Dritter Teil. Efrafa

30. Eine neue Reise


Ein Unternehmen von großem Vorteil, aber keiner soll wissen, worum es sich handelt.

Company Prospectus of the South Sea Bubble


Mit Ausnahme von Buckthorn und Bluebell handelte es sich bei den Kaninchen, die früh am nächsten Morgen vom südlichen Ende des Buchenabhanges aufbrachen, um diejenigen, die Sandleford mit Hazel vor fünf Wochen verlassen hatten. Hazel hatte nichts mehr getan, um sie zu überreden. Er war der Meinung, es sei besser, die Dinge einfach sich zu seinen Gunsten entwickeln zu lassen. Er wußte, daß sie sich fürchteten, denn er fürchtete sich selbst. In der Tat schätzte er, daß sie sich, wie er selbst, nicht von dem Gedanken an Efrafa und seine grausame Owsla freimachen konnten. Aber gegen diese Furcht wirkten ihre Sehnsucht und ihr Bedürfnis, mehr Weibchen zu finden, und die Kenntnis, daß es in Efrafa viele Weibchen gab. Außerdem spielte ihre Lust am Unfug eine Rolle. Alle Kaninchen lieben es, unerlaubt fremdes Eigentum zu betreten und zu stehlen, und wenn es hart auf hart geht, werden sehr wenige zugeben, daß sie sich davor fürchten; es sei denn (wie Buckthorn oder Strawberry bei dieser Gelegenheit), sie wissen, daß sie nicht in Form sind und daß ihr Körper sie, wenn es zum Äußersten käme, im Stich ließe. Wieder hatte Hazel, als er von seinem geheimen Plan sprach, ihre Neugier erregt. Er hatte gehofft, daß er sie im Verein mit Fiver mit Andeutungen und Versprechungen locken könnte, und er hatte recht behalten.

Die Kaninchen vertrauten ihm und Fiver, die sie aus Sandleford herausgeführt hatten, bevor es zu spät war, den Enborne und das Gemeindeland überquert, Bigwig aus dem Draht geholt und das Gehege im Hügelland gegründet hatten, aus Kehaar einen Verbündeten gemacht und trotz allem zwei Weibchen mitgebracht hatten. Man konnte nicht wissen, was sie als nächstes bewerkstelligten. Aber offensichtlich hatten sie etwas vor, und da Bigwig und Blackberry Vertrauen dazu hatten, war keiner bereit zuzugeben, daß er lieber wegbleiben wollte; besonders seit Hazel klargemacht hatte, daß jeder, der es wünschte, zu Hause bleiben könnte - und das gerne, indem er durchblicken ließ, daß sie, wenn er so feige wäre und die Heldentat verpaßte, sehr gut ohne ihn auskommen könnten. Holly, dem Loyalität zweite Natur war, hatte nichts mehr gesagt, was die Stimmung hätte verderben können. Er begleitete sie bis zum Ende des Gehölzes mit der ganzen Fröhlichkeit, die er aufbringen konnte, bat nur Hazel, außerhalb der Hörweite der übrigen, die Gefahr nicht zu unterschätzen. »Schick Nachrichten durch Kehaar, wenn er dich erreicht«, sagte er, »und komm bald zurück.«

Nichtsdestoweniger empfanden alle, als Silver sie südwärts auf höheren Boden westlich der Farm führte und nachdem sie sich tatsächlich zu dem Abenteuer verpflichtet hatten, Furcht und Besorgnis. Das, was sie über Efrafa gehört hatten, hatte genügt, um das tapferste Herz zu entmutigen. Aber ehe sie das Gehege - oder wo immer sie hingingen - erreichten, standen ihnen noch zwei Tage auf dem offenen Hügelland bevor. Füchse, Wiesel - allem konnten sie begegnen, und die einzige Rettung würde die Flucht über der Erde sein. Sie drangen auseinandergezogen und mit Unterbrechungen vor, langsamer als Holly mit seiner ausgewählten Dreier-Gruppe. Die Kaninchen verirrten sich, waren beunruhigt, hielten an, um auszuruhen. Nach einiger Zeit teilte Hazel sie in Gruppen ein, die Silver, Bigwig und er selbst führten. Trotzdem bewegten sie sich langsam, wie Bergsteiger an einem Felsen, überquerten zuerst vereinzelt und dann nacheinander dieselbe Strecke.

Aber wenigstens war die Deckung gut. Der Juni neigte sich dem Juli und dem Hochsommer zu. Hecken und Grasstreifen waren üppig und dicht. Die Kaninchen verbargen sich in dunkelgrünen, sonnengefleckten Höhlen von Gras, blühendem Majoran und Wiesenkerbel, guckten um gefleckte, steifhaarige Haufen von Natterkopf, die rot und blau über ihren Köpfen blühten, stießen zwischen hochragenden Stengeln gelber Königskerzen durch. Manchmal flitzten sie über offene Rasenflächen hinweg, die wie eine Gobelin-Wiese mit Tausendgüldenkraut und Blutwurz gefärbt waren. Wegen ihrer Angst vor elil und weil sie ihre Nasen immer auf dem Boden hatten und nicht weit voraus sehen konnten, schien ihnen der Weg lang.

Wäre ihre Reise in längst vergangenen Jahren gemacht worden, hätten sie die Downs viel offener gefunden, ohne Ernte auf dem Halm, dicht bevölkert mit grasenden Schafen, und sie hätten kaum hoffen können, von Feinden unbeobachtet weit zu kommen. Aber die Schafe waren schon lange verschwunden, und die Traktoren hatten große Flächen für Weizen und Gerste gepflügt. Der Geruch des grünen stehenden Korns umgab sie den ganzen Tag. Mäuse und Turmfalken waren zahlreich. Die Turmfalken waren störend, aber Hazel hatte recht gehabt, als er schätzte, daß ein gesundes, voll ausgewachsenes Kaninchen eine zu große Jagdbeute für sie war. Auf jeden Fall wurde niemand von oben angegriffen.

Einige Zeit vor ni-Frith in der Hitze des Tages machte Silver in einem kleinen Fleck von Dornen halt. Es war völlig windstill, und die Luft war voll des süßen, chrysanthemenartigen Geruchs blühender Kompositen des trockenen Hochlandes - Kamille, Schafgarbe und Rainfarn. Als Hazel und Fiver herankamen und sich neben ihn hockten, blickte er über das vor ihnen liegende offene Feld.

»Da, Hazel-rah«, sagte er, »das ist das Gehölz, das Holly nicht mochte.«

Zwei- oder dreihundert Meter weit weg und direkt querfeldein lief ein Gürtel von Bäumen gerade über das Hügelland, erstreckte sich nach jeder Richtung, so weit sie sehen konnten. Sie waren zu der Route des Portway gekommen - nur streckenweise eine Straße -, die nördlich schon Andover durch St. Mary Bourne mit seinen Glocken und Bächen und Brunnenkresse-Beeten, durch Bradley Wood, weiter über die Downs und so nach Tadley und endlich nach Silchester, dem römischen Calleva Atrebatum, verläuft. Wo sie die Downs überquert, ist die Route durch Caesars Gürtel gekennzeichnet, ein Streifen Waldland, geradlinig wie die Straße, zwar sehr schmal, aber mehr als drei Meilen lang. An diesem heißen Mittag waren die Bäume des Gürtels von den dunkelsten Schatten bedeckt. Die Sonne lag außerhalb, die Schatten lagen innerhalb der Bäume. Alles war still, mit Ausnahme der Heuschrecken und des Liedes der Goldammer auf den Dornen. Hazel blickte lange Zeit unverwandt umher, horchte mit hochgestellten Ohren und rümpfte die Nase in der bewegungslosen Luft.

»Ich kann nichts Besorgniserregendes entdecken«, sagte er schließlich. »Du, Fiver?«

»Nein«, erwiderte Fiver. »Holly meinte, es sei eine sonderbare Art Gehölz, und das ist es auch, aber es scheinen keine Menschen dazusein. Trotzdem sollte jemand gehen und sich vergewissern, schätze ich. Soll ich?«

Die dritte Gruppe war herangekommen, während Hazel den Gürtel gemustert hatte, und jetzt knabberten alle Kaninchen still oder ruhten sich mit flachgelegten Ohren im lichtgrünen Sonnenschatten des Dornendickichts aus.

»Ist Bigwig da?« fragte Hazel.

Während des ganzen Morgens schien Bigwig anders als sonst - still und ausschließlich in Gedanken vertieft, mit wenig Aufmerksamkeit für das, was um ihn herum vorging. Wenn sein Mut nicht über jeden Zweifel erhaben gewesen wäre, hätte man denken können, er wäre nervös. Während des langen Halts hatte Bluebell mit angehört, wie er mit Hazel, Fiver und Blackberry sprach, und hatte später Pipkin erzählt, es habe in jeder Hinsicht geklungen, als ob Bigwig beruhigt würde. >Kämpfen, ja, überall<, hörte er ihn sagen, >aber ich schätze immer noch, daß dieses Spiel anderen mehr liegen dürfte als mir.< - >Nein<, erwiderte Hazel, >du bist der einzige, der es tun kann, und vergiß nicht, das ist kein Sport wie der Überfall auf die Farm. Es hängt einfach alles davon ab.< Dann, als er merkte, daß Bluebell ihn hören konnte, fügte er hinzu: >Denk auf jeden Fall weiter darüber nach und versuche, dich an den Gedanken zu gewöhnen. Wir müssen jetzt weitergehen.< Bigwig war übelgelaunt an der Hecke hinuntergegangen, um seine Gruppe zu sammeln.

Jetzt kam er aus einem in der Nähe stehenden Fleck Beifuß und Disteln heraus und ging zu Hazel unter den Dombusch.

»Was willst du?« fragte er schroff.

»König der Katzen (pfeffa-rah)«, antwortete Hazel, »könntest du einmal zwischen diesen Bäumen nachsehen? Und wenn du Katzen oder Menschen oder etwas Derartiges findest, jag sie einfach fort, und dann komm und sage uns, daß alles in Ordnung ist.«

Als Bigwig davongeglitten war, sagte Hazel zu Silver: »Hast du eine Ahnung, bis wohin die Weiten Patrouillen ausschwärmen? Befinden wir uns schon innerhalb ihrer Reichweite?«

»Ich weiß es nicht, aber ich schätze, ja«, sagte Silver. »Meiner Meinung nach ist das eine Sache der Patrouille. Unter einem karrieresüchtigen Hauptmann kann die Patrouille weit hinausgehen, glaube ich.«

»Ach so«, sagte Hazel. »Nun, ich möchte keiner Patrouille begegnen, wenn ich es irgendwie vermeiden kann, und wenn wir einer begegnen, dann darf kein einziger von ihnen nach Efrafa zurückkehren. Das ist ein Grund, weshalb ich so viele von uns mitgenommen habe. Aber ich weiche ihnen aus, indem ich dieses Gehölz benutze. Vielleicht mögen sie's ebensowenig wie Holly.«

»Aber bestimmt verläuft es nicht in der Richtung, die wir gehen wollen«, sagte Silver.

»Wir gehen doch gar nicht nach Efrafa«, erwiderte Hazel. »Wir werden einen Fleck suchen, wo wir uns verstecken können und der gerade so weit entfernt ist, daß wir noch in Sicherheit sind. Hast du irgendeine Idee?«

»Bloß, daß es furchtbar gefährlich ist, Hazel-rah«, sagte Silver. »Du kannst nicht ungefährdet in die Nähe von Efrafa gelangen, und ich weiß nicht, wo du anfangen willst, nach so einem Versteck zu suchen. Und dann die Patrouille - wenn es eine gibt -, das werden verschlagene Halunken sein. Sie könnten uns durchaus erspähen und sich gar nicht blicken lassen - einfach gehen und uns melden.«

»Nun, da kommt Bigwig zurück«, sagte Hazel. »Alles in Ordnung, Bigwig? Gut - führen wir sie in das Gehölz und gehen drinnen ein Stückchen weiter. Dann müssen wir an der anderen Seite hinausschlüpfen, um sicherzugehen, daß Kehaar uns findet. Er hält heute nachmittag Ausschau nach uns, und wir dürfen ihn auf keinen Fall verfehlen.«

Knapp eine halbe Meile nach Westen stießen sie auf ein Dickicht, das sich dem südlichen Rand von Caesars Gürtel anschloß. Ebenfalls in westlicher Richtung erstreckte sich etwa vierhundert Meter entlang eine flache, trockene Talmulde, überwuchert mit Unkraut und rauhen, gelblichen Grasbüscheln. Da erspähte Kehaar, der zeitig vor Sonnenuntergang westwärts den Gürtel hinunter flog, die Kaninchen, die zwischen den Nesseln und dem Klebkraut lagen. Er segelte hinunter und landete neben Hazel und Fiver.

»Wie geht es Holly?« fragte Hazel.

»Er traurig«, sagte Kehaar. »Er sagen, ihr kommen nicht zurück.« Dann fügte er hinzu: »Miss Clover, sie bereit zur Mutter.«

»Das ist gut«, sagte Hazel. »Tut jemand etwas in dieser Hinsicht?«

»Ya, ya, is' alle fürs Kämpfen.«

»Na ja, ich nehme an, das Problem wird sich lösen lassen.«

»Was tun du jetzt, Miiister Hazel?«

»Da fängt deine Hilfe an, Kehaar. Wir brauchen eine Stelle, wo wir uns verstecken können, so nahe dem großen Gehege, wie wir ungestört kommen können - irgendwo, wo diese anderen Kaninchen uns nicht finden. Wenn du das Land gut genug kennst, kannst du vielleicht etwas vorschlagen.«

»Miiister Hazel, wie nahe willst du?«

»Nun, nicht weiter, als die Nuthanger Farm von der Honigwabe entfernt ist. Tatsächlich ist das das äußerste.«

»Gibt nur eine Sache, Miiister Hazel. Du gehst andere Seite von Fluß, dann sie euch nicht finden.«

»Über den Fluß? Du meinst, wir sollen hinüberschwimmen?«

»Ne, ne, Kaninchen nicht schwimmen diesen Fluß. Is' groß, is' tief, geht schnell. Aber is' Brücke, dann andere Seite viel Platz für Verstecken. Is' dicht bei Gehege, wie du sagst.«

»Und du glaubst, das ist das Beste, was wir tun können?«

»Is' viel Bäume und is' Fluß. Andere Kaninchen euch nicht finden.«

»Was hältst du davon?« sagte Hazel zu Fiver.

»Es klingt besser, als ich gehofft hatte«, sagte Fiver. »Ich sage es gar nicht gern, aber ich glaube, wir sollten sofort da hingehen, selbst wenn es uns alle erschöpft. Wir sind die ganze Zeit in Gefahr, solange wir in dem Hügelland sind, aber wenn wir mal wegkommen, können wir ausruhen.«

»Nun, ich nehme an, wir gehen lieber bei Nacht weiter, wenn sie's tun - aber wir haben's schon mal getan -, doch zuerst müssen wir futtern und ausruhen. Brechen wir nach fu Inle auf? Der Mond wird scheinen.«

»Oh, wie ich diese Worte wie >aufbrechen< und >fu lnle< hasse«, sagte Blackberry.

Indessen war die Abendmahlzeit friedlich und kühl, und nach einiger Zeit fühlten sich alle erfrischt. Als die Sonne unterging, versammelte Hazel sie in voller Deckung, um Kügelchen zu kauen und auszuruhen. Obgleich er sich bemühte, zuversichtlich und fröhlich zu scheinen, spürte er, daß sie gereizt waren, und nachdem er ein paar Fragen über den Plan abgewehrt hatte, überlegte er sich, wie er ihre Gedanken ablenken und sie dazu bringen könnte, sich zu entspannen, bis sie bereit waren, wieder aufzubrechen. Er erinnerte sich an die Zeit, als sie am ersten Abend seiner Führung gezwungen gewesen waren, in dem Gehölz über dem Enborne zu ruhen. Wenigstens stellte er mit Befriedigung fest, daß niemand erschöpft war; sie waren ein so widerstandsfähiger Haufen von hlessil, wie je einer einen Garten überfallen hatte. Ganz ohne Unterschied, dachte Hazel: Pipkin und Fiver sahen so frisch wie Silver und Bigwig aus. Doch eine kleine Unterhaltung würde ihnen guttun und ihre Stimmung heben. Er wollte es gerade laut aussprechen, als Acorn ihm die Mühe abnahm.

»Willst du uns eine Geschichte erzählen, Dandelion?« fragte er.

»Ja, ja!« riefen mehrere andere. »Komm schon! Erzähl uns ganz was Tolles!«

»Gut«, meinte Dandelion. »Wie wär's mit >El-ahrairah und der Fuchs im Wasser

»Nein, nehmen wir >Das Loch im Himmel<«, sagte Hawkbit.

»Nein, nicht das«, sagte Bigwig plötzlich. Er hatte den ganzen Abend sehr wenig gesprochen, und alle blickten sich nach ihm um. »Wenn du eine Geschichte erzählst, dann will ich nur eine hören«, fuhr er fort, »>El-ahrairah und das Schwarze Kaninchen von Inle<.«

»Vielleicht nicht gerade die«, sagte Hazel.

Bigwig fuhr ihn knurrend an.

»Wenn eine Geschichte erzählt werden soll, glaubst du nicht auch, daß ich dasselbe Recht wie jeder andere habe, eine zu wählen?« fragte er.

Hazel antwortete nicht, und nach einer Pause, in der niemand sprach, begann Dandelion auf eine ziemlich gedämpfte Art.

31. Die Geschichte von El-ahrairah und dem Schwarzen Kaninchen von Inle

Die Macht der Nacht, der Druck des Sturmes,

Der Standort des Feindes;

Wo er steht, der Erzfeind in sichtbarer Form,

Und doch muß der starke Mann gehen.

Robert Browning Prospice


»Früher oder später sickert alles durch, und die Tiere erfahren, was andere von ihnen denken. Einige sagen, Hufsa sei es gewesen, der König Darzin von der List mit dem Salat erzählte. Andere sagen, Yona, der Igel, habe in den Büschen geklatscht. Aber wie immer - König Darzin erfuhr, daß er zum Narren gehalten wurde, als er seinen Salat an das Sumpfland von Kelfazin lieferte. Er bot seine Soldaten nicht zum Kampf auf - noch nicht; aber er beschloß, eine Gelegenheit zu finden, es El-ahrairah heimzuzahlen. El-ahrairah wußte das und warnte alle seine Leute, vorsichtig zu sein, besonders, wenn sie allein herumliefen.

An einem Spätnachmittag im Februar führte Rabscuttle einige Kaninchen zu einem Müllhaufen am Rande eines Gartens hinaus, ein Stückchen vom Gehege entfernt. Der Abend wurde kalt und dunstig, und lange vor dem Zwielicht zog ein dichter Nebel auf. Sie machten sich auf den Weg nach Hause, aber sie verirrten sich, und dann hatten sie Schwierigkeiten mit einer Eule und verloren die Richtung.

Jedenfalls wurde Rabscuttle von den anderen getrennt, und nachdem er einige Zeit umhergewandert war, verlief er sich ins Wachtposten-Quartier außerhalb von König Darzins Stadt, und sie fingen ihn und brachten ihn vor den König.

König Darzin sah seine Chance, El-ahrairah zu ärgern. Er steckte Rabscuttle in ein besonderes Gefängnisloch, und jeden Tag wurde er zur Arbeit herausgebracht - manchmal bei Frost -, mußte graben und Tunnel anlegen. Aber El-ahrairah schwor, er würde ihn irgendwie herauskriegen. Und das tat er auch; denn er und zwei seiner Weibchen brachten vier Tage damit zu, einen Tunnel vom Gehölz in den hinteren Teil der Böschung zu graben, wo Rabscuttle arbeitete. Und schließlich kam dieser Tunnel in die Nähe des Loches in der Böschung, in das hinunter Rabscuttle geschickt worden war. Er sollte das Loch in einen Lagerraum umgraben, und die Posten hielten draußen Wache, während er arbeitete. Aber El-ahrairah gelangte zu ihm, denn er konnte ihn im Dunkeln kratzen hören, und alle schlüpften den Tunnel hinunter davon und entflohen durch das Gehölz.

Als König Darzin die Nachricht erhielt, wurde er sehr böse, und er beschloß, diesmal einen Krieg zu beginnen und El-ahrairah ein für allemal zu erledigen. Seine Soldaten machten sich in der Nacht auf und gingen auf die Wiesen von Fenlo, aber es gelang ihnen nicht, in die Kaninchenlöcher hinunterzukommen. Einige versuchten es, aber sie kamen bald wieder heraus, weil sie auf El-ahrairah und die anderen Kaninchen trafen. Sie waren es nicht gewohnt, im Dunkeln in der Enge zu kämpfen, und sie wurden gebissen und gekratzt, bis sie schließlich froh waren, herauszukommen - mit dem Schwanz zuerst.

Aber sie verschwanden nicht, sie saßen draußen und warteten. Wann immer einige Kaninchen silflay zu machen versuchten, fanden sie ihre Feinde bereit, sie anzuspringen. König Darzin und seine Soldaten konnten nicht alle Löcher beobachten - es waren zu viele -, aber sie waren schnell dabei, zuzupacken, wo immer ein Kaninchen seine Nase zeigte. Sehr bald fanden El-ahrairahs Leute, daß sie nur eben ein oder zwei Maulvoll Gras schnappen konnten - gerade genug, um am Leben zu bleiben -, ehe sie unter den Boden flitzen mußten. El-ahrairah wandte jede nur mögliche List an, aber er konnte weder König Darzin loswerden, noch seine eigenen Leute fortschaffen. Die Kaninchen begannen, unter der Erde dünn und elend zu werden, und einige von ihnen wurden krank.

Schließlich war El-ahrairah ganz verzweifelt, und eines Nachts, als er sein Leben immer wieder riskiert hatte, um für ein Weibchen und seine Familie, deren Vater tags zuvor getötet worden war, ein paar Maulvoll Gras hinunterzubringen, rief er aus: >Lord Frith! Ich würde alles tun, um mein Volk zu retten! Ich würde mit einem Wiesel oder einem Fuchs feilschen - ja, sogar mit dem Schwarzen Kaninchen von Inle!<

Kaum hatte er das gesagt, ging es El-ahrairah auf, daß, wenn es irgendein Geschöpf gab, das den Willen und ganz bestimmt die Macht hatte, seine Feinde zu vernichten, es das Schwarze Kaninchen von Inle war. Denn es war ein Kaninchen und doch tausendmal mächtiger als König Darzin. Der bloße Gedanke ließ El-ahrairah schwitzen und schaudern, so daß er sich, wo er war, im Lauf niederkauern mußte. Nach einiger Zeit ging er in seinen eigenen Bau und überlegte sich, was er gesagt hatte und was es bedeutete.

Wie ihr nun alle wißt, verkörpert das Schwarze Kaninchen von Inle Furcht und immerwährende Dunkelheit. Es ist ein Kaninchen, aber es ist der kalte, schlechte Traum, vor dem uns heute und morgen zu schützen wir den Allmächtigen Frith nur anflehen können. Wenn die Schlinge in der Lücke gelegt ist, weiß das Schwarze Kaninchen, wo der Pflock steckt; und wenn das Wiesel tanzt, ist das Schwarze Kaninchen nicht weit. Ihr alle wißt, wie einige Kaninchen zwischen zwei Witzen und einem Raubzug einfach ihr Leben wegzuwerfen scheinen, aber die Wahrheit ist, daß ihre Dummheit vom Schwarzen Kaninchen kommt; denn durch seinen Willen riechen sie weder den Hund, noch sehen sie das Gewehr. Das Schwarze Kaninchen bringt auch Krankheit. Oder es kommt in der Nacht und ruft ein Kaninchen beim Namen, und dann muß dieses Kaninchen zu ihm hinausgehen, auch wenn es jung und kräftig genug sein mag, um sich vor jeder anderen Gefahr zu retten. Es geht mit dem Schwarzen Kaninchen und hinterläßt keine Spur. Einige behaupten, das Schwarze Kaninchen hasse uns und wolle unsere Vernichtung. Aber die Wahrheit ist - jedenfalls bin ich so belehrt worden -, daß es auch dem Allmächtigen Frith dient und nicht mehr tut als seine ihm gestellte Aufgabe: zu vollbringen, was sein muß. Wir kommen in die Welt und müssen gehen, aber wir gehen nicht einfach, um dem einen oder anderen Feind zu dienen. Wenn dem so wäre, würden wir alle an einem Tag vernichtet sein. Wir gehen durch den Willen des Schwarzen Kaninchens von Inle und nur durch seinen Willen. Und obgleich dieser Wille uns allen hart und bitter erscheint, ist er auf seine Art unser Beschützer; denn er kennt Friths Versprechen den Kaninchen gegenüber, und er wird jedes Kaninchen rächen, das zufällig ohne sein Einverständnis vernichtet wird. Jeder, der eines Wildhüters Galgen gesehen hat, weiß, was das Schwarze Kaninchen auf elil heraufbeschwören kann, die glauben, sie können tun, was sie wollen.

El-ahrairah verbrachte die Nacht allein in seinem Bau, und seine Gedanken waren fürchterlich. Soweit er wußte, hatte kein Kaninchen je etwas Ähnliches wie das versucht, was er im Sinn hatte. Aber je mehr er darüber nachdachte - so gut er es vor Hunger und Angst und in dem Traumzustand vermochte, der über Kaninchen kommt, die dem Tode gegenüberstehen -, desto mehr schien es ihm, daß wenigstens die Möglichkeit eines Erfolges bestand. Er würde das Schwarze Kaninchen aufspüren und ihm sein eigenes Leben für die Sicherheit seiner Leute anbieten. Aber wenn er sein Leben anbot und nicht davon überzeugt war, daß sein Angebot angenommen wurde, wäre es besser, sich überhaupt nicht in die Nähe des Schwarzen Kaninchens zu wagen. Das Schwarze Kaninchen mochte sein Leben nicht akzeptieren, aber vielleicht bekam er dennoch eine Chance, etwas anderes zu versuchen. Allerdings gab es keine Möglichkeit, das Schwarze Kaninchen zu hintergehen. Wenn die Sicherheit seiner Leute gewonnen werden sollte, mit welchen Mitteln auch immer, würde der Preis sein Leben sein. Er würde also nicht zurückkehren, es sei denn, er scheiterte. Er würde deshalb einen Kameraden brauchen, der, was auch immer es war, zurückbrachte, um König Darzin zu vernichten und das Gehege zu retten.

Am Morgen ging El-ahrairah auf die Suche nach Rabscuttle, und sie sprachen miteinander bis weit in den Tag hinein. Dann rief er seine Owsla zusammen und sagte ihnen, was er zu tun beabsichtigte.

Später an jenem Abend, im letzten Zwielicht, kamen die Kaninchen heraus und griffen König Darzins Soldaten an. Sie kämpften sehr tapfer, und einige von ihnen wurden getötet. Der Feind glaubte, sie versuchten, aus dem Gehege auszubrechen, und tat alles, was er konnte, sie zu umzingeln und in ihre Löcher zurückzutreiben. Die Wahrheit aber war, daß sie nur kämpften, um König Darzins Aufmerksamkeit abzulenken und seine Soldaten zu beschäftigen. Als es dunkel wurde, schlüpften El-ahrairah und Rabscuttle zum anderen Ende des Geheges hinaus und machten sich den Graben hinunter davon, während die Owsla zurückfiel und König Darzins Soldaten sie durch die Löcher verhöhnten. Und was König Darzin betraf, so schickte er eine Botschaft und kündigte an, daß er mit El-ahrairah über die Bedingungen einer Kapitulation zu sprechen bereit sei.

El-ahrairah und Rabscuttle brachen zu ihrer dunklen Reise auf. Welchen Weg sie nahmen, weiß ich nicht, und kein Kaninchen weiß es. Aber mir fällt ein, was der alte Feverfew - erinnert ihr euch noch an ihn? - sagte, wenn er diese Geschichte erzählte. >Sie haben nicht lange gebrauchte sagte er. >Sie haben überhaupt keine Zeit gebraucht. Nein, sie hinkten und stolperten wie durch einen bösen Traum zu diesem schrecklichen Ort, zu dem sie unterwegs waren. Wo sie reisten, bedeuten Sonne und Mond nichts und Winter und Sommer noch weniger. Aber ihr werdet nie erfahren< - und dann blickte er sich unter uns um -, >ihr werdet nie erfahren, und ich auch nicht, wie weit El-ahrairah auf seiner Reise in die Dunkelheit ging. Ihr seht die Spitze eines großen Steines aus dem Boden herausragen. Wie weit ist es zur Mitte? Spaltet den Stein. Dann werdet ihr es wissen.<

Schließlich kamen sie an eine erhöhte Stelle, wo kein Gras wuchs. Sie krabbelten hinauf, über Schiefersplitter, zwischen grauen Steinen, die größer als Schafe waren. Dunst und eisiger Regen wirbelten um sie, und es war kein Ton zu hören außer dem Tröpfeln von Wasser und manchmal, von weit oben, dem Ruf eines großen bösen Vogels im Fluge. Und diese Geräusche hallten wider, denn sie befanden sich zwischen schwarzen Steinklippen, höher als der höchste Baum. Überall lagen Schneeflecken, denn die Sonne schien nie, um sie aufzutauen. Das Moos war schlüpfrig, und wann immer sie einen Kieselstein herausstießen, klapperte er hinter ihnen die Rinnen hinunter. Aber El-ahrairah kannte den Weg und ging immer weiter, bis der Nebel so dicht wurde, daß sie nichts mehr sehen konnten. Dann hielten sie sich nahe an der Klippe, und nach und nach hing sie, als sie weitergingen, über ihnen, bis sie ein dunkles Dach über ihren Köpfen bildete. Wo die Klippe endete, befand sich die Mündung eines Tunnels, wie ein riesiges Kaninchenloch. In der Eiseskälte und der Stille stampfte El-ahrairah und schlug mit seinem Schwanz nach Rabscuttle. Und dann, als sie im Begriff waren, in den Tunnel zu gehen, merkten sie, daß das, was sie im Halbdunkel für einen Teil des Steines gehalten hatten, kein Stein war. Es war das Schwarze Kaninchen von Inle, dicht neben ihnen, still wie eine Flechte und kalt wie Stein.«

»Hazel«, sagte Pipkin, in der Dämmerung starrend und zitternd, »ich mag diese Geschichte nicht. Ich weiß, ich bin nicht tapfer -«

»Schon gut, Hlao-roo«, sagte Fiver, »du bist nicht der einzige.« Tatsächlich schien er selbst gelassen und sogar distanziert, was mehr war, als von jedem anderen Kaninchen in der Zuhörerschaft gesagt werden konnte, aber Pipkin nahm das kaum wahr. »Gehen wir ein bißchen hinaus und sehen den Spinnen zu, wie sie Motten fangen, ja?« sagte Fiver. »Ich glaube, ich erinnere mich an einen Fleck Wicken - es muß irgendwo hier entlang sein.« Er sprach immer noch ruhig und führte Pipkin in die überwucherte Talmulde hinaus. Hazel wandte sich um, weil er sich die Richtung, die sie genommen hatten, merken wollte, und da zögerte Dandelion, im Zweifel, ob er die Erzählung wiederaufnehmen sollte.

»Weiter«, sagte Bigwig, »und laß nichts aus.«

»Ich glaube, vieles wird ausgelassen, wenn man nur die Wahrheit wüßte«, sagte Dandelion, »denn niemand kann sagen, was in diesem Land geschieht, wohin El-ahrairah aus eigenem Antrieb ging, wir auch nicht. Wie mir jedoch erzählt wurde, flohen sie, als sie zum ersten Mal des Schwarzen Kaninchens gewahr wurden, den Tunnel hinunter -notgedrungenermaßen, denn sie konnten nirgendwoandershin rennen. Und das taten sie, obgleich sie in der Absicht gekommen waren, es zu treffen, und alles davon abhing, daß sie es trafen. Sie handelten nicht anders als wir alle, und auch der Schluß war nicht anders; denn nachdem sie den Tunnel entlanggeschlüpft, gestrauchelt und gefallen waren, fanden sie sich in einem weiten Steinbau wieder. Alles war aus Stein - das Schwarze Kaninchen hatte ihn mit seinen Klauen aus dem Berg herausgegraben. Und da fanden sie das, wovor sie geflohen waren, wie es auf sie wartete. Es waren noch andere in diesem Bau versammelt - Schatten ohne Geräusch oder Geruch. Das Schwarze Kaninchen hat auch seine Owsla, wißt ihr? Ich wäre nicht erpicht darauf, ihr zu begegnen.

Das Schwarze Kaninchen sprach mit einer Stimme wie Wasser, das im Dunkeln an widerhallenden Stellen in Pfützen fällt.

>El-ahrairah, warum bist du hierhergekommen?<

>Ich bin für mein Volk gekommen<, flüsterte El-ahrairah. Das Schwarze Kaninchen roch so sauber wie letztjährige Knochen, und El-ahrairah konnte seine Augen im Dunkeln sehen, denn sie leuchteten in einem kalten roten Licht.

