2. Der erste Auftrag

(In) der legendären Wunderwelt der Theurgie ... scheinen alle Paradoxe tatsächlich zu existieren. Widersprüche bestehen koexistent, die Wirkung ist größer als die Ursache, der Schatten gilt mehr als die Materie. Dort schmilzt das Sichtbare ins Unsichtbare, das Unsichtbare offenbart sich; Bewegung von Ort zu Ort findet statt, ohne daß die dazwischenliegende Distanz durchmessen wird; Materie durchdringt Materie ... Dort wird das Leben verlängert, die Jugend erneuert, die Unsterblichkeit des Fleisches gewonnen. Dort wird Gold zu Erde und Erde zu Gold. Dort haben Worte und Wünsche schöpferische Kraft, Gedanken sind Dinge, das Begehren verwirklicht den Gegenstand, auf den es sich richtet. Dort leben auch die Toten, und die Hierarchien außerirdischer Geister sind dem Menschen eher zugänglich, und sie werden Priester oder Folterknechte, Führer oder Zerstörer der Menschen.

Aus A. E. Waite,

THE BOOK OF CEREMONIAL MAGIC

1

Der Magier sagte: »Nein, ich kann Ihnen nicht dabei helfen, eine Frau zu ›überreden‹. Wenn Sie wünschen, daß sie vergewaltigt wird, so kann ich das arrangieren. Wollen Sie sie selbst vergewaltigen, so kann ich auch das ermöglichen, allerdings macht mir das schon etwas mehr Mühe — wahrscheinlich sogar weit mehr, als wenn Sie es bloß alleine versuchten. Aber mit irgendwelchen Zaubertränklein oder Beschwörungsformeln kann ich Sie nicht versorgen. Meine Spezialität sind Gewaltverbrechen, vor allem Mord.«

Baines warf seinem persönlichen Assistenten einen schrägen Blick zu. Jack Ginsberg, der gewöhnlich keine Gemütsbewegung zeigte, behielt auch diesmal ein völlig ausdrucksloses Gesicht. Es war schön, sich auf jemanden verlassen zu können. Baines sagte: »Sie sind sehr aufrichtig.« »Ich bemühe mich, so wenig wie möglich herumzuorakeln und geheimnisvoll zu tun«, sagte Theron Ware — Baines wußte, daß er wirklich so hieß — rasch darauf. »Vom Standpunkt des Kunden gesehen ist Schwarze Magie ein Gebiet technischen Wissens, wie Hoch- oder Maschinenbau. Je mehr er darüber weiß, desto leichter ist es, zu einem Übereinkommen zu gelangen.«

»Keine Geschäftsgeheimnisse? Geheimnisvolles Wissen und so . . .?«

»Doch, schon. Meist das Ergebnis meiner eigenen Forschungen. Nur weniges davon wäre für Sie wichtig oder interessant. Natürlich ist das meiste magische Wissen geheimnisvoll — aber nur, weil die Leute nicht wissen, welche Bücher sie lesen sollen, oder wo diese Bücher erhältlich sind. Haben Sie aber erst einmal diese Werke — und in manchen Fällen auch noch jemanden, der sie für Sie übersetzt oder interpretiert —, dann wissen Sie beinahe alles, was ich weiß. Jedenfalls können Sie so alles auf diesem Gebiet Wichtige innerhalb eines Jahres erlernen. Um aus dem Gelernten allerdings auch Nutzen zu ziehen, müßten Sie auch schon Talent haben, denn die Magie ist ja auch eine Kunst. Mit den richtigen Büchern und entsprechender Begabung können Sie Magier werden. Entweder sind Sie einer oder Sie sind es nicht. Es gibt keine schlechten Magier — ebensowenig, wie es schlechte Mathematiker gibt. Unter idealen Voraussetzungen würden Sie etwa zwanzig Jahre dazu brauchen. Natürlich nur, wenn die Sache Sie nicht vorher umbringt — auf die gleiche Weise etwa, wie man als Chemiker oder Physiker im Labor umkommen kann. Mit einem Spielraum von einigen Jahren auf oder ab braucht es so lange, bis man die nötigen Kräfte und das nötige Geschick entwickelt hat. Ich will mit all dem nicht sagen, daß es nicht etwa eine gewaltige Aufgabe wäre — das Zeitalter der Geheimhaltung aber ist jedenfalls endgültig vorbei. Und dann sind auch die älteren Texte über Magie wirklich für einfache Menschen geschrieben. Sie mit Verstand zu lesen ist viel einfacher als — na, sagen wir: die Erlernung der Notenschrift. Aber selbst wenn sie weit schwieriger verschlüsselt wären, so könnten sie heutzutage Computer schon sehr rasch entziffern.«

Ware wußte ohne Zweifel, daß das meiste, was er vorbrachte, Baines längst bekannt war. Baines argwöhnte, der Magier erzähle all dies nur, um Zeit zu gewinnen, in der er seinen Klienten genauer studieren könne. Dieser Verdacht erhärtete sich sofort, als sich hinter Wares riesigem Schreibtisch geräuschlos eine Schwingtür öffnete, durch die ein blondes Mädchen mit Pagenhaarschnitt und sehr kurzem Rock eintrat. Auf einer kleinen Silberuntertasse trug sie einen Brief.

»Vielen Dank, Greta. — Entschuldigen Sie«, sagte Ware und nahm die Tasse. »Wäre das hier nicht wichtig, hätte man uns sicher nicht unterbrochen.« Man hörte das Knistern von teurem Papier, als der Magier den Brief öffnete.

Baines sah dem Mädchen nach, als es den Raum verließ. Sie erinnerte ihn vage an jemanden, fesselte aber seine Aufmerksamkeit nur kurz. Dann machte er sich ganz unverhohlen daran, Ware unter die Lupe zu nehmen. Wie immer begann er mit dessen Umgebung.

Das Büro des Magiers, das nun im hellen Schein der Nachmittagssonne lag, hätte ohne weiteres das von Bücherwänden umschlossene Arbeitszimmer irgendeines Arztes oder Rechtsanwalts sein können — nur waren sowohl der Raum selbst als auch die Möbel überdimensioniert. Das sagte natürlich über Ware selbst nicht sehr viel aus, denn das Haus war bloß ein gemieteter Palazzo, der am Steilabhang errichtet war. Man hätte in Positano sicher noch größere finden können, wäre Ware an noch höheren Decken und noch schlechterer Akustik ernsthaft interessiert gewesen. Obwohl die meisten der Bücher alt aussahen, war doch das Büro kaum dumpfer als, sagen wir mal: die Bibliothek eines kleinen Colleges in den USA, und sie enthielt auch wesentlich weniger überalterte Instrumente. Das einzige, was in diesem Büro- und Arbeitsraum leise an Magie erinnerte, war der schwache Geruch verschiedenartigen Räucherwerks. Diesen allerdings konnte auch die Mittelmeerluft, die durch die großen offenen Fenster hereinströmte, nicht ganz verdrängen. Andererseits aber war dieser Duft so schwach, daß Baines es bald aufgab, ihn in seine Komponenten zu zerlegen. Überdies hatte er nur geringen diagnostischen Wert: kleine italienische Kirchen z.B. rochen ebenso — und übrigens auch die Salons ägyptischer Polizeichefs.

Ware selbst war freilich beachtenswert, aber — mit nur einer einzigen Ausnahme — nur in dem Sinn, in dem alle Menschen im Auge des geborenen Führers einzigartig sind. Ein kleiner, magerer Mann in einem Anzug aus irischem Tweed, einem Hemd mit Stülpmanschetten, von Knöpfen zusammengehalten, die wie gewöhnlicher Stahl aussahen, einer schmalen, grauen Seidenkrawatte, auf der als Nadel eine aus Saphir geschnittene kleine Schachfigur prangte: ein Turm. Seine Magerkeit schien wie mit starken Kabeln zusammengehalten. Baines war sicher, daß Ware physisch außerordentlich kräftig war — trotz einer gewissen blassen Gesichtsfarbe —,und daß sich seine Gürtelweite seit Mittelschultagen nicht mehr verändert hatte.

Sein gegenwärtiges Äußeres war trügerisch, soweit es eine Schätzung von Wares Alter zuließ. Sein Gesicht war gefurcht, und seine buschigen, grauen Schläfen ließen nur noch ganz schwach erkennen, daß Ware einmal rothaarig gewesen war. Sein Haupthaar selbst gab keinen derartigen Hinweis, denn — und darin lag das einzige wesentlich Seltsame seines Äußeren — er war kahlgeschoren wie ein Mönch. Blaue Venen krochen über seinen kahlen, weißen Schädel und unter der papiernen Haut seiner Hände. Ein naiver Beobachter hätte ihn für gegen Ende sechzig gehalten. Baines aber wußte, daß Ware genauso alt war wie er selbst, nämlich achtundvierzig. Offenbar war Schwarze Magie — durchaus nicht überraschenderweise — ein sehr anstrengender Beruf. An den Wissenschaftlern, die für Consolidated Warfare Service (in der A. O. LeFebre et Cie. Branche) arbeiteten, hatte Baines die Beobachtung machen können, daß solche Typen normalerweise ab dreißig ständig wie fünfundvierzig aussahen — und zwar, bis ihr Haar weiß wurde, wenn sie nicht schon vorher einem Herzinfarkt erlagen.

