3. Drei Schläfe

Es erfordert mehr Mut und Intelligenz, ein Teufel zu sein, als sich die Leute, die das Hörensagen der Erfahrung vorziehen, träumen lassen. Und nur der, der den Teufel in sich selbst zerstört hat, und zwar durch harte Arbeit (denn es gibt keinen anderen Weg), weiß, was ein Teufel ist, und was für ein Teufel er selbst sein könnte; er weiß aber auch, welch eine Armee für den Gebrauch des Teufels jene sind, die da glauben, die Teufel seien bloß Hirngespinste.

Aus dem BUCH DER SPRÜCHE von Tsiang Samdup




6


Pater Domenicos Unterredung mit Theron Ware war kurz, formell und nicht ohne eine gewisse Schärfe. Trotz all seiner Vorbehalte und seiner großen Besorgnis war der Mönch neugierig gewesen, wie der Magier wohl aussehen würde. Nun war er ganz unsinnigerweise enttäuscht, an ihm nur das Äußere irgendeines Intellektuellen wahrnehmen zu können. Mit Ausnahme der Tonsur natürlich. Wie Baines fand auch Pater Domenico das überraschend. Aber, zum Unterschied von Baines, fand er es auch beunruhigend, weil er den Grund dafür kannte — nicht etwa, daß Ware es auf eine Verspottung seiner frommen Gegenspieler abgesehen gehabt hätte, sondern weil Dämonen, wenn man einen Augenblick unachtsam ist, einen leicht beim Haar ergreifen und fortschleppen können. »Gemäß dem Alten Vertrag«, sagte Ware zu ihm in ausgezeichnetem Latein, »bleibt mir keine andere Wahl, als Sie zu empfangen. Unter anderen Umständen hätte ich mich wahrscheinlich sogar gefreut, Gelegenheit zu haben, mit Ihnen über unsere Kunst zu sprechen — obwohl wir ja einander entgegengesetzten Schulen angehören. Aber leider ist das jetzt für mich eine höchst unangenehme Zeit für einen derartigen Besuch. Wie Sie gesehen haben, habe ich einen sehr wichtigen Klienten hier, und man hat mich schon benachrichtigt, daß das, was er diesmal vorhat, außerordentlich groß angelegt ist.«

»Ich werde jedenfalls in keiner Weise dagegen auftreten«, sagte Pater Domenico, »selbst wenn ich es wollte — was sicherlich der Fall sein wird. Ich weiß genau, daß jegliche Einmischung mich um meinen ganzen Schutz bringen würde.«

»Ich war sicher, Sie würden dessen gedenken. Dennoch freut es mich zu hören, daß Sie es sagen«, meinte Ware. »Leider ist aber schon Ihre bloße Anwesenheit hier etwas, das mich in Verlegenheit bringt — nicht nur, weil ich sie meinem Klienten erst erklären muß, sondern auch, weil sie die Atmosphäre für meine Zwecke ungünstig beeinflußt und mir dadurch die Arbeit erschwert. Allen Gesetzen der Höflichkeit und Gastfreundschaft zum Trotz kann ich nur hoffen, daß Ihre Mission hier so bald als möglich abgeschlossen ist.«

»Es fällt mir schwer, die Schwierigkeiten zu bedauern, die Ihnen meine Anwesenheit offenbar bereiten wird. Ich wäre freilich noch froher, wenn ich Ihr infernalisches Projekt überhaupt verhindern könnte. Ich kann Ihnen also nicht mehr versprechen, als daß ich mich strikt an den Pakt halten werde. Was nun die Dauer meines Aufenthaltes anbelangt, so hängt diese völlig davon ab, was Ihr Kunde eigentlich will und wieviel Zeit die Ausführung seines Wunsches erfordert. Mein Auftrag ist, Anwesenheit und Beobachtung hier bis zum Abschluß des Projekts fortzusetzen.«

»Eine Belästigung ersten Ranges«, sagte Ware, »obwohl ich vielleicht dankbar sein sollte, daß mir diese Art von Aufmerksamkeit seitens Monte Albano nicht schon früher zuteil geworden ist. Offenbar ist das, was Mr. Baines vorhat, noch ein wesentlich größeres Ding, als er selbst glaubt. Ohne mein Hirn übermäßig anzustrengen, schließe ich daraus, daß Sie irgend etwas wissen, das ich noch nicht weiß.«

»Es wird eine ungeheure Katastrophe, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen.«

»Hm. Von Ihrem Standpunkt gesehen vielleicht, aber nicht notwendigerweise von meinem. Ich nehme an, Sie sind nicht vielleicht bereit, mir irgendwelche weiteren Aufschlüsse zu geben — sagen wir: um mich von der Sache abzubringen?«

»Ganz bestimmt nicht«, sagte Pater Domenico mit leiser Empörung. »Wenn die ewige Verdammnis Sie nicht schon längst von Ihrem unheilvollen Wege abgebracht hat, dann müßte ich ein Narr sein, mir einzureden, daß ich es nun vermöchte.«

»Schon gut«, sagte Ware, »aber es obliegt Ihnen doch immerhin die Heilung der Seelen, und wenn die Kirche nicht seit dem letzten Konzil wieder irgendeinen Purzelbaum geschlagen hat, so ist es doch sicherlich noch immer eine Todsünde, anzunehmen, irgendein Mensch sei mit absoluter Sicherheit verdammt — selbst ich.«

Das war ein stichhaltiger Einwand. Pater Domenico mußte es sich selbst zugeben; aber er war nicht umsonst von Jesuiten in Kasuistik geschult worden.

»Ich bin ein Mönch, nicht ein Weltpriester«, sagte er. »Und überdies würde jegliche Information, die ich Ihnen geben könnte, fast mit völliger Sicherheit dazu verwendet, dem Unheil seinen Lauf zu lassen, nicht aber, es zu verhindern. Unter diesen Umständen fällt mir die Entscheidung nicht schwer.«

»Dann darf ich Ihnen vielleicht noch eine etwas konkretere und praktischere Erwägung nahelegen«, sagte Ware. »Ich weiß zwar jetzt noch nicht, was Baines vorhat, aber eines weiß ich sehr gut: Ich selbst bin keine MACHT, sondern nur ein FAKTOR, ein ausübendes Organ. Ich will mich also auf nichts einlassen, das meine Fähigkeiten übersteigt.«

»Jetzt wollen Sie mich bloß beschwatzen«, sagte Pater Domenico energisch und ein wenig ungehalten. »Die Grenzen Ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten zu kennen ist nicht etwas, wobei ich — oder irgendein anderer — Ihnen helfen kann. Sie müssen all das einfach im Lichte der Ihnen von Mr. Baines gemachten Vorschläge erwägen, was immer sein Auftrag auch sein mag. Inzwischen werde ich Ihnen nichts sagen.«

»Gut denn«, sagte Ware und erhob sich, »so will also ich mit meinen Informationen etwas weniger geizen, Pater Domenico, als Sie mit den Ihren. Ich sage Ihnen jetzt noch einmal ganz klar und deutlich, daß es gut für Sie sein wird, den Pakt bis in die allerkleinste Einzelheit einzuhalten. Ein Schritt über die Grenze, ja, auch nur eine Zehe — und ich habe Sie — und kaum irgend etwas anderes auf Erden könnte mir größeres Vergnügen bereiten. Ich hoffe, ich habe mich nicht zu unklar ausgedrückt.«

Darauf fiel Pater Domenico keine Antwort ein; aber es bedurfte offenbar auch keiner.


7

Wie Ware bereits vorausgesehen hatte, war Baines tatsächlich durch die Anwesenheit des Mönches verwirrt und beunruhigt. Er kam bei ihrem Gespräch auch zuallererst auf Pater Domenico zu sprechen. Nachdem Ware den Auftrag des Mönches vom Weißen Berg erklärt hatte und auch den Pakt beschrieben hatte, nach dem eine solche Überwachung durch einen Beobachter möglich war, schien Baines allerdings etwas erleichtert.

»Einfach eine Belästigung, wie Sie ja schon sagten, da er nicht tatsächlich einschreiten kann«, faßte er seinen Eindruck zusammen. »In gewisser Hinsicht läßt es sich vielleicht damit vergleichen, daß ich Dr. Hess mit hierher gebracht habe. Auch er ist nur ein Beobachter, und er steht im Grunde wahrscheinlich Ihrer Weltanschauung ebenso ablehnend gegenüber wie dieser heilige Mann vom Monte Albano.«

»Nun, was das betrifft, so ist dieser ›heilige Mann‹ nicht wesentlich heiliger als Sie und ich«, sagte Ware mit leichtem Lächeln. »Auch ich weiß etwas, was er noch nicht weiß. In der nächsten Welt wartet seiner eine ganz schöne Überraschung. Aber wie immer dem auch sein mag, jetzt haben wir ihn jedenfalls auf dem Hals — wie lange, das hängt von Ihnen ab. Was wollen Sie also diesmal, Dr. Baines?«

»Zwei Dinge, wobei eines vom anderen abhängig ist. Das erste ist der Tod von Albert Stockhausen.«

»Dem Anti-Materie-Theoretiker? Das täte mir wirklich leid. Irgendwie habe ich ihn gern, und überdies ist ein Teil seiner Arbeit für mich von unmittelbarem Interesse.«

»Sie lehnen den Auftrag ab?«

»Nein, wenigstens nicht rundweg. Aber ich werde Ihnen jetzt die Frage stellen, die ich Ihnen für diesen Anlaß angekündigt habe. Worauf wollen Sie mit alledem hinaus?«

»Ach, auf etwas sehr Langfristiges und Weitgespanntes. Derzeit aber sind meine Todesabsichten für Dr. Stockhausen eine reine Geschäftsangelegenheit. Er knabbert an einem speziellen Wissensgebiet herum, für das meine Firma derzeit ein Monopol besitzt — ein Monopol, von dem wir nicht möchten, daß es in absehbarer Zeit gebrochen wird.«

»Meinen Sie denn wirklich, daß Sie etwas geheimhalten können, das auf Naturgesetzen basiert? Nach dem McCarthy-Fiasko sollte man doch meinen, daß ein intelligenter Amerikaner so etwas nicht mehr glaubt. Dr. Stockhausen kann sich doch wohl kaum mit irgendeiner technischen Kleinigkeit abgeben — mit etwas, gegen das sich Ihre Firma durch eine Reihe von Vorgangspatenten schützen könnte.«

»Nein, nein, es geht schon um etwas, das durch Naturgesetze bestimmt wird, und aus diesem Grunde ist es auch überhaupt nicht patentfähig«, gab Baines zu. »Und wir wissen auch sehr gut, daß sich so etwas auf die Dauer nicht verheimlichen läßt. Was wir aber unbedingt brauchen, ist eine


›Schonzeit‹ von etwa fünf Jahren, um die Sache für uns optimal auszunützen. Und wir wissen auch, daß — von unvorhersehbaren Zufällen abgesehen — außer Dr. Stockhausen niemand dem Problem und seiner Lösung auch nur nahe ist. Wir selbst haben unter unseren Leuten niemand vom Format Stockhausens. Wir sind eigentlich nur durch einen glücklichen Zufall .über die Sache gestolpert, und natürlich könnte das auch jemand anders tun — aber wir halten das für höchst unwahrscheinlich.«

»Ich verstehe. Nun . . . das Projekt hat auch eine anziehende Seite. Ich halte es für durchaus möglich, daß es mir gelingt, Pater Domenico davon zu überzeugen, dies sei das Projekt, zu dessen Beobachtung er hierher entsandt wurde. Natürlich ist es das nicht, denn ich habe schon viele ähnliche Aufträge durchgeführt, ohne bisher damit die Aufmerksamkeit von Monte Albano in diesem Maße erregt zu haben. Aber immerhin, wenn ich viel von den Vorbereitungen und den Schwierigkeiten der Durchführung hermache, kann ich ihn vielleicht täuschen, und er geht heim.«

»Das wäre wirklich sehr nützlich«, stimmte Baines zu. »Die Frage ist: Kann man ihn täuschen?«

»Es ist jedenfalls den Versuch wert. Dieser Auftrag ist ja auch wirklich schwer auszuführen — und sehr kostspielig.«

»Warum?« fragte Jack Ginsberg, der sich bei diesen Worten so plötzlich in seinem geschnitzten Florentiner Sessel aufsetzte, daß sein Anzug sich an der seidenen Polsterung rieb und ein quietschendes Geräusch von sich gab. »Bitte versuchen Sie nicht, uns zu erzählen, daß Tausende anderer von ihm abhingen. Soviel ich weiß, hat noch nie jemand für ihn Stimmen abgegeben.«

»Sei still, Jack.«

»Nein, wirklich, das ist doch eine durchaus vernünftige Frage«, sagte Ware. »Dr. Stockhausen hat eine große Familie, auf die ich Rücksicht nehmen muß. Und, wie ich Ihnen schon gesagt habe, ich habe bei einigen Anlässen in seiner Gesellschaft angenehme Stunden verbracht — zwar nicht angenehm genug, um den Auftrag überhaupt abzulehnen, aber doch angenehm genug, um den Preis hinaufzutreiben.

Das aber ist nicht das Haupthindernis. Es ist eine Tatsache, daß Dr. Stockhausen, wie heutzutage eine Menge anderer theoretischer Physiker, ein religiöser Mensch ist, und daß er überdies nur einige läßliche Sünden auf dem Gewissen hat — absolut nichts, was die besondere Aufmerksamkeit der Hölle auf ihn lenken könnte. Ich werde das natürlich noch durch einen Wissenden überprüfen lassen, aber noch vor sechs Monaten traf all das zu, und es sollte mich wundern, wenn sich daran seither etwas geändert hätte. Er gehört zwar keiner offiziellen Kirche oder Religionsgemeinschaft an, aber dennoch gehört er nicht zu jenen, die leicht von einem Dämon abgeholt werden. Es könnte also leicht sein, daß man ihn von anderer Seite gegen einen direkten Angriff verteidigen würde.«

»Erfolgreich?«

»Das hängt von den Kräften ab, die zu seinen Gunsten mobilisiert werden. Aber Sie wollen doch kaum eine regelrechte Schlacht riskieren, bei der halb Düsseldorf draufgeht?

Da wäre es schon wesentlich einfacher und billiger, ihm eine Bombe zu schicken.«

»Nein — alles, nur das nicht. Ich möchte auch nicht, daß etwas passiert, das wie ein Laboratoriumsunfall aussieht. Das wäre genau das, was alle Leute auf diesem Gebiet auf das aufmerksam machen würde, was wir mühselig verborgen halten wollen. Das ganze Geheimnis liegt darin, daß Stockhausen, wenn er erst einmal weiß, was wir wissen, eine größere Explosion mit — nun, sagen wir: dem Äquivalent einer Tafel und zwei Stückchen Kreide hervorrufen könnte. Gibt es irgendeine andere Methode?«

»Nun, da Menschen eben nur Menschen sind, gibt es immer einen anderen Weg. In diesem Falle jedoch müßte ich ihn erst in Versuchung führen lassen. Auf diesem Gebiet weiß ich wenigstens einen vielversprechenden Weg. Aber es ist auch möglich, daß er der Versuchung widersteht. Und selbst wenn er ihr unterliegt (wie ich annehme), so nimmt die Sache womöglich mehrere Monate und dazu auch noch meine ganze Aufmerksamkeit während dieser Zeit in Anspruch. Aber auch das ließe sich noch verkraften, um so mehr, als es sehr dazu beitragen würde, Pater Domenico irrezuführen.«

»Was würde das kosten?« fragte Jack Ginsberg.

»Oh — nun, sagen wir etwa acht Millionen. Diesmal ist das ein reines Erfolgshonorar, da ich dabei keine wesentlichen Spesen haben werde. Sollten dennoch größere Spesen entstehen, so bin ich bereit, sie nicht getrennt zu verrechnen, sondern aus dem Honorar zu decken.«

»Das ist aber nett von Ihnen«, sagte Jack. Ware nahm den lahmen Sarkasmus dieser Bemerkung nicht zur Kenntnis.

Baines setzte seinen vorsichtig-abschätzenden Gesichtsausdruck auf, aber innerlich war er außerordentlich zufrieden. Als weitere Probe von Wares Fähigkeiten war der Tod Dr. Stockhausens nicht so wichtig wie der von Gouverneur Rogan, hatte aber dafür den Vorzug, in einer ganz anderen gesellschaftlichen Sphäre zu liegen. Die Vorteile für Consolidated Warfare Service lagen klar genug zutage, so daß Baines kein vorgebliches Motiv zu erfinden brauchte, das Ware möglicherweise durchschaut hätte. In diesem Falle hätte es seitens Wares sicherlich verfrühte Fragen gegeben. Und schließlich waren die Einwände, die Ware erhoben hatte, zwar unerwartet, aber doch sonst durchaus im Einklang mit all dem gewesen, was der Magier schon vorher gesagt hatte. Im Einklang übrigens auch mit allem, was Ware zu sein schien, was sein Lebensstil ausdrückte — trotz der Tatsache, daß er offensichtlich ein höchst komplexer Mensch war.

Gut. Baines mochte Intellektuelle, die konsequent waren und sich selbst auch in unüblichen Situationen treu blieben. Er wünschte, er hätte mehr davon in seiner Firma. Wenn es wirklich um alles ging, stellte sich bei dieser Sorte Menschen nämlich heraus, daß sie in irgendeiner Weise Fanatiker waren. So boten sie ihm immer dann, wenn er es am dringendsten nötig hatte, einen großen und leicht manipulierbaren Angriffspunkt. Bei Ware war dieser Punkt bisher freilich noch nicht zu sehen, aber Baines würde ihn schon noch beizeiten erkennen. Dessen war er sich gewiß.

