Erster Teil. Die Reise

1. Die Anschlagtafel


HOR: Warum wehklagst du so, wenn nicht bei einem Bild des Schreckens?

CASSANDRA: Das Haus dampft nach Tod und tropfendem Blut.

CHOR: Wieso? Es ist nur der Geruch nach dem Altaropfer.

CASSANDRA: Der Gestank ist wie Grabeshauch.

Äschylus Agamemnon


Die gelben Schlüsselblumen waren verblüht. Am Rande des Gehölzes, wo es sich weitete und gegen einen alten Zaun und einen dornigen Graben dahinter abfiel, zeigten sich nur noch ein paar verwelkende blaßgelbe Flecken zwischen dem Bingelkraut und den Eichenwurzeln. Der obere Teil des Feldes jenseits des Zaunes war voll von Kaninchenlöchern. An manchen Stellen war das Gras ganz verschwunden, und überall lagen Haufen trockenen Mistes, zwischen denen nichts als Jakobskreuzkraut wuchs. Hundert Meter entfernt, an der Sohle des Abhanges, floß der Bach, knapp einen Meter breit, halb erstickt durch Sumpfdotterblumen, Kresse und blauen Besenginster. Der Fahrweg überquerte einen Abzugsgraben aus Backstein und kletterte den gegenüberliegenden Hang zu einem mit fünf Querbalken versehenen Tor in der Dornenhecke empor. Das Tor führte auf den Heckenweg. Der Mai-Sonnenuntergang war wolkig-rot, und es war immer noch eine halbe Stunde bis zur Abenddämmerung. Der trockene Abhang war mit Kaninchen übersät - einige knabberten an dem spärlichen Gras nahe ihrem Loch, andere drängten weiter nach unten, um nach Löwenzahn oder vielleicht einer Schlüsselblume zu suchen, die die anderen übersehen hatten. Hier und da saß eines aufrecht auf einem Ameisenhaufen und sah sich um, die Ohren aufgerichtet und die Nase im Wind. Aber eine Amsel, die gelassen im Randgebiet des Gehölzes sang, bewies, daß es nichts Beunruhigendes gab, und in der anderen Richtung, am Bach, war alles gut zu übersehen, leer und ruhig. Im Gehege herrschte Frieden.

An der Böschung oben, nahe dem wilden Kirschbaum, wo die Amsel sang, befand sich eine kleine Ansammlung von Löchern, durch Brombeersträucher fast verdeckt. In dem grünen Halblicht am Eingang eines dieser Löcher saßen zwei Kaninchen Seite an Seite. Schließlich kam das größere von beiden heraus, schlüpfte im Schutz des Dornengestrüpps an der Böschung entlang und weiter in den Graben und hinauf in das Feld. Ein paar Augenblicke später folgte das andere.

Das erste Kaninchen verharrte auf einem sonnigen Fleck und kratzte sein Ohr mit schnellen Bewegungen seines Hinterbeins. Obgleich es ein Jährling und immer noch unter seinem vollen Gewicht war, hatte es nicht den gequälten Ausdruck der meisten »Outskirters« - das heißt, der großen Masse der gewöhnlichen Kaninchen im ersten Jahr, denen es entweder an adliger Herkunft oder an ungewöhnlicher Größe und Kraft mangelt und die deshalb von den Älteren schikaniert werden und so gut zu leben versuchen, wie sie eben können - oft im Freien, am Rande ihres Geheges. Es machte vielmehr den Eindruck, als ob es auch für sich selbst sorgen könnte. Es war etwas Schlaues, Heiteres an ihm, als es sich aufsetzte, um sich blickte und beide Vorderpfoten über die Nase rieb. Sobald es sich vergewissert hatte, daß alles in Ordnung war, legte es seine Ohren zurück und machte sich über das Gras her.

Seinem Gefährten war es weniger behaglich. Er war klein, mit großen starrenden Augen und einer Art, den Kopf zu heben und zu drehen, die nicht so sehr Vorsicht erkennen ließ als endlose nervöse Spannung. Seine Nase bewegte sich dauernd, und als eine Hummel summend zu einer Distelblüte hinter ihm flog, sprang er auf und fuhr mit einem Ruck herum, der zwei Kaninchen in der Nähe nach Löchern hasten ließ, ehe das nächste, ein Bock mit schwarzgetupften Ohren, ihn erkannte und zu seinem Futter zurückkehrte.

»Oh, es ist nur Fiver«, sagte das schwarzgetupfte Kaninchen, »springt wieder nach Brummern. Los, Buckthorn, was sagtest du gerade?«

»Fiver?« fragte das andere Kaninchen. »Warum wird er so genannt?«

»Fünf im Wurf, weißt du: Er war der letzte - und der kleinste. Man muß sich wundern, daß ihm bis jetzt nichts passiert ist. Ich sage immer, ein Mensch könnte ihn nicht sehen und ein Fuchs würde ihn nicht wollen. Trotzdem gebe ich zu, daß er imstande zu sein scheint, Gefahren aus dem Weg zu gehen.[1]«

Das kleine Kaninchen näherte sich seinem Gefährten, auf langen Hinterbeinen hoppelnd.

»Gehen wir ein bißchen weiter, Hazel«, sagte es. »Weißt du, es ist etwas Sonderbares an dem Gehege heute Abend, wenn ich auch nicht genau sagen kann, was es ist. Wollen wir zum Bach hinuntergehen?«

»Gut«, antwortete Hazel, »und du kannst eine Schlüsselblume für mich suchen. Wenn du keine findest, schafft es niemand.«

Er lief voran, den Abhang hinunter, sein Schatten fiel lang hinter ihm auf das Gras. Sie erreichten den Bach und begannen zu knabbern und dicht neben den Wagenspuren auf dem Pfad zu suchen.

Es dauerte nicht lange, bis Fiver fand, was sie suchten. Schlüsselblumen sind eine Delikatesse für Kaninchen, und in der Regel sind gegen Ende Mai in der Nachbarschaft selbst eines kleinen Geheges nur sehr wenige übrig. Dieses hatte nicht geblüht, und seine flach ausgebreiteten Blätter waren unter dem langen Gras fast gänzlich verborgen. Sie fingen gerade an zu knabbern, als zwei große Kaninchen von der anderen Seite der nahen Viehweide angerannt kamen.

»Schlüsselblumen?« sagte der eine. »Sehr schön - überlaßt sie uns. Los, beeilt euch«, fügte er hinzu, als Fiver zögerte. »Hast du mich verstanden, oder?«

»Fiver hat sie gefunden, Toadflax«, sagte Hazel.

»Und wir werden sie fressen«, erwiderte Toadflax. »Schlüsselblumen sind für Owsla[2] da - weißt du das nicht? Wenn du's noch nicht weißt, können wir's dir leicht beibringen.«

Fiver hatte sich schon abgewandt. Hazel holte ihn am Abzugsgraben ein.

»Ich habe das langsam satt«, sagte er. »Es ist immer dasselbe. >Das sind meine Klauen, also ist dies meine Schlüsselblume< >Das sind meine Zähne, also ist dies mein Bau.< Ich sage dir, wenn ich je in die Owsla hineinkomme, werde ich Outskirter mit einigem Anstand behandeln.«

»Nun, du kannst wenigstens damit rechnen, eines Tages in der Owsla zu sein«, antwortete Fiver. »Du setzt noch Gewicht an, und das ist mehr, als ich je haben werde.«

»Du nimmst doch nicht an, daß ich dich im Stich lassen werde, oder?« sagte Hazel. »Aber um dir die Wahrheit zu sagen, ich habe manchmal große Lust, mich aus diesem Bau vollständig zu verziehen. Na ja, lassen wir das jetzt, und versuchen wir, den Abend zu genießen. Weißt du, was -sollen wir über den Bach hinübergehen? Es werden weniger Kaninchen da sein, und wir können etwas Ruhe haben. Es sei denn, du fühlst, es ist nicht sicher«, fügte er hinzu.

Die Art, wie er fragte, deutete an, daß er tatsächlich meinte, Fiver wußte es besser als er selbst, und aus Fivers Erwiderung ging klar hervor, daß er derselben Ansicht war.

»Nein, es ist ziemlich sicher«, antwortete er. »Wenn ich das Gefühl habe, daß dort etwas Gefährliches ist, werde ich es dir sagen. Aber es ist nicht eigentlich Gefahr, die ich an dem Ort zu spüren glaube. Es ist, oh, ich weiß nicht - etwas Niederdrückendes, wie Donner: Ich kann nicht sagen, was, doch es macht mir Sorgen. Aber ich komme mit dir.«

Sie rannten über den Abzugsgraben. Das Gras neben dem Bach war naß und dicht; sie liefen den gegenüberliegenden Abhang hinauf und schauten sich nach trockenerem Grund um. Ein Teil des Abhanges lag im Schatten, denn die Sonne ging vor ihnen unter, und Hazel, der einen warmen, sonnigen Fleck suchte, ging weiter, bis sie dicht am Heckenweg waren. Als sie sich dem Tor näherten, blieb er stehen, starrte.

»Fiver, was ist das? Schau!«

Ein kleines Stück vor ihnen war der Boden frisch aufgewühlt worden. Zwei Haufen Erde lagen auf dem Gras. Schwere Pfosten, die nach Kreosot und Farbe rochen, ragten so hoch wie die Stechpalmenzweige in der Hecke empor, und das Brett, das sie trugen, warf einen langen Schatten über den oberen Teil des Feldes. Neben einem der Pfosten waren ein Hammer und ein paar Nägel zurückgelassen worden.

Die beiden Karnickel hopsten zum Brett hin, kauerten sich in einen Fleck Nesseln an der anderen Seite und rümpften die Nase über den Geruch eines Zigarettenstummels irgendwo im Gras. Plötzlich zitterte Fiver und duckte sich.

»O Hazel! Da kommt es her! Jetzt weiß ich's - etwas Schreckliches! Etwas Entsetzliches - das immer näher kommt.«

Er begann vor Furcht zu wimmern.

»Was denn - was meinst du eigentlich? Ich dachte, du sagtest, es gäbe keine Gefahr.«

»Ich weiß nicht, was es ist«, antwortete Fiver unglücklich. »Im Augenblick gibt es hier keine Gefahr, aber sie kommt -sie kommt. O Hazel, schau! Das Feld! Es ist bedeckt mit Blut!«

»Sei nicht blöd, es ist nur das Licht des Sonnenuntergangs. Fiver, komm schon, rede nicht so, du erschreckst mich!«

Fiver saß zitternd und weinend zwischen den Nesseln, als Hazel versuchte, ihn zu beruhigen und herauszufinden, was es sein konnte, das ihn so plötzlich außer sich geraten ließ. Wenn er sich fürchtete, warum rannte er dann nicht in Sicherheit wie jedes vernünftige Kaninchen? Aber Fiver konnte es nicht erklären und wurde nur immer unglücklicher. Schließlich sagte Hazel:

»Fiver, du kannst hier nicht sitzen und heulen. Auf jeden Fall wird es langsam dunkel. Wir gehen jetzt lieber zum Bau zurück.«

»Zum Bau zurück?« wimmerte Fiver. »Es wird auch dahin kommen - glaube ja nicht, daß es nicht kommt! Ich sage dir, das Feld ist voll von Blut -«

»Jetzt hör auf«, sagte Hazel bestimmt. »Laß mich mal ein Weilchen auf dich aufpassen. Was auch immer droht, wir müssen zurückkehren.«

Er rannte das Feld hinunter und über den Bach zur Viehweide. Hier gab es einen kleinen Aufenthalt, denn Fiver - überall von dem ruhigen Sommerabend umgeben - wurde hilflos und fast gelähmt vor Furcht. Als Hazel ihn schließlich bis zum Graben zurück hatte, weigerte er sich zuerst, unter die Erde zu schlüpfen, und Hazel mußte ihn buchstäblich in das Loch hinunterstoßen.

Die Sonne ging hinter dem gegenüberliegenden Abhang unter. Der Wind, vermischt mit einem gelegentlichen Regenschauer, wurde kälter, und in kaum einer Stunde war es dunkel. Alle Farbe war vom Himmel gewichen, und obgleich das große Brett am Tor leicht im Nachtwind knarrte (als ob es nachdrücklich betonen wollte, daß es nicht im Dunkel verschwunden, sondern dort war, wo man es hingestellt hatte), war da niemand, der vorbeiging, um die großen, kräftigen Buchstaben zu lesen, die wie schwarze Messer in seine weiße Oberfläche schnitten. Sie besagten:

AUF DIESEM IDEAL GELEGENEN SECHS ACKER UMFASSENDEN BAULAND ERRICHTEN SUTCH & MARTIN, LIMITED, NEWBURY, BERKS.

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2. Das Oberkaninchen


Der finstere Staatsmann, von Lasten und Leid beladen,

bewegte sich so langsam wie ein dichter Mitternachtsnebel.

Er verweilte nicht, noch ging er.

Henry Vaughan The World


In der Dunkelheit und Wärme des Baus wachte Hazel plötzlich auf, strampelte und kickte mit seinen Hinterläufen. Irgend etwas griff ihn an. Da war kein Geruch von Frettchen oder Wiesel. Kein Instinkt befahl ihm zu rennen. Sein Kopf wurde klar, und er merkte, daß er - Fiver ausgenommen -allein war. Es war Fiver, der über ihn hinwegkletterte, sich in ihn krallte und ihn packte wie ein Kaninchen, das in Panik einen Drahtzaun hochklettert.

