Diesem folgten dann noch neunundachtzig weitere. Ware war völlig ernst und nüchtern der Überzeugung (bekräftigt durch höllische Versicherungen, auf die er meinte, sich verlassen zu können), daß noch kein anderer Magier vor ihm eine solche Anzahl von Geistern und Dämonen unter seinem Einfluß vereinigt hatte. Freilich würden sich nach vierzig Jahren alle Namen ändern, und Ware würde dann die Erneuerung jedes einzelnen Vertrages erzwingen müssen. Das würde sich dann auch während der weiteren fünfhundert Jahre seines Lebens, die Ware noch als ganz blutjunger Weißer Magier von HAGITH erkauft hatte, regelmäßig alle vierzig Jahre wiederholen. Dennoch konnte man getrost sagen, daß Ware im Besitze dieses Buches wenigstens potentiell der reichste Mann der ganzen Menschheitsgeschichte war. Für jeden anderen allerdings wäre das Buch wertlos — außer höchstens als Kuriosum. Ohne LUCIFUGE ROFOCALE selbst zu zählen, bestanden diese Geister und Dämonen aus den siebzehn höllischen Erzengeln des Großen Grimoriums und aus den zweiundsiebzig Dämonen der Absteigenden Hierarchie, die einst in König Salomons erzenem Gefäß eingeschlossen gewesen waren. Es war ein wirklich fabelhafter Fang, denn jeder einzelne von ihnen war ja seinerseits wieder Herr über ganze Armeen und Heere von niedrigeren Geistern und über Tausende Millionen verdammter Seelen, deren es von Minute zu Minute mehr wurden. (Dieser Tage nämlich war so gut wie jeder verdammt. Es war die Entdeckung dieser Tatsache, die Ware zuerst davon überzeugt hatte, daß der Rebellion der Unterwelt tatsächlich Erfolg beschieden sein werde, und zwar nach seinen Schätzungen wahrscheinlich so um das Jahr 2000. Die zahlreichen offenkundigen Symptome chiliastischer Panik, die nun schon in der Laienwelt zu erkennen waren, würden zweifellos ihre Rechtfertigung finden, denn heute stürzte schon alles mit geradezu unmäßiger Hast in den Höllenrachen, ohne daß sie auch nur der Entschuldigung eines Antichrist bedurften, den sie hätten als ihren Verführer bezeichnen können. Wie die Dinge nun standen, müßte Jesus Christus selbst verstohlen und in der Hoffnung, unbeachtet zu bleiben, in eine Kathedrale kriechen, um dort eine Messe zu lesen, wie man es auf jenem berühmten Paneel von Hieronymus Bosch sieht. Die Zahl der Menschen, die den Namen Gottes nicht ohne verräterisches Stammeln aussprechen konnten — was ihnen übrigens bei ihren eigenen Namen auch geschah —, war inzwischen vom reißenden Strom zur Sintflut angewachsen. Es war bei all dem nur lächerlich, daß unter diesen Umständen kaum jemand wenigstens den möglichen Profit und Genuß in der diesseitigen, höllenhörigen Welt für sich in Anspruch nahm. Sie wußten nicht einmal, daß sie bereits auf der siegreichen Seite standen, oder auch nur, daß es überhaupt mehr als nur eine Seite gab. Kein Wunder also, daß Ware so relativ leicht so reiche Beute machen konnte.)
Wie aber Ware Baines bereits erklärt hatte, waren durchaus nicht alle Geister, deren Zeichen er im ›Buch der Bündnisse‹ hatte, für das geplante Experiment geeignet. Unter ihnen gab es zum Beispiel einige, die, wie etwa MARCHOSIAS, gehofft hatten, nach einer gewissen Zeitspanne wieder in die himmlischen Chöre der Engel zurückkehren zu können.
Ware besaß die grimmige Gewißheit, daß sie letztlich in dieser Hoffnung betrogen und ihren einzigen Lohn vom Kaiser des Abgrundes erhalten würden — eben jenen Lohn, der traditionsgemäß Opportunisten und egoistischen Karrieremachern zukommt. Einstweilen aber waren die Missetaten, zu denen man sie überreden oder zwingen konnte, nur von geringem Wert. Es lohnte kaum der Mühe, sie zu beschwören. Von einem, den Ware bereits Baines gegenüber erwähnt hatte, VASSAGO nämlich, hieß es im Kleineren Schlüssel und anderen okkulten Werken, er sei ›von Natur aus gut‹ — eine Eigenschaft, die ihm wahrhaftig nicht zur Empfehlung diente — und werde manchmal sogar von weißen Magiern beschworen. Wieder andere in der Hierarchie, wie zum Beispiel PHOENIX, beherrschten Aspekte der Wirklichkeit, die für Baines’ Auftrag wenig Bedeutung hatten.
Ware nahm also die ›Feder der Kunst‹ zur Hand und fertigte eine Liste an. Als sie vollständig war, fanden sich auf ihr achtundvierzig Namen. Gemessen an der Gesamtzahl der Gefallenen war dies wahrlich nicht viel, aber Ware meinte, diese Anzahl würde den Zweck leicht erfüllen. Er verschloß das Buch. Dann hielt er sich noch kurz beim Tor auf, um dessen Hüter mit Vorwürfen zu überhäufen und ein wenig zu quälen. Schließlich schritt er dann in den Ostermorgen hinaus, um mit seinen Tanisten zu proben.
Es schien Baines, als sei noch nie ein Tag für ihn so langsam vergangen wie dieses Osterfest. Nicht einmal die ›Generalprobe‹ konnte ihn ablenken oder ihm die Zeit verkürzen. Aber schließlich war auch dieser Tag vorbei, und es ward Nacht. Ware verkündete, er sei nun bereit.
Der Große Kreis, der sich nun auf dem Parkettboden des Refektoriums befand, ähnelte dem Kreis, den Ware zu Weihnachten aufgezeichnet hatte. Er war aber wesentlich größer, und auch viele Einzelheiten waren diesmal anders. Der Kreis selbst war aus Streifen gebildet, die Ware aus dem Fell des Opferlammes geschnitten hatte. Das Vlies war noch an der Haut, und die Streifen waren an den vier Hauptpunkten der Windrose an den Boden geheftet, und zwar, wie Ware erklärte, mit Nägeln aus einem Kindersarg. Im nordöstlichen Viertelkreis ruhte unter dem Wort BERKAIAL das Körperchen einer männlichen Fledermaus auf dem Streifen, die man in Blut getränkt hatte. Im Nordwesten lag, unter dem Wort AMASARAC, der Schädel eines Vatermörders; im Südwesten, unter dem Wort ASARADEL, das Gehörn einer Ziege, und im Südosten saß unter dem Wort ARIBECL Wares Kater. Ware hatte alle übrigens auch bei dieser Gelegenheit in das Geheimnis von Akhtois ›Diät‹ eingeweiht. (Wie dem überhaupt bei dieser ›Generalprobe‹ nichts sehr Wichtiges gelehrt wurde. Baines hatte dabei den Eindruck, der Hauptzweck, den Ware mit dieser Einführung verfolgte, sei, ihnen allen derartige Einzelheiten unerfreulichen Wissens zu eröffnen.)
Das Dreieck innerhalb des Kreises war mit einem Stück Magneteisenstein oder Hämatit gezogen. Unter seiner Basis befand sich eine Figur, die aus einem griechischen Chi und Rho bestand, die übereinander geschrieben waren. Diese Figur stand auf der Linie und zwar rechts und links von je einem Kreuz flankiert. Die anderen beiden Seiten des Dreiecks begrenzten die großen Kerzen aus jungfräulichem Wachs. Jeder der beiden Bodenleuchter stand in einem Kränzchen oder Krönlein aus Verbenen. Für die Operatoren — Ware, Baines und Hess (Jack Ginsberg und Pater Domenico würden außerhalb in eigenen Pentagrammen stehen) — waren innerhalb des Dreiecks drei Kreise gezeichnet, die miteinander durch ein Kreuz verbunden waren. Der nördliche dieser drei Kreise war mit auf den Boden gezeichneten Hörnern geschmückt. Am Scheitelpunkt des Dreiecks stand ein nagelneues Räuchergefäß, das mit frisch geweihter Holzkohle gefüllt war. Links des gehörnten Kreises, der natürlich für Ware bestimmt war, stand in bequemer Reichweite das Lesepult, auf dem das ›Buch der Bündnisse‹ lag.
Hinten im Raum, vor der verhangenen Tür, die zur Küche führte, befand sich ein zweiter Kreis, beinahe so groß, wie der erste, in dessen Mitte ein verhüllter Altar stand. Am Nachmittag noch war dieser Altar leer gewesen. Jetzt aber lag auf ihm der nackte Leib des Mädchens, das Ware ›Gretchen‹ zu nennen pflegte. Bis auf die Zeichnung war ihre Haut papierweiß. Baines schien alles darauf hinzudeuten, daß sie tot sei. Ein kleines Schleierchen aus violetter Seide — beinahe durchsichtig und um etwas geschlungen, das wie etwas zusammengeballtes Gewebe aussah — lag auf ihrem Nabel. Man schien auf ihrem Körper vieles mit roter und gelber Schminkfarbe geschrieben zu haben. Einige der Zeichen waren wohl astrologisch, andere sahen eher wie Ideogramme oder Kartuschen aus. Da Baines weder die Bedeutung noch auch nur die Herkunft dieser Zeichen kannte, erhöhten sie für ihn nur den Eindruck der Nacktheit des Mädchenleibes.
Die Eingangstür schloß sich nun. Alle hatten ihre Plätze eingenommen.
