Kapitel 13

Der Empfang meldete: »Dr. Van Vliet wartet auf Kanal Drei, Dr. Rhodes.«

Viertel vor neun am Morgen. Für Van Vliet war es offenbar nie früh genug, sich in die Mühen und Plagen des Tages zu stürzen. Allerdings war es noch viel zu früh für Rhodes, um mit dem täglichen Alkoholquantum zu beginnen. »Später«, knurrte er. »Ich will jetzt noch keine Gespräche reinhaben.«

Rhodes war bereits seit kurz nach acht in seinem Büro, enorm früh für ihn. Am Ende des vergangenen Arbeitstages hatten sich auf seinem Schreibtisch noch immer unerledigte Dinge gestapelt; die beiden Seitenklappen waren gleichfalls beladen gewesen; und wie gewöhnlich waren die ganze Nacht hindurch Dinge hereingeströmt, die er sich dringend gleich morgens vornehmen sollte. Auch das Wetter hatte sich verschlechtert: Eine erdrückende Hitzewelle, weit über der sowieso hohen Norm, wie man sie in jüngerer Zeit gewohnt war, und beängstigende Diablowinde, die glutheiß aus dem Osten herüberbliesen und wieder einmal die nun fast wöchentliche Gefahr von Flächenbränden in den knochentrockenen Grasregionen über Oakland und Berkeley mit sich brachten. Die Winde führten ebenfalls eine bedrückende Mistladung toxischer Dünste aus dem Stagnationstümpel des Tals herein, stark genug, die Häuserfronten pockennarbig zu zerfressen.

Darüber hinaus war seine Nacht mit Isabelle lausig gewesen, und er hatte nur höchstens drei Stunden Schlaf bekommen. Kurz, es war ein ganz und gar wundervoller Morgen. Rhodes war gereizt, ruhelos, gepackt von Anfällen von Wut und Verwirrung und fast von Panik. Seit fast einer Stunde ließ er jetzt die Räder kreisen – und hatte nichts geschafft.

Zeit, sich an die Arbeit zu machen. Endlich.

»Sesam, öffne dich«, sagte er dumpf, und das Virtual One spuckte eifrig Datenschlangen in die Luft.

Bestürzt sah er zu, wie das alles heraussprudelte. Berichte, Berichte, Berichte. Quantitatives Zeug über Enzymabsorption aus dem Portland-Labor; eine lange öde Tirade von einer der Unterabteilungen über das von vornherein zum Scheitern verurteilte Projekt, Bürger im Seniorenstatus mit Lungenimplantaten zu versorgen, statt genetische Retrofits vorzunehmen; eine erschreckende Masse von Auszügen und Vorabdrucken aus Nature und Science, mit denen er sich in seinem jetzigen Leben nie würde beschäftigen können, weil ihm die Zeit fehlte; ein scheußlicher Haufen Mist über ein Belegschaftsratsgerangel, wobei es um die Entscheidung ging, ob Angehörige des Androidenwachpersonals im dritten Stock die Grenzen der ihnen übertragenen Verantwortung überschritten hätten; das Protokoll einer Konferenz einer Samurai-Tochtergesellschaft in São Paulo, von der er noch nie etwas gehört hatte, deren Arbeit aber anscheinend auf irgendeine unspezifische Weise an die Operationen von Rhodes' Abteilung grenzte. Und so fort, so fort, so fort.

Er spürte fast ein Schluchzen im Hals.

Irgendwie war seine Arbeit entartet zu nahezu ausschließlich administrativer Tätigkeit, zu richtiger wissenschaftlicher Arbeit kam er fast nie mehr. Die erledigten hier inzwischen kleine Jungen wie dieser Van Vlies, und er selbst plagte sich mit der Schwemme von Berichten herum, mit Budgetanforderungen, mit Strategieanalysen, Sackgassenprojekten wie dieser Lungentransplantationssache etc., etc. und musste an unendlich tödlich langweiligen Konferenzen teilnehmen und immer wieder einmal seinen Abend opfern, um die lästigen neugierigen Fragen israelischer Spione abzuwimmeln. Und als Freizeitvergnügen nach Dienstschluss stürzte er sich in entnervend zerstörerisches Gezänk mit der Frau, die er angeblich liebte. Nein, das war irgendwie nicht das Leben, wie er es sich geplant hatte. Irgendwie war er vom Kurs abgekommen, das war nicht zu übersehen.

Und dann noch diese unvorstellbare Hitze – diese scharfe und bösartige ätzende Luft – die heißen heulenden Winde …

Van Vliet …

Isabelle …

Isabelle …

Isabelle …

Wilde wirre Empfindungen schüttelten ihn wie ein plötzlich ausbrechendes Fieber. Es war, als baute sich in ihm eine Explosion auf. Es war bestürzend. An solchen Tagen, dachte er, werden ansonsten friedfertige, gelassene Männer dazu getrieben, von Brücken zu springen oder plötzlich willkürlich zu morden. Die Diablowinde konnten so etwas auslösen. Sie waren dafür berühmt.

Mein Leben hat eine grundsätzliche Veränderung nötig, sagte er sich. Eine grundsätzliche Veränderung.

Aber was für eine Veränderung? In der Arbeit? In seiner Beziehung zu Isabelle? Paul Carpenter hatte ihm empfohlen, mit ihr zu brechen und sich eine Stellung bei einem anderen Megakonzern zu suchen. Beides klang sehr vernünftig.

Doch für den ersten Entschluss fühlte er sich einfach nicht imstande, und die andere Sache war zwar verlockend, aber auch erschreckend. Eine neue Stellung? Wohin sollte er gehen? Wie sollte er sich von Santachiara und Samurai lösen? Er war festgenagelt, war an Händen und Füßen gefesselt – an die Firma, an Isabelle, an sein Adapto-Projekt, an diesen ganzen verdammten Mist.

Er legte den Kopf in die Hände und saß da und horchte auf den Wind.

Isabelle …

Oh, mein Gott, Isabelle.


Der Abend gestern, nach dem Essen, bei Isabelle. Wie immer Wirbel, wenn er bei ihr ist. Er sitzt in der Küche, allein, bei einem Scotch. Isabelle war den ganzen Abend hindurch sehr einsilbig und kühl, unerklärlicherweise. Rhodes hat nie verstanden, was sie in diesen periodischen Zustand der Unnahbarkeit versetzt, und sie hilft ihm auch nicht im geringsten, das zu begreifen. Im Augenblick ist sie damit beschäftigt, in ihrem kleinen Arbeitsraum neben dem Wohnzimmer den Behandlungsbericht über einen ihrer Patienten von diesem Tag zu diktieren, der tief im Dreck steckt.

Er begeht einen entscheidenden Fehler, als sie hereinkommt, um sich ein Glas Wasser zu holen, und er ihre Reserviertheit zu durchbrechen versucht und sie fragt, was für ein spezielles Problem sie mit dem Fall hat und ob es dabei besondere Komplikationen gebe.

»Nick, bitte!« Sie starrt ihn mit Basiliskenaugen an. »Siehst du denn nicht, dass ich mich zu konzentrieren versuche!«

»Sorry. Ich hab gedacht, du machst eine Pause.«

»Ich ja, mein Kopf nicht.«

»Sorry«, sagt er noch einmal. »Das wusste ich nicht.« Er zieht gutmütig die Schultern hoch. Versucht, es wieder in Ordnung zu bringen. Er hat das Gefühl, dass er mindestens die Hälfte seiner Zeit mit Isabelle dafür aufwenden muss, alles wieder nett zu machen und in Ordnung zu bringen, nach einem Missverständnis, dessen Ursachen meist sein Begreifen übersteigen, alles wieder zusammenzuflicken.