»Fiver? Fiver, wach auf, du dummer Kerl! Ich bin's, Hazel. Du wirst mir noch weh tun. Wach auf!«

Er hielt ihn nieder. Fiver zappelte und wachte auf.

»O Hazel! Ich habe geträumt. Es war schrecklich. Du warst da. Wir saßen auf Wasser, schossen einen großen tiefen Bach hinunter, und dann merkte ich, daß wir auf einem Brett waren

- wie das Brett im Feld -, ganz weiß und bedeckt mit schwarzen Zeilen. Es waren noch andere Kaninchen da -Rammler und Weibchen. Aber als ich hinabblickte, sah ich, daß das Brett ganz aus Knochen und Draht gemacht war; und ich schrie, und du sagtest: >Schwimmt - schwimmt alle<; und dann sah ich überall nach dir und versuchte, dich aus einem Loch in der Böschung herauszuziehen. Ich fand dich, aber du sagtest: >Das Oberkaninchen muß allein gehen<, und du triebst fort, einen dunklen Wassertunnel hinunter.«

»Nun, auf jeden Fall hast du meinen Rippen weh getan. Wassertunnel, daß ich nicht lache! Was für ein Unsinn! Können wir jetzt weiterschlafen?«

»Hazel - die Gefahr, das Schlimme. Es ist nicht weg. Es ist hier - um uns herum. Sag mir nicht, wir sollten es vergessen und schlafen gehen. Wir müssen fort, ehe es zu spät ist.«

»Fort? Von hier, meinst du? Aus dem Bau?«

»Ja. Und zwar bald. Es spielt keine Rolle, wohin.«

»Nur du und ich?«

»Nein, alle.«

»Das ganze Gehege? Sei nicht töricht. Die werden nicht mitkommen. Sie werden sagen, du seist nicht bei Trost.«

»Dann werden sie hier sein, wenn das Schlimme hereinbricht. Du mußt mich anhören, Hazel. Glaube mir, etwas sehr Schlimmes steht uns dicht bevor, und wir sollten weggehen.«

»Nun, es wird wohl besser sein, das Oberkaninchen aufzusuchen, dann kannst du ihm von der Sache erzählen. Oder ich werde es versuchen. Aber ich glaube nicht, daß er von der Idee sehr angetan sein wird.«

Hazel ging voraus, den Lauf hinunter und wieder hoch auf das Brombeerdickicht zu. Einerseits wollte er Fiver nicht glauben, fürchtete sich aber andererseits davor, es nicht zu tun.

Es war kurz nach ni-Frith oder Mittag. Das ganze Kaninchengehege befand sich, meist schlafend, im Bau. Hazel und Fiver liefen eine kurze Strecke über der Erde und dann in ein weites, offenes Loch in einem Sandfleck und weiter hinunter, durch verschiedene Läufe, bis sie zehn Meter tief im Gehölz waren, zwischen den Wurzeln einer Eiche. Hier wurden sie von einem großen schweren Kaninchen angehalten

- einem der Owsla. Es hatte eine merkwürdige dichte Pelzwucherung auf dem Kopf, was ihm ein seltsames Aussehen gab, als trüge es eine Art Mütze. Dies hatte ihm seinen Namen gegeben, Thlayli, was wörtlich »Pelzkopf« oder Bigwig bedeutete.

»Hazel?« sagte Bigwig, im Zwielicht unter den Baumwurzeln an ihm schnüffelnd. »Es ist doch Hazel, nicht wahr? Was tust du hier - um diese Tageszeit?« Er übersah Fiver, der weiter unten am Lauf wartete.

»Wir wollen das Oberkaninchen sprechen«, sagte Hazel. »Es ist wichtig, Bigwig. Kannst du uns helfen?«

»Wir?« sagte Bigwig. »Will er ihn auch sehen?«

»Ja, er muß. Bitte, vertrau mir, Bigwig, ich pflege sonst nicht herzukommen und so mit dir zu reden, nicht wahr? Wann habe ich je darum gebeten, das Oberkaninchen zu sehen?«

»Nun, ich werde es für dich tun, Hazel, obgleich man mir wahrscheinlich den Kopf abreißen wird. Ich werde ihm sagen, ich wüßte, daß du ein vernünftiger Bursche seist. Das müßte er eigentlich selbst wissen, aber er wird alt. Warte hier, bitte.«

Bigwig ging etwas tiefer in den Lauf hinein und hielt vor dem Eingang zu einem großen Bau inne. Nachdem er ein paar Worte gesagt hatte, die Hazel nicht verstehen konnte, wurde er offensichtlich hineingerufen. Die beiden Kaninchen warteten in einem Schweigen, das nur von dem nervösen Zappeln Fivers unterbrochen wurde.

Der Name und Titel des Oberkaninchens lautete Threarah, was »Lord Eberesche« bedeutete. Aus irgendeinem Grund wurde er immer als »Der Threarah« bezeichnet - vielleicht, weil es zufällig nur eine Threar oder Eberesche, von der er seinen Namen ableitete, nahe dem Gehege gab. Er hatte seine Stellung nicht nur aufgrund seiner Stärke in der Blüte seiner Jahre erworben, sondern auch durch Nüchternheit und eine gewisse unabhängige Unvoreingenommenheit, die ganz anders als das impulsive Verhalten der meisten Kaninchen war. Es war überall bekannt, daß er sich nie über Gerüchte oder über eine Gefahr aufregte. Er war kühl - einige sagten sogar kalt -standhaft geblieben während des schrecklichen Ansturms des Myxödems - einer schwammigen Hautanschwellung -, den er rücksichtslos bekämpft hatte, indem er jedes Kaninchen, das davon befallen schien, vertrieben hatte. Er hatte jedem Gedanken an Massenemigration widerstanden und vollständige Isolation im Gehege erzwungen und es dadurch beinahe sicher vor der Vernichtung bewahrt. Er war es auch, der sich einmal mit einem besonders ärgerlichen Wiesel befaßt hatte, indem er es unter die Fasanenpferche und so (unter Lebensgefahr) vor das Gewehr eines Aufsehers lockte. Er wurde jetzt, wie Bigwig sagte, langsam alt, aber sein Geist war immer noch klar. Als Hazel und Fiver hereingebracht wurden, grüßte er sie höflich. Ein Owsla wie Toadflax mochte drohen und einschüchtern. Der Threarah hatte das nicht nötig.

»Ah, Walnut. Es ist Walnut, nicht wahr?«

»Hazel«, sagte Hazel.

»Hazel, natürlich. Wie nett von dir, mich zu besuchen. Ich kannte deine Mutter gut. Und dein Freund -«

»Mein Bruder.«

»Dein Bruder«, sagte der Threarah, mit der leisen Andeutung von »korrigiere mich bitte nicht mehr!« in der Stimme. »Macht's euch bequem. Etwas Salat?«

Der Salat des Oberkaninchens war von der Owsla aus einem Garten eine halbe Meile querfeldein entfernt gestohlen worden. Outskirter sahen selten oder nie Salat. Hazel nahm ein kleines Blatt und knabberte höflich. Fiver lehnte ab und saß da, erbärmlich zwinkernd und zuckend.

»Nun, wie sieht es bei dir aus?« sagte das Oberkaninchen. »Bitte, sag mir, wie ich dir helfen kann.«

»Also, Sir«, sagte Hazel recht zögernd, »es ist wegen meines Bruders - Fiver - hier. Er kann oft voraussagen, wenn etwas Schlimmes bevorsteht, und er hat immer wieder recht behalten. Er wußte letzten Herbst, daß die Flut kommen würde, und manchmal kann er sagen, wo eine Schlinge gelegt wurde. Und jetzt sagt er, er kann eine schlimme Gefahr fühlen, die dem Gehege droht.«

»Eine schlimme Gefahr? Ja, ach so. Wie bestürzend«, sagte das Oberkaninchen und sah gar nicht bestürzt aus. »Und welche Art Gefahr, wenn ich fragen darf?« Er sah Fiver an.

»Ich weiß es nicht«, sagte Fiver. »A-aber es ist schlimm. Es ist so sch-schlimm, daß - es sehr schlimm ist«, schloß er traurig.

Der Threarah wartete höflich ein paar Minuten und sagte dann: »Soso, und was sollten wir nun tun?«

»Fortgehen«, platzte Fiver heraus. »Fortgehen. Alle von uns. Jetzt. Threarah, Sir, wir müssen alle fortgehen.«

Der Threarah wartete wieder. Dann sagte er mit außerordentlich verständnisvoller Stimme: »Also, das habe ich noch nie gehört. Das ist ein bißchen viel verlangt, nicht wahr? Was hältst du selbst davon?«

»Nun, Sir«, sagte Hazel. »Mein Bruder denkt nicht eigentlich über diese Gefühle nach, die ihn überfallen. Er hat eben diese Gefühle, wenn Sie wissen, was ich meine. Sicherlich sind Sie der Richtige, zu entscheiden, was wir tun sollten.«

»Nun, es ist sehr nett von dir, das zu sagen. Ich hoffe, daß ich es bin. Aber jetzt, meine lieben Jungen, wollen wir einen Augenblick nachdenken. Es ist Mai, nicht wahr? Jedermann hat zu tun, und die meisten Kaninchen lassen sich's schmecken. Keine Gefahr auf Meilen hinaus, so sagt man mir jedenfalls. Keine Krankheit, gutes Wetter. Und du willst, daß ich dem Gehege sage, daß der junge - äh - dein Bruder eine Vorahnung hat und wir alle über Land Gott weiß wohin latschen und die Folgen riskieren müssen, he? Was, glaubst du, werden die sagen? Werden die alle entzückt sein, he?«

»Wenn Sie es sagen, werden sie es akzeptieren«, meinte Fiver plötzlich.

»Das ist sehr nett von dir«, sagte der Threarah noch einmal. »Nun, vielleicht würden sie's. Aber ich müßte es mir sehr sorgfältig überlegen. Ein sehr ernster Schritt, natürlich. Und dann -«

»Aber es bleibt keine Zeit, Threarah, Sir«, platzte Fiver heraus. »Ich kann die Gefahr wie eine Drahtschlinge um meinen Hals fühlen - wie eine Schlinge - Hazel, Hilfe!« Er winselte und rollte im Sand herum, kickte heftig wie ein Kaninchen in einer Falle. Hazel hielt ihn mit beiden Vorderpfoten fest, und er wurde ruhiger.

»Es tut mir furchtbar leid, Oberkaninchen«, sagte Hazel. »Das passiert zuweilen. Er wird in einer Minute wieder in Ordnung sein.«

»Was für ein Jammer! Was für ein Jammer! Armer Junge, vielleicht sollte er nach Hause gehen und sich ausruhen. Ja, du nimmst ihn besser mit. Nun, es war außerordentlich nett von euch, mich aufzusuchen, Walnut. Ich bin wirklich sehr dankbar. Und ich werde alles, was ihr mir gesagt habt, sehr sorgfältig überlegen, dessen könnt ihr sicher sein. Bigwig, warte einen Augenblick, bitte!«

Als Hazel und Fiver sich niedergeschlagen auf den Rückweg durch den Lauf außerhalb von Threarahs Bau machten, konnten sie gerade noch die Stimme des Oberkaninchens unterscheiden, die einen schärferen Ton annahm, und dazwischen ein gelegentliches »Ja, Sir«, »Nein, Sir«.

Bigwig bekam, wie er vorausgesagt hatte, den Kopf abgerissen.

3. Hazels Entscheidung


Was liege ich hier? ... Wir liegen hier, als ob wir eine Chance hätten, eine ruhige Zeit zu genießen ...

Warte ich, bis ich etwas älter werde?

Xenophon Die Anabasis


»Aber Hazel, du hast doch nicht etwa geglaubt, das Oberkaninchen würde deinen Rat befolgen, oder? Was hast du erwartet?«

Es war wieder einmal Abend, und Hazel und Fiver fraßen zusammen mit zwei Freunden außerhalb des Gehölzes. Blackberry, das Kaninchen mit den umgeklappten Ohren, das am Abend zuvor von Fiver aufgeschreckt worden war, hatte sorgfältig Hazels Beschreibung der Anschlagtafel zugehört und bemerkte, er wäre schon immer der Meinung gewesen, daß die Menschen diese Dinge hinterließen, damit sie als Schilder oder Botschaften irgendwelcher Art dienten, wie die Kaninchen Spuren in Läufen und Öffnungen zurückließen. Ein anderer Nachbar, Dandelion, brachte die Unterhaltung wieder auf den Threarah und seine Gleichgültigkeit gegenüber Fivers Furcht zurück.

»Ich weiß nicht, was ich erwartet habe«, sagte Hazel. »Ich bin vorher noch nie in die Nähe des Oberkaninchens gelangt, aber ich dachte mir: Selbst wenn er mich nicht anhören will, so kann wenigstens nachher niemand sagen, daß wir nicht unser Bestes getan hätten, um ihn zu warnen.«

»Du bist also sicher, daß es wirklich etwas gibt, das wir fürchten müssen?«

»Ganz sicher. Ich kenne doch Fiver, weißt du?«

Blackberry wollte schon etwas antworten, als ein anderes Kaninchen geräuschvoll durch das dichte Hunde-Bingelkraut im Gehölz kam, in das Dornengestrüpp stolperte und aus dem Graben hochsprang. Es war Bigwig.