Ware entzündete die Kerzen und die Holzkohlen der Räucherpfanne. Baines und Hess’ Aufgabe war es, das Feuer in der Pfanne im Verlaufe der Zeremonie periodisch mit Kognak zu begießen beziehungsweise mit Kampfer zu bestreuen. Dabei mußten sie darauf achten, weder über ihre Schwerter zu stolpern noch auch dabei aus ihren Kreisen herauszutreten. Wie schon beim letztenmal hatte ihnen Ware auch diesmal striktes Redeverbot erteilt. Sie mußten unbedingt schweigen, vor allem im Falle, daß sie irgendein Dämon oder Geist ansprach oder bedrohte.
Ware langte nun zum Lesepult und öffnete sein Buch. Diesmal gab es keine einleitenden Gesten und keine Vorzeichen. Er begann einfach mit gewichtiger Stimme zu rezitieren:
»Ich beschwöre dich und befehle dir, LUCIFUGE ROFOCALE, unter all den Namen, die dich binden, SATAN, RANTAN, PALLANTRE, LUTIAS, CORICACOEM, SCIRCIGREUR, per sedem Balderey et per gratiam et diligentiam tuam habuisti ab eo hanc nalatimanamilam, wie ich dir befehle, usor, dilapidatore, tenatore, seminatore, soignatore, devoratore, concitore, et seductore, wo bist du? Du, der du den Haß säst und die Feindschaft vermehrst, ich beschwöre dich bei Ihm, der dich für seine Dienste geschaffen hat, mein Werk zu vollenden! Ich rufe dich, COLRIZIANA, OFFINA, ALTA, NESTERA, FUARD, MENUET, LUCIFUGE ROFOCALE, steig empor, steig empor, steig empor!«
Kein Geräusch war zu hören, und doch stand plötzlich in dem für die Erscheinung bestimmten Kreise eine matt leuchtende, dampfende Gestalt, etwa zweieinhalb bis drei Meter groß. Es war schwer, sie deutlich auszumachen, wohl zum Teil auch, weil man durch sie hindurch immer noch einen Teil des Altares sehen konnte. Baines erschien sie wie ein Mann mit kahlgeschorenem Haupt, das drei lange, gewundene Hörner trug. Die Augen waren wie die eines Lemurenaffen, der Rachen war geöffnet, das Kinn lief spitz zu. Die Gestalt war in eine kupferfarbene, eng anliegende, ärmellose Jacke mit schleissiger Halskrause gekleidet, zu der sie einen Fransenrock trug. Zwei krumme, behufte Beine und ein fetter, haariger Schwanz sahen unter dem Rock hervor. Der Schwanz war in rastloser Bewegung.
»Was nun?« sagte das Geschöpf mit erstaunlich angenehmer Stimme. Die einzelnen Worte allerdings waren undeutlich. »Seit vielen Monden schon habe ich meinen Sohn nicht mehr gesehen.« Das Wesen kicherte unerwartet auf.
»Ich beschwöre dich: sprich deutlicher«, sagte Ware, »und was ich will, das weißt du selbst nur zu gut.«
»Nichts ist bekannt, ehe es nicht ausgesprochen ist.« Baines schien die Stimme immer noch sehr undeutlich, aber Ware nickte.
»Ich wünsche also — wie es der Babylonier tat, als er das Siegel des Königs von Israel löste, er sei gesegnet — alle jene Dämonen der Falschen Monarchie, deren Namen ich im folgenden nennen werde, und deren Zeichen und Siegel ich in meinem Buch zeigen werde, aus dem Schlund der Hölle in die Welt der Sterblichen auszusenden, vorausgesetzt, daß sie mich und die Meinen schonen, und daß sie, wie es geboten ist, bei Morgengrauen dorthin zurückkehren, woher sie kamen.«
»Ist das dein ganzer Wunsch?« fragte die Erscheinung. »Hast du für sie keine Anweisungen? Keine Aufträge? Keine besonderen Wünsche? Nicht immer warst du so leicht zufriedenzustellen.«
»Keine«, sagte Ware fest. »Für die Zeit ihrer Freiheit sollen sie ganz nach eigenem Willen verfahren, außer daß sie niemand hier in meinen Kreisen verletzen dürfen, und daß sie mir gehorchen, wenn ich sie mit Stab und Pakt zurückrufe.«
Der Dämon blickte über seine durchsichtige Schulter. »Ich sehe, du hast das rechte Räucherwerk bereit, um so viele große Herren würdig zu empfangen; und meine Diener und Satrapen werden in ihren eigenen Taten reichen Lohn empfangen. Ein so lohnender Auftrag ist mir völlig neu. Gut. Was gibst du mir zum Unterpfand, um der Form Genüge zu leisten?«
Ware griff in seine Roben. Baines glaubte schon, er würde wieder ein Tränenfläschchen hervorziehen, doch diesmal hob Ware statt dessen am Schwanz eine lebende Maus hervor, die er — so wie damals das Krüglein — über die Räucherpfanne warf, nur nicht so weit. Die Maus lief schnurstracks auf den Dämon zu, umkreiste ihn hurtig dreimal außerhalb des gezeichneten Kreises und verschwand dann in Richtung auf die hintere Tür. Dabei pfiff und tschilpte sie wie ein Sperling. Baines sah auf Akhtoi, aber der Kater leckte sich nicht einmal das Maul.
»Du bist geschickt und spitzfindig, mein Sohn. Rufe sie also, wenn ich gegangen bin, und ich werde dir meine Beauftragten senden. Laß nichts ungetan — und viel wird getan werden, ehe der schwarze Hahn kräht.«
»Es ist gut. Durch und gemäß diesem Versprechen entlasse ich dich. OMGROMA, EPYN, SEYOK, SATANY, DEGONY, EPARYGON, GALLIGANON, ZOGOGEN, FERSTIGON, LUCIFUGE ROFOCALE, verschwinde, verschwinde, verschwinde!«
»Beim Morgengrauen sehen wir einander wieder.« LUCIFERs Ministerpräsident schwankte wie eine Flamme, und — gleichfalls wie eine Flamme — ging er aus.
Hess warf eilig Kampfer in das Räucherbecken. Nachdem sich Baines aus faszinierter Starre gelöst hatte, schüttete er rasch etwas Branntwein nach. Das Feuer rauchte und loderte auf. Ohne sich umzuwenden, holte Ware seinen Magneteisenstein hervor, den er in der Linken hielt. Mit der Rechten stieß er die mit Eisen beschlagene Spitze seines Stabes in die Glut. Kleine, leckende Pünktchen blauen Lichtes liefen den Stab hinan fast bis zu Wares Hand, als hätte man auch den Stab in Alkohol getaucht.
Ware hielt den flammenden Stab vor sich wie eine Wünschelrute und schritt würdevoll aus dem großen Kreis auf den Altar zu. Wie er so hinschritt, begann die Luft um ihn her zu murren, als sammle sich um sein rasiertes Haupt ein Donner-Wetter. Er aber schenkte dem Lärm keine Beachtung. Er schritt weiter auf den Locus Spiritus zu und in diesen hinein.
Sofort trat Stille ein. Ware sagte mit deutlicher Stimme:
»Ich, Theron Ware, Meister der Meister, Karcist der Karcisten, unternehme es nun, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen, die zu brechen verboten war, bis nicht die Sieben Siegel vor dem Siebenten Throne gebrochen würden. Ich habe SATAN geschaut, der wie ein Blitz vom Himmel fiel. Ich habe die Drachen des Abgrundes unter meiner Ferse zermalmt. Ich habe Engeln und Teufeln geboten. Ich unternehme und befehle, daß alles so geschehen soll, wie ich es anordne, und das von Anfang bis zum Ende, von Alpha bis Omega, Welt ohne Ende, keiner uns kränken oder verletzen soll, die wir hier in diesem Tempel der Kunst der Künste versammelt sind. Aglan, TETRAGRAM, vaycheon stimulamaton ezphares retra-grammaton olyaram irion esytion existion eryona onera orasym mozm messias soter EMANUEL SABAOTH ADONAY, te adoro, et te invoco. Amen.«
Er ging noch einen Schritt nach vorn und berührte mit der flammenden Spitze des Stabes den seidenen Schleier auf dem Bauch des ruhig daliegenden Mädchens. Ein kleines Wölkchen blaugrauen Rauches begann davon aufzusteigen, als habe man Räucherwerk entzündet.
Ware zog sich nun wieder rückwärts schreitend zum Großen Kreis zurück. Während er dies tat, erstarb das Feuer an seinem Stab. In der Totenstille des Raumes aber begann man jetzt ein leises Zischen zu hören, so als habe man einen Knallfrosch entzündet. Und tatsächlich sollte nun ein Feuerwerk beginnen. Während Baines noch gierig und wie hypnotisiert auf den Altar starrte, erhob es sich wie ein kleiner Springbrunnen aus vielfarbigen Funken aus dem zunderartigen Gewebe des Bauches des auf dem Altar liegenden Leibes. Mehr Rauch quoll hervor. Die Luft wurde trüb wie leichter Nebel.
Nun schien der Leib selbst zu brennen, wobei sich die Haut abblätterte und zurückrollte wie die Schale einer Orange. Hinter sich hörte Baines, wie Jack Ginsberg ein ekelerregendes, würgendes Geräusch von sich gab, so, als wolle er sich im nächsten Augenblick erbrechen. Baines konnte den Grund von Jacks Übelkeit nicht erkennen. Der Körper — was immer er einst auch gewesen sein mochte — war nun nur noch wie eine aus Mark oder Papiermache gefertigte Nachbildung eines Mädchenleibes, die mit irgend etwas wie griechischem Feuer gefüllt war. Und man konnte tatsächlich bereits einen starken Geruch nach Schießpulver erkennen, der nun den früher vorherrschenden Duft von Kopal und Kampfer zu überlagern begann. Baines war das ganz recht. Nicht etwa, daß ihm der Geruch von Schwarzpulver vertraut gewesen wäre, denn man hatte es schon seit Jahrhunderten in seiner Branche nicht mehr verwendet, aber der süßliche Duft der anderen Beschwörungsingredienzien war ihm schon etwas auf die Geruchsnerven gefallen.
