4. Die letzte Beschwörung

Es gibt zwei gleiche, wenngleich entgegengesetzte Irrglauben, in die unser Geschlecht hinsichtlich der Teufel verfallen kann. Der eine ist, nicht an ihre Existenz zu glauben. Der andere ist, an ihre Existenz zu glauben und ein übermäßiges oder ungesundes Interesse an ihnen zu fühlen. Sie selbst sind über beide Arten von Verwirrung gleichermaßen erfreut und begrüßen den Materialisten wie den Magier mit gleicher Freude.

Tatsächlich stehen wir vor einem grausamen Dilemma. Wenn die Menschen aufhören, an unsere Existenz zu glauben, verlieren wir all die erfreulichen Früchte direkten Terrors, und wir können auch keine Magier machen. Wenn sie aber andererseits an uns glauben, dann können wir aus ihnen keine Materialisten oder Skeptiker machen. Wenigstens noch nicht . . . Wenn wir aber erst einmal unser vollkommenstes Werk hervorbringen können — den materialistischen Magier, den Menschen, der, was er vage ›Kräfte‹


nennt, nicht nur verwendet, sondern ihnen sklavisch ergeben ist, während er das Vorhandensein von ›Geistern‹ leugnet — dann erst ist das Ende des Krieges in Sicht.

THE SCREWTAPE LETTERS Aus C. S. Lewis




14

Die Reise nordwärts zum Monte Albano fiel Pater Domenico trotz der starken Schneefälle relativ leicht. Einen großen Teil der Strecke konnte er im Schnellzug zurücklegen. Es schien ihm selbst absurd, daß er sich über den Schnee solche Sorgen machte. Wenn es so weiterschneite, dann würde es im Frühling böse Überschwemmungen geben. Aber das war, weiß Gott, nicht das schlimmste Unheil, das dieser Frühling bringen konnte.

Nachdem er die Reise hinter sich hatte, schien alles schiefzugehen. Nur etwa die Hälfte der Weißen Magier der Welt, jedenfalls eine sehr kleine Zahl von all denen, die eingeladen worden waren, hatten zu der Tagung kommen können oder die Reise der Mühe wert gehalten. Einer der größten unter ihnen, der bejahrte Archivar Pater Bonfigliolo, hatte zwar den weiten Weg aus Cambridge zurückgelegt, mußte aber erfahren, daß er der Strapazen, sich den Berg hinauftragen zu lassen, nicht gewachsen war. Jetzt lag er mit einem Herzinfarkt im Spital am Fuße des Berges und man zweifelte an seiner Gesundung.

Glücklicherweise hatte Pater Ucello kommen können. Auch Pater Montieth war hier, der ehrwürdige Meister einer ganzen Horde schöpferischer (doch leider oft eher untüchtiger) Geister der zislunaren Sphäre; Pater Boucher, der in Verbindung mit irgendeinem Intellekt der jüngeren Vergangenheit stand, der weder ein Sterblicher noch aber eine ›Kraft‹


gewesen war. Dieser Kontakt sah fatal nach Zauberei und Totenbeschwörung aus, war aber weder das eine noch das andere. Auch Pater Vance war gekommen, in dessen Geist Visionen von Arten der Magie herumschwammen, die aller Wahrscheinlichkeit nach den Menschen noch einige Millionen Jahre lang nicht verständlich sein, geschweige denn von ihnen anwendbar sein würden; Pater Anson, ein wortkarger Mann mit dem Verstand eines Ingenieurs, dessen Spezialität es war, Klarheit in die verworrenen Hirne von Politikern zu bringen; Pater Selahny, ein erschreckender Kabbalist, der in Parabeln sprach und dem man nachsagte, daß seit den Zeiten des Leviathan noch keiner seinen Rat verstanden hätte; Pater Rosenblum, ein ernster, strenger Bär von einem Mann, der in knappen Worten Unheil und Katastrophen vorhersagte und dessen Vorhersagen immer eintrafen; Pater Atheling, ein glasäugiger Grimoirist, der seltsamen Sinn und prophetische Bedeutung in gewissen Teilen der Rede seiner Mitmenschen sah und der dauernd allen in einer aufgeregten, nasalen Stimme Vorträge hielt, bis der Direktor ihn in die Bibliothek ins Exil schicken mußte, aus dem er nur hervorkommen durfte, wenn er seine magischen Kräfte anwenden sollte .. . Außer den Genannten gab es dann noch eine Anzahl weniger bedeutender Weißer Magier und deren Akolyten.