»Hallo, Bigwig«, sagte Hazel. »Bist du dienstfrei?«

»Dienstfrei, jawohl«, sagte Bigwig, »und wahrscheinlich werd' ich das auch bleiben.«

»Wie meinst du das?«

»Ich habe die Owsla verlassen, das meine ich.«

»Doch nicht etwa unsertwegen?«

»So könnte man sagen. Der Threarah wird ziemlich unangenehm, wenn er um die Mittagszeit wegen eines seiner Meinung nach trivialen Unsinns aufgeweckt wird. Ich wage zu behaupten, daß die meisten Kaninchen still gewesen wären und daran gedacht hätten, sich mit dem Chef gut zu stellen, aber ich fürchte, dazu tauge ich nicht besonders. Ich sagte ihm, die Owsla-Privilegien bedeuteten mir auf jeden Fall nicht allzuviel und daß ein starkes Kaninchen ebensogut leben könnte, auch wenn es das Gehege verließe. Er antwortete mir, ich sollte nicht impulsiv sein und es mir noch einmal überlegen, aber ich werde nicht bleiben. Salat stehlen ist auch nicht gerade meine Vorstellung von einem lustigen Leben, auch nicht Schildwache stehen in der Höhle. Ich habe vielleicht eine Wut, kann ich euch sagen.«

»Bald wird niemand mehr Salatblätter stehlen«, sagte Fiver ruhig.

»Oh, du bist's, Fiver, nicht wahr?« sagte Bigwig, der zum erstenmal Notiz von ihm nahm. »Ausgezeichnet, dich habe ich gesucht. Ich habe über das nachgedacht, was du zu dem Oberkaninchen gesagt hast. Hör mal, ist das nun ein Riesenschwindel, um dich wichtig zu machen, oder ist es wahr?«

»Es ist wahr«, sagte Fiver. »Ich wünschte, es wäre nicht wahr.«

»Dann wirst du also das Gehege verlassen?«

Sie waren alle erstaunt, mit welcher Plumpheit Bigwig geradewegs auf das Wesentliche zusteuerte. Dandelion murmelte: »Das Gehege verlassen, Frithrah!«, während Blackberry mit den Ohren zuckte und sehr gespannt zuerst Bigwig und dann Hazel ansah.

Es war Hazel, der antwortete: »Fiver und ich werden das Gehege heute nacht verlassen«, sagte er bedachtsam. »Ich weiß nicht genau, wo wir hingehen werden, aber wir werden jeden mitnehmen, der bereit ist, mitzukommen.«

»Großartig«, meinte Bigwig, »dann könnt ihr mich mitnehmen.«

Das hätte Hazel als letztes erwartet - die sofortige Unterstützung durch ein Owsla-Mitglied. Es fuhr ihm durch den Sinn, daß mit Bigwig, wenn er auch bestimmt in einer gefährlichen Lage ein nützliches Kaninchen sein würde, schwierig auszukommen war. Er würde bestimmt nichts tun wollen, was ihm von einem Outskirter gesagt oder worum er gebeten wurde. Es ist mir gleich, ob er in der Owsla ist, dachte Hazel. Wenn wir vom Gehege fortkommen, laß ich Bigwig nicht die ganze Sache leiten - wenn wir überhaupt gehen. Aber er antwortete nur: »Gut. Wir werden froh sein, dich bei uns zu haben.«

Er sah sich nach den anderen Kaninchen um, die abwechselnd Bigwig und ihn anstarrten. Und es war Blackberry, der als nächster sprach.

»Ich glaube, ich werde mitkommen«, sagte er. »Ich weiß nicht genau, ob du mich überredet hast, Fiver. Aber auf jeden Fall sind zu viele Rammler in diesem Gehege, und für die Kaninchen, die nicht in der Owsla sind, bringt es wenig Spaß. Komisch ist nur, daß du dich fürchtest zu bleiben und ich mich fürchte zu gehen. Füchse hier, Wiesel da, Fiver in der Mitte - fort mit dir, ewige Sorge!«

Er zupfte ein Pimpinelle-Blatt heraus und fraß es langsam, verbarg seine Furcht, so gut er konnte; denn all seine Instinkte warnten ihn vor den Gefahren des unbekannten Landes hinter dem Gehege.

»Wenn wir auf Fiver hören«, sagte Hazel, »bedeutet das, es sollten überhaupt keine Kaninchen mehr hierbleiben. Wir sollten also zwischen jetzt und unserem Aufbruchstermin so viele wie möglich dazu überreden mitzukommen.«

»Ich glaube, in der Owsla sind zwei oder drei, bei denen sich das Sondieren lohnt«, sagte Bigwig. »Wenn ich sie herumkriegen kann, werden sie bei mir sein, wenn ich mich euch heute Abend anschließe. Aber sie werden nicht Fivers wegen kommen. Es sind Junioren, unzufriedene Burschen wie ich. Man muß Fiver selbst gehört haben, um von ihm überzeugt zu werden. Er hat mich überzeugt. Es ist offensichtlich, daß er eine Art Botschaft erhalten hat, und ich glaube an diese Dinge. Ich kann nicht begreifen, warum er den Threarah nicht auch überzeugt hat.«

»Weil der Threarah nichts gutheißt, worauf er nicht selbst gekommen ist«, sagte Hazel. »Aber wir können uns jetzt nicht mehr mit ihm abgeben. Wir müssen versuchen, noch mehr Kaninchen zu sammeln, und uns hier wieder treffen, fu Inle. Und wir werden fu Inle loswandern: Wir können nicht länger warten. Die Gefahr - wie auch immer sie aussehen mag -rückt unaufhörlich näher, und außerdem wird der Threarah nicht gerade entzückt sein, wenn er herausfindet, daß du versucht hast, die Kaninchen in der Owsla zu überreden, Bigwig. Auch Hauptmann Holly nicht, möcht' ich sagen. Sie werden nichts dagegen haben, wenn Kroppzeug wie wir verschwindet, aber dich werden sie nicht verlieren wollen. An deiner Stelle wäre ich vorsichtig bei der Auswahl für eine Unterredung.«

4. Der Aufbruch


Der junge Fortinbras hat nun,

Von wildem Feuer heiß und voll,

An Norwegs Ecken hier und da ein Heer

Landflücht'ger Abenteurer aufgerafft,

Für Brot und Kost, zu einem Unternehmen,

Das Herz hat.

Shakespeare Hamlet


Fu Inle bedeutet »nach Mondaufgang«. Natürlich haben Kaninchen keine Vorstellung von einer genauen Zeit oder von Pünktlichkeit. In dieser Hinsicht sind sie ganz wie primitive Menschen, die oft mehrere Tage brauchen, um sich zu versammeln, und dann noch weitere Tage benötigen, um aufzubrechen. Ehe solche Menschen gemeinsam handeln können, muß eine Art Gedankenübertragung stattfinden und sich bis zu dem Punkt verstärken, an dem sie alle wissen, daß sie bereit sind zu beginnen. Jeder, der gesehen hat, wie die Mauersegler und die Schwalben sich im September auf den Telefondrähten versammeln, aufgeregt zwitschernd, kurze Flüge einzeln und in Gruppen über die offenen Stoppelfelder unternehmend, zurückkehrend, um längere und immer längere Linien über den gelblichen Wegrändern zu bilden - Hunderte individueller Vögel in wachsender Erregung in Schwärme verschmelzend, und diese Schwärme kommen locker und unordentlich zusammen, um einen großen unorganisierten Flug zu bilden, dicht im Zentrum und unregelmäßig an den Rändern, der sich teilt und ständig neu formt wie Wolken oder Wellen - bis zu dem Augenblick, wenn der größere Teil von ihnen (doch nicht alle) weiß, daß die Zeit gekommen ist:

Sie sind fort und haben wieder einmal diesen großen Flug nach Süden begonnen, den viele nicht überleben werden; jeder, der dies sieht, hat den Strom bei der Arbeit gesehen (unter Geschöpfen, die sich primär als Teil einer Gruppe und erst sekundär, wenn überhaupt, als Individuen begreifen), einen Strom, der sie, ohne daß sie sich dessen bewußt oder dazu willens wären, in eine Aktion verschmelzen wird -, jeder, der dies gesehen hat, hat den Engel bei der Arbeit gesehen, der den ersten Kreuzzug nach Antiochia trieb und die Lemminge ins Meer treibt.

Es war tatsächlich etwa eine Stunde nach Mondaufgang und eine gute Weile vor Mitternacht, als Hazel und Fiver noch einmal aus ihrem Bau hinter den Dornenbüschen herauskamen und ruhig über den Boden des Grabens schlüpften. Bei ihnen war ein drittes Kaninchen, Hlao -Pipkin -, ein Freund von Fiver. (Hlao bedeutet jene kleine Mulde im Gras, wo sich Feuchtigkeit ansammelt, das heißt, die von einem Löwenzahn oder einer Distel gebildete Vertiefung.) Auch er war klein und neigte zur Furchtsamkeit, und Hazel und Fiver hatten den größten Teil ihres letzten Abends im Kaninchengehege damit verbracht, ihn zu überreden, sich ihnen anzuschließen. Pipkin hatte recht zögernd eingewilligt. Er war immer noch außerordentlich ängstlich, was geschehen würde, wenn sie erst das Gehege verlassen hätten, und kam zu dem Schluß, daß es am besten wäre, um Schwierigkeiten zu vermeiden, sich dicht an Hazel zu halten und genau das zu tun, was er sagte.

Die drei befanden sich immer noch im Graben, als Hazel hörte, daß sich oben etwas bewegte. Er blickte schnell hoch. »Wer ist da?« fragte er. »Dandelion?«

»Nein, ich bin's, Hawkbit«, sagte das Kaninchen, das über den Rand guckte. Es sprang hinunter und landete ziemlich unsanft zwischen ihnen. »Erinnerst du dich an mich, Hazel? Wir waren während des Schnees letzten Winter im selben Bau. Dandelion sagte mir, du würdest den Bau heute Abend verlassen. Wenn du das tust, komme ich mit dir.«

Hazel erinnerte sich an Hawkbit - ein ziemlich langsames, dummes Kaninchen, dessen Gesellschaft in fünf eingeschneiten Tagen unter der Erde entschieden langweilig gewesen war. Trotzdem, dachte er, war dies keine Frage des Wählerischseins. Wenn es auch Bigwig gelingen sollte, einen oder zwei herumzukriegen, würden die meisten der Kaninchen, deren Anschluß sie erwarten konnten, nicht von der Owsla kommen. Es würden Outskirter sein, denen es dreckig ging und die sich fragten, was sie dagegen tun sollten. Er ging ein paar von ihnen in Gedanken durch, als Dandelion erschien.

»Je früher wir wegkommen, desto besser, schätze ich«, sagte Dandelion. »Mir gefällt die ganze Sache nicht. Nachdem ich Hawkbit hier überredet hatte, sich uns anzuschließen, wollte ich noch mit einigen anderen sprechen, als ich entdeckte, daß dieser Toadflax-Bursche mir den Lauf hinunter gefolgt war. >Ich möchte wissen, was du im Schilde führst<, sagte er, und er glaubte mir bestimmt nicht, als ich ihm sagte, ich versuchte nur herauszufinden, ob es Kaninchen gäbe, die das Gehege verlassen wollten. Er fragte mich, ob ich sicher wäre, nicht eine Art Komplott gegen den Threarah anzuzetteln, und er wurde schließlich zornig und mißtrauisch. Ich habe Schiß gekriegt, kann ich dir sagen, deshalb habe ich Hawkbit mitgebracht und es dabei bewenden lassen.«

»Ich kann es dir nicht verdenken«, sagte Hazel. »Da ich Toadflax kenne, bin ich überrascht, daß er dich nicht erst über den Haufen gerannt und dann Fragen gestellt hat. Trotzdem, laßt uns noch ein bißchen warten. Blackberry müßte bald hier sein.«

Die Zeit verrann. Sie kauerten schweigend, während die Mondschatten im Gras nordwärts zogen. Schließlich, gerade als Hazel den Abhang zu Blackberrys Bau hinunterlaufen wollte, sah er ihn aus seinem Loch herauskommen, hinter ihm nicht weniger als drei Kaninchen. Einen der drei, Buckthorn, kannte Hazel gut. Er war froh, ihn zu sehen; denn er war ein zäher, kräftiger Bursche, der mit Sicherheit zur Owsla gehören würde, sobald er das volle Gewicht erlangte.

Aber ich vermute, er ist ungeduldig, dachte Hazel, oder er hat bei einer Balgerei um ein weibliches Kaninchen schlecht abgeschnitten und es sich zu Herzen genommen. Nun, mit ihm und Bigwig werden wir wenigstens nicht allzu schlecht dran sein, wenn es zu einer Schlägerei kommen sollte.

Die beiden anderen Kaninchen erkannte er nicht, und er war auch nicht klüger, als Blackberry ihm ihre Namen sagte - Speedwell und Acorn. Doch das war nicht überraschend; denn es waren typische Outskirter - dünn aussehende Sechs-Monatslinge, mit dem gespannten, argwöhnischen Blick derjenigen, die nur zu gewohnt sind hintanzustehen. Sie sahen Fiver neugierig an. Nach dem, was Blackberry ihnen erzählt hatte, hatten sie beinahe erwartet, daß Fiver den Untergang in einer Art poetischem Sturzbach vorhersagte. Statt dessen schien er ruhiger und normaler als die übrigen. Die Gewißheit, daß sie fortgehen würden, hatte eine Sorgenlast von Fiver genommen.

Die Zeit schlich dahin. Blackberry kletterte in das Farnkraut hinauf und kehrte dann auf die Böschung zurück, nervös herumzappelnd und halb geneigt, sich aus dem Staub zu machen. Hazel und Fiver blieben im Graben, knabberten lustlos an dem dunklen Gras. Endlich vernahm Hazel, worauf er wartete: ein Kaninchen - oder waren es zwei? -, das sich vom Gehölz her näherte.