Allmählich begann sich alles im Rauch und Dunst aufzulösen und zu verschmelzen, bis auf einen Hintergrund architektonischer Umrisse, gegen die man einige Statuen erkennen konnte, die durch die beiden feurigen Lichtquellen seitlich angestrahlt wurden und sich also im Relief darboten. Hess hustete kurz. Sonst blieb, bis auf das Zischen des brennenden Mädchenkörpers, alles still. Immer noch flogen dort Funken auf und schienen manchmal für einen Augenblick Schriftzeichen, unverständliche Worte, feurig vor dem Hintergrund der Wand erstehen zu lassen.
Wares Stimme klang nun fern, als käme sie aus einer der Statuen:
»BAAL, großer König und Befehlshaber des Ostens, du vom Orden der Fliege, gehorche mir!«
Etwas begann in der Entfernung Gestalt anzunehmen. Baines hatte ganz deutlich den Eindruck, es sei hinter dem Altar, hinter der verhangenen Tür, ja, überhaupt außerhalb des Palazzos, aber dennoch konnte er es sehen. Es kam herbei, wuchs, und schließlich konnte er sehen, daß es Menschengestalt hatte und mit einem Mantel aus schneeweißem Linnen bekleidet war. Es hatte aber zwei überzählige Köpfe, einen linken wie den einer Kröte und einen rechten wie den einer Katze. Geräuschlos schwoll das Wesen an, bis es schließlich unbestreitbar im Refektorium anwesend war. Und dann wuchs es, immer noch in völliger Stille, an ihnen vorbei und war verschwunden.
»AGARES, Herzog des Ostens, vom Orden der Tugenden, gehorche mir!«
Und wieder eine ferne Durchsichtigkeit und Stille. Es kam sehr langsam heran und manifestierte sich als gut aussehender alter Mann, dem ein Hühnerhabicht auf dem Handgelenk saß. Seine Langsamkeit hatte ihren guten Grund: Er ritt nämlich auf einem kriechenden Krokodil. Seine Augen waren geschlossen und seine Lippen bewegten sich unentwegt. Langsam schwoll auch es an den Beschwörern vorbei.
»GAMYGYN, Marquis und Präsident in Cartagra, gehorche mir!«
Dieses Wesen wuchs sich zu etwas wie einem kleinen Pferd oder einem Esel aus. Es war bescheiden und anspruchslos. Hinter sich schleppte es zehn nackte Männer in Ketten her.
»VALEFOR, mächtiger Herzog, gehorche mir!«
Ein schwarzmähniger Löwe mit drei Köpfen erschien. Die beiden seitlichen Häupter waren menschlich. Eines trug die Mütze eines Jägers, das andere das wachsame Lächeln eines Diebes. Er eilte vorbei, ohne daß ein Lufthauch sein Verschwinden begleitet hätte.
»BARBATOS, großer Graf und Minister des SATANACHIA, gehorche mir!«
Dies aber war nicht eine Gestalt, sondern deren vier — wie vier gekrönte Könige. Um sie her liefen drei Kompanien Soldaten, die Häupter gebeugt und mit verschlossenem Gesichtsausdruck unter ihren Stahlhelmen. Als alle seine Truppen verschwunden waren, konnte man unmöglich sagen, wer von ihnen allen der Dämon gewesen war oder ob er überhaupt selbst erschienen war.
»PAIMON, großer König, aus dem Orden der Besitzungen, gehorche mir!«
Plötzlich, nach all der zischenden Stille, gab es nun gewaltigen Lärm, und der Raum war erfüllt von springenden und kapriolenden Wesen, die verdrehte und verschnörkelte Röhren und Blasen trugen, die wohl als Musikinstrumente gedacht waren. Der Klang aber, der aus ihnen drang, erinnerte am ehesten an eine Schweineherde, die man durch den engen Gang ins Schlachthaus treibt. Unter all den heulenden und quiekenden Tänzern ritt ein gekrönter Mann auf einem Dromedar und brüllte mit heiserer Stimme laut und ohne Worte. Das Tier, auf dem er ritt, kaute grimmig irgendein bitteres Kraut und hatte seine Augen wie aus Schmerz zugekniffen.
»SYTRY!« rief Ware. Augenblicklich herrschte Dunkelheit und Stille — bis auf das Zischen, in das sich nun ein wenig der Klang von Kinderstimmen mischte. »Jussus secreta libenter detegit feminarum, eas ridens ludificansque ut se luxorise nudent, großer Prinz, gehorche mir!«
Dieses süße und gelenkige Geschöpf war nicht minder monströs wie all die anderen. Es hatte einen leuchtenden Menschenleib, war aber geflügelt und hatte den lächerlich kleinen, grinsenden Kopf eines Leoparden. Gleichzeitig aber war das Wesen in einer Art schön, die Baines gleichzeitig krank und begierig machte. Während es vorbeischritt, schien Ware einen Ring gegen seine Lippen zu drücken.
»LERAJIE, mächtiger Marquis, ELIGOR, ZEPAR, große Herzöge, gehorcht mir!«
Zusammen, so wie er sie gerufen hatte, erschienen diese drei nun: der erste ein Bogenschütze mit Köcher und gekerbtem Bogen, von dessen Pfeil Gift troff; der zweite ein Ritter mit Szepter und bewimpelter Lanze; der dritte ein bewaffneter Soldat, ganz in Rot gekleidet. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger war an ihnen nichts Monströses, noch konnte man aus ihrer Erscheinung irgendwelche Schlüsse auf ihr Amt oder ihre Einflußsphäre ziehen. Baines fand sie dennoch sehr beunruhigend.
»AYPOROS, mächtiger Graf und Fürst, gehorche mir!«
Baines fühlte, wie ihm übel wurde, ehe diese Kreatur noch erschien. Wie aus den Lauten um ihn zu schließen war, erging es den anderen — selbst Ware — nicht besser. An sich war dann an der Erscheinung nichts, um dies zu rechtfertigen, denn sie war so grotesk, daß sie unter anderen Voraussetzungen höchstens komisch gewirkt hätte: Sie hatte den Leib eines Engels, drauf saß ein Löwenkopf, die Füße hatten Schwimmhäute wie die einer Gans, und hinten sah der Stutzschwanz eines Hirsches hervor. »Verwandle dich, verwandle dich!« rief Ware und stieß seinen Stab in die Glut des Räucherbeckens. Der Besucher nahm prompt die vollständige Gestalt eines Engels an, aber alle hatten immer noch das Gefühl, etwas unendlich Schmutzigem gegenüberzustehen.
»HABORYM, starker Herzog, gehorche mir!« Auch dies war wieder ein menschenähnliches Geschöpf mit drei Köpfen — obwohl die ›Verwandtschaft‹, wie Baines rasch klar wurde, eine rein zufällige sein mußte — wobei der Menschenkopf zwei Sterne auf der Stirn trug. Die beiden anderen waren der Kopf einer Schlange und der einer Katze. In der rechten Hand trug das Wesen einen lodernden Feuerbrand. Während er vorbeiging, schüttelte er diesen bedrohlich in Richtung auf die Beschwörer.
»NABERIUS, kühner Marquis, gehorche mir!« Erst schien es Baines, als habe auf diese Anrufung niemand geantwortet. Dann aber nahm er in Bodennähe eine Bewegung war. Ein schwarzer Hahn mit blutenden, leeren Augenhöhlen flatterte außerhalb des Großen Kreises herum. Ware bedrohte die Erscheinung mit seinem Stab. Der Hahn krähte heiser und war verschwunden.
»GLASYALABOLAS, mächtiger Präsident, gehorche mir!« Dies schien einfach ein geflügelter Mann zu sein, bis er lächelte. Da sah man dann das Gebiß eines Hundes. Schaumflocken hingen an seinen Mundwinkeln. Er verschwand geräuschlos.
In der Stille konnte Baines hören, wie Ware im ›Buch der Bündnisse‹ eine neue Seite aufschlug. Eben noch rechtzeitig erinnerte er sich daran, mehr Branntwein in die Räucherpfanne zu gießen. Der Mädchenleib auf dem Altar war offenbar schon längst vom Feuer verzehrt worden. Baines konnte sich nicht in Erinnerung rufen, wie lange es nun schon her war, seit er die letzten der wortebildenden Funken hatte aufsteigen sehen. Der dichte graue Dunst oder Nebel aber hielt an. »BUNE, du starker Herzog, gehorche mir!« Diese Erscheinung war die bisher wunderbarste, denn sie kam auf sie zu, getragen von einer Galleone, die in dem Maße, in dem sie sich näherte, im Boden versank, bis die Beschwörer schließlich durch den Boden hindurch ihr Deck erblicken konnten. Auf diesem lag ein Drache aufgerollt, der mit den nun schon gewohnten drei Köpfen ausgestattet war: dem Kopf eines Hundes, eines Greifen und eines Mannes.
Schattenhafte Gestalten, vage menschenähnlich, mühten sich rings um den Drachen auf Deck ab. Das Schiff sank weiter, bis es hinter ihnen lag, und wohl auch dann noch . ..