Diese alle und die Brüder vom Monte Albano selbst versammelten sich in der Kapelle des Klosters, um darüber zu beraten, was unter den gegebenen Umständen zu tun sei. Schon von Anfang an herrschte Uneinigkeit. Pater Boucher war fest der Ansicht, daß es ohnedies nicht zugelassen würde, daß Ware eine derartige Beschwörung zum Osterfest vornehmen würde, und meinte daher, daß minimale Sicherheitsmaßnahmen völlig ausreichend seien. Pater Domenico mußte erst noch darauf hinweisen, daß Wares letzte ›Sendung‹ — zugegebenermaßen eine relativ geringfügige, aber wie hieß es doch in der Schrift vom Fall des Sperlings? — am Heiligen Abend erfolgt war, ohne auch nur das leiseste Anzeichen für das Einschreiten göttlicher Mächte.

Dann gab es da auch noch das Problem, ob man die Himmlischen Fürsten samt ihren Untertanen mobilisieren solle oder nicht. Pater Atheling war der Ansicht, daß die bloße Benachrichtigung dieser Fürsten — da ihre Reaktion ja nicht vorhersagbar war — schon eine Aktion gegen Ware hervorrufen könnte und sohin also bereits einen Verstoß gegen den ›Pakt‹ darstelle. Schließlich überschrien ihn die Patres Anson und Vance mit dem naheliegenden, aber darum nicht notwendigerweise auch stichhaltigen Argument, die Fürsten müßten ja ohnedies schon über Wares Vorhaben Bescheid wissen.

Wie wackelig diese Annahme tatsächlich war, wurde dann in der auf die erste Besprechung folgenden Nacht offenkundig, als man jene strahlenden Engel einen nach dem anderen beschwor, zu einem ›Kriegsrat‹ vor der Versammlung Weißer Magier zu erscheinen. Strahlend, schrecklich und rätselhaft waren sie ja immer, aber bei dieser ›Berufung‹ befanden sie sich in einem Geisteszustand, der das Verständnis all der in der Kapelle versammelten Meister weit überstieg.

ARATRON, der höchste unter ihnen, schien tatsächlich, was die kommende Entfesselung der Dämonen betraf, völlig ahnungslos zu sein. Als man es ihm näher beschrieb, verschwand er mit einem Schrei und lautem Krach. PHALEG, der militanteste der Geister, schien von Wares Absichten zu wissen, weigerte sich aber, etwas dazu zu sagen. Als man ihn bedrängte, verschwand er einfach. Auch OPHEIL, der Lebhafte, schien anderes für wichtiger zu halten — als seien die furchtbaren Pläne Wares für ihn bloß eine winzige Ablenkung von ungeheuer größeren und wichtigeren Gedanken. Seine Antworten wurden kürzer und kürzer, und schließlich verfiel er in ein Schweigen, das Pater Domenico bei einem Sterblichen ohne langes Nachdenken als ›mürrisch‹ bezeichnet hätte.

Zum Schluß — obwohl dies durchaus nicht als Abschluß geplant war, denn die Versammelten hatten die Absicht gehabt, alle sieben Olympiker zu befragen — erschien der Wassergeist PHUL, als man ihn rief, ohne Kopf. Dies machte jeglichen Dialog unmöglich und brachte die in der Kapelle versammelten Weißen Magier in gefährlichen Aufruhr.

»Das sind keine guten Omen«, sagte Pater Atheling und — zum erstenmal in seinem Leben — stimmten ihm alle ohne Ausnahme bei. Man einigte sich auch darauf, daß — mit Ausnahme Pater Domenicos — alle Anwesenden bis Ostern auf dem Weißen Berg beisammen bleiben sollten, um alle Maßnahmen ergreifen zu können, die dann notwendig erschienen. Es herrschte aber allgemein nur geringe Hoffnung, daß sich solche Maßnahmen auch als wirksam erweisen würden. Was immer gegenwärtig in den Himmeln im Gange war, schien die Himmlischen so sehr zu beschäftigen, daß sie dem Flehen vom Monte Albano nur wenig Aufmerksamkeit schenken konnten.

Pater Domenico trat seine Reise zurück in den Süden weit früher an, als er ursprünglich geplant hatte. Er konnte an nichts anderes denken als an das Mysterium jener letzten, geköpften Erscheinung. Der bleierne Himmel gab ihm auf seine stummen Fragen keine Antwort.