»Mir ist es das Geld wert«, sagte Baines, nachdem er anstandshalber mit seiner Entscheidung zwei Sekunden gezögert hatte. »Ich möchte Sie aber noch daran erinnern, Herr Doktor, daß die Anwesenheit von Dr. Hess bei den nötigen Prozeduren eine meiner Bedingungen ist. Ich möchte Sie bitten, ihm zu gestatten, Ihnen bei der Arbeit zuzusehen.«

»Bitte, gerne«, sagte Dr. Ware und lächelte wieder. Diesmal fand Baines sein Lächeln beunruhigend. Es schien irgendwie falsch, ja sogar salbungsvoll, und Ware hatte sich selbst viel zu gut in der Gewalt, als daß er nicht beabsichtigt hätte, daß diese Falschheit von Baines bemerkt wurde. »Ich bin überzeugt, er wird Spaß daran haben. Sie können, wenn Sie wollen, alle zusehen. Vielleicht lade ich sogar Pater Domenico dazu ein.«


8

Am nächsten Morgen war Dr. Hess pünktlich zur Stelle, um Wares Arbeitszimmer und Instrumentarium in Augenschein zu nehmen. Ware begrüßte ihn mit einem kurzen, kollegialen Nicken und führte ihn dann zu schweren Brokatvorhängen, die hinter seinem Schreibtisch hingen. Diese teilten sich, und ein massives, mit Messing beschlagenes Tor wurde sichtbar, das offenbar aus Zypressenholz gefertigt war. Unter den Beschlägen war auch ein Klopfer mit einem Gesicht, das der Maske der Tragödie glich — nur daß die Augen katzenartige Pupillen hatten.

Hess hatte gemeint, er sei bereit, alles wahrzunehmen und durch nichts überrascht zu werden, aber dennoch erschrak er, als sich der Gesichtsausdruck der Maske auf dem Türklopfer veränderte. Das geschah, als Ware den Klopfer berührte. Die Veränderung war gering aber dennoch unbestreitbar.

Offenbar hatte Ware seine Überraschung erwartet, denn er sagte, ohne Hess auch nur anzusehen: »Es ist zwar hier drin eigentlich nichts, das zu stehlen sich lohnte, aber wenn doch irgend etwas abhanden käme, würde es mich ungeheuer viel Arbeit kosten, es zu ersetzen, gleichgültig, für wie wertlos sich die Sache auch für den Dieb erweisen würde. Auch haben wir es hier mit dem Problem der ›Verseuchung‹ zu tun: Ein einziger Griff eines Unwissenden könnte die Arbeit von Monaten zunichte machen. In dieser Hinsicht gleicht mein Arbeitsraum einem Bakteriologie-Labor. Daher der Wächter.«

»Es leuchtet ein, daß es für die Werkzeuge und Gerätschaften Ihrer Kunst keine ›Lieferfirma‹ im landläufigen Sinne gibt«, stimmte ihm Hess zu, der sich nun wieder in der Gewalt hatte.

»Da haben Sie recht. Eine solche ›Firma‹ wäre nicht einmal theoretisch denkbar. Der OPERATOR muß alles, was er benötigt, selbst anfertigen. Das ist heute nicht mehr so leicht wie im Mittelalter, als die meisten gebildeten Männer noch die erforderlichen Fähigkeiten ganz selbstverständlich besaßen.«

Das Tor schwang auf, als seien seine Flügel von innen geöffnet worden — völlig geräuschlos. Erst sah man eine tief scharlachrote Düsternis, dann aber berührte Ware einen Schalter, und mit einem kurzen Rauschen, als ströme Wasser vom Felsen, flutete Sonnenlicht in den Raum.

Sofort konnte Hess sehen, warum Ware gerade diesen Palazzo gemietet hatte und nicht irgendeinen anderen. Der Raum, in dem er nun stand, war ein ungeheures Refektorium im Sieneser Stil und mochte in alten Tagen oft bis zu dreißig Adeligen als Bankettsaal gedient haben. In ganz Positano gab es wohl kein zweites, das auch nur halb so groß gewesen wäre, obwohl der Palazzo selbst eher kleiner war als manche andere. Hoch oben unter der Decke lief eine Reihe vertikal geteilter Fenster rings um den Saal, und die Sonne schien durch zwei Reihen solcher Fenster. Flankiert waren sie von paarweisen Vorhängen aus ungemustertem rotem Samt, die von Traversstangen herabhingen. Was Hess gehört hatte, war das Gleiten der sich öffnenden Vorhänge auf diesen Stangen gewesen, als Ware den Wandschalter betätigte.

Im Hintergrund des Saales gab es ein zweites Tor, breit und gleichfalls von Vorhängen verdeckt, das, wie Hess annahm, in eine große Speisekammer oder Küche führte. Links von dieser Tür war eine mittelgroße, moderne elektrische Esse und daneben ein Amboß, auf dem ein Hammer ruhte, der aussah, als würde ihn Ware kaum heben können. Auf der anderen Seite der Esse standen mehrere mit Gradeinteilungen versehene Wannen, die offenbar als Temper- und Abschreckbäder für das glühende Metall dienten.

Zur Rechten der Tür befand sich ein chemischer Laboratoriumstisch mit schwarzer, spiegelnder Platte, in der die üblichen Abwaschbecken eingelassen waren. Auch die sonstige Einrichtung samt allen Tüllen und Hähnen für Leuchtgas, heißes und kaltes Wasser, Vakuum und Druckluft war vollständig vorhanden. Ware mußte sich offenbar alle nötigen Druck- und Unterdruckpumpen selbst eingebaut haben. An der Rückwand über dem Arbeitstisch waren Regale mit Reagenzien, rechts an der Seitenwand gab es ganze Reihen von Trockenpflöckchen. Auf einigen hingen seltsam gewundene Glasgefäße, auf anderen wieder einige Rollen Gummischlauch.

Gleichfalls an dieser Wand, aber etwas näher, stand ein Lesepult, auf dem ein mächtiges Buch in rotem Ledereinband lag. Es war mit einer goldenen Spange über den Schnitt hin verschlossen. Auf dem Buch prangte ein Symbol in getriebenem Gold, aber auf die Entfernung konnte Hess nicht ausmachen, was es darstellte. Rechts und links des Lesepultes standen große Leuchter auf dem Boden, auf denen dicke Kerzen saßen. Diese waren offenbar schon viel gebraucht worden, obwohl es rings entlang den Wänden indirekte elektrische Beleuchtungskörper gab. Auf einem kleinen Schreibtisch in der Nähe des Lesepultes stand eine elektrische Tensor-Lampe. Auf diesem Tisch lag auch ein Buch, kleiner als das rote, aber beinahe ebenso dick. Hess erkannte es sofort: das Handbuch der Chemie und Physik, siebenundvierzigste Ausgabe, das so unvermeidlich in jedes Laboratorium gehörte wie Proberöhren. Gleichfalls auf dem Schreibtisch war eine Reihe von Federkielen und Tintenfässern.

»So, und jetzt können sie etwas von dem sehen, was ich vorhin -die erforderlichen Fähigkeiten nannte«, sagte Ware. »Natürlich verstehe ich mich aufs Glasblasen hinlänglich, um mir mein chemisches Arbeitsgerät weitgehend selbst herzustellen — aber das tut so mancher andere Chemiker auch. Aber im Falle ich zum Beispiel einmal ein neues Schwert brauche« — dabei wies er auf die elektrische Esse — »so muß ich es selbst schmieden. Ich kann nicht einfach in eine Kostümleihanstalt gehen und dort eins kaufen. Auch muß ich ein wirklich gutes Schwert schmieden können. Wie ein moderner Autor einmal irgendwo geschrieben hat: Das einzige wirklich brauchbare Symbol für ein scharfes Schwert ist ein scharfes Schwert.«

»Hm«, murmelte Hess und fuhr fort, sich in dem Saal umzusehen. An der linken Wand, gegenüber dem Lesepult, stand ein langer, schwerer Tisch, auf dem sauber eine ganze Menge länglicher Gegenstände ausgelegt waren, deren Länge zwischen etwa 15 Zentimeter und einem Meter schwankte und die alle ganz fest in rote Seide gewickelt waren. Auf den Einbänden waren Schriftzeichen zu erkennen, aber auch diese konnte Hess nicht entziffern. Neben dem Tisch war ein flacher Degenschrank an der Wand befestigt. Einige Stühle vervollständigten die Einrichtung. Offenbar setzte sich Ware bei der Arbeit nur selten. Den Boden bedeckte edles Parkett, und in der Mitte des Raumes sah man auf ihm noch immer halb verwischte Zeichen und Zeichnungen in farbiger Kreide. Als er das bemerkte, grunzte Ware ärgerlich.

»Die eingewickelten Instrumente sind alle vorbereitet, und ich würde sie lieber nicht bloßlegen«, sagte der Magier und schritt auf den Degenschrank zu, »aber ich habe natürlich immer eine ganze Garnitur von Reservewaffen zur Hand, und die kann ich Ihnen natürlich zeigen.«

Er öffnete die Tür des Schrankes und gab den Blick auf eine ganze Reihe von Klingen frei, die der Größe nach aufgehängt waren. Es waren insgesamt dreizehn. Einige waren ganz offenkundig Schwerter oder Degen, andere wieder sahen wie Ahlen und Schusterwerkzeuge aus.

»Auch die Reihenfolge, in der diese Waffen hergestellt werden, ist von Bedeutung«, sagte Ware, »denn, wie Sie sehen, tragen viele von ihnen Inschriften, und es macht einen Unterschied, mit welchem Instrument diese Inschrift hergestellt wird. Ich habe also mit einem unbeschriebenen Instrument begonnen — diesem hier: der Bolline oder Sichel, eines der am häufigsten gebrauchten Ritualinstrumente. Natürlich weichen die einzelnen Rituale voneinander ab. Das, nach dem ich vorgehe, erfordert, daß man mit einem Stück noch nie verwendeten Stahles anfängt. Dieser wird dreimal erhitzt und dann in einer Mischung aus Elsternblut und dem Saft eines ›Foirole‹ genannten Krautes gehärtet.«

»Das Grimorium Verum gibt Maulwurfsblut und den Saft der Pimpernelle als bestes Härtungsbad an«, bemerkte Hess.

»Ah, prächtig. Ich sehe, Sie haben sich in der Fachliteratur schon etwas umgesehen. Ich habe diese Mischung natürlich auch schon versucht, aber ich bekomme damit einfach keine so gute Schneide.«

»Ich finde, Sie könnten sicher eine noch bessere Schneide bekommen, wenn Sie das ganze Zeugs chemisch analysieren und herausbekommen, welche Verbindungen und Spurenelemente Sie brauchen und dann mit dieser Formel arbeiten«, sagte Hess.»Sie erinnern sich sicher daran, daß man Damaszenerstahl dadurch härtete, daß man die glühende Klinge einfach in einen Sklaven stieß. Das hat wohl die gewünschten Resultate gebracht, aber moderne Abschreckbäder sind eindeutig besser — und in Ihrem besonderen Fall müßten Sie nicht dauernd solche scheuen Tiere in größeren Mengen fangen müssen.«

»Die Analogie stimmt nicht ganz«, sagte Ware. »Sie hätten recht, wenn es hier nur um die Härtung von Stahl ginge, oder wenn es sich hier nur um eine Anwendung der Regel des Paracelsus handelte: Alterius non sit qui suus esse potest — man möge selbst tun, was man anderen nicht anvertrauen kann. In beiden Fällen ginge es um ein völlig praktisches Ziel, zu dem ich auch auf anderen Wegen gelangen könnte. In der Magie aber hat das Blutopfer noch eine andere Funktion — wir könnten sie die ›Härtung‹ nicht nur des Stahles, sondern auch des OPERATORS nennen.«

»Ich verstehe. Und ich nehme an, daß dies wohl auch einige symbolische Funktionen hat.«

»In der goetischen Kunst hat so gut wie alles Symbolbedeutung. Ebenso muß zum Beispiel, wie Sie vielleicht schon aus Ihrer Lektüre wissen, das Schmieden und Härten an einem Mittwoch erfolgen, und zwar entweder in der ersten oder der achten Tagesstunde oder aber in der dritten oder der zehnten Nachtstunde unter einem Vollmond. Auch hier dient eine Komponente einem unmittelbaren, praktischen Zweck — denn ich kann Ihnen versichern, daß die Planetenstunden tatsächlich ihren Einfluß auf das Erdengeschehen haben — der Rest aber hat psychologische Funktionen, nämlich die Pflege der Disziplin und des Gehorsams des OPERATORS bei jedem Schritt des Rituals. Die Grimoires und anderen Handbücher sind selbst im günstigsten Falle so wirr und widersprüchlich, daß man niemals genau wissen kann, welche Schritte wesentlich sind und welche nicht. Versucht man aber, die Zweifel durch Experimentieren zu lösen, so lebt man meist nicht sehr lange.«

»Schon gut«, sagte Hess. »Erzählen Sie bitte weiter.«

»Nun, als nächstes muß der Horngriff geformt und auf den Stahl gefaßt werden. Auch das muß zu einer ganz besonderen Stunde geschehen. Die abschließende Feinarbeit muß auch zu vorgeschriebenem Tag und entsprechender Stunde erfolgen. — Übrigens, da Sie früher ein anderes Härtungsbad erwähnt haben . . . Wenn Sie dieses Ritual verwenden, dann verschieben sich auch wieder Tag und Stunde. Und wieder stellt sich die Frage: Was ist essentiell und was nicht? Anschließend muß man eine Beschwörungsformel rezitieren, drei Salutationen und einen Abwehrzauber. Dann wird das Instrument besprengt, eingewickelt und beräuchert — nicht im modernen Sinn — ich will sagen: es wird parfümiert — und dann ist es gebrauchsfertig. Ist es einmal verwendet worden, so muß es entzaubert und neu geweiht werden. Das ist übrigens der Unterschied zwischen den eingehüllten Instrumenten dort auf dem Tisch und den Klingen, die hier im Schrank hängen.

Ich werde Sie nicht mit Einzelheiten über die Bereitung der anderen Instrumente langweilen. Jedenfalls fertige ich als nächstes die ›Feder der Kunst‹ an, darauf dann logischerweise die Tintenfässer und die Tinten, und ebenso logischerweise den Grabstichel. Die Federn liegen auf meinem Schreibtisch. Die Nadel in dem Heft hier ist der Grabstichel. Die übrigen Instrumente, wenn ich sie Ihnen anstatt in der Reihenfolge der Anfertigung lieber in der Folge nennen darf, wie sie hier hängen, sind das Messer mit dem weißen Griff, das — so wie die Sichel — beinahe ein Allzweck-Instrument ist. . . das Messer mit dem schwarzen Griff, das fast nur zum Umschreiben des Kreises verwendet wird . . . das Stilett, mit dem man vor allem die fürs Gerben verwendeten Holzmesser schnitzt ... den Stab oder den Sprengstock, der Name beschreibt ihn . .. die Lanzette — auch das versteht sich von selbst . .. der Krummstab, ein Lenkinstrument ähnlich dem Stab des Schäfers ... und schließlich die vier Schwerter, eins für den Meister und drei für seine Gehilfen, wenn er sich solcher bedient.«

Mit einem seitlichen, erlaubnisheischenden Blick neigte sich Hess vorwärts, um die Schrift auf den gravierten Instrumenten näher zu betrachten. Einiges davon war ganz leicht zu lesen. So etwa stand auf dem Schwert des Meisters das Wort MICHAEL auf dem Knauf, auf der Klinge aber war, in Richtung von der Spitze zum Heft, zu lesen: ELOHIM GIBOR. Andererseits aber war in die Klinge des Messers mit dem weißen Heft folgendes eingraviert:



Hess wies darauf und dann auf eine andere, aber gleichermaßen verwirrende und unleserliche Inschrift, die sich auf beiden Heftschalen des Stiletts, aber auch der Lanzette wiederholte:

»Was bedeuten diese Inschriften?«

»Bedeuten? Man kann wohl kaum sagen, daß sie heute noch etwas bedeuten. Es handelt sich um weitgehend korrumpierte hebräische Lettern, die ursprünglich verschiedene Gottesnamen bildeten. Ich könnte Ihnen sogar sagen, wie diese Namen einst lauteten, aber die Lettern haben längst keinen Sinngehalt mehr — sie müssen nur einfach da sein.«

»Aberglaube«, sagte Hess, und es fiel ihm dabei sein früheres Gespräch mit Baines ein, in dem er diesem Wares Bemerkung über Weihnachten interpretiert hatte.