>Du bist ein Fremder hier, El-ahrairah<, sagte das Schwarze Kaninchen. >Du lebst.<

>Mein Herr<, erwiderte El-ahrairah, >ich bin gekommen, dir mein Leben zu geben. Mein Leben für mein Volk.<

Das Schwarze Kaninchen zog seine Klauen am Boden entlang. >Handel, Handel, El-ahrairah<, sagte er. >Es vergeht kein Tag und keine Nacht, an denen nicht ein Weibchen sein Leben für seine Jungen bietet oder ein ehrlicher Hauptmann der Owsla sein Leben für das seines Oberkaninchens. Manchmal wird es angenommen, manchmal nicht. Aber es gibt keinen Handel, denn hier muß sein, was ist.<

El-ahrairah war still. Aber er dachte: >Vielleicht kann ich ihn überlisten, mein Leben anzunehmen. Er würde ein Versprechen halten, wie Fürst Regenbogen das seine hielt. < >Du bist mein Gast, El-ahrairah<, sagte das Schwarze Kaninchen. >Bleib in meinem Bau, solange du willst. Du kannst hier schlafen, und du kannst hier fressen, und es gibt in der Tat wenige, die so viel tun können. Laßt ihn fressen<, sagte er zu den Owsla.

>Wir werden nicht fressen, mein Herr<, sagte El-ahrairah; denn er wußte, daß seine geheimen Gedanken sich offenbaren würden und es mit der List vorbei wäre, wenn er das Futter, das sie ihm in diesem Bau gaben, fressen würde.

>Dann müssen wir dich wenigstens unterhalten<, sagte das Schwarze Kaninchen. >Du sollst dich hier wie zu Hause fühlen, El-ahrairah, und es dir bequem machen. Komm, laß uns Bob-Stones[11] spielen.<

>Gut<, sagte El-ahrairah, >und wenn ich gewinne, bist du vielleicht so gütig, mein Leben für die Sicherheit meines Volkes anzunehmen.<

>Jawohl<, sagte das Schwarze Kaninchen. >Aber wenn ich gewinne, mußt du mir deinen Schwanz und deinen Schnurrbart geben<

Die Steine wurden gebracht, und El-ahrairah setzte sich in der Kälte und dem Widerhall nieder, um gegen das Schwarze Kaninchen von Inle zu spielen. Er konnte so gut spielen wie irgendein Kaninchen, das je einen Wurf bedeckte. Aber dort, an diesem schrecklichen Ort, die auf ihm ruhenden Augen des Schwarzen Kaninchens und die Owsla, die kein Geräusch machten - so sehr er es versuchte, er konnte keinen klaren Kopf behalten, und schon bevor er warf, fühlte er, daß das Schwarze Kaninchen wußte, was drunter war. Das Schwarze Kaninchen zeigte nicht die geringste Eile. Es spielte, wie der Schnee fällt, ohne Geräusch oder Veränderung, bis El-ahrairah schließlich der Mut verließ und er wußte, daß er nicht gewinnen konnte.

>Du kannst deinen Einsatz an die Owsla bezahlen, El-ahrairah^ sagte das Schwarze Kaninchen, >und die werden dir einen Bau zeigen, in dem du schlafen kannst. Ich werde morgen wiederkommen, und wenn du noch da bist, werde ich mit dir sprechen. Aber du hast die Freiheit, zu gehen, wann immer du willst.<

Dann führten die Owsla El-ahrairah fort und schnitten ihm den Schwanz ab und zupften ihm den Schnurrbart aus, und als er wieder zu sich kam, war er mit Rabscuttle allein in einer Steinhöhlung mit einer Öffnung zur Bergseite hin.

>O Meister<, sagte Rabscuttle, >was wirst du jetzt tun? Um Friths willen, laß uns fortgehen. Ich kann für uns beide in der Dunkelheit fühlen.<

>Kommt nicht in Frage<, sagte El-ahrairah. Er hoffte immer noch, von dem Schwarzen Kaninchen auf irgendeine Weise doch zu kriegen, was er wollte, und er war sicher, daß er in diesen Bau gesteckt worden war, um in Versuchung geführt zu werden, sich davonzustehlen. >Kommt nicht in Frage. Ich kann mich sehr gut mit etwas Weidenkräutern und Waldrebe behelfen. Geh los und hole einige, Rabscuttle, aber komm vor morgen Abend bestimmt wieder zurück. Und bring auch etwas Futter mit, wenn du kannst.<

Rabscuttle ging, wie ihm geheißen war, und El-ahrairah blieb allein. Er schlief sehr wenig, teils wegen der Schmerzen, teils aus Angst, die ihn nie verließ, aber vor allem, weil er immer noch eine List suchte, die ihm zum Vorteil gereichen würde. Am nächsten Tag kam Rabscuttle mit einigen Stücken Rüben zurück, und nachdem El-ahrairah sie gefressen hatte, half ihm Rabscuttle, sich mit einem grauen Schwanz und einem Schnurrbart auszustaffieren, die er aus den Wintertrieben von Waldrebe und Jakobskreuzkraut anfertigte. Abends begab er sich zum Schwarzen Kaninchen, als ob nichts geschehen wäre.

>Nun, El-ahrairah<, sagte das Schwarze Kaninchen - und er rümpfte nicht die Nase, wenn er schnupperte, sondern stieß sie vor wie ein Hund -, >mein Bau ist gewiß nicht das, was du gewohnt bist, aber vielleicht hast du versucht, es dir bequem zu machen?<

>Das habe ich, mein Herr<, sagte El-ahrairah. >Ich bin froh, daß du mir erlaubst zu bleiben.<

>Vielleicht spielen wir heute Abend nicht wieder Bob-Stones<, sagte das Schwarze Kaninchen. >Du mußt verstehen, El-ahrairah, daß ich dir keine Verluste zufügen möchte. Ich bin nicht einer der Tausend. Ich wiederhole, du kannst bleiben oder gehen, wie es dir beliebt. Aber vielleicht würdest du, wenn du bleibst, gerne eine Geschichte hören oder selbst eine erzählen?<

>Gewiß, mein Herr<, sagte El-ahrairah. >Und wenn ich eine Geschichte so gut wie du erzählen kann, dann wirst du vielleicht mein Leben annehmen und meinem Volk Sicherheit gewähren?<

>Das werde ich<, sagte das Schwarze Kaninchen. >Aber wenn nicht, El-ahrairah, wirst du deine Ohren verlieren.< Er wartete, ob El-ahrairah sich weigern würde zu wetten, aber der tat es nicht.

Dann erzählte das Schwarze Kaninchen eine solche Geschichte von Angst und Dunkelheit, daß die Herzen Rabscuttles und El-ahrairahs erstarrten, denn sie wußten, daß jedes Wort wahr war. Sie wußten sich nicht mehr zu helfen. Sie schienen in eisige Wolken getaucht zu werden, die ihre Sinne betäubten; und die Geschichte des Schwarzen Kaninchens kroch in ihre Herzen wie ein Wurm in eine Nuß, sie ausgedörrt und leer zurücklassend. Als diese schreckliche Geschichte schließlich zu Ende war, versuchte El-ahrairah zu sprechen. Aber er konnte seine Gedanken nicht sammeln, stammelte und rannte über den Boden wie eine Maus, wenn der Habicht tief herunterstößt. Das Schwarze Kaninchen wartete still, ohne ein Anzeichen von Ungeduld. Schließlich war es klar, daß es keine Geschichte von El-ahrairah geben würde, und die Owsla ergriffen ihn und versetzten ihn in tiefen Schlaf, und als er erwachte, waren seine Ohren weg, und nur Rabscuttle befand sich neben ihm in dem Steinbau und weinte wie ein Junges.

>O Meister<, sagte Rabscuttle, >was kann dieses Leiden für einen Sinn haben? Um des Allmächtigen Frith und des grünen Grases willen, laß mich dich nach Hause bringen.<

>Unsinn<, sagte El-ahrairah. >Geh hinaus und hol mir zwei schöne große Sauerampferblätter. Die werden sich sehr gut als Ohren eignen.<

>Sie werden in kurzer Frist verwelkt sein, Meister<, sagte Rabscuttle, >so, wie ich es jetzt schon bin.<

>Sie werden lange genug halten<, sagte El-ahrairah grimmig, für das, was ich zu tun habe. Aber ich kann den Weg nicht finden.<

Als Rabscuttle gegangen war, zwang sich El-ahrairah, klar zu denken. Das Schwarze Kaninchen wollte sein Leben nicht annehmen. Auch war es klar, daß er selbst nie imstande wäre, irgendeine Wette gegen ihn zu gewinnen - er könnte genausogut versuchen, ein Rennen über eine Eisfläche zu laufen. Aber wenn das Schwarze Kaninchen ihn nicht haßte, warum ließ es ihn dann so leiden? Um seinen Mut zu zerrütten, damit er aufgäbe und fortginge. Aber warum schickte er ihn dann nicht einfach fort? Und warum wartete er, ehe er ihn verstümmelte, bis er selbst eine Wette vorschlug und sie verlor? Plötzlich kam ihm die Antwort. Diese Schatten hatten keine Macht, ihn wegzuschicken oder ihn zu verstümmeln, es sei denn, er wäre selbst damit einverstanden. Sie würden ihm nicht helfen, nein. Sie würden seinen Willen beherrschen wollen und ihn brechen, wenn sie könnten. Aber wenn er unter ihnen etwas fände, das sein Volk rettete, könnten sie ihn davon abhalten, es fortzunehmen?

Als Rabscuttle zurückkam, half er El-ahrairah, seinen entsetzlich verstümmelten Kopf mit zwei Sauerampferblättern anstelle von Ohren zu tarnen, und nach einer Weile schliefen sie. Aber El-ahrairah träumte von seinen hungernden Kaninchen, die in den Läufen darauf warteten, die Soldaten König Darzins zurückzustoßen, und die alle Hoffnungen auf ihn setzten, und schließlich erwachte er kalt und verkrampft und wanderte in die Läufe des Steingeheges hinaus. Als er entlanghinkte, die Sauerampferblätter auf jeder Seite seines Kopfes nachschleifend - denn er konnte sie nicht heben oder bewegen wie die Ohren, die er verloren hatte -, kam er zu einer Stelle, von der mehrere enge Läufe tiefer in den Boden führten, und hier fand er zwei der gräßlichen schattenhaften Owsla, die einer eigenen dunklen Beschäftigung nachgingen. Sie drehten sich um und starrten ihn an, um ihm Furcht einzujagen, aber El-ahrairah war jenseits von Furcht und Angst und starrte zurück, fragte sich, was sie im Sinn hatten, um ihn zu überreden, aufzugeben.

>Geh zurück, El-ahrairah<, sagte der eine schließlich. >Du hast hier in der Grube nichts zu suchen. Du lebst und hast schon viel gelitten.<

>Nicht soviel wie mein Volk< erwiderte El-ahrairah.

>Hier gibt es genug Leiden für tausend Gehege<, sagte der Schatten. >Sei nicht störrisch, El-ahrairah. In diesen Löchern liegen alle Plagen und Krankheiten, die über die Kaninchen kommen - Fieber und die Räude und die Darmkrankheiten. Und hier, im nächsten Loch, liegt die weiße Blindheit, die die Geschöpfe hinaushumpeln läßt, damit sie in den Feldern sterben, wo selbst die elil ihre verfaulenden Körper nicht berühren wollen. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß all diese für den Gebrauch von Inle-rah bereit sind. Denn was sein muß, muß sein.<

Da wußte El-ahrairah, daß er nicht länger überlegen durfte. Er gab vor, zurückzugehen, drehte sich aber plötzlich um, raste auf die Schatten zu und fiel in das nächste Loch wie ein Regentropfen in den Boden. Und da lag er, während die Schatten um den Eingang flimmerten und schnatterten; denn sie hatten keine Macht, ihn zu bewegen, außer der Furcht. Nach einer Zeit gingen sie fort, und El-ahrairah wurde allein gelassen mit der bangen Frage, ob er König Darzins Armee ohne die Hilfe von Schnurrbart oder Ohren rechtzeitig erreichen könnte.

Schließlich, als er sicher war, daß er lange genug in dem Loch geblieben sein mußte, um infiziert zu werden, kam El-ahrairah heraus und machte sich auf den Rückweg durch den Lauf. Er wußte nicht, wie bald die Krankheit ausbrechen würde oder wie lange er brauchen würde, um zu sterben, aber er mußte so schnell wie möglich zurückkehren - ehe ein Anzeichen von Krankheit an ihm zu bemerken war. Ohne Rabscuttle zu nahe zu kommen, mußte er ihn dazu bringen, zu den Kaninchen im Gehege vorauszugehen und sie zu veranlassen, alle Löcher zu blockieren und drinnen zu bleiben, bis König Darzins Armee vernichtet war.

Er stolperte in der Dunkelheit gegen einen Stein; denn er zitterte und fieberte, und in jedem Fall konnte er ohne seinen Schnurrbart wenig oder gar nichts fühlen. In diesem Augenblick sagte eine ruhige Stimme: >El-ahrairah, wohin gehst du?< Er hörte nichts, wußte aber, daß das Schwarze Kaninchen neben ihm war.

>Ich gehe heim, mein Herr<, erwiderte er. >Du sagtest, daß ich gehen könnte, wenn ich es wünschte.<

>Du hast etwas vor, El-ahrairah<, sagte das Schwarze Kaninchen. >Was ist es?<

>Ich bin in der Grube gewesen, mein Herr<, antwortete El-ahrairah. >Ich bin von der weißen Blindheit infiziert, und ich werde mein Volk retten, indem ich den Feind vernichte.<

>El-ahrairah<, sagte das Schwarze Kaninchen, >weißt du, wie die weiße Blindheit übertragen wird?<

Eine plötzliche böse Ahnung ergriff von El-ahrairah Besitz. Er sagte nichts.

>Sie wird von den Flöhen in den Ohren der Kaninchen übertragen<, sagte das Schwarze Kaninchen. >Sie gehen von den Ohren eines kranken Kaninchens in die seiner Gefährten über. Aber, El-ahrairah, du hast keine Ohren, und Flöhe gehen nicht in Sauerampferblätter. Du kannst weder die weiße Blindheit kriegen noch übertragene.<

Dann endlich fühlte El-ahrairah, daß seine Kraft und sein Mut ihn verlassen hatten. Er fiel zu Boden. Er versuchte, sich zu bewegen, aber seine Beine schleppten am Felsen entlang, und er konnte nicht aufstehen. Er schlurfte und lag dann schweigend still.

>El-ahrairah<, sagte das Schwarze Kaninchen schließlich, >das ist ein kaltes Gehege, ein schlechter Ort für die Lebenden und kein Ort für warme Herzen und tapfere Sinne. Du bist für mich eine Plage. Geh nach Hause. Ich selbst werde dein Volk retten. Frage jedoch nicht, wann. Hier gibt es keine Zeit. Sie sind bereits gerettet.<

In diesem Augenblick, während König Darzin und seine Soldaten immer noch in die Löcher des Geheges hinunterspotteten, wurden sie in der zunehmenden Dunkelheit von Verwirrung und Schrecken überfallen. Die Felder schienen voll riesiger Kaninchen mit roten Augen zu sein, die sich zwischen den Disteln heranpirschten. Sie drehten sich um und flohen. Sie verschwanden in der Nacht; und deshalb kann kein Kaninchen, das die Geschichten El-ahrairahs erzählt, sagen, was für Geschöpfe sie waren oder wie sie aussahen. Nicht ein einziges wurde je wieder gesehen, von jenem bis zum heutigen Tage.

Als El-ahrairah sich schließlich auf die Füße stellen konnte, war das Schwarze Kaninchen gegangen, und Rabscuttle kam den Lauf herunter und suchte ihn. Sie gingen zusammen auf den Berghang hinaus und im Dunst die von Steinen ratternde Rinne hinunter. Sie wußten nicht, wohin sie gingen, außer daß sie von dem Gehege des Schwarzen Kaninchens fortgingen. Doch nach einiger Zeit wurde es offenkundig, daß El-ahrairah durch den Schock und vor Erschöpfung krank war. Rabscuttle kratzte eine Grube, und da blieben sie mehrere Tage.

Später, als El-ahrairah sich besser zu fühlen begann, wanderten sie weiter, aber sie konnten den Rückweg nicht finden. Ihre Sinne waren beeinträchtigt, und sie mußten Hilfe und Schutz von anderen Tieren, denen sie begegneten, erbitten. Ihre Heimreise dauerte drei Monate, und sie erlebten viele Abenteuer. Jedes ist, wie ihr wißt, eine Geschichte für sich. Einmal lebten sie mit einem lendri und suchten Fasaneneier für ihn im Gehölz. Und einmal entkamen sie gerade noch aus einem Heufeld, bevor es gemäht wurde. Die ganze Zeit kümmerte sich Rabscuttle um El-ahrairah, brachte ihm frische Sauerampferblätter und wehrte die Fliegen von seinen Wunden ab, bis sie heilten.

Schließlich kamen sie eines Tages ins Gehege zurück. Es war Abend, und als die Sonne über allen Hügeln lag, konnten sie eine große Anzahl Kaninchen beim silflay sehen, die im Gras knabberten und über den Ameisenhaufen spielten. Sie hielten oben auf dem Feld an, schnupperten den Stechginster und das Ruprechtskraut im Wind.

>Nun, sie sehen gut aus<, sagte El-ahrairah. >Ein gesunder Haufen, wirklich. Laß uns still hineinschlüpfen und ein paar Owsla-Hauptleute unten suchen. Wir wollen nicht viel Aufhebens machen.<

Sie gingen an der Hecke entlang, fanden sich aber nicht ganz zurecht, weil das Gehege offenbar größer geworden war und es mehr Löcher als vorher gab, sowohl in der Böschung als auch im Feld. Sie blieben stehen, um mit einer Gruppe kräftiger junger Rammler und Weibchen, die unter einem Holunderbusch saßen, zu sprechen.

>Wir wollen zu Loosestrife<, sagte Rabscuttle. >Könnt ihr uns sagen, wo sein Bau ist?<

>Ich habe noch nie von ihm gehört<, antwortete einer der Rammler. >Bist du sicher, daß er zu diesem Gehege gehört?< >Wenn er nicht tot ist, bestimmt<, sagte Rabscuttle. >Aber du mußt doch von Hauptmann Loosestrife gehört haben? Er war Owsla-Offizier im Kampf.<

>Was für ein Kampf?< fragte ein anderer Rammler.

>Der Kampf gegen König Darzin!< erwiderte Rabscuttle.

>Tu mir einen Gefallen, alter Bursche<, sagte der Rammler, >dieser Kampf - ich war noch nicht mal geboren, als er zu Ende war.<

>Aber sicherlich kennst du die Owsla-Hauptleute?< fragte Rabscuttle.

>Ich möchte nicht mal tot mit ihnen gesehen werden<, entgegnete der Rammler. >Dieser weißbärtige alte Haufen -was interessieren uns die?<

>Ihre Heldentaten<, sagte Rabscuttle.

>Das war Jux, alter Junge<, sagte der erste Rammler. >Das ist jetzt alles vorbei. Hat mit uns gar nichts zu tun.<

>Wenn dieser Loosestrife mit König Soundso kämpfte, ist das seine Sache<, sagte eines der Weibchen. >Uns geht das nichts an.<

>Alles in allem eine sehr böse Geschichte<, sagte ein anderes Weibchen. >Schändlich, wirklich. Wenn niemand in Kriegen kämpfen würde, gäbe es keine, nicht wahr? Aber das kann man alten Kaninchen nicht klarmachen.<

>Mein Vater war dabei<, sagte der zweite Rammler. >Er gibt manchmal furchtbar an. Ich verschwinde dann immer gleich. »Die taten dies, und dann taten wir das« und all solche Dummheiten. Zum Auf-die-Bäume-Klettern, ehrlich. Der arme alte Knacker, man könnte annehmen, er möcht' es vergessen. Ich schätze, er erfindet die Hälfte. Und was hat er davon, sagt mir das mal.<

>Wenn Ihr ein wenig warten wollt, Herr<, sagte ein dritter Rammler zu El-ahrairah, >gehe ich und versuche, Hauptmann Loosestrife für Euch zu finden. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber das Gehege ist ja ziemlich groß.<

>Sehr freundlich von dir<, sagte El-ahrairah, >aber ich glaube, ich kann mich jetzt zurechtfinden und werde allein fertig.<

El-ahrairah ging an der Hecke entlang ins Gehölz, setzte sich allein unter einen Nußstrauch und blickte in die Felder hinaus. Als das Licht schwächer wurde, merkte er plötzlich, daß der Allmächtige Frith dicht hinter ihm zwischen den Blättern war.

>Bist du böse, El-ahrairah?< fragte der Allmächtige Frith.

>Nein, Herr<, erwiderte El-ahrairah, >ich bin nicht böse. Aber ich habe gelernt, daß bei Geschöpfen, die man liebt, Leiden nicht das einzige ist, wofür man sie bedauern muß. Ein Kaninchen, das nicht weiß, wann ein Geschenk ihm Sicherheit verliehen hat, ist ärmer als eine Schnecke, obgleich es vielleicht anderer Meinung ist.<

>Weisheit wird auf dem unwirtlichen Hügel gefunden, El-ahrairah, wohin keiner zum Fressen kommt, und auf der steinigen Böschung, wo das Kaninchen vergebens ein Loch kratzt. Aber da wir gerade von Geschenken sprechen, ich habe dir ein paar Kleinigkeiten mitgebracht. Ein Paar Ohren, einen Schwanz und Barthaare. Du magst die Ohren zuerst etwas seltsam finden. Ich habe etwas Sternenlicht hineingetan, aber nur ganz schwach - nicht genug, um einen schlauen Dieb wie dich zu verraten. Ah, da kommt ja Rabscuttle zurück. Gut, ich habe auch etwas für ihn. Sollen wir -<«

»Hazel! Hazel-rah!« Es war Pipkins Stimme hinter einem Haufen Kletten am Rande des kleinen Zuhörerkreises. »Ein Fuchs kommt die Talmulde herauf!«

32. Über den eisernen Weg


Esprit de rivalite et de mesintelligence qui preserva plus d'une fois l'armee anglaise d'une defaite.

General Jourdan Memoires Militaires


Einige Leute nehmen an, daß Kaninchen einen Großteil ihrer Zeit damit zubringen, vor Füchsen davonzulaufen. Es ist wahr, daß jedes Kaninchen den Fuchs fürchtet und davonrennt, wenn es einen riecht. Aber viele Kaninchen haben in ihrem ganzen Leben keinen Fuchs gesehen, und wahrscheinlich fallen nur einige wenige einem Feind zum Opfer, der stark riecht und nicht so schnell laufen kann wie sie. Ein Fuchs, der ein Kaninchen zu schnappen versucht, schleicht sich gewöhnlich gegen den Wind unter Deckung an - vielleicht durch einen Flecken Waldland bis zum Rand. Dann, wenn es ihm gelingt, den Kaninchen beim silflay auf der Böschung oder im Feld nahe zu kommen, bleibt er still liegen und wartet seine Chance für ein schnelles Zupacken ab. Es heißt, daß er sie manchmal wie das Wiesel fesselt, indem er im Freien herumrollt und spielt und Stück für Stück immer näher kommt, bis er zupacken kann. Wie auch immer, es ist sicher, daß kein Fuchs Kaninchen jagt, indem er bei Sonnenuntergang offen durch eine Talmulde kommt. Weder Hazel noch eines der Kaninchen, die Dandelions Geschichte gelauscht hatten, waren je einem Fuchs begegnet. Nichtsdestoweniger wußten sie, daß ein Fuchs, der im freien Feld ganz offen zu sehen ist, nicht gefährlich ist, solange er rechtzeitig erspäht wird. Hazel begriff, daß er leichtsinnig gewesen war, jedem zu erlauben, sich um Dandelion zu scharen, und es unterlassen zu haben, zumindest einen Wachtposten aufzustellen. Das bißchen Wind kam von Nordosten, und der Fuchs, der die Talmulde vom Westen heraufkam, hätte ohne Warnung hereinplatzen können. Aber vor dieser Gefahr waren sie durch Fiver und Pipkin gerettet worden, die ins Freie gegangen waren. Selbst in seiner plötzlichen Bestürzung bei Pipkins Zuruf ging es Hazel durch den Kopf, daß Fiver, der zweifellos zögerte, ihn vor den anderen zu belehren, wahrscheinlich die durch Pipkins Angst gegebene Gelegenheit ergriffen hatte, sich als Wachtposten aufzustellen.

Hazel überlegte schnell. Wenn der Fuchs nicht zu nahe war, brauchten sie bloß zu rennen. In der Nähe war Waldgelände, und sie konnten sich dorthin flüchten, indem sie mehr oder weniger dabei zusammenblieben und einfach ihren Weg weiter verfolgten. Er drängte sich durch die Kletten.

»Wie nahe ist er?« fragte er. »Und wo ist Fiver?«

»Ich bin hier«, erwiderte Fiver ein paar Meter entfernt. Er kauerte unter den langen Zweigen einer Heckenrose und wandte nicht den Kopf, als Hazel neben ihm herankam. »Und dort ist der Fuchs«, fügte er hinzu. Hazel folgte seinem Blick.

Der unebene, mit Unkraut übersäte Boden der Talmulde fiel unter ihnen ab, eine lange Senke, die an den nördlichen Teil von Caesars Gürtel grenzte. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne schienen genau durch eine Lücke in den Bäumen hinein. Der Fuchs befand sich unterhalb von ihnen und war immer noch eine Strecke entfernt. Obgleich er beinahe direkt mit dem Wind war und sie daher riechen mußte, sah er nicht so aus, als wäre er an Kaninchen sonderlich interessiert. Er trottete stetig die Talmulde herauf wie ein Hund und zog seinen buschigen, weiß endenden Schwanz hinter sich her. Er war von sandbrauner Farbe mit dunklen Läufen und Ohren. Selbst jetzt, obgleich er offenbar nicht jagte, sah er verschlagen und räuberisch aus, was die Zuschauer zwischen den Heckenrosen zittern machte. Als er hinter einem Fleck Disteln vorbeiwechselte und außer Sicht verschwand, kehrten Hazel und Fiver zu den anderen zurück.

»Kommt«, sagte Hazel. »Wenn ihr noch nie einen Fuchs gesehen habt, schaut gar nicht erst hin. Folgt mir einfach.«

Er wollte schon in südlicher Richtung die Talmulde hinaufgehen, als ihn plötzlich ein Kaninchen rauh beiseite stieß, an Fiver vorbeischoß und ins Freie verschwand. Hazel blieb stehen und sah sich verblüfft um.

»Wer war das?« fragte er.

»Bigwig«, antwortete Fiver, ihm nachstarrend.

Beide liefen schnell zu den Dornenbüschen und schauten noch einmal in die Talmulde. Bigwig lief in voller Sicht vorsichtig hügelabwärts, direkt auf den Fuchs zu. Sie beobachteten ihn entsetzt. Er gelangte immer näher, aber der Fuchs beachtete ihn noch nicht.

»Hazel«, sagte Silver von hinten, »soll ich -«

»Keiner bewegt sich«, befahl Hazel schnell. »Verhaltet euch still, alle.«

In einer Entfernung von etwa dreißig Metern erblickte der Fuchs das sich nähernde Kaninchen. Er hielt einen Augenblick an und trottete dann weiter. Er hatte ihn fast erreicht, als Bigwig sich umdrehte und den Nordhang der Talmulde gegen die Bäume des Gürtels hinaufzuhinken begann. Der Fuchs zögerte wieder, folgte ihm aber dann.

»Was hat er vor?« murmelte Blackberry.

»Versucht ihn wegzulocken, nehme ich an«, erwiderte Fiver.

»Aber das brauchte er nicht! Wir wären auch ohne das entwischt.«

»Verdammter Dummkopf!« sagte Hazel. »Ich bin noch nie so wütend gewesen.«

Der Fuchs hatte seine Schritte beschleunigt und war jetzt ein Stück von ihnen entfernt. Offenbar holte er Bigwig ein. Die Sonne war untergegangen, und im abnehmenden Licht konnten sie ihn gerade noch ausmachen, als er ins Unterholz eindrang. Er verschwand, und der Fuchs folgte. Mehrere Augenblicke lang war alles ruhig. Dann kam entsetzlich klar über die dunkelwerdende, leere Talmulde der herzzerreißende Schrei eines verzweifelten Kaninchens.

»O Frith und Inle!« rief Blackberry trampelnd. Pipkin drehte sich um, als wollte er davonlaufen. Hazel bewegte sich nicht.

»Sollen wir gehen, Hazel?« fragte Silver. »Wir können ihm jetzt doch nicht mehr helfen.«

Bei diesen Worten brach Bigwig plötzlich in höchstem Tempo aus den Bäumen heraus. Noch ehe sie erfassen konnten, daß er lebte, hatte er den ganzen oberen Hang der Talmulde in einem einzigen Anlauf wieder überquert und sprang zwischen sie.

»Kommt«, sagte Bigwig, »fort von hier!«

»Aber was - was - bist du verletzt?« fragte Bluebell bestürzt.

»Nein«, sagte Bigwig, »habe mich nie besser gefühlt! Gehen wir!«

»Du wirst warten, bis ich bereit bin«, sagte Hazel kalt und zornig. »Du hast alles getan, dich umzubringen, und wie ein vollkommener Esel gehandelt. Jetzt halte dein Maul und setz dich!« Er wandte sich ab, und obgleich es schnell zu dunkel wurde, um weit zu sehen, tat er so, als ob er immer noch über die Talmulde blickte. Die Kaninchen hinter ihm zappelten nervös herum. Bei einigen setzte ein traumhaftes Gefühl der Unwirklichkeit ein. Der lange Tag über der Erde, die dichte, überwucherte Talmulde, die schreckliche Geschichte, in die sie vertieft gewesen waren, das plötzliche Erscheinen des Fuchses, der Schock über Bigwigs unerklärliches Abenteuer -all dies hatte ihre Sinne überflutet und sie stumpfsinnig gemacht und betäubt.

»Bring sie zu sich, Hazel«, flüsterte Fiver, »ehe sie alle durchdrehen.«

Hazel wandte sich sofort um. »Nun, von einem Fuchs nichts mehr zu sehen«, sagte er fröhlich. »Er ist fort, und wir werden auch gehen. Um Himmels willen, bleibt dicht beieinander; denn wenn einer sich in der Dunkelheit verirrt, werden wir ihn wahrscheinlich nicht mehr finden. Und vergeßt nicht, wenn wir auf fremde Kaninchen stoßen, habt ihr sie, ohne zu fragen, sofort anzugreifen.«

Sie gingen an der Seite des Gehölzes entlang, die am südlichen Rand der Talmulde lag, und glitten dann einzeln oder paarweise über die leere Straße dahinter hinüber. Langsam klärten sich ihre Sinne. Sie befanden sich auf freiem Feld - sie konnten tatsächlich die Farm nicht weit weg auf der Abendseite riechen und hören -, und es ging sich leicht: ebene, weite Weiden, die sanft hügelabwärts verliefen und nicht durch Hecken, sondern durch breite, niedrige Böschungen geteilt waren, jede so breit wie ein Feldweg und überwachsen von Holunderbüschen, Hartriegel- und Spindelsträuchern. Es war ein echtes Kaninchenland, beruhigend nach dem Gürtel und der wirren, mit Klebkraut bestandenen Talmulde; und als sie eine gute Strecke über den Rasen zurückgelegt hatten - immer wieder anhaltend, um zu schnuppern, und, einer nach dem anderen, von einer Deckung zur nächsten rennend -, war sich Hazel sicher, daß er ihnen eine Ruhepause gönnen konnte. Sobald er Speedwell und Hawkbit als Wachtposten abgeordnet hatte, nahm er Bigwig beiseite.

»Ich bin böse auf dich«, sagte er. »Du bist das einzige Kaninchen, ohne das wir nicht auskommen können, und gerade du mußt ein derart dummes Risiko eingehen. Es war nicht nötig und nicht einmal klug. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?«

»Ich fürchte, ich habe einfach den Kopf verloren, Hazel«, erwiderte Bigwig. »Ich bin den ganzen Tag angespannt gewesen, hab' über diese Sache in Efrafa nachgegrübelt - hat mich tatsächlich gereizt und nervös gemacht. In diesem Zustand muß ich etwas tun - kämpfen oder ein Risiko eingehen. Ich dachte, wenn ich diesen Fuchs zum Narren halten könnte, würde ich mir keine solchen Sorgen wegen dieser anderen Sache machen. Und was mehr ist, es hat funktioniert - ich fühle mich jetzt viel besser.«

»El-ahrairah spielen«, sagte Hazel. »Du Dummkopf, du hättest fast dein Leben für nichts weggeworfen - wir alle glaubten schon, es wäre so. Versuch's aber nicht wieder, sei ein guter Junge. Du weißt, daß alles von dir abhängen wird. Aber sag mir, was in den Bäumen passierte. Warum hast du so geschrien, wenn alles in Ordnung war?«

»Ich habe nicht geschrien«, sagte Bigwig. »Was da geschah, war sehr sonderbar und gefährlich dazu, fürchte ich. Ich wollte den homba zwischen den Bäumen irreführen und dann zurückkommen. Nun, ich sprang ins Unterholz und hatte gerade aufgehört zu hinken und fing an, wirklich schnell zu rennen, als ich mich plötzlich Auge in Auge einem Haufen Kaninchen gegenübersah - Fremde. Sie kamen auf mich zu, als wären sie auf dem Weg in die offene Talmulde.

