie durch einen von Blitzen durchzuckten, blutigen Nebelschleier, wie Elena entsetzt die Hände vor das Gesicht schlug. Er taumelte zurück, kämpfte vergeblich gegen das Gefühl zunehmender Schwäche an, und konzentrierte sich mit aller Macht darauf, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Er durfte nicht ohnmächtig werden, nicht hier und jetzt. Die Klinge hatte sein Herz knapp verfehlt, und es würde nicht lange dauern, bis sich sein Körper von der Verwundung erholt hatte. Aber schwach, wie er war, konnten endlose Minuten vergehen, bis er das Bewusstsein wiedererlangte, Minuten, in denen er keine Kontrolle über das hatte, was rings um ihn und mit ihm geschah; und auch, und vielleicht vor allem, mit Abu Dun. Ein Teil von ihm weigerte sich noch immer, zu begreifen, was der Nubier getan hatte, aber auf einer dem bewussten Denken nicht ganz zugänglichen Ebene waren ihm seine Gründe vollkommen klar und auch, in welch entsetzliche Gefahr Abu Dun sich damit begeben hatte.

Würgend und Blut spuckend taumelte er rückwärts über die Bühne und hob in einer schwachen Bewegung die Hände vor das Gesicht, als er sah, wie Abu Dun aufsprang und auf ihn zukam.

Seine Kraft reichte nicht mehr, den Nubier zurückzustoßen. Abu Duns Hand umklammerte den Griff des Krummsäbels und riss ihn mit einem einzigen, grausamen Ruck wieder heraus. Der Schmerz war beinahe noch schlimmer als der erste. Andrej hatte keine Kraft mehr, zu schreien, und seine Lungen hatten sich mit Blut gefüllt, sodass er nur ein Würgen hervorbrachte. Die dunkelroten Schlieren vor seinem Gesicht wurden dichter, und schließlich wurde es schwarz um ihn.

Allerdings nur für wirklich wenige Augenblicke. Als er die Augen wieder aufschlug, lag er mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken. Sein Hemd war schwer und nass von seinem Blut, klebriger Kupfergeschmack füllte seinen Mund, und in seiner Brust pochte der Schmerz im rasenden Takt seines Herzens, der nicht verebbte, sondern mit jedem Schlag ein wenig schlimmer zu werden schien. Jemand beugte sich über ihn und rief ununterbrochen seinen Namen, aber er war nicht in der Lage, zu erkennen, wer, geschweige denn, ihm zu antworten. Die Welt schien nur noch aus Geschrei, stampfenden Schritten und Hast zu bestehen. Irgendwo am Rande seines Gesichtsfeldes flackerte ein finsterer, massiger Umriss, der irgendwie der Quell all dieser Aufregung zu sein schien, und jetzt glaubte er auch Schmerzensschreie zu hören.

Andrej schloss die Augen, versuchte die grausame Pein in seiner Brust zu ignorieren und konzentrierte sich mit aller Macht, seine außer Rand und Band geratenen Sinne zu beruhigen und sich wieder zu halbwegs klarem Denken zu zwingen. Es gelang ihm, wenngleich nicht annähernd so leicht, wie er es gewohnt war, und nicht annähernd so schnell.

Und dennoch: Als er die Augen wieder öffnete, da hatte sich sein Blick geklärt, und die Geräusche und Bewegungen, die er wahrnahm, ergaben wieder einen Sinn. Das Gesicht über ihm gehörte Elena, die neben ihm auf die Knie gesunken war und ihn in einer Mischung aus Unglauben und grenzenlosem Entsetzen anstarrte. Ihre Hände waren blutig - von seinem Blut - und ihre Lippen stammelten immer wieder seinen Namen. Der Schatten links von ihm war niemand anderer als Abu Dun, jedenfalls zum Teil, denn er hatte sich auf dem Bretterboden zusammengekrümmt und die Arme vor das Gesicht gerissen, um sich vor den Schlägen und Tritten eines guten halben Dutzends Männer zu schützen, die erbarmungslos auf ihn eindroschen. Laurus stand schreckensbleich im Hintergrund und blickte vom Lynchmob zu Andrej und wieder zurück.

Unsicher versuchte er, sich auf die Ellbogen zu stemmen. Elena keuchte, und das Entsetzen in ihren Augen flackerte zu neuer, noch höherer Glut auf. »Andrej!«, stieß sie hervor. »Um Himmels willen! Nicht bewegen!«

Sie versuchte, ihn mit sanfter Gewalt zurückzudrücken, aber Andrej schob sie ein Stück von sich fort und setzte sich auf. Seine Brust schmerzte noch immer, und die unvorsichtige Bewegung wurde sofort von einem leisen Schwindelanfall geahndet, aber seine Kräfte kehrten jetzt rasch zurück. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er.

»Unsinn!« Elena schüttelte fast zornig den Kopf. »Du bist schwer ver- «

Sie stockte, und ihre Augen wurden groß. Aus dem Entsetzen in ihrem Blick wurde etwas anderes, als Andrej das durchlöcherte Hemd aus der Hose zog und mit einem Ruck vollends zerriss, so dass die Haut darunter zum Vorschein kam.

Seine Brust war unversehrt.

»Aber ... aber wie ... wie ist denn das ...?«, stammelte sie.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte Andrej noch einmal. Er fügte noch ein beruhigendes Lächeln hinzu, dann stand er auf und drehte sich zu den Männern herum, die immer noch auf Abu Dun einprügelten und -traten. »Aufhören!«, rief er. Zwei oder drei der Burschen ließen tatsächlich von ihrem wehrlosen Opfer ab, aber die anderen - allen voran der grobschlächtige Kerl, mit dem Abu Dun zuvor sein grausames Spiel getrieben hatte, droschen nur umso heftiger auf den Nubier ein. Erstaunlicherweise machte Abu Dun keinen Versuch, sich zu wehren. Er hatte sich zu einem Ball zusammengerollt und versuchte lediglich, sein Gesicht und die empfindlichsten Körperteile vor den schlimmsten Treffern zu schützen.

»Aufhören, habe ich gesagt!«, schrie Andrej noch einmal. Er wartete die Reaktion auf seine Worte gar nicht ab, sondern trat mit einem Schritt an Elena vorbei, packte zwei der jungen Männer gleichzeitig am Kragen und stieß sie grob davon. Ein dritter hielt in seinem Tun inne, wurde kreideweiß vor Schreck und taumelte wie unter einem Schlag zurück, obwohl Andrej ihn nicht einmal berührt hatte. Nur der große Bursche fuhr fort, mit beiden Fäusten auf Abu Dun einzudreschen. Andrej gestattete ihm noch einen letzten Schlag, dann packte er ihn im Nacken und riss ihn grob zurück.

»Bist du taub, Kerl? Ich hab gesagt, es ist genug!«

Er wirbelte den Burschen herum und ließ ihn los, darauf gefasst, sich selbst eines Angriffes erwehren zu müssen, aber der junge Mann starrte ihn nur aus hervorquellenden Augen an. Plötzlich schien alle Kraft aus ihm zu weichen, und anstelle des rasenden Jähzorns, der bisher in seinen Augen gelodert hatte, breitete sich fassungsloses Entsetzen darin aus.

»Beruhige dich«, sagte Andrej. »Es war nur ein Trick.«

Erst jetzt fiel ihm auf, dass es geradezu unheimlich still um sie herum geworden war. Die Schreie, das Kreischen und die wütenden Rufe waren verstummt, selbst das Kind hatte aufgehört zu weinen. Er musste sich nicht herumdrehen um zu wissen, dass sich alle Blicke auf ihn konzentrierten. Rasch kniete er neben Abu Dun nieder.

»Alles in Ordnung?«, fragte er. Abu Dun nahm stöhnend den Arm herunter und drehte sich auf den Rücken. Sein Gesicht war blutüberströmt und begann bereits anzuschwellen. Die Nase schien gebrochen, und auch die Lippen waren aufgeplatzt und bluteten heftig. »Du hast ziemlich lange gebraucht«, knurrte er.