15


An jenem vorletzten Morgen stand Theron Ware vor der endgültigen Auswahl der Dämonen, die er beschwören wollte. Dafür mußte er sich in sein Laboratorium zurückziehen, um dort noch einmal das ›Buch der Bündnisse‹ durchzugehen. Die Blutopfer hatte er schon am vorangegangenen Abend vorgenommen, und anschließend hatte er das Mobiliar seines Arbeitsraumes völlig umgestellt, um für den Großen Kreis Platz zu gewinnen — es war seit zwanzig Jahren das erste Mal, daß er seiner bedurfte —, aber auch für die Kleineren Kreise und für die ›Pforte‹. Auch für Pater Domenico, der früh und mit erfreulich verstörtem und besorgtem Gesichtsausdruck von seiner Reise zurückgekehrt war, hatte er besondere Vorbereitungen treffen müssen, für den Fall, daß es nötig sein sollte, den Mönch zu bitten, göttliches Einschreiten zu erflehen. Ware allerdings war ziemlich sicher, daß dieser Fall nicht eintreten würde. Obwohl er in seiner ganzen Laufbahn als Magier noch nie etwas dieser Größenordnung unternommen hatte, hatte er sozusagen — wie ein Virtuose eine gut studierte Sonate — seine Arbeit im kleinen Finger.

Er war allerdings sowohl erstaunt als auch beunruhigt, als er Dr. Hess schon in seinem Laboratorium vorfand. Nicht nur wegen der möglichen ›Verseuchung‹ von Ort und Arbeitsgerät, sondern vor allem auch, weil sich ihm zwingend der Schluß aufdrängte, Hess müsse einen Weg gefunden haben, den Hüter der Schwelle zu besänftigen. Hess war also offenbar gefährlicher, als selbst Ware angenommen hatte.

»Wollen Sie uns alle umbringen?« fragte Ware ihn streng.

Hess wandte sich von dem Kreis ab, den er eben noch genau gemustert hatte, und sah Ware offen ins Gesicht. Er war bleich und hohläugig. Nicht nur hatte ihn und seine an sich schon hagere Gestalt das Fasten mitgenommen — damit mußte sich schließlich jeder Neophyte irgendwie abfinden —, sondern er hatte offenbar in letzter Zeit auch wenig geschlafen. Er sagte sofort:

»Nein, selbstverständlich nicht. Bitte entschuldigen Sie, Dr. Ware. Meine Neugierde ist einfach mit mir durchgegangen, fürchte ich.«

»Sie haben doch hoffentlich nichts angerührt?«

»Selbstverständlich nicht. Ich kann Ihnen versichern, daß ich Ihre diesbezügliche Warnung sehr ernst genommen habe.«

»Nun . . . dann ist wahrscheinlich auch nichts geschehen. Natürlich kann ich mich gut in Ihre Lage versetzen, ja, ich billige sogar Ihr großes Interesse bis zu einem gewissen Grad.

Aber ich werde Ihnen allen ja noch später am Tage genaueste Anweisungen geben müssen, und Sie haben dann auch genügend Zeit, sich alle Anordnungen und Vorbereitungen in Ruhe anzusehen. Ich möchte, daß Sie sie bis in die kleinste Kleinigkeit gut kennen. Aber jetzt muß ich selbst hier noch einiges erledigen, und, wenn ich Sie also bitten darf . ..«

»Selbstverständlich«, sagte Hess und ging gehorsam zum Tor. Als er eben dabei war, dessen Drücker zu berühren, sagte Ware noch:

»Übrigens, Herr Dr. Hess, wie haben Sie denn den Hüter der Schwelle überlistet?«

Hess tat nicht, als überrasche ihn diese Frage. »Mit einer weißen Taube und einem Taschenspiegel, den ich mir von Jack geliehen habe.«

»Hm. — Wissen Sie, darauf wäre ich selbst nie gekommen. Diese Reste heidnischer Tradition sind ja weitgehend nur eine Zeitverschwendung. Aber darüber möchte ich später noch gerne mit Ihnen sprechen. Kann sein, daß ich da von Ihnen etwas lernen kann.«

Hess machte eine kleine Verbeugung und ging. Ware vergaß ihn noch im gleichen Augenblick, starrte einen Moment lang den Großen Kreis an und ging diesem entlang im Sinne des Uhrzeigers zu seinem Lesepult. Dort schloß er das ›Buch der Bündnisse‹ auf. Auf jeder Seite sah man oben das Zeichen oder die Unterschrift eines Dämons. Darunter stand dann in der besonderen Tinte, die für derlei hohe Texte verwendet wurde — Galle, Vitriol und Gummiarabikum — der Wortlaut von Theron Wares besonderem Vertrag mit der betreffenden Wesenheit. Unten stand dann Wares Unterschrift in seinem eigenen Blute, sowie das Zeichen des Dämons in dessen eigener Hand. Allen anderen voran stand das Siegel und auch die Zeichen des LUCIFUGE ROFOCALE, die auch außen auf dem Deckel des Buches zu sehen waren:




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