Das Pergament knisterte; und Jack Ginsberg berührte unauffällig seinen Attache-Koffer. Damit setzte er ein Tonbandgerät in Rom wieder in Gang. Baines schien es, als hätte Ware die Bewegung bemerkt, zöge es aber vor, die Sache nicht zur Kenntnis zu nehmen. Der Magier sagte:

»Selbstverständlich geht alles auch viel schneller, wenn meine Klienten gleichermaßen offen zu mir sind.«

»Ich stelle mir vor, daß Sie inzwischen schon alles über mich wissen«, sagte Baines. Innerlich war er voll Bewunderung. Die Fähigkeit, eine unterbrochene Konversation genau an dem Punkt wieder aufzunehmen, an dem sie geendet hatte, war bei Männern selten. Frauen fällt das nicht schwer, aber bei ihnen hat es meistens keinen Sinn.

»Oh, Dun and Bradstreet«, sagte Ware, »Zeitungsarchive, und natürlich auch die Flüstermühle — all das habe ich natürlich über Sie. Aber immerhin muß ich Ihnen noch einige Fragen stellen.«

»Warum lesen Sie denn nicht lieber gleich meine Gedanken?«

»Weil das Arbeit bedeuten würde, die nicht lohnt. Damit will ich durchaus nichts Negatives über Ihre Gedanken oder Ihren ausgezeichneten Verstand sagen. Aber über eines müssen Sie sich im klaren sein: Magie ist schwere, ernste Arbeit. Ich bediene mich ihrer nicht aus Faulheit — Faulheit gehört nicht zu meinen Eigenschaften —, aber dennoch benütze ich den einfachsten Weg, das, was ich brauche, zu bekommen, wenn es einen einfachen Weg gibt.«

»Im Augenblick kann ich Ihnen nicht folgen.«

»Also versuchen wir es einmal mit einem Beispiel: Jegliche Magie — ich wiederhole: jegliche Magie, ohne Ausnahme — beruht auf der Beherrschung von Dämonen. Unter Dämonen verstehe ich im besonderen gefallene Engel. Keine Geringeren können etwas für Sie tun. Ich kenne also zufällig so einen Dämon, dessen irdische Form eine besonders lange Zunge besitzt. Vielleicht kommt Ihnen das komisch vor?«

»Eigentlich nicht.«

»Nun, lassen wir das für den Augenblick beiseite. Wie dem auch immer sein mag, dieser Geist ist auch ein Großprinz und Präsident, und ich müßte drei Tage Arbeit aufwenden, um ihn zu beschwören, und wäre anschließend dann noch zwei Wochen lang völlig erschöpft. Soll ich ihn also beschwören, damit er mir die Gummierung von Briefmarken ableckt?«

»Jetzt verstehe ich, was Sie meinen«, gab Baines zu. »Also gut, fragen Sie drauflos.«

»Danke schön. — Wer hat Sie zu mir geschickt?«

»Ein Medium in Bel Air — Los Angeles. Die Frau versuchte, mich zu erpressen. Um ein Haar hätte sie Erfolg gehabt. Daraus schloß ich, sie müsse wirklich über außerordentliche Gaben verfügen und würde vielleicht jemanden kennen, der diese in noch reicherem Maße besitzt. Ich habe ihr gedroht, ich würde sie töten lassen, und sie hat klein beigegeben.«

Ware machte sich Notizen. »Ich verstehe. Und die hat Sie dann zu den Rosenkreuzern geschickt?«

»Sie hat es versucht, aber den Trick kannte ich schon. Dann hat sie mich zum Monte Albano geschickt.«

»Ah. — Ich muß gestehen, daß mich das etwas überrascht. Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie Schatzfinder brauchen.«

»Nun ja, ich brauche welche und dann doch wieder nicht«, sagte Baines. »Ich werde das noch näher erklären, aber — wenn es Ihnen nichts ausmacht — erst etwas später. Vor allem aber brauche ich jemanden in Ihrem Fach — Mord —, und auf diesem Gebiet sind natürlich die weißen Mönche völlig unbrauchbar. Bei ihnen habe ich das Thema nicht einmal angeschnitten. Offen gestanden wollte ich dort nur eine Probe auf Ihren Ruf machen, von dem ich bis dahin ja nicht allzuviel wußte. (Sie sehen, auch ich verstehe mich der Zeitungsarchive zu bedienen.) Der tödliche Schrecken der guten Mönche, als ich bloß Ihren Namen nannte, hat mich dann überzeugt. Ich wußte, daß ich wenigstens mit Ihnen sprechen mußte.«

»Sehr vernünftig. Dann glauben Sie also noch nicht wirklich an Magie — nur an ESP und derlei Unsinn.«

»Ich bin kein religiöser Mensch«, sagte Baines vorsichtig.

»Gut gesagt. Also wollen Sie eine Demonstration. — Haben Sie den Spiegel mitgebracht, den ich bei dem Telefongespräch mit Ihrem Assistenten erwähnt habe?«

Schweigend zog Jack aus der Innentasche seiner Jacke einen Wachspapierumschlag. Diesem entnahm er einen in Cellophan verpackten Damenhandspiegel. Er reichte ihn Baines, der die Versiegelung erbrach.

»Gut. Sehen Sie einmal hinein.«

Aus Baines Augenwinkeln krochen zwei langsame, dicke Tränen dunklen, venösen Blutes hervor und rannen entlang seiner Nase herab. Er senkte den Spiegel und starrte Ware an.

»Hypnose«, sagte er relativ ruhig. »Ich hatte eigentlich mehr von Ihnen erwartet.«

»Wischen Sie sie ab«, sagte Ware unbekümmert.

Baines zog sein makelloses, monogrammgeschmücktes Taschentuch hervor. Auf dem blütenweißen Gewebe verwandelten sich die beiden roten Flecken langsam in buttergelbes Gold.

»Ich schlage vor, daß Sie das morgen zu einer staatlichen Scheideanstalt tragen und prüfen lassen«, sagte Ware. »Die Chemiker dort werde ich doch wohl nicht auch hypnotisieren können. Und jetzt können wir vielleicht endlich zum Geschäft kommen.«

»Ich dachte, Sie hätten gesagt —«

»Daß selbst der einfachste Trick eines Dämons bedarf. Das habe ich gesagt, und das stimmt auch. Er sitzt jetzt hinter Ihrem Rücken, Mr. Baines, und dort bleibt er bis übermorgen um die gleiche Stunde. Merken Sie sich das: übermorgen. Es wird mich eine ganze Menge kosten, dieses bißchen Unsinn ausgeführt zu haben, aber ich bin nun schon daran gewöhnt, daß ich für skeptische Kunden derlei Firlefanz vorführen muß. Sie werden einen entsprechenden Betrag auf Ihrer Rechnung finden. Wenn Sie also jetzt bitte endlich zur Sache kommen wollen, Mr. Baines ... Was wollen Sie eigentlich?«

Baines reichte Jack das Taschentuch. Der legte es sorgfältig zusammen und verwahrte es in dem Wachspapier-Umschlag. »Ich möchte«, sagte Baines, »selbstverständlich, daß jemand getötet wird. Ohne die leiseste Spur.«

»Selbstverständlich. Aber wer?«

»Das werde ich Ihnen gleich sagen. Erst aber möchte ich Sie noch etwas fragen: Haben Sie irgendwelche Skrupel?«

»Oh, eine ganze Menge«, sagte Ware. »So bringe ich zum Beispiel meine Freunde nicht um — für keinen Kunden der Welt. Möglicherweise mache ich auch bei völlig fremden Menschen manchmal eine Ausnahme. Gewöhnlich aber lasse ich Fremde ›holen‹ — wobei mein Honorar dann nach einem regulären Tarif gestaffelt ist.«

»Nun, dann gehen wir also auf konkrete Möglichkeiten ein«, sagte Baines. »Ich habe eine geschiedene Frau, die mir außerordentlich lästig ist. Würde Sie das stören?«

»Hat sie Kinder — von Ihnen oder jemand anderem?«

»Nein, überhaupt keine.«

»In diesem Falle besteht überhaupt keine Schwierigkeit. Für einen Auftrag dieser Art berechne ich fünfzehntausend Dollar, alles inklusive.«

Obwohl er sich sonst immer in der Gewalt zu haben glaubte, sah Baines Ware jetzt überrascht an. »Nicht mehr?« fragte er schließlich.