Bei seinem Verschwinden kam es Baines zu Bewußtsein, daß er zitterte — nicht gerade aus Furcht, denn über dieses Stadium war er offenbar schon hinaus, sondern von der Nerven- und Gefühlsanstrengung, und vielleicht auch von der Ermüdung, die es verursachte, so lange regungslos auf einem Fleck zu stehen. Unwillkürlich seufzte er.
»Ruhe«, sagte Ware leise, »und möge keiner an diesem Punkt schwach werden. Wir sind mit unserer Anrufung erst halb fertig — von denen, die wir jetzt noch beschwören müssen, sind viele weit mächtiger als alle jene, die wir bisher gesehen haben. Ich habe Ihnen vorher schon warnend gesagt, die›Kunst‹ bedürfe außer Mut auch noch großer Körperkraft.«
Er schlug eine neue Seite auf. »ASTAROTH, großer Schatzmeister, großer und mächtiger Herzog, gehorche mir!«
Sogar Baines hatte schon von diesem Dämon gehört, obwohl ihm jetzt nicht einfallen wollte wo. Er beobachtete seine Materialisation mit einer gewissen Neugierde. Und doch war die Erscheinung, verglichen mit dem, was er bereits gesehen hatte, durchaus nichts Außergewöhnliches: eine Engelsgestalt, wunderschön und lasterhaft zugleich, die auf einem Drachen ritt. In der rechten Hand hielt sie eine Viper. Verspätet fiel Baines ein, daß diese Geister, die ja ursprünglich nie Materie gewesen waren noch irdische Gestalt gehabt hatten, sich einen Körper leihen mußten, um wie hier in Erscheinung zu treten. Sie würden also nicht notwendigerweise jedes Mal die gleiche Verkörperung wählen. Die frühere Beschreibung von ASTAROTH zum Beispiel, die er einmal gelesen hatte, schilderte den Dämon, wie er sich jetzt wieder erinnerte, als eine scheckige Negerin, die auf einem Esel ritt. Während die Erscheinung vorbeizog, lächelte sie ihm ins Gesicht, und der Gestank ihres Atems raubte ihm schier die Besinnung.
»ASMODE, starker und mächtiger König, Gebieter der Macht von Amaymon, Engel des Zufalls, gehorche mir!« Noch während er dies rief, nahm Ware mit der Linken seinen Hut ab, gab aber dabei, wie Baines bemerkt, acht darauf, seinen Magneteisenstein nicht fallen zu lassen.
Dieser König ritt einen Drachen und hatte auch drei Köpfe — Stier, Mensch und Widder. Alle drei Köpfe schnaubten Feuer. Hände und Füße der Wesenheit hatten Schwimmhäute. Sie hatte einen Schlangenschwanz und trug eine wimpelgeschmückte Lanze.
Nun, das war sicher schrecklich genug; dennoch begann Baines eine gewisse Phantasielosigkeit und Beschränktheit hinsichtlich der Wahl der Verkörperungen bei diesen höllischen Kunsthandwerkern wahrzunehmen. Glücklicherweise fiel ihm auch ein, darüber nachzudenken, ob der Art, in der sie sich wiederholten, nicht die Absicht zugrunde läge, ihn bis zur Unaufmerksamkeit zu ermüden oder ihn zu verächtlicher Sorglosigkeit zu verführen. Diese Sache hier kann mich umbringen, wenn ich auch nur kurz die Augen schließe, ermahnte er sich.
»FURFUR, großer Graf, gehorche mir!«
Dieser Engel erschien als Hirsch und war mit einem einzigen Satz an ihnen vorbei. Hinter ihm strömte ein feuriger Kometenschweif einher.
»HALPAS, großer Graf, gehorche mir!«
Auch diese Erscheinung war nicht außergewöhnlich: eine Hohltaube, die gleichfalls rasch verschwand. Ware rief die Namen nun, so rasch er die Seiten seines Buches wenden konnte; wahrscheinlich wegen der wachsenden Ermüdung seiner Tanisten, vielleicht sogar wegen seiner eigenen. Die Dämonen sausten in einer Parade wie aus einem Alptraum vorbei: RAYM, Graf des Ordens der Throne, ein Mann mit dem Kopf einer Krähe; SEPAR, eine Meerjungfrau mit Herzogskrone; SABURAC, ein löwenköpfiger Soldat auf bleichem Roß; BIFRONS, ein Großgraf in Gestalt eines riesenhaften Flohs; ZAG AN, ein greifenflügeliger Stier; ANDRAS, ein rabenköpfiger Engel mit blankem Schwert, der auf einem Wolf ritt; ANDREALPHUS, ein Pfau, der inmitten des Geschreis vieler unsichtbarer Vögel erschien; AMDUSCIAS, ein von Musikern umgebenes Einhorn; DANTALIAN, ein mächtiger Herzog in Menschengestalt, dessen Gesicht aber ständig wechselte — Männer, Frauen, alt und jung huschten über seine unglaublich plastischen Züge —, und in seiner Rechten trug er ein Buch. Und schließlich kam dann noch zu guter Letzt jener mächtige König, der gleich nach LUCIFER geschaffen wurde und der in der Schlacht vor MICHAEL als erster fiel, BELIAL selbst - der früher dem Orden der Tugenden angehört hatte. Wunderschön und zugleich tödlich kam er in einem feurigen Streitwagen einher, so wie man ihn in Babylon angebetet hatte.
»Nun, o große Geister«, sagte Ware, »weil ihr mir diensteifrig geantwortet und euch meinen Wünschen willig gezeigt habt, erlaube ich euch nun, ohne jemand der hier Versammelten zu verletzen, euren Abschied zu nehmen. Geht, sage ich, aber seid bereit, zur vorbestimmten Stunde wieder zu kommen. Ich werde euch dann nach euren Riten und Siegeln beschwören und reinigen. Bis dahin aber seid ihr frei. Amen.«
Ware löschte das Feuer in der Räucherpfanne mit einem dichtschließenden Deckel, in den das Dritte oder Geheime Siegel Salomons geschnitten war. Der düstere Nebel im Refektorium begann sich zu heben.
»Gut«, sagte Ware mit Alltagsstimme. Seltsamerweise erschien er diesmal viel weniger erschöpft als nach der Beschwörung von MARCHOSIAS. »Es ist vorbei — oder, besser gesagt, es hat eben erst begonnen. Mr. Ginsberg, Sie können ihren Kreis jetzt gefahrlos verlassen und das Licht andrehen.«
Als Ginsberg dies getan hatte, löschte Ware auch die Kerzen. Im Lichte der indirekten Beleuchtung schien der Saal in einer Art trostlosen Dämmerung dazuliegen, obwohl es wohl erst kurz nach Mitternacht war. Auf dem Altar befand sich nun nichts mehr als ein Häufchen feiner grauer Asche.
»Müssen wir die Sache wirklich hier abwarten?« sagte Baines, den nun die Müdigkeit überkam. »Ich sollte meinen, wir könnten es uns in Ihrem Büro viel bequemer machen — und dort auch leichter verfolgen können, was geschieht.«
»Wir müssen hier bleiben«, sagte Ware streng. »Deshalb habe ich Sie ja, Mr. Baines, gebeten, ihr Transistorradio hierher mitzubringen — damit wir uns sowohl über die Ereignisse in der Welt als auch über die Zeit informieren können. Für die nächsten acht Stunden wird der von diesen vier Wänden unmittelbar umschlossene Raum der einzig sichere Ort auf Erden sein.«
16
Mit all seinen magischen Attributen, den Überresten der Beschwörung und so weiter erinnerte das Refektorium Baines nun seltsamerweise an jenen Raum in seiner Studentenverbindung, in dem die Neulinge den Einführungsritus über sich ergehen lassen müssen. Hess lag lang hingestreckt auf dem langen Tisch, auf dem sich früher Wares Instrumente befunden hatten, und schlief. Jack Ginsberg lag in der Nähe der Eingangstür auf dem Boden und schlief einen unruhigen Schlaf, der von Murmeln und Stöhnen unterbrochen war. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Theron Ware hatte zuerst alle davor gewarnt, irgend etwas zu berühren, hatte den Altar abgestaubt und sich dann, immer noch in seinen magischen Roben und Gewändern, darauf zum Schlaf niedergelegt. Offenbar schlief er dort recht gut.
Nur Baines und Pater Domenico blieben wach. Der Mönch war erst der Wand entlang um den ganzen Saal herumgeschlichen und hatte dabei unerwartet hinter den Vorhängen ein niedriges Fenster gefunden. Nun stand er dort, drehte ihnen allen den Rücken, hinter dem er seine Arme verschränkt hatte, und blickte hinaus in die schwarze Welt.
Baines saß am Boden. Den Rücken hatte er gegen die Wand gelehnt. Er saß in der Nähe der elektrischen Esse und hatte den Transistorempfänger ans Ohr gepreßt. Es war eine höllisch unbequeme Lage, aber er hatte durch Experimentieren festgestellt, daß im ganzen Saale hier die beste Empfangslage war — zumindest, ohne selber in einen der Kreise zu treten.
Aber selbst hier war der Empfang nicht besonders gut. Auch starke Sender wie Radio Luxemburg zeigten starkes Fading, und immer wieder hörte man das Krachen atmosphärischer Störungen. Auf diesen Lärm folgte dann gewöhnlich in einem Abstand von wenigen Sekunden bis zu ein oder zwei Minuten lauter Donnerschlag oder dumpfes Donnergrollen im Himmel draußen. Oft gab es auch in den kurzen Intervallen ungestörten Rundfunkempfanges, wie das so üblich ist, nichts als Musik und Werbung.