»Eigentlich hätte ich sie gewähren lassen sollen«, zischte Andrej. »Was sollte das, du Idiot? Nenn mir einen Grund, warum ich nicht zu Ende bringen soll, was die Menge begonnen hat.«

Langsam richtete er sich auf, drehte sich herum und ließ seinen Blick über die Gesichter der Menge unten vor der Bühne schweifen. Was er sah, gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.

»Was ... hat das zu bedeuten?«, murmelte Laurus irgendwo hinter ihm.

Andrej ignorierte ihn, trat an den Rand der Bühne und zog das blutdurchtränkte und zerrissene Hemd aus. Mit bedächtigen Bewegungen knüllte er es zusammen und benutzte es dann, um sich das Blut vom Körper zu wischen. Er ging dabei viel bedächtiger zu Werke als nötig, und als er fertig war, breitete er die Arme aus und drehte sich langsam einmal um seine Achse. Auch, wenn er es bisher gar nicht für möglich gehalten hätte - es wurde noch stiller. Jeder dort unten schien buchstäblich das Atmen vergessen zu haben.

»Ihr braucht keine Angst zu haben«, sagte er mit ruhiger, weit schallender Stimme. »Ich bin nicht verletzt. Und was ihr gesehen habt, das war nur eine kleine Kostprobe der uralten Magie des Orients.« Einige Sekunden lang blieb er völlig reglos stehen, dann verbeugte er sich tief, machte einen Schritt rückwärts und deutete mit der linken Hand auf den Nubier, der sich unsicher neben ihm aufrichtete und deutlich weniger würdevoll als Andrej den Ärmel seines Mantels dazu benutzte, um das Blut abzuwischen, das noch immer aus seiner Nase strömte. »Abu Dun, der Vater des Todes!«

Für einen schier unendlich langen Moment hätte man eine Nadel fallen hören können. Dann aber begann irgendjemand zu applaudieren, ein zweiter tat es ihm gleich, und plötzlich schien das ganze Lager unter dem tosenden Applaus der Menge zu erbeben. Pfiffe und Hurra-Rufe wurden laut. Andrej atmete erleichtert auf. Der Moment der Gefahr schien gebannt, und anscheinend hatte er den Ton des prahlerischen Marktschreiers gut genug getroffen, um die Menge davon zu überzeugen, dass sie nur Zeuge eines besonders gelungenen Taschenspielertricks geworden war.

Und dennoch ließ sich Andrej von der allgemeinen Begeisterung nicht täuschen. Denn er sah, dass mitnichten alle Zuschauer applaudierten. Der eine oder andere stand immer noch wie gelähmt da und starrte ihn aus großen Augen an, und auf mehr als einem Gesicht entdeckte er Argwohn, ja, pure Angst.

So wartete er noch einige Momente, ehe er sich zu Abu Dun umwandte und ihm im Vorübergehen zuraunte: »Ich will dich sprechen. In meinem Wagen. Sofort.«

Abu Dun bleckte die blutverschmierten Zähne zu einem Grinsen, wofür Andrej sie ihm am liebsten auf der Stelle eingeschlagen hätte. Mit einem Ruck fuhr er herum, sprang von der Bühne und eilte zu seinem Wagen.

Er kam nicht dazu, mit Abu Dun zu reden; jedenfalls nicht so, wie er es vorgehabt hatte, und nicht an diesem Abend.

Sowohl die Zuschauer als auch die anwesenden Sinti hatten ihm teils respekt-, teils angstvoll Platz gemacht, als er auf seinen Wagen zuschritt, und tatsächlich war Abu Dun ihm schon nach wenigen Augenblicken gefolgt. Aber er war nicht allein gekommen, sondern in Begleitung von Laurus und Elena. Und Laurus hatte die folgenden Minuten damit zugebracht, so lautstark herumzutoben, dass man ihn zweifellos im ganzen Lager hören konnte, und Andrej und Abu Dun mit derart fantasievollen Schimpfworten zu belegen, dass selbst der Nubier ein paar Mal überrascht die Augenbraue gehoben hatte.

Und es wurde nicht besser. Laurus schien nicht die Absicht zu haben, sich irgendwann beruhigen zu wollen, sondern brüllte sich ganz im Gegenteil immer mehr in Rage, bis es schließlich selbst Elena zu viel wurde und sie ihm besänftigend eine Hand auf den Unterarm legte.

Laurus schüttelte sie unwirsch ab, aber er verstummte und presste für einen Moment die Kiefer so fest aufeinander, dass man seine Zähne knirschen hören konnte. Dabei sah er Abu Dun und Andrej wütend und herausfordernd zugleich an.

»Und jetzt will ich wissen, was das alles zu bedeuten hat«, sagte er schließlich. Er hatte diese Frage in den zurückliegenden Minuten mindestens zehn Mal gestellt, allerdings ohne ihnen die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. Jetzt aber wartete er sichtlich darauf, und auch wenn seine Stimme leiser geworden war, so hatte sich doch ein neuer Ton hineingeschlichen, der Andrej deutlich machte, dass es besser war, darauf einzugehen: Und zwar auf eine Art, die Laurus überzeugte.

»Das war nur ein Trick«, sagte er. »Euer Sohn hat es doch selbst gesagt, Laurus: Abu Dun ist ein großer Zauberer. Wir haben -«

»Humbug!«, zischte Laurus auf eine Art, die ihn trotzdem irgendwie schreien ließ. »Ich weiß, was ich gesehen habe. Ich habe -«

»- genau das gesehen, was Ihr sehen solltet«, unterbrach ihn Abu Dun. Er tauschte einen beredten Blick mit Andrej und fuhr dann mit einem Lächeln fort: »Es war nichts als ein Taschenspielertrick, Laurus. Genau wie Andreas sagt.«

»Taschenspielertrick?«, höhnte Laurus. »Ich bin weder dumm noch blind, Muselmann. Ich habe schließlich gesehen, wie dein Schwert ihn aufgespießt hat.«

»Ihr habt gesehen, was Ihr zu sehen erwartet habt, Laurus«, sagte Andrej. »Glaubt uns - es war nichts als ein Trick. Wenngleich ein wirklich guter.«

»Eigentlich wollten wir ihn erst morgen Abend zum Besten geben«, fügte Abu Dun hinzu, »aber dann erschien mir der Moment günstig, ihn erst mal vor einem nicht ganz so großen Publikum zu probieren.«

»Ein Trick?«, fragte Laurus noch einmal. Er sah Elena an, erntete nur ein hilfloses Achselzucken, dann Abu Dun und schließlich Andrej. »Das ist nicht wahr.«

»Natürlich ist es wahr«, behauptete Andrej und ließ seine linke Hand auf die völlig unversehrte Haut seines nackten Oberkörpers klatschen. »Ich stehe ohne einen Kratzer vor Euch, oder? Schweineblut, ein präpariertes Schwert und eine flinke Hand sind alles, was nötig ist, um das Auge zu täuschen. Vor allem dann, wenn es getäuscht werden will.« Er lächelte flüchtig. »Ich dachte, dass Ihr das am besten wisst.«

»Humbug«, sagte Laurus wieder. »Ihr habt völlig Recht, Andreas. Ich weiß, wie leicht man getäuscht werden kann. Und eben darum ist es nicht leicht, mich zu täuschen. Jedenfalls nicht so. Also, verkauft mich nicht für dumm!«

»Also gut, ich gebe es zu«, sagte Andrej und wand sich vor gespielter Zerknirschung. »Ihr habt uns durchschaut, Laurus. Abu Dun und ich sind wirkliche Zauberer.« Er schmunzelte.

»Das ist nicht komisch«, sagte Elena.

Andrejs Lächeln erlosch. »Das soll es auch nicht sein«, sagte er. »Was wollt Ihr jetzt von mir hören, Laurus? Die Wahrheit, oder irgendeine Ausrede, die besser zu dem passt, was Ihr Euch selbst schon zurechtgelegt habt? Es war ein Trick.«

»Dann verratet mir, wie er funktioniert«, verlangte Laurus.