Kurz darauf war Bigwig im Graben. Hinter ihm folgte ein muskulöses, flink wirkendes Kaninchen, etwas über zwölf Monate alt. Das ganze Kaninchengehege kannte es vom Sehen; denn sein Fell war vollkommen grau mit fast weißen Flecken, die jetzt das Mondlicht einfingen, als es schweigend dasaß und sich kratzte. Es war Silver, ein Neffe vom Threarah, der seinen ersten Monat in der Owsla diente.

Hazel war im Grunde erleichtert, daß Bigwig nur Silver mitgebracht hatte - einen ruhigen, redlichen Burschen, der noch nicht eigentlich festen Boden bei den Veteranen gefaßt hatte. Als Bigwig davon gesprochen hatte, die Owsla auszuhorchen, war Hazel geteilter Meinung gewesen. Es war nur zu wahrscheinlich, daß sie auf Gefahren außerhalb des Baus stoßen und gute Kämpfer brauchen würden. Außerdem sollten sie, wenn Fiver recht hatte und das gesamte Gehege in unmittelbarer Gefahr war, jedes Kaninchen willkommen heißen, das bereit war, sich ihnen anzuschließen. Andererseits schien es keinen Grund zu geben, sich besonders anzustrengen, Kaninchen anzuwerben, die sich wie Toadflax verhalten würden.

Wo immer wir uns niederlassen werden, dachte Hazel, ich bin entschlossen, dafür zu sorgen, daß Pipkin und Fiver nicht unterdrückt und herumgestoßen werden, bis sie soweit sind, jedes Risiko einzugehen, um bloß wegzukommen. Aber wird Bigwig derselben Ansicht sein?

»Du kennst Silver, nicht wahr?« fragte Bigwig, der seinen Gedankengang unterbrach. »Augenscheinlich haben einige der jüngeren Burschen in der Owsla ihm übel mitgespielt - haben ihn wegen seines Pelzes gehänselt, weißt du, und ihm gesagt, er hätte seine Stelle nur durch den Threarah bekommen. Ich glaubte, ich könnte noch mehr zusammentrommeln, aber beinahe alle Owsla scheinen der Meinung zu sein, es ginge ihnen sehr gut da, wo sie seien.«

Er sah sich um. »Es sind nicht viele hier, nicht wahr?

Glaubst du, es lohnt sich wirklich, mit diesem Plan weiterzumachen?«

Silver schien sprechen zu wollen, als plötzlich ein Trappeln im Unterholz über ihnen zu hören war und weitere drei Kaninchen über die Böschung aus dem Gehölz kamen. Ihre Bewegungen waren direkt und zielbewußt, ganz anders als das unsichere Herannahen derjenigen, die jetzt im Graben versammelt waren. Der größte der drei Neuankömmlinge war vorne, und die anderen zwei folgten ihm, als stünden sie unter einem Befehl. Hazel fühlte sofort, daß sie nichts mit ihm und seinen Gefährten gemein hatten, zuckte zusammen und setzte sich gespannt auf. Fiver murmelte in sein Ohr: »Oh, Hazel, die sind gekommen, um uns zu -«, brach aber ab. Bigwig drehte sich zu ihnen um und machte große Augen; seine Nase bewegte sich heftig. Die drei traten direkt an ihn heran.

»Thlayli?« sagte der Führer.

»Du kennst mich sehr genau«, erwiderte Bigwig, »und ich kenne dich, Holly. Was willst du?«

»Du bist verhaftet.«

»Verhaftet? Was soll das heißen? Weshalb?«

»Wegen Verbreitung von Zwietracht und Anstiftung zur Meuterei. Silver, du bist ebenfalls verhaftet, da du dich heute Abend nicht bei Toadflax gemeldet hast und deine Pflichten an einen Kameraden abgegeben hast. Ihr müßt beide mitkommen.«

Unverzüglich griff Bigwig an, kratzte und kickte ihn. Holly gab ihm zurück. Seine Begleiter kamen näher, suchten nach einer Öffnung, um sich dem Kampf anzuschließen und Bigwig festzuhalten. Plötzlich stürzte sich von der Höhe der Böschung Buckthorn kopfüber ins Handgemenge, schlug im Fluge einen der Wachtposten mit einem Kick seiner Hinterbeine beiseite und hieb dann mit den anderen auf ihn ein. Einen Augenblick später folgte ihm Dandelion, der voll auf dem Kaninchen landete, das Buckthorn gekickt hatte. Beide Wachtposten befreiten sich, sahen sich kurz um und stürzten dann über die Böschung hinauf in das Gehölz. Holly kämpfte sich von Bigwig frei und hockte sich hin, scharrte mit den Vorderpfoten und knurrte, wie Kaninchen es tun, wenn sie böse sind. Er wollte etwas sagen, doch Hazel trat ihm gegenüber.

»Geh«, sagte Hazel fest und ruhig, »oder wir werden dich töten.«

»Weißt du, was das bedeutet?« erwiderte Holly. »Ich bin Hauptmann der Owsla. Das weißt du, nicht wahr?«

»Geh«, wiederholte Hazel, »oder du wirst getötet werden.«

»Du wirst es sein, der getötet wird«, erwiderte Holly. Ohne noch ein Wort zu sagen, verschwand auch er über die Böschung im Gehölz.

Dandelion blutete an der Schulter. Er leckte ein Weilchen die Wunde und wandte sich dann an Hazel.

»Sie werden bald wieder zurück sein, Hazel«, sagte er. »Sie lassen die Owsla ausrücken, und dann gnade uns Gott!«

»Wir sollten sofort gehen«, sagte Fiver.

»Ja, die Zeit ist jetzt gekommen«, erwiderte Hazel. »Los, den Bach hinunter. Dann werden wir der Böschung folgen -das wird uns helfen, zusammenzubleiben.«

»Wenn du meinen Rat hören willst -«, begann Bigwig.

»Wenn wir noch länger hierbleiben, werde ich es nicht mehr können«, antwortete Hazel.

Mit Fiver an seiner Seite, ging er voran, aus dem Graben heraus und den Abhang hinunter. In knapp einer Minute war die kleine Gruppe Kaninchen in der mondtrüben Nacht verschwunden.

5. In den Wäldern


Diese jungen Kaninchen ... müssen sich bewegen, wenn sie überleben sollen. Wild und frei... irren sie manchmal meilenweit umher ... und wandern, bis sie eine angemessene Umgebung finden.

R. M. Lockley The Private Life of the Rabbit


Der Monduntergang stand bevor, als sie die Felder verließen und in den Wald eindrangen. Auseinandergezogen, dann wieder aufholend, mehr oder weniger zusammenhaltend, waren sie über eine halbe Meile durch die Wiesen gewandert, immer dem Lauf des Baches folgend. Obgleich Hazel schätzte, daß sie jetzt weiter von dem Gehege fort waren als je ein Kaninchen, mit dem er gesprochen hatte, wußte er nicht, ob sie schon in sicherer Entfernung waren; und während er sich fragte - nicht zum ersten Male -, ob er Geräusche der Verfolger hören konnte, bemerkte er als erster die dunklen Massen der Bäume, zwischen denen der Bach verschwand.

Kaninchen meiden dichtes Waldgebiet, wo der Boden schattig, feucht und graslos ist, und fühlen sich von dem Unterholz bedroht. Hazel schätzte den Anblick der Bäume nicht. Trotzdem, dachte er, würde Holly es sich zweifellos zweimal überlegen, ehe er ihnen an einen Ort wie diesen hier folgen würde, und bestimmt wäre es sicherer, neben dem Bach zu bleiben, als ziellos in den Wiesen hin und her zu wandern, mit dem Risiko, sich am Ende im Gehege wiederzufinden. Er beschloß, geradewegs in den Wald zu gehen, ohne Bigwig zu fragen, und darauf zu vertrauen, daß die übrigen folgen würden.

Wenn wir nicht in Schwierigkeiten geraten und der Bach uns durch den Wald führt, dachte er, werden wir wirklich das Gehege hinter uns haben, und dann können wir nach einem Platz suchen, um uns ein bißchen auszuruhen. Die meisten scheinen mehr oder weniger in Ordnung zu sein, aber Fiver und Pipkin werden in kurzer Zeit genug haben.

Sowie er in den Wald kam, schien der voller Geräusche zu sein. Es roch nach feuchten Blättern und Moos, und überall hörte man das Flüstern von plätscherndem Wasser. Kaum im Wald, fiel der Bach in einen Teich ab, und das Geräusch, von Bäumen eingeschlossen, hallte wie in einer Höhle wider. Schlafende Vögel raschelten oben, die Nachtbrise bewegte die Blätter, hier und da fiel ein toter Zweig. Und es drangen noch mehr unheimliche, unbekannte Geräusche aus weiter Ferne herüber, Geräusche der Bewegung.

Für Kaninchen ist alles Unbekannte gefährlich. Die erste Reaktion ist, aufzuschrecken, die zweite, auszureißen. Wieder und wieder schreckten sie auf, bis sie der Erschöpfung nahe waren. Aber was bedeuteten diese Geräusche, und wohin konnten sie in dieser Wildnis ausreißen?

Die Kaninchen krochen dichter zusammen. Ihr Vordringen verlangsamte sich. Binnen kurzem verloren sie den Lauf des Baches, glitten über die mondbeschienenen Flecken wie Flüchtlinge und verhielten in den Büschen mit gespitzten Ohren und geweiteten Augen. Der Mond stand jetzt tief, und das Licht, wo immer es schräg durch die Bäume fiel, schien trüber, schwächer und gelblicher.

Von einem dicken Haufen toter Blätter unter einer Stechpalme blickte Hazel auf einen schmalen Pfad, der zu beiden Seiten mit Farn und keimendem Unkraut gesäumt war. Der Farn bewegte sich leicht in der Brise, aber entlang dem Pfad war nichts zu sehen außer einer Streuung letztjähriger Eicheln unter einer Eiche. Was lauerte im Farnkraut? Was lag hinter der nächsten Biegung? Und was würde einem Kaninchen passieren, das den Schutz der Stechpalme verließ und den Pfad hinunterrannte? Er wandte sich an Dandelion, der neben ihm hockte.

»Du wartest lieber hier«, sagte er. »Wenn ich zu der Biegung komme, werde ich trommeln. Aber wenn ich in Schwierigkeiten gerate, bringst du die anderen fort.«

Er wartete nicht auf eine Antwort, rannte ins Freie und den Pfad hinunter. In ein paar Sekunden war er an der Eiche. Er pausierte einen Augenblick, starrte um sich, und dann rannte er zu der Biegung. Der Pfad dahinter war derselbe - er lag leer im schwindenden Mondlicht und führte sanft nach unten in den tiefen Schatten eines Hains von Stecheichen. Hazel trommelte, und einige Augenblicke später war Dandelion neben ihm im Farnkraut. Trotz der Anstrengung und seiner Furcht kam ihm der Gedanke, daß Dandelion sehr schnell sein mußte: Er hatte die Entfernung wie ein Blitz zurückgelegt.

»Gut gemacht«, flüsterte Dandelion. »Das Wagnis für uns eingehen, nicht wahr - wie El-ahrairah?«

Hazel schenkte ihm einen schnellen, freundlichen Blick. Es war ein gutgemeintes Lob und ermunterte ihn. Was Robin Hood den Engländern ist und John Henry den amerikanischen Negern, ist Elil-Hrair-Rah oder El-ahrairah - Der Fürst mit tausendfachen Feinden - für die Kaninchen. Onkel Remus kann durchaus von ihm gehört haben; denn einige von El-ahrairahs Abenteuern sind diejenigen von Brer Rabbit. Übrigens könnte sogar Odysseus ein paar Listen von dem Kaninchen-Helden übernommen haben; denn er ist sehr alt und war nie um eine List verlegen, um seine Feinde zu täuschen. Einmal, so geht die Mär, mußte er, um nach Hause zu gelangen, einen Fluß durchschwimmen, in dem ein großer und hungriger Hecht war. El-ahrairah striegelte sich, bis er genug Pelz hatte, um ein Lehmkaninchen einzuhüllen, das er ins Wasser stieß. Der Hecht schoß darauf zu, biß hinein und gab es mit Abscheu wieder her. Nach einer Weile trieb es an die Böschung, und El-ahrairah fischte es heraus und wartete kurze Zeit, ehe er es wieder hineinschob. Nach einer Stunde ließ der Hecht es in Ruhe, und nachdem er es zum fünften Male gemacht hatte, schwamm El-ahrairah selbst hinüber und ging nach Hause. Einige Kaninchen sagen, er beherrsche sogar das Wetter, weil der Wind, die Feuchtigkeit und der Tau Freunde und Helfer der Kaninchen gegen ihre Feinde sind.

»Hazel, wir werden hier haltmachen müssen«, sagte Bigwig, zwischen den keuchenden, kriechenden Körpern der anderen herankommend. »Ich weiß, es ist keine gute Stelle, aber Fiver und diese andere halbe Portion, die du mit hast -sie sind ziemlich erledigt. Sie werden nicht weiterkönnen, wenn wir nicht ausruhen.«

Die Wahrheit war, daß jeder von ihnen müde war. Viele Kaninchen verbringen ihr ganzes Leben am selben Ort und laufen nie mehr als hundert Meter hintereinander. Obgleich sie gelegentlich monatelang oberirdisch leben und schlafen, ziehen sie es vor, nicht weit von einem Zufluchtsort entfernt zu sein, der als Loch dienen kann. Sie haben zwei natürliche Gangarten - die sanfte, watschelnde Vorwärtsbewegung des Geheges an einem Sommerabend und den blitzartigen Sprung nach Deckung, den jeder Mensch schon irgendwann einmal gesehen hat. Es ist schwer, sich ein Kaninchen vorzustellen, das stetig vorwärts stapft: Sie sind nicht dafür geschaffen. Es ist wahr, daß junge Kaninchen große Wanderer und fähig sind, meilenweit zu ziehen, aber sie tun es nicht aus freien Stücken.