»Ja, das ist der ganze Preis. — Ich glaube, daß ich beinahe so reich bin wie Sie, Mr. Baines. Immerhin kann ich Schätze ebenso leicht finden wie die weißen Mönche — ja, sogar noch um ein ganzes Ende leichter und besser. Ich übernehme die Alimentenfälle überhaupt nur, um mir in der Öffentlichkeit einen gewissen Namen zu bewahren. In finanzieller Hinsicht sind sie ein reines Verlustgeschäft.«

»Von welchem Punkt an beginnt ein Honorar für Sie interessant zu werden?«

»Nun, für etwa fünf Millionen strenge ich mich schon ein bißchen an.«

Wenn dieser Mann ein Scharlatan war, dann ein grandioser. Baines sagte: »Bleiben wir also im Augenblick noch beim Fall meiner geschiedenen Frau. Oder besser: Nehmen wir an, daß mich dieser Fall nicht vom Standpunkt der Alimente her interessiert — was wirklich der Fall ist. Nehmen wir statt dessen an, daß ich nicht nur will, daß sie stirbt, sondern daß sie einen schweren Tod hat . . . daß sie eine ganze Menge leiden muß.«

»Dafür berechne ich nichts extra.«

»Warum nicht?«

»Mr. Baines«, sagte Ware geduldig, »darf ich Sie noch einmal daran erinnern, daß ich selbst ja kein Mörder bin. Ich berufe lediglich einen Agenten und gebe ihm seine Anweisungen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich — ja, ich hege eigentlich gar keinen Zweifel daran —, daß jeder ›Patient‹, nach dem ich schicke, in einem Übermaß von Angst und Schrecken stirbt, das Ihre — und wahrscheinlich auch meine — Vorstellungskraft bei weitem übersteigt. — Sie haben aber ausdrücklich verlangt, der Mord solle ›ohne die leiseste Spur‹ ausgeführt werden. Damit meinen Sie doch wohl, daß man dann an der Toten keine ungewöhnlichen Merkmale feststellen können soll. Mir selbst ist es auch so lieber. Wie könnte ich Ihnen aber dann das Leiden und die verzweifelte Agonie (falls Ihnen daran gelegen ist) hinlänglich glaubwürdig nachweisen, um dafür dann auch einen Mehrbetrag zu fordern? — Oder sehen wir uns vielleicht die Sache einmal von der anderen Seite an, Mr. Baines. Ab und zu bittet ein ungewöhnlicher Scheidungsklient aus irgendeinem Rest von Gefühl oder Sympathie darum, sein früherer Ehepartner möge möglichst schmerzlos, ja vielleicht sogar süß und lieblich aus dem Wege geräumt werden. Ich könnte natürlich für so etwas ein Sonderhonorar verlangen — Erfolgshonorar natürlich, das heißt, wenn sich herausstellt, daß die Leiche keine Anzeichen von Krankheit oder Gewaltanwendung aufweist. Meine Agenten aber sind nun einmal Dämonen, und Süße und Mildtätigkeit gehören zu den Dingen, zu denen sie weder neigen noch zu denen man sie zwingen kann. Ich kann also auch diese Bedingung keinem Klienten zu Gefallen akzeptieren. Man zahlt mir für Tod, und Tod liefere ich, rasch und gründlich. Die näheren Umstände bleiben dem Agenten überlassen. Ich biete also meinen Kunden grundsätzlich nichts an, von dem ich nicht mit Sicherheit weiß, daß ich es auch liefern kann.«

»Gut, damit haben Sie meine Frage gründlich beantwortet«, sagte Baines. »Denken wir also nicht mehr an Dolores. Um die Wahrheit zu sagen: Sie belästigt mich nur am Rande— allerdings gibt es davon in meinem Leben noch mehr davon.

— Nun wollen wir aber einmal vom anderen Ende des Spektrums sprechen. Nehmen wir einmal an, ich würde Sie bitten... nach einem ... großen Politiker zu ›schicken‹. Sagen wir einmal zum Beispiel, den Gouverneur von Kalifornien — oder, falls der zu Ihren Freunden gehört, eben nach einer anderen vergleichbaren Gestalt unserer politischen Bühne, die nicht zu Ihrem Freundeskreis gehört.«

Ware nickte. »Nun, der ist ein ganz gutes Beispiel. Aber Sie werden sich erinnern, daß ich Sie nach Kindern gefragt habe. Wären Sie wirklich ein Alimentenfall gewesen, so wäre meine nächste Frage nach den überlebenden Verwandten Ihrer Frau gewesen. Meine Honorarsätze steigen in direktem Verhältnis zur Anzahl und Art der Menschen, die durch einen gegebenen Todesfall voraussichtlich betroffen werden. Das fällt teilweise unter das Kapitel ›Skrupel‹ — oder was ich so nenne —, zum anderen Teil aber in das Kapitel ›Notwehr‹. Im Falle eines noch im Amt befindlichen Gouverneurs eines Staates würde ich einen Dollar pro Stimme verlangen, die er bei der letzten Wahl erhielt. Wozu dann selbstverständlich noch meine Selbstkosten und Spesen kommen würden.«

Baines pfiff bewundernd durch die Zähne. »Sie sind der erste Mensch, dem ich begegne, dem es gelungen ist, ein System zu entwickeln, bei dem Skrupel zu barem Geld werden. Jetzt verstehe ich auch, warum Ihnen an Alimentenfällen nichts gelegen ist. Eines Tages, Mr. Ware —«

»Doktor Ware, wenn ich bitten darf. Ich bin Doktor der Theologie.«

»Entschuldigen Sie. Ich wollte nur sagen, daß ich Sie eines Tages fragen werde, wozu Sie so viel Geld wollen. Euch Ästheten fällt ja nur selten eine vernünftige Verwendung dafür ein. Inzwischen allerdings betrachten Sie sich als angestellt und beauftragt. Ist die ganze Summe im voraus zahlbar?«

»Die Spesentangente ist im voraus zu entrichten. Das Honorar selbst C.O.D. — also bei zufriedenstellender Ausführung des Auftrages. Es wird Ihnen einleuchten, wenn Sie nur einen Augenblick darüber nachdenken, Mr. Baines —«

»Doktor Baines — ich bin Doktor der Rechte.«

»Nun muß ich mich meinerseits bei Ihnen entschuldigen. — Nach all diesen Höflichkeitsformeln möchte ich nun nur noch, daß Sie sich darüber klar werden, daß es noch nie — noch niemals bisher — jemandem gelungen ist, mich um mein Honorar zu prellen.«

Baines dachte kurz daran, was angeblich bis übermorgen hinter seinem Rücken stehen würde. Vorbehaltlich der Analyse der goldenen Tränen auf seinem Taschentuch war er bereit, zu glauben, daß es unklug wäre, Ware zu betrügen. Er hatte das freilich auch gar nicht vorgehabt.

»Gut«, sagte er. »Aus den gleichen Gründen brauchen wir wohl auch keinen Vertrag. Ich erkläre mich mit Ihren Bedingungen einverstanden.«

»Meine Bedingungen wofür?«

»Nun«, sagte Baines, »wir können es für den Anfang einmal mit dem Gouverneur von Kalifornien versuchen. Jack wird die verbleibenden Details mit Ihnen regeln. Ich muß leider heute nacht noch nach Rom zurück.«

»Sie haben doch gesagt ›für den Anfang einmal‹?«

Baines nickte kurz. Ware erhob sich nun gleichfalls und sagte: »Gut also. Ich stelle keine Fragen. Ich halte es aber für fair, Mr. Baines, Ihnen jetzt schon zu sagen, daß ich Sie bei dem nächsten Auftrag dieser Art fragen werde, was Sie denn eigentlich wollen.«

»Zu diesem Zeitpunkt«, sagte Baines, der nur mühsam seiner Erregung Herr wurde, »werden wir uns einander allerdings gegenseitig anvertrauen müssen. — Ja, noch etwas, Dr. Ware: Wird der — hm — Dämon auf meinem Rücken zur gegebenen Zeit von selbst verschwinden, oder muß ich Sie dann wieder aufsuchen, um ihn entfernen zu lassen?«

»Er ist nicht auf Ihrem Rücken«, sagte Ware, »und er wird von selbst verschwinden. Was immer Marlowe auch geschrieben haben mag: Das Elend liebt die Gesellschaft nicht.«

Baines entblößte seine Zähne. »Das werden wir erst noch sehen«, sagte er dann.


2


Einen Augenblick lang fühlte Jack Ginsberg jenes kurze, seltsame Gefühl des Mannes, der nicht recht weiß, was eigentlich los ist, und der daher glaubt, man sei vielleicht eben dabei, ihn hinauszuwerfen. Es war, als habe ihn etwas irrtümlich verschluckt und begebe sich nun daran, ihn — ganz ohne bösen Willen — wieder zu erbrechen.

Während er noch darauf wartete, daß sich die Übelkeit des Ungeheuers wieder legen würde, durchlief Jack das Repertoire seiner Rituale: er befühlte seine Backen, ob es dort wohl Bartstoppeln gäbe, nestelte an seinen Bügelfalten, ging im Geiste die Abrechnungen der letzten Woche durch und dachte vor allem wie meist in solchen Zwischenperioden daran, wie wohl das neue Mädchen aussehen würde, wenn es — nur in Strümpfen — vor ihm hockte. Nichts Besonderes, wahrscheinlich. Die Wirklichkeit war fast immer von fleischlichen Unbequemlichkeiten eingeengt, von lächerlichen kleinen Idiosynkrasien, die er in der Fantasie mühelos vom reinen geschauten Bild trennen konnte.

Als der Chef gegangen und Ware an seinen Schreibtisch zurückgekehrt war, war Jack allerdings augenblicklich verhandlungsbereit und in Hochform. Er war auf seine völlige Selbstbeherrschung sehr stolz.

»Fragen?« sagte Ware und lehnte sich behaglich zurück.

