DER MINIMALFORSCHER

Jeder hat sein Lied, dachte Anton Perceveral. Ein hübsches Mädchen gleicht einer Melodie, und ein tapferer Raumfahrer einem Trompetenstoß. Weise, alte Männer im Interplanetarischen Rat lassen einen an harmonisch klingende Holzinstrumente denken. Es gibt Genies, deren Leben in kontra punktisch verflochtenen Bahnen verläuft, und den Abschaum der Planeten, dessen Existenz nicht mehr zu sein scheint, als das Jammern einer Oboe über dem Dröhnen einer Kesselpauke.

Perceveral dachte darüber nach, während er eine Rasierklinge umklammerte und die bläulichen Adern seines Handgelenks betrachtete.

Denn wenn jeder sein Lied hat, so konnte man bei ihm an eine einfallslos erdachte, miserabel gespielte Symphonie der Irrungen denken.

Bei seiner Geburt erschollen gedämpfte Freudenhörner. Tapfer war der Junge Perceveral zum Klang leiser Trommeln in die Schule gegangen. Er hatte sich ausgezeichnet und war in eine kleine Arbeitsklasse von fünfhundert Schülern versetzt worden, wo man ihm wenigstens einen Anflug von persönlicher Aufmerksamkeit vermitteln konnte. Die Zukunft hatte vielversprechend ausgesehen.

Aber er war von Geburt ein Pechvogel. Es gab eine ununterbrochene Reihe von kleinen Unfällen mit umgeworfenen Tintenfässern, verlorenen Büchern und verlegten Heften. Viele Objekte zeigten eine abscheuliche Neigung, unter seinen Fingern zu zerbrechen; manchmal brachen auch seine Finger unter Objekten. Schlimmer noch, er zog sich jede nur erdenkliche Kinderkrankheit zu, einschließlich Protomasern, algerische Mumps, Ausschlag, Grünfieber und Orangefieber.

Das alles ließ keine Rückschlüsse auf Perceverals angeborene Fähigkeiten zu. Man braucht in einer überfüllten Welt voll des Konkurrenzkampfes mehr als Talent. Man benötigte sehr viel Glück, und daran mangelte es Perceveral. Er wurde in eine gewöhnliche Klasse mit zehntausend Schülern versetzt, wo seine Probleme ins Gigantische wuchsen.

Er war ein großer, magerer, brillentragender, gutmütiger, arbeitsamer, junger Mann, den die Ärzte sehr früh als >Unfaller< diagnostizierten; die Gründe dafür entzogen sich ihren Nachforschungen. Aber was immer auch die Gründe sein mochten, die Tatsachen ließen sich nicht aus der Welt schaffen. Perceveral war einer jener unglücklichen Menschen, für die das Leben bis zur Unmöglichkeit schwierig ist.

Die meisten Leute gleiten mit der Geschicklichkeit jagender Panther durch den Dschungel menschlichen Daseins. Für die Perceverals ist dieser Dschungel jedoch mit Fallen, Schlingen, Gruben, mit plötzlichen Abstürzen und unüberschreitbaren Strömen, mit tödlichen Gewächsen und lebensbedrohenden Bestien durchsetzt. Kein Weg ist sicher. Alle Straßen führen ins Unglück.

Der junge Perceveral schlug sich durchs College, trotz seines bemerkenswerten Talents, sich auf Wendeltreppen das Bein zu brechen, am Randstein den Knöchel zu verstauchen, seine Ellenbogen in Drehtüren einzuklemmen, seine Brille an Schaufenstern zu zertrümmern, und was zu diesen traurigen, lächerlichen, schmerzhaften Vorfällen noch gehört. Mannhaft widerstand er den Tröstungen, die das Hypochondertum bietet, und strengte sich weiterhin an.

Nach dem Universitätsexamen nahm sich Perceveral zusammen und versuchte, dem frühen, klaren Hoffnungsthema zum Durchbruch zu verhelfen, das seine Eltern angeschlagen hatten. Mit Trommelwirbel und Saitenklang begab sich Perceveral auf die Insel Manhattan, seines Schicksals Schmied zu sein. Er arbeitete hart daran, seine unglückliche Veranlagung zu überwinden und trotz aller Mißlichkeiten fröhlich und optimistisch zu bleiben.

Aber seine Veranlagung setzte sich durch. Der edle Saitenklang erstarb in schrillen Dissonanzen, und die Symphonie seines Lebens entartete zur komischen Oper. Perceveral verlor Stellung um Stellung in einem Chaos geborstener Lautschreiber, verschmierter Verträge, vergessener Karteikarten und verlegter Tabellen; in einem sich steigernden Crescendo gebrochener Rippen im Stoßverkehr der U-Bahn, verrenkter Knöchel, zerschmetterter Brillen und einem Sammelsurium von Krankheiten, in dem Hepatitis Typ J, Venusinfluenza, Wachkrankheit und Kicherfieber besondere Erwähnung verdienen.

Perceveral widerstand immer noch den Lockungen der Hypochondrie. Er träumte vom Weltraum, von den eisenharten Abenteurern, die daran waren, die Grenze des Menschen immer weiter hinauszuschieben, von neuen Niederlassungen auf fernen Planeten, von riesigen Gebieten unbesiedelten Landes, wo ein Mann, fernab des hektischen Kunststoffdschungels der Erde, sich wiederzufinden vermochte.

Er bewarb sich beim Amt für planetarische Forschung und Erschließung und wurde abgewiesen. Widerstrebend schob er den Traum beiseite und versuchte sich in zahlreichen Berufen. Er unterzog sich der Psychoanalyse, Hypnosuggestion, hypnotischer Hypersuggestion und Gegensuggestionsbeseitigung - ohne Erfolg.

Jeder Mensch hat seine Grenzen, jede Symphonie ihr Ende. Perceveral gab jede Hoffnung im Alter von vierunddreißig Jahren auf, als er nach drei Tagen eine Stellung verlor, hinter der er zwei Monate hergewesen war. Soweit es ihn anging, lieferte das den abschließenden, verstimmten Beckenschlag einer Komposition, die eigentlich niemals hätte aufgeführt werden dürfen.

Grimmig nahm er seine magere Lohntüte in Empfang, ließ sich von seinem gewesenen Arbeitgeber voller Vorsicht noch einmal die Hand drücken und fuhr mit dem Aufzug ins Vestibül hinunter. Schon zogen undeutliche Gedanken an Selbstmord in Form von Lastwagenrädern, Gasleitungen, Hochhäusern und schnell dahinfließenden Strömen an seinem inneren Auge vorbei.

Der Lift erreichte die große Marmorvorhalle mit ihren uniformierten Bereitschaftspolizisten und den dichtgedrängten Menschen, die darauf warteten, in die Straßen der Innenstadt hinausgelassen zu werden. Perceveral stellte sich in die Reihe und beobachtete müßig den Bevölkerungsdichtemesser, bis der Zeiger unter die Paniklinie sank, und er hinaus durfte. Draußen gesellte er sich zu einer riesigen Menge, die westwärts in Richtung seiner Wohngegend drängte.

Selbstmordgedanken zogen weiterhin durch sein Gehirn, langsamer jetzt, klarere Umrisse annehmend. Bis er seine Wohnung erreichte, überdachte er Methoden und Wege. Dort löste er sich aus der Menge und schlüpfte durch einen Einlaß hinein.

Er kämpfte gegen einen Strom von Kindern in den Korridoren und gelangte schließlich zu seinem von der Stadt zur Verfügung gestellten Einzelraum. Er trat ein, schloß die Tür, sperrte sie ab und nahm eine Rasierklinge aus dem Necessaire. Dann legte er sich auf sein Bett, stemmte die Füße an die gegenüberliegende Wand und betrachtete die bläulichen Adern seines Handgelenks.

Konnte er es tun? Konnte er es sauber und schnell vollbringen, ohne Fehler, ohne Bedauern? Oder würde er auch hier pfuschen, schreiend ins Krankenhaus eingeliefert werden, ein lächerlicher Anblick, zum Amüsement der Pfleger?

Während er nachdachte, wurde ein gelber Briefumschlag unter seiner Tür durchgeschoben. Es war ein Telegramm, exakt in der Stunde der Entscheidung mit einer melodramatischen Plötzlichkeit angeliefert, die Perceveral recht verdächtig vorkam. Trotzdem legte er die Rasierklinge weg und hob den Umschlag auf.

Er kam vom Amt für planetarische Forschung und Erschließung, von jener großen Organisation, die über jeden Schritt der Menschen im Weltraum entschied. Mit zitternden Fingern öffnete Perceveral den Umschlag und las:

>Mr. Anton Perceveral

Wohnungsprojekt 1993

Bezirk 43825, Manhattan 212, New York.

Lieber Mr. Perceveral,

vor drei Jahren haben Sie sich bei uns um irgendeine Stellung außerhalb der Erde beworben. Bedauerlicherweise mußten wir Sie damals abschlägig verbesche-iden. Ihre Unterlagen blieben jedoch in unserer Kartei; sie sind vor kurzem auf den heutigen Stand gebracht worden. Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, daß eine Stellung für Sie vorhanden ist, die ich Ihren besonderen Talenten und Qualifikationen für angemessen halte. Ich glaube, daß der Posten Ihren Ansprüchen gerecht werden wird, zumal ein Jahresgehalt von 20 000 Dollar nebst Zusatzprämien damit verbunden ist und unübertroffene Aufstiegsmöglichkeiten bestehen. Hätten Sie die Freundlichkeit, mich aufzusuchen, damit wir alles Nähere besprechen können?

Mit vorz üglicher Hochachtung

William Haskell stellv. Personaldirektor

WH/ibm3dc<

Perceveral faltete das Telegramm sorgfältig zusammen und steckte es wieder in den Umschlag. Das erste Gefühl überschwenglicher Freude verschwand, wurde ersetzt durch quälende Besorgnis.

Welche Talente und Qualifikationen besaß er für eine Aufgabe, die im Jahr mit Zwanzigtausend plus zusätzlichen Prämien bezahlt wurde? Verwechselte man ihn mit einem anderen Anton Perceveral?

Das war höchst unwahrscheinlich. Dem Amt unterliefen solche Fehler einfach nicht. Angenommen also, man kannte ihn und seine unselige Vergangenheit - was konnte man dann von ihm wollen? Was vermochte er zu vollbringen, das nicht beinahe jeder Mann, jede Frau, ja jedes Kind besser zu machen imstande war?

Perceveral steckte das Telegramm in die Tasche und legte die Rasierklinge wieder in das Necessaire zurück. Ein Selbstmord war jetzt wohl ein bißchen voreilig. Zuerst wollte er erfahren, was Haskell vorhatte.

Perceveral wurde in der Zentrale des Amts für planetarische Forschung und Erschließung sofort in William Haskells Privatbüro geführt. Der stellvertretende Personaldirektor war ein massiger, weißhaariger Mann, der eine Perceveral sehr verdächtig erscheinende Herzlichkeit ausstrahlte.

»Nehmen Sie Platz, Mr. Perceveral«, sagte Haskell. »Zigarette? Etwas zu trinken? Freut mich sehr, daß Sie gekommen sind.«

»Wissen Sie ganz genau, daß Sie den richtigen Mann verständigt haben?« fragte Perceveral.