Die wenigen Nachrichten, die er bisher hatte empfangen können, waren enttäuschend gewesen. Ein größeres Eisenbahnunglück in Colorado; ein Frachtdampfer war während eines Schneesturmes in der Nordsee auf Grund gelaufen; in Guatemala war ein kleiner Damm geborsten, wobei eine Stadt von einer ungeheuren Schlammlawine begraben wurde; aus Korinth wurde ein Erdbeben gemeldet: es war einfach die normale tägliche Quote an Naturkatastrophen.
Darüber hinaus hatten die Chinesen eine weitere Wasserstoffbombe experimentell zur Explosion gebracht; an der israelisch-jordanischen Grenze war es zu einer Schießerei gekommen; schwarze Stammesleute hatten in Rhodesien in einem Regierungsspital Schwestern vergewaltigt und unter den Patienten ein Massaker angerichtet.
Alles war durchaus normal, und alles bewies, was jeder vernünftige Mensch ohnedies schon wußte — nämlich, daß es auf Erden keinen sicheren Ort gab, weder inner- noch außerhalb dieses Raumes, und daß es auch wahrscheinlich einen solchen nie gegeben hatte. Baines begann sich nun darüber Gedanken zu machen, ob es sich lohnte, so viele Dämonen um einen so hohen Preis an Zeit, Anstrengung und Geld loszulassen, wenn das Ergebnis dann etwa dem entsprach, was täglich im Morgenblatt stand. Es könnte natürlich auch sein, daß interessante private Ausschweifungen und Grausamkeiten verübt wurden, aber viele Zeitungen und Verlage machten damit auch in normalen Zeiten ihr Geld. Jedenfalls aber würde er bestenfalls einen winzigen Bruchteil solcher Geschehnisse über dieses dumme, kleine Radio hören.
Wahrscheinlich würde er Tage oder Wochen warten müssen, bis dann die ganze Chronik und Geschichte dieser Nacht zusammengestellt und bearbeitet war und es keinen Zweifel mehr an ihrer ganzen Schrecklichkeit geben würde. Natürlich hätte er nichts anderes erwarten sollen; schließlich enthüllt sich aus den Skizzen und Entwürfen eines Kunstwerkes ja auch nicht dessen volle Wirkung. Dennoch nistete sich in Baines ein hartnäckiges Gefühl der Enttäuschung darüber ein, daß ihm nicht die Freude und Aufregung des Künstlers gegönnt war, der sein Werk auf der Leinwand Gestalt annehmen sieht.
Gab es vielleicht etwas, das Ware in seinem Sinne unternehmen konnte? Aber nein, so gut wie sicher nicht. Es war klar, daß er das Motiv dieses Auftrages ebensogut verstanden hatte wie den Auftrag selbst. Überdies konnte es auch gefährlich sein, ihn jetzt aufzuwecken — er würde wohl alle ihm noch verbliebene Kraft für die zweite Hälfte des Experimentes brauchen, wenn dann die Dämonen der Reihe nach zurückkamen.
Ärgerlich, aber gleichzeitig auch resigniert, mußte Baines zur Kenntnis nehmen, daß er selbst hier nie der Künstler gewesen war. Er war nur der Mäzen, der Auftraggeber, der zusehen durfte, wie die Farben aufgetragen und der Karton allmählich gefüllt wurde, und der dann auch das fertige Tafelbild oder Deckenfresko besitzen konnte, der aber im Grunde nie auch nur imstande gewesen war, mit den Pinseln richtig umzugehen.
Aber — was war denn das? BBC meldete:
»Eine dritte Garnitur von Löschzügen wurde eben der Themse entlang zum großen Brand in der Tate Gallery entsendet. Beobachter aus Fachkreisen sind der Ansicht, daß keine Hoffnung mehr besteht, die in der Galerie befindliche große Sammlung von Bildern von Blake zu retten. Diese Sammlung umfaßt die meisten seiner Illustrationen zu Dantes Inferno und Purgatorio. Gleichfalls besteht auch keine Hoffnung mehr, die Turner-Sammlung zu bergen, darunter seine Aquarelle vom Brand des Parlaments. Die große Hitze und plötzliche Ausbreitung des Brandes lassen darauf schließen, daß man es hier mit Brandstiftung — vielleicht sogar mit dem Werk eines Wahnsinnigen oder Pyromanen zu tun hat.«
Baines setzte sich aufmerksam und munter auf. Obwohl seine schmerzenden Gelenke protestierten, fühlte er sich nun plötzlich wieder mit Hoffnung erfüllt.
Das war doch immerhin ein Verbrechen mit Flair und Stil, eine wahrhaft symbolische Tat, eine Schurkerei, die tieferen Sinn hatte. Ganz aufgeregt erinnerte er sich an HARBORYM, den Dämon mit dem flammentropfenden Feuerbrand. Wenn es nur etwas mehr derart phantasievolle Untaten gäbe . . .
Der Empfang wurde immer schlechter. Es war anstrengend und ermüdend, aus all dem Gekrache und Geschnatter etwas Sinn herauszufiltern. Radio Luxemburg hatte offenbar seine Sendungen eingestellt oder wurde durch irgendeine atmosphärische Störung blockiert. Er versuchte Radio Milano und stellte den Sender gerade in dem Augenblick ein, als angesagt wurde, daß nun der Reihe nach alle elf Symphonien von Gustav Mahler gesendet würden. Es war ein Wahnsinnsprojekt für jede Rundfunkstation, vor allem aber für eine italienische. Hatte sich vielleicht hier einer der Dämonen einen Scherz erlaubt? Was immer aber auch die Antwort auf diese Frage sein mochte — Radio Mailand war als Nachrichtenquelle für die nächsten vierundzwanzig Stunden unbrauchbar.
Baines suchte weiter auf der Skala herum. Er stieß auf eine ungewöhnlich große Zahl von Sendungen in Sprachen, die er entweder nicht kannte oder aber nicht erkannte, obwohl er sich in siebzehn Sprachen leidlich verständlich machen konnte und jedes Jahr drei davon fließend beherrschte — je nachdem, wie und wo es seine Geschäftsbeziehungen erforderten. Was aber da zu hören war, klang, als habe jemand auf dem Turm zu Babel eine Sendeantenne angebracht.
Es gelang ihm kurz, einen englischsprechenden Sender gut hereinzubekommen. Es war aber nur die Stimme Amerikas, die scheinheilig anklagend über die chinesischen Wasserstoffbombenversuche moralisierte. Baines hatte schon vor Monaten gewußt, daß diese Versuche bevorstanden. Dann fing das vielsprachige Murmeln und Räuspern wieder an und wurde nur gelegentlich durch ein Quieken unterbrochen, das entweder pakistanischer Jazz oder eine chinesische Oper sein konnte.
Wieder waren englische Worte zu hören: ». . . mit Cynotabs! Ja, Freunde, nur eine einzige Pille heilt alle Übel! Garantiert voll knuspriger, köstlicher Atome . .. schmatz, schmatz . . .« An die Stelle dieses Unsinns trat dann ein großer Knabenchor, der den ›Hallelujah-Chor‹ sang, doch klang der Text plötzlich wie »Bison, Bison! Rattus, Rattus! Cardinalis, Cardinalis!« Dann kam wieder — wunderbarerweise völlig ohne atmosphärische Störungen — irgendein unverständliches Gequake und dann etwas, das hart an der Grenze der Verständlichkeit lag.
Der Saal stank abscheulich nach einer überraschenden Mischung von Düften: Kognak, Kampfer, Holzkohle, Verbene, Schießpulver, Fleisch, Schweiß, Räucherwerk, Wachskerzen, Dochte, Moschus und versengtes Haar. Baines hatte einen dumpfen Schmerz im Kopf; es war, als wollte man im Rachen eines Aasgeiers atmen. Er sehnte sich danach, einen langen Zug aus der Branntweinflasche zu machen, die er unter seiner verschmuddelten Alba hatte,’ aber er wußte nicht, wieviel des noch vorhandenen Alkohols Ware zur Beendigung seiner Beschwörung brauchen würde.
Vor ihm bewegte sich plötzlich etwas: Pater Domenico hatte die Hände nun nicht mehr am Rücken verschränkt und wandte sich von dem kleinen Fenster ab. Er machte ein paar vorsichtige Schritte auf Baines zu. Diese schwache menschliche Lebensäußerung schien Jack Ginsberg zu stören, der um sich schlug, eine noch unbequemere Stellung annahm, heiser aufschrie und dann zu schnarchen begann. Pater Domenico warf ihm einen Blick zu, blieb dann auf seiner Seite des Großen Kreises stehen und winkte.
»Ich?« fragte Baines.
Pater Domenico nickte geduldig. Baines legte das überforderte kleine Radio mit weniger Widerstreben beiseite, als er noch vor einer Stunde für möglich gehalten hätte. Mühselig wie ein Arthritiker stemmte er sich hoch: erst auf die Knie, dann stand er auf.
Als er auf den Mönch zuzustolpern begann, schoß etwas Pelziges ihm vor die Füße und brachte ihn beinahe zu Fall: Wares Kater. Er sauste auf den Altar zu und sprang mit einer Leichtigkeit, die man einem so fetten Wesen nie zugetraut hätte, hinauf. Dort ließ er sich dann auf dem Leib seines schlafenden Herrn und Gebieters behaglich nieder. Er sah Baines noch einmal mit grünen Augen an und schlief dann selbst ein — oder sah wenigstens so aus, als schliefe er.
Pater Domenico winkte Baines noch einmal und ging dann zum Fenster zurück. Baines hinkte ihm nach. Er wünschte, er hätte sich vorher die Schuhe ausgezogen. Jetzt fühlten sich seine Füße an, als wären sie zu massiven Blöcken Horn geworden.