»Doch, einige, Dr. Ware. Sie haben von Spesen gesprochen. Was für Spesen meinen Sie?«

»Nun, vor allem Reisespesen«, sagte Ware. »Ich muß den ›Patienten‹ persönlich sehen. In dem von Mrs. Baines verlangten Falle bedeutet das eine Reise nach Kalifornien. Das bereitet mir einige Mühe und wird selbstverständlich in Rechnung gestellt. Meine Spesen bestehen aus Flugreise, Hotelkosten, Mahlzeiten und kleinen Sonderauslagen, über die ich natürlich, nachdem mein Auftrag ausgeführt ist, genau Rechnung ablegen werde. Und dann ist da noch das Problem, wie man bis zum Gouverneur vordringt. Wohl habe ich Kollegen in Kalifornien, aber ich werde doch einige Leute beste ... Ich meine, ich werde mir ihren guten Willen erkaufen müssen. Ich weiß, daß ich auf die Unterstützung von Consolidated Warfare zählen kann, aber trotzdem .. . Rüstungsindustrie und Magie sind eben doch Kreise, die sich kaum überschneiden. — Wenn ich es so überschlage, will mir scheinen, daß eine Zahlungsanweisung über Zehntausend nicht zu hoch gegriffen ist.«

So viel schönes Geld für Zauberei? Einfach scheußlich. Aber der Chef glaubte offenbar daran — wenigstens vorläufig. Jack fühlte sich bei alledem durchaus nicht wohl.

»Das klingt vernünftig«, sagte er, schickte sich aber nicht an, das Scheckbuch von Consolidated Warfare zu zücken. So leicht rückte er mit dem Geld nicht heraus, ehe er sich nicht überzeugt hatte, ob und inwieweit die Ausgaben gerechtfertigt waren. Vor allem fehlte es ihm noch an Vertrauen in diese seltsame Mission.

»Natürlich machen wir uns darüber Gedanken, ob alle diese Auslagen wirklich nötig sind, Herr Doktor. Es ist uns natürlich klar, daß Sie nicht darauf Wert legen, auf einem Dämon durch die Lüfte zu reiten, wenn sich die Sache per Düsenclipper bequemer erledigen läßt. . .«

»Ich bin nicht sicher, daß Ihnen das klar ist«, sagte Ware. »Aber nun hören Sie schon auf zu jammern und fragen Sie mich über das Geld.«

»Hm, ja . . . Herr Doktor, warum leben Sie denn eigentlich außerhalb der Vereinigten Staaten? Wir wissen, daß Sie immer noch Ihre Staatsbürgerschaft beibehalten haben. Und auch sonst — wir haben ja immer noch völlige Religionsfreiheit in den Staaten. Warum soll der Chef dafür bezahlen, Sie für diesen Auftrag heim nach Amerika zu schicken?«

»Weil ich eben kein gewöhnlicher Meuchelmörder oder Heckenschütze bin, der seine »Patienten« mit Schalldämpfer und Zielfernrohr erledigt«, sagte Ware. »Ferner, weil ich nicht Wert darauf lege, Einkommensteuer zu zahlen oder überhaupt irgend jemandem über mein Einkommen und meine Vermögensverhältnisse Auskunft geben will. Da haben Sie also erst einmal zwei handfeste Gründe. Zum Nutzen Ihres stets aufmerksamen Diplomatenköfferchens will ich auch noch sagen — denn Sie selbst lassen sich ja wohl nichts sagen


. . . Sie sind, weiß der Teufel, ein taubes Ohr —, wenn ich also in den Staaten lebte und mich für einen Magier erklärte, würde man mir einen Betrugsprozeß anhängen. Wenn ich mich aber dann verteidigen und erfolgreich den Wahrheitsbeweis dafür antreten wollte, daß ich wirklich ein Magier bin, dann würde ich mich bald in der Gaskammer befinden. Wenn ich mich aber nicht auf diese Art verteidigte, dann schriebe man mich einfach »wieder als einen dieser Scharlatane« ab. In Europa aber kann ich ruhig behaupten, ich sei ein Magier. Solange ich meine Klienten zufriedenstelle, läßt man mich in Ruhe. Caveat emptor. Sonst müßte ich ja doch dauernd kleinkarierte Politiker und Buchsachverständige umbringen, was kaum der Mühe wert ist. Und jetzt können Sie das Ding da abdrehen.«

Aha, es war also mit diesem Kerl doch nicht alles in Ordnung. Er nützte den Aberglauben der Leute aus. Als Mitglied der Reformierten Orthodoxen Agnostischen Kirche kannte sich Jack Ginsberg mit allen Einzelheiten solcher psychologischer Spekulationen aus — vor allem mit dem, was er die


>doppelte Buchhaltung« der Sache nannte. Er sagte also gewandt :

»Ich verstehe vollkommen. Aber haben Sie denn nicht — vor allem hier in Italien — beinahe ebensoviel Schwierigkeiten mit der Kirche, wie Sie daheim in den Staaten mit der Regierung hätten?«

»Nein, unter einem liberalen Pontifikat durchaus nicht. Die moderne Kirche ist bemüht, bei ihrer Anhängerschaft gegen den Aberglauben aufzutreten. Ich habe schon seit Jahrzehnten keinen Prälaten mehr kennengelernt, der an die buchstäbliche Existenz von Dämonen geglaubt hätte — obwohl freilich einige der Orden besser unterrichtet sind.«

»Schon, schon«, sagte Jack und ließ dann freudig erregt seine Falle zuschnappen. »Es will mir scheinen, Herr Doktor, als übertrieben Sie ein wenig — und als seien Sie mit uns überdies auch nicht völlig aufrichtig gewesen. Wenn Sie wirklich Macht über all diese großen Prinzen und Präsidenten haben, so könnten Sie dem Chef ebensogut eine Frau verschaffen, wie Sie einen Schatz oder einen Mord liefern können.«

»Natürlich könnte ich das«, gab der Magier nun schon etwas müde zu. »Ich merke, Sie haben sich in die Materie schon ein bißchen eingelesen. Aber ich habe Dr. Baines doch schon erklärt — und ich erkläre es Ihnen nun noch einmal —, daß ich nur auf Gewaltverbrechen spezialisiert bin. Also, Herr Ginsberg, Sie wollten mir doch einen Scheck für einen Spesenvorschuß ausstellen . . .?«

»Ja, ja, das stimmt schon . . .« Jack zögerte noch immer. Schließlich sagte Ware mit feinfühliger Höflichkeit:

»Kann ich vielleicht noch sonst irgendwelche Zweifel zerstreuen helfen, Mr. Ginsberg? Ich bin immerhin Doktor der Theologie. Oder wollen Sie mir vielleicht privat einen Auftrag geben?«

»Nein«, sagte Jack, »nein, eigentlich nicht.«

»Es besteht für Sie wirklich kein Grund, schüchtern zu sein. Es ist völlig offensichtlich, daß Ihnen meine Lamia gefällt. Und, um der Wahrheit die Ehre zu geben, es fehlen ihr all jene ärgerlichen Eigenschaften, die Sie an irdischen Menschenfrauen so sehr stören . . .«

»Verdammt noch einmal. Hab’ ich es mir doch gedacht, daß Sie Gedanken lesen können! Da haben Sie also auch diesbezüglich gelogen!«

»Ich lese keine Gedanken, und ich lüge nie«, sagte Ware. »Aber ich verstehe mich leidlich darauf, aus Gesichtszügen und -ausdruck zu lesen und Somatotypen oder den Phänotypus eines Menschen zu interpretieren. Das erspart mir viele Enttäuschungen, Schwierigkeiten und eine Menge überflüssiger Zauberei. Wollen Sie also das Geschöpf oder nicht? Ich kann sie natürlich auch völlig unsichtbar zu Ihnen schicken.«

»Nein.«

»Nicht unsichtbar. Sie tun mir leid. Nun denn, mein gottloser und lustloser Freund, dann sagen Sie es mir eben selbst: was wollen Sie eigentlich? Ihr dienstlicher Auftrag ist schon längst erledigt. Kotzen Sie es also endlich heraus: Was wollen Sie?«

Einen atemlosen Augenblick lang war Jack nahe daran, es zu bekennen, aber der Gott, an den er nicht mehr glaubte, stand hinter ihm. — Er füllte den Scheck aus, unterschrieb ihn, und wollte ihn Ware reichen. Das Mädchen (nein, nicht ein Mädchen) kam ins Zimmer und nahm den Scheck.

»Auf Wiedersehen«, sagte Theron Ware.

Wieder einmal hatte Jack die Gelegenheit verpaßt.


3


Voll Hoffnung las Pater Domenico den Brief noch einmal. Getreu seinem Namensheiligen befleißigte sich Pater Ucello eines augustinischen Stils voll seltener und archaischer Worte, daneben wieder ausgesprochene Neologismen, die in mittelalterliche Syntax eingebettet waren — als Stilisten zog Pater Domenico weiß Gott Roger Bacon vor. Aber da dieser hervorragende Anti-Magiker kein katholischer Ordensgeistlicher war, wurde er in diesen Kreisen nur von wenigen imitiert — . .. Immerhin schien es noch möglich, daß Pater Domenico den Sinn von Pater Ucellos Brief mißdeutet hatte. Aber nein: Bei der zweiten Lektüre stellte sich heraus, daß — wie verdreht und verschnörkelt das Latein dieses Schreibens auch war — der Sinn leider nur allzu eindeutig blieb.

Pater Domenico seufzte. Die Ausübung zeremonieller Magie, zum mindesten ihrer weißen Abart, mit der allein sich das Kloster befaßte, wurde immer unergiebiger. Ein Teil des Problems lag darin, daß die wichtigste traditionelle kommerzielle Anwendung der Zeremonialmagie darin lag, mit ihrer Hilfe verborgene Schätze zu finden. Nach Jahrhunderten derartiger Schatzsuche durch Hunderte von Schwarzen und Weißen Magiern gab es — vor allem, seit auch so technisches Zeug wie Metallspür- und Minensuchgeräte auf dem Plan erschienen waren — nur mehr verdammt wenige noch unaufgefundene Schätze. In den letzten Jahren hatte es sich bei den Schätzen, die von Geistern unter der Oberherrschaft von OCH und BETHOR angegeben wurden — wobei die Fachliteratur vor allem OCH die Fähigkeit zuschreibt, ›eine Börse, die vor Gold beinahe platzt‹, zu verleihen —, meist um gestrandete oder gesunkene Schiffe, oder um Orte wie Fort Knox oder die Schweizerische Staatsbank gehandelt. Die Hebung derartiger Schätze war aber ein so kostspieliges und unsicheres Unternehmen, daß sowohl für die Kunden als auch für das Kloster die Profitchancen arg zusammengeschmolzen waren.