Natürlich hatte ich keine Zeit, sie mir genau anzusehen, aber sie schienen große Burschen zu sein. >Aufpassen -rennt! < sagte ich, als ich zu ihnen hinsprang, aber sie hatten nichts Besseres zu tun, als mich anzuhalten. Einer von ihnen sagte: >Du bleibst hier!< oder so was Ähnliches, und dann vertrat er mir den Weg. Worauf ich ihn niederschlug - blieb mir nichts anderes übrig - und davonraste; das nächste, was ich hörte, war dieses schreckliche Schreien. Natürlich rannte ich noch schneller, kam aus den Bäumen heraus und zu euch zurück.«

»Also hat der homba dieses andere Kaninchen erwischt?«

»Muß er wohl. Schließlich führte ich ihn direkt in sie hinein, obgleich ich es gar nicht wollte. Aber ich habe nicht gesehen, was sich tatsächlich zutrug.«

»Was wurde aus den anderen?«

»Keine Ahnung. Sie müssen gerannt sein, nehme ich an.«

»Aha«, sagte Hazel nachdenklich. »Nun, vielleicht hat es sein Gutes. Aber schau her, Bigwig, keine dummen Streiche mehr bis zur geeigneten Zeit - es steht zuviel auf dem Spiel. Du bleibst am besten bei Silver und mir - wir werden dich gut hüten.«

In diesem Augenblick trat Silver zu ihnen.

»Hazel«, sagte er, »ich habe soeben festgestellt, wo wir sind, und es ist viel zu nahe bei Efrafa. Ich bin der Meinung, wir sollten so schnell wie möglich aufbrechen.«

»Ich möchte um Efrafa herumgehen - in einem weiten Bogen«, sagte Hazel. »Glaubst du, du kannst den Weg zu diesem eisernen Weg finden, von dem uns Holly erzählt hat?«

»Ich glaube, ja«, erwiderte Silver. »Aber wir können keinen zu großen Kreis schlagen, oder wir werden vollkommen erschöpft sein. Ich kann nicht behaupten, daß ich den Weg kenne, aber die Richtung weiß ich.«

»Nun, wir werden eben das Risiko eingehen müssen«, sagte Hazel. »Wenn wir bis zum frühen Morgen dorthingelangen, können sie auf der anderen Seite ausruhen.«

In jener Nacht stießen ihnen keine Abenteuer mehr zu; sie bewegten sich ruhig an den Feldern unter dem trüben Licht eines Viertelmondes entlang. Das Halbdunkel war voller Geräusche und Bewegung. Einmal störte Acorn einen Regenpfeifer auf, der mit schrillen Schreien um sie herumflog, bis sie schließlich eine Böschung überquerten und ihn zurückließen. Bald danach, irgendwo in der Nähe, hörten sie das unaufhörliche Sprudeln eines Ziegenmelkers; ein friedliches Geräusch, ohne Bedrohung, das langsam erstarb, als sie weitergingen. Und einmal hörten sie einen Wachtelkönig rufen, der in dem hohen Gras eines Pfadrandes umherkroch. (Ein Geräusch, wie es ein menschlicher Fingernagel erzeugt, der die Zähne eines Kammes entlanggezogen wird.) Aber sie trafen keine elil, und obgleich sie dauernd nach Anzeichen einer Efrafa-Patrouille Ausschau hielten, sahen sie nichts als Mäuse und ein paar Schnecken jagende Igel.

Schließlich, als die erste Lerche zum Licht aufstieg, das noch sehr weit am Himmel oben stand, kam Silver, das blasse Fell dunkel triefend von Tau, zu der Stelle angehinkt, wo Hazel Bluebell und Pipkin ermutigte.

»Du kannst Mut fassen, Bluebell«, sagte er. »Ich glaube, wir sind dem Eisenweg nahe.«

»Mein Mut würde mich nicht kümmern«, sagte Bluebell, »wenn meine Läufe nicht so müde wären. Schnecken haben Glück, daß sie keine Beine haben. Ich glaube, ich möchte eine Schnecke sein.«

»Nun, dann bin ich ein Igel«, sagte Hazel, »also marschiere lieber weiter!«

»Das bist du nicht«, erwiderte Bluebell. »Du hast nicht genug Flöhe. Schnecken haben auch keine Flöhe. Wie tröstlich, eine Schnecke zu sein, zwischen dem Löwenzahn so gut versorgt -«

»Und der Amsel schnellen Ruck zu fühlen«, sagte Hazel. »Schön, Silver, wir kommen. Aber wo ist der Eisenweg? Holly sagte, eine steile, überwucherte Böschung. Ich kann nichts dergleichen ausmachen.«

»Nein, das ist oben bei Efrafa. Hier unten verläuft er in einer Art eigener Talmulde. Kannst du ihn nicht riechen?«

Hazel schnupperte. In der kühlen Feuchtigkeit nahm er sofort die unnatürlichen Gerüche von Metall, Kohlenrauch und Öl auf. Sie marschierten vorwärts und fanden sich nach sehr kurzer Zeit zwischen den Büschen und dem Unterholz auf den Rand des Eisenbahneinschnitts hinunterblickend.

Alles war still, aber als sie oben auf der Böschung innehielten, flog ein sich balgender Haufen von sechs oder sieben Spatzen zum Gleis hinunter und begann, zwischen den Schwellen herumzupicken. Irgendwie war der Anblick beruhigend.

»Müssen wir ihn überqueren, Hazel-rah?« fragte Blackberry.

»Ja«, sagte Hazel, »sofort. Bringen wir ihn zwischen uns und Efrafa; dann werden wir futtern.«

Sie gingen ziemlich zögernd in den Eisenbahneinschnitt hinunter, erwarteten halb, den wilden, donnernden Engel Friths aus dem Zwielicht auftauchen zu sehen, aber die Stille blieb ungebrochen. Bald fraßen sie alle auf der Wiese dahinter, zu müde, um einem Versteck oder irgend etwas anderem als dem Wohlgefühl, ihre Läufe auszuruhen und das Gras zu knabbern, ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Über den Lärchen segelte Kehaar zu ihnen herunter, ging nieder und faltete seine langen fahlgrauen Flügel.

»Miiister Hazel, was ihr tun? Ihr nicht hierbleiben!«

»Sie sind zu müde, Kehaar. Sie müssen eine Ruhepause haben.«

»Is' nicht hier auszuruhen. Is' Kaninchen kommen.«

»Ja, aber nicht gleich. Wir können -«

»Ya, ya, is' kommen, euch zu finden! Is' ganz nahe!«

»Oh, diese verfluchten Patrouillen!« rief Hazel. »Kommt alle runter von der Wiese in das Gehölz dort! Ja, du auch, Speedwell, wenn du dir nicht deine Ohren in Efrafa abkauen lassen willst. Los, los, Bewegung!«

Sie trotteten über das Weideland zu dem Gehölz dahinter und lagen vollkommen erschöpft auf flachem, kahlem Boden unter Tannen. Hazel und Fiver fragten Kehaar weiter aus.

»Man kann nicht von ihnen erwarten, daß sie noch weiter gehen, Kehaar«, sagte Hazel. »Sie sind heute die ganze Nacht marschiert, weißt du? Wir werden heute hier schlafen müssen. Hast du tatsächlich eine Patrouille gesehen?«

»Ya, ya, kommen alle entlang bei andere Seite von Eisenweg. Gerade rechtzeitig ihr gegangen.«

»Nun denn, du hast uns gerettet. Aber schau her, Kehaar, könntest du nachsehen, wo sie jetzt sind? Wenn sie fort sind, werde ich unserem Haufen erlauben, schlafen zu gehen -nicht, daß man es ihnen erst noch erlauben müßte: sieh sie an!«

Kehaar kehrte mit der Nachricht zurück, daß die Efrafa-Patrouille kehrtgemacht hatte, ohne den Eisenweg zu überqueren. Dann schlug er vor, bis zum Abend selbst Wache zu halten, und Hazel, der sehr erleichtert war, gebot den Kaninchen, sofort zu schlafen. Ein paar waren schon eingeschlafen, lagen auf freiem Boden auf der Seite. Hazel fragte sich, ob er sie wecken und ihnen nahelegen sollte, in dichtere Deckung zu gehen, aber als er darüber nachdachte, fiel er selbst in Schlaf.

Der Tag wurde heiß und still. Zwischen den Bäumen riefen schläfrig die Ringeltauben, und von Zeit zu Zeit stammelte ein später Kuckuck. Auf den Wiesen bewegte sich nichts außer den zischenden Schwänzen der Kühe, die Flanke an Flanke im Schatten standen.

33. Der große Fluß


Noch nie in seinem Leben hatte er einen Fluß gesehen - dieses geschmeidige, sich schlängelnde, schwere Tier ... Alles war Schütteln und Zittern - Glitzern und Schimmern und Funkeln, Rauschen und Strudeln, Plätschern und Brodeln.

Kenneth Grahame The Wind in the Willows


Als Hazel erwachte, fuhr er sofort auf, denn die Luft um ihn herum war erfüllt von den scharfen Rufen eines jagenden Tieres. Er sah sich schnell um, konnte aber keine Anzeichen von Unruhe entdecken. Es war Abend. Einige Kaninchen waren schon wach und fraßen am Rande des Gehölzes. Er war sich klar, daß die Schreie, obgleich drängend und bestürzend, zu schwach und schrill für jede Art von elil waren. Sie kamen von oben. Eine Fledermaus flatterte durch die Bäume und wieder hinaus, ohne einen Zweig zu berühren. Eine andere folgte ihr. Hazel konnte spüren, daß viele umherflogen, Fliegen und Motten im Fluge erhaschten und ihre winzigen Schreie ausstießen. Ein menschliches Ohr hätte sie kaum vernommen, aber für die Kaninchen war die Luft voll von ihren Rufen. Die Wiese vor dem Gehölz lag immer noch hell im Abendsonnenschein, doch unter den Tannen war es düster, und hier kamen und gingen die Fledermäuse in Scharen. Gemischt mit dem harzigen Duft der Tannen kam ein anderer Geruch, stark und wohlriechend, aber scharf - der Duft von Blumen, aber von einer Art, die Hazel unbekannt war. Er folgte ihm zu einer Quelle am Rande des Gehölzes. Er kam von mehreren dichten Flecken Seifenkrautes, das am Rande der Weide wuchs. Einige der Pflanzen standen noch nicht in Blüte; ihre Knospen waren in rosaroten spitzen Spiralen, die in hellgrünen Kelchen gehalten wurden, zusammengerollt, aber die meisten waren Sternblütler und gaben den starken Duft von sich. Die Fledermäuse jagten zwischen den Fliegen und Motten, die von dem Seifenkraut angezogen wurden.

Hazel machte hraka und begann, auf der Wiese zu fressen. Er war beunruhigt über seinen Hinterlauf, er störte ihn. Er hatte geglaubt, daß er verheilt sei, aber die forcierte Reise über die Downs hatte sich offenbar als zu anstrengend für den von den Schrotkörnern zerrissenen Muskel erwiesen. Er fragte sich, ob es noch weit zu dem Fluß war, von dem Kehaar gesprochen hatte. Wenn es weit war, dann hatte er Schwierigkeiten zu erwarten.

»Hazel-rah«, sagte Pipkin, der aus dem Seifenkraut herankam, »bist du in Ordnung? Dein Bein gefällt mir nicht -du ziehst es nach.«

»Nein, es ist gut«, sagte Hazel. »Hör zu, Hlao-roo, wo ist Kehaar? Ich möchte mit ihm reden.«

»Er ist hinausgeflogen, um zu sehen, ob irgendwo in der Nähe eine Patrouille ist, Hazel-rah. Bigwig erwachte vor einiger Zeit, und er und Silver baten Kehaar zu fliegen. Sie wollten dich nicht stören.«

Hazel spürte Ärger aufsteigen. Es wäre besser gewesen, man hätte ihm sofort gesagt, welchen Weg sie einschlagen sollten, statt zu warten, daß Kehaar nach Patrouillen Ausschau hielt. Sie wollten einen Fluß überqueren, und soweit es ihn betraf, konnten sie es nicht früh genug tun. Aufgeregt wartete er auf Kehaar. Bald war er so gespannt und nervös geworden wie in seinem ganzen Leben nicht. Er fing schon an zu glauben, daß er vielleicht vorschnell gewesen war. Es war klar, daß Holly die Gefahr, die in der Nähe von Efrafa lauerte, nicht unterschätzt hatte. Er hatte wenig Zweifel daran, daß Bigwig rein zufällig den Fuchs zu einer Weiten Patrouille geführt hatte, die ihrer Spur gefolgt war. Dann, am Morgen, wieder durch Glück und Kehaars Hilfe, hatten sie offenbar gerade eine bei der Überquerung des Eisenweges verfehlt. Vielleicht war Silvers Furcht wohlbegründet, und eine Patrouille hatte sie bereits erspäht und gemeldet, ohne daß sie es wußten? Hatte General Woundwort eine Art eigenen Kehaar? Vielleicht redete eine Fledermaus in diesem Augenblick mit ihm? Wie sollte man alles voraussehen und sich vor allem schützen? Das Gras schien bitter, der Sonnenschein frostig. Hazel saß unter die Tannen geduckt und machte sich düster Sorgen. Er war jetzt weniger böse auf Bigwig - er konnte seine Gefühle verstehen. Warten war schlimm. Er brannte auf eine Möglichkeit, zu handeln. Gerade als er beschlossen hatte, nicht mehr länger zu warten, sondern alle zu versammeln und sofort weiterzuziehen, kam Kehaar aus der Richtung des Einschnitts angeflogen. Er flatterte schwerfällig unter die Tannen herunter, brachte die Fledermäuse zum Schweigen.

»Miiister Hazel, is' keine Kaninchen. Ich glaube, vielleicht die haben nicht gern, über den Eisenweg herüberzugehen.«

»Gut. Ist es weit zum Fluß, Kehaar?«

»Ne, ne. Is' nahe, in Gehölz.«

»Großartig. Können wir diesen Übergang bei Tageslicht finden?«

»Ya, ya. Ich zeige dir Brücke.«

Die Kaninchen waren erst eine kurze Strecke durch das Gehölz gegangen, als sie merkten, daß sie sich schon in der Nähe des Flusses befanden. Der Boden wurde weich und feucht. Sie konnten Riedgras und Wasser riechen. Plötzlich hallte der scharfe, nachschwingende Schrei eines Moorhuhns durch die Bäume wider, als wäre er in der Ferne von hartem Boden zurückgeworfen worden. Ein bißchen weiter weg konnten sie deutlich das Wasser hören - das leise, dauernde Strömen eines nicht sehr tiefen Falles. Ein Mensch, der aus der Entfernung die Geräusche einer Menge hört, kann sich etwa eine Vorstellung von ihrer Größe machen. Das Geräusch des Flusses sagte den Kaninchen, daß er der größte war, den sie jemals gesehen hatten - breit, ruhig und schnell. Sie hielten zwischen der Schwarzwurz und den Holunderbüschen inne und starrten einander Beruhigung suchend an. Dann begannen sie zögernd, in offeneres Gelände zu watscheln. Es war immer noch kein Fluß zu sehen, aber vorn konnten sie ein Flimmern und Tanzen von Licht bemerken, das sich in der Luft spiegelte. Bald danach befand sich Hazel, der mit Fiver voraushinkte, auf einem schmalen grünen Pfad, der die Wildnis von der Flußböschung trennte.

Der Pfad war beinahe so weich wie ein Rasen und frei von Büschen und Unkraut, denn er wurde für Fischer gemäht. Auf seiner anderen Seite wuchsen die Uferpflanzen sehr dicht, so daß er von dem Fluß durch eine Art Hecke aus purpurrotem Gemeinem Pfennigkraut, Antonskraut, Flohkraut, Geigwurz und Ackermennig, hier und da schon in Blüte, getrennt war. Drei weitere Kaninchen tauchten aus dem Gehölz auf. Durch die Pflanzengruppen spähend, konnten sie einen Blick auf den ruhigen, blitzenden Fluß erhaschen, der offenbar viel breiter und schneller als der Enborne war. Obgleich kein Feind und keine andere Gefahr zu bemerken waren, verspürten sie die Besorgnis und den Zweifel derjenigen, die unversehens einen ehrfurchtgebietenden Ort betreten, wo sie selbst armselige Burschen ohne Bedeutung sind. Als vor siebenhundert Jahren Marco Polo endlich nach China kam, fühlte er nicht - und hat sein Herz nicht gestockt, als er sich darüber klar wurde -, daß die große und herrliche Hauptstadt dieses Reiches schon die ganzen Jahre seines Lebens und viel länger existiert hatte, ohne daß er etwas davon gewußt hatte? Daß es nichts von ihm, von Venedig, von Europa brauchte? Daß es voller Wunder war, die über seinen Verstand gingen? Daß seine Ankunft völlig unwichtig war? Wir wissen, daß er dies alles fühlte, und ähnlich hat manch Reisender in fremden Landen empfunden, der nicht wußte, was er finden würde. Es gibt nichts, was einen so sehr auf die normale Größe reduziert, wie an einen fremden und wunderbaren Ort zu kommen, wo niemand innehält, um zu bemerken, daß man sich umschaut.

Die Kaninchen waren unruhig und verwirrt. Sie duckten sich ins Gras, schnupperten die Gerüche des Wassers in der kühlenden Sonnenuntergangsluft und schlossen sich dichter zusammen; jedes hoffte, die Nervosität, die es empfand, nicht auch bei den anderen zu bemerken. Als Pipkin den Pfad erreichte, erschien eine große schimmernde Libelle, zehn Zentimeter lang, smaragdgrün und schwarz, an seiner Schulter, schwebte dröhnend und bewegungslos und war dann wie ein Blitz im Riedgras verschwunden. Pipkin sprang vor Bestürzung zurück. Sogleich ertönte ein schriller, bebender Schrei, und er erblickte durch die Pflanzen hindurch einen prächtigen azurblauen Vogel, der über das offene Wasser flitzte. Einige Augenblicke später war dicht hinter der Pflanzenhecke das Geräusch eines ziemlich starken Klatschens zu vernehmen - aber welches Geschöpf es hervorgebracht haben konnte, ließ sich nicht sagen.

Sich nach Hazel umblickend, bekam Pipkin Kehaar zu Gesicht; er stand etwas entfernt im seichten Wasser zwischen zwei Haufen Weidenkraut. Er stach und schnappte auf etwas im Dreck ein, zog nach einigen Augenblicken einen fünfzehn Zentimeter langen Blutegel heraus und verschlang ihn ganz. Hinter ihm, ein Stückchen den Pfad hinunter, kämmte Hazel das Klebkraut aus seinem Fell und schien Fiver zu lauschen, während sie unter einem Rhododendron saßen. Pipkin rannte die Böschung entlang und gesellte sich zu ihnen.

»Der Platz ist durchaus in Ordnung«, sagte Fiver. »Hier ist es nicht gefährlicher als anderswo. Kehaar wird uns zeigen, wo wir hinüberkommen, nicht wahr? Hauptsache, wir machen schnell, ehe es dunkel wird.«

»Sie werden nie hier haltmachen«, erwiderte Hazel. »Wir können nicht an einer solchen Stelle bleiben und auf Bigwig warten. Es ist unnatürlich für Kaninchen.«

»Doch, wir können - beruhige dich. Sie werden sich schneller daran gewöhnen, als du denkst. Ich sage dir, es ist hier besser als an einigen anderen Orten, wo wir gewesen sind. Nicht alles Unbekannte ist schlecht. Soll ich die Führung übernehmen? Du sagst einfach, es sei wegen deines Laufes.«

»Fein«, sagte Hazel. »Hlao-roo, kannst du alle hierherbringen?«

Als Pipkin gegangen war, sagte er: »Ich mache mir Sorgen, Fiver. Ich verlange zuviel von ihnen, und dieser Plan hat so viele Risiken.«

»Sie sind ein besserer Haufen, als du's ihnen zutraust«, erwiderte Fiver. »Wenn du -«

Kehaar rief heiser herüber und scheuchte dabei einen Zaunkönig aus den Büschen.

»Miiister Hazel, auf was warten du?«

»Zu wissen, wohin wir gehen müssen«, antwortete Fiver.

»Brücke nahe. Ihr weitergehen, ihr sehen.«

Wo sie waren, stand das Unterholz dicht am grünen Pfad, aber dahinter - flußabwärts, wie sie intuitiv fühlten - machte es freiem Parkland Platz. Da hinaus gingen sie, wobei Hazel Fiver folgte.

Hazel wußte nicht, was eine Brücke ist. Es war wieder so ein unbekanntes Wort von Kehaar, wonach er nicht fragen wollte. Trotz seines Vertrauens zu Kehaar und seiner Achtung vor seiner umfassenden Erfahrung war er noch beunruhigter, als sie ins Freie kamen. Ganz klar, dies war eine Art Menschen-Ort, regelmäßig besucht und gefährlich. Eine kurze Entfernung voraus war eine Straße. Er konnte die glatte, unnatürliche Oberfläche sehen, die weiter über das Gras verlief. Er blieb stehen und sah sie sich an. Schließlich, als er sicher war, daß keine Menschen in der Nähe waren, ging er vorsichtig an den Rand.

Die Straße überquerte den Fluß auf einer etwa zehn Meter langen Brücke. Hazel kam nicht der Gedanke, daß dies etwas Ungewöhnliches war. Die Vorstellung von einer Brücke ging über seinen Verstand. Er sah nur eine Linie von kräftigen Pfosten und Geländer auf beiden Seiten der Straße. Auf ähnliche Art mögen afrikanische Dorfbewohner, die nie ihr entlegenes Heim verlassen haben, vom ersten Anblick eines Flugzeuges nicht sonderlich überrascht gewesen sein: Es liegt außerhalb ihres Begriffsvermögens. Aber wenn sie zum ersten Male ein Pferd erblicken, das einen Wagen zieht, werden sie darauf zeigen und über die Findigkeit des Burschen, der sich das ausdachte, lachen. Hazel betrachtete also ohne Überraschung die Straße, die den Fluß überquerte. Was ihm Sorgen machte, war, daß es dort, wo sie ihn überquerte, nur sehr schmale Ränder von kurzem Gras gab, die keine Deckung boten. Seine Kaninchen würden der Sicht ausgesetzt sein und nicht ausreißen können, außer die Straße entlang.

»Glaubst du, daß wir es riskieren können, Fiver?« fragte er.

»Ich verstehe gar nicht, weshalb du beunruhigt bist«, antwortete Fiver. »Du bist in den Farmhof und den Schuppen gegangen, in dem die Stallhasen waren. Das hier ist viel weniger gefährlich. Komm schon - sie beobachten uns alle, während wir zögern.«

Fiver hopste auf die Straße hinaus. Er blickte sich einen Augenblick um und steuerte dann auf die Brücke zu. Hazel folgte ihm am Rand entlang, hielt sich dicht am Geländer auf der flußaufwärtsgelegenen Seite. Er blickte sich um und sah Pipkin dicht hinter sich. In der Mitte der Brücke stoppte Fiver, der völlig ruhig und sorglos wirkte, und setzte sich auf. Die anderen beiden schlossen sich ihm an.

»Schauspielern wir ein bißchen«, sagte Fiver. »Machen wir sie neugierig. Sie werden uns folgen, einfach, um zu sehen, was wir uns angucken.«

Den Brückenrand entlang gab es keine Schwelle; sie hätten direkt in das einen Meter darunter fließende Wasser stürzen können. Unter der niedrigsten Querstange hindurch blickten sie flußaufwärts und sahen jetzt zum ersten Mal klar und deutlich den ganzen Fluß. Wenn auch die Brücke Hazel nicht aufgeschreckt hatte, der Fluß tat es. Er erinnerte sich an den Enborne, dessen Oberfläche von Landzungen aus Kies und Pflanzenwuchs unterbrochen war. Der Test, ein von Unkraut gesäuberter, sorgfältig gepflegter Forellenbach, schien ihm wie eine Welt aus Wasser. Er war gute zehn Meter breit, floß schnell und ruhig, glitzernd und blendend in der Abendsonne dahin. Die Spiegelung der Bäume auf der Abendströmung war so ungebrochen wie auf einem See. Kein Riedgras und keine Pflanze waren über dem Wasser zu sehen. Ganz in der Nähe unter der linken Böschung zog ein Büschel Hahnenfuß flußabwärts, die radförmigen Blätter waren alle untergetaucht. Noch dunkler, beinahe schwarz, waren die Matten von Wassermoos, bewegungslose dichte Matten auf dem Flußbett, von denen nur die nachziehenden Wedel langsam von Seite zu Seite schwangen. Auch das Geflecht von blaßgrünem Kresseunkraut wippte hin und her, kräuselte sich aber leicht und schnell mit der Strömung. Das Wasser, sehr klar über einem Bett von sauberem gelbem Kies, war selbst in der Mitte kaum eineinviertel Meter tief. Als die Kaninchen hinunterstarrten, konnten sie hier und da eine sehr feine Strömung wie Rauch sehen - Kreide und pulvrigen Kies, die vom Fluß weitergetragen wurden, wie Staub vom Wind aufgeweht wird. Plötzlich schwamm mit einer trägen Bewegung seines flachen Schwanzes ein kiesgrauer Fisch, so lang wie ein Kaninchen, unter der Brücke hervor. Die Beobachter unmittelbar darüber konnten die dunklen, lebhaften Flecken an seinen Seiten sehen. Wachsam hing er mit wellenförmigen Bewegungen in der Strömung unter ihnen in der Schwebe. Er erinnerte Hazel an die Katze im Hof. Als sie starrten, schwamm er mit einem kleinen Zucken aufwärts und hielt genau unter der Oberfläche an. Einen Augenblick später stieß seine plumpe Nase aus dem Bach, und sie sahen das offene Maul, rein weiß im Innern. Ohne Eile saugte er eine schwimmende Riedgrasfliege hinunter und sank wieder unter die Wasseroberfläche zurück. Ein Kräuseln breitete sich in abflauenden Kreisen aus, brach die Durchsichtigkeit und die Reflexionen. Allmählich wurde der Bach glatt, und wieder sahen sie den Fisch unter sich, den Schwanz schwenkend, als er seine Stelle in der Strömung hielt.

»Ein Wasserhabicht!« sagte Fiver. »Also jagen und fressen sie da unten auch! Fall nicht hinein, Hlao-roo. Denk an El-ahrairah und den Hecht.«

»Würde er mich fressen?« fragte Pipkin glotzend.

»Es könnte da drin Geschöpfe geben, die es fertigbrächten«, sagte Hazel. »Woher sollen wir das wissen? Kommt, gehen wir hinüber. Was würdest du tun, wenn ein hrududu käme?«

»Rennen«, sagte Fiver einfach, »so.« Und er huschte zum Ende der Brücke in das Gras dahinter davon.

Auf der anderen Seite des Flusses erstreckten sich Unterholz und ein Hain von großen Kastanienbäumen fast bis zur Brücke hinunter. Der Boden war sumpfig, aber wenigstens gab es genug Deckung. Fiver und Pipkin fingen sofort an zu scharren, während Hazel dasaß und kaute und seinen verletzten Lauf ausruhte. Bald gesellten sich Silver und Dandelion zu ihnen, aber die anderen Kaninchen, unschlüssiger noch als Hazel, blieben, in das hohe Gras auf der rechten Böschung geduckt, sitzen. Endlich, kurz bevor die Dunkelheit einsetzte, überquerte Fiver wieder die Brücke und redete ihnen gut zu, ihm zu folgen. Bigwig zeigte zu jedermanns Überraschung beachtliches Widerstreben und ging schließlich nur hinüber, nachdem Kehaar, der von einem neuerlichen Flug über Efrafa zurückkehrte, gefragt hatte, ob er gehen und einen Fuchs holen solle.

Die nun folgende Nacht kam allen gestört und unsicher vor. Hazel, der sich immer noch bewußt war, daß er sich in Menschenland befand, erwartete halb und halb einen Hund oder eine Katze. Aber obgleich sie mehr als einmal Eulen hörten, griff sie kein elil an, und gegen Morgen waren sie in besserer Stimmung.

Sobald sie gefressen hatten, schickte Hazel sie los, um die Umgebung auszukundschaften. Es wurde noch deutlicher, daß der Boden in der Nähe des Flusses für Kaninchen zu naß war. Tatsächlich war an einigen Stellen beinahe Morast. Sumpfriedgras wuchs da, rosaroter, süßduftender Baldrian und Bachnelkenwurz. Silver berichtete, daß es weiter oben in der Waldung, fern von der Böschung, trockener sei, und zuerst hatte Hazel die Idee, sich eine neue Stelle auszusuchen und wieder zu graben. Aber bald wurde der Tag so heiß und feucht, daß jede Aktivität gelähmt wurde. Die leise Brise legte sich. Die Sonne zog eine träge Feuchtigkeit aus den nassen Dickichten an. Der Geruch nach Minze erfüllte die mit Wasser geladene Luft. Die Kaninchen krochen in den Schatten, unter jede Deckung, die sich bot. Lange vor ni-Frith dösten sie im Unterholz.

Erst als der Nachmittag kühl zu werden begann, erwachte Hazel plötzlich und fand Kehaar neben sich. Die Möwe stolzierte mit kurzen schnellen Schritten von einer Seite zur anderen und pickte ungeduldig in dem hohen Gras herum. Hazel setzte sich schnell auf.

»Was ist, Kehaar? Doch eine Patrouille?«

»Ne, ne. Is' alles fein für Schlaf wie verdammte Eulen. Vielleicht ich geh' zu Großes Wasser. Miiister Hazel, du Mütter jetzt bald holen? Worauf du warten noch?«

»Nein, du hast recht, Kehaar, wir müssen jetzt aufbrechen. Die Schwierigkeit ist nur, daß ich zwar weiß, wie wir beginnen, aber nicht, wie wir zu einem glücklichen Ende kommen sollen.«

Hazel ging durch das Gras, weckte das erste Kaninchen, das er fand - zufällig war es Bluebell -, und schickte es weg, Bigwig, Blackberry und Fiver zu holen. Als sie kamen, nahm er sie zu Kehaar auf das kurze Gras der Flußböschung mit.

»Das Problem ist folgendes, Blackberry«, sagte er. »Du erinnerst dich, als wir an jenem Abend unter dem Hügel waren, daß ich sagte, wir müßten drei Dinge erreichen: die Weibchen aus Efrafa herausholen, die Verfolgung behindern und dann sofort entwischen, so daß sie uns nicht finden können. Der Plan, den du entworfen hast, ist klug. Er wird die ersten beiden Probleme lösen, da bin ich ganz sicher.

Aber wie steht's mit dem letzten? Die Efrafa-Kaninchen sind schnell und wild. Sie werden uns finden, wenn es nur die geringste Möglichkeit dafür gibt, und ich glaube nicht, daß wir schneller fortrennen, als sie uns folgen können -besonders mit einer Menge Weibchen, die noch nie außerhalb von Efrafa gewesen sind. Wir können uns unmöglich stellen und gegen sie kämpfen - dazu sind wir zu wenige. Und obendrein scheint mein Lauf wieder schlimm zu sein. Was tun?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Blackberry. »Aber offensichtlich müssen wir spurlos verschwinden. Könnten wir den Fluß durchschwimmen? Es bliebe dann kein Geruch zurück, verstehst du?«

»Er ist zu schnell«, sagte Hazel. »Wir würden fortgerissen werden. Aber selbst wenn wir schwimmen, können wir nicht damit rechnen, nicht verfolgt zu werden. Nach dem, was ich von diesen Efrafas gehört habe, würden sie bestimmt ebenfalls den Fluß durchschwimmen, wenn sie dächten, wir hätten ihn überquert. Worauf es hinausläuft, ist, daß wir mit Kehaars Hilfe die Verfolger behindern können, während wir die Weibchen herausholen, aber sie werden wissen, welchen Weg wir gegangen sind, und sie werden es nicht dabei bewenden lassen. Nein, du hast recht, wir müssen verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen, so daß sie uns nicht nachspüren können. Aber wie?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Blackberry wieder. »Sollen wir ein kurzes Stück den Fluß aufwärts gehen und ihn uns ansehen? Vielleicht gibt es da etwas, das wir als Versteck benutzen können. Bringst du das mit deinem Bein fertig?«

»Wenn wir nicht zu weit gehen«, erwiderte Hazel.

»Kann ich mitkommen, Hazel-rah?« fragte Bluebell, der wartend ein bißchen abseits gestanden hatte.

»Ja, gut«, sagte Hazel gutmütig, als er die Böschung entlang flußauf hinkte.