Haskell schlug die auf dem Schreibtisch liegende Akte auf. »Wollen mal sehen. Anton Perceveral, vierunddreißig Jahre alt, Eltern: Gregory James Perceveral und Anita, geborene Swaans aus Laketown, New Jersey. Stimmt das?«

»Allerdings«, erwiderte Perceveral. »Und Sie haben eine Stellung für mich?«

»Gewiß.«

»Mit Zwanzigtausend plus Prämien pro Jahr?«

»Völlig richtig.«

»Könnten Sie mir sagen, worum es sich dabei handelt?«

»Deswegen unterhalten wir uns ja«, meinte Haskell fröhlich. »Die Position, für die ich Sie vorgesehen habe, Mr. Perceveral, ist in unserer Broschüre als >Extraterrestralforscher< aufgeführt.«

»Wie bitte?«

»Extraterrestral- oder Fremdplanetenforscher«, erklärte Haskell. »Das sind jene Männer, die auf fremden Planeten die ersten Kontakte herstellen, die ersten Ansiedler, von denen uns die wichtigsten Angaben geliefert werden. Ich betrachte sie als die Drakes und Magellans unseres Jahrhunderts. Sie werden zugeben, daß sich hier hervorragende Möglichkeiten bieten.«

Perceveral stand mit blutrotem Gesicht auf. »Wenn Sie mit Ihren Witzen am Ende sind, kann ich ja wohl gehen.«

»Was?«

»Ich als Raumfahrer und Planetenforscher?« sagte Perceveral mit bitterem Lachen. »Halten Sie mich doch nicht für blöd. Ich lese die Zeitungen. Ich weiß, wie diese Männer aussehen.«

»So? Wie denn?«

»Das sind die tüchtigsten Leute, die man auf der Erde finden kann«, erwiderte Perceveral. »Die klügsten Gehirne in den ausdauerndsten Körpern. Männer mit unglaublicher Reaktionsfähigkeit, Männer, die in der Lage sind, jedes Problem anzupacken, mit jeder Situation fertig zu werden, sich jeder Umwelt anzupassen. Stimmt das etwa nicht?«

»Na ja«, meinte Haskell, »das mag in der Frühzeit der Planetenerforschung richtig gewesen sein. Wir haben auch zugelassen, daß dieses Stereotypbild in den Augen der Öffentlichkeit dominierend bleibt, damit sich Zuversicht ausbreitet. Aber dieser Typ Raumfahrer ist längst überholt. Für Männer, wie Sie sie beschrieben haben, gibt es eine Unzahl anderer Aufgaben. Die Erschließung fremder Planeten gehört nicht dazu.«

»Haben Ihre Supermänner etwa versagt?« erkundigte sich Perceveral ein wenig verächtlich.

»Natürlich nicht«, erwiderte Haskell. »Die Leitung unserer damaligen Raumfahrer und Forscher ist unübertroffen. Diese Männer vermochten auf Planeten zu überleben, wo menschliche Existenz nur annähernd möglich war. Die Planeten forderten ihnen die letzten Reserven ab, aber die Männer setzten sich durch. Sie sind ein leuchtendes Beispiel für die Zähigkeit und Anpassungsfähigkeit des homo sapiens.«

»Warum werden sie dann nicht mehr eingesetzt?«

»Weil sich unsere Probleme hier auf der Erde anders stellen«, erläuterte Haskell. »Früher war die Erschließung des Weltraums ein Abenteuer, eine wissenschaftliche Errungenschaft, eine Abwehrmaßnahme, ein Symbol. Aber damit ist es vorbei. Die Bevölkerungsexpansion nahm immer größere Ausmaße an. Millionen ergossen sich in die vergleichsweise dünn besiedelten Länder wie Brasilien, Neu-Guinea und Australien. In den Großstädten wurde der Panikpunkt erreicht. Es kam zu den berüchtigten Wochenendaufständen. Und die Bevölkerung wuchs weiter. Verantwortlich dafür waren die wesentlich gesteigerte Lebenserwartung und eine weitere, erhebliche Verminderung der Säuglingssterblichkeit.«

Haskell rieb sich die Stirn. »Es war unbeschreiblich. Aber die moralischen Grundlagen der Bevölkerungszunahme sind nicht meine Sache. Wir hier im Amt wußten nur, daß wir so schnell wie möglich neues Land brauchten. Wir benötigten Planeten, die sich im Gegensatz zum Mars und zur Venus sehr bald selbst zu erhalten vermochten, Welten, auf die wir Millionen Menschen bringen konnten, während die Wissenschaftler und Politiker auf der Erde an einer Lösung des Problems arbeiteten. Wir mußten diese Planeten umgehend der Kolonisierung erschließen. Und das bedeutete, daß der Erforschungsprozeß beschleunigt werden mußte.«

»Das weiß ich alles«, sagte Perceveral. »Aber ich verstehe immer noch nicht, warum Sie dabei auf den optimalen Forschertyp verzichtet haben.«

»Ergibt sich das nicht von selbst? Wir suchten und planten, wo sich normale Menschen niederlassen und überleben konnten. Unser Optimalforschertyp war nicht gewöhnlich genug. Im Gegenteil, er war ja schon der Wegbereiter einer neuen Spezies Mensch. Und er konnte normale Überlebensbedingungen überhaupt nicht beurteilen. Es gibt zum Beispiel trostlose, öde, von Regen gepeitschte, kleine Planeten, die den durchschnittlichen Siedler bis zum Wahnsinn deprimieren; der Optimalforscher ist aber seelisch zu stabil, als daß ihn klimatische Monotonie aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Bakterien, die Tausende hinraffen, machen ihn höchstens eine Weile krank. Gefahren, die eine Kolonie an den Rand des Untergangs bringen würden, umgeht der optimale Mensch einfach. Er kann diese Dinge nicht in der Sicht des Alltags erkennen. Sie berühren ihn gar nicht.«

»Langsam begreife ich«, meinte Perceveral.

»Der beste Weg wäre nun gewesen, diese Planeten stufenweise zu erschließen«, fuhr Haskell fort. »Zuerst durch einen Forscher, dann durch ein Erkundungsteam, dann durch eine Testkolonie, die vorwiegend aus Psychologen zu bestehen hätte, dann mit einer Forschungsgruppe, der es obliegen müßte, die Erkenntnisse der anderen Teams auszuwerten, und so weiter. Aber dafür haben wir weder genug Zeit noch ausreichende Geldmittel. Wir brauchen diese Kolonien sofort, nicht erst in fünfzig Jahren.«

Mr. Haskell machte eine Pause und sah Perceveral scharf an. »Sie sehen also, daß wir sofort wissen müssen, ob eine Gruppe gewöhnlicher, durchschnittlicher Menschen auf einem neuen Planeten leben und wirken kann. Deswegen haben wir unsere Qualifikationen für Raumforscher geändert.«

Perceveral nickte. »Gewöhnliche Forscher für gewöhnliche Menschen. Aber ich muß noch auf etwas hinweisen.«

»Ja.«

»Ich weiß nicht, wie gut Sie über meine Vergangenheit informiert sind.«

»Recht gut«, versicherte Haskell.

»Dann wird Ihnen aufgefallen sein, daß ich eine gewisse Neigung zu - nun, daß mir sehr viele Unfälle zustoßen. Um ganz offen zu sein, es fällt mir schon ungeheuer schwer, hier auf der Erde am Leben zu bleiben.«

»Ich weiß«, sagte Mr. Haskell freundlich.

»Wie würde ich mich da erst auf einem fremden Planeten anstellen? Und wozu könnten Sie mich brauchen?«

Mr. Haskell machte ein verlegenes Gesicht. »Nun, Sie haben unsere Einstellung nicht ganz richtig zusammengefaßt, als Sie sagten: >Gewöhnliche Forscher für gewöhnliche Leute<. So einfach ist das nicht. Eine Kolonie besteht aus tausend, oft aus Millionen von Menschen, die in ihrer Überlebensfähigkeit doch erhebliche Unterschiede aufweisen. Die Menschlichkeit und die Gesetze gebieten es, daß alle wenigstens eine Chance haben müssen, wenn sie sich anstrengen. Die Leute selbst brauchen Zusicherungen, bevor sie die Erde verlassen. Wir müssen sie, das Gesetz und uns davon überzeugen können, daß selbst der Schwächste eine Chance hat, zu überleben.«

»Weiter«, sagte Perceveral.

»Deshalb haben wir vor ein paar Jahren die Verwendung des optimalen Forschers eingestellt«, fuhr Haskell hastig fort, »und damit begonnen, den Minimalforscher einzusetzen.«

Perceveral dachte eine Weile darüber nach. »Sie wollen mich also nehmen, weil auf Planeten, wo ich leben kann, jeder durchkommt.«

»So kann man unsere Überlegungen etwa zusammenfassen«, erwiderte Haskell mit jovialem Lächeln.

»Aber welche Chancen hätte ich denn überhaupt?«

»Manche von unseren Minimalforschern haben sich sehr gut gehalten.«

»Und die anderen?«

»Es ist natürlich ein Risiko dabei«, gab Haskell zu. »Abgesehen von den Gefahren des Planeten selbst liegen gewisse Risiken, in der Natur des Experiments an sich. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, worin sie bestehen, weil wir uns damit unserer einzigen Kontrollmöglichkeit über den Minimum-Überlebenstest berauben würden. Ich erkläre Ihnen nur, daß es sie gibt.«

»Keine allzu rosigen Aussichten«, meinte Perceveral.

»Mag sein. Aber denken Sie an den Lohn, der Sie erwartet, wenn Sie es schaffen! Sie wären praktisch der Gründer einer Kolonie! Ihr Wert als Experte wäre unschätzbar. Sie hätten einen festen Platz im Leben dieser Gemeinschaft. Und, was genauso wichtig ist, Sie könnten vielleicht gewisse innere Zweifel an Ihrer Daseinsberechtigung verscheuchen.«

Perceveral nickte widerstrebend. »Sagen Sie mir eines. Ihr Telegramm traf heute in einem ganz entscheidenden Augenblick ein. Es kam mir beinahe vor -«

»Ja, das war geplant«, sagte Haskell. »Wir haben festgestellt, daß die von uns benötigten Leute am empfänglichsten sind, wenn sie einen ganz bestimmten seelischen Zustand erreicht haben. Wir halten die wenigen, die für uns in Frage kommen, unter ständiger Beobachtung und warten den richtigen Augenblick ab.«

»Es hätte allerdings peinlich werden können, wenn Sie sich um eine Stunde verspätet hätten«, meinte Perceveral.

»Oder fruchtlos, wenn wir einen Tag zu früh damit herausgerückt wären.« Haskell erhob sich hinter seinem Schreibtisch. »Darf ich Sie zum Essen einladen? Wir können die Einzelheiten bei einer Flasche Wein abschließend besprechen?«

»Einverstanden«, sagte Perceveral. »Aber ich verspreche noch nichts.«

»Das verlangt auch niemand«, erwidert Haskell und öffnete die Tür.

Nach dem Essen dachte Perceveral angestrengt nach. Trotz der Risiken sagte ihm die Aufgabe ungemein zu. Sie war schließlich nicht gefährlicher als Selbstmord und brachte weit mehr ein. Wenn er durchkam, hatte er glänzende Aussichten; wenn er versagte, brauchte er keinen größeren Preis zu bezahlen, als er für einen Mißerfolg hier auf der Erde hatte entrichten wollen.