Alles in allem hatten es die Schwarzen Magier eindeutig leichter — wenigstens in diesem irdischen Leben. Man mußte ja immer daran denken, erinnerte sich Pater Domenico eben noch hastig, daß sie ja dann auch der ewigen Verdammnis anheimfielen. Es war Pater Domenico so rätselhaft wie eh und je, warum höllische Geister vom Range eines LUCIFUGE ROFOCALE zum Beispiel bereit waren, so viel Macht in den Dienst eines Sterblichen zu stellen, dessen Seele die Hölle fast mit Sicherheit auch ohne diese Bemühungen bekommen hätte. Man muß dabei nur an den Charakter des durchschnittlichen Zauberers denken und daran, wie leicht solche Seelenverkaufskontrakte auch noch im allerletzten Moment gebrochen oder für ungültig erklärt werden konnten. Gleichermaßen konnte Pater Domenico nicht begreifen, daß Gott es zulassen konnte, wie so viel dämonische Böswilligkeit und Tücke durch den Schwarzen Magier auf Unschuldige losgelassen werden konnte. Aber hier handelte es sich lediglich um einen weiteren Aspekt des PROBLEMS DES BÖSEN, für das die Kirche längst die Lösung (oder eigentlich die Doppel-Lösung) von Erbsünde und freiem Willen gefunden hatte.

Man mußte sich auch vor Augen halten, daß auch die Ausübung Weißer oder Transzendentaler Magie offiziell eine Todsünde war, denn die moderne Kirche stand auf dem Standpunkt, daß jeglicher Verkehr mit Geistern eine Greueltat sei. Das traf auch auf die Nicht-Gefallenen zu, da derartige Kontakte notwendigerweise von der Annahme ausgingen, die Engel seien Halbgötter, Demiurgen oder andere kabbalistische, gottähnliche Wesen. In alten Zeiten freilich hatte man verstanden, daß (was natürlich nicht auf einen wirklichen Pakt mit den Jenseitigen zutraf) nur ein Mann von größter Heiligkeit und frommem Wandel, mit edelsten Absichten und im höchsten Zustand ritueller und spiritueller Reinigung und Reinheit darauf hoffen durfte, einen Dämon aufzurufen und Macht über ihn zu gewinnen. Für einen Engel aber waren die Bedingungen noch weit rigoroser. Aber seit dieser Zeit hatte es so viele Fehler und Schwächen der Motivation und schließlich auch der Durchführung gegeben, auch wohl in Praxis und christlicher Mildtätigkeit, daß die Kirche schließlich jegliche Theurgie in Acht und Bann getan und sich lediglich ein kleines, negatives Teilgebiet der Magie vorbehalten hatte: nämlich die Geisteraustreibung, bzw. den Exorzismus, und auch diese durfte nur unter den allerstrengsten kanonischen Beschränkungen ausgeübt werden.

Selbstverständlich besaß Monte Albano eine besondere Dispens — teilweise weil die weißen Mönche einst mit so erstaunlichem Erfolg zur Auffüllung der Budgetmittel des Vatikans beigetragen hatten; teilweise wohl auch, weil das durch die transzendentalen Riten gewonnene Wissen manchmal sozusagen die ›Seele des Felsens von St. Peter‹ genährt hatte; und — zu einem kleineren Teil — wohl auch, weil unter außergewöhnlich seltenen Umständen Weiße Magie auch dazu dienen konnte, das leibliche Leben zu verlängern. Diese Quellen aber (um die Metapher zu ändern) schienen nun am Versiegen zu sein. Es war daher durchaus möglich, daß die päpstliche Dispens heute oder morgen zurückgezogen wurde — was das Ende des letzten Hortes Weißer Magie auf Erden bedeutet hätte.

Das aber würde der Schwarzen Magie Tür und Tor öffnen. Es gab keine Zentren Schwarzer Magie — wenn wir einmal von den Pariser Brüdern des Linken Weges absehen. Diese aber waren Romantiker der Schule des Eliphas Levi und verdienten eher Mitleid für ihre Narretei als daß man sie um des Bösen, das sie zu tun versuchten, verdammt hätte. Aber es gab leider noch eine beunruhigend große Zahl selbständiger Schwarzer Magier — eine Brut, von der einer schon zu viel für diese Welt gewesen wäre.

Und damit war Pater Domenico wieder bei dem Brief angelangt. Er seufzte noch einmal, wandte sich von seinem Lesepult ab und stapfte von dannen (die Brüder vom Monte Albano gehörten einem barfüßigen Orden an). Er begab sich zum Büro des Direktors. Dabei trug er den Brief immer noch in der Hand. Pater Umberto war da (physisch war er natürlich immer da, wie all die anderen, da die Brüder den Berg normalerweise nicht verlassen durften, wenn sie ihn erst einmal betreten und die Weihen empfangen hatten. Nur die Laienbrüder durften auf Maultieren hinab- und hinaufreiten und Proviant bringen), und Pater Domenico kam sofort zum Kern der Sache.

»Ich habe einen neuen leidenschaftlichen Bericht unseres Hexenriechers bekommen«, sagte er. »Jetzt beginne ich selbst — mit Widerstreben — zu glauben, daß die Angelegenheit mindestens so ernst ist, wie er schon die ganze Zeit behauptet.«

»Ich nehme an, du meinst die Sache mit Theron Ware.«

»Ja, natürlich. Dieser amerikanische Rüstungsmagnat ist von uns direkt zu Ware gegangen. Das schien ja schon damals wahrscheinlich. Pater Ucello sagt nun, es bestünden alle Anzeichen dafür, daß eine weitere Serie von ›Sendungen‹


dort in Positano vorbereitet würde.«

»Ich wollte, du könntest dir diese Alliterationen abgewöhnen. Sie erschweren es einem nur, herauszufinden, wovon du eigentlich sprichst. Ich habe oft das Gefühl, daß der Übergang in Alliterationen oder zu grammatikalischen und syntaktischen Tricks ein Zeichen dafür ist, daß der Sprecher selbst nicht genau weiß, was er sagen will, das aber vor mir zu verschleiern versucht. Aber das nur nebenbei. Was nun den Dämonenanbeter Ware anlangt, steht es uns leider — was immer er auch planen mag — nicht frei, uns ihm in den Weg zu stellen.«

»Der Stil meines Vortrages ist von Pater Ucello geliehen. — Er besteht jedenfalls darauf, daß wir etwas unternehmen. Er hat sich mit der anderen Welt in Verbindung gesetzt — daraus kann man schon ersehen, wie ernst er, der alte Purist, die Sache nimmt —, und er sagt, daß sein Kontakt (dessen Identität er mit großer Mühe geheimhält) ihm berichtet habe, das Zusammentreffen zwischen Ware und Baines sei ein Vorzeichen einer weltweiten Katastrophe. Nach seinen Informationen hat die Hölle seit der Geburt der beiden nur auf ihr Zusammentreffen gewartet.«

»Ich nehme an, er hat sich vergewissert, daß sein Informant nicht etwa selbst ein Dämon ist, der ihm da etwas vorgeschwindelt hat oder ihn doch vielleicht nur mit einer ihrer üblichen Prahlereien beeindrucken wollte. Wie du selbst ja eben indirekt gesagt hast, ist Pater Ucello völlig aus der Übung.«

Pater Domenico breitete die Hände aus: »Diese Frage kann ich natürlich nicht beantworten. Obwohl ich natürlich, wenn du es wünschest, Vater, das Was-immer-es-ist selbst zu beschwören versuche und ihm das Problem vorlegen kann. Aber du weißt selbst nur zu gut, wie leicht es möglich ist, daß ich den falschen erwische — und wie schwer es auch ist, die rechte Frage zu stellen. Die großen Gouverneure scheinen keinerlei Zeitsinn — so wie wir ihn verstehen — zu besitzen, und was die Dämonen anlangt, nun, selbst wenn wir Macht über sie haben, so wissen sie doch oft wirklich nicht so recht, was außerhalb ihres ureigensten Macht- und Wirkungsbereiches los ist.«

»Das ist leider völlig richtig«, sagte der Direktor, der selbst die Kunst auch schon seit Jahren nicht mehr ausgeübt hatte. Einst war er selbst für alles Magische hochbegabt gewesen, aber der Verlust fähiger wissenschaftlicher Experimentatoren an rein administrative Positionen war ja der Fluch aller Forschungsinstitute. »Ich glaube, du solltest weder deine Verwendbarkeit noch auch deine unsterbliche Seele dadurch aufs Spiel setzen, daß du versuchst, einen Geist zu beschwören, den du nicht zu nennen vermagst. Pater Ucello andererseits sollte wissen, daß es nichts gibt, das wir gegen Ware unternehmen könnten. — Oder schlägt er am Ende etwas Konkretes vor?«

»Er möchte, daß wir Ware einen Beobachter schicken«, sagte Pater Domenico mit leicht schwankender Stimme. »Wir sollen jemanden direkt nach Positano schicken, jemanden, der bei Ware bleibt, bis wir wissen, was er vorhat. Es steht gerade noch in unserer Macht, das zu tun. Pater Ucello dagegen kann das natürlich nicht. Bleibt nun die Frage: Wollen wir es tun?«

»Hm, hm«, machte der Direktor, »selbstverständlich nicht. Das würde uns zugrunde richten — natürlich nicht finanziell, obwohl auch diese Seite schon schwer genug ins Gewicht fällt. Aber wir können es uns nicht leisten, einen Novizen zu schicken, sondern wir müssen den besten Mann nehmen, den wir haben, und nach weiß Gott wie vielen Monaten in dieser höllischen Atmosphäre . . .«

Er ließ, was bei ihm oft der Fall war, den Satz unvollendet. Pater Domenico hatte längst gelernt, diese Sätze selbst zu beenden. Natürlich konnte Monte Albano es sich nicht leisten, einen seiner besten Operateure durch längerwährende Berührung mit der Person und den Taten Theron Wares unfähig — der Fachausdruck lautete ›verseucht‹ — zu machen.