Bevor Andrej antworten konnte, stieß Abu Dun ein leises Lachen aus. »Aber ich bitte Euch, Laurus«, sagte er, »welcher Magier hätte je seine Tricks verraten? Was ist ein Geheimnis wert, wenn man es jedem, der danach fragt, sogleich offenbart?«

Laurus schwieg eine geraume Weile. Sein Blick irrte unsicher zwischen Abu Dun und Andrej hin und her, aber schließlich wandte er sich dem Nubier zu. »Ihr beiden müsst völlig verrückt sein«, sagte er. »Wenn ihr lügt, dann, weil ihr euch wirklich einbildet, ich würde das glauben. Und wenn ihr die Wahrheit sagt, dann noch mehr.«

»Wieso?«, fragte Abu Dun. »Könnt Ihr Euch auch nur vorstellen, was alle, die uns gerade zugesehen haben, ihren Freunden, Verwandten und Nachbarn in der Stadt erzählen werden?«

»Ja, das kann ich nur zu gut«, sagte Laurus bitter.

»Spätestens morgen werden sie in Scharen hierher strömen«, fuhr Abu Dun fort. »Ihr könnt an Eintritt verlangen, so viel Ihr wollt. Jeder wird jeden Preis zahlen, um den Mann zu sehen, der den Tod besiegt.«

Laurus starrte ihn fassungslos an. »Großer Gott, ich befürchte, du meinst das ernst«, murmelte er. Als er sich zu Andrej umdrehte, wirkte er plötzlich unendlich müde. In fast flehendem Tonfall fuhr er fort: »Vielleicht sollte ich dem Muselmanen nicht böse sein, denn anscheinend weiß er es nicht besser. Aber von Euch, Andreas, hätte ich mehr Vernunft erwartet. Könnt Ihr auch nur erahnen, was geschieht, wenn Schulz und dieser Handmann von dem hören, was hier heute Abend passiert ist? Oder wenn sie es gar selbst sehen?«

Andrej schwieg und hielt Laurus' Blick gelassen Stand. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Abu Dun gekonnt den Verdutzten spielte und mit einem Ausdruck der Überraschung die Augen aufriss. »Aber -«

»Aber«, sagte Laurus und nickte. »Gott im Himmel, wir können froh sein, wenn sie mit einer Hundertschaft Soldaten hierher kommen und uns nur peinlich verhören, statt gleich das Lager anzuzünden und zuzusehen, wie wir verbrennen. Ihr und Euer närrischer Freund, Andreas, Ihr habt uns ...« Er rang sichtlich um Worte, schien aber nicht imstande, seinem Entsetzen Ausdruck zu verleihen und wandte sich abrupt um. »Ich muss ... nachdenken«, sagte er. »Grundgütiger Gott, was habt ihr nur getan?« Mit diesen Worten stürmte er fast fluchtartig aus dem Wagen Elena sah ihm traurig nach blickte dann zu Andrej und schien etwas sagen zu wollen. Doch dann beließ sie es bei einem Kopfschütteln und folgte ihrem Mann mit hängenden Schultern.

Andrej wartete einen Moment, dann ging er zur Tür, um sich davon zu überzeugen, dass niemand vor dem Wagen stand und sie belauschte. Schließlich drehte er sich zu Abu Dun herum und sah ihm fest ins Gesicht.

Der riesige Nubier lehnte lässig an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen.

»Ist dir eigentlich klar, was du getan hast?«, fragte Andrej.

Er sprach sehr leise, flüsterte fast. Er wollte schreien, wollte wütend werden, ja, er wünschte sich fast, die Kraft zu haben, um sich auf Abu Dun zu stürzen und auf ihn einzuschlagen. Aber in ihm war nur kaltes Entsetzen, und ein Zorn von bisher nie da gewesener Qualität, der auch nicht weichen würde, wenn er seinen Gefühlen gewaltsam Ausdruck verlieh.

»Ich hab dich gewarnt«, sagte Abu Dun, ebenso leise und ebenso ernst. Er lächelte nicht mehr. »Aber du hast mir ja keine andere Wahl gelassen.«

»Keine andere Wahl als was?«, fragte Andrej. »Aller Welt mein Geheimnis zu offenbaren?«

Statt einer Antwort nahm Abu Dun die Arme herunter und begann, im Wagen auf und ab zu gehen. »Laurus hat Recht, weißt du?«, sagte er schließlich. »Spätestens morgen werden unsere Freunde aus der Stadt hier erscheinen, und sie werden wissen wollen, wie unser kleines Zauberkunststückchen funktioniert.« Er blieb stehen und lächelte Andrej zu. »Ich fürchte sogar, sie werden ziemlich nachdrücklich darauf bestehen, dass wir ihnen das Geheimnis verraten.«

»Du weißt genau, dass ich das nicht kann.«

Abu Dun hob die Schultern. »Dann bleibt uns nur noch ein einziger Ausweg.« Er machte eine Kopfbewegung zur Tür. »Brechen wir sofort auf, oder warten wir, bis alle Zuschauer nach Hause und deine Freunde schlafen gegangen sind?«

»Du bist wahnsinnig«, sagte Andrej. »Weißt du, was du getan hast?«

»Dafür gesorgt, dass wir von hier verschwinden«, sagte Abu Dun ruhig. »Es sei denn, du findest Gefallen an dem Gedanken, die Attraktion von heute Abend in den nächsten beiden Wochen Tag für Tag zu wiederholen. Wer weiß, vielleicht werden wir wirklich reich mit diesem Kunststück. Doch wenn du mich fragst, wird uns das eher auf den Scheiterhaufen bringen.«

»Du hast die ganze Sippe hier zum Tode verurteilt«, sagte Andrej leise. »Um Himmels willen, Abu Dun, ist dir das nicht klar? Weißt du nicht, was passiert, wenn sie morgen kommen und nach uns suchen, und wir sind nicht mehr hier? Sie werden Laurus, Elena und jeden einzelnen der Familie vor die Inquisition schleifen und auf den Scheiterhaufen werfen.«

»Ach was«, sagte Abu Dun leichthin. »Sie werden ein paar unangenehme Fragen beantworten müssen, werden die ganze Schuld auf uns schieben - vermutlich auch das, was diesem Simpel von Müller und deinem Freund, dem Pfaffen, zugestoßen ist - und dann wird man sie davonjagen. Niemand wird zu Schaden kommen.«

»Und wenn doch, was macht es schon? Wir werden ja ohnehin nichts davon erfahren, nicht wahr?«, rief Andrej aufgebracht. Er war fassungslos. Er hatte Abu Dun nie als sonderlich gefühlsbetonten Mann kennen gelernt und schon gar nicht als jemanden, der übermäßig viel Rücksicht auf das Schicksal anderer nahm. Immerhin hatte der Nubier in den ersten Jahrzehnten seines Lebens nicht schlecht davon gelebt, Menschen zu verkaufen. Und dennoch fiel es ihm schwer, zu glauben, dass Abu Dun das Leben Dutzender Unschuldiger aufs Spiel setzen wollte, nur um seinen Willen durchzusetzen.

»Ich gehe und sattle die Pferde«, sagte Abu Dun. »In einer Stunde bin ich fort. Und wenn du auch nur noch eine Spur von Verstand hast, dann begleitest du mich.«

Andrej trat widerspruchslos zur Seite, um ihn vorbeizulassen, und er sagte auch nichts, als Abu Dun den Wagen verließ und mit schnellen Schritten in der Dunkelheit verschwand. Irgendwie fiel es ihm immer noch schwer, zu glauben, was er gerade selbst erlebt hatte. Das war nicht der Abu Dun, den er kannte. Das war nicht einmal der Abu Dun, den er einmal gekannt hatte.

Und das Allerschlimmste war: Der Freund hatte Recht. Sie konnten nicht länger hier bleiben. Nicht nach dem, was Abu Dun getan hatte und dessen all diese Menschen Zeugen geworden waren.

Müde ließ er sich auf die Bettkante sinken, verbarg das Gesicht in den Händen, und versuchte, Klarheit in seine Gedanken und Gefühle zu bringen. Es gelang ihm nicht. Je angestrengter er es versuchte, desto verwirrter und hilfloser fühlte er sich. Es war, als hindere ihn etwas daran, geordnet zu denken und zu erkennen, was in dieser Situation zu tun war.