In seinen vierunddreißig Jahren auf der Erde hatte er nicht viel erreicht. Seine beste Leistung waren kurz aufzuckende Anzeichen von Tüchtigkeit, zunichte gemacht durch eine starke Neigung zu Krankheiten, Unfällen und Ungeschicklichkeiten. Vielleicht war sein >Unfallertum< nicht ein grundsätzlicher Defekt seines Wesens, sondern nur das Produkt unerträglicher Umstände.

Die neue Aufgabe würde ihm eine andere Umwelt vermitteln. Er konnte allein sein, nur auf sich selbst angewiesen, nur sich selbst verantwortlich. Es war zweifellos sehr gefährlich - aber was konnte gefährlicher sein als eine schimmernde Rasierklinge in seiner eigenen Hand?

Er stand vor der entscheidenden Bemühung seines Lebens, vor der wesentlichen Prüfung. Er würde kämpfen, wie er nie zuvor gekämpft hatte, seine fatale Veranlagung zu überwinden. Und diesmal würde er auch das letzte Restchen Kraft und Energie dieser Aufgabe zuwenden.

Er nahm die Stellung an. In den Wochen der Vorbereitung aß, trank und schlief er Entschlossenheit in sich hinein, hämmerte sie in sein Gehirn, flocht sie in sein Nervensystem, murmelte sie vor sich hin wie ein buddhistischer Priester, träumte von ihr, putzte sich die Zähne, wusch sich die Hände damit, grübelte darüber nach, bis der monotone Refrain beim Wachen und Schlafen in seinem Schädel summte und langsam als Kontrolle und Zügelung der Aktion zu wirken begann.

Der Tag kam, an dem er angewiesen wurde, einen einjährigen Aufenthalt auf einem vielversprechenden Planeten anzutreten. Haskell wünschte ihm viel Glück und versprach, per L-Phasenfunk in Kontakt zu bleiben. Perceveral und seine Ausrüstung wurden in das Raumschiff >Queen of Glasgow< verladen, und das Abenteuer begann.

Während der Monate im Weltraum beschäftigte sich Perceveral weiterhin ausschließlich mit seinem Entschluß. Er übte besondere Vorsicht im freien Fall, achtete auf jede seiner Bewegungen und prüfte jedes Motiv doppelt und dreifach. Diese ständige Beobachtung behinderte ihn beträchtlich; mit der Zeit wurde sie jedoch zur Gewohnheit. Neue Reflexe begannen sich einzustellen und versuchten sich gegen das alte Reflexsystem durchzusetzen.

Aber der Fortschritt unterlag Stockungen. Trotz seiner Bemühungen zog sich Perceveral vom Luftreinigungssystem des Raumschiffs einen leichten Hautausschlag zu, zerbrach eine seiner zehn Brillen an einem Schott und erduldete Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, abgeschürfte Fingerknöchel und verstauchte Zehen.

Trotzdem fühlte er, daß er vorangekommen war, und seine Entschlossenheit verstärkte sich. Endlich kam sein Planet in Sicht.

Der Planet hieß Theta. Perceveral und seine Ausrüstung wurden auf einer grasbewachsenen Hochebene mit Waldbestand in der Nähe eines Gebirgszuges abgesetzt. Diese Gegend war auf Grund von Luftaufnahmen vorher ausgewählt worden. Wasser, Holz, Früchte und mineralhaltiges Gestein, alles stand in der Nähe zur Verfügung. Die Landschaft bot sich als ideale Lage für eine Kolonie an.

Die Offiziere des Raumschiffes wünschten ihm alles Gute und flogen ab. Perceveral sah hinauf, bis das Schiff hinter einer Wolkenbank verschwunden war. Dann machte er sich an die Arbeit.

Zuerst setzte er seinen Roboter in Betrieb, eine große, schimmernde schwarze Vielzweckmaschine und Standardausrüstung für Planetenerschließer und Ansiedler. Der Roboter konnte weder reden noch singen, rezitieren oder kartenspielen wie die teureren Modelle. Seine einzige Reaktion war ein Kopf schütteln oder ein Nicken; langweilige Gesellschaft für das kommende Jahr. Aber der Roboter war daraufhin programmiert, mündliche Arbeitsanweisungen beträchtlicher Kompliziertheit zu befolgen, schwerste Arbeit zu verrichten und in schwierigen Situationen ein gewisses Maß an Voraussicht zu entwickeln.

Mit Hilfe des Roboters errichtete Perceveral auf der Hochebene ein Lager, wobei er den Horizont ständig absuchte, um im Fall der Gefahr rechtzeitig gerüstet zu sein. Die Luftvermessung hatte keine Anzeichen einer fremdartigen Kultur entdeckt, aber man konnte nie wissen. Und der Charakter von Thetas Tierwelt war noch unerforscht.

Er arbeitete langsam und sorgfältig, neben ihm der stumme Roboter. Bis zum Abend hatte er ein provisorisches Lager aufgebaut. Er schaltete den Radaralarm ein und legte sich schlafen.

Im Morgengrauen weckte ihn das schrille Rasseln der Radarglocke. Er zog sich an und eilte hinaus. Die Luft war von einem bösartigen Summen erfüllt, als näherten sich unübersehbare Wanderheuschreckenschwärme.

»Hol zwei Strahler«, befahl er dem Roboter, »und beeile dich. Vergiß das Fernglas nicht.«

Der Roboter nickte und wankte davon. Perceveral drehte sich langsam um, schaudernd in der Kälte des grauen Morgens, und versuchte auszumachen, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Er überblickte die betaute Ebene, den Waldrand, die aufragenden Berghänge dahinter. Nichts bewegte sich. Dann sah er, scharf abgezeichnet gegen die aufsteigende Sonne, etwas, das wie eine schmale, dunkle Wolke wirkte. Die Wolke flog auf sein Lager zu, trotz des Gegenwindes mit erstaunlicher Geschwindigkeit vorankommend.

Der Roboter brachte die Strahler. Perceveral nahm den einen und wies den Roboter an, den anderen zu halten und den Feuerbefehl abzuwarten. Der Roboter nickte. Seine Sehzellen leuchteten, als er sich der Sonne zuwandte.

Die Wolke entpuppte sich beim Herannahen als Vogelschwarm von gigantischen Ausmaßen. Perceveral beobachtete die Vögel durch sein Fernglas. Sie hatten etwa die Größe von Falken, aber ihre hin- und herzuckende, unberechenbare Flugweise erinnerte an das Verhalten von Fledermäusen. Sie verfügten über lange, scharfe Krallen, und ihre gebogenen Schnäbel waren mit spitzen Zähnen besetzt. Also Fleischfresser, bei dieser Bewaffnung.

Der Schwarm umkreiste sie mit lautem Summen. Dann setzten die Vögel mit angelegten Schwingen und vorgestreckten Krallen zum Sturzflug an, aus allen Richtungen zugleich. Perceveral wies den Roboter an, das Feuer zu eröffnen.

Er und der Roboter standen Rücken an Rücken und schossen in die heranrasende Phalanx hinein. Ein wirres Durcheinander von Blut und Gefieder erhob sich, als die Raubvögel scharenweise vom Himmel gemäht wurden. Perceveral und der Roboter behaupteten ihre Position, wehrten die Angreifer ab, schlugen sie sogar zurück. Dann versagte Perceverals Strahler.

Diese Waffen konnten doch nach Angabe der Techniker unter Garantie fünfundsiebzig Stunden lang ununterbrochen feuern. Ein Strahler versagte einfach nicht! Perceveral stand einen Augenblick da und betätigte immer wieder erfolglos den Abzug. Dann warf er die Waffe auf den Boden und eilte zum Vorratszelt. Der Roboter mußte inzwischen allein weiterkämpfen.

Perceveral fand die beiden Ersatzstrahler und lief hinaus. Als er sich wieder am Kampf beteiligen wollte, stellte er fest, daß der Strahler seines Roboters nicht mehr funktionierte. Der Roboter stand aufrecht und wehrte die Raubvögel mit den Armen ab. Öltropfen spritzten aus seinen Gelenken, während er seine Arme wie Windmühlenflügel bewegte. Er schwankte, drohte das Gleichgewicht zu verlieren, und Perceveral sah, daß einige Vögel seinen Schlägen ausgewichen waren, auf seinen Schultern hockten und nach seinen Augenzellen und der kinästhetischen Antenne hackten.

Perceveral riß beide Strahler hoch und feuerte in den Schwarm. Die eine Waffe versagte sofort. Er schoß mit der anderen weiter und hoffte verzweifelt, daß die Ladung ausreichen würde.

Der Schwarm schien von seinen erheblichen Verlusten nun doch betroffen zu sein, denn er stieg hoch und entschwand unter gräßlichem Kreischen. Wie durch ein Wunder unverletzt, standen Perceveral und der Roboter knietief in zerfetztem Gefieder und verkohlten Vogelleibern.

Perceveral starrte die vier Strahler an, von denen ihn drei im Stich gelassen hatten. Dann marschierte er zornig zum Funkzelt.

Er setzte sich mit Haskell in Verbindung und berichtete ihm von dem Angriff der Raubvögel und vom Versagen der Waffen. Voll Entrüstung brandmarkte er die Männer, deren Aufgabe es war, die Ausrüstung eines Raumfahrers zu überprüfen. Als ihm die Luft auszugehen drohte, wartete er darauf, daß sich Haskell entschuldigte und zu einer Erklärung ansetzte.

»Das war eines der Kontrollelemente«, erwiderte Haskell.

»W-as?«

»Ich habe es Ihnen vor Monaten erklärt«, sagte Haskell. »Wir testen die minimalsten Überlebensbedingungen. Minimal, erinnern Sie sich? Wir müssen herausfinden, was aus einer Kolonie wird, die aus Leuten unterschiedlicher Tüchtigkeit besteht. Deshalb suchen wir den kleinsten gemeinsamen Nenner.«

»Das weiß ich alles. Aber die Strahler -«

»Mr. Perceveral, die Errichtung einer Kolonie selbst in bescheidenstem Rahmen verschlingt phantastische Summen. Wir rüsten unsere Kolonisten mit den besten und neuesten Waffen und sonstigen Geräten aus, aber wir können defekte oder verbrauchte Gegenstände nicht ersetzen. Die Kolonisten müssen unersetzbare Munition verwenden, Ausrüstungsgegenstände, die zu Bruch gehen oder dem Verschleiß unterliegen, Nahrungsmittelvorräte, die sich erschöpfen oder verderben -«

»Und das haben Sie mir mitgegeben?« fragte Perceveral.