Sie geht nicht in das andere Zimmer zurück, sondern bleibt steif am Spülbecken stehen, schwenkt ihr Glas, ohne zu trinken, als wolle sie die Schwere des Inhalts überprüfen.

Mit dumpfer bedrückter Stimme nach einer Weile: »Ja. Es gibt eine Komplikation. Ich glaube allmählich, dass das Mädchen ernstlich suizidgefährdet ist.«

Also will sie schließlich doch darüber reden. Oder sie spricht nur laut mit sich selbst.

»Wer?«, fragt Rhodes zaghaft.

»Angela. Angela! Hörst du mir eigentlich nie zu?«

»Oh«, sagt er. »Richtig, Angela.« Er hatte gedacht, die fragliche Patientin sei eine gewisse Emmy Louise. Isabelle kann zuweilen arg sprunghaft sein.

Er ruft sich die paar Dinge in Erinnerung, die er über Angela weiß. Sechzehn, siebzehn, wohnt irgendwo am Nordrand von Berkeley, Vater Geschichtsprofessor oder sowas an der Universität. Bei Isabelle in Behandlung wegen? Depressionen? Angstzuständen? Nein, denkt er, das Mädchen hat das Treibhaus-Syndrom. Die neue Modekrankheit. Totale Umweltparanoia. Gott allein weiß, wieso das erst jetzt auftritt; ihm klingt das stark nach dem späten zwanzigsten Jahrhundert. Aber jetzt scheint es alle Jugendlichen zu erfassen. Ein Gefühl nicht bloß, dass der Himmel den Planeten wie eine eiserne Fessel einschließt, sondern dass die Wände näher rücken, die Decke sich senkt und es nicht mehr lange dauert, bis man ersticken muss.

»Suizidgefährdet? Wirklich?«, sagt er.

»Ja, ich fürchte. Als sie heute zur Therapie kam, hatte sie zwei Atemmasken dabei.«

»Zwei?«

»Überzeugt, dass eine nicht ausreicht. Dass die Luft reines Gift ist, dass ein einziger tiefer Atemzug ihre Lungen zu Brei macht. Sie verlangte, ich soll ihr eine doppeltstarke Dosis Screen verschreiben. Ich erklärte ihr, dass ich nicht befugt bin, Rezepte auszustellen, und sie bekam einen Tobsuchtsanfall.«

»Das klingt eher wie das Gegenteil von Suizidabsichten«, sagt Rhodes sanft. »Hypertropher Selbsterhaltungszwang, das ja, aber wieso sollte das bedeuten …«

»Du kapierst es nicht. Du begreifst wohl nie, was?«

»Isabelle …«

»Sie glaubt, dass alle Präventivmaßnahmen, die sie ergreifen kann, vergeblich sind. Sie glaubt, sie ist zum Untergang verurteilt, Nick. Dass wir an der Schwelle zum endgültigen katastrophalen Umweltkollaps stehen, dass ihre Generation die letzte der menschlichen Rasse sein wird, dass irgendeine gigantische scheußliche Öko-Katastrophe bevorsteht, über uns hereinbricht und uns alle auf die allergrässlichste Weise vernichten wird. Sie steckt voll Wut und Empörung.«

»Dazu hat sie berechtigten Grund, denke ich. Allerdings glaube ich, sie ist damit hundert Jahre zu früh dran. Trotzdem – Selbsttötung …«

»Es ist die äußerste Demonstration der Wut und Auflehnung. Der Welt ins Gesicht zu spucken. Das eigene Leben wegzuwerfen zum Zeichen des Protests.«

»Und du glaubst ernstlich, sie wird?«

»Ich weiß es nicht. Es wäre durchaus möglich.« Isabelles gespanntes Gesicht hat sich verändert: Zweifel, Furcht, Unsicherheit zeichnen sich jetzt da ab. Ganz ungewöhnlich bei ihr. Unbewusst zupft sie an ihren Haaren herum, verknotet sie. Dann wandert sie auf und ab. »Mich beunruhigt dabei, dass die Sache meine beruflichen Kapazitäten übersteigen könnte. Ich bin Therapeut, ich bin kein Psychiater. Ich überlege, ob ich sie nicht weiterverweisen sollte.«

Sie debattiert nur mit sich selbst, davon ist Rhodes nun überzeugt. Aber es ist ja immerhin möglich, dass sie von mir irgendein Zeichen erwartet, dass ich ihr zuhöre.

»Also, sicher, wenn du denkst, es besteht irgendwie die Gefahr …«

Die Stimme nun leiser, weicher. Die Therapeutenstimme. »Aber es wäre ein Vertrauensbruch. Angela und ich haben eine feierliche Abmachung. Ich bin da, um sie zu leiten. Sie vertraut mir. Ich bin der einzige Mensch, zu dem sie Vertrauen hat.« Dann wird die Stimme wieder härter. Abrupter Wechsel. Stählerne Härte. Wilder Blick. Isabelle springt mit Lichtgeschwindigkeit von einer Stimmung in die andere. »Aber wozu rede ich über das alles überhaupt mit dir? Du kannst unmöglich verstehen, wie tief ihre Ängste sitzen. Verstehst du nicht, wenn ich sie an diesem schwierigen kritischen Zeitpunkt zur Konsultation an einen Außenstehenden überweise, sie einem ihr völlig fremden Menschen ausliefere …«

»Aber wenn du doch befürchtest, dass sie sich umbringen könnte …«

Seine Behutsamkeit schüttet nur neues Öl ins Feuer. Isabelle flammt auf wie eine Fackel. »Hör mal zu, Nick! Das ist meine Entscheidung! Hier geht es um eine Übertragung, die dich nichts angeht und die gänzlich über deine bornierte Begriffskapazität hinausgeht, eine komplizierte interpersonelle Transaktion zwischen diesem verwirrten Mädchen und dem einzigen menschlichen Wesen auf Erden, das sich ehrlich um sie sorgt, und es ist, verdammt noch mal, nicht deine Sache, deine blöde laienhafte Meinung …« Sie bricht den Satz ab, blinzelt wie jemand, der aus einer Trance erwacht, atmet in heftigen Zügen Luft ein, als wäre sogar ihr klargeworden, dass sie jetzt etwas zu weit mit ihm gegangen ist.

Ein kurzes Schweigen. Rhodes wartet.

»Ach, das ist alles ganz falsch«, sagt sie dann.

»Was ist falsch?«

»Was wir machen, du und ich. Wir sollten uns nicht über sowas streiten.« Isabelles Stimme ist jetzt angenehm weich.

»Nein.« Er ist enorm erleichtert. »Völlig richtig. Wir sollten uns überhaupt über nichts streiten, Isabelle.«

Sie scheint tatsächlich bereit, ihre Wut, ihre heftige Feindseligkeit zu bedauern. Er glaubt fast die kreisenden Rädchen in ihrem Kopf zu hören.

Er wartet, will sehen, was noch kommt.

Und dann, abrupt und ohne Vorwarnung, wechselt sie einfach das Thema.