Ein Geräusch bei der Tür riss ihn in die Wirklichkeit zurück. Andrej ließ die Hände sinken, darauf gefasst, Laurus oder einen seiner Stiefsöhne zu erblicken, möglicherweise auch Abu Dun, der zurückgekommen war, um noch ein wenig Salz in seine Wunden zu reiben. Aber er konnte nur einen Schatten erkennen, der auf unheimliche Weise fast keine Substanz zu haben schien, als ob selbst das Mondlicht, das durch die Fenster hereinströmte, seine Berührung fürchtete. Doch noch bevor sie den ersten Schritt auf ihn zu tat, erkannte er ihren Duft und den vertrauten Rhythmus ihres Atems.

»Elena«, murmelte er. »Warum bist du zurückgekommen? Du solltest nicht hier sein.«

»Hier ist der einzige Ort, an dem ich im Moment sein sollte«, erwiderte Elena und kam auf ihn zu. Er hörte das Rascheln von Stoff, und noch bevor sie ihn ganz erreicht hatte, ließ sie das Kleid von den Schultern gleiten und trat mit einem einzigen Schritt vor ihn.

»Nicht«, murmelte Andrej. Er schloss die Augen und ballte die Hände fest zu Fäusten, aber es nutzte nichts. Auch mit geschlossenen Augen sah er sie so vor sich stehen, wie sie war, nackt und verlockend und in ihrer ganzen, unbeschreiblichen Schönheit. Es war der unpassendste aller nur denkbaren Momente, aber Andrej war hilflos gegen das, was sie in ihm auslöste.

»Nein«, sagte er trotzdem. »Elena, nicht jetzt. Ich bitte dich.«

»Es gibt keinen Grund zur Furcht«, sagte Elena. Sie war jetzt ganz nahe, aber sie berührte ihn nicht, sondern schob sich anmutig an ihm vorbei, um sich auf der schäbigen Bettstatt hinter ihm auszustrecken, die allein dadurch plötzlich zum prunkvollen Lager einer Königin wurde. »Mach dir keine Sorgen, Liebster. Laurus wird nicht kommen.«

Er hatte nicht einmal an Laurus gedacht. Aber plötzlich spielte das keine Rolle mehr. Er konnte auch nicht mehr sagen, woran er gedacht hatte, und was auf der Welt überhaupt noch wichtig war. Lächelnd drehte er sich zu ihr herum und schloss sie in seine Arme. Wieder war er eingeschlafen, doch als er diesmal erwachte, war es noch nicht Tag, und Elena lag noch immer in seinem Arm.

Ihr gleichmäßiger Atem verriet, dass sie schlief, aber ihr Körper schien wie im Fieber zu glühen, und - seltsam genug - Andrej fühlte sich zwar ebenso ausgelaugt und erschöpft wie beim letzten Mal, nachdem sie sich geliebt hatten, doch er konnte sich an keine Einzelheit mehr erinnern; weder daran was, noch wie oft sie es getan hatten. Er spürte nur, dass Zeit vergangen war, deutlich mehr als die Stunde, die Abu Dun ihm gegeben hatte, und eigentlich sollte er bei diesem Gedanken erschrecken oder zumindest ein schlechtes Gewissen haben. Doch weder bedauerte er, noch begrüßte er den Gedanken, dass er die Frist hatte verstreichen lassen und Abu Dun jetzt vermutlich schon nicht mehr hier war.

Behutsam versuchte er sich aufzusetzen und seinen Arm unter Elenas Schultern hervorzuziehen, doch so vorsichtig er dabei auch zu Werke ging, Elena schlug erschrocken die Augen auf und sah ihn einen Moment so verwirrt an, als müsse sie sich erst darauf besinnen, wo sie war. Dann aber erschien ein strahlendes Lächeln in ihren Augen. Sie setzte sich auf und griff nach seiner Hand. Einen Moment lang hielt er sie einfach nur fest, dann berührte sie flüchtig seine Fingerspitzen mit den Lippen und glitt mit einer fast schwerelos wirkenden Bewegung aus dem Bett, um sich nach ihrem Kleid zu bücken.

Andrej sah schweigend zu, wie sie sich anzog, und er war fast sicher, dass sie einfach gehen und ihn allein lassen würde wie gestern, aber stattdessen wandte sich Elena noch einmal um und nahm neben ihm auf der Bettkante Platz. Er wollte sich aufsetzen, doch sie legte die gespreizten Finger ihrer Linken auf seine Brust und drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück. Ihr Blick glitt über seinen Körper und blieb auf der Brust in Höhe des Herzens hängen. »Nicht der geringste Kratzer«, sagte sie kopfschüttelnd. »Wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte ich glauben, dass du wirklich ein Zauberer bist.«

»Weißt du es denn besser?«, fragte Andrej.

»Weiß ich es besser?«

Nicht zum ersten Mal war Andrej gefährlich nah daran, Elena einfach die Wahrheit zu sagen, ihr zu offenbaren, wer und was er war und warum sie wirklich hierher gekommen waren. Doch stattdessen sagte er: »Wenn es hier einen Zauberer gibt, dann bist du das.«

»Aber was habe ich denn getan?«, fragte Elena mit einem unschuldigen Augenaufschlag.

»Wenn ich das wüsste«, erwiderte Andrej. »Nie zuvor hat mich eine Frau so sehr in ihren Bann geschlagen wie du.«

»Vielleicht bist du noch nie einer richtigen Frau begegnet?« Sie lachte, und eigentlich sollte Andrej in dieses Lachen einstimmen, denn natürlich war es nichts anderes als eine scherzhafte Bemerkung, um ihn zu necken. Und doch war etwas daran, das ihn schaudern ließ.

»Vielleicht«, sagte er nur.

Wieder sah sie auf seine Brust. »Verrätst du mir, wie ihr das macht?«, fragte sie.

»Ich glaube nicht«, sagte Andrej. »Du hast doch gehört, was Abu Dun zu Laurus gesagt hat: Was ist ein Geheimnis wert, wenn man es jedem offenbart, der danach fragt?«

»Willst du damit sagen, ich wäre jeder?«, fragte Elena lachend.

»Nein«, versicherte Andrej. »Aber es ist kompliziert. Nicht so einfach zu erklären, und jetzt...« Er hob die Schultern. »Ist nicht der richtige Moment. Vielleicht später.«

»Wenn du es jemandem verrätst, dann mir«, beharrte Elena. Sie beugte sich noch einmal vor, berührte die Stelle, an der Abu Duns Schwert seinen Körper durchbohrt hatte mit den Lippen und stand dann mit einer fast hastigen Bewegung auf. »Ich sollte jetzt wirklich gehen«, sagte sie. »Ich habe Laurus erzählt, ich wäre bei Anka. Manchmal bleibe ich lange bei ihr, aber heute ist kein normaler Tag, und er könnte am Ende doch misstrauisch werden, wenn ich zu lange fort bleibe.«

»Und wenn er zu Anka geht, um nach dir zu suchen?«, fragte Andrej.

Elena schüttelte energisch den Kopf. »Laurus geht niemals zu Anka.«

Andrej erhob sich, griff nach seinen Kleidern und begann, sich anzuziehen, auch wenn er selbst gar nicht genau wusste, warum. Er war, wenn auch auf eine sehr wohltuende Art, unendlich müde. Aber aus einem Grund, der ihm selbst nicht ganz klar war, wollte er nicht schlafen. »Warum hasst dein Mann Anka eigentlich so?«, fragte er.

Elena, die schon fast auf halbem Wege zur Tür gewesen war, blieb noch einmal stehen und wandte sich zu ihm um. Er konnte sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete, und er war sicher, auch diesmal nur eine ausweichende oder gar keine Antwort zu bekommen, doch er täuschte sich.

»Du weißt, wer Anka ist?«, fragte sie.

»Eure Puuri Dan«, sagte Andrej. »Auch wenn ich gestehe, dass ich nicht ganz genau weiß, was das ist.«

»Sie ist die Hüterin unseres Wissens«, sagte Elena. »Jede Sinti-Familie hat ihre Ehrwürdige Frau. Sie erzählt die Geschichten der Alten, die Legenden unserer Vorzeit, aber sie lehrt uns auch alles über die Kräfte der Natur und die geheime Magie unserer Vorfahren.«

»Was du mir über den Wald und seine Stimme erzählt hast - das weißt du von ihr?«, fragte Andrej.