»Selbstverständlich. Zur Kontrolle haben wir Sie mit dem Minimum an Ausstattung fürs Überleben versehen. Nur auf diese Weise vermögen wir vorauszusagen, wie die Kolonisten sich auf Theta durchsetzen werden.«

»Aber das ist unfair! Als Forscher braucht man die beste Ausrüstung, die es überhaupt gibt!«

»Nein«, sagte Haskell. »Bei den Optimalforschern traf das früher zu, gewiß. Aber wir prüfen doch die minimalsten Möglichkeiten, und das muß sich sowohl auf die Ausrüstung als auch auf die Persönlichkeit beziehen. Ich habe Sie nicht im unklaren gelassen, daß es Risiken gibt.«

»Das stimmt«, erwiderte Perceveral. »Aber. schon gut. Haben Sie vielleicht noch ein paar so hübsche Neuigkeiten für mich?«

»Eigentlich nicht«, meinte Haskell nach einer kurzen Pause. »Sowohl Sie als auch Ihre Ausrüstung sind von minimaler Überlebensqualität. Damit ist so ungefähr alles gesagt.«

Perceveral kam diese Antwort etwas ausweichend vor, aber Haskell lehnte es ab, weitere Erläuterungen zu geben. Sie verabschiedeten sich voneinander, und Perceveral kümmerte sich wieder um sein Lager.

Um künftig vor Angriffen durch die Raubvögel geschützt zu sein, verlegten Perceveral und der Roboter das Lager in den schützenden Wald. Beim Neuaufbau stellte Perceveral fest, daß genau die Hälfte seiner Seile an zahlreichen Stellen durchgescheuert war, daß die Sicherungen durchzubrennen begannen und die Zeltleinwand vermoderte. Mühsam reparierte er alles, nicht ohne sich die Fingerknöchel aufzuschürfen und die Handflächen aufzureißen. Dann versagte sein Generator.

Er zerbrach sich drei Tage lang den Kopf und versuchte die Störung an Hand der schlecht gedruckten, in deutscher Sprache verfaßten Bedienungsanleitung zu ermitteln, die man beigefügt hatte. Der ganze Generator schien falsch zusammengesetzt zu sein, nichts funktionierte. Endlich entdeckte er durch Zufall, daß die Anleitung für ein völlig anderes Modell galt. Er verlor die Beherrschung und versetzte dem Generator einen Tritt, wobei er sich beinahe die kleine Zehe am rechten Fuß gebrochen hätte.

Dann nahm er sich zusammen und arbeitete fieberhaft weitere vier Tage, in denen er die Unterschiede zwischen seinem Dynamo und dem in der Anleitung beschriebenen Modell herausfand und den Generator wieder zum Laufen brachte.

Die Raubvögel entdeckten, daß sie zwischen den Bäumen auf Perceverals Lager hinabstoßen, Nahrungsmittel rauben und davonschießen konnten, bevor ein Strahler auf sie gerichtet wurde. Ihre Attacken kosteten Perceveral eine Brille und eine häßliche Wunde im Nacken. In langer Arbeit flocht er Netze und befestigte sie mit Hilfe des Roboters in den Ästen über dem Lager.

Die Raubvögel waren verwirrt. Perceveral hatte endlich Zeit, seine Nahrungsmittelvorräte zu überprüfen und dabei die Entdeckung zu machen, daß ein großer Teil der Trockennahrung schlecht aufbereitet war, während andere Vorräte zu schimmeln begannen. In beiden Fällen waren die Nahrungsmittel nicht mehr eßbar. Wenn er nicht bald zu Taten schritt, würde ihm während des Winters auf Theta die Nahrung ausgehen.

Er testete vorsichtig die hier wachsenden Früchte, Kornsorten, Beeren und Gemüse. Verschiedene Arten erwiesen sich als ungefährlich und nahrhaft. Er aß davon und entwickelte einen allergischen Hautausschlag von beträchtlichem Umfang. Gewissenhafte Beschäftigung mit seiner Medizinausrüstung führte zu einer Heilung, und anschließend begann er mit einer Testreihe, um das schuldige Gewächs zu entdecken. Aber gerade als er die Resultate überprüfen wollte, stampfte der Roboter herein, warf Reagenzgläser um und verschüttete unersetzliche Chemikalien.

Perceveral mußte die Allergietests am eigenen Leib weiterführen und eine Beerenart sowie zwei Gemüsesorten als für seinen Verzehr untragbar ausschließen.

Aber die Früchte schmeckten ausgezeichnet, und aus dem Getreide ließ sich ordentliches Brot backen. Perceveral sammelte Samen und befahl dem Roboter im Frühling, das Land zu pflügen und die Aussaat vorzunehmen.

Der Roboter arbeitete unermüdlich auf den neuangelegten Feldern, während Perceveral Streifzüge unternahm. Er fand glattgeschliffene Felsbrocken, die mit Zeichen bekritzelt waren, von denen einige wie Zahlen aussahen, ja sogar mit Bildern von Bäumen, Wolken und Bergen. Auf Theta mußten mit Intelligenz begabte Wesen gelebt haben. Wahrscheinlich bewohnten sie immer noch Gebiete des Planeten. Aber er hatte keine Zeit, nach ihnen zu forschen.

Als Perceveral seine Felder besuchte, stellte er fest, daß der Roboter die Samen trotz genauer Anweisungen viel zu tief eingesetzt hatte. Die ganze Aussaat war verloren, und Perceveral machte sich selbst an die Arbeit.

Er baute eine Holzhütte und ersetzte die vermodernden Zelte durch Vorratsschuppen. Langsam begann er Vorbereitungen für das Leben im Winter zu treffen. Und mit der Zeit verstärkte sich auch die Gewißheit, daß sein Roboter zu versagen begann.

Die große, schwarze Allzweckmaschine erledigte nach wie vor alle Aufträge, aber die Bewegungen des Roboters wurden immer ruckhafter, und er setzte seine Kräfte ganz wahllos ein. Schwere Krüge zersplitterten unter seinem Griff, landwirtschaftliche Geräte zerbrachen, wenn er sie benutzte. Perceveral programmierte ihn für Unkrautbeseitigung auf den Feldern, aber die breiten Füße des Roboters zertrampelten die jungen Schößlinge, während seine Finger das Unkraut ausrupften. Wenn der Roboter Holz zerkleinerte, gelang es ihm regelmäßig, den Beilgriff auseinanderzubrechen. Die Hütte wankte, sobald der Roboter sie betrat; manchmal fiel sogar die Tür aus den Scharnieren.

Perceveral zerbrach sich über den Verfall des Roboters den Kopf. Es gab keine Möglichkeit zur Reparatur, weil der Roboter eine von der Fabrik versiegelte Maschine war, die nur von Spezialtechnikern mit dem entsprechenden Wissen und eigenen Werkzeugen instandgesetzt werden konnte. Perceveral konnte den Roboter lediglich außer Dienst stellen. Aber dann wäre er ganz allein gewesen.

Er programmierte immer einfachere Aufgaben in den Roboter und nahm mehr Arbeit auf sich. Trotzdem verfiel der Roboter von Tag zu Tag mehr. Als Perceveral einmal sein Abendbrot verzehrte, taumelte der Roboter gegen den Herd und schleuderte einen Topf mit kochendem Reis durch die Hütte.

Perceveral, seine neuentdeckten Fälligkeiten ausnutzend, warf sich zur Seite, so daß die brühheiße Masse nicht in seinem Gesicht, sondern nur auf der linken Schulter landete.

Das war zuviel. Der Roboter stellte eine Gefahr dar, wenn man ihn noch länger herumlaufen ließ. Nachdem Perceveral seine Brandwunde verbunden hatte, beschloß er, den Roboter abzuschalten und die Arbeit allein weiterzuführen. Mit fester Stimme gab er den Ruhebefehl.

Der Roboter starrte ihn nur grimmig an und trampelte ruhelos in der Hütte herum, ohne auf den fundamentalsten Befehl, den es für einen Roboter gab, zu reagieren.

Perceveral wiederholte den Befehl. Der Roboter schüttelte den Kopf und begann, Feuerholz aufzustapeln.

Irgend etwas war schiefgegangen. Er mußte den Roboter mit der Hand abschalten. Aber nirgends war der übliche Schalter auf der schimmernden, schwarzen Oberfläche des Roboters zu sehen. Trotzdem holte Perceveral seinen Werkzeugkasten hervor und ging auf den Roboter zu.

Zu seiner Verblüffung wich der Roboter mit erhobenen Armen vor ihm zurück.

»Bleib stehen!« schrie Perceveral.

Der Roboter wich zurück, bis er mit dem Rücken an der Hüttenwand lehnte.

Perceveral zögerte. Er begriff nicht, was hier vor sich ging. Keiner Maschine war es gestattet, Befehle zu mißachten. Die Bereitwilligkeit, auf die Existenz zu verzichten, war allen Robotern sorgfältig eingebaut worden.

Er näherte sich dem Roboter, entschlossen, ihn irgendwie abzustellen. Der Roboter wartete, bis er herangekommen war, dann schleuderte er ihm seine Stahlfaust entgegen. Perceveral duckte sich und warf einen Schraubenschlüssel in Richtung der kinästhetischen Antenne. Der Roboter zog sie sofort ein und schlug wieder zu. Diesmal traf er Perceveral in die Rippen.

Perceveral ging zu Boden, und der Roboter stand über ihm, mit rotglühenden Sehzellen und Fäusten, die sich öffneten und wieder schlossen. Perceveral schloß die Augen und wartete auf das Ende. Aber die Maschine drehte sich um und verließ die Hütte, im Hinausgehen noch das Schloß zerschmetternd.

Wenige Minuten später hörte Perceveral, wie draußen Holz gehackt und aufgestapelt wurde - als sei nichts geschehen.

Mit Hilfe seines Medizinkastens bepflasterte Perceveral seinen Brustkorb. Der Roboter erledigte seine Arbeit und kam zurück, um sich weitere Anweisungen zu holen. Perceveral befahl ihm, von einer entlegenen Quelle Wasser zu besorgen. Der Roboter ging, ohne Widersetzlichkeit zu zeigen. Perceveral schleppte sich zum Funkschuppen.

»Sie hätten nicht versuchen sollen, ihn abzuschalten«, sagte Haskell, als er erfahren hatte, was geschehen war. »Er läßt sich gar nicht abstellen. War das nicht offensichtlich? Probieren Sie es um Ihrer eigenen Sicherheit willen nicht noch einmal.«

»Aber wozu soll denn das gut sein?«

»Weil der Roboter als Wertkontrolle für Sie gedacht ist, was Sie ja inzwischen bemerkt haben dürften.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Perceveral. »Warum brauchen Sie eine Wertkontrolle?«

»Muß ich wieder von vorne anfangen?« fragte Haskell müde.

»Sie sind als minimal tüchtiger Forscher angestellt worden. Nicht als durchschnittlicher, nicht als überlegener. Minimal!«

»Ja, aber -«

»Passen Sie auf. Entsinnen Sie sich an Ihr Leben hier auf der Erde? Sie waren ständig von Unfällen, Krankheit und allgemeinem Pedi verfolgt. Das brauchten wir auch auf Theta. Aber Sie haben sich verändert, Mr. Perceveral.«

»Ich habe mich jedenfalls bemüht, eine Veränderung zu bewirken.«

»Natürlich«, sagte Haskell. »Wir rechneten damit. Die meisten unserer Minimalforscher ändern sich. In eine völlig neue Umwelt gestellt und vor einem neuen Anfang, gewinnen sie eine Gewalt über sich, die ihnen zuvor versagt geblieben ist. Aber das wollen wir ja nicht testen, also müssen wir irgendein Gegengewicht für solche Veränderungen schaffen. Sehen Sie, nicht immer kommen Kolonisten auf einen Planeten, um tüchtiger und klüger zu werden. Jede Kolonie hat ihre unvorsichtigen Mitglieder, ganz zu schweigen von den alten, kranken, geistig schwachen, draufgängerischen Leuten, den unerfahrenen Kindern, und so weiter. Unsere Minimalnormen sind eine Garantie dafür, daß alle eine Chance haben. Begreifen Sie jetzt?«

»Ich glaube ja«, erwiderte Perceveral.