»Lass uns von was anderem reden, ja? Weißt du, dass Jolanda sich weiter mit diesem Israeli trifft? Ich dachte, du hast sie mit deinem Freund Paul verkuppelt.«

Rhodes legt ebenfalls so rasch wie möglich einen anderen Gang ein, er ist glücklich darüber, dass er sich nicht weiter mit den Problemen der verzweifelten Angela befassen muss. »Paul wollte damals nur ein bisschen nette Gesellschaft für diese eine Nacht. Außerdem, er ist jetzt draußen auf See. Aber der Israeli – heh! Wie oft hat sie sich denn mit ihm getroffen?«

»Seit damals in Sausalito jeden zweiten Abend.«

Rhodes überdenkt das. Im Grunde ist es ihm egal, nur sind Jolanda und Isabelle eben enge Freundinnen, und damit bestand die Gefahr, dass ihm bald wieder ein weiterer unangenehmer Abend in Enrons Gesellschaft aufgezwungen werden könnte.

Isabelle sagt: »Weißt du, er hat sie zu einem Trip eingeladen.«

»Einen Trip? Wohin?«

»Irgendeins von den Raum-Habitaten. Ich weiß nicht mehr, welches.«

Rhodes lächelt. »Ein schlauer Hund, was? Jolanda gibbert seit Jahren schon danach, mal zu den L-5s zu kommen. Ich dachte, der Typ, den sie da drüben in L. A. kennt, wollte sie dorthin mitnehmen, aber da hat dieser Enron ihm offenbar die Show gestohlen. Aber – es ist natürlich nicht übermäßig schwer für einen Mann, Jolanda zu beglücken.«

»Was soll das denn heißen?«, fragt Isabelle scharf.

Oh-oh!

Plötzlich ist die eiskalte stählerne Stimme wieder da. Und der starre Basiliskenblick. Rhodes begreift, er ist schon wieder ins Fettnäpfchen gelatscht.

Er sagt zögernd: »Also – diese Jolanda ist eine gesunde kräftige Frau mit gesunden natürlichen Instinkten …«

»Ein Flittchen, willst du sagen, das gleich mit jedem ins Bett steigt?«

»Hör zu, Isabelle, ich habe mit keinem Wort …«

»Aber genau das denkst du, stimmt es nicht?« Und wieder zieht sie die gleiche Nummer ab, wild wie zuvor, mit blitzenden Augen, zerrt sich am Haar und stampft auf und ab. »Das war doch der Grund, weshalb du sie mit deinem alten Busenfreund Paul zusammengebracht hast. Ein nettes kleines Ding für Spaß und Spiel für eine Nacht.«

Nun ja, sicher. Und Isabelle weiß es ja genau. Sie sind alle erwachsene Leute, und Jolanda ist keine Nonne, und Isabelle im Übrigen auch nicht. Außerdem ist es wahrhaftig schon lange zu spät, Jolanda wegen ihrer Keuschheit zu preisen. Wenn sie sich so für ihre Freundin stark macht, sucht Isabelle nur Streit. Aber Rhodes wagt nicht, ihr das zu sagen.

Und so sagt Isabelle es statt seiner. »Sie vögelt mit jedem, hast du das nicht deinem Paul gesagt? Stimmt es?«

»Nicht gerade so direkt. Aber – um Himmels willen! – hör doch zu, Isabelle, du weißt doch ebenso gut wie ich, dass Jolanda ziemlich viel rumkommt. Ziemlich viel.«

»Hat sie mit dir auch gefickt?«

»Isabelle!«

»Also? Hat sie?«

Tatsächlich hat sie. Rhodes ist nicht sicher, ob Isabelle davon weiß. Jolanda erzählt ihr alles mögliche, hat ihr aber das vielleicht verschwiegen. Er überlegt, was er sagen soll, er möchte nicht, dass der Abend sich zu einem richtigen Furientanz ausweitet, aber er möchte sich auch nicht bei einer Lüge ertappen lassen. Er entschließt sich zu improvisieren.

»Was hat das denn damit zu tun?«, fragt er.

»Hat sie oder hat sie nicht, Nick?«

Tief Luft holen. Also schön, gib ihr, was sie haben will. »Ja. Einmal.«

»Jesus!«

»Du warst verreist. Sie schaute vorbei. Ich weiß nicht mehr, wann das war. Es war aber ein besonders heißer Tag, eine Rekordhitze, und wir fuhren zum Strand, und hinterher …«

»Es reicht. Du brauchst mir nicht das ganze Playback vorzuspielen.« Sie hat ihm jetzt den Rücken zugekehrt und steht wie eine Marmorstatue am Fenster.

»Isabelle …«

»Hau ab und besorg's dir selber!«

»Du willst, dass ich gehe?«

»Was denkst du denn?«

»Wollen wir uns etwa deswegen trennen?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht. Vielleicht nicht.«

Er spürt ein Schwanken in ihrer Stimme, eine leichte weichere Tönung. Das altbekannte Spiel von Annäherung und Abweisung, eine von Isabelles Spezialitäten. Er tritt an die Hausbar und gießt sich einen Drink ein, einen kräftigen. Erst dann fällt ihm auf, dass er bereits ein noch halbvolles Glas auf dem Tisch stehen hat. Er nimmt einen tiefen Schluck von dem frischen Drink und stellt das Glas dann neben das erste.

»Du kannst bleiben, wenn du willst«, sagt sie gleichgültig, wie ganz weit weg, mit tonloser Stimme. »Oder nicht. Was immer du vorziehst.«

»Es tut mir leid, Isabelle.«

»Was?«

»Das mit Jolanda.«

»Vergiss es. Was macht es schon für einen Unterschied?« Einen Moment lang fürchtet er, Isabelle könnte jetzt ihrerseits mit Geständnissen herausrücken. Entweder damit er sich weniger schuldig fühle, oder um ihn zu strafen. Aber er will nichts dergleichen hören, egal, was es ist, wenn es da etwas zu hören gäbe. Und was ihn angeht, so war Jolanda sein einziger Seitensprung. Als er damals mit ihr ins Bett stieg, geschah das beinahe gedankenlos, automatisch: Jolanda hatte das Ganze anscheinend für nichts weiter gehalten als für einen netten Abschluss des Abends damals, ein lustiges freundschaftliches Gekrabbele ohne weitere Bedeutung und Konsequenzen. Und er war eben einfach mitgehüpft.

»Hör mich an, Isabelle …«

Rhodes geht zu ihr hinüber, streckt die Hände aus und legt ihr sacht die Finger auf die Schultern. Seine Hände zittern. Ihr Rücken ist ganz verspannt. Er fühlt sich an wie Gusseisen.

»Ich möchte gern bleiben«, sagt er zu ihr.

»Wie du willst.« Der gleiche abwesende Ton.