Seltsamerweise huschte ein Schatten von Trauer über Elenas Gesicht. »Ja«, sagte sie. »Das und noch so vieles mehr. Und doch gibt es noch so viel mehr, was ich von ihr lernen muss.«

»Du?«

»Sie mag alt geworden sein, und sicher auch ein wenig wunderlich«, antwortete Elena. »Es ist nicht leicht, mit ihr auszukommen. Das war es nie. Anka war niemals ein wirklich guter Mensch, auch nicht, als sie noch jung war.«

»Und deshalb mag dein Mann sie nicht?«, fragte Andrej. »Hat er Angst, dass sie ihm den Rang streitig macht?«

Seine Frage schien Elena noch trauriger zu stimmen. Sie sah eine Weile an ihm vorbei ins Leere, und als sie fortfuhr, war ihre Stimme noch leiser geworden. »Es gibt immer eine Puuri Dan. Es liegt an dem, was sie sind und wissen, dass sie meistens sehr alt werden - wenn auch selten so alt wie Anka. Ihr Wissen darf nicht verloren gehen. Deshalb gibt es auch immer eine Nachfolgerin, die von der Puuri Dan ausgebildet und unterrichtet wird, wenn sie ihre Zeit nahen fühlt. Und diese Nachfolgerin ...«

»... bist du«, vermutete Andrej. Er war nicht überrascht.

Nichts anderes hätte Sinn gemacht.

Elena nickte. »Noch nicht, aber ich werde es sein, wenn Anka stirbt. Und ich fürchte, es wird nicht mehr sehr lange dauern.«

»Und das ist der Grund, aus dem Laurus Anka so sehr hasst?«, wunderte sich Andrej.

»Die Puuri Dan ist unantastbar«, sagte Elena. »Laurus wird mich verlieren, wenn Anka stirbt und ich ihre Nachfolgerin werden. Kein Mann darf die Puuri Dan berühren, niemand der nicht unseres Blutes ist, mit ihr reden oder ihr auch nur nahe kommen. Deshalb hasst er sie.«

Andrej starrte sie ungläubig an. »Du meinst -?«

»Ich meine«, unterbrach ihn Elena mit trauriger aber auch sehr fester Stimme, »dass es eine große Ehre für mich ist, diese Aufgabe zu übernehmen, die vielleicht die wichtigste ist, die es bei uns gibt. Aber ich werde einen Preis dafür zahlen müssen.«

»Einen sehr hohen Preis«, sagte Andrej erschüttert.

»Ja«, antwortete Elena. »Aber ich werde mich nicht beklagen. Das Wohl unseres Volkes zählt mehr als das eines einzelnen Menschen, und auch Laurus weiß das. Er wird nicht versuchen, mich daran zu hindern, und ich glaube, er hasst sich selbst für die Gefühle, die er Anka entgegenbringt. Er ist kein schlechter Mensch, Andreas. Und auch wenn er es manchmal, wie ich zugeben muss, gut zu verbergen weiß - er ist ein sehr kluger Mann. Aber er ist auch ein Mann, und er kann nicht aus seiner Haut.«

»Er liebt dich«, sagte Andrej.

»Vielleicht mehr, als du ahnst«, antwortete Elena. »Vielleicht sogar mehr, als ich ahne. Aber er weiß, dass es eines Tages so weit kommen wird.«

Andrej schwieg. Elenas Worte hatten ihn zuerst überrascht, dann erschreckt und schließlich zornig gemacht, aber keines dieser Gefühle war wirklich berechtigt. Plötzlich schien alles, was er jemals über sie und Laurus gedacht hatte, keine Gültigkeit mehr zu besitzen. Wie konnte er für einen Mann, der eine Frau wie Elena besaß und wusste, dass sie ihm genommen werden würde, irgendetwas anderes empfinden als Mitleid?

Und Elena? Andrej spürte plötzlich einen bitteren, harten Kloß im Hals, der ihm den Atem abschnürte. Wie oft schon hatte er Geschichten wie diese gehört? Wie oft schon hatte er miterlebt, dass Menschen für ihren Glauben nicht nur ihr Leben, sondern unendlich viel mehr zu opfern bereit waren? Er hätte ihr sagen können, dass fast alle es bereut hatten, dass es die große Wichtigkeit, von der sie träumten, nicht gab.

Aber er schwieg. Auch das hatte er zu oft erlebt. Er hatte nicht die Macht, einen Menschen vor sich selbst zu retten, und er hatte nicht das Recht, Elena die einzige Lüge, die ihr half, das vor ihr liegende Schicksal zu akzeptieren, zu nehmen. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, lachte Elena plötzlich leise auf. »Jetzt schau nicht so traurig. Noch ist es nicht soweit. Anka ist zäh, und ganz nebenbei auch viel zu stur, um uns allen den Gefallen zu tun, jetzt schon zu sterben. Und dass ich bis dahin nicht unberührbar bin, solltest du mittlerweile wissen.« Andrej stimmte in ihr Lachen ein, aber es war nicht echt, und als sich Elena erneut zum Gehen wandte, versuchte er nicht, sie zurückzuhalten.

Kaum war er allein, da brach die Müdigkeit wieder mit aller Macht über ihn herein, als hätte sie wie eine lauernde Spinne in ihrem Netz gewartet, bis Elena gegangen war. Seine Lider wurden schwer. Sein Kopf sank nach vorne, und er spürte, dass er im Begriff war, im Sitzen einzuschlafen. Doch statt dem fast übermächtigen Bedürfnis nachzugeben, straffte er sich, stand auf und verließ den Wagen.

Es war spät in der Nacht. Irgendwo am anderen Ende des Lagers brannte noch ein Feuer, eine flackernde rote Insel aus zurückweichender Helligkeit in der Schwärze einer Neumondnacht, und er konnte sogar noch Elenas Schritte hören, die sich rasch entfernten, darüber hinaus aber hatte sich absolute Stille über dem Lager ausgebreitet. Andrej blieb eine Weile reglos stehen, atmete die kühle, sauerstoffreiche Nachtluft und kämpfte die Müdigkeit nieder. Dann wandte er sich nach links und ging zu Abu Duns Zelt.

Obwohl er längst wusste, was er vorfinden würde, war er enttäuscht, als er die Plane zurückschlug und das Lager verlassen fand.

Also war Abu Dun diesmal wirklich gegangen.

Er hatte damit gerechnet, und doch hatte er sich bis zum letzten Moment an die widersinnige Hoffnung geklammert, der Nubier hätte sich eines Besseren besonnen und auf ihn gewartet. Vielleicht wäre er tatsächlich mit Abu Dun aufgebrochen, nicht aus Überzeugung, sondern einfach, weil die Dinge so waren, wie sie nun einmal waren, und weil ihm dieses letzte Gespräch mit Elena klargemacht hatte, dass es auch für sie keine Zukunft gab, auch nicht, wenn Abu Duns Irrsinnstat von heute Abend nie stattgefunden hätte.

Ja, vielleicht wäre er mit ihm gegangen. Aber Abu Dun hatte ihm die Entscheidung abgenommen. Traurig und von einer Mutlosigkeit erfüllt, die sich wie ein schleichendes Gift in seinem Herzen auszubreiten begann, ging er zu seinem Wagen zurück.

Es war Bason, der ihn am nächsten Morgen weckte; ziemlich unsanft und alles andere als in guter Stimmung. Ohne zu dem von flirrendem Sonnenlicht erfüllten Fenster sehen zu müssen, wusste Andrej, dass mindestens zwei, wenn nicht mehr Stunden verstrichen waren, seit die Nacht sich zurückgezogen hatte. Er hatte entsetzliche Kopfschmerzen, schlimm genug, um ihm die Tränen in die Augen zu treiben und Basons Gesicht hinter einem grauen Schleier auseinander fließen zu lassen, und im ersten Moment versuchte er gar nicht erst, sich zu bewegen, denn er wusste, dass er es nicht gekonnt hätte. Er fühlte sich unendlich schwach.

»Andreas, ich bitte dich!«, rief Bason, heftig an seiner Schulter rüttelnd. »Wach auf!«

Bason schrie fast, und in seiner Stimme war ein Ton, der Andrej sagte, dass irgendetwas Schlimmes passiert sein müsse; und eigentlich hätte er wissen müssen, was. Aber es fiel ihm sonderbar schwer, sich an den vergangenen Abend zu erinnern, und noch schwerer, an die Nacht danach. Elena war zu ihm gekommen, das wusste er noch - aber mehr nicht.