»Deshalb brauchen wir eine Wertkontrolle über Sie - damit Sie nicht die durchschnittlichen oder überlegenen Überlebensfähigkeiten erwerben, die uns hier gar nicht interessieren, ja, die wir nicht brauchen können.«

»Daher also der Roboter«, sagte Perceveral tonlos.

»Richtig. Der Roboter ist programmiert, daß er als Hemmschuh, als entscheidende Kontrolle über Ihre Überlebensgeschicklichkeit agiert. Solange Sie sich in einem vorher genau bestimmten Bereich allgemeiner Untüchtigkeit bewegen, funktioniert der Roboter normal. Aber wenn Sie Fortschritte machen, geschickter werden, weniger Unfälle erleiden, läßt die Tüchtigkeit des Roboters nach. Er zerbricht jene Gegenstände, die Sie eigentlich kaputtmachen müßten, er trifft jene falschen Entscheidungen, die Sie eigentlich fällen müßten -«

»Das ist nicht fair!«

»Perceveral, Sie scheinen unter dem Eindruck zu stehen, daß wir eine Art Sanatorium oder Selbsthilfeprogramm zu Ihren Gunsten betreiben. Das ist nicht der Fall. Wir sind nur daran interessiert, das zu erhalten, wofür wir bezahlt haben. Sie haben sich diese Aufgabe als eine Alternative zum Selbstmord ausgesucht, wenn ich Sie daran erinnern darf.«

»Na schön!« schrie Perceveral. »Ich mache meine Arbeit. Aber gibt es eine Vorschrift, wonach ich diesen verdammten Roboter nicht auseinandernehmen darf?«

»Keineswegs«, erwiderte Haskell ruhig, »wenn es Ihnen gelingt. Aber ich möchte Ihnen ernstlich raten, es nicht zu versuchen. Die Gefahr ist zu groß. Der Roboter wird nicht zulassen, daß man ihn außer Betrieb stellt.«

»Das habe ich zu entscheiden, nicht er«, sagte Perceveral und verabschiedete sich.

Der Frühling auf Theta zog dahin, und Perceveral lernte mit seinem Roboter zu leben. Er befahl ihm, einen fernen Gebirgszug zu erforschen, aber der Roboter weigerte sich, ihn zu verlassen. Er versuchte, keinerlei Anweisungen zu erteilen, aber das schwarze Monstrum wollte nicht untätig bleiben. Wenn man ihm keine Arbeit auftrug, unternahm er auf eigene Faust etwas, trat mit der Gewalt eines Donnerschlags in Aktion und brachte auf Perceverals Feldern und in den Hütten alles durcheinander.

Aus Notwehr übertrug ihm Perceveral die einfachsten Arbeiten, die er sich ausdenken konnte. Er befahl dem Roboter, einen Brunnenschacht auszuheben, in der Hoffnung, er würde sich dabei vielleicht selbst eingraben. Aber grimmig und triumphierend tauchte der Roboter jeden Abend auf, betrat die Hütte, beutelte Schmutz in Perceverals Essen, übertrug Allergien, zerbrach Fenster und Geschirr.

Mit zusammengebissenen Zähnen akzeptierte Perceveral diesen Zustand. Der Roboter schien jetzt die Verkörperung jener anderen, dunkleren Seite seines Ichs darzustellen, den ungeschickten, tölpelhaften Perceveral. Wenn er den Roboter bei seinem zerstörerischen Werk beobachtete, glaubte er einen mißgestalteten Teil seines Selbst zu sehen, eine Gestalt gewordene Krankheit.

Er bemühte sich, von dieser Vorstellung loszukommen. Aber der Roboter stellte seine eigene zerstörerische Neigung, losgelöst vom Lebensimpuls, immer deutlicher dar.

Perceveral arbeitete, und seine Neurose stakte hinter ihm her, in Ewigkeit auf Zerstörung bedacht, und doch auf seinen Schutz ausgerichtet, wie Neurosen nun einmal sind. Sein verkörpertes Gebrechen lebte mit ihm, beobachtete ihn beim Essen, blieb in seiner Nähe, wenn er schlief.

Perceveral tat seine Arbeit mit ständig zunehmender Geschicklichkeit. Er freute sich über jeden Tag, bedauerte den Sonnenuntergang und durchlebte die Schrecken der Nacht, da der Roboter neben seinem Bett stand und sich zu fragen schien, ob die Zeit für eine endgültige Abrechnung reif war. Und am Morgen versuchte Perceveral einen Weg zu finden, wie sich diese schwankende, taumelnde, zerstörerische Neurose beseitigen ließ.

Aber kein Ausweg zeigte sich aus dieser verfahrenen Situation, bis ein neuer Faktor die Sache noch mehr komplizierte.

Es hatte mehrere Tage lang heftig geregnet. Als das Wetter aufklarte, ging Perceveral auf seine Felder hinaus. Der Roboter stapfte hinter ihm drein, ein paar Ackergeräte schleppend.

Plötzlich tat sich unter seinen Füßen im feuchten Boden ein Spalt auf. Er verbreiterte sich, und die ganze Stelle, wo er sich befand, brach ein. Perceveral sprang auf festen Boden. Er zog sich an der Böschung hoch, und der Roboter half ihm hinauf, beinahe seinen Arm aus dem Gelenk reißend.

Als Perceveral das eingesunkene Stück betrachtete, sah er, daß darunter ein Tunnel verlaufen war. Man konnte die Grabspuren noch erkennen. Auf einer Seite war der Tunnel durch den Einsturz blockiert worden. Auf der anderen tauchte er tief in den Boden hinab.

Perceveral ging ins Lager zurück, holte seinen Strahler und eine Taschenlampe. Er kletterte in das Loch hinab und leuchtete in den Tunnel. Ein großes, pelzbekleidetes Wesen verschwand hastig hinter einer Biegung. Es sah aus wie ein riesiger Maulwurf.

Endlich hatte er eine neue Art Lebewesen auf Theta entdeckt.

Im Laufe der nächsten Tage erkundete er vorsichtig die Tunnels.

Mehrmals erblickte er graue, maulwurfähnliche Wesen, aber sie flüchteten vor ihm in ein Labyrinth von Gängen.

Er änderte seine Taktik. Er drang nur fünfzig bis sechzig Meter im Haupttunnel vor und hinterließ ein paar Früchte als Geschenk. Als er am nächsten Tag zurückkam, waren die Früchte verschwunden. An ihrer Stelle lagen zwei Klumpen Blei auf dem Boden.

Der Austausch von Geschenken wurde eine ganze Woche fortgesetzt. Als Perceveral eines Tages wieder Früchte und Beeren brachte, erschien ein Riesenmaulwurf; er kam langsam und mit offensichtlicher Nervosität näher. Er deutete auf Perceverals Lampe, und Perceveral bedeckte den Leuchtkopf mit der Hand, damit der Maulwurf nicht geblendet wurde.

Er wartete. Der Maulwurf näherte sich langsam auf zwei Beinen, mit gerümpfter Nase, während er seine kleinen, runzligen Hände auf der Brust verschränkt hatte. Er blieb stehen und sah Perceveral mit großen Augen an. Dann bückte er sich und kratzte ein Zeichen in den Boden des Tunnels.

Perceveral hatte keine Ahnung, was das Zeichen bedeutete. Aber das Tun allein bewies das Vorhandensein einer Sprache, beträchtlicher Intelligenz und eines gewissen Fassungsvermögens für Abstraktionen. Er kritzelte ein Symbol neben das Zeichen des Maulwurfs, um dasselbe für sich anzudeuten.

Ein Akt der Verständigung zwischen zwei einander fremden Rassen hatte begonnen. Der Roboter stand mit glühenden Augenzellen hinter Perceveral und sah zu, während Mensch und Maulwurf eine Gemeinsamkeit suchten.

Dieser Kontakt bedeutete für Perceveral erneut Mehrarbeit. Die Felder und Gärten mußten weiterhin betreut, die Geräte repariert und der Roboter im Auge behalten werden. In seiner Freizeit plagte sich Perceveral damit ab, die Sprache der Maulwürfe zu erlernen. Und die Maulwürfe gaben sich ebensoviel Mühe, sie ihm beizubringen.

Perceveral und die Maulwürfe begannen einander langsam zu verstehen, sich an der Gesellschaft des anderen zu erfreuen, Freunde zu werden. Perceveral lernte ihren Alltag kennen, ihren Abscheu vor dem Licht, ihre Märsche durch die unterirdischen Höhlen und Gänge, ihr Bestreben nach Wissen und Erkenntnis. Und er brachte ihnen über die Menschen bei, soviel er konnte.

»Aber was ist dieses Metallding?« wollten die Maulwürfe wissen.

»Ein Diener des Menschen«, erklärte ihnen Perceveral.

»Aber es steht hinter dir und macht ein grimmiges Gesicht. Es haßt dich, das Metallding. Hassen alle Metalldinge die Menschen?«

»Selbstverständlich nicht«, erwiderte Perceveral. »Das hier ist ein Sonderfall.«

»Es macht uns Angst. Verbreiten alle Medalldinge Schrecken?«

»Manche. Nicht alle.«

»Man kann nicht richtig nachdenken, wenn uns das Metallwesen anstarrt, man kann dich dann nicht so gut verstehen. Ist das bei allen Metallwesen so?«

»Manchmal mischen sie sich ein«, gab Perceveral zu. »Aber macht euch keine Sorgen, der Roboter tut euch nichts.«

Die Maulwürfe waren nicht so ganz überzeugt davon. Perceveral versuchte für die schwere, wankende, blöde Maschine Entschuldigungen zu finden, erzählte vom Dienst der Maschinen für die Menschheit und dem angenehmen Leben, das sie ermöglichten. Aber die Maulwurfleute ließen sich nicht überzeugen. Sie wichen vor dem Roboter zurück.

Trotzdem schloß Perceveral nach langwierigen Verhandlungen einen Vertrag mit den Maulwurfleuten. Als Gegenleistung für frische Früchte und Beeren, für welche die Maulwürfe allerhand übrig hatten, an die sie aber von sich aus selten herankamen, erklärten sie sich bereit, für die künftigen Kolonisten Metalle aufzuspüren sowie Wasser- und Ölquellen zu finden. Außerdem wurde den Kolonisten die gesamte Oberfläche Thetas zugestanden, während den Maulwürfen die Herrschaft über den Untergrund blieb.

Das schien für beide Teile annehmbar; Perceveral und der Anführer der Maulwürfe unterzeichneten das Steindokument mit so vielen Schnörkeln, wie es der Grabmeißel erlaubte.

Zur Feier des Vertrages gab Perceveral ein Fest. Er und der Roboter brachten den Maulwürfen Früchte und Beeren aller Sorten. Die Maulwürfe mit ihren grauen Pelzen und schmelzenden Augen versammelten sich und hielten eifrige Zwiesprache.