»Absolut — im ursprünglichen Sinn des Wortes natürlich. Der Vorgang ist für die ›Kunst‹ so grundlegend wie, sagen wir, die Evolutionslehre und Entstehung der Arten für die Biologie. — Und wenn Sie sich nun hierher bemühen, möchte ich Ihnen noch Einblick in einige andere Aspekte gewähren, die Sie vielleicht interessieren dürften.«

Er ging voraus, diagonal durch den Saal, hinüber zum chemischen Arbeitstisch. Dabei hielt er kurz inne, um mit der Sohle seines Hausschuhs ärgerlich an den Kreidespuren auf dem Parkettboden zu reiben. »Es will mir scheinen, als würde eine moderne Übersetzung des Aphorismus von Paracelsus zitiert«, sagte er, »die lautet: >Man kann heutzutage eben kein gutes Personal mehr bekommene Jedenfalls nicht, um den Boden anständig aufzuwaschen und mit Mop und Scheuerlappen umzugehen . . . Nun, die meisten der Reagenzien hier werden Ihnen sicher vertraut sein, einige von ihnen aber sind doch außergewöhnlich und nur der ›Kunst‹ vorbehalten. Das hier zum Beispiel ist gegen Dämonen geweihtes Wasser, das ich — wie Sie sehen — in großen Mengen benötige. Anfangs muß es auf alle Fälle Flußwasser sein. Der ungelöschte Kalk ist fürs Gerben. Einige Laien, so zum Beispiel de Camp, behaupten, jungfräuliches Pergament< bedeute lediglich, Pergament, auf dem noch nie geschrieben wurde. Das stimmt aber nicht. Alle Grimorien stimmen darin überein, es müsse aus der Haut eines männlichen Tieres sein, das noch nie gezeugt hat, und die Clavicula Salomonis besteht sogar an einigen Stellen auf ›ungeborenem Pergament‹, das also etwa aus der Nachgeburt eines ungeborenen Kindes gefertigt sein muß. Fürs Gerben muß ich auch mein eigenes Salz mahlen, nachdem ich die üblichen Beschwörungsformeln darüber gesprochen habe. Die Kerzen, die ich verwende, müssen aus dem ersten Wachs gezogen sein, das man einem neuen Bienenstock entnommen hat — übrigens müssen auch meine Almadel (Wachspüppchen) aus diesem Material sein. Wenn ich Abbilder und Plastiken brauche, so muß ich sie aus Erde anfertigen, die ich mit bloßen Händen ausgegraben und ohne Zuhilfenahme von Werkzeug zu einer feinen Paste verknetet habe. Und so weiter und so fort.

Ich habe Besprengung und Beräucherung beziehungsweise Parfümierung erwähnt. Die Besprengung erfolgt mit einem Aspergill, einem Bündel Kräuter etwa, wie ein bouquet garni. Die Kräuter müssen je nach dem Ritus verschieden sein, und Sie können sehen, daß ich hier eine ganz schöne Auswahl habe — Minze, Majoran, Rosmarin, Verbena, Immergrün, Salbei, Baldrian, Äsche, Basilikum, Ysop. Bei der Beräucherung sind die am häufigsten verwendeten Duft- und Aromastoffe Aloe, Weihrauch, Muskatblüte, Benzoin oder Jawa-Weihrauch, Storax und so weiter. Auch ist es manchmal nötig, Gestank zu erzeugen — so zum Beispiel bei der Beräucherung einer Keimblase oder Nachgeburt —, und ich habe auch auf diesem Gebiet ein ganz stattliches Repertoire.«

Ware wendete sich abrupt ab, trat dabei beinahe auf Hess’ Zehen und schritt dem Ausgang zu. Es blieb Hess nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

»Alls bedarf besonderer Vorbereitungen«, sagte Ware über die Schulter hin, »selbst die Beschaffung des Brennholzes, wenn ich zum Beispiel die besondere Tinte für einen Pakt herstelle. Aber es hat wenig Sinn, wenn ich Ihnen das alles noch weiter aufzähle, da ich davon überzeugt bin, daß Sie nun das Prinzip der Sache verstehen.«

Hess eilte ihm nach, war aber immer noch einige Schritte hinter dem Magier zurückgeblieben, als die Samtvorhänge sich wieder schlössen und nun wieder nurmehr purpurne Düsternis herrschte. Ware hielt inne und wartete auf ihn. Im Augenblick, in dem Hess das Tor durchschritten hatte, schloß er es und ging zu seinem Sitz hinter dem großen Schreibtisch.

Verwirrt ging Hess um den Schreibtisch herum und setzte sich auf einen der Florentiner Sessel, die für Gäste oder Klienten reserviert waren.

»Außerordentlich lehrreich«, sagte er höflich. »Ich danke Ihnen.«

»Gerne geschehen.« Ware stützte seine Ellenbogen auf den Schreibtisch, legte die Fingerspitzen über seinen Mund und sah nachdenklich vor sich nieder. Leichter Schweiß stand ihm auf der Stirn und auf seinem rasierten Schädel. Er sah noch bleicher aus als gewöhnlich. Auch merkte Hess nach einem Augenblick, daß er ohne große Anstrengung bestrebt schien, seinen Atem zu lenken. Hess betrachtete ihn mit Wißbegierde, neugierig, was Ware so aufgeregt haben mochte. Schon nach ganz kurzer Zeit jedoch sah Ware auf und gab freiwillig und mit einem leichten, halben Lächeln die gewünschte Erklärung.

»Sie müssen schon entschuldigen«, sagte er, »aber von der Lehrlingszeit an übt man uns in striktester Geheimhaltung. Ich bin zwar völlig davon überzeugt, daß dies heutzutage nicht mehr nötig ist — und wohl auch schon seit dem Ende der Inquisition nicht mehr nötig war —, aber alte Schwüre und Gelöbnisse sind nun einmal am schwersten durch Vernunft und logische Argumente zu überwinden. Bitte halten Sie dies nicht für Unhöflichkeit.«

»Durchaus nicht«, versicherte ihm Hess, »aber wenn Sie jetzt vielleicht lieber ein wenig ruhen würden .. .«

»Nein, nein, ich werde in den nächsten drei Tagen mehr als genug Gelegenheit haben, mich auszuruhen, und werde übrigens in dieser Zeit auch von aller Welt abgeschlossen sein und mich auf Dr. Baines’ Auftrag vorbereiten. Wenn Sie also weitere Fragen haben, so wäre jetzt dafür die günstigste Zeit.«

»Nun, ich habe eigentlich keine technischen Fragen mehr — zumindest im Augenblick. Aber meine Neugierde richtet sich auf eine andere Frage, die Baines bei seinem ersten Zusammentreffen mit Ihnen an Sie gerichtet hat — ich brauche wohl nicht so zu tun, als hätte ich das damals aufgenommene Tonband nicht gehört. Genau wie er wüßte ich gerne, was Sie motiviert. Aus dem, was Sie mir gezeigt haben, kann ich ersehen, daß sie ein ungeheures Maß von Arbeit auf sich genommen haben, um sich in Ihrer ›Kunst‹ zu perfektionieren, und daß Sie unbedingt an diese glauben. Es spielt also für den Augenblick keine Rolle, ob ich an sie glaube, sondern nur, ob ich an Sie glaube oder nicht. Und Ihr Laboratorium ist kein Schwindel, ist nichts, das Sie einfach zur Täuschung und Erpressung Ihrer Klienten aufgebaut haben. Es ist offenkundig der Ort, an dem ein zielbewußter Mann an etwas arbeitet, das er für richtig und wichtig hält. Ich gebe es offen zu: Ich war gekommen, um Sie zu belächeln — und Sie, wenn mir dies gelänge, zu entlarven —, und ich kann auch jetzt noch nicht schlüssig sagen oder glauben, daß irgend etwas von dem, was Sie da tun, funktioniert — oder jemals funktioniert hat. Aber ich weiß, daß Sie es glauben.«

Ware nickte ihm halb zu. »Ich danke Ihnen. Fahren Sie bitte fort.«

»Ich kann jetzt nichts mehr sagen, sondern muß die grundsätzliche Frage stellen. Sie brauchen eigentlich kein Geld, Sie scheinen weder Kunstschätze zu sammeln noch Frauen, wollen auch nicht Präsident der Welt oder die geheime Macht im Schatten einer solchen Persönlichkeit werden — und doch haben Sie sich, nach Ihrem eigenen Glauben, der ewigen Verdammnis anheimgegeben, um in diesem höchst eigenartigen Fach ein wirklicher Experte zu werden. Warum in aller Welt haben Sie das getan?«

»Ich könnte dieser Frage natürlich leicht ausweichen«, sagte Ware langsam. »So könnte ich zum Beispiel darauf hinweisen, daß ich unter gewissen Umständen mein Leben bis auf etwa siebenhundert Jahre verlängern könnte und mich daher — wenigstens derzeit — noch nicht allzusehr darum zu sorgen brauchte, was mit mir in der nächsten Welt geschieht. Oder ich könnte auf etwas hinweisen, das Ihnen aus der einschlägigen Literatur sicher längst bekannt ist, nämlich darauf, daß jeder Magier im Grunde darauf hofft, letzten Endes die Hölle zu betrügen und dem Teufel zu entwischen — wie es auch übrigens einigen gelungen ist, die nun stolz als wirkliche Heilige ihren Platz im katholischen Kalender einnehmen.

In Wirklichkeit aber, Herr Doktor Hess, liegt die Erklärung darin, daß ich glaube, daß mein Ziel das Risiko wert ist. Mein Ziel aber, das, was ich suche, ist etwas, das Sie selbst sehr gut verstehen, und für das auch Sie an Dr. Baines Ihre Seele — oder, falls Sie ein etwas weniger beziehungsvolles Wort bevorzugen: Ihre Integrität — verkauft haben — Wissen !«

»Hm. Es muß aber doch sicher einfachere Wege geben —«

»Das glauben Sie doch selbst nicht! Sie vermuten vielleicht, daß es verläßlichere Wege gäbe — wie zum Beispiel wissenschaftliche Methodik —, aber Sie glauben doch nicht wirklich, daß die leichter sind. Ich selbst habe größten Respekt vor wissenschaftlicher Methodik, weiß aber gleichzeitig, daß sie mir die Art von Wissen, nach der ich suche, nicht bringen kann. Auch hier geht es um Wissen darüber, was das Universum ist und wie es funktioniert, aber nicht die Art von Wissen, die ich mir durch exakte Wissenschaft verschaffen kann; einfach deshalb, weil sich die Naturwissenschaften weigern anzunehmen, daß einige der Naturkräfte Personen sind. Nun trifft das aber in einigen Fällen zu. Und ohne mit diesen Personen in Kontakt zu treten, kann ich die Dinge, die ich wissen will, nie erfahren.

Meine Art der Forschung ist ebenso kostspielig wie der Bau und Betrieb eines riesigen Synchrotrons, Herr Doktor Hess, und es liegt auf der Hand, daß es mir nie gelingen würde, irgendeine Regierung dazu zu veranlassen, meine Arbeit zu finanzieren. Leute wie Dr. Baines aber können das, wenn ich ihrer genug finde — ebenso wie sie ja auch Sie finanzieren.

Schließlich werde ich möglicherweise für das, was ich gelernt habe, mit einem Juwel zahlen müssen, das mit keinem Geld der Erde zu erkaufen ist. Im Gegensatz zu Macbeth weiß ich, daß man das ›kommende Leben‹ nicht überspringen« kann. Aber selbst wenn’s dazu kommt — und wahrscheinlich wird’s dazu kommen —, so nehme ich mein Wissen mit mir, und es wird den hohen Preis wert sein.

Mit anderen Worten — wie Sie selbst ja schon geargwöhnt haben: Ich bin ein Fanatiker.«

Zu seiner eigenen langsam aufdämmernden Überraschung sagte Hess langsam: »Ja. — Ja, natürlich ... ich ja auch.«


9


Pater Domenico lag in einem ungewohnten Bett auf dem Rücken und starrte schlaflos zu der rosa Stuckdecke empor. Dies war die Nacht, deretwegen er gekommen war. Wares drei Tage des Fastens, der Reinigung und des Gebets — wahrhaftig eine blasphemische Parodie der von der Kirche vorgeschriebenen Riten, der Intention, wenn schon nicht dem Inhalt nach — waren vorbei, und er hatte erklärt, er sei nun bereit zu handeln.

Offenbar war er immer noch gesonnen, Baines und seinen beiden abstoßenden Handlangern zu gestatten, der Beschwörung beizuwohnen, aber wenn er je die Absicht gehabt hatte, auch Pater Domenico in die Zeremonie einzubeziehen, so hatte er sich inzwischen jedenfalls eines Besseren besonnen. Das war einerseits zwar enttäuschend, andererseits aber eine große Erleichterung. Pater Domenico hätte freilich an Wares Stelle auch nicht anders gehandelt.

Aber selbst hier, von der eigentlichen Arena des Geschehens ausgeschlossen und von allen schützenden Dingen umgeben, die er nur aufbieten konnte, konnte Pater Domenico jene Bedrückung spüren, die solchen unheilvollen Taten vorausgeht und die sich mit dem ›toten‹ Wetter vor einem Erdbeben vergleichen läßt. Knapp vor der Anrufung einer der himmlischen Mächte war stets eine ähnliche Stille und Spannung in der Luft, aber nicht mit diesen Oberschwingungen von Bösartigkeit und Katastrophe . . . oder hätte vielleicht jemand, der nicht wußte, was hier gespielt werden sollte, den Unterschied nicht wahrgenommen? Das war an sich schon ein beunruhigender Gedanke, aber jedenfalls ein Gedanke, den man ruhig Bischof Berkeley und den logischen Positivisten überlassen konnte. Pater Domenico wußte, was im Gange war — ein Ritual übernatürlichen Mordes. Es ließ ihn in seinem Bett erschaudern.

Irgendwo im Palazzo hörte man den silbernen Klang einer Standuhr, die fern und süß die Stunde schlug. Es war nun zehn Uhr nachts, die vierte Stunde des Saturn am Tage des Saturn, die Stunde also, die, wie selbst der untadelige und bemitleidenswerte Pietro de Abano schrieb, für Experimente des Hasses, der Feindschaft und der Auseinandersetzung die geeignetste war. Gemäß den Bestimmungen des ›Paktes‹ aber war es Pater Domenico nicht gestattet, auch nur für das Mißlingen des infernalischen Planes zu beten.

Die Uhr, diese beidhändige Maschine hinter der ›Schwelle‹, schlug, und schlug dann plötzlich nicht mehr. Ware zog die Brokatvorhänge zur Seite.

Bisher hatte sich Baines trotz allem in dem von einem Gürtel zusammengehaltenen weißen Leinengewand, das ihm Ware gegeben hatte und auf dessen Anlegung dieser bestanden hatte, etwas dumm gefühlt. Als er aber nun Jack Ginsberg und Dr. Hess gleichermaßen gewandet sah, wurde er etwas heiterer. Was Ware selbst anbetraf, so war sein Anblick entweder komisch oder furchterregend, je nachdem, wie man der ganzen magischen Prozedur gegenüberstand. Er trug einen weißen levitischen Überwurf, der auf der Brust mit roter Seide bestickt war. Seine weißen Lederschuhe waren mit Zinnober beschrieben, und seine Papierkrone zierte das Wort EL. Ein gut drei Zoll breiter Gürtel umschloß seine Hüften, der aus dem Fell irgendeines haarigen, löwenfarbenen Tieres gefertigt schien. In diesem Gürtel stak ein in rote Seide gehüllter Gegenstand, in dem Baines nach den Beschreibungen von Dr. Hess den ›Stab der Macht‹ zu erkennen glaubte.

»Und nun müssen wir uns rituell bekleiden«, sagte Ware beinahe flüsternd. »Dr. Baines, auf dem Schreibtisch liegen drei Kleidungsstücke. Nehmen Sie eines davon, dann noch eines und wieder eines. Reichen Sie zwei davon Dr. Hess und Mr. Ginsberg. Das dritte ziehen Sie selbst an.«

Baines griff in das Stoffbündel und hob ein Gewand auf. Es war eine Alba.

»Nehmt eure Roben und haltet sie in euren Händen über euren Häuptern. Wenn ihr das ›Amen‹ hört, laßt sie herabfallen. Nun:

»ANTON, AMATOR, EMITES, THEODONIEL, PONCOR, PAGOR, ANITOR, im Namen dieser hochheiligen englischen Anrufungen, den Namen der Himmlischen, kleide ich mich, o Herr der Herren, in meine Rohen der Macht, so daß ich, innerhalb der Bedingungen des Paktes, alles zu erfüllen vermag, was ich wünsche, durch Dich, IDEODANIACH, PAMOR, PLAIOR, Herr der Herren, dessen Königreich und Herrschaft währet von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.«

Die Alben raschelten hernieder, und Ware öffnete das Tor.

Der Raum, der jenseits lag, war von gelbem Kerzenlicht nur spärlich erleuchtet und ähnelte zunächst nicht im geringsten dem von Dr. Hess beschriebenen Saal. In dem Maße, in dem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, konnte Baines aber allmählich erkennen, daß es doch der gleiche Raum war. Allerdings waren seine Umrisse jetzt kaum sichtbar und sein Mobiliar anders angeordnet: Man hatte nur das Lesepult und die bodenhohen Leuchter — deren es jetzt vier statt nur zwei gab — von der Wand zur Mitte gerückt, und daher waren sie mehr oder minder deutlich sichtbar.

Alles war aber immer noch sehr verwirrend, ein Durcheinander von flackernden Schatten und leicht Übelkeit erregendem Parfüm — und glich durchaus nicht der Blaupause, die Baines im Geiste nach der Zeichnung Dr. Hess’ von diesem Saal entworfen hatte. Was den Raum selbst völlig beherrschte, war übrigens auch eine Zeichnung, nicht irgendein Möbelstück oder architektonisches Detail. Es war ein riesiger Doppelkreis am Boden, der mit weißer Tünche gemalt zu sein schien. Zwischen die beiden konzentrischen Kreise war eine Unzahl von Worten geschrieben, oder Reihen von Zeichen, die wie Worte aussahen, wobei die Schriftzeichen, was Baines anlangte, ebensogut hebräisch, griechisch, etruskisch oder gar elfisch sein mochten. Einige wenige waren mit Lateinbuchstaben geschrieben, aber auch sie bildeten Namen, die Baines nicht erkannte. Um die Außenseite des äußeren Kreises herum waren astrologische Zeichen in der Tierkreisordnung geschrieben, doch stand Saturn hier im Norden.