»Du hast es gewusst, ja? Das mit Jolanda und mir?«

»Ja. Selbstverständlich.«

»Aber warum dann …?«

»Ich wollte eben hören, was du dazu sagst.«

»Immerhin hätte ich dann ja ein goldenes Sternchen für meine Ehrlichkeit verdient.«

»Ja«, sagt sie. »Ich glaube, das hast du. Hör mal, ich geh jetzt wieder rüber und bringe dort zu Ende, was ich angefangen hatte. Okay?«

Und sie entzieht sich seiner Berührung. Er geht wieder in die Mitte des Raums zu seinen zwei Drinks, leert das eine Glas, dann das zweite, und nach einer Weile gießt er sich ein drittes ein. Es ist ein grässlicher Fusel; Isabelle hat eine perverse Vorliebe für die miesesten Marken. Aber er trinkt trotzdem, was sie anzubieten hat. Zweifellos ist das Zeug da aus Algenbrei destilliert; ein echter Skandal, dass sie es wagen dürfen, so etwas ›Scotch‹ zu nennen! Aber trotzdem: Wenn er vor die Wahl gestellt ist, solche Pisse zu trinken, oder gar keinen Alkohol, dann säuft er klaglos das schlechte Zeug, und in Mengen. Manchmal ist er in der letzten Zeit selbst verblüfft, welche Kapazität er entwickeln kann. Er hört, wie Isabelle sich bereitmacht, ins Bett zu gehen, und nach einer Weile geht er zu ihr hinüber. Es ist nach Mitternacht, und er ist erschöpft. Trotz der Klimaanlage hat sich die heiße Moderluft von draußen irgendwie durch die Nacht hereingeschlichen, gespenstische stinkende dünne Gasschwaden schleichen sich direkt durch die Wände und füllen jeden Raum vom Fußboden bis zur Decke mit einem dicken erstickenden Mief.

In der Dunkelheit hat sie ihm den Rücken zugewandt. Rhodes streichelt sie dort.

»Nicht!« Mit Grabesstimme.

»Isabelle …«

»Nein, es ist schon so spät.«

Er liegt starr da, hellwach. Er spürt, dass auch sie noch wach ist. Zeit verstreicht. Eine halbe Stunde, eine Stunde. Irgendwo auf der Schnellstraße jault eine Sirene. Rhodes denkt über den verflossenen Abend nach. Er überlegt, wie das alles gekommen ist. Sie macht sich Sorgen wegen dieses Mädchens, wegen Angela. Das muss es sein. Eine Bedrohung für ihre berufliche Kompetenz. Und wahrscheinlich mag sie das Mädchen auch persönlich sehr. Rückübertragung nennen sie das. Kaum überraschend. Aber dann noch dazu diese ganze Geschichte mit Jolanda …

Er greift wieder hinüber, berührt sie.

Steinharte Muskeln. Der Körper steif.

Er sehnt sich verzweifelt nach ihr. Will sie haben. Wie immer. Wie jede Nacht. Seine Hand irrt über ihren Arm und legt sich sacht auf den weichen Hügel ihrer rechten Brust. Die Brüste sind das einzige, was an Isabelles Körper weich ist; sonst ist sie mager, straff, athletisch. Sie rührt sich nicht. Sanft streichelt er weiter. Haucht ihr seinen Atem in den Nacken. Sie reagiert nicht. Sie liegt da wie tot.

Schließlich sagt sie: »Schön, wenn du's so dringend brauchst. Bringen wir es hinter uns.«

Sie wälzt sich zu ihm herüber. Starrt ihn an. Spreizt die Beine.

»Isabelle, um Gottes willen …«

»Komm schon. Worauf wartest du?«

Natürlich will er nicht, dass es so abläuft, ganz und gar nicht. Aber er ist ihr eben hilflos ausgeliefert, und als sie ihn heftig über sich in Position zieht, ist er zu keinem Widerstand mehr fähig. Hastig und mit einem elenden Gefühl dringt er in sie ein – und trotz allem ist sie geschmeidig und bereit –, und ihr Becken beginnt zu rotieren und treibt ihn unbarmherzig zu einem vorschnellen Endspurt. Er bedeckt ihr Gesicht mit Küssen der Dankbarkeit; gleichzeitig aber ist er schockiert, entsetzt, betäubt von dem, was sie da treiben. Es ist so voller Wut und Aggression, wie sie sich da mechanisch bearbeiten. Es ist der Tod der Liebe. Und als es ihm kommt, bricht er in Tränen aus.

Und dann umarmt sie ihn, wiegt ihn zwischen ihren Brüsten, streichelt seinen Kopf und flüstert ihm leise Worte zu. Um alles wieder gutzumachen. Mein Gott!, denkt er. Mein Gott, mein Gott!

Und plötzlich hört er wieder Paul Carpenters Stimme.

– Sie ist eine gestörte Frau, Nick.

– Nein, sie macht sich nur große Sorgen …

– Hör mir jetzt zu! Sie ist emotional gestört. Genau wie ihre Freundin, diese Jolanda, die du mir freundlicherweise neulich nachts ins Bett geschoben hast. Die beiden sind sexuell hochbegabt, und wir, die wir auf der Suche nach ein bisschen erlösender Fummelei umherschweifen, sind aufs höchste empfänglich für das rätselhafte geheimnisvolle Opium, das uns zwischen ihren Beinen entgegenströmt …

Wahr. Wahr. Wenn er nur eine Spur Courage hätte, er würde fliehen. Das weiß er. Aber so etwas fällt ihm nie leicht. Er ist ein wilder Klammerer, er klebt verzweifelt an allem, das auch nur vage ein bisschen Tröstung zu bringen verspricht.

Dann allmählich versinkt er in einen unruhigen Schlaf. Gegen fünf wacht er auf, haucht der schlafenden Isabelle einen Kuss auf die Nasenspitze und fährt zu sich nach Hause.

Ein paar Minuten nach acht ist er in seinem Büro. Das giftige Miasma der verflossenen Nacht wabert noch um ihn, aber irgendwie hofft er, dass er sich durch einen Tag voll intensiver harter Arbeit aus seiner Depression lösen kann. Immerhin, denkt er, sind wir bei den ganzen Scheußlichkeiten gestern Nacht nicht dazu gekommen, uns wieder mal über meine Forschungen zu zanken. Aber das war ja wohl nur ein recht kleiner Trost. Bestenfalls.


Er hielt sich Van Vliet vom Hals, solange es ging. Bis fast gegen Mittag. Der Kerl verursachte ihm Darmkrämpfe. Vor vier Tagen war der Genehmigungsantrag für die Budgeterhöhung für Van Vliets Haemoglobinforschung nach New Tokyo gegangen, und aller Wahrscheinlichkeit nach würde die Sache ohne Einwände genehmigt werden, wenn man bedachte, in welch hohem Ansehen Rhodes beim Topmanagement der Firma stand.

Aber bis dahin würde Van Vliet eben warten müssen. Aber der Junge schien dazu nicht fähig zu sein. Zwei-, dreimal täglich blies er ins Horn und nervte Rhodes, weil er ihm unbedingt von dem oder jenem aufregenden neuen Ergebnis nach seinen vorläufigen Theorien berichten musste. Im Moment war Rhodes aber gar nicht dazu aufgelegt, sich so etwas schon wieder zuzumuten. Nicht nach der vergangenen Nacht, und bestimmt nicht so früh am Tag.

Er vertrödelte möglichst viel Zeit, indem er sich stur durch den Wust auf seinen zwei Seitentischen und den ganzen Bergen direkt vor sich hindurcharbeitete, Papiere abzeichnete, ohne sie richtig zu lesen, einige Dokumente ohne Signatur zur endgültigen Ablage abschob, ohne zu denken und ohne Gewissensbisse zu haben. Und nach und nach merkte er, dass ein Teil seiner neuerlichen seelischen Abschürfungen wieder zu heilen begannen.