Der Roboter setzte seine Körbe an und trat ein paar Schritte zurück. Er rutschte auf einer glatten Felsplatte ab, versuchte, sein Gleichgewicht wiederzugewinnen und stürzte auf einen der Maulwürfe. Sofort war er wieder auf den Beinen und versuchte mit seinen ungeschickten, stählernen Händen, dem Maulwurf aufzuhelfen. Aber er hatte ihm das Rückgrat gebrochen.

Die übrigen Maulwürfe flohen, ihren toten Kameraden mit davonzerrend. Perceveral und der Roboter standen allein im Tunnel, umgeben von ihren Körben.

In dieser Nacht dachte Perceveral lange und angestrengt nach. Er vermochte die fluchwürdige Logik des Vorfalls zu durchschauen. Minimalwertkontakte mit fremdartigen Wesen mußten ein Element der Unsicherheit enthalten, Mißtrauen, Mißverständnisse, gelegentlich sogar ein Opfer. Seine Beziehungen zu den Maulwurfleuten hatten sich für Minimalerfordernisse zu glatt entwickelt.

Der Roboter hatte lediglich die Situation korrigiert und jene Fehler begangen, die Perceveral selbst hätte machen sollen.

Obwohl er also den logischen Hintergrund des Vorfalls begriff, konnte er ihn nicht akzeptieren. Die Maulwurfleute waren seine Freunde, und er hatte sie verraten. Es gab kein Vertrauen mehr zwischen ihm und ihnen, keine Hoffnung für eine Zusammenarbeit mit den künftigen Kolonisten. Solange jedenfalls nicht, als der Roboter in den Tunnels hin- und hertrampeln konnte.

Perceveral entschied, daß der Roboter vernichtet werden mußte. Er war ein für allemal entschlossen, seine mühsam erworbene Tüchtigkeit gegen die zerstörerische Neurose einzusetzen, die ihm nicht von der Seite wich. Und wenn es sein Leben kostete - nun ja, erinnerte sich Perceveral, er war ja auch bereit gewesen, es vor nicht einmal einem Jahr aus weit weniger stichhaltigen Gründen wegzuwerfen.

Er nahm zuerst Kontakt mit den Maulwürfen auf und besprach mit ihnen sein Problem. Sie erklärten sich bereit, ihm zu helfen, denn selbst diese sanften Wesen sannen auf Rache. Sie lieferten einige Ideen, die erstaunlich viel Menschliches an sich hatten, da die Maulwürfe auch über eine Art Kriegführung verfügten. Sie erklärten Perceveral Genaueres, und er stimmte zu, es auf diese Weise einmal zu versuchen.

Eine Woche später waren die Maulwürfe bereit. Perceveral belud den Roboter mit Körben voll Obst und führte ihn in die Tunnels, als bemühe er sich, einen neuen Vertrag zustande zu bringen.

Die Maulwurfleute waren nirgends zu sehen. Perceveral und der Roboter drangen tiefer in die Gänge vor, mit den Taschenlampen ihren Weg erleuchtend. Die Augenzellen des Roboters glühten rötlich, und er blieb Perceveral knapp auf den Fersen.

Sie erreichten eine unterirdische Höhle. Ein leiser Pfiff ertönte, und Perceveral raste davon.

Der Roboter spürte die Gefahr und versuchte ihm zu folgen. Aber er stolperte, behindert durch seine eigene, einprogrammierte Ungeschicklichkeit, und das Obst rollte über den Höhlenboden. Dann fielen Seile von der Decke herab, legten sich um den Schädel und die Schultern des Roboters.

Er zerrte an dem starken Geflecht. Weitere Seile legten sich um ihn, von der Decke herunterzischend. Die Sehzellen der Maschine glommen blutrot, als er die Stricke von seinen Armen riß. Zu Dutzenden erschienen die Maulwurfleute in den Gängen. Immer mehr Stricke wanden sich um den Roboter, aus dessen Gelenken Öl tropfte, während er sich gegen die Fesseln wehrte. Minutenlang hörte man nichts anderes als die zischenden Seile, das Knarren der Robotergelenke und das trockene Knacken der zerreißenden Stricke.

Perceveral eilte zurück, um sich am Kampf zu beteiligen. Man fesselte den Roboter immer enger, bis er die Glieder nicht mehr bewegen konnte. Immer noch pfiffen die Seile durch die Luft, bis der Roboter zu Boden stürzte, in einen großen Kokon aus Stricken gehüllt, aus dem nur sein Schädel und die Füße hervorragten.

Die Maulwurfleute quietschten triumphierend und versuchten, die Augen des Roboters mit ihren scharfen Grabklauen auszukratzen. Aber stählerne Verschlüsse schoben sich vor die Sehzellen. Also schütteten sie Sand in seine Gelenke, bis Perceveral sie beiseiteschob und sich bemühte, mit dem letzten Strahler den Roboter einzuschmelzen.

Die Waffe versagte, bevor das Metall richtig heiß geworden war. Man befestigte Seile an den Füßen des Roboters und zerrte ihn durch einen Gang, der vor einem tiefen Abgrund endete. Die Maulwürfe schoben ihn über den Rand und lauschten, wie er beim Absturz gegen die Vorsprünge an den Felswänden prallte. Als er am Boden aufschlug, stießen sie ein Freudengeheul aus.

Die Maulwurfleute feierten. Aber Perceveral fühlte sich schlecht. Er kehrte in seine Hütte zurück und lag zwei Tage im Bett, wobei er sich immer wieder vorsagte, daß er doch nicht einen Menschen, nicht einmal ein denkendes Wesen umgebracht hatte. Es war nur notwendig gewesen, eine gefährliche Maschine zu zerstören.

Aber er mußte immer wieder an den stillen Begleiter denken, der mit ihm gegen die Raubvögel gekämpft, seine Felder gejätet und Holz für ihn gesammelt hatte. Wenn der Roboter auch ungeschickt und zerstörerisch gewesen war, so doch auf Perceverals eigene Art - eine Art, für die er, vor allen anderen Leuten, Verständnis und Mitgefühl aufbringen konnte.

Eine Weile kam es ihm vor, als sei ein Teil seines Ichs gestorben. Aber jeden Abend besuchten ihn die Maulwurfleute, um ihn zu trösten, und auf den Feldern gab es viel zu tun.

Es war Herbst, Zeit, seine Ernte einzubringen und zu lagern. Perceveral machte sich an die Arbeit. Durch die Beseitigung des Roboters kehrte seine eigene Meinung zu Unfällen vorübergehend wieder. Er überwand sie schnell. Als die ersten Schneefälle kamen, hatte er den gesamten Ernteertrag eingelagert und winterfest gemacht. Und sein Jahr auf Theta neigte sich dem Ende zu.

Er gab per Funk einen vollständigen Bericht über die Gefahren, Aussichten und Möglichkeiten des Planeten an Haskell durch, erzählte von seinem Vertrag mit den Maulwurfleuten und empfahl den Planeten für eine Kolonisierung. Zwei Wochen später meldete sich Haskell wieder.

»Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet«, lobte er Perceveral. »Das Amt hat entschieden, daß Theta unseren Minimalwertnormen entspricht. Wir schicken sofort ein Kolonisierungsschiff ab.«

»Dann ist der Test also vorbei?« fragte Perceveral.

»Richtig. Das Raumschiff müßte in etwa drei Monaten ankommen. Ich fliege wahrscheinlich selbst mit dieser Gruppe. Herzlichen Glückwunsch, Mr. Perceveral. Sie werden Gründer einer neuen Kolonie sein!«

Perceveral sagte: »Mr. Haskell, ich weiß nicht, wie ich mich bei Ihnen bedanken soll -«

»Da gibt es gar nichts zu danken«, erwiderte Haskell. »Ganz im Gegenteil. Wie sind Sie übrigens mit dem Roboter zurechtgekommen?«

»Ich habe ihn zerstört«, sagte Perceveral. Er beschrieb den Überfall durch die Maulwürfe.

»Hmm«, machte Haskell.

»Sie haben mir bestätigt, daß ich damit keine Vorschriften verletze.«

»Das stimmt auch. Der Roboter war Bestandteil Ihrer Ausrüstung, wie die Strahler, Zelte und Nahrungsmittelvorräte. Wie sie gehörte auch er zu Ihren Überlebensproblemen. Sie hatten das Recht, mit ihm anzufangen, was Ihnen möglich war.«

»Woran hapert es also?«

»Nun ja, ich hoffe, daß Sie ihn wirklich außer Gefecht gesetzt haben. Diese Wertkontroll-Modelle halten sehr viel aus, wissen Sie. Sie können sich selbst reparieren und besitzen einen starken Selbsterhaltungstrieb. Es ist verdammt schwer, so ein Ding wirklich kaputtzumachen.«

»Ich glaube, daß es mir gelungen ist«, meinte Perceveral.

»Hoffentlich. Es wäre peinlich, wenn der Roboter diese Behandlung überstanden hätte.«

»Wieso? Käme er etwa zurück, um Rache zu nehmen?«

»Natürlich nicht. Ein Roboter hat keine Gefühle.«

»Also?«

»Das Dumme ist nur: der Roboter hatte den Zweck, alle Erfolge, die Sie im Überlebenswert erzielten, zunichte zu machen. Er hat es ja auch auf verschiedene Weise immer wieder geschafft.«

»Gewiß. Wenn er also zurückkommt, muß ich von vorne anfangen.«

»Schlimmer. Sie haben jetzt seit ein paar Monaten Ruhe vor dem Roboter. Wenn er noch funktioniert, hat er einen Vorrat an Unfällen für Sie angesammelt. All die zerstörerischen Pflichten, denen er in dieser Zeit hätte nachkommen sollen - er muß sich ihrer entledigen, bevor er zu seinem Normalverhalten zurückfinden kann. Verstehen Sie, was ich meine?«

Perceveral räusperte sich nervös. »Und er würde sie natürlich so schnell wie möglich loswerden wollen, damit er umgehend normal operieren kann.«

»Selbstverständlich. Passen Sie auf, das Schiff wird in etwa drei Monaten ankommen. Schneller geht es nicht. Ich rate Ihnen, sich zu vergewissern, daß der Roboter auch wirklich außer Gefecht ist. Wir möchten Sie jetzt nicht mehr verlieren.«

»Nein, das wollen wir nicht«, meinte Perceveral. »Ich werde mich sofort darum kümmern.«

Er holte die erforderliche Ausrüstung und eilte zu den Tunnels. Die Maulwurfleute führten ihn zu dem Abgrund, nachdem er ihnen erklärt hatte, worum es ging. Bewaffnet mit Lötlampe, Metallsäge, Schmiedehammer und Meißel unternahm Perceveral den mühsamen Abstieg.

Unten angekommen entdeckte er schnell die Stelle, wo der Roboter aufgeschlagen war. Dort lag, zwischen zwei Felsblöcken eingeklemmt, ein kompletter Roboterarm, in der Schulter ausgerissen. In einiger Entfernung fand er die zerschellten Überreste einer Sehzelle. Und er stieß auf einen leeren Kokon zerfetzter Seile.

Nur der Roboter war nirgends zu sehen.