Im absoluten Mittelpunkt dieser Figur befand sich ein durch Linien unterteiltes Quadrat. Von jeder seiner Ecken entsprang ein mit Kreide gezeichnetes stilisiertes Kreuz, das durchaus nicht christlich aussah. Die Seitenlänge des Quadrats mochte etwa einen halben Meter betragen. Von den vier Kreuzen ausgehend, aber mit diesen nicht verbunden, sah man vier sechszackige Sterne, die sich dem Inneren der beiden konzentrischen Kreise näherten. Den Sternen im Osten, Westen und Süden war jeweils ein Tau eingeschrieben. Das war wahrscheinlich auch bei dem saturnwärts gerichteten Stern der Fall, aber man konnte es nicht sehen, weil das Innere dieses Sterns von etwas bedeckt war, was wie eine fette Pfütze aus glattem Katzenfell aussah.

Außerhalb der Kreise waren in den vier Windrichtungen vier Pentagramme gezeichnet, in denen, entlang den Linien des eingeschriebenen Fünfecks, die Silben TE TRA GRAM MA TON zu lesen waren. Im Mittelpunkt jedes dieser Pentagramme stand eine Kerze. Am weitesten von alldem entfernt — etwa einen halben Meter außerhalb des Kreises und einen Meter nach Norden hin — befand sich ein kleinerer Kreis, der von einem Dreieck umschlossen war. Auch dieser war innen und außen reich beschrieben. In den drei Winkeln des Dreiecks konnte Baines NI CH EL lesen.

»Tanisten«, flüsterte Ware und deutete in den Kreis, »nehmt eure Plätze ein.«

Er selbst schritt auf den langen Tisch zu, den Hess beschrieben hatte, und verschwand in der Düsterkeit, die dort herrschte. Baines ging, wie es ihm befohlen war, in den Kreis und stellte sich in den westlichen Stern. Hess folgte ihm und postierte sich im östlichen. Darauf kroch Ginsberg sehr langsam in den südlichen. Im Norden drehte sich die Fellpfütze einmal entgegen dem Uhrzeigersinn um die eigene Achse und ließ sich dann wieder mit einem beunruhigenden Seufzer nieder. Ginsberg zuckte zusammen. Mit kleiner Verspätung sah nun auch Baines hin. Wahrscheinlich war es nur eine Katze, wie es der magischen Überlieferung entsprach, aber das Biest hier sah eher wie ein fetter Dachs aus. Was immer es aber auch sein mochte, es war einfach obszön dick.

Jetzt erschien Ware wieder im Lichtkreis. Er trug ein Schwert. Er trat in den Kreis und schloß diesen wieder symbolisch mit der Spitze des Schwertes. Dann ging er zu dem Quadrat in der Mitte und legte dort das Schwert über die Zehen seiner weißen Schuhe. Dann zog er den Stab aus dem Gürtel und wickelte ihn aus der Seide. Das rote Seidengewebe legte er sich um die Schultern.

»Von nun ab«, sagte er mit ruhiger Alltagsstimme, »darf sich niemand mehr bewegen.«

Irgendwoher aus den Falten seiner Kleider brachte er einen kleinen Schmelztiegel zum Vorschein, den er neben dem liegenden Schwert zu seinen Füßen hinstellte. Sofort begannen kleine, blaue Flammen aus der Schale zu hüpfen, in die Ware nun Räucherwerk warf. Er sagte:

»Brandopfer. Brandopfer. Brandopfer.«

Die Flammen in der Räucherpfanne wurden etwas größer.

»Wir wollen nun MARCHOSIAS anrufen, einen großen Marquis der absteigenden Hierarchie«, sagte Ware im gleichen ruhigen Plauderton wie vorhin. »Ehe er fiel, gehörte er zum Orden der Beherrschungen unter den Engeln, und er hofft, nach zwölfhundert Jahren zu den Sieben Thronen zurückzukehren. Seine Tugend besteht darin, daß er wahrhaftige Antwort gibt. Steht fest, ihr alle!«

Mit einer plötzlichen Bewegung steckte Ware das Ende seines Stabes in die Flammen, die aus der Räucherpfanne züngelten. Im gleichen Augenblick hallte die Luft im Saale von einer Reihe langer, unsäglich peinvoller Schmerzenslaute wider. Über das tierische Geheul weg rief Ware mit lauter Stimme:

»Ich beschwöre dich, großer MARCHOSIAS, als den Diener des Kaisers LUZIFER und seines geliebten Sohnes LUCIFUGE ROFOCALE, unter Berufung auf die Macht, die mir der Pakt mit dir gibt, und im Namen des ADONAY, ELIOM, JEHOVAM, TAGLA, MATHON, ALMOUZIN, ARIOS, PITHONA, MAGOTS, SYLPHAE, TABOTS, SALAMANDRAE, GNOMUS, TERRAE, COELIS, GODENS AQUA und im Namen der ganzen Hierarchie höherer Wesenheiten, die dich auch gegen deinen Willen zwingen werden, venite, venite, submiritillor MARCHOSIAS!«

Der Lärm wurde lauter, und grüner Dampf begann von der Räucherpfanne aufzusteigen. Es roch, als verbrenne jemand Hirschhorn und Fischgalle. Aber sonst gab es keine Antwort. Nun war sein Gesicht weiß und grausam, als Ware den Tumult überkrächzte:

»Ich beschwöre dich, MARCHOSIAS, getreu dem Pakte, und unter den Namen, erscheine augenblicklich!« Er stieß den Stab ein zweites Mal in die Flammen. Der ganze Raum brüllte auf; aber immer noch manifestierte sich keine Erscheinung.

»Jetzt beschwöre ich dich, LUCIFUGE ROFOCALE, dem ich gebiete, als den Diener des Herrn und Kaiser der Herren, schicke mir deinen Boten MARCHOSIAS; zwinge ihn, sein Versteck zu verlassen, wo immer es auch sei, und ich warne dich —«

Wieder stieß der Stab ins Feuer, und im gleichen Augenblick erbebte der ganze Palazzo, als hätte die Erde sich unter ihm bewegt.

»Steht fest!« sagte Ware mit heiserer Stimme.

Etwas anderes sagte:

STILL, ICH BIN HIER. WAS WÜNSCHEST DU VON MIR? WARUM STÖRST DU MEINE RUHE? LASS MEINEN VATER IN FRIEDEN UND ZÜGLE DEINEN STAB.

Noch nie in seinem ganzen Leben hatte Baines so eine Stimme gehört. Sie schien in Silben aus brennender Asche zu sprechen.

»Wärst du erschienen, als ich dich zuerst beschwor, hätte ich dich weder geschlagen noch gepeinigt, noch deinen Vater angerufen«, sagte Ware. »Bedenke: Wenn du mein Gebot, das ich jetzt dir auftragen werde, ablehnst, dann stoße ich meinen Stab wieder ins Feuer.«

DENK – UND SIEH ZU, WAS GESCHIEHT!

Wieder schauderte der ganze Palazzo. Dann erhob sich aus der Mitte des Dreiecks im Nordwesten eine langsam aufschwebende Wolke gelblichen Dampfes. Sie erhob sich zur Decke, und alle — sogar Ware — mußten husten. Als sie sich ausbreitete und dünner wurde, konnte Baines sehen, wie sich unter ihr eine Gestalt bildete; aber er konnte seinen Augen kaum glauben. Es war — es war etwas wie eine Wölfin, grau und unheimlich, mit grünen glitzernden Augen. Eine kalte Welle ging von der Erscheinung aus.

Die Wolke breitete sich immer weiter aus. Die Wölfin starrte sie der Reihe nach an und breitete langsam ihre Greifenschwingen aus. Ihr Schlangenschwanz zuckte schuppig hin und her.

»Steh, beim Siegel«, sagte Ware, »steh und verwandle dich, oder ich stoße dich in den Abgrund zurück, aus dem du kamst. Ich befehle es dir!«

Die Wölfin verschwand und hinterließ im Dreieck einen etwas fülligen, bescheiden aussehenden jungen Mann, der eine dezente Krawatte und einen beinahe ebensolangen künstlichen Penis umgebunden hatte, sonst aber keine Kleider trug. »’Tschuldigen, Chef«, sagte er mit zuckersüßer Stimme, »ich mußte es wenigstens mal versuchen, nicht wahr? Was ist denn los?«

»Versuche nicht, mich zu beschwatzen, du Ausgeburt der Dummheit«, sagte Ware streng. »Verwandle dich, das gebiete ich dir. Du vergeudest die Zeit deines Vaters und auch die meine! Ändere die Form!«

Der junge Mann streckte Ware die Zunge heraus. Sie war kupfergrün. Einen Augenblick später befand sich in dem Dreieck ein etwa doppelt so alter Mann mit schwarzem Bart. Er trug einen waldgrünen, mit Hermelin verbrämten Mantel und auf dem Haupt eine glitzernde Krone. Baines Augen schmerzten, als er versuchte, sie anzusehen. Langsam begann sich im Saal der Geruch von Sandelholz auszubreiten.

»So gefällst du mir besser«, sagte Ware zu der Erscheinung. »Nun beauftrage ich dich, bei den Namen, die ich genannt habe und unter Androhung jener Martern, die du bereits kennengelernt hast, das Ebenbild und die Domäne jenes Sterblichen zu betrachten, dessen Idee und Gedankenbild sich jetzt in meiner Vorstellung befindet. Sobald ich dich entlasse, begibst du dich unverzüglich zu ihm, läßt ihn dich aber nicht wahrnehmen, sondern enthüllst ihm, so als komme dies aus seiner eigenen intellektuellen Geist-Seele, eine Vision und das Verstehen des großen und letztlichen Nichts, das hinter all jenen Zeichen steht, die er Materie und Energie nennt. Du wirst sehen, daß ihm vor der Vorahnung dieses Nichts schon die ganze Zeit graute; und du wirst bei ihm bleiben und ohne Unterlaß seine Verzweiflung so sehr steigern, bis er seine Seele um ihrer nichtigen Bemühungen willen verachten lernt und in dieser Erkenntnis das Leben seines Leibes vernichtet.«

»Ich kann dir nicht geben«, sagte die gekrönte Gestalt mit tiefer Stimme, der aber jede Resonanz fehlte, »was du von mir forderst.«

»Die Weigerung wird dir nichts nützen«, sagte Ware, »denn entweder gehst du augenblicklich und vollbringst, was ich dir befahl, oder ich werde dich nicht entlassen, sondern dich bis zum Ende meines Lebens hier behalten und dich täglich quälen und foltern, wie es dein Vater erlaubt.«

»Dein ganzes Leben, und währte es auch siebenhundert Jahre, ist für mich nur wie ein Tag«, antwortete die gekrönte Gestalt. Während sie noch sprach, flogen Funken aus ihren Nüstern, »und deine Qualen erscheinen mir Kinderspiel, verglichen mit denen, die ich erduldet habe, seit das Ei des Kosmos ausgebrütet und Eva erfunden wurde.«

Zur Antwort stieß Ware einfach den Stab ins Feuer. Baines fiel benommenen Sinnes auf, daß dieses den Stab nicht einmal versengte. Der Gekrönte aber warf sein bärtiges Haupt in den Nacken und heulte verzweifelt auf. Ware zog den Stab zurück — aber nur um Handbreite.

»Ich werde tun, wie du befiehlst«, sagte die Erscheinung verstockt. Haß schien von ihr auszuströmen wie glühende Lava.

»Wird die Tat nicht genau nach meinem Geheiß ausgeführt, so rufe ich dich wieder auf«, sagte Ware. »Ist sie aber ausgeführt, so darfst du zum Lohne den unsterblichen Teil der Person mit dir forttragen, die du in Versuchung führst. Diese Seele ist noch vor den Augen des Himmels makellos und ist von unschätzbarem Wert.«

»Und doch ist sie nicht genug«, sagte der Dämon, »denn auch du mußt mir etwas von deinem Hort geben, wie es im Pakt geschrieben steht.«

»Spät nur erinnerst du dich des Paktes«, sagte Ware, »aber ich will gerecht an dir handeln, wissender Marquis. — Hier!«

Dabei griff er in seine Gewandung und zog etwas Winziges und Farbloses hervor, das im Kerzenlicht kurz aufblinkte. Erst meinte Baines, es sei ein Diamant, aber als Ware es hochhielt, erkannte Baines, daß es eine opalisierende, kristallene Tränenvase war — die winzigste, die er jemals gesehen hatte, Verschluß und Inhalt mit einbegriffen. Dieses kostbare Gefäß warf Ware nun aus dem Kreis heraus der dampfumwallten Gestalt zu. Zu Baines neuerlichem Erstaunen — denn er hatte inzwischen vergessen, daß sich dieses Wesen ja ursprünglich als Tier manifestiert hatte — fing der Gekrönte das Tränenkrüglein geschickt mit dem Munde auf und verschluckte es.

»Du gibst MARCHOSIAS nur, was seinen Durst noch größer macht«, sagte die Erscheinung. »Habe ich dich erst einmal in der Hölle, Magier, so will ich dich leertrinken, bis du ganz verdorrt und trocken bist, mögen dann deine Tränen auch noch so reichlich fließen.«

»Deine Drohungen sind leer. Ich bin dir nicht bestimmt, solltest du mich auch dereinst in der Hölle sehen«, sagte Ware. »Genug, undankbares Ungeheuer. Hör auf mit deinem unsinnigen Geschwätz und mach dich lieber an die Ausführung deines Auftrags. Ich entlasse dich hiermit!«

Der Gekrönte knurrte und verwandelte sich dann plötzlich in die Gestalt, in der er sich zuerst gezeigt hatte. Diese erbrach eine große Flammenzunge, aber die Lohe durchdrang die Wand des Dreiecks nicht. Statt dessen sammelte sie sich wie ein Kugelblitz um den Dämon selbst. Dennoch konnte Baines im Gesicht die von der Erscheinung abgestrahlte Hitze fühlen.

Ware hob seinen Stab.

Innerhalb des kleinen Kreises verschwand der Fußboden. Die Erscheinung schlug die ehernen Schwingen zusammen und stürzte in die Tiefe wie ein Stein. Mit einem furchtbaren Donnerschlag war der Boden plötzlich wieder fugenlos heil.

Dann herrschte Stille. Das Klingen in Baines Ohren klang ab, und ein fernes Geräusch wurde für ihn hörbar. Es klang, als hätte jemand draußen auf der Straße vor dem Palazzo ein Auto mit laufendem Motor abgestellt. Dann erst kam ihm zu Bewußtsein, was es war: Die riesige Katze schnurrte. Sie hatte den Vorgängen mit wenig mehr als ernstem Interesse zugesehen. Das hatte offenbar auch Hess getan. Ginsberg schien nervös und zittrig, aber er hielt sich tapfer. Obwohl er noch nie gesehen hatte, daß irgend etwas Jack aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, konnte Baines es ihm nicht verargen. Er selbst fühlte Übelkeit und Schwindel, als wäre die bloße Anstrengung, MARCHOSIAS von Angesicht zu sehen, damit zu vergleichen, als klimme man tagelang irgendeinen Gletscher des Himalaja hinan.

»Es ist vorbei«, flüsterte Ware. Seine Worte waren wie Asche. Er sah plötzlich sehr alt aus. — Dann nahm er sein Schwert auf und durchschnitt damit das Diagramm. »Nun müssen wir warten. Ich werde zwei Wochen lang in Abgeschiedenheit verharren. Dann treffen wir einander wieder. Der Kreis ist offen. Ihr könnt gehen.«

Pater Domenico hatte den Donnerschlag vernommen, fern und gedämpft allerdings, und doch wußte er, daß die ›Aussendung‹ vollzogen war. Und er wußte auch, daß es ihm, wie schon vordem, verboten war, auch nur für die Seele des Opfers zu beten (oder des ›Patienten‹, um bei Wares aseptischer aristotelischer Terminologie zu bleiben). Er setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. In der schwülen, unheilträchtigen Luft fiel ihm das Atmen schwer. Unsicheren Schritts ging er zu seiner Reisetasche und öffnete sie.

Warum — das war die Frage — hatte Gott seine Hände gebunden, warum ließ Er einen Kompromiß wie den ›Pakt‹ überhaupt zu? Dieser ließ zumindest etwas wie eine Einschränkung Seiner Macht ahnen, etwas nach dem strengen Dogma der Allmacht Gottes völlig Undenkbares. Dabei war es ja schon Sünde, dieses Dogma auch nur anzuzweifeln. Im schlimmsten Falle aber wies der ›Pakt‹ auf irgendeine Zweideutigkeit Seines Verhältnisses zur Hölle hin — etwas also, das völlig außerhalb der offenbarten Antworten auf die Frage des Bösen in der Welt stand.

Die letztere Annahme war zu fürchterlich, als daß man darüber auch nur nachdenken konnte. Vielleicht war dieser Einfall überhaupt nur durch die fürchterliche Atmosphäre in diesem Palazzo zustande gekommen. Jedenfalls wußte Pater Domenico sehr gut, daß er derzeit weder in der geistigen noch in der gefühlsmäßigen Verfassung war, sich damit auseinanderzusetzen.

Was er aber möglicherweise mit Nutzen untersuchen konnte, war eine relativ untergeordnete, aber doch mit dem Komplex verbundene Frage: War das Böse, das eben vollbracht worden war, jenes Böse, zu dessen Beobachtung Pater Domenico entsandt worden war? Unmittelbar besehen, sprachen alle Gründe dafür. — War dies aber der Fall, dann konnte, sich Pater Domenico morgen heim auf den Weißen Berg begeben — mitgenommen zwar, aber doch immerhin rekonvaleszent.