Sie merkten bald, daß das Waldgelände an diesem linken Ufer einsam, dicht und überwuchert war - dichter als die Nußsträucher und Glockenblumen-Gehölze von Sandleford. Mehrmals hörten sie das Trommeln eines großen Spechtes, des scheuesten der Vögel. Als Blackberry vorschlug, vielleicht irgendwo in diesem Dschungel nach einem Versteck Ausschau zu halten, wurden sie sich eines anderen Geräusches bewußt - des fallenden Wassers, das sie beim Näherkommen tags zuvor gehört hatten. Bald erreichten sie eine Stelle, wo der Fluß sich in einer Biegung von Osten krümmte, und hier stießen sie auf den breiten, seichten Fall. Er war nicht mehr als dreißig Zentimeter hoch - einer dieser künstlichen, bei Kreidebächen üblichen Fälle, die angelegt werden, um Forellen anzuziehen. Mehrere sprangen bereits, um nach den abendlichen Fliegen zu schnappen. Genau oberhalb des Falles überquerte eine hölzerne Fußgängerbrücke den Fluß. Kehaar flog heran, umkreiste das Gewässer und hockte sich auf das Geländer.

»Das hier ist geschützter und einsamer als die Brücke, über die wir gestern Abend gingen«, sagte Blackberry. »Vielleicht können wir Gebrauch davon machen. Du hast nichts von dieser Brücke gewußt, Kehaar, nicht wahr?«

»Ne, nicht wissen, nicht sie gesehen. Aber is' gut' Brücke -niemand kommen.«

»Ich würde gerne hinübergehen, Hazel-rah«, sagte Blackberry.

»Nun, dafür ist Fiver genau der Richtige«, erwiderte Hazel. »Er ist geradezu wild darauf, Brücken zu überqueren. Du übernimmst die Führung. Ich komme mit Bigwig und Bluebell hinterher.«

Die fünf Kaninchen hopsten langsam über die Bohlen; ihre großen feinfühligen Ohren waren erfüllt vom Geräusch des Wasserfalls. Hazel, der nicht sicher auf den Füßen war, mußte mehrere Male anhalten. Als sie schließlich die andere Seite erreichten, stellte er fest, daß Fiver und Blackberry schon eine kurze Strecke unter dem Fall flußabwärts gegangen waren und einen großen Gegenstand betrachteten, der unter der Böschung herausragte. Zuerst dachte er, daß es ein gefallener Baumstamm wäre, aber als er dichter herankam, sah er, daß es, obgleich bestimmt aus Holz, nicht rund, sondern flach oder fast flach war und erhöhte Ränder hatte - ein Menschending. Er erinnerte sich, wie er vor langer Zeit mit Fiver einen Müllhaufen einer Farm beschnüffelt hatte und auf einen ähnlichen Gegenstand gestoßen war -groß, glatt und flach. (Es hatte sich damals um eine alte, ausrangierte Tür gehandelt.) Sie konnten nichts damit anfangen und hatten sie in Ruhe gelassen. Er war geneigt, auch diesen Gegenstand in Ruhe zu lassen.

Ein Ende des Dings war in die Böschung gedrückt, aber mit zunehmender Länge verbreiterte es sich, leicht in die Strömung ragend. Das Wasser umfloß es plätschernd, denn unter den Böschungen war die Strömung aufgrund von Unkraut und Uferbohlen so schnell wie in der Mitte des Flusses. Als Hazel näher kam, sah er, daß Blackberry schon auf das Ding geklettert war. Seine Pfoten machten ein leises, hohles Geräusch auf dem Holz, also mußte Wasser darunter sein. Was immer es sein mochte, das Ding ragte nicht nach unten; es lag auf dem Wasser.

»Was suchst du da, Blackberry?« fragte er scharf.

»Fressen«, erwiderte Blackberry. »Flayrah. Kannst du es nicht riechen?«

Kehaar hatte sich in der Mitte des Dings niedergelassen und schnappte nach etwas Weißem. Blackberry huschte über das Holz auf ihn zu und begann, an einer Art grünem Gemüse zu knabbern. Nach einer Weile wagte sich auch Hazel auf das Holz und saß im Sonnenschein, beobachtete die Fliegen auf der warmen, gefirnißten Oberfläche und schnupperte die seltsamen Flußgerüche, die vom Wasser aufstiegen.

»Was ist dieses Menschending, Kehaar?« fragte er. »Ist es gefährlich?«

»Ne, nicht gefährlich. Du nicht kennen? Is' Boot. Bei Großem Wasser is' viele, viele Boote. Männer machen sie, gehen auf Wasser. Is' nicht Schaden.«

Kehaar fuhr fort, an den altbackenen Brotstücken zu picken. Blackberry, der die Salatreste, die er gefunden hatte, verputzt hatte, setzte sich auf und blickte über die sehr niedrige Seite, beobachtete eine steinfarbene, schwarzgefleckte Forelle, die in den Fall hinaufschwamm. Das Boot war ein kleiner Stechkahn, der zum Riedgrasschneiden verwendet wurde - kaum mehr als ein Floß mit einer Ruderbank mittschiffs. Selbst unbemannt, wie jetzt, waren es nur ein paar Zoll Freibord.

»Weißt du«, sagte Fiver von der Böschung her, »wenn ich dich so sitzen sehe, werde ich an dieses andere Holzding erinnert, das du gefunden hast, als der Hund im Gehölz war und du Pipkin und mich über den Fluß geholt hast. Erinnerst du dich?«

»Ich erinnere mich, wie ich euch vorwärts geschubst habe. Es war verdammt kalt.«

»Was mich vor ein Rätsel stellt«, sagte Blackberry, »warum geht dieses Boot-Ding nicht weiter? Alles in diesem Fluß geht weiter, und schnell außerdem - da seht!« Er blickte zu einem Stock hinüber, der auf der gleichmäßigen Strömung von zwei Meilen die Stunde hinuntertrieb. »Was hält dieses Ding davon ab, wegzuschwimmen?«

Kehaar hatte eine kurze Art, mit Landratten umzugehen, die er manchmal bei den Kaninchen anwandte, die er nicht besonders mochte. Blackberry gehörte nicht gerade zu seinen Lieblingen; er zog freimütige Charaktere wie Bigwig, Buckthorn und Silver vor.

»Is' Seil. Wenn du es durchbeißen, dann du gehen verdammt schnell die ganze Strecke.«

»Ach so«, sagte Fiver. »Das Seil geht um dieses Metallding herum, wo Hazel sitzt, und das andere Ende ist auf der Böschung hier festgemacht. Es ist wie der Stengel eines großen Blattes. Man könnte es durchnagen, und das Blatt - das Boot - würde sich von der Böschung trennen.«

»Nun, jedenfalls wollen wir jetzt zurückgehen«, sagte Hazel ziemlich niedergeschlagen. »Ich fürchte, wir scheinen dem, was wir suchen, nicht nähergekommen zu sein, Kehaar. Kannst du vielleicht bis morgen warten? Ich hatte die Vorstellung, daß wir alle vor heute Abend irgendwohin ziehen würden, wo es ein bißchen trockener ist - weiter oben ins Gehölz, von dem Fluß weg.«

»Oh, wie schade!« sagte Bluebell. »Weißt du, ich hatte schon beschlossen, ein Wasserkaninchen zu werden.«

»Ein was?« fragte Bigwig.

»Ein Wasserkaninchen«, wiederholte Bluebell. »Nun, es gibt Wasserratten und Wasserkäfer, und Pipkin sagt, gestern Abend habe er einen Wasserhabicht gesehen. Weshalb also nicht ein Wasserkaninchen? Ich werde fröhlich dahintreiben -«

»Großer goldener Frith auf dem Hügel!« rief Blackberry plötzlich. »Großer springender Rabscuttle! Das ist es! Das ist es! Bluebell, du sollst ein Wasserkaninchen sein!« Er begann, auf der Böschung herumzuspringen und zu hüpfen und Fiver mit seinen Vorderpfoten zu knuffen. »Begreifst du denn nicht, Fiver? Begreifst du's nicht? Wir beißen das Seil durch und segeln fort - und General Woundwort weiß es nicht!«

Fiver zögerte. »Ja, ich begreife es«, erwiderte er schließlich. »Du meinst, auf dem Boot. Ich muß schon sagen, Blackberry, du bist ein kluger Bursche. Ich erinnere mich jetzt, daß du, nachdem wir diesen anderen Fluß überquert hatten, sagtest, dieser Schwimmtrick könnte uns eines Tages sehr gelegen kommen.«

»Augenblick, Augenblick«, sagte Hazel. »Wir sind bloß einfache Kaninchen, Bigwig und ich. Würdest du uns das bitte erklären?«

Auf der Stelle, während die schwarzen Stechmücken sich auf ihren Ohren niederließen, erklärten Blackberry und Fiver, was sie meinten.

»Könntest du hingehen und das Seil prüfen, Hazel-rah?« fügte Blackberry hinzu, als er geendet hatte. »Vielleicht ist es zu dick.«

Sie gingen zu dem Kahn zurück.

»Nein, ist es nicht«, sagte Hazel, »und es ist natürlich scharf gespannt, so daß es sich viel leichter durchnagen läßt. Ich kann das gut durchnagen.«

»Ya, is' gut«, sagte Kehaar. »Das gehen fein. Aber machen schnell, ya? Vielleicht ändert sich was. Männer kommen, nehmen Boot, wißt ihr?«

»Da gibt es nichts mehr abzuwarten«, sagte Hazel. »Los, Bigwig, mach dich sofort auf, und El-ahrairah sei mit dir. Und vergiß nicht, du bist jetzt der Führer. Gib uns durch Kehaar Nachricht, was wir tun sollen; wir werden alle hier sein, bereit, dir beizustehen.«

Nachher erinnerten sich alle, wie Bigwig seine Befehle in Empfang genommen hatte. Niemand konnte behaupten, daß er nicht in der Praxis ausübte, was er predigte. Er zögerte ein paar Augenblicke und sah dann Hazel offen ins Gesicht.

»Es kommt ein bißchen plötzlich«, sagte er. »Ich habe es noch nicht heute Abend erwartet. Aber um so besser - das Warten war schrecklich. Wiedersehen.«

Er berührte Hazels Nase mit der seinen, drehte sich um und hopste in das Unterholz davon. Ein paar Minuten später rannte er, von Kehaar geführt, über das offene Weideland nördlich des Flusses direkt auf den Backsteinbogen in dem überwucherten Bahndamm und die Felder dahinter zu.

34. General Woundwort


Wie ein Obelisk, auf den die Hauptstraßen einer Stadt zulaufen, steht der starke Wille eines stolzen Geistes führend und gebieterisch inmitten der Kriegskunst.

Clausewitz Vom Kriege


Die Dämmerung senkte sich über Efrafa. Im schwindenden Licht beobachtete General Woundwort das Kennzeichen »Linker Hinterlauf« beim silflay am Rande des großen Weidelandes, das zwischen dem Gehege und dem Eisenweg lag. Die meisten Kaninchen fraßen in der Nähe der Kennzeichen-Löcher, die dicht neben der Wiese an einem einsamen Pfad zwischen Bäumen und Unterholz verborgen waren. Einige jedoch hatten sich in die Wiese hinausgewagt, um zu grasen und in den letzten Sonnenstrahlen zu spielen. Noch weiter draußen patrouillierten die Wachtposten der Owsla, um auf die Annäherung von Menschen oder elil und auch auf jedes Kaninchen aufzupassen, das zu weit streunen würde, um noch rechtzeitig unter den Boden zu gelangen, wenn es Alarm geben sollte.

Hauptmann Chervil, einer der beiden Offiziere des Kennzeichens, war gerade von einer Inspektionsrunde bei seinen Wachtposten zurückgekehrt und sprach mit einigen Weibchen im Zentrum des Kennzeichen-Geländes, als er den General herankommen sah. Er blickte schnell in die Runde, um zu sehen, ob etwas nicht stimmte. Da aber alles in Ordnung zu sein schien, begann er an einem Fleck süßen Ruchgrases mit dem bestmöglichen Anschein von Gleichgültigkeit zu knabbern.

General Woundwort war ein außergewöhnliches Kaninchen. Vor ungefähr drei Jahren war er - der kräftigste eines Wurfes von fünfen - in einem Bau hinter einem Cottage-Garten bei Cole Henley geboren worden. Sein Vater, ein sorgloser und unbekümmerter Rammler, hatte sich nichts dabei gedacht, ganz in der Nähe menschlicher Wesen zu leben, außer daß er in ihrem Garten am frühen Morgen nach Futter suchen konnte. Er hatte für seine Tollkühnheit teuer bezahlt. Nach zwei oder drei Wochen geplünderten Salates und abgeknabberter Kohlköpfe hatte der Cottage-Besitzer auf der Lauer gelegen und ihn erschossen, als er in der Frühdämmerung durch das Kartoffelfeld kam. Am selben Morgen machte sich der Mann daran, das Weibchen und ihren heranwachsenden Wurf auszugraben. Woundworts Mutter konnte flüchten, raste über das Kohlfeld auf die Downs zu, und ihre Jungen versuchten ihr zu folgen. Keinem außer Woundwort gelang es. Seine Mutter, die aus einer Schußwunde blutete, lief im offenen Tageslicht an den Hecken entlang. Woundwort hinkte neben ihr her.

Es dauerte nicht lange, ehe ein Wiesel die Witterung des Blutes aufnahm und ihr folgte. Das kleine Kaninchen kauerte im Gras, während seine Mutter vor seinen Augen getötet wurde. Es machte keinen Versuch, wegzurennen, aber da das Wiesel seinen Hunger gestillt hatte, ließ es das Kleine in Ruhe und machte sich durch die Büsche davon. Mehrere Stunden später wanderte ein freundlicher alter Schulmeister aus Overton durch die Wiesen und stieß auf Woundwort, der den kalten, stillen Körper beschnüffelte und weinte. Der Lehrer trug ihn nach Hause in seine Küche und rettete sein Leben, gab ihm Milch aus einem Tropfglas, bis er alt genug war, Kleie und grünes Gemüse zu fressen. Aber Woundwort wuchs ganz ohne Aufsicht heran und biß zu wie Cowpers Hase, wenn er konnte. In einem Monat war er groß und stark und war wild geworden. Er tötete beinahe die Katze des Schulmeisters, die ihn in der Küche frei angetroffen hatte und ihm zu Leibe gehen wollte. Eines Nachts, eine Woche später, zerriß er den Draht vor seinem Stall und entkam ins freie Land.

Die meisten Kaninchen in seiner Lage, im wilden Leben fast gänzlich unerfahren, wären sofort das Opfer der elil geworden - aber nicht Woundwort. Nachdem er einige Tage herumgewandert war, stieß er auf ein kleines Gehege und zwang sie knurrend und kratzend, ihn aufzunehmen. Bald wurde er Oberkaninchen, nachdem er den vorherigen Anführer und einen Rivalen namens Fiorin getötet hatte. Im Kampf war er erschreckend, kämpfte nur, um zu töten, war unempfindlich gegenüber Wunden, die er selbst empfing, und rückte seinen Gegnern auf den Leib, bis sein Gewicht sie niederdrückte und erschöpfte. Diejenigen, die keinen Mut hatten, sich ihm entgegenzustellen, fühlten bald, daß sie hier tatsächlich einen Führer vor sich hatten.

Woundwort war bereit, gegen alles zu kämpfen, außer gegen einen Fuchs. Eines Abends griff er einen jungen streunenden Scotch-Terrier an und vertrieb ihn. Er war unempfindlich gegenüber dem Zauber der Musteliden und hoffte, eines Tages einen Marder, wenn nicht ein Hermelin, zu töten. Als er die Grenzen seiner eigenen Kräfte erforscht hatte, machte er sich daran, seine Sehnsucht nach noch mehr Macht auf die einzig mögliche Art zu stillen - durch Erhöhung der Macht der ihn umgebenden Kaninchen. Er brauchte ein größeres Königreich. Die Menschen waren die große Gefahr, die jedoch durch Schlauheit und Disziplin umgangen werden konnte. Er verließ mit seinen Anhängern das kleine Gehege und begab sich auf die Suche nach einem Ort, der, seinem Vorhaben entsprechend, die Existenz von Kaninchen verbarg und ihre Ausrottung sehr schwierig machte.

Efrafa entwickelte sich um den Kreuzungspunkt zweier grüner Saumpfade herum, von denen einer (der ost-westliche) tunnelartig von einem dichten Wuchs von Bäumen und Büschen eingefaßt war. Die Einwanderer gruben unter der Anleitung von Woundwort ihre Löcher zwischen den Wurzeln der Bäume, im Unterholz und neben den Gräben. Von Anfang an gedieh das Gehege. Woundwort wachte über sie mit unermüdlichem Eifer, der ihm ihre Treue gewann, wenngleich sie ihn fürchteten. Wenn die Weibchen mit Graben aufhörten, setzte Woundwort ihre Arbeit fort, während sie schliefen. Wenn ein Mensch sich näherte, erspähte ihn Woundwort schon aus einer halben Meile Entfernung. Er kämpfte mit Ratten, Elstern, Eichhörnchen und einmal mit einer Krähe. Wenn es Würfe gab, behielt er ihr Wachstum im Auge, wählte die kräftigsten Jungen für die Owsla aus und schulte sie selbst. Er erlaubte keinem Kaninchen, das Gehege zu verlassen. Ganz am Anfang wurden drei, die es versuchten, gestellt und gezwungen, zurückzukehren.

Als das Gehege wuchs, entwickelte Woundwort sein Kontrollsystem. Kaninchen in Mengen, die morgens und abends fraßen, waren geeignet, Aufmerksamkeit zu erregen. Er ersann die Kennzeichen, von denen jedes durch eigene Offiziere und Wachtposten kontrolliert wurde, dazu kamen regelmäßig wechselnde Freßzeiten, um allen einen Anteil am frühen Morgen und am Sonnenuntergang zu geben - den Lieblingsstunden für silflay. Alle Spuren von Kaninchenleben wurden so streng wie möglich verborgen. Die Owsla hatten Vorrechte in Bezug auf Ernährung, Paarung und Bewegungsfreiheit. Jede Pflichtverletzung ihrerseits wurde durch Degradierung und Verlust an Vorrechten bestraft.

Als Woundwort nicht mehr überall sein konnte, wurde der Rat gegründet. Einige Mitglieder kamen aus der Owsla, andere dagegen wurden einzig und allein wegen ihrer Treue oder ihrer Schlauheit als Ratgeber ausgewählt. Der alte Snowdrop wurde allmählich taub, aber niemand wußte mehr über die Sicherheitsorganisation eines Geheges als er. Auf seinen Rat hin waren die Läufe und Baue der verschiedenen Kennzeichen nicht unterirdisch miteinander verbunden, so daß sich Krankheiten oder Gift, aber auch Verschwörungen weniger leicht ausbreiten konnten. Der Besuch der Baue eines anderen Kennzeichens war ohne die Erlaubnis eines Offiziers nicht gestattet. Es geschah auch auf Snowdrops Rat hin, daß Woundwort schließlich befahl, das Gehege wegen des Risikos der Entdeckung und der Schwächung der zentralen Kontrolle nicht weiter auszudehnen. Nur mit Mühe wurde er dazu überredet, denn die neue Politik vereitelte seinen ruhelosen Wunsch nach ungeschmälerter Macht. Das bedurfte nun eines Ventils, und bald nachdem das Gehege am Weiterwachsen gehindert worden war, führte er die Weiten Patrouillen ein.

Die Weiten Patrouillen begannen als bloße Raubzüge oder Überfälle unter Führung von Woundwort in das umliegende Land. Er wählte einfach vier oder fünf der Owsla aus und hielt mit ihnen Ausschau nach Möglichkeiten, Unruhe zu stiften. Bei der ersten Gelegenheit hatten sie Glück. Sie stießen auf eine kranke Eule, die eine durch ein Saatkorn vergiftete Maus gefressen hatte, und töteten sie. Beim nächsten Mal stießen sie auf zwei hlessil, die sie zwangen, mit ihnen ins Gehege zurückzugehen und dort zu bleiben.

Woundwort war nicht einfach ein Tyrann. Er wußte, wie er andere Kaninchen ermutigen und sie zum Wetteifern veranlassen konnte. Es dauerte nicht lange, bis seine Offiziere darum baten, Patrouillen führen zu dürfen. Woundwort gab ihnen Aufgaben - nach hlessil in einer bestimmten Richtung zu suchen oder ausfindig zu machen, ob ein besonderer Graben oder eine Scheune Ratten bargen, die später angegriffen und vertrieben werden konnten. Sie hatten nur Befehl, sich von Farmen und Gärten fernzuhalten. Eine dieser Patrouillen, von einem gewissen Hauptmann Orchis geführt, entdeckte ein kleines Gehege zwei Meilen östlich jenseits der Kingsclere-Overton-Straße in der Umgebung von Nutley Copse. Der General führte einen Feldzug und vernichtete es; die Gefangenen wurden nach Efrafa gebracht, wo später einige von ihnen in den Rang von Owsla-Mitgliedern erhoben wurden.

Als die Monate vergingen, wurden die Weiten Patrouillen planmäßig eingesetzt; im Sommer und Frühherbst waren gewöhnlich gleichzeitig zwei oder drei draußen. Es kamen keine anderen Kaninchen in die Nähe von Efrafa, und alle, die zufällig in die Nachbarschaft gelangten, wurden schnell aufgelesen. Die Verluste in den Weiten Patrouillen waren hoch, denn die elil erfuhren, daß sie ausschwärmten. Oft bedurfte es des ganzen Mutes und der Tüchtigkeit eines Führers, seine Aufgabe zu erfüllen und seine Kaninchen -oder einige von ihnen - ins Gehege zurückzubringen. Aber die Owsla waren stolz auf die Risiken, die sie eingingen, und außerdem hatte Woundwort die Gewohnheit, selbst hinauszugehen, um zu sehen, wie sie vorankamen.

Ein Patrouillenführer, der mehr als eine Meile von Efrafa an einer Hecke im Regen entlanghinkte, stieß plötzlich auf den General, der wie ein Hase unter einem Büschel Lolch hockte, und sah sich auf der Stelle genötigt zu berichten, was er getan hatte oder warum er von seiner Route abgekommen war. Die Patrouillen waren die Schulungsplätze von schlauen Spürhunden, schnellen Rennern und grimmigen Kämpfern, und die Verluste - obgleich es vielleicht fünf oder sechs in einem schlechten Monat waren - kamen Woundwort durchaus gelegen; denn die Anzahl mußte gering gehalten werden, und es gab immer offene Stellen in der Owsla, welche die jungen Rammler nach besten Kräften auszufüllen suchten. Zu erleben, daß die Kaninchen wetteiferten, auf seinen Befehl ihr Leben zu riskieren, befriedigte Woundwort, obgleich er -wie auch sein Rat und seine Owsla - der Meinung war, daß er dem Gehege Frieden und Sicherheit zu einem ziemlich bescheidenen Preis gäbe.

Trotzdem war der General, als er an diesem Abend zwischen den Eschen heraufkam, um mit Hauptmann Chervil zu sprechen, verschiedener Dinge wegen ernstlich beunruhigt. Es wurde immer schwieriger, den Bestand des Geheges unter Kontrolle zu halten. Überfüllung wurde ein ernstes Problem, und dies trotz der Tatsache, daß viele der Weibchen ihren Wurf vor der Geburt resorbierten. Obwohl diese Maßnahmen dem Wohl aller dienten, wurden einige unruhig und waren schwer zu lenken. Vor nicht allzu langer Zeit war eine Gruppe von Weibchen vor dem Rat erschienen und hatte gebeten, das Gehege verlassen zu dürfen. Sie waren zuerst friedfertig gewesen und hatten angeboten, fortzugehen, so weit der Rat es wünsche, aber als es klargeworden war, daß ihr Gesuch auf keinen Fall genehmigt werden würde, waren sie sehr ungeduldig und dann sogar aggressiv geworden, und der Rat hatte strenge Maßnahmen ergreifen müssen. Es herrschte immer noch beträchtlicher Unmut über diese Sache. Und drittens hatte die Owsla in letzter Zeit ein gewisses Maß an Achtung im Mannschaftsstand eingebüßt.

Vier hereinschneiende Kaninchen - die sich als eine Art Gesandtschaft eines anderen Geheges ausgaben - waren festgehalten und zum Dienst in das Kennzeichen »Rechte Flanke« gesteckt worden. Er hatte beabsichtigt, später herauszufinden, woher sie gekommen waren. Aber es war ihnen gelungen, eine sehr einfache List anzuwenden, den Kennzeichen-Kommandeur zu täuschen, seine Wachtposten anzugreifen und nachts zu entwischen. Hauptmann Bugloss, der verantwortliche Offizier, war natürlich degradiert und aus der Owsla ausgestoßen worden, aber seine Ächtung, obgleich durchaus angemessen, vergrößerte nur die Schwierigkeiten des Generals. Die Wahrheit war, daß Efrafa, im Augenblick wenigstens, knapp an guten Offizieren war. Gewöhnliche Owsla - Wachtposten - waren nicht schwer zu finden, aber mit den Offizieren war es eine andere Sache, und er hatte drei in weniger als einem Monat verloren. Bugloss war so gut wie ein im Kriege Gefallener: Er würde nie wieder einen höheren Rang bekleiden. Aber schlimmer: Hauptmann Charlock - ein tapferes und einfallsreiches Kaninchen - war bei der Verfolgung der Flüchtlinge von einem Zug auf dem Eisenpfad überfahren worden; ein weiterer Beweis, wenn man überhaupt welche brauchte, von der gemeinen Bosheit der Menschen. Und am schlimmsten von allem: Eine Patrouille, erst vor zwei Nächten nach Norden ausgeschickt, war mit der schockierenden Nachricht zurückgekehrt, daß ihr Führer, Hauptmann Mallow, ein außergewöhnlich angesehener und erfahrener Offizier, von einem Fuchs getötet worden war. Es war eine merkwürdige Sache. Die Patrouille hatte den Geruch einer ziemlich großen Gruppe Kaninchen, die sich offenbar von Norden her Efrafa näherte, aufgenommen. Sie war ihr gefolgt, hatte aber ihre Beute noch nicht gesichtet, als plötzlich ein fremdes Kaninchen in sie hineingeflitzt war, als sie sich dem Rand einer Waldung näherten. Natürlich hatten sie versucht, es zu stoppen, und in diesem Augenblick war der Fuchs, der ihm dicht auf den Fersen zu sein schien, aus der offenen Talmulde dahinter gekommen und hatte den armen Mallow augenblicklich getötet. Wenn man alles in Betracht zog, war die Patrouille in guter Ordnung weitergezogen, und Groundsel, der stellvertretende Kommandeur, hatte sich bewährt. Aber von dem fremden Kaninchen war nichts mehr gesehen worden; und der Verlust Mallows, ohne daß man etwas dafür vorweisen konnte, hatte die Owsla aufgebracht und ziemlich demoralisiert.

Andere Patrouillen waren sofort hinausgeschickt worden, aber alles, was sie festgestellt hatten, war, daß die Kaninchen vom Norden den Eisenweg überquert hatten und nach Süden verschwunden waren. Es war unerträglich, daß sie so nahe an Efrafa vorbeigekommen und ihres Weges gegangen sein sollten, ohne wahrgenommen worden zu sein. Selbst heute noch bestand die Möglichkeit, sie zu erwischen, wenn nur ein wirklich unternehmungslustiger Offizier mit der Suche betraut werden konnte - Hauptmann Campion vielleicht -, denn Patrouillen überquerten selten den Eisenweg, und das nasse Land dahinter - das Land am Fluß - war nur teilweise bekannt. Er wäre selbst gegangen, aber bei den kürzlichen Disziplinarschwierigkeiten im Gehege konnte er das Risiko nicht eingehen; und Campion konnte jetzt kaum entbehrt werden. Nein - so ärgerlich es auch war, die Fremden wurden im Augenblick am besten vergessen. Das erste war, die Owsla-Verluste zu ersetzen - und vorzugsweise mit Kaninchen, die wußten, wie man bei weiteren Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten rücksichtslos verfuhr. Sie würden einfach die besten, die sie hatten, befördern, eine Weile zurückstecken und sich auf die Ausbildung konzentrieren müssen, bis die Lage wieder normal war.

Woundwort begrüßte Hauptmann Chervil ziemlich geistesabwesend und ließ sich das Problem weiter durch den Kopf gehen.

»Wie sind deine Wachtposten, Chervil?« fragte er schließlich. »Kenne ich welche von ihnen?«

»Ein guter Haufen, Sir«, erwiderte Chervil. »Ihr kennt Marjoram - er war mit Euch als Läufer auf Patrouille. Und ich glaube, Ihr kennt Moneywort.«

»Ja, ich kenne sie«, sagte Woundwort, »aber sie gäben keine Offiziere ab. Wir müssen Charlock und Mallow ersetzen, daran liegt mir.«

»Das ist schwierig, Sir«, sagte Chervil. »Diese Art Kaninchen hopst nicht aus dem Gras.«

»Nun, aus irgendwas müssen sie hopsen«, sagte Woundwort. »Überlege dir das und erzähle mir von jeder neuen Idee, die dir kommt. Jedenfalls möchte ich jetzt deine Wachtposten inspizieren. Komm mit, bitte.«

Sie wollten sich gerade in Marsch setzen, als ein drittes Kaninchen näher kam - kein anderes als Hauptmann Campion selbst. Es war Campions Hauptaufgabe, die Umgebung von Efrafa morgens und abends zu durchsuchen und alles Neue zu melden - die Autoreifenabdrücke eines Traktors im Schmutz, den Mist eines Sperbers oder die Ausstreuung eines Düngemittels auf einem Feld. Als erfahrener Spurenleser blieb ihm wenig oder nichts verborgen, und er war eines der wenigen Kaninchen, für die Woundwort echte Achtung empfand.

»Willst du mich sprechen?« fragte Woundwort zögernd.

»Nun, ich glaube, ja, Sir«, erwiderte Campion. »Wir haben ein hlessi aufgelesen und hereingebracht.«

»Wo war er?«

»An der Unterführung, Sir. Auf dieser Seite.«

»Was machte er?«

»Nun, Sir, er sagt, er sei einen langen Weg gekommen, um sich Efrafa anzuschließen. Daher dachte ich, daß Ihr ihn vielleicht sprechen wolltet.«

»Sich Efrafa anzuschließen?« fragte Woundwort verdutzt.

»Das sagte er, Sir.«

»Warum kann der Rat ihn nicht morgen sehen?«

»Wie Ihr wünscht natürlich, Sir. Aber mir fällt auf, daß er ein bißchen ungewöhnlich ist. Ich würde sagen, ein besonders nützliches Kaninchen.«

»Hmm«, sagte Woundwort überlegend. »Na schön. Ich habe nicht viel Zeit. Wo ist er jetzt?«

»Am Crixa, Sir.« (Campion meinte den Kreuzungspunkt der beiden Saumpfade, der etwa fünfzig Meter entfernt zwischen den Bäumen lag.) »Zwei meiner Polizeistreifen sind bei ihm.«

Woundwort ging zum Crixa zurück. Chervil, der bei seinem Kennzeichen Dienst hatte, blieb, wo er war. Campion begleitete den General.

Zu dieser Stunde war der Crixa ein einziger grüner Schatten mit einem roten Sonnenschimmer, der durch die sich bewegenden Blätter zwinkerte. Das feuchte Gras an den Rändern der Pfade war getüpfelt von den Stacheln des mauvefarbenen Günsels, und die Heilkräuter und gelben Erzengel blühten in rauhen Mengen. Unter einem Holunderbusch auf der anderen Seite des Pfades warteten zwei Owslafa oder Ratspolizisten, und bei ihnen war ein Fremder.

Woundwort sah sofort, was Campion gemeint hatte. Der Fremde war ein großes Kaninchen, schwer, aber munter, mit rauhem, fronterfahrenem Aussehen und dem Ausdruck eines Kämpfers. Er hatte einen eigentümlichen dichten Fellwuchs -eine Art Scheitelknoten - auf dem Wirbel seines Kopfes. Er starrte Woundwort mit einer unvoreingenommenen, taxierenden Miene an, der der General sehr lange Zeit nicht begegnet war.

»Wer bist du?« fragte Woundwort.

»Mein Name ist Thlayli«, erwiderte der Fremde.

»Thlayli, Sir«, sagte Campion sofort. Der Fremde sagte nichts.

»Die Patrouille brachte dich herein, wie ich hörte. Was tatest du?«

»Ich bin gekommen, mich Efrafa anzuschließen.«

»Warum?«

»Es überrascht mich, daß Ihr fragt. Es ist Euer Gehege, nicht wahr? Liegt etwas Ungewöhnliches darin, daß jemand sich euch anzuschließen wünscht?«

Woundwort war ratlos. Er war kein Narr, und es war, wie er sich nicht verhehlen konnte, außerordentlich seltsam, daß ein rechtschaffenes Kaninchen aus eigenem Antrieb nach Efrafa hineinlief. Aber natürlich - das konnte er nicht sagen.

»Was kannst du?«

»Ich kann rennen und kämpfen und eine Geschichte beim Erzählen verderben. Ich bin Offizier in einer Owsla gewesen.«

»Kämpfen kannst du? Könntest du es mit ihm aufnehmen?« fragte Woundwort, auf Campion blickend.