Etliche Gläschen halfen ihm über die böse Zeit. Der erste Drink schmeckte merkwürdig blechern – ein übler Nachgeschmack von der letzten Nacht, dachte er, die Geschmacksnerven rebellieren noch dagegen, dass ich zuviel von Isabelles verdammtem Algenbrei-›Scotch‹ gesoffen habe. Aber sein zweites Glas besserte die Lage beträchtlich. Und das dritte ging ganz problemlos durch die Kehle.

Schließlich fühlte er sich wieder relativ wohlgewappnet, und da ihm klar war, dass er sich nicht länger vor der Konfrontation mit seinem jungen Kollegen drücken könne, drückte er die Verbindungstaste und sagte: »Ich kann jetzt mit Dr. Van Vliet sprechen.«

»Heißt das, du nimmst jetzt wieder Gespräche an, Dr. Rhodes?«

»Offensichtlich. Waren welche da für mich?«

»Nur einen«, antwortete der Android.

Isabelle! Es tut ihr leid, dass gestern Abend alles dermaßen schiefgelaufen ist!

Nein. Nicht Isabelle. »Ein Mr. Nakamura hat angerufen«, sagte der Android.

»Wer?«

»Mister Nakamura von East Bay Realty Associates. Es geht um das Haus in Walnut Creek, an dem du interessiert bist.«

Rhodes kannte niemand mit dem Namen Nakamura. Und er hatte auch nicht vor, sich ein Haus in Walnut Creek oder sonst wo zu kaufen.

»Es muss sich um eine falsche Nummer handeln«, sagte er. »Bestimmt will er einen anderen Nicholas Rhodes sprechen.«

»Er sagte, das würdest du wahrscheinlich annehmen. Aber ich soll ausrichten, dass es sich nicht um einen Irrtum handelt, dass du die Bedingungen seines Angebots sofort erkennen und als höchst angenehm empfinden würdest, wenn du erst mit ihm gesprochen hättest.«

Nakamura?

Walnut Creek?

Es ergab keinen Sinn. Aber alle Erwägungen darüber mussten vorläufig warten. Van Vliet war wieder in einer der Leitungen.

Er wollte Rhodes sofort einige neue Grafikblätter im Büro vorbeibringen. Welche Überraschung! Van Vliet hatte schon wieder einen Packen Material parat.

Rhodes seufzte. »Was für Blätter?«

»Etliche Atmosphärenextrapolationen, die projektierten Zyanwasserstoffwerte und wie wir die sich daraus ergebenden Implikationen bewältigen wollen.«

»Ich stecke hier schrecklich mitten in der Arbeit, Van. Hat das nicht ein wenig Zeit?«

»Aber es ist wahnsinnig aufregend.«

»Zyanwasserstoff zu atmen ist aufregend?«, fragte Rhodes. »Ja, vermutlich wäre das so. Aber nicht sehr lange.«

»Darauf will ich auch gar nicht hinaus, Nick«, sagte Van Vliet. Seit vor ein paar Tagen die Budgetanforderung nach New Tokyo hinausgegangen war, hatte Van Vliet begonnen, ihn als ›Nick‹ anzusprechen. Rhodes war nicht besonders erfreut darüber. »Aber versteh doch, Nick, wir sind da auf eine Reihe wirklich beeindruckender Gleichungen gekommen, die auf die Wahrscheinlichkeit einer Bildung von Aminosäuren im Meer schließen lassen. Neue Aminosäuren. Wenn du mir nur fünf Minuten Zeit gibst, damit ich dir zeigen kann, wovon ich rede …«

»Okay«, sagte Rhodes. »Fünf Minuten.«

Van Vliet brauchte eine Viertelstunde. Doch das war hauptsächlich Rhodes' eigene Schuld, denn er begann sich zu interessieren. Anscheinend liefen Van Vliets Projektionen darauf hinaus, dass die bevorstehende chemische Zusammensetzung des Meerwassers bis zu einem gewissen, aber weitgehend nicht vorherbestimmbaren Grad einige Aspekte der Zusammensetzung der Nährstoffsuppe des Urmeeres wiederholen werde. Nachdem die Menschheit fröhlich Hunderte von Jahren hindurch die ganze Biosphäre mit allem möglichen tödlichen Abfall vollgestopft hatte, war sie jetzt anscheinend dabei, sich selbst mit einer weiteren grandiosen Bescherung zu überraschen, die diesmal allerdings etwas mit dem Leben, statt mit dem Tod zu tun hatte: ein Mischpaket, unverhoffte Biogenese neben der zu erwartenden Morbidität, eine Wiederholung der ursprünglichen chemischen Kräfte, die zur Entstehung des Lebens auf dem Planeten geführt hatten, ein Suppentopf aus Purinen, Adenylen und Aminos, die um und um gerührt wurden und die sich zu komplizierten Polymeren umbauten, von denen einige sich fortpflanzen konnten, und daraus entstand möglicherweise …

Fast alles konnte es sein.

Ein Sturm gequirlte Scheiße zufälliger genetischer Informationen braute sich da im vierundzwanzigsten Jahrhundert in den Meeren zusammen.

»Siehst du es?« Van Vliet schrie vor Erregung. »Wie sich das Potenzial für neue Lebensformen bildet? Nick! Die Schöpfung beginnt ganz neu von vorn!«

Rhodes rief ein herzhaftes Glucksen aus den Tiefen seiner Seele herauf. »Eine zweite Chance für die Trilobiten, wie?«

Van Vliet schien das nicht witzig zu finden. Er warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. »Ich spreche von einzelligen Lebewesen, Nick. Von Bakterien, Protozoen. Eine unvorhersehbare maritime Welt von sich spontan entwickelnden Mikrobioten, die das Dasein für die bereits existierenden Lebensformen hier zur Hölle machen könnten. Uns zum Beispiel.«

Stimmt, dachte Rhodes. Ein Haufen fremdartiger Evolutionsmüll, der sich aus dem Wasser heraufwälzt, um den jetzt schon ausreichend gequälten Planeten mit neuen Plagen heimzusuchen.

Ein interessanter spekulativer Sprung das, und Rhodes erkannte dies auch offen und völlig ehrlich an. Aber in aller Offenheit und Ehrlichkeit verstand er nicht, was das überhaupt mit dem Survival/Modification-Programm der Santachiara Technologies zu tun haben sollte, jedenfalls vorläufig und bis auf weiteres. Vorsichtig sagte er also:

»Ich bewundere die Sorgfalt, Van, mit der du sämtliche Implikationen der Situation in Angriff nimmst. Aber ich bin nicht sicher, ob ich das Finanzierungsokay für eine Studie über Erkrankungen bekomme, die von bislang noch nicht existenten, noch nicht evolvierten Mikroorganismen hervorgerufen werden könnten.«

Kühles, beinahe herablassendes Grinsen von Van Vliet. »Aber im Gegenteil, Nick. Wenn es uns gelingt, die möglichen Folgen eines Quantensprungs in natürlichen Evolutionsprozessen darzustellen, sind wir vielleicht in der Lage, Schutzmechanismen aufzubauen gegen neue, aggressive Arten von …«

»Van, bitte! Eins nach dem anderen, ja? Ja?«

Aber das war offensichtlich nicht Van Vliets Methode. Und ebenso offensichtlich sah er in Rhodes' Weigerung, vor Begeisterung über diesen neuen Aspekt zu jauchzen, nur einen weiteren Beweis für den hoffnungslos altmodischen Konservatismus seines Leitenden Direktors. Aber es gelang Rhodes, ihn zu besänftigen, indem er ihm herzlich zu dieser neuen Richtung in seiner Arbeit gratulierte, weitere Studienergebnisse zu sehen wünschte und versprach, bei der nächsten Direktorenkonferenz das Thema seiner Neuen Biogenese zur Sprache zu bringen. Und dann schubste er ihn glatt und geschickt aus der Tür.