Andererseits aber war es möglich — schrecklich zwar, aber in einer gewissen Hinsicht auch hoffnungspendend —, daß man Pater Domenico an den Schlund der Hölle beordert hatte, um auf das Erscheinen etwas noch weit Schlimmeren zu warten. Darin läge nämlich dann auch die Erklärung dafür, daß Wares letzte Unternehmung, so schrecklich sie auch alle waren, für Ware eigentlich nichts Ungewöhnliches darstellte. Und wichtiger noch: Das würde erklären — wenigstens teilweise erklären —, warum der ›Pakt‹ überhaupt bestand. Um mit Tolstoi zu sprechen: »Gott sieht die Wahrheit, aber Er wartet.«

Und das war wenigstens eine Frage, über die Pater Domenico nicht bloß nachzudenken brauchte, sondern die er dem Rat Gottes vorlegen konnte — aktiv, hier und.jetzt, solange er nur keine ›Mächte‹ aufrief. Diese Beschränkung aber konnte ihn nicht hindern. Wozu war er denn ein Magier, wenn er nicht in seinen Taten so geschickt und vorsichtig sein konnte wie mit Worten?

Das Tintenfaß, die Gänsekielfeder, das Lineal, drei verschiedene Scheiben aus jungfräulichem Karton (etwas, das gar nicht so leicht zu bekommen ist) und der eingewickelte Grabstichel — all das entnahm Pater Domenico seiner Reisetasche und legte es fein säuberlich auf die Platte seines Ankleidetisches, die ihm auch als Schreibtisch gute Dienste leisten würde. Die Kartonscheiben beschriftete er sorgfältig mit drei verschiedenen Skalen: die A Camerae (oder Kammern) der sechzehn göttlichen Eigenschaften von bonitas bis patientia; die T Camerae der dreißig gegenständlichen Eigenschaften von temporis bis negatio; und schließlich die E Camerae der neun Fragen von Ob bis Wie groß. Er stieß mit dem Grabstichel durch die Mitte aller drei Scheiben ein Loch, heftete sie mit einem Manschettenknopf zusammen und besprengte die so verfertigte Lull’sche Maschine mit Weihwasser aus seiner Reisetasche. Über sie sprach er dann die Worte:

»Ich beschwöre dich, o Gestalt dieses Instrumentes, mit der Autorität Gottes, des allmächtigen Vaters, und auf Grund der Eigenschaften des Himmels und der Sterne, jenen der Elemente, jenen der Steine und Kräuter, und gleichermaßen der Schneestürme, des Donners und der Winde, und schließlich auch auf Grund der Ars magna, in deren Gestalt du gezeichnet bist, daß du alle Macht erhalten mögest, die zur Vollbringung jener Taten und Dinge nötig ist, an deren Vervollkommnung uns gelegen ist — all das ohne Täuschung, Schwindel oder Verfälschung, nach dem Gebot Gottes, des Schöpfers der Engel und Kaisers aller Zeiten. DAMAHIL, LUMECH, GADAL, PANCIA, VELOAS, MEOROD, LAMI-


DOCH, BALDACH, ANERETHON, MITRATON, alierheiligste Engel, seiet ihr Hüter dieses Instruments. Domine, Deus meus, in te speravi . . . Confitebor tibi, Domine, in toto corde meo . . . Quemadmodum desiderat cervus ad fontes aquarum . . . Amen.«

Nachdem er dies gesprochen hatte, nahm Pater Domenico die ›Maschine‹ auf und verdrehte die einzelnen Scheiben gegeneinander. Lulls große Kunst war nicht leicht zu handhaben. Die meisten der möglichen Kombinationen einer Gruppe von Scheiben hatte triviale Bedeutung. Man brauchte Verstand, um zu erkennen, welche davon wichtig, und tiefen Glauben, um zu sehen, welche davon göttlich inspiriert waren. Dennoch hatte diese Kunst gegenüber allen anderen Formen der metaphysischen Befragung einen unschätzbaren Vorteil: strenggenommen war sie keine Art von Magie.

Er drehte die Scheiben wie zufällig die vorgeschriebene Anzahl von Malen, griff dann die äußerste am Rande und schüttelte sie nach allen vier Himmelsrichtungen. Er fürchtete beinahe, das Ergebnis anzusehen.

Aber schon bei diesem ersten Versuch hatte die Maschine folgendes hervorgebracht:

GEDULD/WERDEN/WIRKLICHKEIT

Es war die Antwort, die er ebenso sehr erwartet wie gefürchtet hatte. Und es war auch, dessen wurde er sich mit Bestürzung bewußt, die einzige Antwort, die er am Weihnachtsabend erwarten konnte.

Er versorgte die ›Maschine‹ und sein ›Werkzeug‹ wieder in seiner Reisetasche und kroch todmüde ins Bett. — In seinem gegenwärtigen Zustand von Übermüdung und Unruhe hoffte er eigentlich nicht auf Schlaf . . . aber ehe Irtan noch hätte die Sanduhr zweimal kehren können, hatte er die gegenständliche Welt der Phänomene schon verlassen und träumte statt dessen, er fliehe — wie Gerbert, der Papst und Magier — das Heilige Amt, auf einem Teufel durch die Winde reitend. . .


10


Wares Erholungspause währte nicht ganz so lange, wie er vorhergesagt hatte. Schon um Dreikönig war er wohlauf und munter. Zu diesem Zeitpunkt war Baines durch die lange Untätigkeit bereits völlig zermürbt — obwohl nur Jack Ginsberg, der die Anzeichen dafür kannte, es ihm anmerkte. Jack mußte ihn daran erinnern, daß ja auf alle Fälle mindestens zwei Monate vergehen würden, ehe man den Selbstmord Dr. Stockhausens günstigstenfalls erwarten konnte. Er schlug also vor, daß sie inzwischen alle nach Rom zurück und an die Arbeit gehen sollten.

Baines lehnte den Vorschlag ab. Was immer ihn auch bedrücken und beschäftigen mochte, mit Consolidated Warfare Service hatte es höchstens am Rande etwas zu tun . . . Jedenfalls konnte ihn der Gedanke an die Firma gerade noch soweit ablenken, daß er jeden Tag einige unbedingt nötige Telefongespräche führte.

Auch dieser Priester oder Mönch, oder was er eben war, Pater Domenico, war immer noch im Palazzo. Offenbar hatte ihn das grausige Schauspiel nicht getäuscht. Nun, das war wohl Wares Sorge. Immerhin bemühte sich Jack, dem Kleriker so gut wie möglich aus dem Wege zu gehen. Seine Gegenwart erinnerte Jack — in einer seiner seltenen Assoziationen mit seiner Kindheit in der Bronx — an einen wahnsinnigen orthodox-jüdischen Verwandten, der Jacks Familie einmal während einer sehr wichtigen Ehevermittlung besucht hatte.

Gar so verrückt war das alles aber gar nicht. Denn wenn Magie wirklich funktionierte — und Jack hatte mit eigenen Augen gesehen, daß dies der Fall war —, dann ergab sich daraus logisch die Echtheit und Richtigkeit des ganzen metaphysischen Gewebes, das Pater Domenico repräsentierte — von Moses über die Kabbala bis zum Neuen Testament. Nachdem Jack diesen Gedankengang entwickelt hatte, war es ihm nicht nur zuwider, Pater Domenico zu sehen, sondern er begann Alpträume zu haben, in denen es ihm war, als sähe Pater Domenico ihn an.

Ware selbst allerdings erschien offiziell vor dem vorhergesagten vierzehnten Tag nicht und war bis dahin auch für niemanden zu sprechen. Dann aber war — zu Jacks vager Beunruhigung — der erste Mensch, den er in sein Büro bat, Jack Ginsberg.

Jack sah einem Gespräch mit Ware nur wenig freudiger entgegen, als er sich auf eine Disputation mit dem barfüßigen, höflichschweigsamen Pater Domenico eingelassen hätte. Auch war es bei dem gegenwärtigen Geisteszustand von Baines kaum abzusehen, wie die Tatsache, daß Ware ausgerechnet mit Ginsberg zuerst sprechen wollte (und die normalerweise für Baines eine Nebensächlichkeit gewesen wäre), nun auf diesen wirken würde. Nach einer Stunde voll Gewissensqualen legte Jack das Problem Baines selbst vor. Er war nun nicht mehr sicher, ob sein eigener Takt ausreichte, ein derart schwieriges rohes Ei zu behandeln.

»Gehen Sie einfach hin«, sagte Baines. Sonst nichts. Er machte immer noch den Eindruck eines Menschen, der höchstens für Augenblicke von einem einzigen, allbeherrschenden Gedanken abgelenkt werden konnte. Auch das war beunruhigend, aber man schien nichts dagegen tun zu können. Jack setzte seine im Geschäftsleben so nützliche Maske freundlicher Aufmerksamkeit auf, biß darunter die Zähne zusammen und marschierte zu Ware in dessen Büro.

Dort war das Sonnenlicht so hell und unschuldig wie eh und je. Es entströmte dem Meereshimmel über dem Steilabhang. Jack fühlte sich nun wieder etwas mehr in Berührung mit dem, was er bisher für ›das wirkliche Leben‹ gehalten hatte. In der vagen Hoffnung, Ware die Initiative zu entreißen und für sich zu behalten, fragte er den Magier, noch ehe er sich setzte: »Gibt es schon irgendwelche Neuigkeiten?«

»Gar keine«, sägte Ware. »Setzen Sie sich, bitte. Dr. Stockhausen ist, wie ich Ihnen allen schon zu Anfang vorausgesagt habe, ein sehr hartnäckiger ›Patient‹. Es ist sogar möglich, daß er überhaupt nicht fällt. Wenn das eintritt, werden wir uns noch weit mehr anstrengen müssen. Inzwischen aber nehme ich an, daß er doch fällt, und daß ich mich also schon für Dr. Baines’ nächsten Auftrag vorbereiten sollte. Deshalb wollte ich zuerst einmal mit Ihnen sprechen.«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, worin Dr. Baines’ nächster Auftrag bestehen wird«, sagte Jack, »aber selbst wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen nicht sagen, ehe er es nicht selbst tut.«

»Sie nehmen alles immer so schrecklich wörtlich und direkt, Mr. Ginsberg. Nein, ich habe Sie nicht kommen lassen, um Sie über die Pläne Ihres Chefs auszuhorchen. Ich weiß bereits, und vorläufig ist mir dieses Wissen genug, daß der nächste Auftrag Mr. Baines’ etwas Großangelegtes sein wird — vielleicht sogar ein einmaliges Experiment in der Geschichte der ›Kunst‹. Also gut. Aber wenn ich ein solches Unterfangen in Angriff nehme, dann brauche ich Assistenten — und ich habe keine Adepten mehr. Heutzutage werden sie schon sehr früh ehrgeizig und machen entweder dumme technische Fehler oder müssen wegen Ungehorsams entlassen werden. Laien, selbst solche, die mit der Magie sympathisieren, sind gleichermaßen unverläßliche Helfer, einfach wegen ihres blinden Eifers und ihrer Unwissenheit. Wenn sie aber ganz ungewöhnlich intelligent sind, dann kann man sie manchmal ohne Gefahr als Helfer heranziehen. Wohlgemerkt: manchmal. Alle diese Einschränkungen erklären, warum ich Ihnen und Dr. Hess erlaubte, die Sache am Heiligen Abend mitzuerleben, und nicht nur Dr. Hess, um dessen Teilnahme mich Dr. Baines ursprünglich gebeten hatte. Es erklärt auch, warum ich jetzt mit Ihnen sprechen will.«

»Ich verstehe«, sagte Jack. »Ich sollte mich wohl geschmeichelt fühlen.«

Ware lehnte sich in seinem Sessel zurück und hob wie verärgert die Hände. »Ganz und gar nicht. Ich sehe schon, mit Ihnen muß man deutlich sprechen. Ich war mit Dr. Hess’ Begabung durchaus zufrieden und muß daher mit ihm nicht mehr über die Sache sprechen, außer ihm noch gewisse Anweisungen zu geben. Mit Ihnen aber bin ich durchaus nicht zufrieden. Ich habe das Gefühl, Sie sind so schwach wie ein Schilfrohr im Wind.«

»Ich bin kein Magier«, sagte Jack und versuchte, sich zu beherrschen. »Wenn zwischen uns Feindseligkeit besteht, so muß man fairerweise zugeben, daß ich nicht der alleinige Urheber dieses Gefühles bin. Sie haben schon bei unserm ersten Gespräch Ihr Bestes getan, mich zu beleidigen, nur weil ich Ihrem Zauber mit natürlichem Mißtrauen gegenüberstand — was ich ja auch der mir von Dr. Baines übertragenen Aufgabe und Verantwortung der Firma gegenüber schuldig war. Nun, ich bin nicht leicht beleidigt, Dr. Ware, aber es ist leichter, mit mir zusammenzuarbeiten, wenn man einigermaßen höflich ist.«

»Stercor«, sagte Ware. Jack wußte nicht, was das Wort bedeutete. »Sie scheinen anzunehmen, ich spreche über Public Relations, über die Gabe, mit Leuten gut auszukommen, und all diesen Quatsch. Nichts liegt mir ferner. Ein wenig Haß hat der ›Kunst‹ noch nie geschadet, und sorgfältig berechnete Beleidigungen sind im Umgang mit Dämonen äußerst nützlich — nur wenige von ihnen können durch Schmeichelei gewonnen werden. Ein Mann aber, der auf Schmeichelei reagiert, ist überhaupt kein Mann, sondern ein Hund. Versuchen Sie mich doch bitte zu verstehen, Mr. Ginsberg. Ich rede jetzt weder von Ihrer Bediensteten-Feindseligkeit, noch von Ihrem überraschend langsamen Hirn, sondern von Ihrem Hasenmut. Während der letzten Beschwörung gab es einen Moment, in dem ich erkennen mußte, daß Sie im nächsten Augenblick Ihren Posten verlassen würden. Sie haben es nicht bemerkt, aber ich mußte Sie lähmen und habe so Ihr Leben gerettet. Hätten Sie sich bewegt, so hätten Sie uns alle in Gefahr gebracht. Wäre das aber geschehen, so hätte ich Sie MARCHO-


SIAS vorgeworfen wie einen alten Knochen. Der Zweck der Zeremonie wäre damit zwar nicht mehr zu retten gewesen, aber es hätte den Dämonen immerhin daran gehindert, uns alle — mit Ausnahme von Akhtoi — zu verspeisen.«

»Ach . . .?«

»Meinen Hausgeist. Den Kater.«

»Oh. Warum nicht den Kater?«

»Der ist eine Leihgabe. Er gehört einem anderen Dämon — meinem Schutzpatron. Aber hören Sie doch bitte auf, das Thema zu wechseln, Mr. Ginsberg. Wenn ich Ihnen als Tanisten bei einem großen Stück magischer Arbeit Vertrauen schenken soll, dann muß ich einigermaßen sicher sein, daß Sie, wenn ich Sie ermahne, fest zu stehen, auch wirklich fest stehen, gleichgültig, was Sie sehen oder hören. Und wenn ich Sie auffordere, im Rahmen des Rituals irgendeine kleine Handreichung vorzunehmen, dann muß ich wissen, daß Sie sie genau und pünktlich ausführen werden. Können Sie mir diesbezüglich Gewißheit geben?«

»Nun«, sagte Jack ernst, »ich werde mein Bestes tun.«

»Aber wofür? Warum wollen Sie mich überzeugen? Ich kann nicht wissen, was Sie mit ›mein Bestes‹ meinen, ehe ich nicht weiß, welche Vorteile Sie sich davon erwarten, abgesehen davon, daß Sie Ihren Job behalten — oder auf mich einen guten Eindruck machen, weil es einfach in Ihrer Natur liegt, auf alle Leute einen guten Eindruck machen zu wollen. Bitte erklären Sie mir das! Ich weiß, daß es in dieser Situation irgend etwas gibt, das Ihre Essenz berührt. Das habe ich schon von Anfang an gesehen, aber mein erster Versuch, Ihre Motivierung zu erraten, war offenbar falsch — oder traf jedenfalls nicht ins Schwarze. Nun, was trifft bei Ihnen ins Schwarze? Die Situation ist nun bis zu dem Stadium gediehen, in dem Sie mir sagen müssen, was das ist. Sonst schließe ich Sie von allem weiteren einfach aus und damit basta.«

Jack schwankte zwischen unkonventioneller Hoffnung und altgewohnter Vorsicht. Er schob sich aus dem florentinischen Sessel hoch und ging mit kurzen Schritten zum Fenster. Dabei nestelte er an seiner Krawatte herum. Von dieser Höhe aus gesehen, fielen die direkt in den Steilhang gebauten Wohnungen von Positano zum schmalen Strand hin ab, als wären es römische Mietshäuser voll von abgesetzten Königen — und voll von Papagalli, die darauf hoffen, für die laufende Saison eine amerikanische Millionenerbin zu ergattern. Abgesehen von den gleichmäßig anlaufenden Wellen und einigen fernen Vögeln war die Szene bewegungslos. Jack aber schien es, als glitte alles langsam, aber unausweichlich hinab ins Meer.