»Was ist los?« flüsterte er.
»Sehen Sie einmal da hinaus, Mr. Baines.«
Immer noch verwirrt und am ganzen Leib schmerzend sah Baines an seinem weder eingeladenen noch eindrucksvollen Vergil vorbei. Erst konnte er nichts erkennen als die beschlagene und von herabrinnenden Kondenswassertropfen gestreifte Innenseite des Glases. Jenseits schienen dicke Schneeflocken zu fallen. Dann sah Baines allmählich, daß die Nacht draußen nicht völlig dunkel war. Irgendwie konnte er die Unterseite einer lebhaft bewegten Wolkendecke sehen. Das Fenster gestattete, ebenso wie das in Wares Büro, einen Blick den Steilhang hinunter und hinaus aufs Meer, doch letzteres war im Schneegestöber fast unsichtbar. Eigentlich hätte man auch die Stadt nicht erkennen können, doch war sie irgendwie schwach beleuchtet. Die Wolken oben wurden fast dauernd durch Strahlen schwachen Feuers erhellt, die wie phosphoreszierende Kondensstreifen aussahen. Sie hielten lange an und schienen mit dem Wetter nichts zu tun zu haben.
»Nun?« sagte Baines.
»Sehen Sie denn nichts?«
»Ich sehe diese Meteoritenspuren, oder was sie sein mögen. Und das Licht ist seltsam — Flächenblitze, nehme ich an, und vielleicht brennt es dort unten in der Stadt.«
»Sonst nichts?«
»Sonst nichts«, sagte Baines ärgerlich. »Was wollen Sie denn eigentlich von mir — wollen Sie mich erschrecken, damit ich Dr. Ware wecke und das Experiment abblase? Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen. Wir sehen uns das Ende an.«
»Gut«, sagte Pater Domenico und nahm seinen Wachposten wieder ein. Baines stapfte in seine Ecke zurück und nahm das Radio wieder auf. Er hörte:
». . . wird jetzt angenommen, daß der angebliche chinesische Wasserstoffbombentest in Wirklichkeit die Explosion einer Kernwaffe von mindestens dreißig Megatonnen direkt über Taiwan war. In den Hauptstädten westlicher Länder, die schon durch den Napalmmord an der Witwe des amerikanischen Präsidenten in einer Diskothek New Yorks in Aufruhr waren, rüstet man sich jetzt rasch für vollen Kriegszustand, und wir erwarten, daß jeden Augenblick einschneidende Nachrichtenbeschränkungen oder -sperren aus Sicherheitsgründen verhängt werden. Solange dies aber noch nicht der Fall ist, bringen wir Ihnen selbstverständlich alle wichtigen Nachrichten, die in unserem Studio eintreffen. Wir geben jetzt unser Sendezeichen . . . Uwuuh .. . lüg. Oh, piggly baby, I caught you — cheating on me — uwuuh . . .«
Baines drehte wütend am Einstellknopf, aber das Heulen wurde nur noch schlimmer. Nahe der Wand zu seiner Rechten krümmte Hess seinen langen Kadaver auf dem Refektoriumstisch, setzte sich plötzlich auf und ließ seine bestrumpften Füße zu Boden schwingen.
»Jesus Christus«, sagte er mit tiefer Stimme, »habe ich das jetzt wirklich gehört oder habe ich mir das nur eingebildet?«
»Sie haben es wirklich gehört«, sagte Baines still, ja sogar mit einer gewissen Freude. Aber er war gleichzeitig auch besorgt. »Rutschen Sie mal hier herüber und setzen Sie sich. Etwas braut sich jetzt da draußen zusammen, und es ist nicht das, was wir — oder auch Ware — erwartet haben.«
»Sollten wir dann der Sache nicht lieber Einhalt gebieten?«
»Nein. So setzen Sie sich doch, verdammt noch mal. Ich bin gar nicht sicher, daß wir jetzt noch Einhalt gebieten können — und selbst, wenn wir es könnten, so möchte ich unserem klerikalen Freund dort drüben die Befriedigung nicht gönnen.«
»Der dritte Weltkrieg ist Ihnen lieber?« sagte Hess und setzte sich gehorsam nieder.
»Ich weiß nicht, ob der kommt. Wir haben uns auf diese Sache eingelassen, wir haben sie bestellt. . . Warten wir’s ab. Entweder Ware hat die Sache in der Hand — oder er sollte sie wenigstens in der Hand haben. Schauen wir also, was dabei herauskommt.«
»Gut«, sagte Hess. Er begann, die Gelenke seiner langen Finger knacken zu lassen. Baines versuchte es wieder mit dem Radio, aber alles, was er herausbekam, war eine Mischung von Händels Messias, Gustav Mahler und The Supremes.
Jack Ginsberg jammerte in seinem Halbschlaf weinerlich vor sich hin. Nach einer Weile sagte Hess ganz ruhig:
»Baines?«
»Was ist los?«
»Was glauben Sie nun, daß aus der Sache wird?«
»Nun, entweder ist es der dritte Weltkrieg oder er ist es nicht. Wie sollten wir das in diesem Stadium schon wissen?«
»Das habe ich Sie eigentlich nicht gefragt. Ich wollte wissen, was für eine Sorte Ding das nun ist. Was glauben Sie? Sie müßten ja davon eine Ahnung haben, denn Sie haben sich das Ding ja bestellt.«
»Ach — ja, hm. — Pater Domenico sagte, es könne sehr wohl das jüngste Gericht sein. Ware hat das nicht geglaubt, aber bis jetzt hat er durchaus nicht immer recht gehabt. Ich selbst kann es nicht erraten. Ich habe noch nicht sehr lange in diesen Maßstäben gedacht.«
»Ich auch nicht.« Hess sah dem Spiel seiner Finger unbeteiligt zu. »Ich versuche immer noch, die Sache in herkömmlichen Begriffen zu analysieren — mit jenen Begriffen also, die für mich dem Universum seinen Sinn gaben. Es ist nicht ganz leicht. Aber Sie erinnern sich doch vielleicht noch daran, wie ich Ihnen sagte, mich interessiere die Geschichte der Wissenschaft. Das bringt es mit sich, daß ich mir darüber Gedanken gemacht habe, warum es so lange keine Wissenschaft gegeben hat, und warum sie, beinahe jedesmal, wenn sie wiederentdeckt wurde, zu irgendeiner Katastrophe geführt hat. Ich glaube, ich weiß jetzt, warum. Es scheint mir, als durchliefe der Menschengeist eine Art Zyklus der Angst. Er kann nur ein begrenztes Maß angesammelten Wissens verarbeiten und verfällt, wenn diese Grenze überschritten wird, in Panik. Der Menschengeist beginnt dann Gründe dafür zu erfinden, warum alles Wissenschaftliche verworfen werden solle, und kehrt so ins finsterste Mittelalter zurück . . . jedesmal im Zeichen einer neuen, erfundenen mystischen Rechtfertigung.«
»Sehr klar ist mir das alles nicht, muß ich sagen«, entgegnete ihm Baines. Er versuchte immer noch, von seinem Radio etwas zu hören.