»Andreas, es ist wirklich wichtig«, sagte Bason. »Was ist los mit dir? Bist du krank?«

Irgendwie raffte Andrej die letzte Energie zusammen, um den Kopf zu schütteln und sich halb aufzusetzen, aber danach musste er sekundenlang reglos sitzen bleiben, um neue Kraft zu sammeln. Er fühlte sich ausgelaugt, und obwohl er stundenlang geschlafen hatte, buchstäblich zum Umfallen müde.

»Was ist denn los?«, murmelte er. »Was willst du?«

»Laurus schickt mich«, antwortete Bason. »Dieser Schulz ist gekommen.«

Andrej hob langsam den Kopf und fuhr sich mit dem Handrücken über die tränenden Augen. »Schulz?«, fragte er verständnislos.

»Ich weiß nicht, was passiert ist«, antwortete Bason. Er wirkte verstört, beinahe ängstlich. »Aber irgendetwas muss passiert sein. Laurus ist sehr aufgeregt. Er sagt, du sollst sofort kommen.«

»Meinetwegen«, sagte Andrej. Er versuchte, aufzustehen, sank mit einem seufzenden Laut zurück und griff dankbar nach Basons Hand, die dieser ihm auch sogleich entgegenstreckte. Selbst mit Hilfe des jungen Sinti gelang es ihm kaum, auf die Füße zu kommen, und als er endlich stand, da wankte er vor Benommenheit und Schwäche. Seine Lippen waren aufgeplatzt und fühlten sich an, als hätte er seit einer Woche nichts mehr getrunken, und obwohl Basons Stimme keinerlei Zweifel daran aufkommen ließ, wie ernst seine Worte gemeint waren, war Andrej einen Moment lang versucht, sich einfach wieder auf das Bett sinken zu lassen und weiterzuschlafen.

»Bist du krank?«, fragte Bason noch einmal, und jetzt im Ton ehrlicher Besorgnis.

»Nein«, antwortete Andrej. »Ich fühle mich nicht gut, aber ich glaube, ich habe einfach zu wenig geschlafen. Und vielleicht zu viel getrunken.« Er machte einen Schritt. »Bring mich zu Laurus.«

»So?« Bason riss die Augen auf. Andrej sah ihn einen Moment lang verständnislos an, dann blickte er an sich herab und stellte erst jetzt fest, dass er nackt war.

»Nun denn«, sagte er. »Warte noch einen Augenblick.« Er begann mit umständlichen, noch immer schlaftrunkenen Bewegungen, seine Kleider zusammenzusuchen, schlüpfte in Hose und Stiefel, und hob schließlich das zerfetzte und blutdurchtränkte Hemd auf. Einen Moment lang betrachtete er die zerrissenen Überreste des Kleidungsstückes stirnrunzelnd, dann ließ er es mit einem Seufzen zu Boden fallen und sagte: »Das war mein letztes Hemd.«

»Ich gebe dir eins von mir«, sagte Bason, »aber jetzt komm, bitte. Es ist wirklich wichtig.« Er ging zur Tür und trat unruhig auf der Stelle, bis Andrej sich endlich erhob und ihm folgte.

Er hob schützend die Hand vor die Augen, als er in das grelle Sonnenlicht hinaustrat. Ein vorsichtiger Blick gen Himmel sagte ihm, dass er seine erste Schätzung korrigieren musste - die Sonne war aufgegangen, aber es konnte kaum länger als eine Stunde her sein, und im Lager herrschte etwas, das Andrej nur als stille Aufregung bezeichnen konnte; er hörte weder ein lautes Wort, noch sah er eine hektische Bewegung, aber er konnte die Anspannung spüren, die von den Menschen Besitz ergriffen hatte.

»Was ist passiert?«, fragte er. Die Bewegung tat ihm gut.

Sein Kreislauf kam allmählich in Schwung, und aus der lähmenden Müdigkeit wurde Benommenheit, immer noch unangenehm, aber beherrschbar.

Bason hob hilflos die Schultern. »Ich weiß es nicht genau«, sagte er. »Zuerst dachte ich, es hätte was mit gestern Abend zu tun. Mit dem, was dein Freund und du getan habt. Aber jetzt bin ich nicht mehr sicher.«

Sie durchquerten das Lager mit schnellen Schritten. Als sie näher kamen, sah Andrej einen der beiden Bewaffneten, in deren Begleitung Schulz schon einmal hergekommen war, in eindeutig drohender Haltung vor Laurus' Wagen stehen; der andere war vermutlich mit seinem Dienstherren drinnen. Andrej wollte den Wagen unverzüglich ansteuern, aber Bason schüttelte den Kopf, deutete verstohlen auf eine Lücke zwischen zwei der großen Wohnwagen und sagte: »Warte hier. Ich bringe dir ein Hemd. Rühr dich nicht von der Stelle.«

Andrej tat, wie Bason ihn geheißen hatte, ohne den Sinn dieser Anweisung wirklich zu verstehen. Offensichtlich wollte Bason nicht, dass der fremde Krieger ihn ohne Hemd sah - als ob das irgendetwas ausmachte. Aber er wartete geduldig, bis Bason wiederkam. Er trug ein einfaches weißes Hemd und eine zusammengefaltete Weste über dem Arm. Fast unwirsch forderte er Andrej auf, beides anzuziehen und hob schließlich wenig begeistert die Schultern. »Nun ja, schließlich willst du nicht auf Brautschau gehen.«

Andrej sah an sich herab und musste gestehen, dass Bason durchaus Recht hatte. Das Hemd war ihm um etliches zu klein. Er sah einfach nur lächerlich dann aus. Und die Weste, in die er sich zusätzlich gezwängt hatte, machte es auch nicht besser. Bason gab ihm jedoch keine Gelegenheit, irgendetwas zu sagen, sondern steuerte nun mit schnellen Schritten den Wagen seines Stiefvaters an.

Der Wachtposten davor wollte ihm den Weg verwehren, aber Bason wedelte unwillig mit der linken Hand und deutete mit der anderen auf Andrej. »Das ist Andreas«, sagte er. »Dein Herr wollte ihn sprechen.«

Der Krieger trat nicht sofort zur Seite, sondern musterte Andrej mit versteinerter Miene. Schließlich deutete er ein Kopfnicken an und gab wortlos den Weg frei. Bason machte keine Anstalten, den Wagen zu betreten und sah Andrej nur auffordernd an. Nach kurzem Zögern betrat er den Wagen.

Und erlebte eine Überraschung. Er hatte gewusst, dass Laurus auf ihn wartete und ebenso Schulz, und er hatte auch geahnt, dass der zweite Krieger wieder mit verschränkten Armen vor der Tür Wache hielt. Womit er nicht gerechnet hatte, das war die vierte Person im Raum: Es war Pater Flock. Sein Anblick erschreckte Andrej. Der junge Geistliche saß zusammengesunken und mit auf der Tischplatte aufgestützten Armen zwischen Schulz und Laurus. Sein Gesicht war grau, zumindest das, was man davon erkennen konnte, denn sein Kopf, aber auch die Wangen und das Kinn, verbargen sich unter einem fest angelegten Verband. Dennoch konnte man erkennen, dass sich die hässlichen Schnittwunden darunter offensichtlich entzündet hatten. In Flocks Augen lag ein fiebriger Glanz, und die Hände, die er fest auf die Tischplatte presste, zitterten leicht.

»Pater Flock!«, entfuhr es ihm. »Was tut Ihr hier? Seid Ihr wahnsinnig geworden?«

»Schweigt!«, sagte Schulz scharf. »Was fällt Euch ein, in diesem Ton mit einem Mann der Kirche zu reden?«

Andrej wollte antworten, aber Flock hob rasch die Hand. »Ist schon gut«, sagte er. »Ich bin sicher, Andreas war nur erschrocken, mich hier zu sehen.«

Schulz funkelte erst ihn, dann Andrej an, und Laurus deutete mit einer herrischen Geste auf den einzigen noch freien Stuhl am Tisch. Andrej nahm wortlos Platz. »Wie geht es Euch?«, fragte er, in jetzt wieder beherrschtem Ton und an Flock gewand.