Dennoch aber war Pater Domenico einigermaßen sicher, daß der Direktor doch jemanden nach Positano schicken würde. Sonst hätte er nämlich nicht alle auf der Hand liegenden Einwendungen erhoben, sondern Pater Ucellos Vorschlag rundweg und ohne Erklärungen abgelehnt. So sehr sie sich sonst auch über Pater Ucello lustig machten, wußten die beiden doch, daß es Fälle gab, wo sie ihn absolut ernst nehmen mußten. Dies war einer davon.

»Dennoch wird man die Sache überdenken müssen«, nahm der Direktor nach kurzer Pause den Faden wieder auf. Der Rosenkranz glitt durch seine Finger. »Ich glaube, ich muß Ware die übliche formelle Benachrichtigung zukommen lassen. Das bindet uns noch nicht, aber . ..«

»Richtig«, sagte Pater Domenico. Er steckte den Brief in seine Mappe und erhob sich. »Du wirst mich rufen lassen, wenn Wares Antwort eingetroffen ist. Ich bin froh, daß du mit mir darin übereinstimmst, daß die Sache sehr ernst ist.«

Nach einem weiteren Austausch von Förmlichkeiten verließ er gebeugten Hauptes das Büro des Direktors. Er wußte ganz genau, wen der Direktor zu dieser Mission entsenden würde; keine falsche Bescheidenheit konnte ihn darüber hinwegtäuschen. Und er fühlte in seinen Gliedern den Schrecken vor dieser Mission.

Er ging schnurstracks in sein Zaubergemach, die Turmstube, die kein anderer benützen durfte — alle Magie hängt in größtem Maße von der Persönlichkeit des ›Operateurs‹ und ihrem ungetrübten Einfluß ab — und in der es immer noch leise nach etwas wie Lavendelöl duftete, Spuren seiner letzten Benützung dieses Raumes. Mansit odor, posses sehe duisse deam, dachte er, nicht zum ersten Male. Aber er hatte durchaus nicht im Sinn, jetzt irgendeine ›Gegenwart‹ zu beschwören. Statt dessen ging er hinüber zu der Kassette aus getriebenem Metall, in der sein Exemplar des Enchiridon Leos III. aufbewahrt war. Es war die zweite Ausgabe aus dem Jahr 1606, die in nicht sehr veränderter Form jene seltsame Sammlung von Gebeten und ›anderen Instrumenten wirksam und tauglich gegen alle Gefahren für alle Arten von Menschen zu Land, zu Wasser, von offenen und verdeckten Feinden, von den Bissen wilder und tollwütiger Tiere, von Gift, Feuer und Stürmen‹ enthielt. Daran schloß sich der Rat, das Buch am Leib mit sich herumzutragen, um die größte Wirkung zu erzielen. Pater Domenico hatte sich bisher nur selten hinlänglich bedroht gefühlt, um zu riskieren, einen so seltenen und wertvollen Gegenstand mit sich herumzuschleppen. Überdies las er ohnedies jeden Tag wenigstens eine Seite davon, vor allem aus dem In principio betitelten Teil, einer Version des ersten Kapitels der Heiligen Schrift nach dem Evangelium Johannis.

Nun entnahm er das Buch der Kassette und öffnete es. Er schlug die Sieben Mysteriösen Gebete auf, den einzigen Teil des Werkes — ohne über die Wirksamkeit des übrigen Teiles etwas Negatives sagen zu wollen —, der wahrscheinlich tatsächlich aus der Hand des Papstes zur Zeit Karls des Großen stammte. Pater Domenico kniete mit dem Gesicht nach Osten nieder und begann, ohne auch nur einen Blick auf die Seite vor ihm zu werfen, das für Donnerstag bestimmte Gebet. Es ist wohl kein Zufall, daß es von diesem Gebet heißt, daß »Dämonen fliehen, wenn man es ausspricht^


4


Nach Rom zurückgekehrt, hatte Baines alle Hände voll zu tun, um so mehr, als Jack Ginsberg noch immer nicht zurück war. Jacks Bericht darüber, was die Analyse der goldenen Tränen durch die staatliche Scheideanstalt ergeben hatte, lag also immer noch unter hundert anderen Briefen und Papieren, und Baines bemühte sich nicht, ihn hervorzusuchen. Vorläufig jedenfalls betrachtete Baines diesen Bericht als Privatkorrespondenz, und er hatte eine strenge, selbst auferlegte Regel, in den Arbeitsstunden grundsätzlich niemals persönliche Korrespondenz zu öffnen, ob er sich nun in seinem Büro befand oder — wie hier — ein Hotelzimmer zu seinem Büro gemacht hatte.

Dennoch schwamm der Bericht am zweiten Tage aus dem Papierwust sozusagen nach oben, und da Baines auch prinzipiell nie Zeit an die Ablenkung unbefriedigter Neugier verlor, wenn es leicht war, sie zu befriedigen, las er ihn. Die Tränen auf dem Taschentuch waren tatsächlich 24karätiges Gold, zusammen im Wert etwa 11 Cents nach dem Tagespreis für Gold. Für Baines aber bedeuteten sie eine ungeheure Investition (oder, um die Sache von einer anderen Seite zu sehen: eine mögliche Investition im Ungeheuerlichen).

Befriedigt legte er den Bericht zur Seite und vergaß sofort völlig — oder doch beinahe völlig — darauf. Investitionen in Ungeheuerlichkeiten gehörten für Baines sozusagen mit zum Geschäft. Mit kaltem Zorn dachte er daran, daß diese Investitionen in letzter Zeit immer weniger eingebracht hatten. Daher auch sein Interesse an Ware, das die anderen Direktoren von Consolidated Warfare Service sicherlich für glatten Irrsinn gehalten hätten. Aber wenn einmal der Geschäftsgang nicht mehr zufriedenstellend war, war es schließlich nur natürlich, entsprechende Befriedigung auf anderen Gebieten zu suchen. In Baines Augen wäre der Irrsinnige jener, der versuchen würde, ein anderes Vergnügen — Frauen, Philanthropie, Kunstsammeln, Golf — als Ersatz zu suchen, etwas also, was keinerlei bewußte geistige Befriedigung versprach. Baines war seinem Beruf völlig verschrieben, und sein Beruf war Zerstörung. Diese Leidenschaft war durch, sagen wir, Golf ebensowenig zu sublimieren wie die Passion eines Malers oder Voyeurs.

Die jetzige Situation, der man ins Auge sehen und mit der man sich auseinandersetzen mußte, war die, daß die Kernwaffen das Rüstungsgeschäft fast völlig zugrunde .gerichtet hatten. Ach, natürlich konnte man immer noch ein ganz flottes Geschäftchen damit machen, Handfeuerwaffen an ein paar kleine Nationen zu verkaufen — wobei der Begriff ›Handfeuerwaffen‹ so lose umrissen war, daß alles bis zur Größe eines Unterseebootes darunter fiel — aber die Wasserstoffbombe und die Interkontinentalraketen machten die hohe Kunst des Geschäftes, nämlich die Inganghaltung eines rund zwanzigjährigen Zyklus von Weltkriegen, bei weitem zu zerstörerisch, gefährlich und uneinträglich. Heutzutage bestand die Diplomatie von Baines und seinesgleichen nur mehr darin, lokale Konflikte zum Entflammen zu bringen und Bürgerkriege und Aufstände zu fördern. Aber selbst das war eine heikle Angelegenheit, denn das Nationalismus-Spiel wurde immer verwirrender und undurchsichtiger, und es konnte sich dabei überraschend herausstellen, daß irgend so ein ›emporstrebender‹ afrikanischer Staat mit einer Bevölkerung, die an Größe etwa der von Maplewood, New Jersey, vergleichbar war, für eine oder mehrere der Atommächte von größtem Interesse war. (Eines Tages würden sie freilich alle Atommächte sein. Dann würde die ›Kunst‹ so unbedeutend und formalisiert werden wie das Arrangieren von Blumen.)