»Gewiß, wenn Ihr wünscht.« Der Fremde griff Campion im Rücken an und zielte einen schweren Schlag gegen ihn, der gerade noch rechtzeitig zurücksprang.

»Sei kein Narr«, sagte Woundwort. »Setz dich. Wo warst du in einer Owsla?«

»Weit entfernt. Das Gehege wurde von Menschen zerstört, aber ich konnte entfliehen. Dann bin ich einige Zeit gewandert. Es wird Euch nicht überraschen, daß ich von Efrafa hörte. Ich bin einen langen Weg gekommen, um mich ihm anzuschließen. Ich dachte, daß Ihr mich vielleicht gebrauchen könntet.«

»Bist du allein?«

»Zur Zeit ja.«

Woundwort überlegte wieder. Es war durchaus wahrscheinlich, daß dieses Kaninchen Offizier in einer Owsla gewesen war. Jede Owsla würde ihn aufnehmen. Wenn er die Wahrheit sagte, so hatte er Intelligenz genug besessen, der Vernichtung seines Geheges zu entrinnen und eine lange Reise über offenes Land zu überleben. Es mußte eine sehr lange Reise gewesen sein, denn es gab kein Gehege innerhalb der normalen Reichweite der Efrafa-Patrouillen.

»Nun«, sagte er schließlich, »ich glaube, wir werden dich schon gebrauchen können, wie du dich ausdrückst. Campion hier wird sich heute nacht um dich kümmern, und morgen früh kommst du vor den Rat. In der Zwischenzeit fang nicht an zu raufen, verstehst du? Wir können dir auch ohne das eine Menge zu tun geben.«

»Sehr schön.«

Als der Rat am anderen Morgen die infolge der kürzlichen Verluste entstandene mißliche Lage des Geheges besprochen hatte, gab General Woundwort zu bedenken, daß ihnen für den Anfang Schlimmeres passieren könnte, als den großen Neuankömmling als Offizier in dem Kennzeichen »Linker Hinterlauf« unter der Dienstanweisung von Hauptmann Chervil auszuprobieren. Nachdem der Rat ihn gesehen hatte, stimmte er zu. Gegen ni-Frith hatte Thlayli, der immer noch aus dem tiefen Kennzeichen-Biß in seinem linken Lauf blutete, seinen Dienst angetreten.

35. Tasten


Diese Welt, in der viel zu tun und wenig bekannt ist...

Dr. Johnson


»- und vor dem Kennzeichen-silflay«, sagte Chervil, »schaue ich mir immer das Wetter an. Das vorherige Kennzeichen schickt natürlich einen Läufer, um zu melden, wann sie hinunterzugehen beabsichtigen, und er berichtet über das Wetter, aber ich gehe immer selbst und sehe mir das Wetter an. Im Mondlicht stellen wir die Wachtposten ziemlich dicht auf und rühren uns selbst, um sicherzugehen, daß keiner sich zu weit entfernt. Aber im Regen oder in der Dunkelheit schicken wir das Kennzeichen in kleinen Gruppen hinaus, eine nach der anderen, und jede Gruppe hat einen Wachtposten. Bei absolut schlechtem Wetter erbitten wir die Erlaubnis des Generals, silflay zu verschieben.«

»Und versuchen sie oft, davonzulaufen?« fragte Bigwig. Während des Nachmittags war er mit Chervil und Avens, dem anderen Kennzeichen-Offizier, durch die Läufe und überfüllten Baue gegangen und hatte bei sich gedacht, daß er noch nie in seinem Leben einen so freudlosen, deprimierten Haufen Kaninchen gesehen hatte. »Sie machen auf mich nicht den Eindruck, als wären sie eine sehr schwierige Gruppe.«

»Die meisten machen keine Schwierigkeiten, das stimmt«, sagte Avens, »aber man weiß nie, wann es Kummer geben wird. Zum Beispiel hätte man der Meinung sein können, daß es keinen fügsameren Haufen in Efrafa gäbe als die >Rechte Flanke<. Und dann kriegen sie eines Tages vier hlessil vom Rat dazubefohlen, und am nächsten Abend schaltet aus irgendeinem Grunde Bugloss nicht schnell genug, und plötzlich spielen diese hlessil ihm einen Streich und türmen. Und das ist sein Ende - von dem armen alten Charlock ganz zu schweigen, der auf dem Eisenweg getötet wurde. Wenn etwas Derartiges passiert, geschieht es immer blitzartig, und es ist keineswegs immer geplant; manchmal ist es eine Art Raserei. Ein Kaninchen stürmt impulsiv davon, und wenn du es nicht schnell niederschlägst, sind drei weitere hinter ihm her. Die einzig sichere Methode ist, die ganze Zeit aufzupassen, wenn sie über der Erde sind, und sich selbst zu entspannen, wenn man kann. Schließlich sind wir dazu da -wir und die Patrouillen.«

»Und dann, was das Vergraben von hraka anlangt«, sagte Chervil, »da kann man nicht streng genug sein. Wenn der General hraka in den Feldern findet, stopft er dir deinen Schwanz die Kehle hinunter. Sie versuchen immer, sich um das Vergraben zu drücken. Sie wollen natürlich sein, die antisozialen kleinen Biester. Die wollen einfach nicht begreifen, daß aller Wohl von der Kooperation jedes einzelnen abhängig ist. Ich meinerseits setze drei oder vier von ihnen an, um zur Strafe täglich eine neue Mulde im Graben zu scharren. Man findet beinahe immer jemanden, den man bestrafen kann, wenn man es nur ernsthaft versucht. Der heutige Trupp füllt die gestrige Mulde und gräbt eine neue. Es gibt besondere Läufe, die in den Graben hineinführen, und das Kennzeichen hat diese und keine anderen zu benutzen, wenn sie hinausgehen, um hraka zu machen. Wir haben einen hraka-Posten in dem Graben, um sicherzugehen, daß sie zurückkommen.«

»Wie kontrolliert ihr sie nach silflay?« fragte Bigwig.

»Nun, wir kennen sie alle vom Sehen«, erwiderte Chervil, »und wir passen auf, wenn sie hinuntergehen. Es gibt nur zwei Eingangslöcher für das Kennzeichen, und einer von uns sitzt an jedem Loch. Jedes Kaninchen weiß, welches Loch es zu benutzen hat, und ich würde es bestimmt merken, wenn welche von mir nicht hinuntergingen. Die Posten kommen zuletzt herein - ich rufe sie erst herein, wenn ich sicher bin, daß das ganze Kennzeichen unten ist. Und wenn sie erst einmal unten sind, kommen sie schwerlich wieder heraus, da vor jedem Loch eine Wache postiert ist. Graben würde ich hören. Es ist in Efrafa nicht erlaubt, ohne die Genehmigung des Rates zu graben. Wirklich gefährlich ist es nur bei einem Alarm - sagen wir, wegen eines Menschen oder eines Fuchses. Dann springen wir natürlich alle ins nächste Loch. Bis jetzt scheint es noch niemandem in den Sinn gekommen zu sein, daß er in eine andere Richtung fliehen könnte und einen ziemlichen Vorsprung hätte, ehe er vermißt würde. Trotzdem, kein Kaninchen wird in Richtung elil fliehen, und das ist die beste Sicherung.«

»Nun, ich bewundere deine Gründlichkeit«, sagte Bigwig und dachte bei sich, daß seine geheime Aufgabe noch hoffnungsloser war, als er erwartet hatte. »Ich werde zusehen, daß ich den Dreh so bald wie möglich heraus habe. Wann haben wir Aussicht auf eine Patrouille?«

»Ich nehme an, der General wird dich für den Anfang selbst mit auf Patrouille nehmen«, sagte Avens. »Bei mir hat er's so gehalten. Möglicherweise wirst du nicht mehr so scharf darauf sein, wenn du ein oder zwei Tage bei ihm warst - du wirst ganz schön erschöpft sein. Ich muß allerdings zugeben, Thlayli, daß du Format hast, und da du schon eine harte Zeit hinter dir hast, wirst du damit wahrscheinlich fertig werden.«

In diesem Augenblick kam ein Kaninchen mit einer weißen Narbe am Hals den Lauf herunter.

»Das Hals-Kennzeichen geht gerade hinunter, Hauptmann Chervil«, sagte es. »Es ist ein schöner Abend. Ich würde das Beste daraus machen.«

»Ich habe mich schon gefragt, wann du dich zeigen würdest«, erwiderte Chervil. »Sag Hauptmann Sainfoin, daß ich mein Kennzeichen sofort hinaufbringe.«

Chervil wandte sich an einen seiner eigenen Posten und befahl ihm, durch die Baue zu gehen und jeden zum silflay hinaufzuschicken.

»Jetzt«, sagte er, »gehst du, Avens, wie üblich zum anderen Loch, und Thlayli kann sich mir beim nächsten anschließen. Zuerst werden wir vier Posten an die Grenze schicken, und wenn das gesamte Kennzeichen draußen ist, fügen wir vier hinzu und behalten zwei in Reserve. Wir treffen uns an dem großen Kieselstein auf der Böschung.«

Bigwig folgte Chervil durch den Lauf, in den hinunter der Geruch von warmem Gras, Klee und Hopfenkleeblatt drang. Er hatte die meisten Läufe schwüler und stickiger gefunden, als er es gewohnt war, zweifellos, weil so wenig Löcher ins Freie mündeten. Die Aussicht auf ein Abend-silflay, selbst in Efrafa, war angenehm. Er dachte an die raschelnden Buchenblätter über der fernen Honigwabe und seufzte. »Wie geht es wohl dem alten Holly?« dachte er. »Und werde ich ihn je Wiedersehen - und natürlich auch Hazel? Nun, ich werde diesen Affen etwas zu denken geben, ehe ich fertig bin. Aber ich fühle mich einsam. Wie schwer ist es, ein Geheimnis mit sich allein herumzutragen!«

Sie erreichten die Mündung des Loches, und Chervil ging hinaus, um sich umzublicken. Als er zurückkehrte, nahm er seinen Posten am Anfang des Laufes ein. Als Bigwig einen Platz längsseits fand, bemerkte er zum ersten Mal in der gegenüberliegenden Wand des Baus eine Art Nische, wie eine offene Höhle. In ihr hockten drei Kaninchen. Die auf beiden Seiten hatten das zähe, sture Aussehen von Mitgliedern der Owslafa. Aber er starrte das in der Mitte an. Dieses Kaninchen hatte ein sehr dunkles, beinahe schwarzes Fell. Aber das war nicht das Bemerkenswerteste an ihm. Es war schrecklich verstümmelt. Seine Ohren waren nur noch formlose Lappen, an den Rändern zerfetzt, übersät mit schlecht verheilten Narben und da und dort mit Klumpen wilden nackten Fleisches. Ein Augenlid war ungestalt und schräg geschlossen. Trotz der kühlen, erregenden Luft des Juli-Abends schien es apathisch und betäubt. Es hielt den Blick auf den Boden gerichtet und blinzelte dauernd. Nach einer Zeit senkte es den Kopf und rieb matt seine Nase an seinen Vorderpfoten. Dann kratzte es seinen Hals und ließ sich wieder in seiner früheren schlaffen Haltung nieder.

Bigwig, dessen herzliche, impulsive Natur von Neugier und Mitleid erregt war, ging über den Lauf hinüber.

»Wer bist du?« fragte er.

»Mein Name ist Blackavar«, erwiderte das Kaninchen. Es blickte nicht auf und sprach ohne Ausdruck, als ob es diese Frage schon viele Male beantwortet hätte.

»Gehst du zum silflay?« fragte Bigwig. Zweifellos, dachte er, war das ein Held des Geheges, verwundet in einem großen Kampf und jetzt gebrechlich, dessen frühere Dienste eine ehrenhafte Eskorte verdienten, wenn er ausging.

»Nein«, antwortete das Kaninchen.

»Warum denn nicht?« fragte Bigwig. »Es ist ein wundervoller Abend.«

»Ich silflaye nicht um diese Zeit.«

»Warum bist du dann hier?« fragte Bigwig mit seiner üblichen Offenheit.

»Das Kennzeichen, das den Abend-silflay hat«, begann das Kaninchen. »Das Kennzeichen, das - sie kommen - ich -« Es zögerte und fiel in Schweigen.

Einer der Owslafa sprach. »Weiter«, sagte er.

»Ich komme hierher, damit das Kennzeichen mich sieht«, sagte das Kaninchen mit seiner leisen, erschöpften Stimme. »Jedes Kennzeichen soll sehen, wie ich bestraft worden bin, wie ich es für meinen Verrat verdiene, weil ich versuchte, das Gehege zu verlassen. Der Rat war gnädig - der Rat war gnädig - der Rat - ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ich kann es wirklich nicht«, sprudelte es heraus, sich an den Posten wendend, der gesprochen hatte. »Ich scheine mich an gar nichts mehr erinnern zu können.«

Der Posten sagte nichts, und Bigwig schloß sich, nachdem er einige Augenblicke schockiert gestarrt hatte, wieder Chervil an.

»Er soll es jedem sagen, der fragt«, sagte Chervil, »aber er wird nach einem halben Monat langsam dumm. Er hat versucht, davonzulaufen. Campion erwischte ihn und brachte ihn zurück, und der Rat zerfetzte seine Ohren und sagte, er habe bei jedem Morgen- und Abend-silflay als abschreckendes Beispiel für die anderen herumgezeigt zu werden. Aber wenn du mich fragst, wird er es nicht mehr viel länger machen. Er wird eines Abends ein schwärzeres Kaninchen, als er selbst es ist, treffen.«

Bigwig schauderte es, teilweise über Chervils Ton abgestumpfter Gleichgültigkeit und teilweise über seine eigenen Erinnerungen. Die Kennzeichen traten jetzt an, und er sah zu, als sie vorbeigingen und jedes einen Augenblick den Eingang verdunkelte, ehe es unter den Hagedorn hinaushopste. Es war klar, daß Chervil sich etwas darauf zugute hielt, daß er seine Kaninchen mit Namen kannte. Er sprach die meisten von ihnen an und gab sich Mühe, zu zeigen, daß er einige Kenntnis von ihrem Privatleben hatte. Es schien Bigwig, daß die Antworten, die er bekam, nicht besonders herzlich oder freundlich waren, aber er wußte nicht, ob er das auf Abneigung gegenüber Chervil zurückzuführen hatte oder einfach auf den Mangel an Energie, der im Mannschaftsgrad der Efrafa üblich zu sein schien. Er hielt - wie Blackberry ihm geraten hatte - nach allen Anzeichen von Unzufriedenheit oder Rebellion Ausschau, aber er konnte kaum einen Hinweis auf diese Hoffnung in den ausdruckslosen vorbeiziehenden Gesichtern sehen. Am Schluß kam eine kleine Gruppe von drei oder vier Weibchen, die sich untereinander unterhielten.

»Nun, kommst du gut mit deinen neuen Freundinnen zurecht, Nelthilta?« fragte Chervil die erste, als sie an ihm vorüberging.

Das Weibchen, ein hübsches, langnasiges Kaninchen, knapp drei Monate alt, blieb stehen und sah ihn an.

»Du wirst eines Tages selbst gut zurechtkommen, Hauptmann, wage ich zu behaupten«, erwiderte sie. »Wie Hauptmann Mallow - der hatte auch Erfolg, weißt du? Warum schickst du nicht einige Weibchen auf Weite Patrouille?«

Sie machte eine Pause, um auf die Antwort Chervils zu warten, aber er sagte nichts und sprach nicht mit den Weibchen, die Nelthilta auf die Wiesen hinaus folgten.

»Was meinte sie damit?« fragte Bigwig.

»Nun, es hat Kummer gegeben, verstehst du«, sagte Chervil. »Ein Haufen Weibchen im Kennzeichen >Linker Vorderlauf< hat auf einer Ratsversammlung Krach gemacht. Der General sagte, sie müßten aufgelöst werden, und zwei von ihnen wurden zu uns geschickt. Ich habe sie im Auge behalten. Sie machen an sich keine Schwierigkeiten, aber Nelthilta hat sich mit ihnen eingelassen, und das scheint sie frech und nachtragend gemacht zu haben; so ähnlich, wie du's eben gesehen hast. Ich habe eigentlich nichts dagegen - es zeigt nur, daß sie den Druck der Owsla fühlen. Wenn die jungen Weibchen ruhig und höflich würden, wäre ich viel beunruhigter. Ich würde mich fragen, was sie im Schilde führen. Trotzdem, Thlayli, ich möchte, daß du dein Möglichstes tust, gerade diese Weibchen kennenzulernen und sie auf Vordermann zu bringen.«

»Gut«, sagte Bigwig. »Übrigens, wie sind die Regeln über die Paarung?«

»Paarung?« fragte Chervil. »Nun, wenn du ein Weibchen haben willst, kriegst du eins - das heißt, jedes Weibchen im Kennzeichen. Wir sind schließlich nicht umsonst Offiziere, nicht wahr? Die Weibchen stehen unter Befehl, und keiner der Rammler kann es dir verwehren. Bleiben also du und ich und Avens übrig, und wir werden uns kaum streiten. Schließlich gibt es genug Weibchen hier.«

»Ach so«, sagte Bigwig. »Nun, ich werde jetzt zum silflay gehen. Wenn du keine anderen Pläne hast, geh' ich dann herum und unterhalte mich mit einigen vom Kennzeichen, dann mach' ich die Runde bei den Posten und peile die Lage. Was ist mit Blackavar?«

»Laß ihn«, sagte Chervil. »Er geht uns nichts an. Die Owslafa werden ihn hierlassen, bis das Kennzeichen zurückkommt, und danach bringen sie ihn fort.«

Bigwig brach in die Wiesen hinaus auf, war sich der wachsamen Blicke der Kaninchen bewußt, als er vorbeiging. Er fühlte sich verwirrt und besorgt. Wie sollte er seine gefährliche Aufgabe beginnen? Denn beginnen mußte er, so oder so, weil Kehaar klargemacht hatte, daß er nicht bereit war, länger zu warten. Es half alles nichts, er mußte sein Glück versuchen und jemandem vertrauen. Aber wem? Ein Gehege wie dieses hier mußte voller Spione sein. Und wahrscheinlich kannte nur General Woundwort die Spione. Ob ihn ein Spion in diesem Augenblick beobachtete?

»Ich werde einfach meinem Gefühl folgen müssen«, dachte er. »Ich werde ein bißchen herumgehen und zusehen, ob ich Freundschaft schließen kann. Aber eines weiß ich - wenn es mir gelingt, einige Weibchen hier herauszuholen, werde ich diesen armen, unglücklichen Blackavar auch mitnehmen. Frith auf der Brücke! Es macht mich wütend, wenn ich daran denke, daß er gezwungen wird, so dazusitzen! Zum Teufel mit General Woundwort! Ein Gewehr ist zu gut für ihn.«

Knabbernd und grübelnd bewegte er sich langsam über die freie Wiese in der Abendsonne. Nach einer Weile merkte er, daß er sich einer kleinen Mulde näherte, die sehr derjenigen in Watership Down ähnelte, wo er und Silver Kehaar gefunden hatten. In dieser Mulde befanden sich, mit dem Rücken zu ihm, vier Weibchen. Er erkannte in ihnen die kleine Gruppe, die zuletzt hinausgegangen war. Sie hatten offenbar das hungrige, hastige Stadium des Fressens hinter sich und naschten und unterhielten sich in Muße, und er konnte sehen, daß eine von ihnen die Aufmerksamkeit der anderen drei auf sich gezogen hatte. Mehr als die meisten Kaninchen liebte Bigwig eine schöne Erzählung, und jetzt wurde er von der Aussicht, etwas Neues in diesem seltsamen Gehege zu hören, angezogen.

Leise kroch er an den Rand der Mulde, gerade als das Weibchen zu sprechen begann.

Sofort merkte er, daß dies keine Geschichte war. Und trotzdem hatte er etwas Ähnliches schon mal irgendwo gehört. Die hingerissene Weise, der rhythmische Ausdruck, die gespannten Zuhörer - was riefen sie in ihm wach? Dann erinnerte er sich an den Geruch von Mohrrüben und an Silverweed, wie er die Menge in dem großen Bau beherrschte. Aber diese Verse gingen ihm zu Herzen, wie Silverweeds Verse es nicht vermocht hatten.


»Vor langer Zeit

Sang die Goldammer hoch auf dem Dornbusch.

Sang nahe einem Wurf, den das Weibchen zum Spielen hinausbrachte,

Sang in den Wind, und die Jungen spielten unten.

Ihre Zeit glitt dahin unter der Holunderblüte.

Aber der Vogel flog fort, und mein Herz ist jetzt trübe,

Und die Zeit wird nie wieder in den Feldern spielen.

Vor langer Zeit

Klammerten sich die orangenfarbenen Käfer an die Roggengrasstengel.

Das Gras wogte im Wind. Ein Rammler und ein Weibchen

Rannten über die Wiese. Sie kratzten ein Loch in die Böschung,

Sie taten, was sie wollten, unter den Haselnußblättern.

Aber die Käfer starben im Frost, und mein Herz ist trübe,

Und ich werde nie wieder einen Gefährten wählen.

Der Frost fällt, der Frost fällt in meinen Körper.

Meine Nüstern, meine Ohren sind erstarrt unter dem Frost.

Die Mauersegler werden im Frühling kommen und rufen: >Nachrichten! Nachrichten!

Weibchen, grabt neue Löcher und strömt über vor Milch für euren Wurf.<

Ich werde nicht hören. Die Embryos kehren

In meinen stumpfen Körper zurück. Durch meinen Schlaf

Läuft ein Drahtzaun, um den Wind einzufangen.

Ich werde nie wieder den Wind wehen hören.«


Das Weibchen schwieg, und auch seine Gefährtinnen sagten nichts, aber ihr Schweigen bewies deutlich, daß es für sie alle gesprochen hatte. Ein Starenschwarm flog schwatzend und pfeifend über ihnen vorbei, und Vogelmist fiel ins Gras unter die kleine Gruppe, aber niemand bewegte sich oder schreckte auf. Jedes schien völlig von denselben melancholischen Gedanken ergriffen zu sein - Gedanken, die, wie traurig auch immer, wenigstens weit von Efrafa entfernt waren.

Bigwigs Geist war so zäh wie sein Körper und bar jeder Sentimentalität, aber wie die meisten Geschöpfe, die Not und Gefahr erlebt haben, konnte er das Leiden erkennen und achten, wenn er darauf traf. Er war gewohnt, andere Kaninchen auf ihre Tauglichkeit hin abzuschätzen. Es fiel ihm auf, daß diese Weibchen fast am Ende ihrer Kräfte waren. Ein wildes Tier, das fühlt, daß es keine Lebensberechtigung mehr hat, erreicht schließlich einen Punkt, an dem seine verbleibenden Energien tatsächlich einzig auf den Tod gerichtet sind. Dieser Geisteszustand war es, den Bigwig versehentlich Fiver in dem Gehege der Schlingen unterstellt hatte. Seit damals war sein Urteil reifer geworden. Er fühlte, daß diese Weibchen der Verzweiflung nahe waren; und nach allem, was er von Efrafa gehört hatte, sowohl von Holly als auch von Chervil, begriff er, warum. Er wußte, daß die Wirkungen der Überfüllung und Spannung in einem Gehege sich zuerst an den Weibchen zeigen. Sie werden unfruchtbar und aggressiv. Wenn aber Aggressivität ihre Schwierigkeiten nicht beheben kann, dann beginnen sie oft auf den einzigen anderen Ausweg zuzutreiben. Er fragte sich, welchen Punkt des trostlosen Pfades diese Weibchen erreicht hatten. Er hopste in die Mulde hinunter. Die Weibchen, aus ihren Gedanken aufgeschreckt, sahen ihn voller Groll an und zogen sich zurück.

»Ich weiß, du bist Nelthilta«, sagte Bigwig zu dem hübschen jungen Weibchen, das Chervil in dem Lauf so schlagfertig geantwortet hatte. »Aber wie heißt du?« fuhr er fort, sich an das Weibchen neben Nelthilta wendend.

Nach einer Pause antwortete es widerwillig: »Thethuthinnang, Sir.«

»Und du?« fragte Bigwig das Weibchen, das die Verse gesprochen hatte.

Sie wandte ihm einen Blick zu, so voller Elend, Anklage und Leid, daß er sich zusammennehmen mußte, sie nicht auf der Stelle zu bitten, ihm zu glauben, daß er ihr geheimer Freund wäre und daß er Efrafa und die Gewalt, die es repräsentierte, haßte. Nelthiltas Erwiderung auf Chervils Frage in dem Lauf war voll Haß gewesen, aber dieser Blick des Weibchens sprach von Kränkungen, die jenseits ihrer Ausdruckskraft lagen. Als Bigwig sie anstarrte, erinnerte er sich plötzlich an Hollys Beschreibung des großen hrududu, der die Erde über dem zerstörten Gehege aufgerissen hatte. Das hätte vielleicht einem Blick wie diesem entsprechen können, dachte er. Dann antwortete das Weibchen: »Mein Name ist Hyzenthlay, Sir.«

»Hyzenthlay?« fragte Bigwig, aus seiner Selbstbeherrschung aufgeschreckt. »Dann warst du es, die -« Er hielt inne. Es konnte gefährlich sein zu fragen, ob sie sich erinnerte, mit Holly gesprochen zu haben. Aber ob sie sich erinnerte oder nicht, das war hier offensichtlich das Kaninchen, das Holly und seinen Kameraden von den Schwierigkeiten von Efrafa und der Unzufriedenheit der Weibchen erzählt hatte. Wenn er sich richtig an die Geschichte von Holly erinnerte, hatte sie schon einen Versuch gemacht, das Gehege zu verlassen. Aber, dachte er, als er von neuem auf ihren verzweifelten Blick traf, was taugt sie jetzt?

»Haben wir Eure Erlaubnis, zu gehen, Sir?« fragte Nelthilta. »Die Gesellschaft von Offizieren überwältigt uns, wie Ihr seht. Wir finden, daß uns schon ein Bruchteil davon genügt.«

»Oh - ja - gewiß - unbedingt«, erwiderte Bigwig verwirrt. Er blieb, wo er war, als die Weibchen davonhopsten und Nelthilta dabei mit erhobener Stimme bemerkte: »Was für ein Dummkopf!«

Sie blickte sich halb um, offensichtlich in der Hoffnung, daß er sie zurechtweisen würde.

»Sieh mal an, wenigstens hat noch eine von ihnen ein bißchen Temperament«, dachte er, als er sich auf den Weg zu den Posten machte.

Er verbrachte einige Zeit damit, sich mit den Posten zu unterhalten, um zu erfahren, wie sie organisiert waren. Es war ein bedruckend gut funktionierendes System. Jeder Posten konnte seinen Nachbarn in wenigen Minuten erreichen, und das dafür bestimmte Stampfsignal - denn sie hatten mehr als eines - rief die Offiziere und Reserveleute heraus. Wenn nötig, konnten die Owslafa in Sekundenschnelle in Alarm versetzt werden, genau wie Hauptmann Campion oder welcher Offizier immer die Umgebung des Geheges durchstreifte. Da jeweils nur ein Kennzeichen fraß, konnte kaum ein Durcheinander entstehen, wenn Alarm gegeben wurde. Einer der Posten, Marjoram, erzählte ihm von dem Fluchtversuch Blackavars.

»Er täuschte vor, so weit wie möglich draußen zu fressen«, sagte Marjoram, »und dann machte er einen Satz. Er hat es tatsächlich fertiggebracht, zwei Posten, die ihn anzuhalten versuchten, niederzuschlagen; und ich bezweifle, daß irgend jemand allein je so viel geschafft hat. Er rannte wie verrückt los, aber Campion war schon alarmiert, schlug einfach einen Bogen und schnitt ihm den Weg weiter unten in den Wiesen ab. Natürlich wäre der Rat gnädiger mit ihm verfahren, wenn er die zwei Posten nicht zusammengeschlagen hätte.«

»Gefällt dir das Leben im Gehege?« fragte Bigwig.

»Es ist nicht schlecht, nachdem ich jetzt in der Owsla bin«, antwortete Marjoram, »und wenn ich zum Offizier befördert werde, wird es noch besser sein. Ich habe zwei Weite Patrouillen geführt - das ist es, wodurch man auffällt. Ich kann so gut Spuren lesen und kämpfen wie die meisten, aber natürlich erwartet man mehr als das von einem Offizier. Ich finde, unsere Offiziere sind ein tüchtiger Haufen, findest du nicht auch?«

»O ja«, sagte Bigwig mit Nachdruck. Es fiel ihm auf, daß Marjoram offenbar nicht wußte, daß er selbst ein Neuankömmling in Efrafa war. Auf jeden Fall zeigte er weder Eifersucht noch Unmut. Bigwig fiel auch auf, daß hier niemandem mehr gesagt wurde, als unbedingt nötig war, daß man überhaupt wenig erfuhr, außer was einem vor der Nase lag. Wahrscheinlich nahm Marjoram an, daß er, Bigwig, von einem anderen Kennzeichen hierher befördert worden war.

Als die Dunkelheit hereinbrach, kurz vor Ende des silflay, kam Hauptmann Campion mit einer Dreier-Patrouille das Feld herauf, und Chervil lief hinaus, um ihn an der WachtpostenLinie zu treffen. Bigwig schloß sich an und hörte ihrer Unterhaltung zu. Er folgerte, daß Campion bis zum Eisenweg draußen gewesen war, aber nichts Ungewöhnliches entdeckt hatte.

»Geht ihr nie über den Eisenweg hinaus?« fragte er.

»Nicht sehr oft«, antwortete Campion. »Es ist naß, weißt du - schlechtes Kaninchenland. Ich bin schon da gewesen, aber auf diesen gewöhnlichen Umkreispatrouillen schau' ich mich wirklich mehr in der Nähe des Heimatortes um. Meine Aufgabe ist es einerseits, alles Neue anzuzeigen, von dem der Rat erfahren müßte, und andererseits sicherzustellen, daß jeder, der flieht, geschnappt wird. Wie zum Beispiel dieser elende Blackavar - und der verpaßte mir, ehe ich ihn überwältigte, einen Biß, den ich nie vergessen werde. An einem schönen Abend wie diesem hier gehe ich im allgemeinen bis zur Böschung des Eisenweges hinunter und arbeite mich dann diesseits von ihm entlang. Manchmal gehe ich auch in der anderen Richtung hinaus, bis zur Scheune. Es kommt ganz darauf an, was gewünscht wird. Übrigens sprach ich den General am frühen Abend, und ich glaube, er will dich in zwei oder drei Tagen auf Patrouille mitnehmen, sobald du dich eingewöhnt hast und dein Kennzeichen vom Früh- und Abend-silflay abgesetzt wird.«

»Warum darauf warten?« sagte Bigwig mit der ganzen Begeisterung, die er aufbringen konnte. »Warum nicht früher?«

»Na ja, ein Kennzeichen beansprucht im allgemeinen eine ganze Owsla, wenn es auf Früh- und Abend-silflay ist. Die Kaninchen sind in dieser Zeit munterer und brauchen mehr Beaufsichtigung. Ein Kennzeichen jedoch, das zu ni-Frith und fu Inle beim silflay ist, kann gewöhnlich Owsla für eine Weite Patrouille entbehren. Und jetzt verlasse ich dich, ich muß meinen Haufen zum Crixa bringen und dem General Meldung machen.«

Sobald das Kennzeichen unter die Erde gegangen und Blackavar von seiner Eskorte fortgeführt worden war, entschuldigte sich Bigwig bei Chervil und Avens und ging in seinen eigenen Bau zurück. Während die Mannschaften unten zusammengepfercht waren, hatten die Posten zwei große geräumige Baue für sich, und jedem Offizier stand sogar ein Privatbau zur Verfügung. Endlich allein, setzte sich Bigwig, um sein Problem zu überdenken.

Die Schwierigkeiten waren bestürzend. Er war ziemlich sicher, daß er mit Kehaars Hilfe aus Efrafa entfliehen konnte, wann immer er wollte. Aber wie in aller Welt sollte er einen Haufen Weibchen hinausbringen - angenommen, sie wären überhaupt bereit, es zu versuchen? Wenn er es auf sich nahm, die Posten während eines silflay hereinzurufen, würde Chervil in wenigen Augenblicken sehen, was er getan hatte. Die einzige Möglichkeit war dann, den Ausbruch während des Tages zu versuchen, zu warten, bis Chervil schlief, und dann einem Posten zu befehlen, seinen Platz an der Mündung eines der Löcher aufzugeben. Bigwig überlegte. Er konnte keinen Fehler an dem Plan entdecken. Dann fiel ihm ein: Und was war mit Blackavar? Blackavar verbrachte vermutlich den Tag unter Bewachung in einem besonderen Bau. Wahrscheinlich wußte kaum jemand, wo - niemand wußte etwas in Efrafa -, und bestimmt würde niemand es verraten. Er würde also Blackavar zurücklassen müssen; kein realistischer Plan konnte ihn einbeziehen.