»Ich würde lügen, wenn ich sagte, gut«, antwortete Flock. »Aber so schlecht, wie Ihr anzunehmen scheint, nun auch wieder nicht.«

»Aber es ist verrückt, den anstrengenden Ritt hierher zu wagen«, sagte Andrej. »Wollt Ihr Euch umbringen?«

Ein dünnes, nicht besonders überzeugendes Lächeln erschien auf Flocks rissigen Lippen. »Meine Zeit ist noch nicht gekommen, Andreas«, sagte er. »Und so, wie die Dinge liegen, musste ich hierher kommen. Auch in Eurem Interesse.«

»Das ist genug«, sagte Schulz. »Ihr werdet mir ein paar Fragen beantworten, Andreas, und Ihr werdet es sofort tun und ohne Ausflüchte.«

»Wenn ich es kann«, antwortete Andrej. Er versuchte, einen Blick mit Laurus zu tauschen, aber der Sinti wich ihm aus. Er wirkte niedergeschlagen.

»Das hoffe ich für Euch«, sagte Laurus. »Es könnte sein, dass Euer Leben von diesen Antworten abhängt, Andreas. Und möglicherweise nicht nur Eures.«

»Ich nehme an, es geht um gestern Abend«, sagte Andrej.

Schulz schwieg. Sein Blick wurde lauernd.

»Ich weiß nicht, was man Euch erzählt hat, Schulz«, sagte Andrej. »Aber wenn Ihr den armen Pater Flock mitgebracht habt, um Euch davon zu überzeugen, dass es nichts mit Hexerei oder schwarzer Magie zu tun hat, dann habt Ihr ihm den anstrengenden Weg umsonst zugemutet. Ich versichere Euch, es war nur ein Taschenspielertrick.«

»Den Ihr mir zweifellos verraten werdet«, vermutete Schulz.

»Das könnt ihr nicht im Ernst erwarten«, erwiderte Andrej lächelnd. »Ihr wisst doch, dass wir Gaukler unsere Tricks niemals verraten.«

»Das einzige, was ich wirklich weiß, Andreas«, sagte Schulz leise, »ist, dass Ihr bestimmt kein Gaukler seid. So wenig wie Euer schwarzer Freund.« Seine Stimme wurde eine Spur kälter. »Ich bin nicht hierher gekommen, um meine Zeit zu vergeuden, Andreas. Und auch nicht, um mich mit Euch über Taschenspielertricks zu unterhalten.«

»Weshalb dann?«, fragte Andrej.

»Es hat einen weiteren Toten gegeben«, sagte Laurus leise.

Andrej fuhr überrascht zu dem Sinti herum. »Wann? Wo?«

»Heute Nacht«, sagte Laurus. »Und nicht einmal weit von hier.«

»Und was ... haben wir damit zu schaffen?«, fragte Andrej zögernd.

»Das frage ich Euch«, antwortete Schulz. »Vielleicht nichts. Vielleicht aber auch alles ... Bedankt Euch bei Pater Flock, dass ich Euch und Euren Freund nicht gleich in Ketten legen lasse. Er hat sich für Euch eingesetzt, auch wenn ich nicht verstehe, warum. Trotzdem muss ich darauf bestehen, dass Ihr uns in die Stadt begleitet. Und dieser Abu Dun ebenfalls.«

»Abu Dun ist -«

»- in diesem Punkt ein wenig vernünftiger als Ihr, Andreas«, fiel ihm Schulz ins Wort. »Ich habe bereits mit ihm gesprochen. Er hat nichts dagegen, uns zu begleiten und sich einer Befragung zu stellen. Solltet Ihr tatsächlich uneinsichtiger sein als ein Mann, der aus dem Land der Heiden und Wilden kommt?«

»Abu Dun?«, entfuhr es Andrej. »Er ist -?« Er brach ab und hätte sich am liebsten auf die Lippen gebissen. Abu Dun war zurückgekehrt?

»Ja?«, fragte Schulz.

»Nichts«, sagte Andrej hastig. »Ich war nur ... überrascht, weil -«

Er wurde unterbrochen, als jemand an die Tür klopfte und eintrat, ohne eine Antwort abzuwarten. Im ersten Moment erkannte er nur einen schwarzen Schatten gegen das gleißende Sonnenlicht, das hereinströmte, dann wäre er um ein Haar erneut erschrocken zusammengefahren, als er Elena identifizierte. Aus irgendeinem Grund versetzte ihn die Vorstellung, dass sie mit Schulz oder Flock reden könnte, beinahe in Panik.

Auch Laurus schien nicht besonders angetan davon zu sein, seine Frau zu erblicken. Er runzelte die Stirn und schien etwas sagen zu wollen, aber Schulz brachte ihn mit einer befehlenden Geste zum Schweigen. »Wer ist das?«, fragte er.

»Ich bin Elena«, antwortete Elena. »Laurus' Weib.«

»Was tust du hier?«, fragte Laurus kalt.

»Lasst sie«, sagte Schulz. »Ich hätte Euch ohnehin gebeten, sie zu rufen. Ich möchte mit Eurem Weib reden.«

»So wie ich mit Euch«, erwiderte Elena. Sie deutete herausfordernd auf Andrej. »Ich habe gehört, Ihr verdächtigt Andreas und seinen Freund der Hexerei? Das ist doch lächerlich.«

Zu Andrejs Überraschung schwieg Schulz sowohl zu diesen Worten, als auch zu dem herausfordernden Ton, in dem Elena sie vorgebracht hatte. Laurus schien ein bisschen blasser zu werden, als er ohnehin schon war, und den Ausdruck in Flocks Augen vermochte er gar nicht zu deuten.

»Du solltest jetzt -«, begann Laurus, wurde aber von Schulz mit einer energischen Geste unterbrochen.

»Es ist gut, Laurus. Ich wollte ohnehin mit Eurem Weib reden.«

Laurus' Gesicht verfinsterte sich ob dieser Demütigung, aber er sagte nichts mehr. Schulz fuhr fort: »Sobald wir fertig sind. Geh und warte draußen, Weib.«

Andrej war nicht überrascht über Elenas Reaktion; er wäre es eher gewesen, wäre sie anders ausgefallen. »Ich bin keine Dienstmagd«, sagte sie kühl. »Ich lasse mich nicht hinausschicken. Schon gar nicht aus meinem eigenen Heim.«

Diesmal fiel es Schulz sichtbar schwerer, die Fassung zu bewahren. Aber zu Andrejs Überraschung reagierte er nicht zornig, sondern starrte Elena nur eine Weile an, und am Ende war er es, der das Blickduell verlor und wegsah.

»Wenn es hier jemanden gibt, der den Wagen verlassen sollte«, fuhr Elena fort, »dann dieser Kirchenmann.« Die Art, in der sie das letzte Wort aussprach, ließ es zu nichts anderem als einer Obszönität werden, und Schulz sah mit einem Ruck hoch. Seine Augen wurden schmal.

»Übertreib es nicht, Weib«, sagte er.

Elena öffnete den Mund zu einer Antwort, doch in diesem Moment mischte sich Vater Flock ein. »Lasst sie, Schulz«, sagte er. »Sie hat ja Recht.«

Schulz blinzelte. »Wie?«

»Wir sind uneingeladen und gegen ihren Willen hier. Es ist ihr gutes Recht, uns die Tür zu weisen. Und ich wollte sowieso nach draußen. Ich fühle mich nicht gut. Vielleicht brauche ich ein wenig frische Luft.« Er wandte sich an Andrej. »Würde es Euch etwas ausmachen, mich nach draußen zu begleiten, Andreas?«

»Natürlich nicht«, sagte Andrej schnell. Er stand auf und ging dem Geistlichen entgegen. Pater Flock stützte sich schwer auf seinen dargebotenen Arm und brauchte sichtbar all seine Kraft, um sich in die Höhe zu stemmen. Seine Haut war heiß und fühlte sich trocken und rau an. Andrej begriff immer weniger, warum Flock die Mühe auf sich genommen hatte, in seinem Zustand den weiten Weg hier heraus zu machen.