»Das habe ich mir auch eigentlich gar nicht erwartet. Aber so geschieht es eben — und zwar so ungefähr alle tausend Jahre. Die Menschen machen dann einen frischen Anfang. Sie sind mit ihren Göttern glücklich, obwohl sie sich vor ihnen gleichzeitig auch fürchten. Dann wird die Welt in zunehmendem Maße ›verweltlicht‹, alles drängt zum Irdischen hin, und die Götter verlieren an Bedeutung. Gotteshäuser und Tempel stehen verlassen da. Natürlich sind die Leute von Schuldgefühlen erfüllt, aber doch nicht genug für eine Um- und Einkehr. Dann aber haben sie plötzlich genug von Materialismus und Technologie; sie werfen ihre Holzschuhe in das Räderwerk der Maschine, sie beginnen Satan anzubeten oder die Große Erdmutter, sie verfallen in eine hellenistische Periode oder werfen sich dem Christentum in die Arme, in hoc signo vinces — ich habe natürlich jetzt die Chronologie durcheinandergeworfen, aber jedenfalls geschieht es, Baines, mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks, so alle tausend Jahre. Das letzte Mal war es die chiliastische Panik vor der Jahrtausendwende, als alle die Wiedergeburt Christi erwarteten und ihnen bewußt wurde, daß sie ihm nicht gegenüberzutreten wagten. Das war das Herz, der Mittelpunkt, ja die ganze Erklärung für das finstere Mittelalter. Gut, nun also nähert sich ein weiteres Jahrtausend seinem Ende, und die Menschen haben Angst vor unserer Verweltlichung, vor unseren biologischen und Kernwaffen, vor unseren Elektronengehirnen, unserem übertriebenen medizinischen Fortschritt, kurz: vor allen -Segnungen des Fortschritts-, und sie wenden sich nun wieder der Anbetung der Unvernunft, des Alogischen zu . .. genauso, wie Sie es getan haben — und ich habe Ihnen dabei noch geholfen. Heutzutage beten manche Leute fliegende Untertassen an, einfach, weil sie nicht wagen, mit Christus konfrontiert zu werden. Sie haben sich der Schwarzen Magie zugewendet. Wo liegt da der Unterschied?«
»Das kann ich Ihnen erklären«, sagte Baines. »Niemand hat in all den Jahren wirklich eine fliegende Untertasse gesehen. Die Gründe für die Annahme, jemand habe doch so ein Fahrzeug gesehen, sind armselig. Vielleicht läßt sich das alles so erklären, wie Sie eben angedeutet haben — und wir können auf C. G. Jung und seinen Anhang verzichten. Aber, Adolph, Sie und ich haben einen Dämon gesehen.«
»Glauben Sie? Ich will es nicht bestreiten. Ich halte es sogar für durchaus möglich. Aber, Baines, sind Sie ganz sicher? Wie wissen Sie, was Sie zu wissen glauben? Wir stehen nun am Vorabend des dritten Weltkrieges, den wir vorbereitet und ausgelöst haben. Könnte all das nicht nur eine Halluzination sein, die wir heraufbeschworen haben, um damit einen Teil unserer Schuldgefühle zu beschwichtigen? Oder ist es vielleicht möglich, daß all das gar nicht wirklich geschieht, und daß wir ebensosehr die Opfer einer chiliastischen Panik sind wie die im üblichen Sinne Religiösen mit ihren endzeitlichen Ahnungen? Das würde mir weit mehr einleuchten als all dieser mittelalterliche Hokuspokus mit Dämonen und so. Natürlich will ich nicht dem Zeugnis meiner Sinne widersprechen, Baines. Was ich Sie fragen will, ist lediglich: Wieviel ist dieses Zeugnis wert?«
»Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß«, sagte Baines gleichmütig, »obwohl ich Ihnen nicht erklären kann, wieso ich es weiß. Ich will auch gar nicht versuchen, es Ihnen zu erklären. Erstens: Etwas geschieht — und dieses ›Etwas‹ ist wirklich. Zweitens: Sie und ich und Ware und alle anderen, die wollten, daß es geschieht, haben dadurch erreicht, daß es geschieht. Drittens: Es stellt sich heraus, daß wir uns über das Resultat und den Ausgang getäuscht haben — aber was immer daraus auch werden mag: Es ist unser Resultat. Wir haben uns darauf eingelassen. Dämonen, fliegende Untertassen, radioaktiver Regen — wo liegt da der Unterschied!? Das sind doch alles nur Zeichen und Symbole in der großen Gleichung, Parameter, für die wir die Werte einsetzen können, die uns im Augenblick am sinnvollsten erscheinen. Machen Elektronen Sie glücklicher als Dämonen? Fein, können wir machen. Aber was mich freut, Adolph, was mich wirklich freut, ist das Resultat. Die Mittel sind mir gleichgültig. Ich habe das Ding erfunden, ich habe es hervorgerufen, ich zahle dafür — und, wie Sie es sonst auch immer beschreiben wollen, ich habe es gemacht und ES GEHÖRT MIR! Ist Ihnen das klar? Es gehört mir. Jede andere Tatsache, die man darüber aussagen kann, was immer es auch für ein Faktum sein möge, ist irgendein dummer, technischer Kniff. Ich bezahle Leute wie Sie und Ware, um mich mit diesen Dingen nicht abgeben zu müssen.«
»Es will mir scheinen«, sagte Hess monoton und mit bleischwerer Stimme, »als seien wir alle verrückt.«
In diesem Augenblick flammte das kleine Fenster grellweiß auf. Pater Domenico erschien davor als tintenschwarze Silhouette.
»Da könnten Sie schon recht haben«, sagte Baines. »Das war Rom.«
Pater Domenico wandte sich mit tränenüberströmtem Gesicht vom Fenster ab und tastete sich langsam zum Altar. Nach einer langen Pause des Widerwillens packte er Theron Ware an den Schultern und schüttelte ihn. Die Katze fauchte und sprang zur Seite.
»Wach auf, Theron Ware«, sagte Pater Domenico feierlich, »ich gebiete dir, erwache. Man kann jetzt von deinem Experiment mit Sicherheit sagen, daß es mißglückt ist. Der Pakt ist also nicht verletzt, die Bestimmungen unseres Vertrages erfüllt. Ware! Ware! So wachen Sie doch auf, zum Teufel!«
17
Baines sah auf die Uhr. Es war 3 Uhr morgens.
Ware erwachte augenblicklich, sprang auf die Beine und ging wortlos zum Fenster. Im gleichen Augenblick brauste der ganze Jammer, der einmal Rom gewesen war, über das Gebäude hinweg. Die große Entfernung hatte die Schockwelle etwas gedämpft, und der Palazzo empfing daher nur einen leichten Stoß. Das Fenster aber, dessen Vorhang Pater Domenico zurückgezogen hatte, sprang in einem Schauer gläserner Nadeln in den Raum. Hinter den Vorhängen, die — von der Decke herabhängend — die anderen Fenster verdeckten, hörte man das Fallen von zerbrochenem Glas. Es klang wie ein Orchester von Celestas.
Soweit Baines erkennen konnte, war niemand schwer verletzt. Nicht, daß es einen großen Unterschied gemacht hätte, nun, da der letzte Große Tod schon den Sturmwind ritt.
Ware schien nicht besonders erschüttert. Er nickte bloß einmal, wandte sich rasch dem Großen Kreis zu und bückte sich, um seine ramponierte Papierkrone aufzuheben. Nein, es hatte ihn doch gepackt: Seine Lippen waren zusammengekniffen und bleich. Er winkte sie alle heran.
Baines machte einen Schritt auf Jack Ginsberg zu, um ihn nötigenfalls so lange zu treten, bis er erwachte. Aber sein junger Sonderberater und Assistent war bereits auf den Beinen. Er zitterte und hatte irre Augen. Er schien allerdings nicht zu wissen, wo er sich befand, und Baines mußte ihn am Arm nehmen und in seinen Kleineren Kreis schieben.
»Und da bleiben Sie!« fügte Baines mit einer Stimme hinzu, mit der man hätte Diamanten schneiden können. Wenn Jack ihn gehört hatte, so merkte man es ihm jedenfalls nicht an.
Baines ging rasch auf den Platz, der ihm als Tanisten zukam. Dabei versicherte er sich auch noch der Branntweinflasche. Die anderen waren schon auf ihren Plätzen, sogar die Katze, die, sofort nachdem man sie von Wares Rücken vertrieben hatte, auf ihr Feld gegangen war.
Der Zauberer entzündete das Räucherbecken und begann, sich an die stille Luft im Raum zu wenden. Er hatte kaum einen Satz einer Beschwörungsformel hervorgebracht, als Baines zum ersten Mal eisigen Herzens zu Bewußtsein kam, daß dies allen Ernstes der letzte Versuch war — und daß sie alle vielleicht noch gerettet werden könnten.
Ware machte seinen Rückzieher auf seine charakteristisch dunkle und verklausulierte Art — die einzige Art, in der seine tödlich stolze Seele dies überhaupt tun konnte. Er sagte:
»Ich rufe dich an und beschwöre dich, LUCIFUGE ROFOCALE, und gestärkt mit der Kraft und der Höchsten Majestät, befehle und gebiete ich dir bei BARALEMENIS, BALDACHIENSIS, PAUMACHIE, APOLORESEDES und den überaus mächtigen Prinzen GENIO, LIACHIDE, den Ministern vom Tartarischen Sitz, Hauptfürsten des Sitzes von APOLOGIA in der Neunten Region, ich beschwöre dich und befehle dir, LUCIFUGE ROFOCALE, bei Ihm, der da sprach und es geschah, bei dem Allerheiligsten und Ruhmreichsten Namen ADONAI EL, ELOHIM, ELOHE, ZEBAOTH, ELION, ESCHERCE, JAH, TETRAGRAMMATON, SADAI, mögest du und die deinen nun erscheinen und dich mir zeigen, gleichgültig, wie dein früherer Auftrag lautete, und in welchem Teil der Erde du dich auch aufhältst!
Ich beschwöre dich bei Ihm, dem alle Geschöpfe gehorchen, bei dem unaussprechlichen Namen, TETRAGRAMMATON JEHOVA, durch den die Elemente bezwungen, die Luft erschlittert, das Meer gewendet, das Feuer erzeugt und die Erde bewegt werden, der all den himmlischen, den irdischen und den höllischen Heerscharen gebietet, die vor ihm erschrecken und erzittern, komme und erscheine! ADONAI, der König der Könige, gebietet es dir!«
Niemand antwortete Ware, nur draußen grollte leise der Donner.
»Nun rufe ich dich an, beschwöre dich und gebiete dir, LUCIFUGE ROFOCALE, zu erscheinen und dich vor diesem Kreise zu zeigen, beim Namen des ON .. . beim Namen des Y und des V, die Adam hörte und sprach . . . beim Namen des JOTH, den Jakob an dem Abend erfuhr, als er mit dem Engel rang und vor den Händen seines Bruders gerettet ward . . . beim Namen AGLA, den Lot hörte und so mit seiner Familie errettet ward ... beim Namen ANEHEXETON, den Aaron aussprach und dadurch Weisheit erlangte . .. beim Namen SCHEMES AMATHIA, den Joshua anrief und so der Sonne Einhalt gebot . . . beim Namen EMMANUEL, durch den die drei Kinder vor dem Feuerofen errettet wurden . . . beim Namen ALPHA-OMEGA, den Daniel aussprach, und damit Bei und den Drachen besiegte . . . beim Namen ZEBAOTH, den Moses nannte, und all die Flüsse und Gewässer in Ägypten verwandelten sich in Blut ... beim Namen HAGIOS, beim Siegel ADONAIS, bei jenen anderen, die da sind JETROS, ATHENOROS, PARACLETUS ... beim schrecklichen Tage des Gerichtes . . . bei dem sich ständig wandelnden Meer aus Glas vor dem Angesicht der göttlichen Majestät . . . bei den vier Tieren vor dem Throne ... bei all diesen Heiligen und zauberkräftigen Worten gebiete ich dir: komme du, und komme rasch! ADONAI, der König der Könige gebietet es dir!«
Nun endlich vernahm man ein Geräusch: ein Lachen. Es war das Lachen von etwas, dem alle Freude für immer fremd war, etwas, das nur lachte, weil es in seiner Natur lag, Schrecken zu verbreiten. In dem Maße, in dem sein Lachen anschwoll, bildete sich auch die Form und Gestalt dieses Etwas.