Hazel und seine Gefährten hatten die Nacht damit verbracht, alles zu tun, was für sie unnatürlich war, und dies zum ersten Mal. Sie hatten sich in einer Gruppe bewegt oder versuchten es wenigstens: Tatsächlich waren sie zuzeiten weit auseinandergezogen. Sie hatten versucht, ein stetes Tempo zwischen Hopsen und Laufen durchzuhalten, und es war sie hart angekommen. Seitdem sie in den Wald eingedrungen waren, hatten sie heftige Angst gehabt. Mehrere waren fast tharn - das heißt, in einem Zustand der Lähmung, der entsetzte oder erschöpfte Kaninchen überkommt, so daß sie dasitzen und beobachten, wie ihre Feinde - Wiesel oder Menschen - herankommen, um ihnen das Leben zu nehmen. Pipkin saß zitternd unter einem Farn, seine Ohren hingen schlaff an beiden Seiten des Kopfes herunter. Er hielt eine Pfote in seltsam unnatürlicher Art vor sich und leckte unglücklich daran. Fiver war kaum besser dran. Er sah immer noch fröhlich aus, aber sehr müde. Hazel war sich klar, daß sie, bis sie ausgeruht sein würden, alle eher hier in Sicherheit waren, als wenn sie im Freien entlangstolperten und keine Kraft mehr hätten, vor ihren Feinden davonzulaufen. Aber wenn sie grübelnd dalagen, unfähig, sich Nahrung zu suchen oder unter die Erde zu gehen, würde ihr ganzer Kummer in ihre Herzen strömen, ihre Ängste würden wachsen, und sie würden sehr wahrscheinlich auseinanderlaufen oder gar versuchen, ins Kaninchengehege zurückzukehren. Er hatte eine Idee.

»Jawohl, wir werden hier ausruhen«, sagte er. »Kriechen wir zwischen diesen Farn. Komm, Dandelion, erzähl uns eine Geschichte. Ich weiß, du bist begabt darin, Pipkin hier kann's gar nicht erwarten.«

Dandelion sah Pipkin an und merkte, was Hazel von ihm erwartete. Er unterdrückte seine eigene Angst vor dem einsamen, graslosen Waldland, den Eulen, die vor der Frühdämmerung zurückkehren würden und die sie aus einiger Entfernung hören konnten, und dem ungewöhnlich scharfen Tiergeruch, der ganz aus der Nähe zu kommen schien, und begann.

6. Wie El-ahrairah gesegnet wurde


Warum sollte er mich für grausam halten

Oder daß er verraten ist?

Ich würde ihn lehren, zu lieben, was war,

Ehe die Welt geschaffen wurde.

W. B. Yeats A Woman Young and Old


»Vor längerer Zeit schuf Frith die Welt. Er schuf auch alle Sterne, und die Welt ist einer der Sterne. Er schuf sie, indem er seine Losung über den Himmel verstreute, und deshalb wachsen das Gras und die Bäume so dicht auf der Welt. Frith läßt die Bäche fließen. Die Sterne folgen ihm, wenn er über den Himmel geht, und wenn er den Himmel verläßt, suchen sie ihn die ganze Nacht. Frith schuf alle Tiere und Vögel, aber als er sie machte, waren sie zuerst alle gleich. Der Spatz und der Turmfalke waren Freunde, und sie fraßen beide Samen und Fliegen. Und der Fuchs und das Kaninchen waren Freunde, und beide fraßen Gras. Und es gab Gras in Hülle und Fülle und Fliegen die Fülle, weil die Welt neu war, und Frith schien hell und warm den ganzen Tag herunter.

Nun, El-ahrairah war unter den Tieren in diesen Tagen und hatte viele Weiber. Er hatte so viele Weiber, daß er sie gar nicht zählen konnte, und die Weiber hatten so viele Junge, daß selbst Frith sie nicht zählen konnte, und sie fraßen das Gras und den Löwenzahn und die Salatblätter und den Klee, und El-ahrairah war der Vater von ihnen allen.« (Bigwig knurrte anerkennend.) »Und nach einer gewissen Zeit«, fuhr Dandelion fort, »nach einer Zeit begann das Gras dünn zu werden, und die Kaninchen wanderten überallhin, vermehrten sich und fraßen, während sie gingen.

Da sagte Frith zu El-ahrairah: >Fürst Kaninchen, wenn du dein Volk nicht kontrollieren kannst, werde ich Wege finden, es zu kontrollieren. Daher paß auf, was ich dir sage.< Aber El-ahrairah wollte nicht hören, und er sagte zu Frith: >Mein Volk ist das stärkste der Welt; denn es vermehrt sich schneller und frißt mehr als andere Völker. Und dies zeigt, wie sehr es den Herrn Frith liebt; denn von all den Tieren ist es am empfänglichsten für seine Warmherzigkeit und seinen Glanz. Du mußt dir klar sein, o Herr, wie bedeutend es ist, und es nicht an seinem schönen Leben hindern.<

Frith hätte El-ahrairah sofort töten können, aber er hatte die Absicht, ihn in der Welt zu lassen, weil er ihn als Spaßmacher, als Witzeschmied, als Listenreichen brauchte. So beschloß er, die Oberhand über ihn zu gewinnen, nicht mit Hilfe seiner eigenen großen Macht, sondern mit Hilfe einer List. Er ließ wissen, daß er ein großes Treffen veranstalten würde und daß er bei diesem Treffen jedem Tier und jedem Vogel ein Geschenk machen würde, damit sich jeder von dem anderen unterscheide. Und alle Geschöpfe machten sich zu dem Treffpunkt auf. Aber alle kamen zu verschiedenen Zeiten an, weil Frith es so einrichtete. Als die Amsel kam, gab er ihr ihren schönen Gesang, und als die Kuh kam, gab er ihr scharfe Hörner und Stärke, damit sie sich vor keinem anderen Geschöpf zu fürchten brauchte. Und so kamen nacheinander der Fuchs und das Hermelin und das Wiesel. Und jedem gab Frith die Schlauheit und die Wildheit und das Verlangen, zu jagen und zu töten und die Kinder von El-ahrairah zu fressen. Und so gingen sie von Frith fort, nichts im Herzen als die Begierde, die Kaninchen zu töten.

Die ganze Zeit über tanzte und paarte und brüstete El-ahrairah sich, daß er zu Friths Treffen gehen werde, um ein großes Geschenk zu erhalten. Und endlich machte auch er sich zu dem Treffen auf. Doch unterwegs rastete er einmal auf einem sanften, sandigen Hügel. Und während er rastete, kam über den Hügel der dunkle Mauersegler, der im Fluge schrie: >Nachrichten! Neuigkeiten! Neuigkeiten!< Und das ruft er seit jenem Tag ohne Unterlaß. El-ahrairah rief zu ihm hinauf und fragte: >Was für Neuigkeiten?< - >Na<, sagte der Mauersegler, >ich möchte nicht du sein, El-ahrairah. Denn Frith hat dem Fuchs und dem Wiesel durchtriebene Herzen und scharfe Zähne gegeben, und der Katze hat er stille Füße und Augen gegeben, die in der Dunkelheit sehen können, und sie sind von Friths Ort fortgegangen, um alles zu töten und zu verschlingen, was El-ahrairah gehört.< Und er jagte weiter über die Hügel davon. Und in diesem Augenblick hörte El-ahrairah die Stimme Friths rufen: >Wo ist El-ahrairah? Denn alle anderen haben ihre Geschenke in Empfang genommen und sind gegangen, und ich bin gekommen, um nach ihm zu suchen.<

Da wußte El-ahrairah, daß Frith zu klug für ihn war, und er begann sich zu fürchten. Er dachte, der Fuchs und das Wiesel kämen mit Frith, und wandte sich dem Boden des Hügels zu und begann zu graben. Er grub ein Loch, aber er hatte nur wenig gegraben, als Frith allein über den Hügel kam. Und er sah El-ahrairahs Gesäß aus dem Loch herausragen und den Sand in Schauern fliegen. Als er das sah, rief er: >Mein Freund, hast du El-ahrairah gesehen? Denn ich suche ihn, um ihm mein Geschenk zu geben.< - >Nein<, antwortete El-ahrairah, ohne herauszukommen, >ich habe ihn nicht gesehen. Er ist weit weg. Er konnte nicht kommen.< Worauf Frith sagte: >Dann komm aus diesem Loch heraus, und ich werde dich an seiner Stelle segnen.< - >Nein, ich kann nicht<, sagte El-ahrairah, >ich bin beschäftigt. Der Fuchs und das Wiesel kommen. Wenn du mich segnen willst, kannst du mein Gesäß segnen; denn es ragt aus diesem Loch heraus.<«

Alle Kaninchen hatten die Geschichte schon mal gehört: in Winternächten, wenn die kalte Zugluft durch die Gehegegänge strich und die eisige Nässe in den Stollen der Läufe unter ihren Bauen lag, und an Sommerabenden im Gras unter den roten Hagedornblüten und der süßen, faulig riechenden älteren Blüte. Dandelion erzählte gut, und selbst Pipkin vergaß seine Müdigkeit und die Gefahr und erinnerte sich statt dessen an die Unausrottbarkeit der Kaninchen. Jeder sah sich als El-ahrairah, der Frith frech entgegentreten und ungestraft davonkommen konnte.

»Da«, sagte Dandelion, »fühlte Frith sich El-ahrairah in Freundschaft zugetan, wegen seines Einfallsreichtums und weil er nicht nachgeben wollte, selbst als er glaubte, der Fuchs und das Wiesel würden kommen. Und er sagte: >Nun gut, ich werde dein Gesäß segnen, da es aus dem Loch herausragt. Gesäß, sei Stärke und Warnung und Geschwindigkeit für immer und rette das Leben deines Herrn. So sei es.< Und während er sprach, wurde die Blume El-ahrairahs leuchtend weiß und blitzte wie ein Stern, und seine Hinterläufe wurden lang und kräftig, und er trommelte auf den Hügel, bis selbst die Käfer von den Grashalmen fielen. Er kam aus dem Loch heraus und raste schneller über den Hügel als irgendein Geschöpf auf der Welt. Und Frith rief ihm nach: >El-ahrairah, dein Volk kann die Welt nicht regieren, da ich es nicht so haben will. Die ganze Welt wird dein Feind sein, Fürst mit tausendfachen Feinden, und wann immer sie dich fangen, werden sie dich töten. Aber zuerst müssen sie dich fangen, Gräber, Lauscher, Läufer, Fürst der schnellen Warnung. Sei schlau und voller Listen, und dein Volk wird niemals vernichtet werden.< Und da wußte El-ahrairah, daß Frith dennoch sein Freund war. Und jeden Abend, wenn Frith seines Tages Arbeit getan hat und ruhig und bequem im rötlichen Himmel liegt, kommen El-ahrairah und seine Kinder und Kindeskinder aus ihren Löchern heraus und spielen vor ihm; denn sie sind seine Freunde, und er hat ihnen versprochen, daß sie nie vernichtet werden können.«

7. Der Lendri und der Fluß


Quant au courage moral, il avait trouve fort rare, disait-il, celui de deux heures apres minuit; c'est-a-dire le courage de l'improviste.

Napoleon Bonaparte


Als Dandelion geendet hatte, schreckte Acorn, der windwärts der kleinen Gruppe war, plötzlich zusammen und setzte sich mit hochgestellten Ohren und zuckenden Nasenflügeln zurück. Der seltsame, scharfe Geruch war stärker denn je, und nach einigen Augenblicken hörten sie alle eine plumpe Bewegung in der Nähe. Plötzlich teilte sich der Farn auf der anderen Seite des Pfades, und ein langer, hundeähnlicher Kopf, der schwarz-weiß gestreift war, sah hervor. Er war nach unten gerichtet, das Maul grinsend, die Nase dicht am Boden. Dahinter konnten sie gerade noch große, mächtige Pfoten und einen zottigen schwarzen Körper ausmachen. Die mit wilder Schläue erfüllten Augen blickten sie an. Der Kopf bewegte sich langsam, die düstere Länge des Waldreitweges in beiden Richtungen in sich aufnehmend, und dann sah er sie wieder mit seinen wilden, schrecklichen Augen an. Die Kinnbacken öffneten sich weiter, und sie konnten die Zähne sehen, die so weiß wie die Streifen auf seinem Kopf schimmerten. Das Tier starrte lange herüber, und die Kaninchen verharrten bewegungslos, starrten lautlos zurück. Dann drehte sich Bigwig, der dem Pfad am nächsten war, um und glitt zurück zwischen die anderen.

»Ein lendri«, murmelte er, als er sich durch sie hindurchdrängte. »Es kann gefährlich sein oder auch nicht, aber ich riskiere lieber nichts. Gehen wir.«

Sie folgten ihm durch den Farn und trafen sehr bald auf einen parallellaufenden Pfad. Bigwig bog in ihn ein und rannte los. Dandelion überholte ihn, und die beiden verschwanden zwischen den Stechpalmen.