Die Feinheiten dieser Art von Arbeit konnten einen sehr wohl mit Befriedigung erfüllen, und Baines war auf diesem Gebiet nahezu perfekt. Überdies besaß Consolidated Warfare Service einige tausend Menschenjahre aufgespeicherter Erfahrungen, auf die man sich jederzeit stützen konnte. Einer der besten Spezialisten von CWS war eben jetzt mit Baines in Rom, Dr. Adolph Hess. Hess hatte sich mit der Erfindung und Planung jenes eigenartigen Allzweck-Fahrzeuges einen Namen gemacht, das man nach ihm ›Hessicopter‹ benannt hatte. Bei den gegenwärtigen Verhandlungen aber wurde er wegen einer anderen Erfindung beigezogen, von der hoffentlich noch niemand etwas gehört hatte: seinem Landtorpedo. Es handelte sich dabei um eine sich unter der Erde rasch vorgrabende Vorrichtung mit Sprengkopf, die, wenn es die geologischen Gegebenheiten gestatteten, völlig unerwartet und unerkannt unter jedem feindlichen militärischen Ziel innerhalb eines Radius von mehr als dreihundert Kilometern vom ›Abschußtunnel‹ auftauchen konnte. Baines vermutete, daß diese kleine Überraschung für wenigstens eine der beiden Seiten der Unruhen im Jemen interessant sein könnte. Es stellte sich bald heraus, daß er recht gehabt hatte. So richtig war in diesem Falle sein Instinkt gewesen, daß er nun alle Mühe aufwenden mußte, um nicht mit allen vier interessierten Parteien über diese neue Wunderwaffe feilschen zu müssen. Das war um so schwerer, als — obwohl die beiden tatsächlich kämpfenden Parteien im Jemen keine Probleme boten — Nasser als Verhandlungspartner beinahe so gewitzt wie Baines selbst war, und Faisal ihn unbestritten in dieser Hinsicht noch um ein ganzes Stück übertraf.

Aber trotz alledem war Baines eben seiner ganzen Natur nach kein Miniatur-Künstler, und er war sich dessen auch durchaus bewußt. Er hatte überhaupt den ganzen Wandel seiner Handelsbasis schon sehr früh vorausgesehen. Um es genau zu sagen: ein Band mit dem Titel Die Wirkung von Atomwaffen, den das US Government Printing Office in Washington im Jahre 1950 herausgebracht hatte, hatte ihm die Augen geöffnet. Damals hatte er sich so rasch als möglich der Dienste einer privaten Firma versichert, die sich Mamaroneck Research Institute nannte. Es handelte sich im wesentlichen um eine Art Braintrust, den ein ehemaliger Angestellter der RAND-Corporation auf die Beine gestellt hatte. Die Organisation spezialisierte sich darauf, alle möglichen politischen und militärischen Konfrontationen auszuhecken und auf ihre Möglichkeiten und ihren voraussichtlichen Ausgang hin zu durchdenken. Einige dieser Projektionen waren so abnorm, daß man sich zu ihrer Wiedergabe freischaffender Autoren von Zukunftsromanen bediente. Aus den Archiven der CWS und aus anderen Quellen kam das Material, mit dem Baines das Mamaroneck-Forschungsinstitut belieferte, das damit seine Computer fütterte. Viel von diesem Material hätte manche Regierung, die glaubte, niemand anderer wisse davon, in ihren Grundfesten erschüttert. Dafür erhielt Baines vom Mamaroneck-Institut lange, schön beschriftete und gegliederte xerographierte Berichte mit Titeln wie ›Kurz- und langfristige vermutliche Auswirkungen einer Blockade der Färöer-Inseln durch Israel.‹

Die eindeutig absurdesten dieser Berichte siebte Baines natürlich aus, aber mit einer Art von Sorgfalt, die durchaus nicht Konservativismus entsprang. Es konnte sich nämlich leicht erweisen, daß einige der scheinbar abwegigsten Studien auf den zweiten Blick gar nicht mehr so absurd erschienen. Jene, die die beste Kombination von oberflächlicher Absurdität mit verborgener Plausibilität aufwiesen, begann er dann in wirkliche Situationen zu übersetzen. Es war also eigentlich gar nichts Unlogisches oder auch nur für Baines Ungewöhnliches an seinem Interesse für Theron Ware. Schließlich trieb ja auch er, Baines, eine okkulte Kunst, an die der ›Mann auf der Straße‹ längst nicht mehr glaubte.

Der Summer ertönte zweimal: Ginsberg war zurück. Baines erwiderte das Signal, und die Tür öffnete sich.

»Rogan ist tot«, sagte Jack kurz und ohne Einleitung.

»Das ist aber schnell gegangen. Ich dachte, Ware würde nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten noch mindestens eine Woche brauchen.«

»Er ist auch schon seit einer Woche zurück«, erinnerte ihn Jack.

»Hm? Ja, wirklich. Diese Warterei mit den Arabern, bis sie sich endlich entschließen, ein bißchen Geld auszugeben, nimmt einem völlig das Zeitempfinden. — Sieh mal einer an. Irgendwelche Einzelheiten?«

»Bis jetzt nur, was über den Fernschreiber von Reuter gekommen ist. Hat als Lungenentzündung angefangen und als Herzversagen geendet, angeblich wegen der Anstrengung des Hustens. Scheint, daß der Mann seit Jahren ein schwaches Mitralgeräusch hatte. Nur seine Familie wußte davon, und sein Arzt versicherte ihnen, es sei nichts Gefährliches, wenn er sich nicht gerade in den Kopf setze, den Langstreckenweltrekord zu brechen, oder so etwas. Jetzt nimmt man an, daß die letzte Wahlkampagne seinen Zustand verschlechtert und die Lungenentzündung ihm dann den Rest gegeben hat.«

»Sehr sauber«, sagte Baines.

Eine Weile dachte er noch über die Sache nach. Er hatte gegen den verstorbenen Gouverneur von Kalifornien durchaus nichts gehabt. Er hatte ihn persönlich nie kennengelernt, hatte keinerlei geschäftliche Differenzen mit ihm gehabt, ja er hatte ihn sogar wegen seiner gemäßigt-rechten politischen Linie eher bewundert, die Rogan mit jener verständlichen, aber leidenschaftslosen Art formuliert hatte, wie das von einem Werbemann aus San Francisco erwartet wird, der sich auf die Popularisierung kalter Frühstücksspeisen spezialisiert hatte. Plötzlich erinnerte sich Baines, gelesen zu haben, daß Rogan der gleichen Studentenverbindung angehört hatte wie er selbst.

Dennoch war er zufrieden. Ware hatte seine Aufgabe — Baines hatte nicht den leisesten Zweifel, daß Ware für den Todesfall verantwortlich war — sehr elegant gelöst. Nach noch einem weiteren derartigen Experiment, nur um jegliche Möglichkeit von bloßem Zufall ein für allemal auszuschließen, sollte er dazu reif sein, etwas Größeres anzugehen — vielleicht sogar gleich die ganz Große Sache.

Baines dachte darüber nach, wie Ware es wohl angestellt hatte. War es möglich, daß ein Dämon dem Opfer in Form eines Pneumococcus erscheinen konnte? Und wenn ja, wie war es dann mit dem Problem der Zellteilung und Fortpflanzung? Nun, da hatte es zum Beispiel im Mittelalter in ganz Europa echte Stückchen des wahren Kreuzes gegeben, die in ihrer Gesamtheit einen großen Holzlagerplatz reichlich gefüllt hätten . . . Zeitgenössische kirchliche Apologetiker hatten das


›wunderbare Vermehrung‹ genannt. Baines hatte das immer für ein klassisches Beispiel dafür gehalten, wie manchmal das Offenkundige wegrationalisiert wird. Aber da sich nun für ihn herausstellte, daß es Zauberei und Magie wirklich gab, war vielleicht auch die wunderbare Vermehrung wirklich und echt gewesen . . .?

Aber es handelte sich hier ja nur um technische Details, für die er sich prinzipiell nicht interessierte. Für solche Sachen hatte er seine Angestellten. Immerhin, es könnte nicht schaden, jemanden im Betrieb zu haben, der sich mit der Methodik auf diesem Gebiet auskennen würde. Manchmal war es gefährlich, sich ausschließlich auf betriebsfremde Fachleute verlassen zu müssen.

»Schreiben Sie einen Scheck für Ware«, sagte er zu Jack. »Nehmen Sie’s aus meinem Privatkonto. Bezeichnen Sie es als Konsultationshonorar — am besten ›medizinisch‹. Wenn Sie ihm den Scheck schicken, vereinbaren Sie bitte gleich auch den Termin für einen weiteren Besuch — mal nachsehen — ja, gleich nachdem ich aus Riyadh zurück bin. Über die anderen Dinge werde ich mit Ihnen dann in etwa einer halben Stunde sprechen. Schicken Sie inzwischen Hess herein, aber warten Sie bitte draußen.«

Jack nickte und verließ den Raum. Einen Augenblick später trat Hess leise ein. Er war ein hochgewachsener, knochiger Mann mit leichtem Bauchansatz, buschigen Augenbrauen, einem kahlen Fleck an der Stelle, wo früher der Haarwirbel war, salz-und-pfefferfarbenem Haar und schmalem, spitzen Kinn, was seinem Gesicht ein beinahe dreieckiges Aussehen verlieh.

»Sind Sie an Zauberei interessiert, Adolph? Privater natürlich?«

»Zauberei? Davon weiß ich ein wenig. Trotz all des damit verbundenen Unsinns spielte Magie und Zauberei in der Wissenschaftsgeschichte doch eine sehr wichtige Rolle, vor allem Alchemie und Astrologie.«

»Mich interessiert jetzt weder das eine noch das andere. Ich spreche von Schwarzer Magie.«

»In diesem Fall muß ich verneinen, darüber weiß ich wirklich fast nichts«, sagte Hess.