Sie verließen den Wagen. Auf der Treppe nahm Andrej Flock kurzerhand auf die Arme, ohne auf seinen ohnehin nur symbolischen Protest zu achten, und er stellte ihn erst wieder ab, als sie den Platz vor dem Wagen überwunden und im Schatten eines der anderen Gefährte angekommen waren. Die Hitze war mörderisch, und schon bei der kleinsten Bewegung hatte Andrej das Gefühl, dass ihm am ganzen Leib der Schweiß ausbrechen musste. Wie Pater Flock auf die Idee kam, hier draußen frische Luft schnappen zu wollen, war ihm ein Rätsel. Aber er war auch ziemlich sicher, dass es ohnehin nur ein Vorwand gewesen war.

»Ich danke dir, Andreas«, sagte Flock. Er lehnte sich mit einem erschöpften Seufzer gegen das raue Holz des Wagens und schloss für einen Moment die Augen. Hier draußen im gnadenlosen Licht der Sonne, sah er noch schwächer und erbarmungswürdiger aus.

»Ihr müsst einen verdammt guten Grund haben, hierher zu kommen«, sagte Andrej ernst. »Ihr setzt Euer Leben aufs Spiel, das ist Euch doch klar, oder?«

»Es gibt Dinge, die sind wichtiger als das Leben eines unbedeutenden Mönchs«, antwortete Flock. »Zum Beispiel?«

»Vielleicht das Seelenheil vieler«, antwortete Flock. »Ihr müsst fort, Andreas. Ihr müsst ... diese Leute verlassen. Schnell. Noch heute.«

»Und Ihr riskiert Euer Leben, oder zumindest Eure Gesundheit, um mir das zu sagen?«, fragte Andrej verwirrt.

»Etwa Schlimmes wird geschehen«, fuhr Flock unbeeindruckt fort. Offensichtlich wollte er nicht auf seine Frage antworten. »Irgendetwas geht hier vor, Andreas. Der Teufel hat seine Hand nach uns ausgestreckt. Ich habe seine Helfer gesehen.«

Gegen seinen Willen sah Andrej sich rasch nach allen Seiten um, wie, um sich davon zu überzeugen, dass ihnen auch niemand zuhörte. »Ihr meint diese Kinder.«

»Das waren keine Kinder«, protestierte Flock. »Das waren seelenlose Geschöpfe. Boten der Hölle.«

»Übertreibt Ihr da nicht ein wenig?«, sagte Andrej. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Glaubt mir, es gibt eine Menge Eltern, die ihre Kinder für kleine Teufel halten. Und manche nicht einmal zu Unrecht.«

»Ihr wisst, dass es so ist«, sagte Flock ernst. »Sie sind hier. Sie haben irgendetwas mit diesen Menschen hier zu tun, und ich glaube, sich wollten Euch. Ich hatte nur das Pech, ihnen zufällig zu begegnen.«

Andrej wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er sah Flock nur an und versuchte, sich über seine eigenen Gefühle klar zu werden. Er war noch immer weit davon entfernt, einem Mann im verlogenen braunen Büßergewand so etwas wie Ehrlichkeit oder gar ein gutes Herz zuzubilligen, und dennoch war ihm klar, dass Flock die Wahrheit sagte. Vielleicht war er ja die berühmte Ausnahme von der Regel.

»Und was soll ich Eurer Meinung nach tun?«

»Flieht!«, sagte Flock. »Nehmt Euren Freund, den Heiden, und flieht. Diese Dämonen sind Euretwegen hier, das spüre ich. Wenn Ihr bleibt, dann beschwört Ihr ein großes Unglück herauf. Ein Unglück für uns alle!«

»Und wenn wir fliehen, dann wird Schulz das als Eingeständnis unserer Schuld werten«, antwortete Andrej ruhig. »Laurus und alle anderen hier müssten dafür bezahlen.«

Flock schüttelte schwach den Kopf. »Schulz ist ein vernünftiger Mann. Und er hört auf mich. Ich werde ihn davon überzeugen, dass diese Menschen hier unschuldig sind. Vielleicht wird er sie davonjagen, aber das ist auch alles.«

»Ich verstehe Euch nicht, Flock«, sagte Andrej, und das war ehrlich gemeint. »Wenn Ihr wirklich glaubt, was Ihr da sagt, wenn Ihr wirklich wisst, wer ich bin, dann müsstet Ihr mich doch hassen.«

»Aber es reicht doch, wenn Ihr Euch selbst hasst, Andreas«, antwortete Flock ruhig. Er versuchte zu lächeln, aber sein zerschnittenes Gesicht machte eine Grimasse daraus. »Ich bin nicht so uneigennützig, wie Ihr glaubt, Andreas. Vielleicht muss man eine verlorene Seele verschonen, um viele andere zu retten.«

»Ich kann das nicht«, sagte Andrej zu seiner eigenen Überraschung. Alles, was Flock gesagt hatte, klang nicht nur vernünftig, sondern deckte sich auch auf schon fast unheimliche Weise mit dem, was er selbst in den letzten Tagen gedacht hatte. Aber er begriff auch, warum es für ihm im Moment einfach nicht möglich war, von hier weg zu gehen, und sollte es tatsächlich sein Leben kosten.

Elena.

Von hier fort zu gehen, bedeutete, Elena zu verlieren, und das war etwas, was ihm im Moment schlimmer erschien als der Tod.

»Du wirst deine Freunde nicht schützen können«, sagte Flock. »Auch nicht, wenn du hier bleibst. Aber vielleicht gerade nicht, wenn du bleibst.«

»Was meint Ihr damit?« Flock zögerte. Erst nach einer geraumen Weile sagte er leise: »Es sind Soldaten auf dem Weg hierher. Und ...«

»Und?«, fragte Andrej, als Flock nicht weiter sprach.

»Einige meiner Brüder.« Er klang gequält. Plötzlich hatte er nicht mehr die Kraft, Andrejs Blick Stand zu halten. »Aber sie sind nicht... nicht wie ich.«

Andrejs Blick verdüsterte sich. »Die Inquisition.«

Flock nickte stumm.

»Wer?«, wollte Andrej wissen - als ob diese Frage noch einer Antwort bedurft hätte!

»Schulz hat versucht, es zu verhindern«, sagte Flock. »Er ist ein harter Mann, aber kein Dummkopf. Er weiß, dass die Inquisition nur Leid bringt, auch und manchmal gerade denen, die sie zu beschützen vorgibt. Aber nachdem Handmanns Mühle niedergebrannt ist -«

»Wie bitte?«, unterbrach ihn Andrej. »Die Mühle ist niedergebrannt?«

»Gestern Abend«, bestätigte Flock. »Während Ihr alle hier gefeiert habt.«

»Dann kann es keiner von uns gewesen sein«, sagte Andrej. »Wir waren alle hier.«

Flock machte ein abfälliges Geräusch. »Es sollte mich nicht wundern, wenn Handmann sie selbst angezündet hat. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Einer seiner Söhne ist losgeritten, um den zuständigen Inquisitor zu benachrichtigen, und es kann nicht mehr lange dauern, bis sie hier sind. Vielleicht heute Abend schon, spätestens aber morgen früh.« Er schnaubte. »Wenn es darum geht, den Teufel mit Feuer und Schwert auszutreiben, sind meine Brüder meist sehr schnell.«

Schon die bloße Erwähnung des Wortes Inquisition reichte aus, um in Andrej auch noch den allerletzten Rest von Sympathie auszulöschen, die er für den jungen Geistlichen empfunden haben mochte. Flock mochte ja annehmen, dass er gar nicht wusste, mit welcher Mischung von Hass und Furcht ihn die Erwähnung von Dämonen und dem Teufel erfüllten, aber das stimmte nicht. Andrej wusste sehr wohl, was in diesem Moment in dem jungen Geistlichen vorging. Nur hatte er längst aufgehört, an den Teufel zu glauben. Für ihn hatte der Teufel ein Gesicht und trug ein Gewand, und seine Schergen nannten sich nicht Dämonen oder höllische Heerscharen, sondern Inquisition. »Ist Euch klar, dass es Euren Tod bedeuten kann, wenn irgendjemand erfährt, dass Ihr uns gewarnt habt?«

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