Hazel und die anderen folgten, so gut sie konnten, und Pipkin hinkte und stolperte hinterher; denn seine Angst trieb ihn trotz des Schmerzes in seiner Pfote an.

Hazel kam auf der anderen Seite der Stechpalmen heraus und folgte dem Pfad um eine Biegung. Dort blieb er schlagartig stehen und setzte sich auf seine Keulen zurück. Direkt vor ihm starrten Bigwig und Dandelion über den steilen Rand einer hohen Böschung, und unterhalb der Böschung strömte ein Fluß. Tatsächlich war es nur der kleine, vier bis fünf Meter breite Enborne, durch den Frühjahrsregen etwa einen Meter tief, aber den Kaninchen schien er riesig, ein Fluß, wie sie ihn sich nie vorgestellt hatten. Der Mond war beinahe untergegangen, und die Nacht war jetzt dunkel, aber sie konnten das dahinfließende Wasser undeutlich schimmern sehen und am anderen Ufer einen dünnen Gürtel von Nußbäumen und Erlen ausmachen. Irgendwo dahinter rief ein Regenpfeifer drei- oder viermal und war dann still.

Nacheinander kamen fast alle anderen heran, blieben an der Böschung stehen und sahen wortlos auf das Wasser. Eine kalte Brise kam auf, und einige von ihnen zitterten.

»Na, das ist eine hübsche Überraschung, Hazel«, sagte Bigwig schließlich. »Oder hast du dies erwartet, als du uns in den Wald führtest?«

Hazel erkannte müde, daß Bigwig wahrscheinlich schwierig werden würde. Er war bestimmt kein Feigling, aber wahrscheinlich würde er nur unerschütterlich bleiben, solange er wußte, wohin es ging und was er zu tun hatte. Für ihn war Bestürzung schlimmer als Gefahr, und wenn er bestürzt war, wurde er gewöhnlich böse. Am Tag zuvor hatte Fivers Warnung ihn bekümmert, und er hatte im Zorn zu dem Threarah gesprochen und die Owsla verlassen. Dann, als er unsicher war, ob er den Kaninchenbau verlassen sollte, war Hauptmann Holly gerade zur rechten Zeit erschienen, um zum Angriff herauszufordern und einen perfekten Grund für ihren Auszug zu liefern. Jetzt, beim Anblick des Flusses, geriet Bigwigs Selbstvertrauen erneut ins Wanken, und wenn Hazel es nicht auf die eine oder andere Art wiederherstellen konnte, hatten sie bestimmt Schwierigkeiten zu erwarten. Er dachte an den Threarah und dessen verschlagene Höflichkeit.

»Ich weiß nicht, was wir soeben ohne dich getan hätten, Bigwig«, sagte er. »Was war das für ein Tier? Hätte es uns töten können?«

»Ein lendri«, sagte Bigwig. »Ich habe von ihnen in der Owsla gehört. Sie sind nicht wirklich gefährlich. Sie können kein rennendes Kaninchen fangen, und man kann fast immer riechen, wenn sie kommen. Es sind komische Dinger: Ich habe von Kaninchen gehört, die beinahe auf ihnen lebten, ohne daß ihnen etwas zustieß. Trotzdem weicht man ihnen besser aus. Sie graben junge Kaninchen aus und töten ein verletztes Kaninchen, wenn sie eines finden. Sie sind schon einer von den Tausend! Ich hätte es vom Geruch her erraten müssen, aber er war neu für mich.«

»Es hatte getötet, bevor es auf uns traf«, sagte Blackberry schaudernd. »Ich sah das Blut an seinen Lippen.«

»Vielleicht eine Ratte oder junge Fasane. Wir hatten Glück, daß es schon getötet hatte, sonst wäre es vielleicht schneller gewesen. Zum Glück haben wir uns richtig verhalten. Wir sind ihm wirklich gut entwischt«, sagte Bigwig.

Fiver kam mit Pipkin hinkend den Pfad herunter. Auch sie erstarrten beim Anblick des Flusses.

»Was meinst du, was wir tun sollten, Fiver?« fragte Hazel.

Fiver sah auf das Wasser hinunter und zuckte mit den Ohren.

»Wir werden ihn überqueren müssen«, sagte er. »Aber ich glaube nicht, daß ich schwimmen kann, Hazel. Ich bin erschöpft, und Pipkin geht es noch viel schlimmer als mir.«

»Überqueren?« rief Bigwig. »Überqueren? Wer wird ihn überqueren? Weshalb willst du ihn überqueren? Ich habe noch nie so einen Unsinn gehört.«

Wie alle wilden Tiere können Kaninchen schwimmen, wenn sie müssen, und einige schwimmen sogar zum Spaß. Man hat von Kaninchen gehört, die an einem Waldrand lebten und regelmäßig einen Bach durchschwammen, um auf den dahinterliegenden Wiesen zu fressen. Doch die meisten Kaninchen vermeiden es zu schwimmen., und bestimmt konnte ein erschöpftes Kaninchen nicht den Enborne durchschwimmen.

»Ich möchte da nicht hineinspringen«, sagte Speedwell.

»Warum gehen wir nicht einfach die Böschung entlang?« fragte Hawkbit.

Hazel befürchtete, daß es gefährlich wäre, Fivers Vorschlag, sie sollten den Fluß überqueren, nicht zu folgen. Aber wie sollten die anderen überredet werden? In diesem Augenblick, als er noch unschlüssig war, was er ihnen sagen sollte, wurde er sich plötzlich bewußt, daß etwas seinen Geist erleuchtet hatte. Was mochte es gewesen sein? Ein Geruch? Ein Geräusch? Dann wußte er es. In der Nähe, über dem Fluß, hatte eine Lerche begonnen, zu tirilieren und zu steigen. Der Morgen brach an. Eine Amsel ließ einen oder zwei tiefe, lang anhaltende Töne hören und wurde von einer Ringeltaube nachgeahmt. Bald waren sie im grauen Zwielicht und konnten sehen, daß der Bach das Ende des Waldes begrenzte. Auf der anderen Seite lagen offene Wiesen.

8. Die Überquerung


Der Hauptmann ... hieß, die da schwimmen könnten, sich zuerst in das Meer werfen und entrinnen an das Land, die anderen aber, etliche auf Brettern, etliche auf den Trümmern des Schiffes. Und so geschah es, daß sie alle gerettet ans Land kamen.

Apostelgeschichte, Kapitel 27


Der höchste Punkt der sandigen Böschung lag gut zwei Meter über dem Wasser. Von ihrem Platz aus konnten die Kaninchen direkt flußauf und zu ihrer Linken flußab sehen. Offensichtlich befanden sich Nistlöcher in der steilen Front unter ihnen; denn als das Licht zunahm, sahen sie drei oder vier Mauersegler über dem Bach auffliegen und in die Felder dahinter verschwinden. Nach kurzer Zeit kehrte einer von ihnen mit vollem Schnabel zurück, und sie konnten die Nestlinge quietschen hören, als er unter ihren Füßen außer Sicht flog. Die Böschung erstreckte sich nicht weit nach beiden Richtungen. Flußauf fiel sie zu einem grasigen Pfad zwischen den Bäumen und dem Wasser ab. Dieser folgte dem Fluß, der in gerader Linie, so weit sie sehen konnten, ohne Furten, Kiesuntiefen oder Bohlenbrücken sanft dahinfloß. Unmittelbar unter ihnen lag ein breiter Tümpel, und hier stand das Wasser fast still. Zu ihrer Linken fiel die Böschung wieder zu Erlengruppen ab, zwischen denen der Bach, über Kies murmelnd, zu hören war. Stacheldraht war jenseits des Wassers schwach zu erkennen, und sie nahmen an, daß dieser eine Viehweide umgeben mußte wie an dem kleinen Bach in der Nähe des heimatlichen Geheges.

Hazel musterte den Pfad stromauf. »Da unten ist Gras«, sagte er. »Gehen wir fressen.«

Sie kletterten die Böschung hinunter und machten sich daran, neben dem Wasser zu knabbern. Zwischen ihnen und dem Bach selbst standen noch nicht ausgewachsene Haufen gemeinen Pfennigkrauts und Flohkrauts, die nicht vor zwei Monaten blühen würden. Die einzigen Blüten waren ein paar frühe Mädesüß und ein Fleck von rosa Kletten. Als sie zur Vorderseite der Böschung hinüberblickten, sahen sie, daß sie tatsächlich mit Mauerseglerlöchern gesprenkelt war. Am Fuße der kleinen Klippe befand sich ein schmales Vorland, das mit dem Abfall der Kolonie übersät war - Stöckchen, Mist, Federn, ein zerbrochenes Ei und ein paar tote Nestlinge. Die Mauersegler flogen jetzt in großer Zahl über dem Wasser hin und her.

Hazel rückte dicht an Fiver heran und drängte ihn langsam von den anderen weg, während er weiterfraß. Als sie eine kleine Strecke entfernt und von einem Büschel Schilf halb verborgen waren, sagte er: »Bist du sicher, daß wir den Fluß überqueren müssen, Fiver? Wie war's, wenn wir die Böschung in der einen oder anderen Richtung entlanggingen?«

»Nein, wir müssen den Fluß überqueren, Hazel, damit wir auf diese Wiesen gelangen können - und noch weiter über sie hinaus. Ich weiß, was wir suchen müßten - einen hochgelegenen Ort mit trockenem Boden, wo die Kaninchen alles um sich herum sehen und hören können und die Menschen kaum jemals hinkommen. Wäre das nicht eine Reise wert?«

»Ja, natürlich. Aber gibt es einen solchen Ort?«

»Nicht in der Nähe des Flusses - das brauche ich dir nicht zu sagen. Aber wenn du einen Fluß überquerst, fängst du wieder an, aufwärts zu gehen, nicht wahr? Wir sollten oben sein - auf der Höhe und im Freien.«

»Aber Fiver, ich glaube, sie werden sich weigern, noch viel weiter zu gehen. Einerseits sagst du all das, und andererseits sagst du, du seist zu müde, um zu schwimmen.«

»Ich kann mich erholen, Hazel, aber Pipkin ist sehr schlecht dran. Ich glaube, er ist verletzt. Wir werden vielleicht den halben Tag hierbleiben müssen.«

»Nun, dann wollen wir mit den anderen sprechen.

Wahrscheinlich werden sie gegen einen Halt nichts einzuwenden haben. Aber hinüber werden sie nicht gern wollen, es sei denn, etwas jagt ihnen einen Schrecken ein und bringt sie dazu.«

Sobald sie zurück waren, kam Bigwig aus den Büschen am Rande des Pfades zu ihnen herüber.

»Ich habe mich schon gefragt, wo du geblieben bist«, sagte er zu Hazel. »Bist du bereit, weiterzuwandern?«

»Nein«, antwortete Hazel bestimmt. »Ich glaube, wir sollten bis ni-Frith hierbleiben. Das wird allen die Möglichkeit geben, sich auszuruhen, und dann können wir zu diesen Wiesen hinüberschwimmen.« Bigwig wollte schon antworten, aber Blackberry sprach zuerst.

»Bigwig«, sagte er, »warum schwimmst du nicht jetzt gleich hinüber, läufst auf die Wiese und siehst dich um? Der Wald scheint sich nicht sehr weit nach der einen oder anderen Richtung zu erstrecken. Du könntest das von dort aus sehen, und dann wissen wir vielleicht, welches der beste Weg wäre.«

»Na schön«, sagte Bigwig ziemlich mißmutig. »Ich nehme an, dein Vorschlag hat Sinn und Verstand. Ich werde den embleer[3] -Fluß so oft durchschwimmen, wie du willst, immer zu einer Gefälligkeit bereit.«

Ohne zu zögern, war er mit zwei Sprüngen am Wasser, watete hinein und schwamm durch den tiefen, stillen Tümpel. Sie sahen, wie er sich neben einem blühenden Haufen Feigwurz herauszog, einen der zähen Stengel in seine Zähne nahm und einen Schauer von Tropfen aus seinem Fell in die Erlenbüsche schüttelte. Einen Augenblick später sahen sie ihn zwischen den Nußbäumen auf die Wiese springen.

»Ich bin froh, daß er bei uns ist«, sagte Hazel zu Silver. Wieder dachte er beiläufig an den Threarah. »Er ist der Bursche, der alles herausfindet, was wir wissen müssen. Nanu, er kommt ja schon zurück!«

Bigwig raste über die Wiese zurück und sah aufgeregter aus denn je seit seinem Zusammenstoß mit Hauptmann Holly. Er stürzte sich beinahe kopfüber ins Wasser und paddelte schnell herüber, ließ ein pfeilförmiges Kräuseln auf der ruhigen braunen Oberfläche zurück. Er sprach schon, als er auf das sandige Uferland hochschnellte.

»Nun, Hazel, wenn ich du wäre, würde ich nicht bis ni-Frith warten. Ich würde jetzt gehen. Ich glaube sogar, du wirst es müssen.«

»Warum?« fragte Hazel.

»Ein großer Hund läuft frei im Wald herum.«

Hazel fuhr zusammen. »Was?« sagte er. »Woher weißt du das?«

»Wenn du auf die Wiese kommst, kannst du den Wald schräg zum Fluß abfallen sehen. Teile von ihm liegen offen. Ich sah den Hund eine Lichtung überqueren. Er zog eine Kette hinter sich her, also muß er sich losgerissen haben.