Als Van Vliet fort war, gönnte sich Rhodes erst einmal einen neuen Drink, aber nur einen kleinen, um sich den Übergang zum nächsten Problem dieses Tages zu erleichtern.

Und dieses Problem hieß, sich noch einmal Gedanken über diesen Nakamura-Anruf zu machen. Er war noch immer überzeugt, wer immer dieser Mr. Nakamura sein mochte, er hatte sich verwählt. Aber seltsam war schon, dass er hatte ausrichten lassen, es handle sich nicht um einen Irrtum, ganz so, als hätte er mit Rhodes' verwirrter Reaktion gerechnet. Etwas an der Geschichte nagte an ihm und verlangte dringend nach Erklärung.

Es geht um das Haus in Walnut Creek, an dem du interessiert bist.

Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, dass es dabei vielleicht um eine Art Code ging – um den Verweis auf irgendeine geheimnisvolle Sache, in die dieser Nakamura ihn zu verstricken versuchte, den Verkauf von Firmengeheimnissen, vielleicht ein undurchsichtiges Gegenspionagespiel, irgend so etwas. Solche Sachen passierten laufend in der Welt der Megamultis, und Rhodes wusste das. Allerdings hatte er diesbezüglich keinerlei Erfahrungen aus erster Hand.

Rhodes platzierte einen Anruf an Ned Svoboda bei Imaging & Schematics.

Svoboda war einer von den Sauffreunden, mit denen Rhodes ab und zu nach Dienst zusammenhockte, und Svoboda erfreute sich des seltenen Renommés, in etwa einem Dutzend Jahren für drei verschiedene Megamultis gearbeitet zu haben: nicht nur Samurai Industries, sondern auch Kyocera-Merck, und vorher für den etwas weniger ehrfurchtgebietenden Haufen IBM/Toshiba. Svoboda war klug, Svoboda war mindestens so vertrauenswürdig wie sonst wer, der Rhodes einfiel, und Svoboda kannte sich auf dem Sektor seit langem aus. Und wenn einer sich mit dem verschlüsselten Jargon von Firmen, mit Industriespionage etc. auskannte, dann war Svoboda der richtige Mann.

»Geht es, wenn ich zu dir rüberkreuze und ein paar Minuten mit dir rede?«, bat Rhodes. »Bei mir ist was Merkwürdiges passiert, und ich brauche einen kleinen Rat von dir.« Und – aber das musste Rhodes gar nicht erst sagen – es handelt sich um etwas, das man lieber nicht über die Firmenleitungen besprach. Die hatten Ohren. Und das wusste jeder.

Svoboda war einverstanden. Rhodes begab sich acht Stockwerke tiefer und traf sich mit ihm in der verglasten Erholungskuppel auf der Terrasse vor seinem Büro. Svoboda war klein und massiv, ungefähr vierzig und hatte dunkles wirres Haar und ausgeprägte slawische Gesichtszüge.

Rhodes sagte: »Ich bekam heute morgen einen seltsamen Anruf herein. Ein Typ mit einem japanischen Namen, sprach von Walnut Creek – ein Hausmakler, sagt er. Sagte, er würde gern mit mir über das Haus sprechen, an dem ich da draußen interessiert bin, das ich kaufen möchte.«

»Ich habe nicht gewusst, dass du vorhast, nach drüben auf die andre Seite zu gehen.«

»Habe ich ja auch nicht. Ich hab keine Ahnung, wer der Japs ist.«

»Ach so.«

»Aber das weiß der. Bei seinem Anruf machte der sich die Mühe, meinem Vorzimmer ganz nachdrücklich zu sagen, dass ich es bitte nicht für einen Fehlanruf halten soll, dass ich der Rhodes bin, den er zu erreichen versuchte, und dass mich das Haus, das er mir anzubieten hat, wirklich interessieren würde. Also, jetzt fing ich an, mich zu fragen, Ned …«

Svoboda riss die Augen auf. »Ja, ich wette.«

»Und ich habe mir gedacht, es ist vielleicht was Komplizierteres, als es zunächst aussieht – etwas, das du mir klarmachen könntest. Irgend so etwas wie eine verschlüsselte Nachricht, die ich verstehen müsste, die ich aber nicht so recht …«

»Schhhhst!«

»Was ist denn?«

»Sag jetzt mal weiter gar nichts, okay?« Svoboda streckte den linken Arm aus und ließ die Finger seiner rechten Hand rasch darüber gleiten; diese absurde kleine krabbenartige Geste, die allgemeinverständlich besagte: Vielleicht sind hier Wanzen. Die Firma hatte überall ihre Späher sitzen – anscheinend sogar auf den Erholungsterrassen. Svoboda fragte: »Hast du Papier und einen Stift mit?«

»Sicher. Da.«

Es war ein recht kleines Stück Papier, aber mehr fand er nicht. Svoboda presste die Lippen zusammen und schrieb mit übertriebener Sorgfalt, quer über das Blatt und den Rand entlang, um alles unterzubringen, was er, ihm mitteilen wollte. Dabei verdeckte er das Geschriebene mit der anderen Hand gegen verdeckte Überwachungskameras. Dann faltete er das Blatt einmal und noch einmal und drückte es Rhodes in die Hand.

»Mach einen kleinen Spaziergang und lies es dabei. Und wenn du noch weiter mit mir sprechen willst, kannst du mich ja heute Abend daheim erreichen. Okay?«

Er grinste, hob zwei Finger grüßend an die Schläfe und verschwand nach drinnen.

Mit sorgenvoller Stirn kehrte Rhodes in seine Abteilung zurück. Er dachte daran, Svobodas Notiz auf der Toilette zu lesen, doch dann überlegte er, dass höchstwahrscheinlich in dem ganzen Gebäude kaum ein Bereich mit größerer Wahrscheinlichkeit durch versteckte Kameras überwacht werden dürfte als gerade dieser. Also lehnte er sich einfach vor seinem Büro an die Wand, entfaltete den Zettel und hielt ihn sich in der hohlen Hand dicht vor die Augen, als wollte er seine Handlinien studieren.

In Blockbuchstaben stand da:

DAS HAUSANGEBOT BEDEUTETE, MAN WILL DIR EINEN JOB ANBIETEN, DICH ABWERBEN.

Sofort fühlte er, wie sein Adrenalinspiegel hochstieg. Er bekam heftiges Herzklopfen.

Was sollte das bedeuten, verdammt?

Ein Jobangebot. Von wem? Warum?

Er las die Zeilen noch einmal. Und dann ein drittes Mal. Dann ballte er das Papier zusammen und stopfte es tief in seine Tasche.

Sie wollen dich abwerben.