»Stimmt, ich mag Frauen«, sagte er mit leiser Stimme. »Und ich habe da auch so meine kleinen Eigenheiten, die sich, trotz all des Geldes, das ich verdiene, nicht so leicht befriedigen lassen. Überdies habe ich bei meiner Arbeit dauernd mit geheimen oder doch vertraulichen Informationen zu tun — entweder mit Staatsgeheimnissen oder Material der Firma. Das bedeutet, daß ich mir nicht leisten kann, erpreßt zu werden.«

»Deshalb haben Sie wohl damals bei unserer ersten Begegnung auch mein Angebot abgelehnt«, sagte Ware. »Das war wohl vorsichtig gehandelt, doch war diese Vorsicht nicht nötig. Wie Ihnen wahrscheinlich inzwischen klar geworden ist, kann mich weder Spionage noch Erpressung reizen. Der materielle Gewinn, den ich aus einer, oder sogar aus beider dieser Tätigkeiten ziehen könnte, wäre für meine Verhältnisse lächerlich gering.«

»Ja, schon, aber ich werde leider nicht immer in Kontakt mit Ihnen stehen«, sagte Jack und wandte sich wieder Wares Schreibtisch zu. »Und es wäre nicht klug, Dingen auf den Geschmack zu kommen, mit denen Sie mich dann nicht mehr versorgen könnten.«

»Der richtige Ausdruck wäre ›denen Sie ohne meine Hilfe nicht frönen können‹. Bleiben wir präzise. Dennoch haben Sie offenbar irgendeine Lösung im Sinn. Sonst würden Sie wohl kaum mit mir so offen sprechen.«

»Ja, das stimmt. Sie ist mir eingefallen, als Sie sich bereit erklärten, Hess in Ihr Laboratorium zu lassen.« Hier ließ ihn ein neuerlicher Stich der Eifersucht innehalten, der nicht minder schmerzte, obwohl er doch halb aus der Erinnerung kam. Er holte tief Atem und fuhr fort: »Ich möchte die ›Kunst‹ erlernen.«

»Oho. Das ist ja ein ganz erstaunlicher Umschwung Ihrer Einstellung.«

»Sie selbst haben gesagt, es sei möglich«, sprudelte Jack hervor. Das Gefühl, nun nichts mehr zu verlieren zu haben, machte ihn mutig. »Ich weiß, daß Sie gesagt haben, Sie würden keine Lehrlinge mehr aufnehmen, aber ich würde wirklich nicht versuchen, Sie reinzulegen oder Ihnen die Kundschaft abspenstig zu machen; ich würde die ›Kunst‹ nur für meine kleinen Spezialzwecke verwenden. Ich könnte Ihnen natürlich kein Vermögen bezahlen, aber ich habe doch etwas Geld. Ich könnte meine Freizeit zum Studium der einschlägigen Literatur verwenden, und dann nach ein oder zwei Jahren zu Ihnen für meine wirkliche Lehrzeit zurückkommen. Ich bin sicher, daß Baines mir dafür Urlaub geben würde — er möchte ohnedies, daß jemand in seinem Stab die ›Kunst‹ kennt — wenigstens der Theorie nach —, nur glaubt er jetzt noch, dieser


›]emand‹ würde Hess sein. Aber Hess wird von seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit zu sehr in Anspruch genommen sein, um sich wirklich gründlich der Magie zu widmen.«

»Sie können Dr. Hess aber wirklich ganz und gar nicht leiden. Haß und Neid, was?«

»Nun, wir harmonieren nicht völlig miteinander«, sagte Jack etwas steif. »Jedenfalls stimmt das, was ich sage. Von Mr. Baines’ Standpunkt wäre ich jedenfalls ein weit besserer Experte, als ihn Hess jemals abgeben würde.«

»Haben Sie Sinn für Humor, Mr. Ginsberg?«

»Natürlich . . . Hat ja doch jeder.«

»Falsch«, sagte Ware, »jeder behauptet, er habe Sinn für Humor, weiter nichts. Ich frage nur deshalb, weil das erste, was Sie opfern müßten, um der ›Kunst‹ zu dienen, die Gabe des Lachens wäre. Das würde manchen Menschen sehr, anderen wieder fast gar nicht fehlen. In Ihrem Falle wäre das wahrscheinlich nur eine leichte Operation, etwa wie die Entfernung eines vereiterten Blinddarmes.«

»Es will mir scheinen, als hätten Sie Ihren Sinn für Humor nicht verloren.«

»Ach, Sie verwechseln Humor mit Esprit — wie die meisten Leute. Dabei sind diese beiden Begriffe voneinander so verschieden, wie Kreativität und Gelehrsamkeit. Aber jedenfalls ist das in Ihrem Falle, wie ich schon sagte, kein großer Verlust Da könnten andere schon größer sein. So ergibt sich zum Beispiel die Frage, in welcher der magischen Traditionen ich Sie ausbilden soll. So könnte ich zum Beispiel aus Ihnen einen kabbalistischen Magier machen, was Ihnen auch eine gründliche Ausbildung in Weißer Magie sichern würde. Und was die schwarze Seite anlangt, so könnte ich Sie den Großteil dessen lehren, was sich im Clavicle und im Lemegeton findet, wobei ich allerdings die spezifisch christlichen Zusätze auslassen würde. Glauben Sie, daß Ihnen das recht wäre?«

»Vielleicht, wenn es meinen Hauptzweck erfüllen würde«, sagte Jack. »Aber es würde mir auch nichts ausmachen, wenn ich darüber hinaus noch weiter studieren müßte. Heutzutage bin ich ja nur der Geburt nach Jude, und nicht der Kultur und Tradition nach. Bis zum Heiligen Abend war ich überhaupt Atheist. Jetzt weiß ich nicht mehr so recht, was ich bin. Das einzige, was ich weiß ist: Ich muß meinen Augen trauen.«

»Nicht in dieser Kunst«, sagte Ware. »Aber wir werden Sie jedenfalls einstweilen als Tabula rasa betrachten. — Gut, Mr. Ginsberg, ich werde mir die Sache überlegen. Ehe ich mich aber entscheide, sollte ich doch, will mir scheinen, Ihre Überzeugung unter die Lupe nehmen, daß sich Ihr ausgefallener erotischer Geschmack nur durch Zauberei — ob nun durch die meine oder die Ihre — befriedigen läßt. Jetzt träumen Sie davon, wie herrlich es wäre, Ihren ungewöhnlichen Lüsten frei und ohne Furcht vor Folgen nachzugehen. Aber leider geschieht es oft — denken Sie nur an Oscar Wildes diesbezügliches Epigramm —, daß gestilltes Begehren nicht Seligkeit ist, sondern ein Kreuz.«

»Das Risiko nehme ich gern auf mich.«

»Lassen Sie sich ein wenig Zeit. Sie haben von den damit verbundenen Risiken keine reale Vorstellung. Wie zum Beispiel, wenn Sie entdecken, daß kein menschliches Weib Sie mehr befriedigen kann und Sie dadurch völlig von Nachtgeschöpfen abhängig werden? Ich weiß natürlich nicht, wieviel Sie über die Theorie solcher Beziehungen wissen. Allgemein gesprochen hat die Revolte im Himmel Engel jedes Ranges und jeder Ordnung innerhalb der Hierarchie betroffen. Von den Gefallenen aber wird dieser Dienst nur jenen zugewiesen, die aus den allerniedersten Rängen gefallen sind. Im Vergleich zu Ihnen ist MARCHOSIAS ein Muster von Adel und Edelmut. Diese Geschöpfe haben ihre Namen verloren, und ihrer Bösartigkeit mangelt jegliche Größe — sie sind reinste Essenz engstirniger Gemeinheit und kleinlicher Bosheit. Es sind die Geister, die sizilianische Milchweiber beschwören, um die Zehennägel ihrer Rivalinnen splittern und einreißen zu lassen oder einem treulosen Liebhaber ein Furunkel auf die Nase zu hexen.«

»Was Sie da beschreiben, klingt nicht viel anders als gewöhnliche Menschenfrauen«, sagte Jack achselzuckend. »Solange sie mich zufriedenstellen, was tut’s? Wahrscheinlich hätte ich ja als Magier einen gewissen Einfluß darauf, wie sie sich benehmen.«

»Ja, das schon. Immerhin, warum wollen Sie sich durch Begierde und Unwissenheit zu etwas überreden lassen, wenn es statt dessen für Sie die Möglichkeit eines Experimentes — einer Probe aufs Exempel — gibt? Um die Wahrheit zu sagen, Mr. Ginsberg, ich würde keinem Entschluß oder Vorsatz trauen, der nur dem phantastisch-euphorischen Zustand entspringt, in dem Sie sich jetzt gerade befinden. Wenn Sie sich zu dem Experiment nicht bereit erklären, dann muß ich Ihnen leider Ihre Bitte abschlagen.«

»Warten Sie einen Augenblick«, sagte Jack, »warum haben Sie es nun auf einmal mit all dem so eilig? Welchen Vorteil bringt Ihnen das?«

»Das habe ich Ihnen schon gesagt«, erklärte Ware geduldig. »Wahrscheinlich werde ich Sie bei Dr. Baines’ großem Vorhaben als Tanist brauchen. Ich möchte diesmal unbedingt darauf zählen können, daß Sie fest stehen. Ich kann dessen aber nicht sicher sein, ohne den Grad und das Maß zu kennen, in dem Sie sich der Sache verpflichtet fühlen.«

Was immer auch Ware sagen mochte, klang für Jack, als würden leise Türen unmittelbar vor ihm geschlossen. Andererseits aber — die Möglichkeiten — die Chancen . . .

»Was muß ich tun?« sagte er schließlich hilflos.


11


Der Palazzo lag im Schlaf. Fern schlug die gleiche vergeßliche Uhr elf. Ware hatte gesagt, daß dies für den heutigen Tag die rechte Stunde für Experimente auf dem Gebiete des Geschlechts und der Jagd sei. Jack wartete nervös darauf, daß etwas enden — oder vielleicht, daß etwas ganz Neues beginnen werde.

Er hatte seine Vorbereitungen getroffen, aber er war nicht sicher, daß sie auch nötig gewesen waren. Immerhin, wenn das . . . Mädchen . . ., das ihn besuchen sollte, seinen Wünschen völlig willfährig sein würde — welchen Grund hätte er dann noch, sie zu beeindrucken?

Dennoch hatte er sich völlig an sein kompliziertes Ritual gehalten, hatte eine Stunde lang gebadet, sich zweimal rasiert, seine Finger- und Zehennägel geschnitten und poliert, sein Haar mit dreißig Bürstenstrichen zurückgekämmt — wobei er das deutsche Haartonikum verwendete, das angeblich Allatoin enthielt —, hatte seinen elegantesten Seidenpyjama und seine Hausjacke angezogen, dazu ein Seidenhalstuch und Hausschuhe aus venezianischem Saffianleder angelegt, hatte sich noch mit Kölnischwasser besprengt und Talkum-Puder ins Bett gestäubt. Vielleicht, so dachte er, lag ein Teil des Vergnügens in den Vorbereitungen, denen man dann einen Anteil am Erfolg zuschreiben konnte.

Die Uhr hörte auf zu schlagen. Fast augenblicklich vernahm er ein dreifaches Klopfen an der Tür — so langsam, daß ihm jeder sanfte Schlag wie eine völlig unabhängige Handlung erschien. Jacks Herz schlug wild wie das Herz eines Knaben. Er zog die Seidenschärpe seiner Jacke enger und sagte, wie ihm aufgetragen war:

»Tritt ein .. . tritt ein . . . tritt ein.«

Er öffnete die Tür. Ware hatte ihn schon darauf vorbereitet, daß er auf dem dunklen Korridor draußen niemanden sehen würde, als er aber die Türe dann wieder schloß und sich umwandte, war sie schon da.

»Guten Abend«, sagte sie mit leichter Stimme, mit schwachem Akzent — oder war es ein Lispeln? »Hier bin ich, wie du mich eingeladen hast. Magst du mich?«

Es war nicht das Mädchen, das Ware den Brief gebracht hatte, vor nun schon so vielen Wochen, aber irgend etwas an ihr erinnerte ihn an jemanden, den er einst gekannt hatte. Er konnte sich aber nicht erinnern, wer das gewesen war. Sie war einfach wunderschön; nicht sehr hochgewachsen — einen halben Kopf kleiner als Jack, schlank und offensichtlich kaum älter als achtzehn —, hatte sehr helle Haut, blaue Augen und einen taufrischen, unschuldigen Gesichtsausdruck. Das Gesicht war doppelt pikant, weil die Linien ihrer Züge so edel, ihre Haut so zart wie feines Pergament war.

Sie war elegant angezogen: Pumps mit Bleistiftabsätzen, gemusterte, aber sonst hauchfeine Strümpfe, und ein kurzärmeliges, schwarzes, kostbar geschneidertes Kleid aus einem Material wie Kunstseide, das sich eng an ihre Brüste, ihren Oberkörper und Taille und Hüften schmiegte, als wäre es durch eine elektrostatische Aufladung angeklebt. Von der Hüfte aber fiel es erblühend in einem vollen Glockenrock hernieder wie eine umgekehrte Tulpe, die kurz über ihren Knien endete. Drahtdünne silberne Armreifen glitten und klingelten beinahe unhörbar an ihrem linken Handgelenk, als sie ihre Chrysanthemenfrisur lockerte. Sie fanden in kleinen silbernen Ohrgehängen ein Echo. Zwischen ihren Brüsten trug sie eine runde Onyxbrosche, in der in Silber das Wort Cazotte eingelegt war. Für Kontrast sorgte ein winziger Rubin von der Größe eines Fliegenauges — das einzige Fleckchen Farbe in ihrem ganzen Kostüm. Selbst ihr Make-up entsprach dem längst nicht mehr modischen, italienischen ›White Look‹, der ihre natürliche Blässe so sehr übertrieb, daß ihr Gesicht beinahe etwas Bühnenmäßiges hatte — beinahe, aber eben doch nicht ganz.

»Ja«, sagte er und dachte endlich wieder daran zu atmen.

»Ach, du entschließt dich aber schnell. Vielleicht irrst du dich doch?« In raschem, pirouetteartigem Drehschritt lief sie von ihm fort zum Bett, wobei die schwarze Tulpe sich öffnete und unter ihrem Kelch schaumige Spitzen ihre Beine umlodern ließen. Es knisterte trocken. Sie bremste die Drehbewegung so abrupt ab, daß der Rock über ihren Knien knatterte wie Fahnen in einer steifen Brise. Sie sah ihm ins Gesicht und schien völlig menschlich.

»Unmöglich«, sagte Jack und nahm all seine Galanterie zusammen. »Ich finde, du bist einfach wunderbar. Uh — wie darf ich dich nennen?«

»Oh, mein Name könnte zum Beispiel ›Rita‹ sein, wenn du unbedingt einen brauchst.«

Sie hob die Vorderseite ihrer Röcke hoch, und man sah den verstärkten Rand ihrer Strümpfe, der nur wenige Zoll unter der Vase des Beckens ins weiße Fleisch ihrer Oberschenkel schnitt. So setzte sie sich sittsam auf die Bettkante. »Du bist so weit von mir«, sagte sie mit Schmollmund. »Vielleicht glaubst du, daß ich nur außen hübsch bin. Das wäre sehr unfair.«

»Nein, nein, ich bin ganz sicher —«

»Aber wie kannst du jetzt schon sicher sein?« Sie zog die Hacken ihrer Pumps hoch. »Du mußt herkommen und das selbst ausprobieren.«

Die Uhr schlug vier, als sie sich erhob. Sie war nackt und naß, sah aber immer noch irgendwie aus, als trüge sie Stöckelschuhe. Sie begann, ihre Kleider vom Boden aufzuheben. Jack beobachtete benommen dieses graziöse Ballett. Halb war er erschöpft, halb voll Triumph. Er hatte kaum noch genug Kraft in sich, mit der Zehe zu wackeln, aber er hatte sich in dieser Nacht schon so oft selbst überboten, daß er immer noch hoffte. So etwas hatte er noch nie erlebt — noch niemals.

»Mußt du denn schon gehen?« fragte er träge.

»O ja, ich habe noch alles mögliche zu tun.«

»Zu tun? Aber — hast du dich nicht — gut unterhalten?«

»...Gut unterhalten?« Das Mädchen wandte sich ihm zu. Sie war eben dabei, einen Strumpf am Straps ihres Strumpfbandgürtels festzumachen, hielt aber nun inne. »Ich bin deine Dienerin, deine Lamia, deine Sklavin, deine saugende Eva-Frucht, aber du darfst nicht deinen Spott mit mir treiben.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Jack und versuchte, seinen Kopf von dem schweißnassen, zusammengekneteten Kissen zu heben.

»Dann schweig.« Sie fuhr fort, sich anzukleiden.

»Aber ... du schienst . . .«

Sie drehte sich ihm wieder zu: »Ich habe dir Lust geschenkt. Beglückwünsche dich dazu. Das ist genug. Du weißt sehr gut, was ich bin. Ich selbst habe an nichts Lust oder Freude. Es ist verboten. Sei dankbar, und ich werde wieder zu dir kommen. Verspottest du mich aber, so schicke ich dir ein altes Weib mit dem Schweif eines Esels.«

»Ich wollte dich nicht kränken«, sagte er mit einem Unterton von Trotz.

»Dann gib acht, daß du’s nicht tust. Du hattest deinen Spaß mit mir, das genügt. Deine Männlichkeit mußt du an sterblichem Fleisch erproben. Deine Potenz auf die Probe zu stellen, bin ich jetzt unterwegs. Auf der anderen Seite der Welt wird es jetzt bald Nacht, und ich muß gehen, deinen Samen zu säen, ehe er in meinen Feuern verdorrt — wenn er überhaupt je Leben hatte.«

»Wie meinst du das?« flüsterte er heiser.

»Hab’ keine Angst, morgen bin ich wieder bei dir. Aber in der nächsten Spanne der Dunkelheit muß ich die Gestalt wechseln.« Das Kleid glitt nun an ihrem unvorstellbar biegsamen Leib herab. »Jetzt verwandle ich mich in einen Inkubus. Auf den wartet eine Frau, die von ihrem Gatten durch den doppelten Weg abgelenkt ist, schon voll Sehnsucht. Gelange ich rechtzeitig zu ihr, dann zeugst du ihr ein Kind — einer Frau, die du niemals auch nur sehen wirst. Ist das nicht ein Wunder? Und es wird wohl ein fürchterliches Kind werden, das verspreche ich dir!«

Sie lächelte ihn an. Mit Übelkeit und einem Gefühl der Schmach nahm er wahr, daß sich nun hinter ihren Lidern keine Augen mehr befanden — nur leer flackernde Lichter, wie Funken, die in einem Kamin aufsteigen. Sie war nun so vollständig angezogen wie am Anfang. Sie machte vor ihm ernst und feierlich einen Knix.