Vielleicht ist er dem lendri auf der Spur, aber der lendri wird inzwischen unter der Erde sein. Was, glaubst du, wird passieren, wenn er durch den Wald läuft und unseren Geruch aufnimmt, und dann noch der Tau dazu? Komm, machen wir, daß wir rüberkommen.«

Hazel wußte nicht, was er sagen sollte. Vor ihm stand Bigwig, triefend naß, unerschrocken, zielbewußt - das typische Bild der Entschlossenheit. An seiner Schulter hockte Fiver, schweigsam, zuckend. Er sah, daß Blackberry ihn aufmerksam beobachtete, darauf wartete, daß er, nicht Bigwig, führte. Dann sah er Pipkin an, der sich in eine Sandkuhle gekauert hatte und stärker von Panik und Hilflosigkeit gepackt war als irgendein Kaninchen, das er je gesehen hatte. In diesem Augenblick hörte man vom Wald her aufgeregtes Kläffen, und ein Eichelhäher begann zu schimpfen.

Hazel sprach in einer Art Trance. »Nun, dann verschwinde jetzt lieber«, sagte er, »und jeder, der will, ebenfalls. Was mich betrifft, werde ich warten, bis Fiver und Pipkin in der Lage sind, die Sache in Angriff zu nehmen.«

»Du blöder Dummkopf!« rief Bigwig. »Wir werden alle erledigt sein! Wir werden -«

»Trample nicht herum«, sagte Hazel. »Man könnte dich hören. Was schlägst du also vor?«

»Vorschlagen? Da gibt es nichts vorzuschlagen. Diejenigen, die schwimmen können, schwimmen. Die anderen werden hierbleiben müssen und das Beste hoffen. Vielleicht kommt der Hund nicht.«

»Tut mir leid, aber das gilt nicht für mich. Ich habe Pipkin in die Sache hineingeritten, und ich hole ihn auch wieder heraus.«

»Nun, Fiver hast du nicht hineingeritten, nicht wahr? Er hat vielmehr dich hineingeritten.«

Hazel stellte mit widerwilliger Bewunderung fest, daß Bigwig, obgleich er in Wut geraten war, es offensichtlich nicht um seiner selbst willen eilig hatte und weniger als irgendein anderer Angst hatte. Er sah sich nach Blackberry um und bemerkte, daß er sie verlassen hatte und sich am oberen Ende des Pfuhls befand, wo der schmale Strand in eine Kiesbank auslief. Seine Pfoten waren halb in dem nassen Kies vergraben, und er beschnüffelte etwas Großes und Flaches über der Wasserlinie. Es sah wie ein Stück Holz aus.

»Blackberry«, sagte er, »kannst du einen Augenblick hierherkommen?«

Blackberry blickte auf, zog seine Pfoten heraus und rannte zurück.

»Hazel«, sagte er hastig, »da ist ein Stück flaches Holz -wie das Stück, das die Lücke bei der Grünen Freiheit oberhalb des Geheges schloß -, erinnerst du dich? Es muß den Fluß heruntergetrieben sein. Es schwimmt also. Wir könnten Fiver und Pipkin daraufsetzen und es wieder schwimmen lassen. Vielleicht treibt es über den Fluß. Verstehst du?«

Hazel hatte keine Ahnung, was er meinte. Blackberrys Erguß von augenscheinlichem Unsinn schien die Maschen von Gefahr und Verwirrung nur enger zu ziehen. Als ob es nicht genügte, sich Bigwigs zorniger Ungeduld, Pipkins Angst und dem sich nähernden Hund gegenüberzusehen - nun war auch das klügste Kaninchen von ihnen allen offenbar übergeschnappt. Er war der Verzweiflung nahe.

»Frithrah, ja, ach so!« sagte eine aufgeregte Stimme an seinem Ohr. Es war Fiver. »Schnell, Hazel! Komm und hole Pipkin!«

Es war Blackberry, der den verblüfften Pipkin so lange piesackte, bis er aufstand, und ihn zwang, die paar Meter zu der Kiesbank zu hinken. Das Stück Holz, kaum größer als ein Rhabarberblatt, war leicht aufgelaufen. Blackberry trieb Pipkin beinahe mit den Pfoten darauf. Pipkin duckte sich zitternd, und Fiver folgte ihm an Bord.

»Wer ist kräftig?« fragte Blackberry. »Bigwig! Silver! Stoßt es hinaus!«

Keiner gehorchte ihm. Alle hockten verlegen und unsicher da. Blackberry grub seine Nase in den Kies unter den landeinwärts gelegenen Rand des Brettes und hob es, stieß es ab. Das Brett neigte sich. Pipkin kreischte, Fiver senkte den Kopf und bog seine Pfoten nach außen. Dann kam das Brett wieder ins Gleichgewicht und trieb ein paar Fuß in den Pfuhl hinaus, während die beiden Kaninchen starr und bewegungslos darauf kauerten. Es drehte sich langsam im Kreis, und sie starrten zu ihren Kameraden zurück.

»Frith und Inle!« sagte Dandelion. »Sie sitzen auf dem Wasser. Warum sinken sie nicht?«

»Sie sitzen auf dem Holz, und das Holz schwimmt, siehst du nicht?« sagte Blackberry. »Und jetzt schwimmen wir selbst hinüber. Können wir starten, Hazel?«

In den letzten paar Minuten war Hazel nahe daran, den Kopf zu verlieren. Er war am Ende seines Lateins gewesen, hatte keine Erwiderung auf Bigwigs verächtliche Ungeduld gehabt außer seiner Bereitschaft, sein eigenes Leben gemeinsam mit Fiver und Pipkin zu riskieren. Er konnte immer noch nicht begreifen, was passiert war, aber wenigstens kam ihm zu Bewußtsein, daß Blackberry Autorität von ihm erwartete. Sein Kopf wurde klarer.

»Schwimmt«, sagte er. »Schwimmt alle!«

Er beobachtete sie, als sie hineingingen. Dandelion schwamm so gut, wie er lief, schnell und leicht. Auch Silver schwamm zügig. Die anderen paddelten und krabbelten irgendwie hinüber, und als sie die andere Seite erreichten, sprang auch Hazel. Das kalte Wasser durchdrang sein Fell fast sofort. Sein Atem ging kurz, und als sein Kopf unterging, konnte er undeutliches Knirschen von Kies am Boden hören. Er paddelte, den Kopf hoch über das Wasser haltend, unbeholfen hinüber und schwamm auf die Feigwurz zu. Als er sich herauszog, blickte er sich unter den klitschnassen Kaninchen zwischen den Erlen um.

»Wo ist Bigwig?« fragte er.

»Hinter dir«, antwortete Blackberry mit klappernden Zähnen.

Bigwig war noch im Wasser, auf der anderen Seite des Pfuhls. Er war an das Floß herangeschwommen, hatte den Kopf dagegengelegt und trieb es nun mit kräftigen Stößen seiner Hinterläufe vorwärts. »Sitzt ruhig«, hörte Hazel ihn mit hastiger, würgender Stimme sagen. Dann sank er unter. Aber einen Augenblick später war er wieder oben und hatte seinen Kopf über die Rückseite des Brettes geschoben. Als er stieß und strampelte, schwankte es, und dann, während die Kaninchen von der Böschung aus zusahen, bewegte es sich langsam über den Pfuhl hinweg und lief auf der gegenüberliegenden Seite auf Grund. Fiver stieß Pipkin auf die Steine, und Bigwig watete zitternd und atemlos neben ihnen heraus.

»Mir hat es gedämmert, nachdem Blackberry es uns gezeigt hatte«, sagte er. »Aber es ist schwer, es zu schieben, wenn man im Wasser ist. Hoffentlich ist bald Sonnenaufgang. Mir ist kalt. Gehen wir.«

Es gab kein Anzeichen von dem Hund, als sie zwischen den Erlen und durch die Wiese zur ersten Hecke hasteten. Die meisten hatten nicht erfaßt, was Blackberrys Entdeckung des Floßes bedeutete, und vergaßen es sofort wieder. Fiver jedoch kam zu Blackberry herüber, der am Schaft eines Schlehdorns in der Hecke lag.

»Du hast Pipkin und mich gerettet, nicht wahr?« sagte er. »Ich glaube nicht, daß Pipkin eine Vorstellung davon hat, was sich wirklich zugetragen hat; aber ich habe eine.«

»Ich gebe zu, es war eine gute Idee«, sagte Blackberry. »Wir wollen sie uns merken. Sie könnte uns eines Tages sehr gelegen kommen.«

9. Der Rabe und das Bohnenfeld


Mit der Gabe der Bohnenblüte Und der Melodie der Amsel Und Mai und Juni!

Robert Browning De Gustibus


Die Sonne ging auf, während sie noch in der Dornenhecke lagen. Mehrere der Kaninchen schliefen schon, unbequem zwischen den dicken Schäften zusammengekauert, sich der Gefahr wohl bewußt, aber zu müde, um mehr zu tun, als dem Glück zu vertrauen. Hazel, der sie musterte, fühlte sich beinahe so unsicher wie auf der Flußböschung. Eine Hecke auf freiem Gelände war kein Ort, wo man den ganzen Tag bleiben konnte. Aber wohin sollten sie gehen? Er mußte mehr von ihrer Umgebung wissen. Er bewegte sich an der Hecke entlang, spürte die Brise von Süden und sah sich nach einem Fleck um, wo er ohne großes Risiko sitzen und wittern konnte. Die Gerüche, die von oben herunterkämen, konnten ihm vielleicht etwas verraten.

Er kam zu einem schlammigen Pfad, der von Vieh breitgetrampelt worden war. Er konnte es auf der nächsten Wiese, weiter den Abhang hinauf, grasen sehen. Vorsichtig lief er zur Wiese hin, kauerte sich neben einen Distelhaufen und schnupperte in den Wind. Nun, da er von dem HagedornGeruch der Hecke und dem Gestank des Viehdungs frei war, spürte er besonders deutlich, was schon in seine Nase gedrungen war, während er unter den Dornen lag. Es war nur ein Geruch im Wind, und der war ihm neu: ein starker, frischer, süßer Duft, der die Luft erfüllte und ziemlich gesund schien. Er verhieß keine Gefahr. Aber was war es, und warum war er so stark? Wie konnte er jeden anderen Geruch im offenen Land bei Südwind ausschließen? Die Quelle mußte ganz in der Nähe sein. Hazel fragte sich, ob er eines der Kaninchen schicken sollte, um das herauszufinden. Dandelion wäre über den Kamm und zurück fast so schnell wie ein Hase. Dann trieben ihn seine Abenteuerlust und sein Mutwillen an. Er würde selbst gehen und Nachrichten zurückbringen, ehe die anderen überhaupt wußten, daß er weggegangen war. Daran würde Bigwig ganz schön zu knabbern haben.

Er lief leichtfüßig über die Wiese auf die Kühe zu. Als er näher kam, hoben sie die Köpfe und starrten ihn einen Augenblick an, ehe sie weiterfraßen. Ein großer schwarzer Vogel flatterte und hopste dicht hinter der Herde. Er ähnelte einer großen Saatkrähe, war aber - im Gegensatz zu dieser -allein. Hazel beobachtete, wie er mit seinem grünlichen mächtigen Schnabel in den Boden hackte, aber er konnte nicht ausmachen, was er tat. Zufällig hatte Hazel noch nie einen Raben gesehen. Er kam nicht darauf, daß er der Spur eines Maulwurfs folgte, in der Hoffnung, ihn mit einem Hieb seines Schnabels zu töten und ihn dann aus seinem nicht sehr tiefen Gang herauszuziehen. Wenn er das gewußt hätte, hätte er ihn wahrscheinlich nicht wohlgemut als »Nicht-Falken« eingestuft - so wird alles von einem Zaunkönig bis zu einem Fasan genannt - und seinen Weg den Abhang hinauf fortgesetzt.

Der seltsame Duft war jetzt stärker; er drang über den Kamm der Anhöhe in einer Welle von Wohlgerüchen herab, die ihn mächtig beeindruckte - wie der Geruch von Orangenblüten in den Mittelmeerländern einen Touristen beeindruckt, der sie zum ersten Male riecht. Fasziniert rannte er auf den Kamm. In der Nähe war noch eine Hecke, und dahinter, sich leise in der Brise wiegend, stand ein Feld von Saubohnen in voller Blüte.

Hazel hockte sich auf die Keulen und starrte auf den regelmäßigen Wald kleiner graugrüner Bäume mit ihren Säulen schwarz-weißer Blüten. Er hatte noch nie so etwas gesehen. Weizen und Gerste kannte er, und einmal war er in einem Rübenfeld gewesen. Aber das hier war vollkommen anders und schien irgendwie verlockend, gesund, geeignet. Gewiß, Kaninchen konnten diese Pflanzen nicht fressen: das konnte er riechen. Aber sie konnten geschützt in ihnen liegen, solange sie wollten, und sie konnten sich leicht und ungesehen durch sie hindurchbewegen. Hazel beschloß auf der Stelle, die Kaninchen hinauf zu dieser BohnenfeldDeckung zu bringen und bis zum Abend zu ruhen. Er lief zurück und fand die anderen, wo er sie zurückgelassen hatte. Bigwig und Silver waren wach, aber der Rest döste noch unruhig.

»Schläfst du nicht, Silver?« fragte er.

»Es ist zu gefährlich, Hazel«, erwiderte Silver. »Ich möchte ebenso gerne schlafen wie die anderen, aber wenn wir alle schlafen und etwas kommt, wer wird es erspähen?«

»Ich weiß. Ich habe einen Ort entdeckt, wo wir, solange wir wollen, sicher schlafen können.«

»Eine Höhle?«

»Nein, keine Höhle. Ein großes Feld duftender Pflanzen, das uns davor bewahren wird, gesehen oder gerochen zu werden, bis wir uns ausgeruht haben. Kommt heraus und riecht es selbst, wenn ihr wollt.«

Beide Kaninchen schnupperten. »Du sagst, du hast diese Pflanzen gesehen?« fragte Bigwig und drehte seine Ohren, um das ferne Rascheln der Bohnen einzufangen.