»Hol mich der Teufel, wenn ich ihn dalasse«, murmelte Bigwig vor sich hin. »Ich weiß, Blackberry würde mich zum Narren erklären. Trotzdem, er ist nicht hier, und dies ist meine Aufgabe. Aber angenommen, ich bringe das Ganze wegen Blackavar zum Scheitern? Ach, Frith in der Scheune! Was für eine verzwickte Sache!«

Er überlegte, bis er merkte, daß er im Kreise dachte. Nach einiger Zeit schlief er ein. Als er erwachte, konnte er erkennen, daß draußen der Mond schien, schön und sanft. Ihm kam der Gedanke, daß er sein Unternehmen vielleicht am anderen Ende beginnen sollte - indem er einige der Weibchen überredete, sich ihm anzuschließen, und nachher einen Plan ausarbeitete, vielleicht mit ihrer Hilfe. Er ging den Lauf hinunter, bis er auf ein junges Kaninchen stieß, das versuchte, außerhalb eines überfüllten Baus zu schlafen. Er weckte es.

»Kennst du Hyzenthlay?« fragte er.

»O ja, Sir«, erwiderte das Kaninchen in einem ziemlich rührenden Versuch, flink und bereit zu klingen.

»Such sie auf und sag ihr, sie soll in meinen Bau kommen«, sagte Bigwig. »Niemand sonst darf mit ihr kommen. Verstehst du?«

»Ja, Sir.«

Als das Junge davongeeilt war, kehrte Bigwig in seinen Bau zurück und fragte sich, ob er Verdacht erregt hatte. Es schien unwahrscheinlich. Nach dem, was Chervil gesagt hatte, war es allgemein üblich, daß Efrafa-Offiziere sich Weibchen kommen ließen. Wenn er gefragt wurde, brauchte er nur entsprechend darauf einzugehen. Er legte sich nieder und wartete.

In der Dunkelheit kam ein Kaninchen langsam den Lauf herauf und blieb am Eingang zum Bau stehen. Es trat eine Pause ein.

»Hyzenthlay?« fragte Bigwig.

»Ich bin Hyzenthlay.«

»Ich möchte mit dir reden«, sagte Bigwig.

»Ich gehöre zum Kennzeichen, Sir, und unter Euren Befehl. Aber Ihr habt einen Fehler gemacht.«

»Nein, hab' ich nicht«, erwiderte Bigwig. »Du brauchst keine Angst zu haben. Komm herein, dicht neben mich.« Hyzenthlay gehorchte. Er konnte fühlen, wie ihr Puls flog. Ihr Körper war gespannt, sie hatte die Augen geschlossen, und ihre Klauen gruben sich in den Boden.

»Hyzenthlay«, flüsterte ihr Bigwig ins Ohr, »hör gut zu. Du erinnerst dich, daß vor vielen Tagen vier Kaninchen abends nach Efrafa kamen. Eines hatte ein sehr fahlgraues Fell, und eines hatte einen verheilten Rattenbiß im Vorderlauf. Du sprachst mit ihrem Führer - er hieß Holly. Ich weiß, was er dir sagte.«

Sie wandte ängstlich den Kopf. »Woher wißt Ihr das?«

»Gleichgültig. Hör mir nur gut zu.«

Dann sprach Bigwig von Hazel und Fiver, von der Zerstörung des Sandleford-Geheges und der Reise nach Watership Down. Hyzenthlay bewegte sich nicht, noch unterbrach sie ihn.

»Die Kaninchen, die an jenem Abend mit dir sprachen«, sagte Bigwig, »die dir von dem Gehege erzählten, das zerstört wurde, und daß sie gekommen waren, um Weibchen aus Efrafa zu erbitten - weißt du, was aus ihnen wurde?«

Hyzenthlays Erwiderung war nicht mehr als das leiseste Murmeln in seinem Ohr.

»Ich weiß, was ich gehört habe. Sie entflohen am nächsten Abend. Hauptmann Charlock wurde bei ihrer Verfolgung getötet.«

»Und wurde ihnen noch eine Patrouille nachgeschickt, Hyzenthlay? Am nächsten Tag, meine ich.«

»Wir hörten, daß man keinen anderen Offizier entbehren konnte, da Bugloss in Haft und Charlock tot war.«

»Diese Kaninchen kehrten sicher zu uns zurück. Eines von ihnen befindet sich zur Zeit nicht weit von hier, zusammen mit Hazel und Fiver und mehreren anderen. Sie sind schlau und erfinderisch. Sie warten darauf, daß ich Weibchen aus Efrafa herausbringe - so viele, wie ich dazu überreden kann. Ich werde ihnen morgen früh eine Botschaft senden können.«

»Wie?«

»Durch einen Vogel - wenn alles gutgeht.« Bigwig erzählte ihr von Kehaar. Als er geendet hatte, erwiderte Hyzenthlay nichts, und er konnte nicht sagen, ob sie über all das, was er gesagt hatte, nachdachte, oder ob Angst und Unglaube sie so sehr besorgt machten, daß sie nicht wußte, was sie sagen sollte. Hielt sie ihn für einen Spion, der ihr eine Falle stellen wollte? Vielleicht wünschte sie sich nur, daß er sie gehenlassen würde? Schließlich sagte er:

»Glaubst du mir?«

»Ja, ich glaube dir.«

»Könnte ich nicht ein vom Rat geschickter Spion sein?«

»Das bist du nicht. Ich weiß es genau.«

»Wieso?«

»Du sprachst von deinem Freund - demjenigen, der wußte, daß dieses Gehege ein schlimmer Ort ist. Er ist nicht das einzige Kaninchen dieser Art. Manchmal kann ich solche Dinge auch vorhersagen; aber jetzt nicht mehr oft, denn mein Herz ist im Frost erstarrt.«

»Wirst du dich mir also anschließen - und deine Freundinnen auch dazu überreden? Wir brauchen euch; Efrafa braucht euch nicht.«

Wieder schwieg sie. Bigwig konnte einen Wurm sich in der nahen Erde bewegen hören, und durch den Tunnel drang schwach das Geräusch eines kleinen Geschöpfes, das durch das Gras draußen trappelte.

Er wartete ruhig, wußte, es war entscheidend, daß er sie nicht aus der Fassung brachte.

Schließlich sprach sie wieder so leise in sein Ohr, daß die Worte kaum mehr als unterbrochene Atemzüge waren.

»Wir können aus Efrafa entkommen. Die Gefahr ist sehr groß, aber es kann uns gelingen. Das, was danach kommt, ist es, was ich nicht sehen kann. Verwirrung und Angst in der Nacht - und dann Menschen, Menschen, es sind alles Menschen-Dinge! Ein Hund - ein Seil, das zuschnappt wie ein trockener Zweig. Ein Kaninchen - nein, es ist nicht möglich! -, ein Kaninchen, das in einem hrududu fährt! Oh, ich bin närrisch geworden - Geschichten für die Jungen an einem Sommerabend. Nein, ich kann nicht mehr sehen wie früher; es ist wie Umrisse von Bäumen hinter einem Regenschleier.«

»Nun, du solltest mitkommen und diesen Freund von mir kennenlernen«, sagte Bigwig. »Er redet genauso, und ich habe gelernt, ihm zu vertrauen, also vertraue ich dir auch. Wenn du der Meinung bist, daß es uns gelingt, fein. Aber ich möchte wissen, ob du deine Freundinnen mitbringst.«

Nach erneutem Schweigen sagte Hyzenthlay:

»Mein Mut, meine Energie - sie sind so viel geringer als früher. Mir bangt davor, daß du dich auf mich verläßt.«

»Das sehe ich. Was hat dich zermürbt? Warst du nicht die Anführerin der Weibchen, die zum Rat gingen?«

»Das waren ich und Thethuthinnang. Ich weiß nicht, was mit den anderen Weibchen geschah, die bei uns waren. Wir waren alle damals im Kennzeichen >Rechter Vorderlauf<, weißt du? Ich habe immer noch das Kennzeichen >Rechter Vorderlauf<, aber ich bin seither wieder gebrandmarkt worden. Blackavar - du hast ihn gesehen?«

»Ja, natürlich.«

»Er war in diesem Kennzeichen. Er war unser Freund und ermutigte uns. Eine oder zwei Nächte später, nachdem die Weibchen beim Rat vorstellig geworden waren, versuchte er davonzulaufen, aber er wurde erwischt. Du hast ja gesehen, was sie mit ihm gemacht haben. Das geschah am selben Abend, an dem deine Freunde kamen, und in der nächsten Nacht entflohen sie. Danach ließ der Rat uns Weibchen wieder holen. Der General sagte, daß niemand mehr die Möglichkeit haben würde, fortzulaufen. Wir sollten unter die Kennzeichen aufgeteilt werden, nicht mehr als zwei auf jedes Kennzeichen. Ich weiß nicht, warum sie Thethuthinnang und mich zusammen ließen. So ist Efrafa, weißt du? Der Befehl lautete: >Zwei auf jedes Kennzeichen^ und solange der Befehl ausgeführt wurde, spielte es keine besondere Rolle, welche zwei. Jetzt habe ich Angst und fühle, wie der Rat uns immer beobachtet.«

»Ja, aber ich bin jetzt hier«, sagte Bigwig.

»Der Rat ist sehr schlau.«

»Das wird auch nötig sein. Wir haben einige Kaninchen, die viel schlauer sind, glaube mir. El-ahrairahs Owsla, nichts Geringeres. Aber sage mir - war Nelthilta bei dir, als du zum Rat gingst?«

»O nein, sie wurde hier geboren, im >Linken Hinterlauf<. Sie hat Schwung, weißt du, aber sie ist jung und albern. Es erregt sie, jeden sehen zu lassen, daß sie eine Freundin von Kaninchen ist, die für Rebellen gehalten werden. Sie merkt nicht, was sie damit tut oder was der Rat wirklich ist. Für sie ist alles eine Art Spiel - gegen die Offiziere frech zu sein und so weiter. Eines Tages wird sie zu weit gehen und uns wieder in Schwierigkeiten bringen. Auf jeden Fall könnte man ihr kein Geheimnis anvertrauen.«

»Wie viele Weibchen in diesem Kennzeichen wären bereit, sich einer Flucht anzuschließen?«

»Hrair. Es herrscht große Unzufriedenheit, weißt du? Aber Thlayli, sie dürfen nichts erfahren, bis kurz bevor wir laufen - nicht nur Nelthilta nicht, niemand. Keiner kann in einem Gehege ein Geheimnis bewahren, und es gibt überall Spione. Du und ich müssen allein einen Plan aufstellen und ihn niemandem außer Thethuthinnang erzählen. Sie und ich werden genug Weibchen veranlassen, mitzukommen, wenn die Zeit da ist.«

Bigwig merkte, daß er ganz unerwartet auf etwas gestoßen war, was er am meisten brauchte: eine starke, vernünftige Freundin, die selbständig denken und ihm helfen konnte, seine Last zu tragen.

»Ich überlasse es dir, die Weibchen auszusuchen«, sagte er. »Ich kann die günstige Gelegenheit zur Flucht schaffen, wenn du sie dafür bereithältst.«

»Wann?«

»Sonnenuntergang wird das beste sein, und je eher, desto besser. Hazel und die anderen werden uns treffen und jede Patrouille, die folgt, bekämpfen. Aber die Hauptsache ist, daß der Vogel für uns kämpft. Selbst Woundwort wird nicht damit rechnen.«

Hyzenthlay schwieg wieder, und Bigwig merkte mit Bewunderung, daß sie überdachte, was er gesagt hatte, und nach Fehlern suchte.

»Aber mit wie vielen kann der Vogel es aufnehmen?« fragte sie schließlich. »Kann er sie alle forttreiben? Dies wird ein großer Ausbruch werden, und sei dir darüber klar, Thlayli, der General wird mit den besten Kaninchen, die er hat, hinter uns her sein. Wir können nicht unaufhörlich davonlaufen. Sie werden unsere Spur nicht verlieren, und früher oder später werden sie uns einholen.«

»Ich sagte dir bereits, unsere Kaninchen sind schlauer als der Rat. Ich glaube nicht, daß du diesen Teil des Plans wirklich verstehen würdest, wie sorgfältig ich ihn dir auch erklärte. Hast du je einen Fluß gesehen?«

»Was ist ein Fluß?«

»Nun, da haben wir's. Ich kann es dir nicht erklären. Aber ich verspreche dir, daß wir nicht weit werden laufen müssen. Wir werden tatsächlich vor den Augen der Owsla verschwinden - wenn sie da sind. Ich muß sagen, ich freue mich darauf.«

Sie erwiderte nichts, und er fügte hinzu: »Du mußt mir vertrauen, Hyzenthlay. Bei meinem Leben, wir werden verschwinden. Ich täusche dich nicht.«

»Wenn du dich irrtest, wären jene, die schnell stürben, am glücklichsten dran.«

»Niemand wird sterben. Meine Freunde haben eine List vorbereitet, auf die El-ahrairah selbst stolz wäre.«

»Wenn es bei Sonnenuntergang sein soll«, sagte sie, »muß es morgen oder am folgenden Abend sein. In zwei Tagen verliert das Kennzeichen das Abend-silflay. Weißt du das?«

»Ja, ich habe es gehört. Also morgen. Warum länger warten? Aber da ist noch etwas. Wir werden Blackavar mitnehmen.«

»Blackavar? Wie? Er wird von der Ratspolizei bewacht.«

»Ich weiß. Es erhöht das Risiko beträchtlich, aber ich habe mich entschlossen, ihn nicht dazulassen. Was ich zu tun beabsichtige, ist dies: Morgen Abend, wenn das Kennzeichen beim silflay ist, müssen du und Thethuthinnang die Weibchen in eurer Nähe halten - so viele, wie du zusammenkriegst -, bereit zu rennen. Ich werde den Vogel ein Stückchen weiter draußen in der Wiese treffen und ihm sagen, er solle die Posten angreifen, sobald er mich ins Loch zurückgehen sieht. Dann komme ich zurück und beschäftige mich selbst mit den Bewachern Blackavars. Die werden nichts dergleichen erwarten. Ich werde ihn in einem Augenblick frei haben und mich dir anschließen. Es wird vollkommene Verwirrung herrschen, und in dieser Verwirrung werden wir davonlaufen. Der Vogel wird jeden, der uns zu folgen versucht, angreifen. Vergiß nicht, wir gehen direkt zu dem großen Bogen auf dem Eisenweg hinunter. Meine Freunde werden dort warten. Du brauchst mir nur zu folgen - ich führe.«

»Hauptmann Campion wird vielleicht auf Patrouille sein.«

»Oh, das hoffe ich«, sagte Bigwig. »Das hoffe ich wirklich.«

»Blackavar rennt vielleicht nicht sofort los. Er wird genauso verblüfft sein wie die Bewacher.«

»Kann man ihn irgendwie darauf vorbereiten?«

»Nein. Seine Bewacher verlassen ihn nie und führen ihn allein zu silflay hinaus.«

»Wie lange wird er so leben müssen?«

»Wenn er nacheinander in jedem Kennzeichen gewesen ist,

wird der Rat ihn töten. Wir alle sind dessen sicher.«

»Dann ist es ein für allemal entschieden: Ich werde nicht ohne ihn gehen.«

»Thlayli, du bist sehr tapfer. Bist du auch schlau? Unser aller Leben wird morgen von dir abhängen.«

»Nun, kannst du einen Fehler an dem Plan entdecken?«

»Nein, ich bin nur ein Weibchen, das nie aus Efrafa hinausgekommen ist. Nehmen wir an, etwas Unerwartetes tritt ein.«

»Risiko bleibt Risiko. Willst du nicht herauskommen und mit uns auf den hohen Downs leben? Überleg's dir!«

»O Thlayli! Werden wir uns mit dem paaren können, den wir uns auswählen, und unsere eigenen Baue graben und unseren Wurf lebend gebären?«

»Das werdet ihr; und Geschichten in der Honigwabe erzählen und silflay gehen, wann immer ihr wollt. Ein schönes Leben, das verspreche ich dir.«

»Ich werde mitkommen! Ich gehe das Risiko ein.«

»Was für ein Glückstreffer, daß du in diesem Kennzeichen bist«, sagte Bigwig. »Vor dieser Unterhaltung mit dir heute Abend war ich mit meiner Weisheit am Ende und fragte mich, was ich tun sollte.«

»Ich werde jetzt zu den unteren Bauen zurückgehen, Thlayli. Einige Kaninchen fragen sich bestimmt, weshalb du mich holen ließest. Ich bin zur Zeit nicht paarungsbereit, verstehst du? Wenn ich jetzt gehe, können wir sagen, daß du dich geirrt habest und enttäuscht seist. Vergiß nicht, das zu sagen.«

»Werde ich nicht. Ja, geh jetzt und halt sie bereit zum silflay morgen Abend. Ich werde dich nicht im Stich lassen.«

Als sie gegangen war, fühlte Bigwig sich sehr müde und einsam. Er versuchte, sich zu vergegenwärtigen, daß seine Freunde nicht weit entfernt waren und daß er sie in knapp einem Tag Wiedersehen würde. Aber er wußte, daß Efrafa zwischen ihm und Hazel lag. Seine Gedanken lösten sich in den bedrückenden Phantasien der Sorge auf. Er fiel in einen Halbtraum, in dem Hauptmann Campion sich in eine Möwe verwandelte und schreiend über den Fluß flog, bis er in panischem Schrecken aufwachte - und wieder eindöste, um Hauptmann Chervil zu sehen, wie er Blackavar gegen einen glänzenden Draht im Gras vor sich hertrieb. Und über allem, so groß wie ein Pferd in einer Wiese, schwebte die riesenhafte Figur von General Woundwort, gewahr alles dessen, was von einem Ende der Welt zum anderen passierte. Schließlich glitt er, von seinen Befürchtungen erschöpft, in einen tiefen Schlaf, wohin selbst seine Angst ihm nicht folgen konnte, und lag geräuschlos und ohne Bewegung in dem einsamen Bau.

36. Das Gewitter zieht auf


We was just goin' ter scarper When along comes Bill 'Arper,

So we never done nuffin' at all.

Music Hall Song


Bigwig taumelte langsam aus dem Schlaf empor, wie eine Sumpfgasblase vom Bett eines stillen Baches aufsteigt. Da war noch ein Kaninchen neben ihm im Bau - ein Rammler! Er schreckte sofort auf und sagte: »Wer ist da?«

»Avens«, erwiderte der andere. »Zeit für silflay, Thlayli. Die Lerchen sind schon am Himmel. Du bist ein tiefer Schläfer.«

»Kann man wohl sagen«, bemerkte Bigwig. »Nun, ich bin fertig.« Er wollte schon den Weg den Lauf hinunter anführen, aber Avens' nächste Worte hielten ihn an.

»Wer ist Fiver?« fragte Avens.

Bigwig spannte sich. »Was hast du gesagt?«

»Ich sagte, wer ist Fiver?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Nun, du hast im Schlaf gesprochen. Du sagtest dauernd: >Frag Fiver, frag Fiver.< Ich fragte mich, wer er sein mochte.«

»Ach so. Ein Kaninchen, das ich mal gekannt habe. Es pflegte das Wetter vorauszusagen und so weiter.«

»Nun, das könnte es jetzt tun. Kannst du das Gewitter riechen?«

Bigwig schnüffelte. Vermischt mit den Düften des Grases und dem Geruch des Viehs kam der warme, dicke Geruch einer schweren Wolkenmasse, die noch weit entfernt war. Er nahm ihn unbehaglich wahr. Beinahe alle Tiere werden durch nahendes Gewitter aufgestört, das sie mit seiner zunehmenden Spannung bedrückt und den natürlichen Rhythmus unterbricht, in dem sie leben. Bigwig war geneigt, in seinen Bau zurückzugehen, aber er zweifelte nicht daran, daß eine bloße Kleinigkeit wie ein Gewittermorgen den Stundenplan eines Efrafa-Kennzeichens nicht beeinträchtigen durfte.

Er hatte recht. Chervil war schon am Eingang, hockte Blackavar und seiner Eskorte gegenüber. Er blickte sich um, als seine Offiziere den Lauf heraufkamen.

»Komm schon, Thlayli«, sagte er. »Die Posten sind bereits draußen. Macht das Gewitter dir Sorgen?«

»Ja, ziemlich«, erwiderte Bigwig.

»Es wird heute nicht ausbrechen«, sagte Chervil. »Es ist noch weit entfernt. Ich gebe ihm bis morgen Abend Zeit. Auf jeden Fall laß das Kennzeichen nicht sehen, daß es dich beeinflußt. Nichts wird geändert, außer, der General gibt andere Befehle.«

»Ich konnte ihn nicht wach kriegen«, sagte Avens mit einem Hauch von Bosheit. »Du hattest gestern Abend ein Weibchen in deinem Bau, Thlayli, nicht wahr?«

»Oh, wirklich?« sagte Chervil. »Welches?«

»Hyzenthlay«, erwiderte Bigwig.

»Oh, die marli tharn[12] «, sagte Chervil. »Komisch, ich dachte, sie wäre nicht bereit.«

»War sie auch nicht«, sagte Bigwig. »Ich habe mich geirrt. Aber wenn du dich erinnerst, batest du mich, mein Möglichstes zu tun, um diesen unangenehmen Trupp kennenzulernen und ihn etwas besser unter Kontrolle zu bringen, also ließ ich sie eine Weile reden, genau so war's.«

»Hast du etwas erreicht?«

»Schwer zu sagen«, erwiderte Bigwig, »aber ich bleibe am Ball.«

Während das Kennzeichen hinausging, verbrachte er die Zeit damit, sich den besten und schnellsten Weg zu überlegen, wie er in das Loch eindringen und Blackavars Eskorte angreifen könnte. Er würde einen von ihnen sofort außer Gefecht setzen und dann direkt auf den anderen losgehen müssen, der zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht unvorbereitet sein würde. Wenn es zu einem Kampf käme, müßte er darauf achten, daß er sich nicht zwischen Blackavar und der Mündung des Loches abspielte; denn Blackavar würde so verwirrt wie die anderen sein und könnte möglicherweise den Lauf hinunter zurückspringen. Wenn er irgendwohin springen sollte, mußte es nach draußen sein. Natürlich, wenn er Glück hatte, würde sich der zweite Posten unter der Erde davonmachen, ohne überhaupt zu kämpfen, aber darauf konnte man sich nicht verlassen. Efrafa-Owslafa waren nicht dafür bekannt, daß sie davonliefen.

Als er ins Feld hinausging, fragte er sich, ob er von Kehaar erspäht werden würde. Sie hatten ausgemacht, daß Kehaar zu ihm stoßen würde, wann immer er am zweiten Tag heraufkäme.

Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Kehaar war schon vor der Frühdämmerung über Efrafa gewesen. Sobald er das Kennzeichen heraufkommen sah, ließ er sich etwas weiter draußen im Feld, auf halbem Weg zwischen dem Unterholz und der Postenlinie, nieder und begann, im Gras herumzupicken. Bigwig knabberte sich langsam zu ihm hin und hockte sich dann fressend nieder, ohne in seine Richtung zu blicken. Nach einer Weile fühlte er Kehaar hinter sich.

»Miister Bigwig, ich glaube, es ist nicht gut, wir reden viel. Miister Hazel fragt, was du tust. Was du willst.«

»Ich möchte zwei Dinge, Kehaar - beide zum Sonnenuntergang heute Abend. Erstens müssen unsere Kaninchen am großen Bogen unten sein. Ich werde mit den Weibchen durch diesen Bogen kommen. Wenn wir verfolgt werden, mußt du und müssen Hazel und die übrigen bereit sein zu kämpfen. Dieses Boot-Ding, ist es noch da?«

»Ya, ya, die Männer es nicht nehmen. Ich sage Muster Hazel, was du sagen.«

»Gut. Jetzt hör zu, Kehaar, das ist das zweite, und es ist furchtbar wichtig. Siehst du diese Kaninchen da draußen auf der Wiese? Das sind die Wachtposten. Bei Sonnenuntergang triffst du mich hier. Dann werde ich zu diesen Bäumen zurücklaufen und in ein Loch hinuntergehen. Sobald du mich hineingehen siehst, greife die Posten an - erschrecke sie, treibe sie fort. Wenn sie nicht rennen wollen, tu ihnen weh. Sie müssen vertrieben werden. Du wirst mich fast sofort wieder herauskommen sehen, und dann werden die Weibchen

- die Mütter - mit mir losrennen, und wir laufen direkt zum Bogen hinunter. Aber es kann durchaus sein, daß wir unterwegs angegriffen werden. Wenn das geschieht, kannst du wieder auf sie losgehen?«

»Ya, ya. Ich fliege auf die - sie dich nicht stoppen.«

»Großartig. Das war's also. Hazel und die anderen - sind sie in Ordnung?«

»Fein - fein. Sie sagen, du verdammt guter Bursche. Miiister Bluebell, er sagen, du bringen eine Mutter für jeden sonst und zwei für ihn.«

Bigwig versuchte, sich eine geeignete Antwort darauf zu überlegen, als er Chervil über das Gras auf sich zulaufen sah. Sofort, ohne Kehaar wieder anzusprechen, machte er ein paar Hopser in Chervils Richtung und begann, geschäftig Klee zu knabbern. Als Chervil herankam, flog Kehaar tief über ihre Köpfe hinweg und verschwand über die Bäume.

Chervil sah der Möwe nach und wandte sich dann an Bigwig.

»Hast du keine Angst vor diesen Vögeln?« fragte er.

»Nicht sonderlich«, antwortete Bigwig.

»Manchmal greifen sie Mäuse an, weißt du, und junge Kaninchen auch«, sagte Chervil. »Du bist ein Risiko eingegangen, ausgerechnet da zu fressen. Warum warst du so sorglos?«

Anstelle einer Antwort setzte Bigwig sich auf und gab Chervil einen spielerischen Knuff, der aber genügte, ihn herumzurollen.

»Darum«, sagte er. Chervil stand mit mürrischem Blick auf.

»Na schön, du bist also schwerer als ich«, sagte er. »Aber du mußt noch lernen, Thlayli, daß man mehr als sein Gewicht braucht, um einen Efrafa-Offizier abzugeben. Und es ändert auch nichts an der Tatsache, daß diese Vögel gefährlich sein können. Auf jeden Fall ist es nicht ihre Jahreszeit, und das ist merkwürdig. Es muß gemeldet werden.«

»Wozu denn?«

»Weil es ungewöhnlich ist. Alles Ungewöhnliche muß gemeldet werden. Wenn wir es nicht melden und es jemand anders tut, stehen wir als Dummköpfe da, wenn wir zugeben müssen, wir hätten es gesehen. Wir könnten nicht behaupten, wir hätten es nicht bemerkt - mehrere vom Kennzeichen haben es gesehen. Ja, ich gehe und melde es jetzt. Silflay ist beinahe vorbei, wenn ich also nicht rechtzeitig zurück bin, müßten du und Avens das Kennzeichen hinunterbringen.«

Sobald Chervil gegangen war, machte sich Bigwig auf die Suche nach Hyzenthlay. Er fand sie mit Thethuthinnang in der Mulde. Die meisten Kennzeichenkaninchen schienen über das Gewitter, das noch weit war, wie Chervil gesagt hatte, nicht ungewöhnlich erregt zu sein. Die beiden Weibchen waren dagegen nervös und niedergeschlagen. Bigwig erzählte ihnen, was er mit Kehaar abgemacht hatte.

»Aber wird dieser Vogel wirklich die Posten angreifen?« fragte Thethuthinnang. »Ich habe noch nie so etwas gehört.«

»Er wird, das verspreche ich dir. Hole die Weibchen zusammen, sobald silflay heute Abend beginnt. Wenn ich mit Blackavar herauskomme, werden die Posten in Deckung laufen.«

»Und wohin rennen wir?« fragte Thethuthinnang.

Bigwig nahm sie weit auf die Wiesen hinaus, so daß sie den ungefähr vierhundert Meter entfernten Bogen in der Böschung sehen konnten.

»Wir werden sicherlich auf Campion treffen«, sagte Thethuthinnang. »Du weißt das?«

»Ich glaube, er hatte Mühe, Blackavar zu stoppen«, erwiderte Bigwig, »daher bin ich sicher, daß er mir und dem Vogel nicht gewachsen sein wird. Schaut, da ist Avens, der die Posten hereinbringt - wir müssen gehen. Nun macht euch keine Sorgen, verdaut gut und legt euch ein bißchen schlafen. Wenn ihr nicht schlafen könnt, schärft eure Klauen - kann sein, daß ihr sie brauchen werdet.«

Das Kennzeichen ging hinunter, und Blackavar wurde von der Eskorte fortgeführt. Bigwig ging in seinen Bau zurück und versuchte, nicht an den kommenden Abend zu denken. Nach einiger Zeit gab er den Gedanken auf, den Tag allein zu verbringen. Er wanderte durch die tiefer gelegenen Baue, spielte eine Runde Bob-Stones, hörte sich zwei Geschichten an und erzählte selbst eine, machte hraka im Graben, und dann, einer plötzlichen Regung folgend, ging er zu Chervil und erhielt seine Zustimmung zum Besuch eines anderen Kennzeichens. Er wanderte zum Crixa hinüber, fand sich inmitten des ni-Frith-silflay des Kennzeichens »Linke Flanke« und ging mit ihnen nach unten. Ihre Offiziere teilten sich einen einzigen großen Bau, und da traf er einige erfahrene Veteranen und hörte sich interessiert ihre Geschichten von Weiten Patrouillen und anderen Heldentaten an. Am späten Nachmittag kehrte er zum »Linken Hinterlauf« zurück, entspannt und zuversichtlich, und schlief, bis einer der Posten ihn zum silflay weckte.

Er ging den Lauf hinauf. Blackavar hockte bereits in seiner Nische. Neben Chervil sitzend, sah Bigwig das Kennzeichen hinausgehen. Hyzenthlay und Thethuthinnang gingen, ohne ihm einen Blick zu schenken, an ihm vorüber. Sie sahen gespannt, aber ruhig aus. Chervil folgte dem letzten Kaninchen.

Bigwig wartete, bis er sicher war, daß Chervil genug Zeit gehabt hatte, um weit genug vom Loch entfernt zu sein. Dann, mit einem letzten schnellen Blick auf Blackavar, ging er selbst hinaus. Der helle Sonnenuntergang blendete ihn, und er setzte sich auf die Hinterläufe, blinzelnd und das Fell an einer Gesichtshälfte kämmend, während seine Augen sich an das Licht gewöhnten. Ein paar Augenblicke später sah er Kehaar über die Wiese fliegen.

»Nun, es ist soweit«, sagte er zu sich. »Los geht's.«

In diesem Augenblick sprach ein Kaninchen hinter ihm. »Thlayli, ich möchte ein paar Worte mit dir reden. Komm unter die Büsche zurück, ja?«

Bigwig fiel auf seine Vorderläufe und sah sich um. Es war General Woundwort.

37. Das Gewitter entwickelt sich


Youk'n hide de fier, but w'at you gwine do wid de smoke?

Joel Chandler Harris Proverbs of Uncle Remus


Bigwigs erster Impuls war, Woundwort auf der Stelle anzugreifen. Aber er war sich sofort darüber klar, daß dies aussichtslos wäre und er sich nur den ganzen Ort auf den Hals laden würde. Es blieb also nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Er folgte Woundwort durch das Unterholz und in den Schatten des Saumpfades. Trotz des Sonnenuntergangs schien der Abend drückend vor Wolken, und unter den Bäumen war es schwül und grau. Das Gewitter entwickelte sich. Er sah Woundwort an und wartete.

»Du hast dich heute nachmittag außerhalb deines Baus aufgehalten«, begann Woundwort.

»Ja, Sir«, erwiderte Bigwig. Er hatte immer noch einen Widerwillen, Woundwort mit >Sir< anzureden, aber da er ein Efrafa-Offizier sein sollte, konnte er nicht gut etwas anderes tun. Jedoch fügte er nicht hinzu, daß Chervil ihm die Erlaubnis gegeben hatte. Bis jetzt war ihm noch nichts vorgeworfen worden.

»Wohin bist du gegangen?«

Bigwig schluckte seinen Ärger hinunter. Zweifellos wußte Woundwort ganz genau, wo er gewesen war. »Ich ging zum Kennzeichen >Linke Flanke<, Sir. Ich war in ihrem Bau.«

»Warum bist du dahin gegangen?«

»Um die Zeit zu verbringen und einiges von den Offizieren zu erfahren.«

»Bist du noch woandershin gegangen?«

»Nein, Sir.«

»Du hast einen der Owsla von der >Linken Flanke<, ein Kaninchen namens Groundsel, kennengelernt.«

»Vermutlich, ich habe nicht alle ihre Namen erfahren.«

»Hast du dieses Kaninchen schon mal gesehen?«

»Nein, Sir. Wie könnte ich?«

Pause.

»Darf ich fragen, worum es hier geht, Sir?« sagte Bigwig.