Perceveral kletterte an der Felswand hinauf, warnte die Maulwürfe und begann Vorbereitungen zu treffen, so gut es eben ging.

Zwölf Tage lang ereignete sich nichts. Dann erschien eines Abends ein verängstigter Maulwurf bei ihm. Der Roboter war wieder in den Tunnels aufgetaucht, mit einem glühenden Auge, und hatte geschickt das Labyrinth bis zum Haupteingang durchmessen.

Die Maulwürfe waren mit Seilen ausgerüstet auf sein Kommen vorbereitet gewesen. Aber der Roboter hatte etwas gelernt. Er wich den geräuschlos herabfallenden Schlingen aus und stürmte auf die Maulwürfe los. Er hatte sechs davon getötet und die übrigen in die Flucht geschlagen.

Perceveral nickte kurz, schickte den Maulwurf nach Hause und arbeitete weiter. Er hatte seine Verteidigung in den Tunnels aufgebaut. Nun lagen die vier defekten Strahler auseinandergenommen vor ihm auf dem Tisch. Ohne jede Anleitung bemühte er sich, aus vielen Einzelteilen wenigstens eine funktionierende Waffe zusammenzusetzen.

Er arbeitete bis spät in die Nacht hinein, jedes Stück sorgfältig prüfend, bevor er es einsetzte. Die winzigen Teilchen schienen vor seinen Augen zu verschwimmen, und seine Finger verloren jedes Gefühl. Behutsam begann er mit Pinzetten und einer Lupe die Waffe zusammenzubauen.

Das Funkgerät begann plötzlich zu lärmen.

»Anton?« sagte Haskell. »Was ist mit dem Roboter?«

»Er ist unterwegs«, erwiderte Perceveral.

»Das habe ich befürchtet. Passen Sie auf, ich habe ein Blitzgespräch mit den Herstellern der Maschine geführt. Es gab zwar eine Auseinandersetzung, aber ich habe die Genehmigung für Sie erwirkt, daß Sie den Roboter abschalten dürfen, sowie genaue Anweisungen, wie das zu bewerkstelligen ist.«

»Danke«, sagte Perceveral. »Beeilen Sie sich. Wie macht man das?«

»Sie brauchen folgendes: einen Stromerzeuger für zweihundert Volt bei 25 Ampere. Schafft das Ihr Generator?«

»Ja. Weiter.«

»Sie brauchen einen Kupferstab, etwas Silberdraht und eine aus einem Nichtleiter gefertigte Sonde, zum Beispiel aus Holz. Man baut diese Dinge so zusammen, daß man -«

»Soviel Zeit bleibt mir niemals«, sagte Perceveral, »aber sprechen Sie weiter.«

Sein Funkgerät begann laut zu summen.

»Haskell!« schrie Perceveral.

Die Lämpchen am Gerät erloschen. Perceveral hörte Knirschen und Splittern aus dem Funkschuppen. Dann erschien der Roboter in der Tür.

Sein rechter Arm und die rechte Sehzelle fehlten, aber seine Reparatureinheiten hatten die beschädigten Stellen abgedichtet. Er war jetzt von trübschwarzer Farbe; Roststreifen zogen sich über seine Brust und an den Seiten entlang.

Perceveral schaute auf den fast fertiggestellten Strahler hinab. Er begann die letzten Teile einzusetzen.

Der Roboter schritt auf ihn zu.

»Hack Holz«, sagte Perceveral so ruhig, wie es ihm möglich war.

Der Roboter blieb stehen, drehte sich um, nahm das Beil, zögerte, wandte sich zur Tür.

Perceveral paßte das letzte Stück ein, klappte die Hülse zu und begann sie festzuschrauben.

Der Roboter ließ das Beil fallen und drehte sich wieder um, vom Widerstreit der konträren Befehle hin- und hergerissen. Perceveral hoffte auf einen Kurzschluß bei dieser Anstrengung. Aber der Roboter traf seine Entscheidung und stürzte sich auf Perceveral.

Perceveral hob den Strahler und betätigte den Abzug. Der Feuerstoß bremste den Roboter. Seine Metallhaut begann rötlich zu glühen.

Dann versagte der Strahler wieder.

Perceveral fluchte, packte die schwere Waffe und schleuderte sie gegen das noch vorhandene Auge des Roboters. Er verfehlte nur knapp; der Strahler prallte gegen die Stirn der Maschine.

Betäubt griff der Roboter nach ihm. Perceveral duckte sich unter seinen Armen und floh aus der Hütte in Richtung der dunklen Tunnelmündung. Als er in den Gang eindrang, drehte er sich um und sah den Roboter nachkommen.

Er ging mehrere hundert Meter in den Tunnel hinein. Dann schaltete er seine Taschenlampe ein und erwartete den Roboter.

Er hatte das Problem sorgfältig durchdacht, als er entdecken mußte, daß der Roboter nicht zerstört worden war.

Zuallererst hatte er natürlich an Flucht gedacht. Aber der Roboter konnte Tag und Nacht ohne Unterbrechung laufen, würde ihn also leicht einholen. Es war auch sinnlos, im Tunnellabyrinth ziellos hin- und herzuhetzen. Er mußte ja essen, trinken, schlafen. Der Roboter brauchte nie eine Pause einzulegen.

Er hatte deshalb in den Tunnels eine Reihe von Fallen aufgestellt und alles davon abhängig gemacht. Eine von ihnen mußte funktionieren. Er war überzeugt davon.

Aber während er sich das vorsagte, lief es ihm kalt über den Rücken, wenn er an die Ballung von Unfällen dachte, die der Roboter für ihn aufgespeichert hatte - die Monate mit gebrochenen Armen und angeknackten Rippen, verrenkten Knöcheln, Schnittwunden, Bißwunden und Krankheiten. Alles das würde ihm der Roboter so schnell wie möglich aufhalsen, damit er wieder normal zu funktionieren vermochte.

Diese Ansammlung von Widrigkeiten konnte er nicht überleben. Seine Fallen mußten zuschnappen!

Bald hörte er die dröhnenden Laufschritte des Roboters. Dann erschien er, sah ihn und stürmte vorwärts.

Perceveral rannte einen Tunnel entlang, bog in einen kleineren Seitengang. Der Roboter folgte ihm. Er hatte bereits etwas Boden gewonnen.

Als Perceveral einen deutlich zu erkennenden Felsvorsprung erreichte, warf er einen Blick nach hinten, um die Position des Roboters festzustellen. Dann zerrte er an einem Seil, das er hinter dem Vorsprung verborgen hatte.

Die Decke des Tunnels stürzte ein, tonnenweise Erde und Felsbrocken über den Roboter schüttend.

Wenn der Roboter nur einen einzigen Schritt mehr getan hätte, wäre er begraben worden. Aber er erkannte sofort, was hier vorging, fuhr herum und sprang zurück. Erde überschüttete ihn, kleine Felsbrocken prasselten auf seine Schultern, auf seinen Schädel. Aber die großen Geröllmassen verfehlten ihn.

Als das letzte Steinchen gefallen war, kletterte der Roboter über den Scriuttberg und nahm die Verfolgung wieder auf.

Perceveral begann zu keuchen. Er war enttäuscht über das Versagen der Falle. Aber er beruhigte sich damit, daß vor ihnen eine weit bessere lag. Sie würde das Schicksal der unerbittlichen Maschine endlich besiegeln.

Sie rannten einen sich durch den Untergrund windenden Tunnel entlang, der nur von Zeit zu Zeit blitzartig erhellt wurde, wenn Perceveral seine Lampe einschaltete. Der Roboter holte auf. Perceveral erreichte eine gerade Strecke und beschleunigte sein Tempo.

Er überquerte eine Stelle, die sich äußerlich vom übrigen Boden nicht unterschied. Aber als der Roboter darüber hinwegdonnerte, brach der Boden ein. Perceveral hatte das genau vorausberechnet. Die Falle trug sein Gewicht gerade noch, mußte aber unter der Masse des Roboters sofort einstürzen.

Der Roboter suchte verzweifelt nach Halt. Erdreich bröselte durch seine Finger, und er rutschte in die von Perceveral gegrabene Falle - eine Grube mit schrägen Seitenwänden, die sich trichterförmig verengten; der Roboter sollte am Grund wie von einer Zange festgehalten werden.

Der Roboter riß jedoch seine Beine weit auseinander, als wollte er einen besonders schwierigen Spagatschritt vorführen. Seine Gelenke knarrten, als sich seine Fersen in die Grubenwand bohrten; sie sackten unter seinem Gewicht durch, hielten der Belastung jedoch stand. Er konnte sich abbremsen, bevor er den Grund erreichte, beide Beine seitlich ausgestreckt und in das weiche Erdreich gepreßt.

Die Roboterhände gruben tiefe Löcher in die Grubenwand. Ein Bein löste sich aus dem Erdreich, fand weiter oben eine Stütze, das andere Bein folgte. Langsam stemmte sich der Roboter aus der Grube, und Perceveral ergriff wieder die Flucht.

Sein Atem kam in kurzen, heftigen Stößen; das Seitenstechen wurde unerträglich. Der Roboter gewann schnell an Boden, und Perceveral mußte seine ganze Energie aufbieten, einen Vorsprung zu erhalten.

Er hatte auf diese beiden Fallen gezählt. Jetzt war nur noch eine übrig. Eine sehr gute zwar, aber ihre Verwendung brachte ein gewisses Risiko mit sich.

Perceveral zwang sich trotz des zunehmenden Schwindelgefühls zur Konzentration. Die letzte Falle verlangte präzise Berechnung. Er kam an einem mit weißer Farbe markierten Stein vorbei und schaltete seine Lampe ab. Er begann seine Schritte zu zählen, wurde langsamer, bis sich der Roboter unmittelbar hinter ihm befand, die stählernen Finger nur noch Zentimeter von seinem Hals entfernt waren.

Achtzehn - neunzehn - zwanzig!

Nach dem zwanzigsten Schritt warf sich Perceveral kopfüber in das Dunkel. Sekundenlang schien er zu schweben. Dann tauchte er ins Wasser, kam wieder hoch und wartete.

Der Roboter war so knapp hinter ihm gewesen, daß er nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte. Eine gewaltige Fontäne spritzte hoch, als er in den Untergrundsee stürzte; ein paar Augenblicke platschte es heftig, dann sprudelten Luftbläschen, als der massive Roboter langsam in die Tiefe sank.

Als Perceveral das hörte, schwamm er zum gegenüberliegenden Ufer. Er schaffte es und zog sich aus dem eiskalten Wasser. Minutenlang lag er zitternd auf den schmierigen Felsblöcken. Dann schleppte er sich auf Händen und Füßen zu einem Versteck, wo er Brennholz, Streichhölzer, Whisky, Decken und trockene Kleidung hinterlegt hatte.

Während der nächsten Stunden trocknete sich Perceveral ab, zog sich um und entzündete ein kleines Feuer. Er aß und trank und beobachtete die unbewegte Oberfläche des Sees. Tage zuvor hatte er ihn mit einer dreißig Meter langen Schnur ausgelotet und war nirgends auf Grund gestoßen. Vielleicht war der See unergründlich. Wahrscheinlich nährte er jedoch einen reißenden unterirdischen Fluß, der den Roboter Wochen und Monate lang mit sich schleppen würde. Vielleicht.