Vor drei Jahren hatte in der Baygegend die Erde gebebt, recht drastisch, Sechs-Komma-einige auf der Richterskala. Damals hatte das ganze Gebäude zweieinhalb Minuten lang geschwankt. Und jetzt fühlte Rhodes sich wieder genau so.

Er zitterte. Er versuchte, das unter Kontrolle zu bringen. Es gelang ihm nicht.

Jemand will dir einen Job anbieten.

Vergiss es!, befahl er sich.

Mit sowas willst du nicht herumspielen. Du hast doch einen Job. Und es ist ein guter Job. Du hast eine prima Abteilung, eine Menge guter Leute für dich arbeiten, wirst angenehm honoriert, hast Aussichten auf glatten stetigen Aufstieg. Außerdem hast du in deinem Leben noch nie für eine andere Firma als für Samurai Industries gearbeitet. Du hast nie für jemand anderen arbeiten wollen als für Samurai Industries!

Er griff in die Tasche nach dem zerknüllten Zettel.

Wirf es weg, Nick! Wirf es fort!

Er ging zurück in sein Büro. Auf allen Inputs blinkten die Lämpchen, doch er kümmerte sich nicht darum. Er goss sich erst einmal einen Drink ein, einen ziemlich großen diesmal.

Dann überlegte er, wie es sein würde, für eine andere Firma zu arbeiten.

Zweifellos waren es seine eigenen Zwiespältigkeiten und seine Decidophobie, die ihn bei Samurai festnagelten. Und genauso war das in der Beziehung zu Isabelle. Gerade erst vor kurzem hatte er sich überlegt, dass er dringend etwas in seinem Leben verändern müsse, und das alles kehrte jetzt wieder und schoss tosend durch ihn hindurch, diese ganze Flut von unbestimmten Ressentiments, turbulent, fast explosiv, brodelte in ihm auf. Es war gar nicht so lange her, da hatte er Paul Carpenter zugegeben, wie tief er die Vorstellung verabscheute, dass Samurai Industries durch ihn ein Monopol auf die Adapto-Technologie beim Menschen erhalten könnte. Und Paul hatte ihm sofort die richtige Lösung genannt: Santachiara aufgeben. Zu jemand anderem wechseln, wie etwa zu Kyocera-Merck. Die ganze Abteilung mitnehmen. Die Gentechnologie dem Wettbewerb aussetzen. Samurai und K-M darum kämpfen lassen, wer die Weltherrschaft übernimmt …

Bot sich ihm hier die Chance, genau dies zu tun?

Dann musste er sie ergreifen!

Aber finde wenigstens heraus, was das Ganze auf sich hat, sagte er sich selbst nachdrücklich. Du rufst diesen Nakamura an und machst ein Treffen mit ihm aus!

»Verbinde mich mit Mr. Nakamura bei East Bay Realty«, befahl er wie in Trance seinem Sekretariat.

Es ist wie ein Date, dachte er, das möglicherweise zu einer ehebrecherischen Liebesaffäre führt.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe die Verbindung stand. Eigentlich sollte man doch annehmen, dass Grundstücksmakler brennend daran interessiert sein müssten, mit potentiellen Käufern zu sprechen, doch anscheinend war es nicht die leichteste Sache auf Erden, einen Rückruf für Mr. Nakamura zustande zu bringen. Schließlich blinkten Lämpchen auf, und ein japanisches Gesicht sah ihn aus dem Visor an. Die standardisierte Undurchdringlichkeit, glatte Ausdruckslosigkeit im Gesicht, trotz des Androidenlächelns. Irgendwie wirkte das Gesicht echt japanisch, nicht wie das eines Japamerikaners, dachte Rhodes, ohne einen besonderen klaren Beweis dafür zu haben. Interessant.

»Ich bin Mister Kurashiki«, sagte das Gesicht. »Mister Nakamura bedankt sich herzlich für deinen Rückruf. Er kann zu jedem der folgenden Termine heute oder morgen mit dir sprechen.«

Im Visor tauchte ein Memo auf: 12:00 h; 14:00 h; 16:00 h. Für den nächsten Morgen gab es neun oder elf Uhr.

Rhodes verspürte ein leichtes Frösteln. Er fragte sich, ob er Mr. Nakamura tatsächlich je begegnen würde, ob es ihn überhaupt gab, ja sogar, ob dieser Mr. Kurashiki eine reale Person war. Dem Aussehen und der Sprache nach wirkte er eigentlich eher wie eine Simulation.

Dann sagte er sich, dass sein Verhalten dümmlich sei. Kurashiki war einfach für die Termine zuständig, weiter nichts; und er war eine reale Person, bestimmt, jedenfalls soweit das einer von diesen Japsen jemals sein konnte. Svoboda hatte es exakt erkannt: Es handelte sich um was Ernstes, ein reales Angebot von einem real existierenden Megakonkurrenten.

»Heute Mittag«, sagte Rhodes. Das bedeutete, dass er fast sofort aufbrechen musste. Aber das würde vielleicht verhindern, dass seine sprichwörtliche Unpünktlichkeit die Sache vermasseln könnte. Wahrscheinlich war es diesmal doch angebracht, nicht zu spät zu kommen. »Dürfte ich um Richtungsdirektiven bitten …«

»Du wirst von Berkeley kommen? Vom Tower der Santachiara Technologies?«

»Ja.«

»Die Fahrt wird vierzehn Minuten und dreißig Sekunden dauern. Sobald du auf den Highway 24 kommst, sage deinem Wagen, der Streckenmodulcode ist H112.O3/Zufahrt WR52.«

Rhodes tippte den 30-sec-Datenabruf, und der Ausdruckerschlitz der Anlage spuckte die Ziffern aus. Er bedankte sich bei Kurashiki und beendete das Gespräch.

»Alle Termine für heute Nachmittag absagen«, befahl er. »Ich bin nicht im Haus.«

Die diablos bliesen noch immer, als sein Wagen aus der Garage heraufkam. Ein geradezu greifbarer, körperlicher Wind, hart und messerscharf, vielleicht 80 km/h. Und er würde da mitten hineinfahren. Man konnte den Wind regelrecht sehen. Er trieb sichtbar durch das Gesamtkontinuum der Atmosphäre. Er hatte die Gestalt einer geisterhaften goldgelben Aura von irgendwie uringelber Tönung: ein rasch ziehender organischer Dunstschleier, virulente, phosphoreszierende, in die Höhe geschleuderte Strudel industrieller Kontaminationsstoffe, die aus dem Fabrikgürtel auf der anderen Seite des Walnut Creek westwärts drifteten. Die Luft war dermaßen voll von dem Zeug, dass sie wie geschwängert wirkte, als könnte sie alles, was sie auf dem Weg zum Meer berührte, ebenfalls schwängern. Rhodes dachte an die neue Theorie Van Vliets von der schwimmenden Aminosäurensuppe, aus der wundersam virulente Bakterien entstehen sollten. Vielleicht war dieser Wind da der entscheidende Faktor, der heute, an diesem Nachmittag, diese lustige neue chemische Verbindung zum Leben erwecken, von der Van Vliet behauptete, dass sie bald im Meer entstehen werde.

Rhodes verabscheute es, wenn das Gehirn seines Wagens für ihn dachte. Doch diesmal wusste er wirklich nicht, wohin er überhaupt fuhr, nur dass der Streckenkurs H112.O3/access WR52 lautete und das Ziel irgendwo in der Gegend von Walnut Creek lag.