»Nun, dann werden Sie einiges zu lernen haben. In etwa zwei Wochen besuchen wir einen echten Zauberer, und ich möchte, daß Sie mitkommen und seine Methoden studieren.«

»Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen?« sagte Hess. »Nein, das tun Sie ja eigentlich nie. Befassen wir uns also jetzt damit, Scharlatane zu entlarven? Ich bin nicht sicher, daß ich dafür der geeignete Mann bin, Baines. Ein berufsmäßiger Bühnenzauberer — ein Houdini-Typ — würde einem Schwindler viel leichter auf die Schliche kommen als ich.«

»Nein, nein, darum geht es ja gar nicht. Ich will diesen Mann einfach bitten, für mich einiges zu erledigen, in seinem Fachgebiet, und ich brauche einen guten Beobachter, der ihm dabei zusieht und aufpaßt, wie er es macht. Nicht um irgend etwas aufzudecken oder zu entlarven, sondern einfach, um sich ein klares Bild von den Methoden und Vorgängen zu machen — für den Fall, daß später mit dieser Geschäftsbeziehung etwas schiefgehen sollte.«

»Aber — nun gut, wenn Sie es wollen, Baines. Es kommt mir aber doch wie eine große Zeit Verschwendung vor.«

»Mir nicht«, sagte Baines. »Während Sie gemeinsam mit mir darauf warten, mit den Saudis zu verhandeln, können Sie sich vielleicht etwas in das Fach einlesen. Bis Jahresende möchte ich, daß Sie über das Thema Magie so gut Bescheid wissen wie ein Fachmann. Der Mann hat mir erklärt, daß das selbst für mich durchaus möglich wäre. Für Sie müßte es demnach eine Kleinigkeit sein.«

»Ich nehme nicht an, daß mein Hirn dem nicht gewachsen ist«, meinte Hess trocken, »aber es ist durchaus möglich, daß es für mich eine schwere Geduldsprobe ist. Aber schließlich sind ja Sie der Chef.«

»Stimmt. Also los!«

Im Hinausgehen nickte Hess Jack ohne Herzlichkeit zu. Die beiden hatten füreinander nicht viel übrig. Baines dachte manchmal, daß dies wohl zum Teil darauf zurückzuführen war, daß sie einander in mancher Hinsicht so ähnlich waren. Als sich die Tür hinter dem Wissenschaftler geschlossen hatte, zog Jack den Wachspapierumschlag aus der Tasche, der das Taschentuch mit den beiden verwandelten Tränen enthalten hatte und offenbar immer noch enthielt.

»Ich brauche das nicht«, sagte Baines, »ich habe ja Ihren Bericht. Schmeißen Sie das Zeug weg. Ich möchte nicht, daß jemand fragt, was es bedeutet.«

»Werde ich erledigen«, nickte Jack, »aber erinnern Sie sich bitte erst noch an das, was Ihnen Ware gesagt hat: Der Dämon würde Sie nach zwei Tagen wieder verlassen.«

»Richtig. Warum?«

»Sehen Sie sich das einmal an!«

Jack nahm das Taschentuch aus der Hülle und breitete es sorgfältig auf Baines Schreibunterlage aus: Auf der frischen Leinwand prangten nun, wo noch vor kurzem Gold gewesen war, zwei matte, verschmierte Streifen: unbestreitbar Blei.


5


Durch ein Versehen (wessen Schuld es war, konnte später nicht mehr festgestellt werden) gelangte Baines mit seiner Gruppe ausgerechnet zu Beginn des Ramadan in Riyadh ein, zu einer Zeit also, in der die Araber den ganzen Tag über fasteten und daher viel zu nervös und jähzornig waren, als daß man mit ihnen hätte verhandeln können. Nach neunundzwanzig Tagen folgte dieser Fastenzeit eine dreitägige Freß-, Trink- und Liebesorgie, während der sie zu benebelt waren, als daß man mit ihnen verhandeln konnte. Als aber dann endlich die Verhandlungen in Fluß kamen, dauerten sie nicht länger als die zwei Wochen, mit denen Baines von Anfang an gerechnet hatte.

Da der islamische Kalender sich nach dem Mondjahr richtet, ist Ramadan gegenüber dem Gregorianischen Kalender ein beweglicher Feiertag. Diesmal fiel Iid, das Fest, mit dem der Fastenmonat endet, in die Nähe von Weihnachten. Baines argwöhnte, Ware würde sich weigern, mit ihm zu einer für einen Satansdiener so ungeeigneten Zeit zusammenzutreffen. Ware aber erhob keine Einwände, sondern bemerkte nur (in einem Brief): »Der 25. Dezember ist ein uralter Festtag.« Hess, der sich schon pflichtgemäß in der magischen Literatur umgesehen hatte, interpretierte das so, daß Ware damit sagen wolle, Christus sei nicht tatsächlich an diesem Tage geboren — »Obwohl mir, in diesem Universum des Dialogs und der Reden, nicht recht einleuchten will, welchen Unterschied das macht«, sagte er. »Wenn heutzutage das Wort ›Aberglaube‹ auch nur noch eine Spur seiner ursprünglichen Bedeutung bewahrt hat, dann bedeutet das doch, daß das Zeichen — das Symbol — an die Stelle der Sache getreten ist, oder, mit anderen Worten: daß Tatsachen nun eben das bedeuten, was wir behaupten.«

»Nennen Sie es einen ›Beobachter-Effekt‹«, schlug Baines vor, und er meinte das nicht nur zum Spaß. Es war ihm nicht danach zumute, sich in dieser Sache mit Hess oder Ware in ein Streitgespräch einzulassen. Ware war bereit, ihn zu empfangen — das allein zählte.

Wenn aber der Zeitpunkt Ware offenbar keinerlei Schwierigkeiten machte, so war er doch sehr ungünstig für Pater Domenico. Der weigerte sich anfangs rundweg, Weihnachten sozusagen im Höllenschlund zuzubringen. Sowohl der Direktor als auch Pater Ucello mußten ihm erst lange zusetzen. Obwohl vor allem Ucellos Überredungs- und Überzeugungsgründe für Pater Domenico völlig voraussagbar waren, verfehlten sie doch nicht ihren Eindruck. Um eine volle Woche scholastischen Disputs kurz zu überspringen — die beiden überredeten ihn, wie Pater Domenico ohnedies schon zu Beginn vorausgesehen hatte.

Er mußte all seine Dienstbarkeit, seinen Gehorsam und seine Resignation aufbieten — sein Mut schien sich schon verflüchtigt zu haben —, als er schließlich hoch zu Maultier aus dem Kloster ritt. Man hatte ihm erlaubt, für die Zeit seiner Mission Schuhe zu tragen. Unter seinem Habit baumelte in einem neuen Ledersack das Enchiridon Leos III. von seinem Nacken. In einer sorgfältig auf dem Hals des Maultieres balancierten Tasche befand sich eine Auswahl von Pater Domenicos thaumaturgischen Werkzeugen — alle frisch geweiht, besprengt, beräuchert und in Seide gewickelt. Es war ein stiller Abschied — vor allem, da es an Zeremonie und Zeugen fehlte, denn nur der Direktor selbst wußte, warum Pater Domenico die Reise antrat, und auch ihn hatte man nur mit Mühe davon abbringen können, zur Tarnung von Domenicos Mission das Gerücht auszustreuen, er sei aus dem Orden ausgestoßen worden.

Das konkrete Ergebnis beider Verzögerungen war es, daß nun Pater Domenico und Baines mit seinen Leuten am gleichen Tag in Wares Palazzo anlangten — und zwar passenderweise inmitten des einzigen Schneesturms, den es in Positano seit sieben Jahren gegeben hatte. Als eine Art geistiger Höflichkeit — denn Protokoll war in solchen Dingen überaus wichtig, sonst hätten Mönch und Magier gar nicht gewagt, einander gegenüberzutreten — wurde Pater Domenico zuerst empfangen, kurz, aber unter peinlichster Einhaltung von Form und Förmlichkeit. Als Kunde aber bekam Baines (und seine Leute gemäß ihrer Rangordnung) die besten Zimmer des Palazzo. Sie bekamen auch die einzige Bedienung, die es gab, da Ware keine Dienstboten beschäftigte, die die unsichtbare Linie überschreiten konnten, die Pater Domenico, sofort nachdem ihm sein Zimmer zugewiesen worden war, mit der Spitze seines Zirkels gezogen hatte.

Wie es um diese Zeit in süditalienischen Städten üblich war, kamen später drei maskierte Könige zur Pforte des Palazzo, um Gaben für das Christkind zu bringen und Gaben für die Kinder zu empfangen. Es gab hier aber keine Kinder, und man wies die als Heilige Drei Könige Verkleideten ab. Sie waren verblüfft und verärgert (denn der reiche Amerikaner, von dem es hieß, er schreibe ein Buch über pompejanische Fresken, hatte sich bei anderen Anlässen als durchaus freigebig erwiesen). Irgendwie waren sie aber doch auch dankbar. Es war eine kalte Nacht, und die Lichter des Palazzo hatten eine ferne, grimmige und unheilverkündende Farbe.

Dann schlossen sich die Pforten. Die Akteure waren versammelt und hatten ihre Plätze eingenommen. Die Bühne war bereit.


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