Er hörte ein schwaches Geräusch im Wasser und leuchtete mit seiner Stablampe hinüber. Der Schädel des Roboters tauchte auf, gefolgt von Schultern und Rumpf.

Der See war also keineswegs unergründlich. Der Roboter mußte am Grund entlanggelaufen und den steilen Abhang hinaufgestiegen sein.

Der Roboter kletterte über die schmierigen Felsblöcke am Ufer. Perceveral raffte sich müde auf und begann zu laufen.

Die letzte Falle hatte versagt, und nun setzte seine Neurose zum Todesstoß an. Perceveral rannte auf eine Tunnelmündung zu. Er wollte das Ende draußen im Sonnenlicht auf sich nehmen.

Im mühsamen Trab lief Perceveral vor dem Roboter ins Freie, einen steilen Berghang hinauf. Sein Atem brannte in der Kehle, die Magenmuskeln hatten sich verkrampft. Er lief mit halbgeschlossenen Augen, schwindelig vor Erschöpfung.

Seine Fallen hatten versagt. Warum war ihm nicht früher klar geworden, daß sie versagen mußten? Der Roboter war ein Teil seines Ichs, seine eigene Neurose, die ihn vernichten wollte. Und wie kann jemand den raffiniertesten Teil seines Selbst täuschen? Die rechte Hand weiß immer, was die linke tut.

Er hatte das Problem von der falschen Seite her angepackt, dachte Perceveral, als er sich den Hang hinaufquälte. Der Weg zur Freiheit führt nicht über den Betrug. Er.

Der Roboter griff nach seiner Ferse und erinnerte Perceveral damit an den Unterschied zwischen theoretischer Erkenntnis und praktischem Wissen. Er riß sich los und bewarf den Roboter mit Steinen. Die Maschine wehrte die Geschosse ab und stieg weiter nach oben.

Perceveral stieg schräg am Felshang hinauf. Der Weg zur Freiheit führt nicht über den Betrug, sagte er sich. Daraus konnte sich nur der Mißerfolg ergeben. Den Ausweg zeigt nur der Wandel! Den Ausweg bringt nur die Überwindung, nicht des Roboters, sondern dessen, was er darstellte.

Ihn selbst!

Er fühlte sich seltsam leicht, seine Gedanken strömten ungehindert. Wenn er das Gefühl der Verwandtschaft mit dem Roboter überwinden konnte - dann war auch der Roboter nicht mehr seine Neurose! Er stellte dann einfach irgendeine Neurose dar, ohne Gewalt über Perceveral zu haben.

Er brauchte nichts anderes zu tun, als seine Neurose loszuwerden - wenigstens für zehn Minuten - und der Roboter konnte ihm nichts anhaben!

Seine Erschöpfung war wie weggeblasen, unbändige, berauschende Zuversicht erfüllte ihn. Kühn sprintete er durch ein Gewirr von Felsblöcken und Geröll, ein Gelände, das geradezu nach einem verrenkten Knöchel, einem gebrochenen Unterschenkel verlangte. Ein Jahr zuvor, ja noch vor einem Monat wäre er unweigerlich schwer gestürzt. Aber der gewandte Perceveral überwand mit den Schritten eines jungen Gottes den felsigen Grund ohne Mißgeschick. Der einarmige, einäugige Roboter nahm verbissen den Unfall auf sich. Er stolperte und stürzte der Länge nach auf die scharfkantigen Felsblöcke. Als er sich wieder aufraffte und die Jagd fortsetzte, hinkte er.

Zur Gänze berauscht, aber sehr aufmerksam, gelangte Perceveral zu einer Felswand und sprang hoch, auf ein Fleckchen für seinen Griff zielend, das nicht mehr als ein winziger, grauer Schatten war. Eine bange Sekunde lang hing er buchstäblich in der Luft. Als seine Finger abzurutschen begannen, fanden seine Füße eine Stütze. Ohne jedes Zögern zog er sich an der granitenen Wand hoch.

Der Roboter folgte ihm mit trockenen, knarrenden Gelenken. Er verbog sich beim Aufstieg einen Finger.

Perceveral sprang von Felsblock zu Felsblock. Der Roboter stürmte hinter ihm drein, rutschend und stolpernd, aber langsam an Boden gewinnend. Perceveral scherte sich nicht darum. Der Gedanke überfiel ihn, daß die ganzen Jahre seines Hangs zu Unfällen auf diesen einen Augenblick ausgerichtet waren. Das Blatt hatte sich gewendet. Er war endlich, wozu ihn die Natur hatte machen wollen - ein vor Unfällen gefeiter Mann!

Der Roboter kroch an der weißen Felswand hinter ihm nach. Perceveral, der trunken war vor Selbstbewußtsein, stemmte sich gegen Felsblöcke und stieß einen Schrei aus, um eine Lawine zu erzeugen.

Das Geröll kam ins Rutschen, und über sich hörte er ein dumpfes Grollen. Er schlug einen Haken, wich dem ausgestreckten Arm des Roboters aus und - hatte sich jeden Rückzug verbaut.

Er stand in einer kleinen, schmalen Höhle, der Roboter ragte vor ihm empor, den Eingang blockierend, und holte mit seiner stählernen Faust aus.

Perceveral brach beim Anblick des armen, ungeschickten Roboters in Gelächter aus. Dann schoß die Faust des Roboters mit voller Wucht nach vorn.

Perceveral duckte sich, aber es wäre gar nicht nötig gewesen. Der ungeschickte Roboter verfehlte mindestens um einen Zentimeter. Genau jene Art von Fehler, wie Perceveral sie bei diesem lächerlichen, tölpelhaften Roboter erwartet hatte.

Die Wucht des Schlages riß den Roboter herum. Er ruderte mit den Armen, versuchte am Rand der steilen Wand sein Gleichgewicht zu halten. Jeder normale Mensch oder Roboter hätte es halten können. Aber nicht dieser zu Unfällen neigende Dummkopf. Er fiel auf sein Gesicht, zerschmetterte seine zweite Sehzelle und begann hinabzurollen.

Perceveral beugte sich vor und versetzte ihm noch einen Stoß, um das Tempo zu beschleunigen, dann zog er sich wieder in die kleine Nische zurück. Die Geröllawine vollendete das Werk für ihn, trieb einen immer kleiner werdenden schwarzen Punkt den Berg hinunter und begrub ihn schließlich unter tonnenschwerem Gestein.

Perceveral lachte in sich hinein, während er dies alles beobachtete. Dann begann er sich zu fragen, was er eigentlich getan hatte.

Und da fing er zu zittern an.

Monate später stand Perceveral vor der Ausstiegrampe des Kolonisieriungsschiffs >Cuchulain< und sah zu, wie die Kolonisten in den Wintersonnenschein Thetas hinaustraten. Es gab alle möglichen Typen und Gestalten.

Sie waren nach Theta gekommen, um die Chance zu einem neuen Leben zu erhalten. Jeder einzelne von ihnen war zumindest sich selbst wichtig, und jeder verdiente eine Überlebenschance, ungeachtet seiner Begabung.

Und er, Anton Perceveral, hatte die Minimalbedingungen für diese Menschen erforscht; er hatte selbst den Unfähigsten ein gewisses Maß an Hoffnung und Aussichten gegeben.

Er wandte sich vom Strom der Kolonisten ab und betrat das Raumschiff über eine Einstiegleiter an der Rückseite. Er ging einen Korridor entlang und betrat Haskells Kabine.

»Nun, Anton«, sagte Haskell, »was halten Sie von ihnen?«

»Ich finde sie nett«, erwiderte Perceveral.

»Das sind sie auch. Diese Leute betrachten Sie als Gründer ihrer Kolonie, Anton. Sie wollen Sie hier haben. Bleiben Sie?«

»Ich betrachte Theta als meine Heimat«, sagte Perceveral.

»Dann ist das also klar. Ich werde nur noch -«

»Warten Sie«, unterbrach ihn Perceveral. »Ich bin noch nicht fertig. Ich betrachte Theta als meine Heimat. Ich möchte mich hier niederlassen, heiraten und Kinder großziehen. Aber jetzt noch nicht.«

»Wie?«

»Ich liebe meinen Beruf«, erklärte Perceveral. »Ich möchte noch weiterarbeiten. Vielleicht noch einen oder zwei Planeten erschließen. Dann lasse ich mich hier nieder.« »Das habe ich befürchtet«, sagte Haskell unglücklich.

»Wieso denn? Was ist so schlimm daran?«

»Nichts. Aber ich fürchte, daß wir Sie nicht mehr als Forscher einsetzen können, Anton.«

»Warum denn nicht?«

»Sie wissen doch, was wir brauchen. MinimalwertPersönlichkeiten für die Erschließung künftiger Kolonien. Man kann Sie beim besten Willen nicht mehr als Minimalforscher bezeichnen.«

»Aber ich bin der Mensch, der ich war!« wandte Perceveral ein. »Gewiß, ja, ich habe auf diesem Planeten Fortschritte gemacht. Aber damit haben Sie gerechnet; deswegen gab man mir ja auch den Roboter mit. Am Ende -«

»Ja, was war da?«

»Nun, am Ende hat es mich einfach mitgerissen. Ich muß betrunken gewesen sein, oder etwas Ähnliches. Ich begreife gar nicht, wie ich so handeln konnte.«

»Aber so war es nun einmal.«

»Ja. Hören Sie: Trotz alledem habe ich das ganze Abenteuer nur mit Mühe überlebt! Mit Mühe! Beweist denn das nicht, daß ich noch ein Forscher mit Minimalvoraussetzungen bin?«

Haskell machte ein nachdenkliches Gesicht. »Anton, Sie hätten mich beinahe überzeugt. Aber ich fürchte, daß das nur Haarspaltereien sind. Ganz offen gesagt, ich kann Sie nicht mehr als Minimalpersönlichkeit ansehen. Sie werden sich wohl oder übel mit Ihrer Aufgabe hier auf Theta begnügen müssen.«

Perceverals Schultern beugten sich. Er nickte bedrückt, schüttelte Haskell die Hand und wandte sich zum Gehen.

Dabei blieb er mit dem Ärmel an Haskells Schreibzeug hängen und wischte es vom Tisch. Perceveral versuchte es noch zu erhaschen und knallte mit der Hand gegen die Tischplatte. Tinte spritzte auf. Er stolperte über einen Stuhl und stürzte.

»Anton«, sagte Haskell, »war das Theater?«

»Nein«, erwiderte Perceveral, »natürlich nicht, verdammt noch mal.«

»Hmm. Interessant. Nun, Anton, schrauben Sie Ihre Erwartungen nicht zu hoch, aber vielleicht - ich sage nur, vielleicht -«

Haskell starrte Perceverals gerötetes Gesicht scharf an, dann brach er in schallendes Gelächter aus.

»Sie sind ein Gauner, Anton! Beinahe wäre ich auf Sie hereingefallen. Hätten Sie jetzt endlich die Freundlichkeit, zu verschwinden und bei den Kolonisten zu erscheinen? Man weiht Ihr Standbild ein und möchte Sie ganz gern dabeihaben.«

Beschämt, aber grinsend ging Anton Perceveral hinaus, sein Los auf sich nehmend.

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