»Wart’ auf mich . . . außer, natürlich, wenn du nicht willst, daß ich morgen abend wieder zu dir komme . . .?«

Er versuchte, nicht zu antworten, aber die Worte entflohen seinem Mund, als wären sie giftiges Gas.

»Ja . . . o Gott. . .«

Sie bedeckte mit den hohlen Händen ihr verborgenes Geschlecht in einer Geste obszöner Tugendsamkeit — und barst ins Nichts wie ein explodierender Ballon. Das Morgengrauen fiel in seiner ganzen Schwere auf Jack, wie die Berge auf den heiligen Johannes.


12


Dr. Stockhausen starb am St.-Valentins-Tag, nachdem Ärzte aus der ganzen Welt — sogar aus der Sowjetunion — drei Tage lang vergeblich versucht hatten, ihn zu retten. Aber er hatte einen so ausgiebigen Trunk unverdünnter Jodtinktur getan, daß er trotz allem den inneren Verätzungen erlag. Operationen und Spitalpflege waren natürlich gratis. Aber er starb, ohne ein Testament zu hinterlassen, und es schien, als würde es einfach endlos dauern, bis seine kleine Hinterlassenschaft — Tantiemen von einem wissenschaftlichen Werk und was noch von einem vor zehn Jahren verliehenen Nobelpreis übrig war — verteilt war. Dies vor allem in Anbetracht der Notiz, die Stockhausen hinterlassen hatte, und aus der keine Gruppe von Experten — weder Wissenschaftler noch Juristen — im Laufe der nächsten paar Generationen hoffen durfte, den mathematischen Kern vom Todesgestammel eines Wahnsinnigen zu trennen.

Für seine Enkel und für die geschiedene Tochter wurde Geld gesammelt, um ihnen über das Schlimmste wegzuhelfen. Das letzte Buch aber, das er geschrieben hatte, erwies sich im Inhalt der Abschiedsnotiz so ähnlich, daß die Berater seines Verlegers niemand finden konnten, dem man vernünftigerweise die Herausgabe und posthume Mitautorschaft hätte anbieten können. Es war die Rede davon, daß man sein Hirn dem Museum der Deutschen Akademie in München überlassen würde — aber auch das wieder erst nach Abwicklung der Hinterlassenschaft. Innerhalb von drei Tagen nach der Beerdigung aber konnte Ware berichten, daß sowohl das Hirn als auch Stockhausens letztes Manuskript verschwunden waren.

»MARCHOSIAS mag eines von beiden oder sogar beides an sich genommen haben«, sagte Ware. »Ich habe es ihm zwar nicht aufgetragen, da ich Alberts Familie nicht noch mehr Schmerz zufügen wollte, als auftragsgemäß nötig war. Andererseits aber habe ich es ihm auch nicht verboten. Aber wie auch immer — der Auftrag ist ausgeführt.«

»Sehr gut«, sagte Baines. Um die Wahrheit zu sagen: Er war in Hochstimmung. Unter den anderen drei Leuten, die in Wares Büro anwesend waren — denn Ware hatte gesagt, es gäbe kein Mittel, um Pater Domenicos Anwesenheit zu verhindern —, sah keiner so zufrieden aus wie Baines sich jetzt fühlte, aber schließlich war ja auch er der einzige, auf den es hier ankam, der einzige, auf dessen Gefühle Ware mehr als üblich Rücksicht nehmen mußte. »Und es ist auch viel schneller gegangen, als Sie vorausgesehen haben. Ich bin sehr zufrieden und im übrigen jetzt durchaus bereit, meinen großen Auftrag mit Ihnen zu besprechen, Dr. Ware, wenn die Planeten und so weiter jetzt für derlei Gespräche nicht ungünstig stehen.«

»Auf einfache Gespräche haben die Planeten so gut wie keinen Einfluß«, sagte Ware, »nur auf bestimmte Vorbereitungen — und selbstverständlich auch auf das Experiment selbst. Ich bin durchaus bereit, Sie anzuhören. Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin sogar sehr neugierig, was Sie zu sagen haben. Nehmen Sie also bitte kein Blatt vor den Mund und erzählen Sie mir, was Sie vorhaben.«

»Ich möchte für eine Nacht alle wichtigeren Dämonen aus der Hölle entlassen und sie ohne bestimmten Auftrag oder Einschränkungen in der Welt loslassen — außer der Vereinbarung, daß sie im Morgengrauen oder zu irgendeiner anderen vernünftigen Zeit an ihren Ursprungsort zurückkehren. Ich möchte gerne sehen, was sie tun, wenn sie so sich selbst überlassen sind.«

»Wahnsinn!« schrie Pater Domenico und bekreuzigte sich. »Der Mann ist ja offensichtlich jetzt schon ein Besessener!«

»Ausnahmsweise neige ich diesmal dazu, mit Ihnen übereinzustimmen, Pater Domenico«, sagte Ware, »obwohl ich in puncto Besessenheit gewisse Vorbehalte habe. Soweit wir wissen, paßt dies aber durchaus zum Gesamtbild. Bitte sagen Sie mir einmal, Dr. Baines, was hoffen Sie durch ein Experiment so grandiosen Maßstabs zu erreichen?«

»Experiment!« sagte Pater Domenico. Sein Gesicht war totenblaß.

»Wenn Sie nichts Klügeres tun können, als hier das Echo zu spielen, Pater, dann, glaube ich, wäre es uns allen lieber, sie verhielten sich schweigend — wenigstens, bis wir wissen, wovon hier die Rede ist.«

»Ich werde sagen, was ich sagen muß, wann immer ich der Meinung bin, daß es nötig ist«, sagte Pater Domenico zornig. »Diese Sache, die Sie dadurch verniedlichen, daß Sie sie ›ein Experiment nennen, kann sehr leicht mit dem Morgengrauen Armageddons enden!«

»Dann sollten Sie es ja willkommen heißen und nicht fürchten, da Sie ja davon überzeugt sind, daß Ihre Seite gewinnen muß«, sagte Ware. »Tatsächlich besteht eine derartige Gefahr aber nicht. Die Ergebnisse mögen wohl durchaus apokalyptisch sein, Armageddon aber erfordert das vorherige Erscheinen des Antichrist, und ich versichere Ihnen: Ich bin es nicht . . . und ich sehe auch derzeit in der Welt niemand, der eine Verkörperung des Antichrist sein könnte. Aber zurück zu meiner ursprünglichen Frage, Dr. Baines: Was hoffen Sie durch dieses Experiment zu erreichen?«

»Nichts durch es«, sagte Baines, den seine Vision nun völlig gefangengenommen hatte, träumerisch. »Nur das Ding an sich — einzig um des ästhetischen Reizes willen. Ein Kunstwerk, wenn Sie wollen. Ein gigantisches Happening oder Aktions-Gemälde, für das die Welt Hintergrund oder Leinwand abgibt —«

»Und in dem menschliches Blut als Pigment dient«, brachte Pater Domenico hervor.

Ware machte zu dem Mönch hin eine Gebärde, die ihn zum Schweigen aufforderte. »Und ich habe geglaubt«, sagte er zu Baines, »dies sei die Art von Kunst, die Sie schon jetzt ausübten . . ., und deren Ergebnisse Sie in Wirklichkeit sogar sehr gut zu verkaufen verstehen.«

»Der Verkaufserlös gab mir lediglich die Möglichkeit, meine Kunst weiter auszuüben«, sagte Baines. Er begann die Metapher ermüdend zu finden, obwohl sie ursprünglich sein Einfall gewesen war. »Sehen Sie die Sache einmal einen Augenblick von dieser Seite an, Dr. Ware: Wenn wir stark vereinfachen, so gibt es zwei Sorten von Menschen, die im Rüstungsgeschäft hochkommen — die ohne Gewissen, die in der Rüstungsindustrie einfach den Weg zu großem Reichtum sehen, der schließlich für etwas anderes verwendet werden kann (wie zum Beispiel unser Jack hier) —, und es gibt dabei natürlich auch eine Untergruppe, Leute, die sehr wohl ein Gewissen haben, aber die entweder dem Geld oder dem zu erlangenden Wissen nicht widerstehen können, etwa wie unser Dr. Hess.«

Beide Männer machten eine Bewegung, beschlossen dann aber offenbar, gegen ihre Charakterisierung durch Baines keinen Einspruch zu erheben.

»Die zweite Gruppe besteht aus Leuten wie ich — Menschen, die tatsächlich ihre Freude an der beherrschten Erzeugung von Chaos und Vernichtung haben. Sie sind nicht in erster Linie Sadisten — außer vielleicht in dem Sinn, daß jeder seiner Kunst völlig verschriebene Künstler ein wenig Sadist und daher auch bereit ist, ein wenig oder sogar eine Menge Leid — nicht nur sein eigenes, sondern auch das anderer Leute— in Kauf zu nehmen, wenn es den Zielen seiner Kunst dient.«

»Den Typ kenne ich«, sagte Ware mit einem halben Grinsen. »Ich glaube, es war der harmlose und gütige Dichter Robert Frost, der einmal sagte, ein einziges Bild von Whistler sei jede Menge alter Damen wert.«

»Techniker und Architekten sind auch so«, sagte Baines, der nun rasch an seinem Thema warm wurde. Seit er der Beschwörung beigewohnt hatte, hatte er beinahe an nichts anderes mehr gedacht. »Das ist eine Gruppe, die ich noch viel besser kenne als Künstler, und ich kann Ihnen versichern, daß die meisten von ihnen kaum etwas bauen oder konstruieren würden, wäre es nicht um der Freude an der vorangehenden Zerstörung willen. Ein gemeiner Dieb oder Räuber mit der Pistole in der Hand ist nicht halb so gefährlich wie ein Techniker mit einer Stange Dynamit.«

»Jedenfalls aber ist das Schlüsselwort ›beherrschen‹ — und im Rüstungsgeschäft wird dies leider — dank der Kernwaffen — rasch ein vergessenes Wort.«

Baines fuhr dann rasch fort, seine Unzufriedenheit über den Status quo zu beschreiben — etwa so, wie er sich die Sache in Rom überlegt hatte, während man nach Gouverneur Rogan


›geschickt‹ hatte. »Und jetzt können Sie vielleicht verstehen, was mir an dem Auftrag, den ich Ihnen geben möchte, gefällt. Es wird dies keine Serie von Massenzerstörungen sein, die niemand mehr in der Hand hat, sondern eine Reihe von Individualhandlungen, jede für sich relativ kleinen Maßstabs — und, dessen bin ich gewiß, jede einzelne für sich interessant, wegen all der verschiedenen Arten der Erfindungsgabe und der Überraschung, die hier ins Spiel kommen. Und dann wird die Zerstörung auch nicht eine vollkommene sein, weil das Phänomen auf einen relativ kurzen Zeitraum — wahrscheinlich zwölf Stunden oder weniger — beschränkt sein wird.«

Pater Domenico beugte sich vor. Sein Gesicht war todernst. »Sicherlich können selbst Sie erkennen«, sagte er zu Ware, »daß kein menschliches Wesen, gleichgültig, wie sündhaft und selbstsüchtig, sich einen so monströsen Plan ohne das direkte Einschreiten der Hölle hätte ausdenken können!«

»Ganz im Gegenteil«, sagte Ware, »Dr. Baines hat völlig recht: Die meisten eingefleischten Säkularisten denken genau wie er — nur auf etwas kleinerem Maßstab. Um Sie darüber hinaus noch weiter zu beruhigen, Pater Domenico: Ich habe in der Hölle, wenn ich so sagen darf, recht gute Kontakte und Beziehungen; und ich hole mir über alle meine wichtigeren Kunden genaue Informationen. Ich bin also in der Lage, Ihnen aus verläßlicher Quelle zu sagen: Dr. Baines ist kein Besessener. Dennoch sind mir an dieser Sache noch einige Aspekte rätselhaft. Dr. Baines, es will mir scheinen, als wollten Sie sich eines zu großen Pinsels bedienen, um Ihr geplantes Gemälde auszuführen. Vielleicht können Sie auch ganz ohne meine Hilfe zu dem von Ihnen gewünschten Ergebnis kommen. Warum zum Beispiel sollte Ihnen der kommende chinesisch-russische Krieg nicht für Ihre Zwecke genügen?«

Dr. Baines schluckte überrascht. »Also wird es wirklich dazu kommen?«

»Es steht geschrieben, daß es geschehen wird. Vielleicht ist es noch abzuwenden, aber ich würde mein Geld darauf wetten, daß es zu diesem Krieg kommt. Aller Wahrscheinlichkeit wird es kein großer Atomkrieg — drei Wasserstoffbomben, eine chinesische, zwei sowjetische, dazu noch etwa zwanzig konventionelle Atombomben und etwa ein Jahr normaler Landkrieg. Voraussichtlich werden keine anderen Mächte in diesen Konflikt verwickelt. Das wissen Sie doch, Dr. Baines, und ich glaube, sie werden mit der Entwicklung zufrieden sein. Schließlich wird ja alles beinahe genauso ablaufen, wie es Ihre Firma geplant und worauf sie auch schon seit langem hingearbeitet hat.«

»Sie sind heute voll tröstlicher Worte«, murmelte Pater Domenico.

»Nun, ich freue mich wirklich ganz außerordentlich, das zu hören«, sagte Baines. »Es kommt nicht allzuoft vor, daß man etwas in dieser Größenordnung plant und das Ding dann fast genau der Planung entsprechend eintritt. — Ich muß aber dennoch mit ›nein‹ antworten, Dr. Ware. Das wird mir nicht genügen, denn die Geschichte ist immer noch zu allgemein und zu schwer zu verfolgen — oder wird es sein. Vor allem aber wird man es nicht hinlänglich direkt mit mir in Verbindung bringen können — eine ganze Menge anderer Leute haben auch daran gearbeitet, diesen Krieg möglich zu machen. Dieses Experiment aber wird ganz allein aus meiner ureigensten Initiative hervorgehen.«

»Auch das erscheint mir nicht als unüberwindlicher Einwand«, sagte Ware. »Immerhin haben sich eine ganze Menge erstklassiger Renaissancekünstler ohne Skrupel mit Mitarbeitern abgefunden — manchmal sogar mit bloßen Gesellen.«

»Nun, der Zeitgeist hat sich seither gründlich geändert — falls Sie eine abstrakte Antwort wollen. Die wirkliche Antwort ist, daß ich sehr wohl etwas dagegen habe. Überdies liebe ich es auch, mir mein eigenes Medium für meine Kunstwerke zu wählen. Krieg befriedigt mich nun nicht mehr. Krieg ist zu schlampig, zu unordentlich, es gibt viel zu viele Versehen und Zufälle. Es geht dabei einfach zu viel durch.«

»?« machte Ware mit einer hochgezogenen Augenbraue.

»Was ich damit sagen will, ist, daß in Kriegszeiten, vor allem in Asien, die Leute sich einfach auf das Schlimmste gefaßt machen und versuchen, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen — gleichgültig, wie schrecklich sie auch sein mögen. In Friedenszeiten dagegen ist für den Menschen selbst das kleinste Unglück eine völlige Überraschung. Die Leute jammern: ›Warum mußte gerade mir das passieren?‹ — als hätten sie noch nie etwas von Hiob gehört.«

»Das Buch Hiob sozusagen umzuschreiben ist offenbar ein Lieblingszeitvertreib der Humanisten«, stimmte Ware zu, »übrigens auch ihr politisches Lieblingsprogramm. Sie wollen also die Menschen heimsuchen, Dr. Baines, wo sie am aller-verwundbarsten sind und es am allerwenigsten erwarten, zu Recht oder zu Unrecht. Habe ich Sie richtig verstanden?«

Baines hatte das ungute Gefühl, er habe schon zu viel erklärt, aber daran konnte er nun auch nichts mehr ändern. Und schließlich war Ware auch nicht gerade ein Heiliger.

»Ja, das haben Sie«, sagte er kurz.

»Ich danke Ihnen. Das trägt enorm zur Reinigung der Atmosphäre bei. Nun noch eine Frage: Wie wollen Sie für all das zahlen?«

Mit einem erstickten Schreckensschrei sprang Pater Domenico auf. Es klang wie das Todesröcheln eines Asthmatikers.