»Ich stelle die Fragen«, sagte Woundwort. »Groundsel hat dich schon mal gesehen. Er hat dich am Fell auf deinem Kopf erkannt. Wo, glaubst du, hat er dich gesehen?«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Bist du je vor einem Fuchs davongelaufen?«

»Ja, Sir, vor ein paar Tagen, während ich hierherkam.«

»Du führtest ihn anderen Kaninchen zu, und er tötete eines von ihnen. Stimmt das?«

»Ich habe nicht beabsichtigt, ihn zu ihnen zu führen. Ich wußte nicht, daß sie da waren.«

»Du hast uns nichts davon erzählt.«

»Es kam mir nicht in den Sinn. Es ist kein Unrecht, vor einem Fuchs davonzulaufen.«

»Du hast den Tod eines Efrafa-Offiziers verursacht.«

»Rein zufällig. Und der Fuchs hätte ihn wahrscheinlich auf jeden Fall gekriegt, selbst wenn ich nicht dagewesen wäre.«

»Hätte er nicht«, sagte Woundwort. »Mallow war kein Kaninchen, das einem Fuchs in die Arme gelaufen wäre. Füchse sind für Kaninchen, die ihr Geschäft verstehen, nicht gefährlich.«

»Es tut mir leid, daß der Fuchs ihn erwischt hat, Sir. Es war wirklich großes Pech.«

Woundwort starrte ihn aus seinen großen blassen Augen an.

»Dann noch eine Frage, Thlayli. Diese Patrouille war einer Bande von Kaninchen auf der Spur - Fremden. Was weißt du von ihnen?«

»Ich sah ihre Spur auch, ungefähr zur selben Zeit. Mehr kann ich Euch nicht sagen.«

»Du warst nicht bei ihnen?«

»Wenn ich bei ihnen gewesen wäre, Sir, wäre ich dann nach Efrafa gekommen?«

»Ich sagte dir bereits, ich stelle die Fragen. Du kannst mir nicht sagen, wohin sie gegangen sind?«

»Ich fürchte, nein, Sir.«

Woundwort starrte ihn nicht mehr an und saß einige Zeit schweigend da. Bigwig fühlte, daß der General auf seine Frage wartete, ob das alles sei und ob er jetzt gehen könne. Er beschloß, ebenfalls zu schweigen.

»Da ist noch etwas«, sagte Woundwort schließlich, »diesen weißen Vogel auf der Wiese heute morgen betreffend. Du hast keine Angst vor diesen Vögeln?«

»Nein, Sir. Ich habe noch nie gehört, daß einer ein Kaninchen angegriffen hätte.«

»Aber sie sind dafür bekannt, trotz deiner großen Erfahrung, Thlayli. Wie dem auch sei, weshalb bist du in seine Nähe gegangen?«

Bigwig überlegte schnell. »Um die Wahrheit zu sagen, Sir, ich glaube, ich wollte Eindruck auf Hauptmann Chervil machen.«

»Nun ja, du könntest einen schlechteren Grund haben. Aber wenn du irgend jemanden beeindrucken willst, fang damit am besten bei mir an. Übermorgen nehme ich eine Weite Patrouille selbst hinaus. Sie wird den Eisenweg überqueren und versuchen, die Spur dieser Kaninchen zu finden - die Kaninchen, die Mallow gefunden hätte, wenn du nicht auf ihn gestoßen wärest. Es wäre angebracht, daß du mitkommst und uns zeigst, wie gut du bist.«

»Sehr schön, Sir; wird mich freuen.«

Wieder Schweigen. Diesmal entschloß sich Bigwig, so zu tun, als ob er ginge. Das tat er, und sofort hielt ihn eine neue Frage zurück.

»Als du mit Hyzenthlay zusammen warst, hat sie dir gesagt, warum sie in das Kennzeichen >Linker Hinterlauf< gesteckt wurde?«

»Ja, Sir.«

»Ich bin gar nicht sicher, daß der Ärger dort vorüber ist, Thlayli. Behalte die Sache im Auge. Wenn sie mit dir sprechen will, um so besser. Vielleicht beruhigen sich diese Weibchen, vielleicht aber auch nicht. Ich möchte es wissen.«

»Jawohl, Sir«, sagte Bigwig.

»Das ist alles«, sagte Woundwort. »Geh zum Kennzeichen zurück.«

Bigwig lief auf die Wiese. Das silflay war beinahe vorüber, die Sonne war untergegangen, und es wurde langsam dunkel. Schwere Wolken verdüsterten das verbliebene Licht. Kehaar war nirgends zu sehen. Die Posten kamen herein, und das Kennzeichen verschwand allmählich. Er saß allein im Gras und wartete, bis das letzte Kaninchen verschwunden war. Immer noch kein Anzeichen von Kehaar. Er hopste langsam zum Loch. Als er hineinging, stieß er mit einem von der Polizeieskorte zusammen, der die Mündung blockierte, um sicherzugehen, daß Blackavar nicht zu fliehen versuchte, während er hinuntergeführt wurde.

»Geh mir aus dem Weg, du dreckiger kleiner klatschmäuliger Blutsauger«, sagte Bigwig. »Geh ruhig und melde das«, fügte er über die Schulter hinzu, als er zum Bau hinunterging.

Als das Licht vom dicht verhangenen Himmel verschwand, glitt Hazel noch einmal über die harte, kahle Erde unter der Bahnunterführung, kam an der Nordseite heraus und setzte sich auf, um zu horchen. Ein paar Augenblicke später gesellte sich Fiver zu ihm, und sie krochen ein bißchen ins Feld hinaus, auf Efrafa zu. Die Luft war schwül und warm und roch nach Regen und reifender Gerste. Es war kein Geräusch in der Nähe zu hören, aber hinter und unter ihnen, vom Sumpf am diesseitigen Ufer des Test, kam schwach das schrille, unaufhörlich aufgeregte Getue von einem Pärchen Flußuferläufer. Kehaar flog von der Böschung herunter.

»Bist du sicher, daß er heute Abend sagte?« fragte Hazel zum drittenmal.

»Iiiist schlecht«, sagte Kehaar. »Vielleicht sie ihn erwischen, Iiiist Schluß mit Miiister Bigwig. Glaubst du?«

Hazel antwortete nicht.

»Ich kann es nicht sagen«, meinte Fiver. »Wolken und Gewitter. Diese Stelle das Feld hinauf - es ist wie das Bett eines Flusses. Alles könnte darin passieren.«

»Da drüben ist Bigwig. Ob er tot ist? Ob sie ihn zum Sprechen bringen -«

»Hazel«, sagte Fiver, »Hazel-rah, du wirst ihm nicht helfen, indem du hier im Dunkeln bleibst und dich sorgst. Wahrscheinlich ist gar nichts schiefgegangen. Er durfte sich aus irgendeinem Grund bloß nicht vom Fleck rühren. Auf jeden Fall wird er heute Abend nicht kommen - das ist jetzt sicher -, und unsere Kaninchen sind hier in Gefahr. Kehaar kann morgen in der Frühdämmerung wieder auffliegen und uns eine neue Botschaft bringen.«

»Du hast sicherlich recht«, sagte Hazel, »aber ich gehe gar nicht gern. Nimm nur an, er würde kommen. Silver soll sie zurückbringen, und ich werde hierbleiben.«

»Du könntest allein nichts ausrichten, Hazel, selbst wenn dein Bein in Ordnung wäre. Du versuchst, Gras zu fressen, das nicht vorhanden ist. Warum gibst du ihm nicht eine Chance, zu wachsen?«

Sie kehrten unter den Bogen zurück, und als Silver aus den Büschen herauskam, um sie zu treffen, konnten sie hören, wie die anderen Kaninchen sich unruhig zwischen den Nesseln regten.

»Wir werden es für heute Abend aufgeben müssen, Silver«, sagte Hazel. »Wir müssen sie über den Fluß zurückschaffen, ehe es vollständig dunkel ist.«

»Hazel-rah«, sagte Pipkin, als er neben ihn glitt, »es wird - es wird alles in Ordnung kommen, nicht wahr? Bigwig wird morgen kommen, nicht wahr?«

»Natürlich«, sagte Hazel, »und wir werden alle hier sein, um ihm zu helfen. Und ich sage dir noch etwas, Hlao-roo. Wenn er morgen nicht kommt, gehe ich selbst nach Efrafa.«

»Und ich komme mit, Hazel-rah«, sagte Pipkin.

Bigwig hockte, gegen Hyzenthlay gedrückt, in seinem Bau. Er zitterte, aber nicht vor Kälte. Die stickigen Läufe des Kennzeichens waren angefüllt mit Donner; die Luft war knapp wie in einer Blätterverwehung. Bigwig war äußerster nervöser Erschöpfung sehr nahe. Seit er General Woundwort verlassen hatte, war er immer tiefer in alle uralten Schrecken des Verschwörers verstrickt worden. Wieviel hatte Woundwort entdeckt? Es war klar, daß ihn jede Information erreichte. Er wußte, daß Hazel und die übrigen von Norden gekommen waren und den Eisenweg überquert hatten. Er wußte von dem Fuchs. Er wußte, daß eine Möwe, die um diese Jahreszeit weit weg sein sollte, sich in der Umgebung von Efrafa herumtrieb und daß er, Bigwig, absichtlich in ihrer Nähe gewesen war. Er wußte, daß Bigwig mit Hyzenthlay Freundschaft geschlossen hatte. Wie lange würde es dauern, ehe er den letzten Schritt tat und alles kombinierte? Vielleicht hatte er es bereits getan und wartete nur darauf, sie, wenn es ihm paßte, zu verhaften?

Woundwort hatte alle Vorteile auf seiner Seite. Er saß sicher an der Gabelung aller Pfade, die er klar einsehen konnte, während er, Bigwig, lächerlich in seinen Anstrengungen, sich mit ihm als Feind zu messen, schwerfällig und nichtsahnend durchs Unterholz kletterte und sich mit jeder Bewegung verriet. Er wußte nicht, wie er mit Kehaar wieder in Verbindung treten konnte. Selbst wenn es ihm gelänge, würde Hazel dann imstande sein, die Kaninchen ein zweites Mal heranzubringen? Vielleicht waren sie von Campion auf Patrouille schon erspäht worden? Mit Blackavar zu sprechen würde verdächtig sein. In die Nähe von Kehaar zu gehen wäre verdächtig. Durch mehr Löcher, als er möglicherweise stopfen konnte, sickerte sein Geheimnis durch - strömte aus.

Es sollte noch schlimmer kommen.

»Thlayli«, flüsterte Hyzenthlay, »glaubst du, du und ich und Thethuthinnang könnten heute nacht entwischen? Wenn wir den Posten an der Mündung des Laufes bezwängen, könnten wir vielleicht freikommen, ehe eine Patrouille uns nachhetzen könnte.«

»Warum?« fragte Bigwig. »Weshalb fragst du das?«

»Ich fürchte mich. Wir haben es den anderen Weibchen kurz vor silflay gesagt. Sie waren bereit zu rennen, wenn der Vogel die Posten angriffe, und dann ist nichts passiert. Sie wissen alle über den Plan Bescheid - Nelthilta und die übrigen -, und es kann nicht lange dauern, ehe der Rat es herausfindet. Natürlich haben wir ihnen gesagt, daß ihr Leben von ihrem Schweigen abhängt und daß du es wieder versuchen wirst. Thethuthinnang beobachtet sie jetzt; sie sagt, sie wird alles tun, um nicht einzuschlafen. Aber in Efrafa kann kein Geheimnis gewahrt bleiben. Es ist sogar möglich, daß eines der Weibchen eine Spionin ist, obgleich Frith weiß, daß wir sie so sorgfältig wie möglich ausgewählt haben. Wir können alle noch vor dem frühen Morgen verhaftet sein.«

Bigwig versuchte, klar zu denken. Es könnte ihm bestimmt gelingen, mit ein paar resoluter, vernünftiger Weibchen herauszukommen. Aber der Posten - es sei denn, er konnte ihn töten - würde sofort Alarm schlagen, und es war nicht sicher, daß er den Weg zum Fluß in der Dunkelheit fände. Selbst wenn er ihn fand, war es möglich, daß er über die Bohlenbrücke hinaus und mitten zwischen seine unvorbereiteten, schlafenden Freunde verfolgt werden würde. Und im besten Fall wäre er nur mit ein paar Weibchen aus Efrafa herausgekommen, weil seine Nerven ihn im Stich gelassen hatten. Silver und die anderen würden nicht wissen, was er durchgemacht hatte. Sie würden nur wissen, daß er davongelaufen war.

»Nein, wir dürfen noch nicht aufgeben«, sagte er, so sanft, wie er konnte. »Es ist das Gewitter und das lange Warten, was dich so zermürbt. Hör zu, ich verspreche dir, daß du morgen um diese Zeit für immer aus Efrafa heraus bist und die anderen mit dir. Jetzt schlafe ein bißchen hier und dann geh zurück und hilf Thethuthinnang. Denke an diese hohen Downs und an alles, was ich dir erzählt habe. Wir kommen hin - unsere Schwierigkeiten werden nicht mehr lange dauern.«

Als sie neben ihm einschlief, fragte sich Bigwig, wie in aller Welt er sein Versprechen halten könnte und ob sie von der Ratspolizei geweckt werden würden. Wenn es so kommt, dachte er, dann kämpfe ich, bis sie mich in Stücke reißen. Die machen keinen Blackavar aus mir.

Als er erwachte, merkte er, daß er allein im Bau war. Einen Augenblick fragte er sich, ob Hyzenthlay verhaftet worden war. Dann aber war er sicher, daß die Owslafa sie nicht fortgeholt haben konnten, während er schlief. Sie mußte aufgewacht und zu Thethuthinnang geschlüpft sein, ohne ihn zu stören.

Es war kurz vor Morgengrauen, aber der Druck in der Luft hatte nicht abgenommen. Er glitt den Lauf zum Eingang hinauf. Moneywort, der diensthabende Posten, guckte unruhig aus der Mündung des Loches hinaus, drehte sich aber um, als er sich näherte.

»Ich wünschte, es würde regnen, Sir«, sagte er. »Der Donner reicht aus, um das Gras sauer werden zu lassen, aber es besteht nicht viel Hoffnung, daß es vor dem Abend losregnet, würde ich sagen.«

»Pech für das Kennzeichen an seinem letzten Tag, an dem es im Morgengrauen und am Abend draußen sein kann«, erwiderte Bigwig. »Geh und wecke Hauptmann Chervil. Ich nehme deine Stelle hier ein, bis das Kennzeichen heraufkommt.«

Als Moneywort gegangen war, saß Bigwig in der Mündung des Loches und schnupperte die schwere Luft. Der Himmel schien so nahe wie die Baumwipfel, war bedeckt mit stillen Wolken und glühte auf der Morgenseite mit einem unheimlichen rotbraunen Schein. Keine Lerche war oben, keine Drossel sang. Die Wiese vor ihm war leer und ohne Bewegung. Die Sehnsucht zu rennen überkam ihn. In Null Komma nichts könnte er am Bogen unten sein. Es war todsicher, daß Campion und seine Patrouille nicht in einem solchen Wetter draußen sein würden. Alle lebenden Geschöpfe, die Felder und Gebüsche hinauf und hinunter, mußten stumm und niedergedrückt sein, als wären sie unter einer großen weichen Tatze begraben. Nichts wollte sich bewegen; denn der Tag war ungünstig, die Instinkte waren getrübt, und man konnte ihnen nicht trauen. Es war eine Zeit, in der man sich nur ducken und schweigen konnte. Aber ein Flüchtling würde sicher sein. Tatsächlich konnte er auf keine bessere Chance hoffen.

»O Gott mit den Sternenaugen, schicke mir ein Zeichen!« sagte Bigwig.

Er hörte eine Bewegung im Lauf hinter sich. Es waren die Owslafa, die den Gefangenen heraufbrachten. In dem gewitterschwülen Zwielicht sah Blackavar kränker und deprimierter aus denn je. Seine Nase war trocken, und das Weiße seiner Augen zeigte sich. Bigwig ging in die Wiese hinaus, zog ein Maulvoll Klee heraus und brachte es zurück.

»Kopf hoch«, sagte er zu Blackavar, »da, nimm etwas Klee.«

»Das ist nicht erlaubt, Sir«, sagte einer der Eskorte.

»Ach, laß ihn, Bartsia«, sagte der andere. »Es sieht ja keiner. Ein Tag wie dieser ist für jeden unerträglich, geschweige denn für den Gefangenen.«

Blackavar fraß den Klee, und Bigwig nahm seinen üblichen Platz ein, als Chervil ankam, um das Kennzeichen beim Hinausgehen zu beobachten.

Die Kaninchen waren langsam und unschlüssig, und Chervil schien unfähig, sich zu seiner gewöhnlichen munteren Art emporzuschwingen. Er hatte wenig zu sagen, als sie an ihm vorübergingen. Er ließ beide, Thethuthinnang und Hyzenthlay, schweigend vorbeigehen. Nelthilta dagegen blieb aus eigenem Entschluß stehen und starrte ihn frech an.

»Leidest du unter dem Wetter, Hauptmann?« fragte sie. »Raff dich auf. Es gibt vielleicht eine Überraschung, wer weiß?«

»Was meinst du damit?« antwortete Chervil scharf.

»Weibchen kriegen vielleicht Flügel und fliegen«, sagte Nelthilta, »und es wird gar nicht lange dauern. Geheimnisse pflanzen sich schneller fort als Maulwürfe unter der Erde.«

Sie folgte den anderen Weibchen ins Feld hinaus. Einen Augenblick sah Chervil so aus, als wollte er sie zurückrufen.

»Ob du wohl einen Blick auf meinen Hinterlauf werfen könntest?« sagte Bigwig. »Ich glaube, ich habe einen Dorn drin.«

»Dann komm hinaus«, sagte Chervil, »wenn wir auch da draußen nicht wesentlich besser sehen können.«

Aber ob er nun immer noch darüber nachdachte, was Nelthilta gesagt hatte, oder aus einem anderen Grund, auf jeden Fall suchte er nicht besonders gründlich nach dem Dorn

- was vielleicht ganz gut war, weil es keinen Dorn gab.

»Oh, verdammt noch mal!« sagte er aufblickend. »Da ist der verflixte weiße Vogel wieder. Warum kommt er dauernd hierher?«

»Warum ärgert dich das?« fragte Bigwig. »Er tut niemand was zuleide - schaut nur nach Schnecken.«

»Alles Außergewöhnliche ist eine mögliche Gefahrenquelle«, erwiderte Chervil, Woundwort zitierend. »Und du hältst dich ihm heute fern, Thlayli, verstanden? Das ist ein Befehl.«

»O gut, gut«, sagte Bigwig. »Aber sicher weißt du, wie man sie los wird? Ich glaubte, alle Kaninchen wüßten das!«

»Sei nicht albern. Du schlägst doch nicht etwa vor, einen Vogel dieser Größe mit einem Schnabel, so dick wie mein Vorderlauf, anzugreifen?«

»Nein, nein - es ist eine Art Zauberformel, die mich meine Mutter lehrte. Du weißt doch, wie >Marienkäfer, flieg nach Hause<. Das funktioniert, und das hier auch - jedenfalls funktionierte es immer bei meiner Mutter.«

»Die Marienkäfer-Sache funktioniert nur, weil alle Marienkäfer den Stengel hinaufkriechen und dann davonfliegen.«

»Na schön«, sagte Bigwig, »wie du willst. Aber du magst den Vogel nicht, und ich habe angeboten, ihn für dich zu vertreiben. Wir hatten eine Menge von diesen Zauberformeln und Redensarten in meinem alten Gehege. Ich wünschte nur, wir hätten eine gehabt, um die Menschen zu vertreiben.«

»Nun, wie lautet der Zauberspruch?« fragte Chervil.

»Man sagt:

O flieg davon, großer Vogel so weiß,

Und komm nicht zurück bis heut' Abend.

Natürlich muß man die Heckensprache gebrauchen. Zwecklos, von ihnen zu erwarten, die Kaninchensprache zu verstehen. Versuchen wir's doch mal. Wenn es nicht wirkt, sind wir nicht schlimmer dran, und wenn es wirkt, wird das Kennzeichen glauben, daß du den Vogel vertrieben hast. Wo ist er denn? Ich kann in diesem Licht kaum etwas sehen. Oh, da ist er, schau, hinter diesen Disteln. Nun, du rennst so entlang. Jetzt mußt du zu dieser Seite hopsen, dann zur anderen, mit deinen vier Beinen kratzen - so ist's richtig, großartig -, die Ohren spitzen und dann direkt weitergehen, bis - ah! Da wären wir - los:

O flieg davon, großer Vogel so weiß,

Und komm nicht zurück bis heut' Abend.

Siehst du, es hat gewirkt. Ich glaube, es liegt mehr, als wir denken, in diesen alten Versen und Zaubersprüchen. Natürlich hätte er auch sowieso wegfliegen können. Aber du mußt zugeben, daß er weg ist.«

»Wahrscheinlich war dieses ganze Gehabe daran schuld, als wir auf ihn zukamen«, sagte Chervil mürrisch. »Wir müssen völlig verrückt ausgesehen haben. Was zum Donner wird das Kennzeichen denken? Nun, da wir jetzt hier draußen sind, können wir ebensogut die Runde bei den Posten machen.«

»Ich bleibe da und fresse, wenn du nichts dagegen hast«, sagte Bigwig. »Ich bekam gestern Abend nicht viel ab, weißt du?«

Das Glück hatte Bigwig nicht ganz verlassen. Später an jenem Morgen konnte er ganz unverhofft mit Blackavar sprechen. Er war durch die schwülen Baue gegangen, fand überall schnelles Atmen und fieberhafte Pulse, und er fragte sich gerade, ob er nicht unter diesem Vorwand Chervil drängen könnte, die Erlaubnis des Rates zu erwirken, daß das Kennzeichen einen Teil des Tages in den Büschen oberirdisch verbringen könnte - denn da würde sich bestimmt eine gute Gelegenheit bieten -, als er dringend hraka machen mußte. Kein Kaninchen macht hraka unter dem Boden, und wie Schulkinder, die wissen, daß ihnen nicht gut die Bitte, zur Toilette gehen zu dürfen, abgeschlagen werden kann -solange es nicht zu rasch nach dem letzten Mal ist -, glitten die Efrafa-Kaninchen in den Graben, um frische Luft zu schnappen und einen Szenenwechsel zu haben. Obgleich ihnen nicht erlaubt werden sollte, öfter als nötig zu gehen, waren einige der Owsla zugänglicher als andere. Als Bigwig sich dem Loch näherte, das in den Graben führte, fand er zwei oder drei junge Rammler, die im Lauf herumlungerten, und wie gewöhnlich spielte er seine Rolle so überzeugend, wie er konnte.

»Warum treibt ihr euch hier herum?« fragte er.

»Die Eskorte des Gefangenen ist an dem Loch oben, und sie befahlen uns, umzukehren«, antwortete einer. »Sie lassen im Augenblick niemand heraus.«

»Nicht mal, um hraka zu machen?« fragte Bigwig.

»Nein, Sir.«

Empört ging Bigwig zur Mündung des Loches. Hier traf er Blackavars Eskorte in einer Unterhaltung mit dem Posten an.

»Ich fürchte, Ihr könnt im Augenblick nicht hinausgehen, Sir«, sagte Bartsia. »Der Gefangene ist im Graben, aber er wird sich nicht lange dort aufhalten.«

»Ich auch nicht«, sagte Bigwig. »Geh mir aus dem Weg, verstanden?« Er stieß Bartsia zur Seite und hopste in den Graben.

Der Himmel war noch finsterer und bewölkter. Blackavar hockte ein wenig abseits unter einem überhängenden Busch von Wiesenkerbel. Die Fliegen krabbelten auf seinen zerfetzten Ohren herum, aber er schien sie nicht zu bemerken. Bigwig lief den Graben entlang und hockte sich neben ihn.

»Blackavar, hör zu«, sagte er schnell. »Ich sage dir jetzt die Wahrheit, bei Frith und dem Schwarzen Kaninchen. Ich bin ein geheimer Feind von Efrafa. Niemand weiß das außer dir und ein paar Weibchen. Ich werde mit ihnen heute Abend fliehen und auch dich mitnehmen. Tu vorläufig nichts. Wenn die Zeit kommt, bin ich da, um es dir zu sagen. Nimm nur deine Kräfte zusammen und halte dich bereit.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er weiter, wie um einen besseren Platz zu finden. Trotzdem war er vor Blackavar wieder am Loch, der offensichtlich so lange draußen bleiben wollte, wie die Eskorte es ihm erlauben würde - die anscheinend nicht in Eile war.

»Sir«, sagte Bartsia, als Bigwig hereinkam, »das ist das dritte Mal, daß Ihr meine Autorität mißachtet habt. Die Ratspolizei darf nicht so behandelt werden. Ich fürchte, ich werde es melden müssen, Sir.«

Bigwig antwortete nichts und ging wieder den Lauf hinauf.

»Wartet noch ein bißchen, wenn ihr könnt«, sagte er, als er an den Rammlern vorbeiging. »Ich glaube nicht, daß der arme Kerl heute noch einmal hinauskommt.«

Er fragte sich, ob er Hyzenthlay suchen sollte, aber er kam zu dem Schluß, daß es klüger sein wurde, sich ihr fernzuhalten. Sie wußte, was zu tun war, und je weniger sie zusammen gesehen würden, um so besser. Er hatte Kopfschmerzen von der Hitze und wollte nur allein sein und in Ruhe gelassen werden. Er ging in seinen Bau zurück und schlief ein.

38. Das Gewitter bricht los


Nun tobe, Wind! schwill, Woge! schwimme, Nachen!

Der Sturm ist wach und alles auf dem Spiel!

Shakespeare Julius Caesar


Am Spätnachmittag wurde es dunkel und sehr schwül. Es war klar, daß es keinen richtigen Sonnenuntergang geben würde. Auf dem grünen Pfad am Flußufer saß Hazel, voll Unruhe, als er versuchte, sich vorzustellen, was sich in Efrafa ereignete.

»Er sagte dir, du solltest die Posten angreifen, während die Kaninchen fressen, nicht wahr?« sagte er zu Kehaar. »Und daß er die Mütter bei dem ganzen Wirrwarr herausbringen würde?«

»Ya, das er sagen, aber nicht passiert. Dann er sagte, geh fort, komm wieder heut' Abend.«

»Er will es also immer noch tun. Die Frage ist: Wann werden sie fressen? Es wird schon dunkel. Silver, was glaubst du?«

»Soweit ich sie kenne, werden sie nichts an dem ändern, was sie normalerweise tun«, sagte Silver. »Aber wenn du dir Sorgen machst, daß wir nicht zur Zeit da sein werden, warum gehen wir dann nicht gleich?«

»Weil sie immer patrouillieren. Je länger wir da oben warten müssen, desto größer ist das Risiko. Wenn eine Patrouille uns findet, ehe Bigwig kommt, wird es nicht bloß eine Frage des Entwischens sein. Sie werden merken, daß wir zu einem bestimmten Zweck da sind, und werden Alarm schlagen - und das wird das Ende aller seiner Chancen sein.«

»Hör zu, Hazel-rah«, sagte Blackberry. »Wir sollten den Eisenweg zur gleichen Zeit mit Bigwig erreichen und keinen Augenblick früher. Warum führst du sie nicht alle jetzt über den Fluß und wartest im Unterholz in der Nähe des Bootes? Wenn Kehaar die Posten angegriffen hat, kann er zurückfliegen und es uns melden.«

»Ja, das ist richtig«, antwortete Hazel. »Aber wenn er es uns gemeldet hat, müssen wir unverzüglich da hinaufgehen. Bigwig wird uns ebenso brauchen wie Kehaar.«

»Nun, du wirst mit deinem Bein nicht fähig sein, zum Bogen zu spurten«, sagte Fiver. »Das Beste, was du tun kannst, ist, aufs Boot zu gehen und das Tau halb durchzukauen, bis wir zurückkommen. Silver kann sich um den Kampf kümmern, wenn es einen gibt.«

Hazel zögerte. »Aber einige von uns werden wahrscheinlich verwundet werden. Ich kann nicht zurückbleiben.«

»Fiver hat recht«, sagte Blackberry. »Du wirst auf dem Boot warten müssen, Hazel. Wir können nicht riskieren, daß du zurückbleibst und von den Efrafas aufgelesen wirst. Außerdem ist es sehr wichtig, daß das Tau halb durchgekaut wird - das ist eine Aufgabe für jemanden mit Verstand. Es darf nicht zu früh reißen, sonst sind wir alle erledigt.«

Sie brauchten eine Weile, um Hazel zu überreden. Und als er schließlich zustimmte, geschah es nur zögernd.

»Wenn Bigwig heute Abend nicht kommt«, sagte er, »werde ich losgehen und ihn finden, wo immer er sein mag. Frith allein weiß, was schon passiert ist.«

Als sie am linken Ufer entlang aufbrachen, begann der Wind in ungleichmäßigen warmen Stößen und mit einem Rauschen durch das Riedgras zu wehen. Sie hatten gerade die Bohlenbrücke erreicht, als ein Donner heranrollte. In dem starken seltsamen Licht schienen die Pflanzen und Blätter größer und die Felder jenseits des Flusses sehr nah. Es herrschte bedrückende Stille.

»Weißt du, Hazel-rah«, sagte Bluebell, »das ist wirklich der komischste Abend, an dem ich je nach einem Weibchen Ausschau gehalten habe.«

»Er wird bald noch viel komischer werden«, sagte Silver. »Es wird Blitze geben und strömenden Regen. Um Himmels willen, geratet nicht in Panik, oder wir werden unser Gehege nie mehr Wiedersehen. Ich glaube, das wird eine böse Sache werden«, fügte er, zu Hazel gewandt, leise hinzu. »Mir gefällt es gar nicht.«

Bigwig erwachte, als er seinen Namen mehrmals dringend rufen hörte.

»Thlayli! Thlayli! Wach auf! Thlayli!«

Es war Hyzenthlay.

»Was ist?« fragte er. »Was ist los?«

»Nelthilta ist verhaftet worden.«

Bigwig sprang auf.

»Wann? Wie ist es passiert?«

»Gerade eben. Moneywort kam in unseren Bau hinunter und befahl ihr, sofort zu Hauptmann Chervil hinaufzukommen. Ich folgte ihnen den Lauf hinauf. Als sie Chervils Bau erreichte, warteten zwei Ratspolizisten draußen, und einer sagte zu Chervil: >So schnell, wie du kannst, und verspäte dich nicht.< Und dann führten sie sie direkt ab. Sie müssen zum Rat gegangen sein. O Thlayli, was sollen wir tun? Sie wird ihnen alles erzählen -«

»Hör zu«, sagte Bigwig. »Wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Geh und hol Thethuthinnang und die anderen und bring sie hierher. Ich werde nicht dasein, aber ihr müßt ruhig warten, bis ich zurückkomme. Ich werde nicht lange weg sein. Schnell jetzt! Alles hängt davon ab.«

Kaum war Hyzenthlay durch den Lauf verschwunden, als Bigwig hörte, wie sich ein anderes Kaninchen aus der entgegengesetzten Richtung näherte.

»Wer ist da?« fragte er, sich schnell umwendend.

»Chervil«, antwortete der andere. »Ich bin froh, daß du wach bist. Hör zu, Thlayli, es wird eine Menge Ärger geben. Nelthilta ist vom Rat verhaftet worden. Ich war meiner Sache sicher, nach meinem Bericht an Vervain heute morgen. Wovon sie geredet hat, werden sie schon aus ihr herauskriegen. Ich glaube, der General wird selbst kommen, sobald er weiß, um was es sich handelt. Jetzt paß auf, ich muß sofort in den Ratsbau hinüber. Du und Avens, ihr bleibt hier und stellt sofort die Posten auf. Silflay fällt aus, und niemand geht hinaus, gleichgültig, aus welchem Grund. Alle Löcher erhalten doppelte Wachen. Du hast kapiert, nicht wahr?«

»Hast du es Avens erzählt?«

»Ich habe keine Zeit, nach Avens zu suchen; er ist nicht in seinem Bau. Geh und alarmiere die Posten selbst. Jemand soll Avens suchen und jemand anders Bartsia sagen, daß Blackavar heute Abend nicht gebraucht wird. Dann besetze die Löcher - auch die hraka-Löcher mit jedem Posten, den du finden kannst. Möglicherweise besteht ein Komplott für einen Ausbruch. Wir haben Nelthilta so unauffällig wie möglich verhaftet, aber das Kennzeichen wird natürlich merken, was passiert ist. Wenn nötig, mußt du scharf durchgreifen, verstehst du? Ich verschwinde jetzt.«

»In Ordnung«, sagte Bigwig. »Ich mache mich gleich an die Arbeit.« Er folgte Chervil durch den Lauf nach oben. Der Posten am Loch war Marjoram. Als er beiseite trat, um Chervil passieren zu lassen, tauchte Bigwig auf und blickte zum bewölkten Himmel empor.