Es stand nicht im Kleineren Kreis oder erschien von der Pforte her, sondern es saß plötzlich auf dem Altar und ließ seine behuften Füße nachlässig herniederbaumeln. Es hatte den Kopf einer Ziege mit ungeheuren Hörnern, eine Krone, die wie eine Fackel flammte, und ernste Menschenaugen, und es trug einen Davidsstern an der Stirne. Auch Schenkel und Hüften waren ziegenhaft gebildet. Dazwischen aber schien der Leib menschlich, doch war er sehr haarig, und schleppende, schwarze Schwingen wie die einer Krähe wuchsen aus seinen Schultern hervor. Es hatte die Brüste einer Frau und ein riesiges, erigiertes männliches Glied, das es abwechselnd mit zu segnender Geste gefalteten Händen stimulierte. Auf einen der zottigen Unterarme war das Wort Solve tätowiert, auf den anderen das Wort Coagula.
Ware fiel langsam auf ein Knie nieder.
»Adoramus te, PUT SATANACHIA«, sagte er und legte seinen Stab vor sich auf den Boden. »Und wieder .. . ave, ave.«
AVE, DOCH WARUM HAST DU MICH ANGERUFEN? sagte das Ungeheuer in einer weinerlichen Baßstimme, tief und maniriert zugleich, als wäre sie die eines homosexuellen Schauspielers. NICHT MICH HAST DU ANGERUFEN.
»Nein, Baphomet, Meister und Gast . . . Nicht auch nur einen Augenblick lang. Überall heißt es, daß man Dich niemals rufen kann und daß Du niemals erscheinen würdest.«
DU RIEFST DEN GOTT AN, DER NICHT ERSCHEINT. MIT MIR TREIBST DU DEIN SPIEL NICHT.
Ware senkte seinen Kopf noch tiefer. »Ich habe mich geirrt.«
AH! ABER ES MUSS ALLES EINMAL ZUM ERSTEN MAL GEBEN. VIELLEICHT HÄTTEST DU DOCH DEN GOTT SEHEN KÖNNEN! ABER NUN HAST DU STATT DESSEN MICH GESEHEN! UND ES GIBT AUCH FÜR ALLES EIN LETZTES MAL. ICH SCHULDE DIR EINEN AUGENBLICK DES DANKES. WURM, DER DU BIST, BIST DU DOCH AUCH DER HERVORBRINGER VON ARMAGEDDON. MÖGE DIES NOCH VERKÜNDET UND GESCHRIEBEN WERDEN, EH’ ALLES GESCHRIEBENE, WIE AUCH ALLES ANDERE, DEM EWIGEN FEUER VERFALLEN IST.
»Nein!« schrie Ware auf. »Oh, lebendiger Gott, nein! Das kann noch nicht die Zeit sein! Du brichst das Gesetz! Wo ist der Antichrist —«
WIR WERDEN DAS OHNE DEN ANTICHRIST ERLE-
DIGEN. ER WAR NIE NÖTIG. DIE MENSCHEN HABEN SICH MIR ZU ALLEN ZEITEN SELBST WILLIG ZUGEFÜHRT.
»Aber — Meister und Gast — das Gesetz —«
WIR WERDEN DAS AUCH OHNE DAS GESETZ ERLE-
DIGEN: HAST DU ES DENN NICHT GEHÖRT? DIESE TAFELN SIND JA ZERBROCHEN.
Man konnte sowohl Ware als Pater Domenico rasch einatmen hören. Aber selbst wenn Ware nun noch etwas hätte einwenden wollen, so wurde er doch daran gehindert. Zur Rechten Baines’ sagte Dr. Hess nun in irrer und hysterischer Stimme:
»Ich sehe dich nicht, Ziege.«
»Seien Sie still!« rief Ware und wandte sich beinahe von der Erscheinung ab.
»Ich sehe dich nicht«, sagte Hess verbissen. »Du bist nichts als eine dumme zoologische Mischung .. . ein Psylocibin-Traum. Du bist nicht wirklich. Ziege. Geh weg. Puff!«
Ware wandte sich in seinen Karzistenkreis und hob mit beiden Händen sein Magier-Schwert gegen Hess, aber im letzten Augenblick schien er doch nicht zu wagen, auf die schwankende Gestalt des Wissenschaftlers zu aus seinem Kreis zu treten.
WIE LIEBENSWÜRDIG VON DIR, DIE REGELN ZU BRECHEN UND ZU MIR ZU SPRECHEN. DU UND ICH, WIR WISSEN, DASS REGELN GEMACHT WURDEN, UM GEBROCHEN ZU WERDEN. ABER DIE ART, IN DER DU MICH ANREDEST, GEFÄLLT MIR NICHT. LASS UNS UNSER GESPRÄCH WEITERFÜHREN, UND ICH WILL DICH BELEHREN. ZUNÄCHST EINMAL AUF EWIG.
Hess antwortete nicht. Statt dessen heulte er wie ein Wolf und stürzte blindlings aus dem Großen Kreis hinaus und auf den Altar zu. Den Kopf hielt er dabei gesenkt. Die Sabbath-Ziege öffnete ihr großes Maul und schluckte ihn wie eine Fliege-
DANK DIR FÜR DAS OPFER, sagte sie mit fetter Stimme. SONST NOCH JEMAND? – NUN, SO IST ES ZEIT, MICH ZU VERABSCHIEDEN.
»Bleib stehen, dummes und ungehorsames Wesen!« erklang nun Pater Domenicos Stimme von Baines’ rechter Seite. Ein Stück Stoff flatterte aus dem Kreis des Mönches zu Boden.
»Erkenne deinen Irrtum, wenn du ungehorsam bist! Erblicke denn Salomons Pentagramm, das ich nun vor dich gebracht habe!«
KOMISCHER KLEINER MÖNCH, ICH WAR JA NIE-
MALS IN DER FLASCHE!
»Still nun, und schweige, du gefallener Stern. Sieh in mir die Person des Exorzisten, der da genannt ist OCTINIMOES, inmitten der Verblendung bewaffnet und gerüstet von Gott, dem Herrn, und ohne Furcht. Ich bin dein Herr und Meister, im Namen des Herrn BATHAL, der da auf ABRAC und ABEOR zueilt, und auch auf BEROR!«
Die Sabbath-Ziege sah nun beinahe freundlich auf Pater Domenico herab. Pater Domenicos Gesicht war hochrot. Er langte in seine Gewänder und brachte ein Kruzifix zum Vorschein, das er nun auf den Altar zustieß, als sei es ein Schwert.
»Zurück zur Hölle, Teufel! Im Namen unseres Herrn Jesu Christ!«
Das Elfenbeinkreuz explodierte wie ein bunter Feuerwerkskörper. Sein Aschenstaub bedeckte den Habitus Pater Domenicos. Der sah auf seine nun schrecklich leeren Hände nieder.
ZU SPÄT, MAGIER. SELBST DIE GRÖSSTEN BEMÜ-
HUNGEN DEINES WEISSEN COLLEGIUMS HABEN VERSAGT – EBENSO WIE AUCH DIE HIMMLISCHEN HEERSCHAREN VERSAGEN WERDEN. ABER ICH KOMME EUCH SPÄTER HOLEN. ICH KOMME EUCH ALLE SPÄTER HOLEN. DER KRIEG IST SCHON VORBEI.
»Unmöglich!« rief Pater Domenico. Der feine Aschenstaub des Kruzifixes nahm ihm fast den Atem. »Es steht geschrieben, daß du in diesem Krieg schließlich besiegt und in Ketten gelegt wirst!«
NATÜRLICH, ABER WAS BEWEIST DAS SCHON? IN JEDEM KRIEG SAGT JEDE DER BEIDEN KRIEGFÜHRENDEN PARTEIEN DEN EIGENEN SIEG VORAUS. BEIDE KÖNNEN SIE NICHT RECHT HABEN. DIE LETZTE SCHLACHT ZÄHLT, NICHT DIE PROPAGANDA. IHR HABT EINEN FEHLER GEMACHT – UND, AH! WIE IHR DAFÜR BEZAHLEN WERDET!
»Einen Augenblick noch ... bitte«, sagte Pater Domenico. »Wenn du so freundlich wärest ... ich sehe, daß wir versagt haben . .. Würdest du uns sagen, worin unser Irrtum bestand?«
Die Ziege lachte, sprach drei Worte und war verschwunden.
Der Morgen brach an — rot, mit rauchigen Streifen, bleigrau, endlos. Aus Wares Fenster konnte man sehen, wie die schlafende Stadt gleich Strömen von erkalteter Lava zum Meer hin abfiel — aber da war kein Meer. Wie Pater Domenico schon vor Stunden gesehen hatte, hatte sich das Meer zurückgezogen. Es würde erst wieder als eine gigantische, alles zerstörende Flutwelle wiederkehren, wie der Tsunami nach dem korinthischen Erdbeben. Kreise der Verzweiflung, Vernichtung und Einsamkeit gingen von den Kreisen des Rituals aus. In diesen warteten die letzten Magier darauf, daß die nunmehr Größten Mächte zurückkehren und sie holen würden.
Jetzt würde es wohl nicht mehr lange dauern. In ihrem Geist und in ihren Herzen war noch das Echo jener letzten drei Worte. Welt ohne Ende. Ende ohne Welt.
Gott ist tot.