»Bring mich zu H112.O3/access WR52«, sagt er seinem Wagen. Und der wiederholt gehorsam die Angaben.

»Übrigens, wo liegt das?«, fragte Rhodes.

Aber das Auto konnte ihm nur den Fahrtcode noch einmal wiederholen. Für das Gehirn des Fahrzeugs war das angestrebte Ziel eben als H112.O3/access WR52 ausreichend definiert, und Punkt.

Der Wagen lag gut auf der Straße, wenn man die Geschwindigkeit des entgegenkommenden Windes berücksichtigte. Er brachte Rhodes fast ohne Schwanken durch den uralten Calbecott Tunnel und in das ausgebleichte versengt aussehende Land im Osten der Berge, wo die Temperatur stets um zwanzig Grad höher war, weil die kühle Pazifikbrise nicht so weit landeinwärts reichte, selbst an Tagen nicht, an denen keine Diablos brüllten. Und heute, bei dem heißen Ostwind, waren die Temperaturunterschiede wahrscheinlich noch viel größer: Richtige Wüstenhitze hier draußen, dachte er, Backofenglut, da brätst du in einer halben Minute durch wie ein Omelett. Aber er saß in der luftdicht versiegelten Blase seines Wagens bequem in Sicherheit und glitt rasch über den Freeway an den ehrwürdigen Hochhäusern der alten stillen Suburbia-Gemeinden vorbei, an Orinda, Lafayette, Pleasant Valley, auf die wuchernde miserable Metropole Walnut Creek zu – und dann, knapp vor dem Autobahnkreuz ein Zick und ein Zack, und der Wagen verließ die Hauptfahrbahn und schwang sich in die Berge hinauf. Hier oben war es absolut leer, erstaunlich leer, nur hin und wieder eine knorrige Eiche mitten auf dem sonnenverbrannten Gras. Der Wagen fuhr durch ein Sicherheitstor, dann durch ein zweites, dann kam ein Checkpoint, im Vergleich zu dem die ersten zwei Tore wie Filtergaze wirkten.

Leuchtendgrüne Sky-Glo-Schrift verkündete etwa zwölf Meter hoch:

KYOCERA-MERCK, LTD.

WALNUT CREEK RESEARCH CENTER

Da hatte er seine Antwort. Nicht dass er noch irgendwelche Zweifel gehegt hätte.

Der Wagen, unter dem Kommando irgendeines von Kyocera programmierten Straßenleitgehirns, glitt durch den Checkpoint, an einer Gruppe babylonisch wirkender Backsteingebäude vorbei und in eine Empfangskuppel.

Dort erwartete ihn Mr. Kurashiki; keine Simulation, sondern ein echter japanischer Mensch, mit einer gewissen reptilhaften Geschmeidigkeit. Er verbeugte sich formell auf diese japanische Art mit einem knappen ruckartigen roboterhaften Nicken. Auch das Lächeln war knapp und maschinell. Rhodes lächelte zurück, erwiderte aber die Verneigung nicht. Damit war der Höflichkeit Genüge getan, und Mr. Kurashiki brachte ihn zu einem Transportschacht, in dem er nach oben fuhr und in einem Büro landete, das – nach der behelfsmäßigen Einrichtung und dem allgemeinen Eindruck der Improvisiertheit und Kahlheit zu urteilen – offenbar ausschließlich für derartige ungeplante Besprechungen verwendet wurde.

Es war exakt zwölf Uhr.

Mr. Kurashiki verschwand wortlos. Rhodes trat vor. Ein überraschend hochgewachsener japanischer Mann erwartete ihn. Er stand exakt in der Mitte des Raums. Ein völlig anderer Typus, dieser Mann. Er sah aus wie aus grüngelbem Obsidian geschnitten: scharfe Gesichtszüge, schimmernde Hauttextur, schimmernde weit auseinanderliegende jettschwarze Augen mit einer einzigen dichten ungebrochenen Brauenlinie darüber. Starke klingenscharfe Wangenknochen.

Keine Verbeugung diesmal. Das Lächeln war dagegen beinahe menschlich.

»Guten Tag, Dr. Rhodes. Ich bin außerordentlich beglückt, dass du es möglich machen konntest, uns heute hier mit deinem Besuch zu ehren«, sagte er. »Ich bin sicher, du verzeihst uns unsere kleine Täuschung mit dem Hausmaklerangebot. So etwas ist zuweilen nötig, und ich setze voraus, du weißt das.« Die Stimme war tief und klangvoll, der Akzent unüberhörbar ausländisch: International Modern Japanese English, der schnurrende Akzent der japanischen Exilrasse, die in ihren weit über den Globus verstreuten verschiedenen Zufluchtländern begonnen hatte, eine neue eigentümliche charakteristische Art zu entwickeln, die Weltsprache zu sprechen. »Aber ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Nakamura. Level Three Executive.« Wie durch einen Zaubertrick lag plötzlich eine Geschäftskarte in seiner Hand, elegant laminiertes Pergament mit Goldschnitt, und er überreichte Rhodes die Karte mit einer glatten gekonnten Bewegung.

Rhodes starrte auf die Karte. Die metallische Schrift glühte wie von einem zauberischen inneren Licht. Da war das Monogramm von Kyocera-Merck, und sein Name – HIDEKI NAKAMURA – dreidimensional in modernistischer Schrift blitzend, und in der einen Ecke die einfache Ziffer 3. Das Kennzeichen seines Status in der Hierarchie der Firma.

Grad Drei?

Der dritte Grad bedeutete in der Tat eine mächtige Managerqualität; es war nur eine Stufe weniger als die praktisch ›kaiserlichen‹ höchsten Ränge, die nahezu völlig von Angehörigen der allmächtigen Herrschafts-Erbclans der großen Megafirmen besetzt waren. Rhodes hatte in seiner ganzen Karriere als Angehöriger seiner Firma niemals ein Wesen von höherem als dem Vierten Rang zu Gesicht bekommen, geschweige denn mit ihm gesprochen.

Leicht verwirrt schob er die Karte in die Tasche. Nakamura streckte ihm dann wieder die Hand entgegen, diesmal nur zu einem ganz ordinären abendländischen Händedruck. Rhodes nahm die Hand. Sie fühlte sich mehr oder weniger an wie die jedes gewöhnlichen Sterblichen.

Nakamura lächelte weiterhin. Aber Rhodes glaubte hinter diesem Lächeln die eisige Wut zu spüren, von der diese hochrangigen Japaner alle beherrscht waren: Trotz all des Reichtums und der Macht und Intelligenz waren sie vom Wüten des Meeres aus ihrer Heimat vertrieben worden. Waren gezwungen, hier und dort auf der ganzen Erde ihr Leben weiterzuleben, mitten zwischen diesen behaarten, hässlichen, übelriechenden, hochnäsigen bleichen unjapanischen Barbaren. Und mussten ihnen sogar ab und zu die Hand schütteln.

Nakamura sagte: »Wenn ich dir etwas zu trinken anbieten darf, Dr. Rhodes? Ich persönlich bevorzuge Cognac. Wenn du dich mir vielleicht anschließen möchtest …«

Die haben wirklich sehr gut recherchiert, dachte Rhodes voll Bewunderung.

»Gern«, sagte er, vielleicht eine Spur zu hastig. »Aber bitte, selbstverständlich gern.«

Загрузка...