»Hat Chervil dir's gesagt?« fragte er »»Silflay ist heute Abend wegen des Wetters früher. Der Befehl lautet, daß wir sofort damit anfangen.« Er wartete auf Marjorams Erwiderung. Wenn Chervil ihm schon gesagt hatte, daß niemand hinausgehen durfte, würde er gegen ihn kämpfen müssen. Aber nach einem Augenblick sagte Marjoram: »Hast du schon Donner gehört?«

»Fang sofort damit an, sagte ich«, antwortete Bigwig. »Geh hinunter und bringe Blackavar und die Eskorte herauf, und ein bißchen dalli. Wir müssen das Kennzeichen sofort hinauskriegen, wenn sie fressen sollen, ehe der Sturm losbricht.«

Marjoram ging, und Bigwig eilte in seinen eigenen Bau zurück. Hyzenthlay hatte keine Zeit verloren. Drei oder vier Weibchen waren im Bau zusammengepfercht, und in der Nähe, in einem Seitenlauf, hockte Thethuthinnang mit noch einigen anderen. Alle waren still und fürchteten sich, und eines oder zwei waren dicht davor, vor Schrecken wie betäubt zu sein.

»Es ist jetzt nicht die Zeit, tharn zu werden«, sagte Bigwig. »Euer Leben hängt davon ab, daß ihr tut, was ich sage. Hört jetzt zu. Blackavar und die Polizeiposten werden sofort oben sein. Marjoram wird wahrscheinlich hinter ihnen heraufkommen, und ihr müßt einen Vorwand finden, ihn mit Geschwätz aufzuhalten. Bald danach werdet ihr Kampfgetümmel hören, weil ich die Polizeiposten angreifen werde. Wenn ihr das hört, kommt so schnell, wie ihr könnt, herauf und folgt mir ins Feld hinaus. Laßt euch durch nichts aufhalten!«

Als er geendet hatte, vernahm er das unverkennbare Geräusch von Blackavar und seinen Posten; Blackavars müder, schleppender Gang war mit nichts anderem vergleichbar. Ohne auf eine Erwiderung der Weibchen zu warten, kehrte er zur Mündung des Laufes zurück. Die drei Kaninchen kamen im Gänsemarsch herauf; Bartsia führte.

»Ich fürchte, ich habe euch für nichts und wieder nichts hier heraufgeholt«, sagte Bigwig. »Mir wurde soeben gesagt, daß silflay für heute Abend gestrichen ist. Schaut hinaus, und ihr werdet selbst sehen, weshalb.«

Als Bartsia aus dem Loch blickte, schlüpfte Bigwig schnell zwischen ihn und Blackavar.

»Nun, es sieht wirklich sehr stürmisch aus«, sagte Bartsia, »aber ich hätte nicht gedacht -«

»Jetzt, Blackavar!« rief Bigwig und sprang Bartsia von hinten an.

Bartsia fiel nach vorn aus dem Loch und Bigwig auf ihn. Er war nicht umsonst Mitglied der Owslafa und als guter Kämpfer bekannt. Als sie über den Boden rollten, drehte er den Kopf herum und bohrte seine Zähne in Bigwigs Schulter. Er war trainiert worden, sofort zuzupacken und unter allen Umständen festzuhalten. Mehr als einmal hatte ihm dies in der Vergangenheit geholfen. Aber im Kampf gegen ein Kaninchen von Bigwigs Kraft und Mut erwies sich das als ein Fehler. Seine beste Chance wäre es gewesen, Abstand zu halten und seine Klauen zu gebrauchen. Er hielt fest wie ein Hund, und Bigwig stieß knurrend seine beiden Hinterläufe vor, bohrte die Pfoten in Bartsias Seite und zwang sich dann, den Schmerz in seiner Schulter nicht beachtend, nach oben. Er fühlte, wie sich Bartsias geschlossene Zähne aus seinem Fleisch herausrissen, und dann stand er über ihm, als er auf den Boden zurückfiel, hilflos mit den Hinterläufen ausschlagend. Bigwig sprang von ihm herunter. Es war klar, daß Bartsia an der Keule verletzt war. Er strampelte, konnte aber nicht aufstehen.

»Du kannst noch von Glück sagen«, zischte Bigwig, blutend und fluchend, »daß ich dich nicht umbringe.«

Ohne zu warten, was Bartsia tun würde, sprang er in das Loch zurück. Er sah, daß Blackavar mit dem anderen Posten rang. Gleich hinter ihnen kam Hyzenthlay mit Thethuthinnang an. Bigwig gab dem Posten einen kräftigen Knuff gegen den Kopf, der ihn quer durch den Lauf und in die Nische des Gefangenen beförderte. Er rappelte sich auf und starrte Bigwig wortlos an.

»Beweg dich nicht«, sagte Bigwig. »Es wird dir schlimm ergehen, wenn du dich bewegst. Blackavar, bist du in Ordnung?«

»Ja, Sir«, sagte Blackavar, »aber was tun wir jetzt?«

»Folgt mir«, sagte Bigwig, »alle! Los!«

Er lief voraus nach draußen. Von Bartsia war keine Spur zu sehen, aber als er zurückblickte, um sicherzugehen, daß die anderen folgten, erhaschte er einen flüchtigen Blick des erstaunten Gesichts von Avens, der aus dem anderen Loch herausguckte.

»Hauptmann Chervil will dich sprechen!« rief er und schoß davon ins Feld.

Als er den Distelhaufen erreichte, wo er an jenem Morgen mit Kehaar gesprochen hatte, erklang langes Donnerrollen aus dem Tal dahinter. Ein paar große warme Regentropfen fielen. Am westlichen Horizont bildeten die tiefhängenden Wolken eine einzige purpurfarbene Masse, gegen die sich ferne Bäume deutlich und scharf abhoben. Die oberen Ränder ragten ins Licht, ein fernes Land phantastischer Berge. Kupferfarben, gewichts- und bewegungslos, vermittelten sie den Eindruck von glasiger Zerbrechlichkeit wie bei starkem Frost. Bestimmt würden sie, wenn der Donner sie wieder traf, vibrieren, zittern und zerbrechen, bis warme Scherben, scharf wie Eiszapfen, aus den Ruinen herunterfielen. Durch das ockergelbe Licht rasend, wurde Bigwig von Spannung und Energie wie wahnsinnig vorangetrieben. Er spürte die Wunde in seiner Schulter nicht. Er war der Sturm. Der Sturm würde Efrafa besiegen.

Er befand sich weit draußen in dem großen Feld und hielt Ausschau nach dem fernen Bogen, als er auf dem Boden die ersten dumpfen Alarmsignale spürte. Er hielt an und blickte sich um. Es schien keine Nachzügler zu geben. Die Weibchen - wie viele es immer sein mochten - waren dicht bei ihm, aber auf beide Seiten verteilt. Kaninchen auf der Flucht neigen dazu, Abstand voneinander zu halten, und die Weibchen hatten sich verteilt, als sie das Loch verließen. Wenn eine Patrouille zwischen ihm und dem Eisenweg war, würden sie nicht ohne Verlust an ihr vorbeikommen, außer sie schlossen sich dichter zusammen. Er würde sie trotz der Verzögerung sammeln müssen. Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Wenn sie außer Sicht gelangen könnten, würden ihre Verfolger in Verlegenheit geraten; denn der Regen und das schwindende Licht würden das Spurenlesen erschweren.

Der Regen fiel jetzt schneller, und der Wind schwoll an. Auf der Abendseite drüben lief eine Hecke am Feld zum Eisenweg hinunter. Er sah Blackavar in der Nähe und rannte zu ihm hinüber.

»Ich möchte, daß alle auf die andere Seite dieser Hecke gehen«, sagte er. »Kannst du dir einige von ihnen schnappen und hier hinüberbringen?«

Bigwig erinnerte sich, daß Blackavar nichts wußte, außer daß sie auf der Flucht waren. Es blieb keine Zeit, über Hazel und den Fluß Erklärungen abzugeben.

»Geh sofort zu dieser Esche in der Hecke«, sagte er, »und nimm alle Weibchen, die du unterwegs auflesen kannst, mit. Geh zur anderen Seite hinüber und ich werde zur selben Zeit wie du dasein.«

In diesem Augenblick rannten Hyzenthlay und Thethuthinnang auf sie zu, und zwei oder drei andere Weibchen folgten ihnen. Sie waren ganz offensichtlich verwirrt und unsicher.

»Das Stampfen, Thlayli!« keuchte Thethuthinnang. »Sie kommen!«

»Na, dann rennt«, sagte Bigwig. »Haltet euch alle in meiner Nähe.«

Sie waren bessere Läufer, als er zu hoffen gewagt hatte. Als sie auf die Esche zurannten, schlossen sich ihnen noch mehr Weibchen an, und es schien, daß sie es jetzt mit einer Patrouille aufnehmen könnten, es sei denn, sie wäre besonders stark. Als er die Hecke durchquert hatte, wandte er sich nach Süden und führte sie, der Hecke folgend, den Abhang hinunter. Da, vor ihm, war der Bogen in der überwucherten Böschung. Aber würde Hazel dasein? Und wo war Kehaar?

»Nun, und was sollte danach geschehen, Nelthilta?« fragte General Woundwort. »Vergiß nicht, uns alles zu erzählen, weil wir schon eine Menge wissen. Laß sie in Ruhe, Vervain«, fügte er hinzu. »Sie kann nicht reden, wenn du sie dauernd knuffst, du Dummkopf.«

»Hyzenthlay sagte - oh! oh! - sie sagte, ein großer Vogel werde die Owsla-Posten angreifen«, keuchte Nelthilta,»und wir würden in der Verwirrung davonlaufen. Und dann -«

»Sie sagte, ein Vogel werde die Posten angreifen?« unterbrach Woundwort verdutzt. »Sagst du die Wahrheit? Was für ein Vogel?«

»Ich weiß - ich weiß es nicht«, keuchte Nelthilta. »Der neue Offizier - sie sagte, er habe dem Vogel gesagt -«

»Was weißt du über einen Vogel?« wandte Woundwort sich an Chervil.

»Ich habe es gemeldet, Sir«, erwiderte Chervil. »Vergeßt bitte nicht, Sir, daß ich den Vogel meldete -«

Draußen vor dem überfüllten Ratsbau hörte man ein Schlurfen, und herein kam Avens.

»Der neue Offizier, Sir!« rief er. »Er ist fort! Hat eine Menge Kennzeichen-Weibchen mitgenommen. Sprang Bartsia an und brach ihm ein Bein, Sir! Blackavar hat sich losgerissen und ist auch fortgerannt. Wir hatten keine Möglichkeit, sie zu stoppen. Weiß der Himmel, wie viele sich ihm angeschlossen haben. Thlayli - das hat Thlayli getan!«

»Thlayli?« rief Woundwort. »Großer Frith, ich blende ihn, wenn ich ihn erwische! Chervil, Vervain, Avens - ja, und ihr beide auch - kommt mit. Welche Richtung hat er eingeschlagen?«

»Er lief den Abhang hinunter, Sir«, antwortete Avens.

»Zeig uns den Weg, den du ihn nehmen sahst«, sagte Woundwort.

Als sie aus dem Crixa herauskamen, waren zwei oder drei der Efrafa-Offiziere im trüben Licht und im zunehmenden Regen auf Kontrollgang. Aber der Anblick des Generals war weitaus alarmierender. Sie verhielten nur, um den FluchtAlarm zu stampfen, und brachen dann hinter ihm in Richtung Eisenweg auf.

Sehr bald stießen sie auf Blutspuren, die der Regen noch nicht weggewaschen hatte, und diesen folgten sie zur Esche in der Hecke westlich des Geheges.

Bigwig kam auf der anderen Seite des Eisenbahnbogens heraus, setzte sich auf und blickte sich um. Kein Anzeichen von Hazel oder Kehaar.

Zum erstenmal, seit er Bartsia angegriffen hatte, fühlte er sich unsicher und besorgt. Vielleicht hatte Kehaar seine rätselhafte Sprache an jenem Morgen nicht verstanden? Oder hatte eine Katastrophe Hazel und die übrigen ereilt? Wenn sie tot waren - zerstreut -, wenn niemand mehr lebte, um zu ihm zu stoßen? Er und seine Weibchen würden in den Wiesen umherirren, bis die Patrouillen sie zur Strecke brächten.

»Nein, dazu wird es nicht kommen«, sagte Bigwig zu sich selbst. »Schlimmstenfalls können wir den Fluß überqueren und uns in der Waldung verstecken. Hol diese Schulter der Teufel! Sie wird lästiger, als ich dachte. Nun, ich werde versuchen, sie alle wenigstens zur Bohlenbrücke hinunterzukriegen. Wenn wir nicht bald eingeholt werden, wird der Regen vielleicht diejenigen entmutigen, die hinter uns her sind; aber ich bezweifle es.«

Er drehte sich zu den unter dem Bogen wartenden Weibchen um. Die meisten sahen bestürzt aus. Hyzenthlay hatte versprochen, daß sie von einem großen Vogel geschützt werden würden und daß der neue Offizier eine geheime List anwenden würde, um der Verfolgung zu entgehen - eine List, die selbst den General besiegen könnte. Das war nicht eingetroffen. Sie waren völlig durchnäßt. Rinnsale flossen von der bergauf führenden Seite unter dem Bogen hindurch, und die kahle Erde verwandelte sich allmählich in Schlamm. Vor ihnen war nichts zu sehen als ein Pfad, der durch die Nesseln in ein anderes breites und leeres Feld führte.

»Los«, sagte Bigwig. »Es ist jetzt nicht mehr weit, und wir werden dann alle in Sicherheit sein. Hier entlang.«

Alle Kaninchen gehorchten ihm sofort. Es war schon etwas dran an der Efrafa-Disziplin, dachte Bigwig grimmig, als sie den Bogen verließen und von der vollen Wucht des Regens getroffen wurden.

An einer Seite des Feldes, neben den Ulmen, hatten FarmTraktoren einen breiten, flachen Pfad den Hügel hinunter auf die Wasserwiese zu gewalzt - genau jenen Pfad, den er vor drei Nächten hinaufgerannt war, nachdem er Hazel am Boot zurückgelassen hatte. Auch er wurde schlammig und erschwerte das Vorwärtskommen der Kaninchen, aber wenigstens führte er direkt zum Fluß und war offen genug, so daß Kehaar sie erspähen könnte, wenn er erscheinen sollte.

Er lief gerade wieder los, als ein Kaninchen ihn überholte.

»Halt, Thlayli! Was tut ihr hier? Wohin lauft ihr?«

Bigwig hatte Campions Auftauchen halb erwartet und war entschlossen, ihn, wenn nötig, zu töten. Jetzt aber, als er ihn tatsächlich an seiner Seite sah, wie er Sturm und Schlamm außer acht ließ und einzig von der Aufgabe besessen schien, seine Patrouille, die nicht mehr als vier Kaninchen stark war, mitten in eine Bande verzweifelter Ausreißer zu führen, konnte er nur bedauern, daß sie beide Feinde sein sollten; wie gerne hätte er Campion aus Efrafa mit sich genommen.

»Verschwinde«, sagte er. »Versuche nicht, uns aufzuhalten, Campion. Ich möchte dich nicht verwunden.«

Er blickte zur anderen Seite hinüber. »Blackavar, hole die Weibchen ganz dicht zusammen. Wenn es Nachzügler gibt, wird die Patrouille sie sich vorknöpfen.«

»Es wäre besser für dich, nachzugeben«, sagte Campion, der weiterhin neben ihm herrannte. »Ich werde dich nicht aus den Augen lassen, wo immer du hingehst. Es ist eine FluchtPatrouille unterwegs - ich hörte das Signal. Wenn sie hierherkommen, hast du keine Chance mehr. Du blutest im Augenblick stark.«

»Hol dich der Teufel!« rief Bigwig, nach ihm schlagend. »Du wirst auch bluten, ehe ich mit dir fertig bin.«

»Kann ich mit ihm kämpfen, Sir?« fragte Blackavar. »Er wird mich nicht ein zweites Mal besiegen.«


»Nein«, antwortete Bigwig, »er versucht nur, uns hinzuhalten. Renne weiter.«

»Thlayli!« rief Thethuthinnang plötzlich von hinten. »Der General! Der General! Oh, was sollen wir tun?«

Bigwig blickte zurück. Es war tatsächlich ein Anblick, um Schrecken in das mutigste Herz zu pflanzen. Woundwort war vor seinen Anhängern durch den Bogen gekommen und rannte allein auf sie zu, vor Wut knurrend. Hinter ihm kam die Patrouille. Mit einem schnellen Blick erkannte Bigwig Chervil, Avens und Groundsel. Bei ihnen waren noch mehrere andere, einschließlich eines schweren, wild aussehenden Kaninchens, das er für Vervain, den Chef der Ratspolizei, hielt. Es kam ihm in den Sinn, daß, wenn er fliehen würde, sofort und allein, sie ihn wahrscheinlich laufenlassen würden und froh wären, ihn so leicht losgeworden zu sein. Auf jeden Fall war die Alternative, getötet zu werden. In diesem Augenblick sprach Blackavar.

»Nehmt es nicht zu schwer, Sir«, sagte er. »Ihr habt Euer Bestes getan, und es ist Euch beinahe gelungen. Wir werden sogar einen oder zwei von ihnen töten können, ehe es vorbei ist. Einige dieser Weibchen können gut kämpfen, wenn sie dazu gezwungen sind.«

Bigwig rieb seine Nase schnell an Blackavars verstümmeltem Ohr und setzte sich auf seine Keulen zurück, als Woundwort sie erreichte.

»Du dreckiges kleines Biest«, sagte Woundwort. »Wie ich höre, hast du einen der Ratspolizisten angegriffen und ihm den Lauf gebrochen. Wir werden auf der Stelle mit dir abrechnen. Es ist nicht nötig, dich nach Efrafa zurückzubringen.«

»Du verrückter Sklaventreiber«, antwortete Bigwig. »Das möchte ich mal sehen.«

»Gut«, sagte Woundwort, »das genügt. Wen haben wir? Vervain, Campion, haltet ihn nieder. Die übrigen fangen an, die Weibchen ins Gehege zurückzubringen. Den Gefangenen könnt ihr mir überlassen.«

»Frith sieht dich!« rief Bigwig. »Du verdienst nicht, ein Kaninchen genannt zu werden! Möge Frith dich und deine gemeine Owsla voller Tyrannen verfluchen!«

In diesem Augenblick fuhr die blendende Klaue eines Blitzes in voller Länge den Himmel herunter. Die Hecke und die fernen Bäume schienen im Glanz des Blitzes vorwärts zu springen. Gleich darauf folgte der Donner; ein hohes, reißendes Geräusch, als ob etwas Riesiges droben in Stücke zerfetzt würde, das sich verstärkte, um gewaltige Vernichtungsschläge auszuteilen. Dann stürzte der Regen wie ein Wasserfall herab. In wenigen Sekunden war der Boden mit Wasser bedeckt, und darüber bildete sich ein mehrere Zentimeter hoher Schleier aus Myriaden kleinster Spritzer. Betäubt von dem Schock, unfähig, sich zu bewegen, hockten die durchnäßten Kaninchen schlaff herum, vom Regen wie an den Boden genagelt.

In Bigwigs Innerem ertönte eine leise Stimme.

»Dein Sturm, Thlayli-rah. Nutze ihn.«

Keuchend rappelte er sich auf und stieß Blackavar mit der Pfote an.

»Los«, sagte er, »hol Hyzenthlay. Wir gehen.«

Er schüttelte den Kopf, versuchte, den Regen aus den Augen zu blinzeln. Dann war es auf einmal nicht mehr Blackavar, der vor ihm kauerte, sondern Woundwort, vollkommen verdreckt und durchnäßt, stierend und mit seinen großen Klauen im Schlamm kratzend.

»Ich bringe dich selbst um«, sagte Woundwort.

Seine langen Vorderzähne waren entblößt wie die Fänge einer Ratte. Furchterfüllt beobachtete Bigwig ihn. Er wußte, daß Woundwort, den Vorteil seines größeren Gewichts nutzend, zuspringen und versuchen würde, ihn zu erledigen. Er mußte seinerseits versuchen, ihm auszuweichen, und sich auf seine Klauen verlassen. Er tänzelte unruhig und fühlte, wie er im Schlamm ausrutschte. Warum sprang Woundwort nicht? Dann merkte er, daß Woundwort ihn nicht mehr ansah, sondern über seinen Kopf hinweg auf etwas hinter ihm starrte, etwas, das er selbst nicht sehen konnte.

Plötzlich sprang Woundwort zurück, und im selben Augenblick drang durch das alles einhüllende Geräusch des Regens ein heiseres Geschrei.

»Yark! Yark! Yark!«

Ein großes weißes Ding hackte auf Woundwort ein, der sich duckte und, so gut er konnte, seinen Kopf schützte. Dann war es verschwunden, segelte aufwärts und kehrte im Regen um.

»Miister Bigwig, die Kaninchen kommen!«

Visionen und Gefühle wirbelten in Bigwig durcheinander wie in einem Traum. Die Dinge, die passierten, schienen nur noch durch seine betäubten Sinne miteinander verbunden zu sein. Er hörte Kehaar kreischen, als er wieder herunterstieß, um Vervain anzugreifen. Er spürte den Regen kalt in die offene Wunde in seiner Schulter strömen. Durch den Regenvorhang erhaschte er einen Blick auf Woundwort, wie er sich zwischen seine Offiziere duckte und sie in den Graben am Rande des Feldes drängte. Er sah, wie Blackavar auf Campion einschlug und der sich umdrehte und davonrannte. Dann sagte jemand neben ihm: »Hallo, Bigwig, Bigwig! Was sollen wir tun?« Es war Silver.

»Wo ist Hazel?« fragte er.

»Wartet am Boot. He, du bist ja verwundet! Was -«

»Dann schaff diese Weibchen da hinunter«, sagte Bigwig.

Es herrschte ein einziges Chaos. Allein oder zu zweit wurden die Weibchen, die völlig durcheinander waren und sich kaum bewegen oder verstehen konnten, was ihnen gesagt wurde, aufgescheucht und stolpernd das Feld hinuntergeführt. Andere Kaninchen tauchten allmählich im Regen auf; Acorn, deutlich erschrocken, aber entschlossen, nicht davonzurennen; Dandelion, der Pipkin ermutigte; Speedwell und Hawkbit rannten auf Kehaar, das über dem Bodendunst einzig sichtbare Geschöpf, zu. Bigwig und Silver holten sie zusammen, so gut sie konnten, und gaben ihnen zu verstehen, daß sie helfen sollten, die Weibchen wegzubringen.

»Geht zu Blackberry zurück, geht zu Blackberry zurück«, wiederholte Silver immer wieder. »Ich habe drei unserer Kaninchen an verschiedenen Stellen zurückgelassen, um den Rückweg zu kennzeichnen«, erklärte er Bigwig. »Blackberry kommt zuerst, dann Bluebell, dann Fiver - er ist ziemlich nahe am Fluß.«

»Und da ist Blackberry«, sagte Bigwig.

»Du hast es also geschafft, Bigwig«, sagte Blackberry fröstelnd. »War es sehr schlimm? Meine Güte, deine Schulter-«

»Es ist noch nicht zu Ende«, sagte Bigwig. »Sind alle an dir vorbeigegangen?«

»Du bist der letzte«, sagte Blackberry. »Können wir aufbrechen? Dieser Sturm macht mir angst!«

Kehaar ließ sich neben ihnen nieder.

»Miister Bigwig«, sagte er. »Ich fliegen auf diese verdammten Kaninchen, aber die nicht rennen, die gehen in Graben. Dort ich sie nicht kriegen. Sie kommen alle entlang euch.«

»Sie werden nie aufgeben«, sagte Bigwig. »Ich sage dir, Silver, sie werden uns überfallen, ehe wir es geschafft haben. Die Wasserwiese bietet dichte Deckung, die werden sie benutzen. Acorn, komm zurück, halt dich von diesem Graben fern!«

»Geht zu Bluebell zurück! Geht zu Bluebell zurück!« wiederholte Silver, von einer Seite zur anderen rennend.

Sie stießen auf Bluebell an der Hecke unten im Feld. Er war schreckerfüllt und bereit, davonzulaufen.

»Silver«, sagte er, »ich habe einen Haufen Kaninchen -Fremde, Efrafas, schätze ich - aus dem Graben dort drüben kommen und in die Wasserwiese hinüberschlüpfen sehen. Sie sind jetzt hinter uns. Eines von ihnen war das größte Kaninchen, das ich je gesehen habe.«

»Dann bleib nicht hier«, sagte Silver. »Da vorn ist Speedwell. Und Acorn und zwei Weibchen. Das sind alle. Los, so schnell ihr könnt!«

Es war jetzt nur noch eine kurze Entfernung zum Fluß, aber zwischen den vollgesogenen Binsenflecken, den Büschen, dem Riedgras und den tiefen Pfützen war es ihnen nahezu unmöglich, ihre Richtung zu finden. Sie erwarteten, jeden Augenblick angegriffen zu werden, wurden verstreut und tappten mühsam durch das Unterholz, fanden hier ein Weibchen und da eines ihrer eigenen Kaninchen und drängten sie vorwärts. Ohne Kehaar hätten sie bestimmt jeden Kontakt miteinander verloren und hätten vielleicht den Fluß nie erreicht. Die Möwe flog dauernd den direkten Weg zu der Böschung vor und zurück und ließ sich nur dann und wann nieder, um Bigwig zu einem zurückgebliebenen Weibchen zu führen, das er auf einem falschen Weg erspäht hatte.

»Kehaar«, sagte Bigwig, als sie darauf warteten, daß Thethuthinnang sich auf einem halb abgeflachten Haufen Nesseln zu ihnen heraufstrampelte, »hältst du mal Ausschau, ob du die Efrafas erspähen kannst? Sie können nicht weit sein. Warum haben die uns nicht angegriffen? Wir sind alle so verstreut, daß sie uns leicht viel Schaden zufügen könnten. Ich frage mich, was sie vorhaben.«

Kehaar war in kürzester Zeit wieder zurück.

»Die verstecken sich bei Brücke«, sagte er, »alle unter Büschen. Ich kommen herunter, dieser große Bursche, er wollen mit mir kämpfen.«

»Wirklich?« sagte Bigwig. »Das Scheusal hat Mut, das muß ich ihm lassen.«

»Sie glauben, ihr dort Fluß überqueren oder Böschung langgehen. Sie kennen nicht Boot. Du jetzt nahe Boot sein.«

Fiver kam durch das Unterholz gerannt.

»Wir haben einige ins Boot verfrachten können, Bigwig«, sagte er, »aber die meisten wollen mir nicht trauen. Sie fragen immer wieder, wo du bist.«

Bigwig rannte hinter ihm her und kam auf dem grünen Pfad neben der Böschung heraus. Die Oberfläche des Flusses flimmerte und blubberte im Regen. Der Wasserspiegel schien sich nicht allzusehr gehoben zu haben. Das Boot lag noch genauso da, wie er es in seiner Erinnerung hatte - ein Ende gegen die Böschung gedrückt, das andere ein bißchen draußen im Wasser. Auf dem erhöhten Teil der Böschung hockte Hazel mit herunterhängenden Ohren und regendunklem, angeklatschtem Fell. Er hielt das straffe Seil zwischen seinen Zähnen. Acorn, Hyzenthlay und noch zwei andere hockten neben ihm auf dem Holz, aber die übrigen drängten sich da und dort auf der Böschung zusammen. Blackberry versuchte ohne Erfolg, sie zu überreden, ins Boot zu springen.

»Hazel fürchtet sich, das Seil loszulassen«, sagte er zu Bigwig. »Offenbar hat er es schon sehr dünn gebissen. Alles, was diese Weibchen von sich geben, ist, daß du ihr Offizier bist.«

Bigwig wandte sich an Thethuthinnang.

»Das ist jetzt der Zaubertrick«, sagte er. »Bring sie da hinüber, wo Hyzenthlay sitzt, verstehst du? Alle - schnell.«

Ehe sie antworten konnte, kreischte ein anderes Weibchen vor Furcht auf. Ein Stück flußabwärts waren Campion und seine Patrouille aus den Büschen aufgetaucht und kamen den Pfad herauf. Aus der entgegengesetzten Richtung näherten sich Vervain, Chervil und Groundsel. Das Weibchen machte kehrt und sprang auf das Unterholz unmittelbar hinter ihm zu. Gerade als sie es erreichte, tauchte Woundwort vor ihr auf, richtete sich auf und versetzte ihr einen heftigen Schlag ins Gesicht. Das Weibchen drehte sich wieder um und rannte blind über den Pfad und auf das Boot zu.

Bigwig wurde klar, daß seit dem Augenblick, als Kehaar ihn im Feld angegriffen hatte, Woundwort nicht nur die Befehlsgewalt über seine Offiziere behalten, sondern einen Plan entworfen und ihn in die Tat umgesetzt hatte. Der Sturm und das schwierige Vorwärtskommen hatten die Flüchtigen durcheinandergebracht und sie desorganisiert.

Woundwort dagegen hatte seine Kaninchen in den Graben geführt und ihn dann benutzt, um sie zu der Wasserwiese hinunterzubringen, ohne weiteren Angriffen von Kehaar ausgesetzt zu sein. Sowie er da war, mußte er stracks auf die Bohlenbrücke zugegangen sein - die er offensichtlich kannte - und einen Hinterhalt gelegt haben. Aber sobald er begriffen hatte, daß aus irgendeinem Grund die Flüchtigen nicht der Brücke zustrebten, hatte er sofort Campion befohlen, einen Bogen durch das Unterholz zu schlagen, die Böschung flußabwärts wiederzugewinnen und ihnen den Weg abzuschneiden, und Campion hatte dies fehlerlos und ohne Verzögerung getan. Jetzt beabsichtigte Woundwort, sie hier, auf der Böschung, zu bekämpfen. Er wußte, daß Kehaar nicht überall sein konnte und daß die Büsche und das Unterholz genügend Deckung boten, um ihm im Notfall auszuweichen. Zwar waren es auf der anderen Seite doppelt so viele, aber die meisten fürchteten sich vor ihm, und keiner war ein geschulter Efrafa-Offizier. Nachdem er sie einmal gegen den Fluß gedrängt hatte, würde er sie zersplittern und so viele wie möglich töten. Wer übrig blieb, mochte davonlaufen oder verunglücken.

Bigwig ging es auf, warum Woundworts Offiziere ihm folgten und für ihn in diesem Ausmaß kämpften.

»Er verhält sich ganz und gar nicht wie ein Kaninchen«, dachte er. »Flucht ist das letzte, woran er denkt. Wenn ich vor drei Nächten gewußt hätte, was ich jetzt weiß, glaube ich kaum, daß ich je nach Efrafa gegangen wäre. Hoffentlich hat er die Sache mit dem Boot nicht auch begriffen! Es würde mich nicht überraschen.« Er stürzte über das Gras und sprang auf die Planken neben Hazel.

Das Erscheinen Woundworts hatte bewirkt, was Blackberry und Fiver nicht zustande gebracht hatten. Alle Weibchen rannten von der Böschung ins Boot. Blackberry und Fiver rannten mit. Woundwort, der ihnen unmittelbar folgte, erreichte den Rand der Böschung und stand Bigwig Auge in Auge gegenüber. Während er ihm die Stirn bot, hörte Bigwig, wie Blackberry hinter ihm drängend auf Hazel einsprach.

»Dandelion fehlt noch«, sagte Blackberry. »Er ist der einzige.«

Hazel sprach zum ersten Mal. »Wir werden ihn zurücklassen müssen«, antwortete er. »Es ist eine Schande, aber diese Burschen werden uns im nächsten Augenblick überfallen, und wir können sie nicht aufhalten.«

Bigwig sprach, ohne die Augen von Woundwort zu wenden. »Nur noch ein paar Augenblicke, Hazel«, sagte er. »Ich werde sie abhalten. Wir können Dandelion nicht dalassen.«

Woundwort grinste höhnisch. »Ich habe dir vertraut, Thlayli«, sagte er. »Jetzt kannst du mir vertrauen. Du wirst entweder in den Fluß geworfen oder in Stücke gerissen - die ganze Bande von euch. Ihr habt keine Möglichkeit, zu fliehen.«

Bigwig hatte einen Blick auf Dandelion im gegenüberliegenden Unterholz erhascht. Er war eindeutig verloren.

»Groundsel! Vervain!« sagte Woundwort. »Kommt hierher neben mich. Wenn ich das Kommando gebe, greifen wir sofort an. Und was diesen Vogel betrifft, so ist er nicht gefährlich -«

»Da ist er!« rief Bigwig. Woundwort blickte schnell hoch und sprang zurück. Dandelion schoß aus den Büschen, überquerte den Pfad wie ein Blitz und war schon auf dem Boot neben Hazel. Im selben Augenblick riß das Seil, und sofort bewegte sich der kleine Kahn in der stetigen Strömung den Damm entlang. Als er einige Meter geschwommen war, schwenkte das Heck langsam nach außen, bis er sich mit der Breitseite in Stromrichtung befand. In dieser Lage trieb er in die Mitte des Flusses und um die südliche Biegung.

Als er zurückblickte, war das letzte, was Bigwig sah, das Gesicht von General Woundwort, der aus der Weidenlücke starrte, wo das Boot gelegen hatte. Es erinnerte ihn an den Turmfalken auf Watership Down, der in die Mündung des Loches gestoßen war und die Maus verfehlt hatte.

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