»Sie — Sie wollen es wirklich tun?«

»Still. Ich habe noch nicht gesagt, daß ich es tun werde. — Dr. Baines, darf ich an meine Frage erinnern?«

»Sie wissen ganz genau, daß ich so etwas natürlich nicht bar bezahlen kann«, sagte Baines, »aber ich kann über andere Werte verfügen. Dieses Experiment wird — wenn es gelingt — in mir etwas befriedigen, das mir Consolidated Warfare Service schon seit Jahren nicht mehr gegeben hat — und wahrscheinlich auch in Zukunft nur mehr in sehr unzulänglicher Form geben wird. Ich bin daher bereit, Ihnen die meisten meiner CWS-Aktien zu übereignen. Nicht alle, aber — nun — nur etwas weniger als eine effektive Majorität. Auch damit sollten Sie schon eine ganze Menge anfangen können.«

»Wenn man an das Risiko der Sache denkt, ist das wohl kaum genug«, sagte Ware langsam. »Andererseits ist mir nicht besonders daran gelegen, Sie finanziell zugrunde zu richten . ..«

»Dr. Ware«, sagte nun Pater Domenico mit eherner Stimme. »Muß ich annehmen, daß Sie diesen schrecklichen Wahnsinn wirklich unternehmen werden?«

»Das habe ich noch nicht gesagt«, antwortete ihm Ware sanft. »Wenn ich es aber tue, dann bedarf ich zweifellos Ihrer Hilfe -«

»Nie. Niemals!«

» — und der Hilfe aller anderen Beteiligten. Es ist diesmal in erster Linie wirklich nicht das Geld, das mich anzieht. Aber andererseits wäre ich ohne Geld auch nicht in der Lage, überhaupt ein Experiment wie dieses da zu unternehmen. Auch bin ich davon überzeugt, daß eine solche Gelegenheit nicht wiederkehrt. Wenn mir die ganze Geschichte nicht außer Kontrolle gerät, dann läßt sich von einem derartigen Versuch ungeheuer viel lernen.«

»Ich glaube, das stimmt«, hörte man die Stimme von Dr. Hess. Baines sah ihn überrascht an, aber Hess schien durchaus im Ernst gesprochen zu haben. »Es würde mich selbst sehr interessieren.«

»Sie werden daraus nichts lernen«, sagte Pater Domenico, »außer der kürzesten aller Abkürzungen zur Hölle, womöglich noch in Ihrer leiblichen Gestalt!«

»Eine negative Annahme?« sagte Ware. Diesmal hob er beide Brauen. »Jetzt aber packen Sie mich bei meiner Ehre, Pater. Bisher gibt es in der ganzen Geschichte der westlichen Welt nur zwei analoge Fälle — Johannes Faustus und Don Juan Tenorio. Beide von ihnen aber waren weder entsprechend geschützt noch sonst richtig vorbereitet. Nun, jetzt muß ich doch wohl diese große Aufgabe auf mich nehmen — natürlich nur, wenn Dr. Baines davon überzeugt ist, daß er auch wirklich bekommen wird, wofür er bezahlt.«

»Selbstverständlich bin ich davon überzeugt«, sagte Baines, vor Freude und Erwartung bebend.

»Nicht so rasch. Sie haben mich gebeten, all die wichtigeren Dämonen aus der Hölle loszulassen. Das kann ich natürlich nicht einmal annähernd tun. Ich kann nur jene aufrufen, mit denen ich ein Bündnis habe, freilich auch deren Untergebene. Egal, was Sie in romantischen Erzählungen oder Schauspielen gelesen haben: die drei Obersten Geister — SATHANAS, BEELZEBUTH und SATANACHIA – können nicht beschworen werden, und sie unterschreiben auch keine Pakte. Jedem von diesen dreien unterstehen zwei Minister, und mit jeweils einem von ihnen kann man einen Pakt schließen — einen pro Magier, versteht sich. Ich zum Beispiel beherrsche LUCIFUGE ROFOCALE, und er beherrscht mich. Unter ihm habe ich dann Bündnisse mit so etwa neunundachtzig niedrigeren Geistern. Nicht alle von ihnen würden uns aber für unser Vorhaben nützlich sein — so etwa VASSAGO, der ein mildes Wesen hat und über keine anderen Gaben verfügt, als daß er einem beim Wahrsagen aus der Kristallkugel behilflich sein kann —; oder vielleicht PHOENIX, der ein Dichter und Lehrer ist. Unter Aufbietung all meiner Kräfte, sorgfältigster Vorbereitung und so fort könnten wir von den übrigen vielleicht fünfzig beschwören — keinesfalls mehr. Offen gesagt, ich glaube, schon das wird mehr als genug sein.«

»Wenn Sie das sagen, so will ich es Ihnen gerne glauben«, sagte Baines sofort. »Schließlich sind Sie der Fachmann. Tun Sie’s also?«

»Ja

Pater Domenico, der immer noch im Raum stand, wandte sich rasch der Tür zu. Aber Wares Hand schoß auf ihn zu, als wolle er den Mönch beim Nacken ergreifen.

»Halt!« sagte der Magier. »Ihr Auftrag ist noch nicht erfüllt, Pater Domenico, und innerlich wissen Sie das nur zu gut. Sie müssen dieser ›Sendung‹ beiwohnen und sie beobachten. Was aber noch wichtiger ist: Sie haben selbst gesagt, daß sie sich vielleicht nur schwer in den gewünschten Bahnen halten lassen wird. Deshalb fordere ich Ihren rückhaltlosen Rat bei der Vorbereitung, Ihre Anwesenheit bei der Beschwörung selbst, und, sollte dies nötig sein, Ihre äußersten Anstrengungen, um mir und den anderen Tanisten zu helfen, die ›Sendung‹ zu vereiteln. Das können Sie nicht verweigern — ihre Mission sieht dies ausdrücklich vor, und der ›Pakt‹ bekräftigt es indirekt. Ich zwinge Sie nicht dazu. Ich erinnere Sie lediglich an Ihre positive Pflicht Ihrem Gott gegenüber.«

»Das ist . . . wahr . ..«, flüsterte Pater Domenico verzweifelt. Sein Gesicht war grau wie Löschpapier. Er tastete nach seinem Stuhl und setzte sich wieder.

»Sie haben das sehr tapfer aufgenommen. Ich muß natürlich alle Anwesenden instruieren, aber in Anbetracht Ihrer offenkundigen Bedrängnis möchte ich bei Ihnen den Anfang machen —«

»Eine Frage«, sagte Pater Domenico. »Wenn Sie dann mit Ihren Instruktionen und Ihrer Belehrung für uns alle fertig sind, dann werden Sie für uns vielleicht für einen Monat nicht zu erreichen sein. Ich verlange Zeit, um inzwischen meine Mitbrüder zu besuchen, und vielleicht sogar eine Versammlung aller Weißen Magier einzuberufen —«

»Um mich zu hindern?« stieß Ware zwischen den Zähnen hervor. »Das können Sie nicht verlangen. Der ›Pakt‹ verbietet auch nur die leiseste Einmischung.«

»Das ist mir leider nur allzu schrecklich klar. Nein, nicht um etwas gegen Ihr Vorhaben zu unternehmen, nur um im Katastrophenfall gerüstet und bereit zu sein. Es wäre viel zu spät, wollten Sie sie erst dann zu Hilfe rufen, wenn Sie schon wissen, daß Ihnen die Herrschaft über diese Walpurgisnacht entgleitet.«

»Hm . . . wahrscheinlich ist das eine durchaus vernünftige Vorsichtsmaßnahme, überdies auch etwas, dem ich mich fairerweise nicht entgegenstellen kann. Gut also. Bitte achten Sie nur darauf, daß Sie wieder zurück sind, wenn die Zeit gekommen ist. Hinsichtlich des Tages für unser Vorhaben — was würden Sie vorschlagen? Der Vorabend des 1. Mai wäre der naheliegendste Termin, und wahrscheinlich brauchen wir ohnedies die Zeit bis dahin für unsere Vorbereitungen.«

»Es ist ein zu guter Zeitpunkt, um die Geschichte auch nur einigermaßen in der Hand zu behalten«, sagte Pater Domenico grimmig. »Ich jedenfalls kann nur davon abraten, eine echte Walpurgisnacht ausgerechnet am Tage der formellen abzuhalten. Es wäre weit klüger, eine ungünstige Nacht für Ihr ›Experiment‹ zu wählen — je ungünstiger, desto besser.«

»Auch das ist ein ausgezeichneter, sehr vernünftiger Vorschlag«, sagte Ware. »Also gut, gehen Sie und informieren Sie Ihre Freunde. Hiemit ist das Experiment für Ostern angesetzt.«

Mit einem Schrei schoß Pater Domenico aus dem Zimmer. Hätte man Baines nicht sein ganzes Leben lang gelehrt, daß dergleichen in einem Mann Gottes unmöglich war, so hätte Baines ihn, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, einen Schrei abgrundtiefen Hasses genannt.


13


Theron Ware hatte von einer Reise durch den Antarktischen Kontinent inmitten seiner Blütezeit in der Jura, also vor etwa fünfzig Millionen Jahren, geträumt. Aber leider war der Traum etwas durch persönliche Fantasien verwirrt worden, die sich vor allem mit einem unwesentlichen Feind Wares befaßten, den er in Wirklichkeit schon vor gut zehn Jahren auf besonders grausame Art hatte ›holen‹ lassen. — Er war also nicht traurig, als dieser Traum um Tagesanbruch unvollendet entschwand.

Er erwachte in Schweiß gebadet, obwohl der Traum an sich nicht gerade besonders anstrengend gewesen war. Er brauchte nicht lange zu suchen, um den Grund dafür zu finden: Akhtoi schlief — eine Pfütze aus Fett und Fell — auf seinem Kissen, und hatte Ware schon fast völlig von diesem verdrängt. Ware setzte sich auf, wischte sich das kahle Haupt mit dem oberen Leintuch und blickte mit beinahe neutraler Verärgerung auf den Kater. Selbst für eine abessinische Katze, die ja eine bekannt großknochige Art ist, war der gute Hausgeist schwer übergewichtig. Es war klar, daß eine Diät von nichts anderem als Menschenfleisch offenbar für eine Katze nicht sehr gesund war. Überdies war Ware nicht einmal ganz sicher, daß diese Art Futter auch wirklich nötig war. Nur Eliphas Levi schrieb es vor, und der saugte sich solche Einzelheiten oft buchstäblich aus dem Finger. Zweifellos hatte PHOENIX, dessen Geschöpf Akhtoi war, keine derartige Forderung gestellt. Andererseits war es bei diesen Dingen immer am besten, auf Nummer Sicher zu gehen. Und was übrigens die finanzielle Seite der Sache anlangte, so war Akhtois Menschenfleisch kein allzu gewichtiger Posten. Was an der ganzen Sache am ärgerlichsten war, war die Tatsache, daß der Kater seine schlanke Linie eingebüßt hatte.

Nackt, wie er war, stand Ware auf und durchschritt das kalte Zimmer zu dem Lesepult, auf dem sein Großes Buch lag — nicht das Buch der Bündnisse, das natürlich immer noch sicher in seinem Arbeitsraum verwahrt war, sondern sein Buch des Neuen Wissens. Es war bei dem Abschnitt mit dem Titel

QUASARE

aufgeschlagen, aber außer einem kurzen Absatz, in dem die bisher vorhandenen verläßlichen wissenschaftlichen Informationen über das Thema zusammengefaßt waren — wahrlich ein äußerst kurzer Absatz — war die Seite noch leer.

Nun, das — wie so vieles andere auch — konnte ruhig warten, bis Baines’ Projekt durchgeführt war. Wahrhaft ungeheure Fortschritte im Großen Buch des Neuen Wissens waren sicherlich zu machen, lag erst all das Geld von CWS in der Bank.

Die Zeit, in der Ware sich von allen zurückziehen mußte, hatte Baines und seine Mitarbeiter wieder etwas ziellos gemacht. Um die Wahrheit zu sagen, waren sie alle — sogar Baines selbst — vom Ausmaß dessen, was sie sich vorgenommen hatten, doch etwas erschüttert. Bei Baines und Dr. Hess bestanden noch winzige Spuren von Zweifel an der Durchführbarkeit des Vorhabens. Wenigstens waren sie — trotz der Erscheinung des MARCHOSIAS, deren Zeugen sie geworden waren — nicht ganz in der Lage, sich vorzustellen, wie alles sein würde. Jack Ginsberg aber war durch nichts dergleichen mehr geschützt — jetzt nicht mehr, da er doch jeden Morgen beim Erwachen noch den Geschmack der Hölle selbst in seinem Mund verspürte. Ginsberg war wohl seiner Bestimmung mit Haut und Haar verfallen, aber er hielt sich nicht sehr gut; man würde ihn scharf im Auge behalten müssen. Für ihn würde die Zeit des Wartens besonders schwer werden. Nun, daran ließ sich nun nichts mehr ändern — so war es eben vorgeschrieben.

Der Kater entrollte sich, gähnte, taumelte zierlich auf die Füße und hielt an der Bettkante inne. Er blickte hinunter, als sähe er in das Innere des Kraters des Fujiyama hinab. Schließlich landete er mit einem doppelten splat! auf dem Boden. Es klang wie der Aufprall zweier vollgesogener Schwämme. Dann machte der Kater wieder einen krummen Rücken, streckte seine Hinterbeine, eines nach dem anderen, in einer wahren Ekstase des Zitterns von sich und ging dann langsam auf Ware zu. Dabei schwang sein felliger Bauch von einer Seite auf die andere. »Hein?« sagte der Kater mit einer Frauenstimme, die sexy klang.

»Gleich«, sagte Ware, der anderes im Kopf hatte. »Du kriegst dein Futter, wenn ich meines bekomme.« Er hatte im Augenblick vergessen, daß er soeben ein neuntägiges Fasten begonnen hatte. Sobald er damit fertig war, mußte er auch Baines und seine Gehilfen dazu veranlassen, sich so einer Fastenkur zu unterwerfen.

»Ewiger Vater, o Du, der Du über Cherubim und Seraphim thronst, der Du die Erde und das Meer siehst, zu Dir erhebe ich meine Hände, und flehe um einzig und allein deine Hilfe, Du, der Du die Erfüllung aller Werke bist, der Du reichen Lohn denen gibst, die da arbeiten, der Du die Stolzen erhöhst, Du Zerstörer allen Lebens, Du Erfüllung der Werke, der Du Beute gibst jenen, die Dich anrufen. Schütze und verteidige mich bei meinem Unternehmen, Du, der Du lebst und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen! — Kusch, Akhtoi!«

Überhaupt war es schon Jahre her, seit er auch nur für einen Augenblick geglaubt hatte, Akhtoi sei wirklich hungrig. Vielleicht brauchte der Kater einmal richtig mageres Fleisch statt all diesem Babyspeck — aber Totgeburten waren eben immer noch das Futter, das sich am leichtesten für ihn auftreiben ließ.

Ware läutete Gretchen und ging dann in sein Badezimmer. Dort ließ er die Wanne vollaufen und schüttete eine Unze bezaubertes Wasser hinein, das ihm von der Vorbereitung eines Pergaments übriggeblieben war. Akhtoi, der, wie die meisten Abessinier, fließendes Wasser liebte, sprang auf den Rand der Wanne und versuchte, mit den Pfoten nach Luftblasen zu haschen. Ware stieß den Kater von seinem Sitz, setzte sich selbst ins warme Wasser und begann, den dreizehnten Psalm zu rezitieren: Dominus illuminatio mea . . ., der von Tod und Auferstehung kündete. Seine Stimme klang in dem gekachelten Raum hohl wider. Er fügte dann noch hinzu: »Herr, der Du den Menschen aus nichts geschaffen hast, in Deinem eigenen Ebenbilde, und auch mich, den unwürdigen Sünder — laß Dich bestimmen, ich bitte Dich, dies Wasser hier zu segnen und zu heiligen, so daß aller Irrtum von mir weiche, zu Dir, o Allmächtiger und Unaussprechlicher, der Du dein Volk aus Ägypten geführt hast und es trockenen Fußes durch das Rote Meer gelangen ließest, salbe und weihe mich, wenn es so Dein Wille ist, o Vater der Sünden. Amen.«

Damit glitt er vollständig, von den Zehen bis zum Scheitel, unter Wasser — aber nicht sehr lange, denn in der Unze geweihten Wassers, die er in sein Bad geschüttet hatte, war vom Gerben des Lammfelles her noch eine Spur ungelöschter Kalk (sic!) enthalten, die ihm nun in die Augen geriet. Er kam hoch und schnaubte wie ein Wal. Rasch sagte er in die dunstige Luft hinein: »Dixit insipiens in cordo suo — wirst du jetzt bitte aus dem Weg gehen, Akhtoi? — der Du mich nach deinem Ebenbilde und Angesicht geformt hast, ich bitte Dich, dies Wasser hier zu segnen und zu heiligen, so daß es mir helfe zur Erfüllung meiner Seele, meines Leibes und meines Zieles hier auf Erden. Amen.«

»Hein?«

Jemand klopfte an der Tür. Immer noch mit zusammengekniffenen Augen tastete sich Ware hinaus. An der Schwelle traf er auf Gretchen, die seine Hände und sein Gesicht dem Ritus gemäß mit einem besprengten weißen Tuch trocknete und sich dann vor ihm zurückzog, während er in sein Schlafzimmer schritt. Nun, da seine Augen nicht mehr tränten, konnte er sehen, daß sie nackt war. Aber, da er ja wußte, was sie war, konnte er ihr kaum viel Interesse abgewinnen. Übrigens hatte er ja auch, wie alle Mitglieder religiöser Orden, seit Anbeginn seiner Liebe für die Magie den Zölibat gehalten. Ihre Nacktheit entsprach nur einer der strengen Regeln für den Ritus der Lustration oder Reinigung. Er winkte sie beiseite, machte drei Schritte auf sein Bett zu, auf dem er schon seine Roben vorbereitet hatte, und sagte nach allen Ecken der phänomenellen und epiphänomenellen Welt:

»ASTROSCHIO, ASATH, ä sacra BEDRIMUBAL, FELUT, ANABOTOS, SERABILIM, SERGEN, GEMEN, DOMOS, der Du thronest über den Himmeln, der Du die Tiefen schaust, erlaube mir, daß ich jene Dinge, die ich im Geiste plane und erfinde, auch durch Dich ausführe, und daß sie vor Dir rein erscheinen! Amen.«

Gretchen ging hinaus und wackelte dabei mit ihren schorfigen Arschbacken. Ware begann nun mit dem Ritus der Bekleidung. »Hein?« sagte Akhtoi klagend, aber Ware hörte nicht hin. Sein Triduum hatte nun fromm im Wasser begonnen und würde von ihm strikt eingehalten werden, bis das Ende in Blut kam. Da würde man dann ein Lamm, einen Hund, eine Henne und eine Katze zur Schlachtung benötigen.


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