»Ja, sie sind gleich hinter dem Kamm. Schnell, treiben wir die anderen an, ehe ein Mensch mit einem hrududu[4] kommt und sie in alle Winde verstreut sind.«

Silver weckte die anderen und begann, sie mit gutem Zureden vorwärts zu treiben. Sie stolperten schläfrig hinaus, mit Zögern und Widerwillen auf die wiederholte Versicherung reagierend, es sei »nur ein kurzer Weg«.

Sie wurden weit auseinandergerissen, als sie sich die Anhöhe hinaufrappelten, Silver und Bigwig in Führung und Hazel und Buckthorn in kurzer Entfernung hinterher. Die anderen trödelten weiter, hoppelten ein paar Meter, um dann eine Pause zu machen und zu knabbern oder Mist auf dem warmen, sonnigen Gras zurückzulassen. Silver war schon beinahe oben, als plötzlich auf halber Höhe ein spitzer Schrei ertönte - der Laut, den ein Kaninchen von sich gibt, nicht, um um Hilfe zu rufen oder einen Feind einzuschüchtern, sondern einfach aus Entsetzen. Fiver und Pipkin, die hinter den anderen herhinkten und auffallend unter Normalgröße und müde waren, wurden von dem Raben angegriffen. Er war dicht über dem Boden entlanggeflogen. Dann hatte er, herabstoßend, mit seinem großen Schnabel einen Hieb auf Fiver gezielt, der ihm gerade noch hatte ausweichen können. Jetzt sprang und hopste er zwischen den Grasbüscheln und hieb mit entsetzlichem Vorrucken seines Kopfes auf die beiden Kaninchen ein. Raben zielen auf die Augen, und Pipkin, der dies spürte, hatte den Kopf in ein Büschel üppiges Gras vergraben und versuchte, sich noch tiefer hineinzugraben. Er war es, der schrie.

Hazel legte die Entfernung den Abhang hinunter in ein paar Sekunden zurück. Er hatte keine Ahnung, was er tun würde, und wenn der Rabe ihn ignoriert hätte, wäre er wahrscheinlich in Verlegenheit geraten. Aber durch seinen Ansturm lenkte er dessen Aufmerksamkeit ab, und er wandte sich ihm zu. Er bog seitwärts aus, blieb stehen, und zurückblickend sah er Bigwig von der gegenüberliegenden Seite heranrasen. Der Rabe wandte sich wieder um, stieß auf Bigwig ein und verfehlte ihn. Hazel hörte, wie sein Schnabel auf einen Kiesel im Gras traf, ein Geräusch wie von einem Schneckenhaus, von einer Drossel auf einen Stein geschlagen. Als Silver Bigwig folgte, erholte sich der Rabe wieder und trat ihm direkt gegenüber. Silver verharrte in Angst, und der Vogel schien vor ihm zu tanzen; seine großen schwarzen Flügel flatterten in furchtbarer Erregung. Er wollte gerade zuhacken, als Bigwig von hinten direkt in ihn hineinrannte und ihn beiseite stieß, so daß er mit einem rauhen, heiseren Wutkrächzen über das Rasenstück taumelte.

»Macht weiter so!« rief Bigwig. »Greift ihn von hinten an! Sie sind Feiglinge! Sie wagen sich nur an hilflose Kaninchen heran.«

Aber schon verzog sich der Rabe, flog tief mit langsamen, schweren Flügelschlägen davon. Sie beobachteten, wie er die ferne Hecke hinter sich brachte und im Wald jenseits des Flusses verschwand. In der Stille hörte man ein sanftes, ziehendes Geräusch, als eine grasende Kuh näher kam.

Bigwig schlenderte zu Pipkin hinüber, einen zotigen Owsla-Vers murmelnd:

»Hoi, hoi u embleer Hrair,

M'saion ule hraka vair.[5]

Komm schon, Hlao-roo«, sagte er. »Du kannst deinen Kopf jetzt herausnehmen. Das war vielleicht ein Tag, was?«

Er drehte sich um, und Pipkin versuchte, ihm zu folgen. Hazel erinnerte sich, daß Fiver gesagt hatte, er glaubte, er sei verletzt. Jetzt, als er beobachtete, wie er den Abhang hinaufhinkte und stolperte, kam ihm der Gedanke, daß er tatsächlich verletzt sein mochte. Er versuchte immer wieder, mit seiner linken Vorderpfote den Boden zu berühren, und zog sie dann wieder hoch, indem er auf drei Beinen hopste.

»Ich werde ihn mir genau ansehen, sobald wir in Deckung gegangen sind«, dachte er. »Der arme kleine Bursche, in dem Zustand wird er nicht weit kommen. «

Auf dem Kamm der Anhöhe führte Buckthorn bereits den Weg in das Bohnenfeld an. Hazel erreichte die Hecke, überquerte einen schmalen Grasstreifen auf der anderen Seite und sah direkt in eine lange, schattige Schneise zwischen zwei Bohnenreihen hinunter. Die Erde war weich und krümelig, mit einer Streuung von Unkraut, das man in angebauten Feldern findet - Erdrauch, Hederich, Pimpernelle und Primelstrauch, die alle in der grünen Düsternis unter den Bohnenblättern wuchsen. Als sich die Pflanzen in der Brise bewegten, warf das Sonnenlicht Sprenkel und Flecken über den braunen Boden, über die weißen Kiesel und das Unkraut. Und doch war in dieser allgegenwärtigen Unruhe nichts Alarmierendes, denn der ganze Wald nahm daran teil, und das einzige Geräusch war die leise, stetige Bewegung der Blätter. Weit unten in der Bohnenreihe sah Hazel Buckthorns Rücken und folgte ihm in die Tiefen des Feldes.

Bald darauf waren alle Kaninchen in einer Art Hohlraum versammelt. Weit umher, auf allen Seiten, standen die ordentlichen Bohnenreihen, sicherten sie gegen feindliche Einflüsse ab, überdachten sie und deckten sie mit ihrem Geruch. Unter der Erde wären sie kaum sicherer gewesen. Selbst ein bißchen Nahrung konnte, wenn es zum Äußersten kam, gewonnen werden, denn hier und da standen ein paar fahle Grasbüschel und ein Löwenzahn.

»Wir können hier den ganzen Tag schlafen«, sagte Hazel. »Aber ich denke, einer von uns sollte wach bleiben; und wenn ich die erste Runde übernehme, gibt mir das die Möglichkeit, mir deine Pfote genauer anzusehen, Hlao-roo. Ich glaube, du hast etwas drin.«

Pipkin, der auf seiner linken Seite lag und schnell und schwer atmete, rollte sich herum und streckte seine Vorderpfote vor, die Unterseite nach oben gewendet. Hazel schaute in das dichte, grobe Haar (der Fuß eines Kaninchens hat keinen Ballen) und sah nach einigen Augenblicken, was er erwartet hatte - den ovalen Schaft eines abgerissenen Dorns, der durch die Haut stach. Es war ein wenig Blut daran, und das Fleisch war zerfetzt.

»Du hast einen großen Dorn da drin, Hlao«, sagte er. »Kein Wunder, daß du nicht rennen konntest. Wir werden ihn herausziehen müssen.«

Es war nicht leicht, den Dorn herauszubekommen, denn der Fuß war so empfindlich geworden, daß Pipkin zusammenzuckte und selbst vor Hazels Zunge zurückschreckte. Doch nach einer ganzen Weile geduldiger Anstrengung gelang es Hazel, genug von dem Stumpen herauszuarbeiten, um den Dorn mit den Zähnen greifen zu können. Der Dorn kam glatt heraus, und die Wunde blutete. Der Stachel war so lang und dick, daß Hawkbit, der zufällig in der Nähe war, Speedwell weckte, damit er ihn sich ansähe.

»Frith im Himmel, Pipkin!« sagte Speedwell, an dem Dorn, der auf einem Kiesel lag, schnüffelnd. »Du solltest noch ein paar mehr von denen da sammeln; dann könntest du eine Anschlagtafel machen und Fiver erschrecken. Du hättest das Auge des lendris für uns herausstechen können, wenn du's nur gewußt hättest.«

»Lecke die Stelle, Hlao«, sagte Hazel. »Lecke sie, bis sie nicht mehr schmerzt, und dann geh schlafen.«

10. Die Straße und das Gemeindeland


Timorous antwortete, daß sie ... diesen schwierigen Ort hinaufgegangen waren. »Aber«, sagte er, »je weiter wir gehen, auf desto mehr Gefahren stoßen wir, worauf wir kehrtmachten und wieder zurückgingen.«

John Bunyan The Pilgrim's Progress


Nach einiger Zeit weckte Hazel Buckthorn. Dann kratzte er sich ein flaches Nest in die Erde und schlief. Während des Tages folgte eine Wache der anderen. Wie die Kaninchen dabei den Zeitablauf beurteilten, ist etwas, das zivilisierte Menschen nicht mehr begreifen können. Geschöpfe, die weder über Uhren noch Bücher verfügen, sind empfänglich für alle Kenntnisse, die sich über die Zeit, über das Wetter sowie über die Richtung gewinnen lassen, wie wir von ihren außergewöhnlichen Zug- und Heimkehrflügen wissen. Die Veränderungen in der Wärme und Feuchtigkeit des Bodens, das Sinken der Sonnenlichtflecken, die wechselnden Bewegungen der Bohnen im leichten Wind, die Richtung und Stärke der Luftströme entlang dem Boden - all dies wurde von dem wachhabenden Kaninchen wahrgenommen.

Die Sonne begann unterzugehen, als Hazel erwachte und Acorn in der Stille zwischen zwei weißen Kieseln horchen und schnüffeln sah. Das Licht war trüber geworden, die Brise hatte sich gelegt, und die Bohnen waren still. Pipkin lag etwas weiter weg ausgestreckt da. Ein schwarz-gelber Totengräber, der über den weißen Pelz seines Bauches kroch, hielt an, schwenkte seine kurze gekrümmte Antenne und kroch dann wieder weiter. In Hazel spannte sich alles vor plötzlicher Befürchtung. Er wußte, daß diese Käfer zu toten Kleintieren kommen, an ihnen fressen und ihre Eier ablegen. Sie graben die Erde unter den Körpern kleiner Geschöpfe wie Spitzmäusen und aus dem Nest gefallenen Vögeln weg, und dann legen sie ihre Eier auf sie, ehe sie sie mit Erde bedecken. Pipkin war doch nicht etwa im Schlaf gestorben? Hazel setzte sich schnell auf. Acorn schreckte hoch und drehte sich zu ihm um, und der Käfer huschte über die Kiesel fort, als Pipkin sich bewegte und erwachte.

»Was macht die Pfote?« fragte Hazel. Pipkin setzte sie auf den Boden. Dann stand er auf.

»Es fühlt sich viel besser an«, sagte er. »Ich glaube, ich werde jetzt ebenso gut wie die anderen laufen können. Sie werden mich nicht zurücklassen, nicht wahr?«

Hazel rieb seine Nase hinter Pipkins Ohr. »Niemand wird jemanden zurücklassen«, sagte er. »Wenn du bleiben müßtest, würde ich bei dir bleiben. Aber such dir keine neuen Dornen aus, Hlao-roo, weil wir vielleicht noch einen langen Weg vor uns haben.«

Im nächsten Augenblick sprangen alle Kaninchen entsetzt hoch. Aus allernächster Nähe peitschte ein Schuß durch die Felder. Ein Kiebitz flog kreischend auf. Das Echo kam wellenförmig zurück, und aus dem Wald jenseits des Flusses drang das Flügelschlagen der Ringeltauben zwischen den Zweigen herüber. Im Nu rannten die Kaninchen nach allen Richtungen durch die Bohnenreihen, jedes flitzte instinktiv auf Löcher zu, die nicht da waren.

Hazel stoppte am Rande des Bohnenfelds. Er sah sich um und konnte keinen von den anderen sehen. Er wartete zitternd auf den nächsten Schuß, aber es herrschte Stille. Dann fühlte er durch die Schwingungen auf dem Boden den stetigen Schritt eines Menschen, der den Kamm verließ, über den sie an diesem Morgen gekommen waren. Dann erschien Silver, der durch die Pflanzen in der Nähe angerannt kam.

»Ich hoffe, es ist der Rabe - du nicht auch?« sagte Silver.

»Ich hoffe, daß niemand so dumm gewesen ist, aus diesem Feld wegzulaufen«, antwortete Hazel. »Sie sind alle verstreut. Wie können wir sie finden?«

»Ich glaube nicht, daß es uns gelingt«, sagte Silver. »Wir sollten dahin zurückgehen, woher wir gekommen sind. Sie werden schon alle nach und nach zurückkehren.«

Es dauerte tatsächlich lange, bis alle Kaninchen wieder in der Höhlung inmitten des Feldes waren. Während er wartete, wurde es Hazel klarer denn je, wie gefährlich ihre Lage war, ohne Löcher in einem Land zu wandern, das sie nicht kannten. Der lendri, der Hund, der Rabe, der Schütze - sie hatten Glück gehabt, ihnen zu entrinnen. Wie lange würde ihr Glück andauern? Würden sie wirklich zu Fivers hochgelegenem Ort gelangen - wo auch immer er sein mochte?

»Ich würde mich für jede anständige, trockene Böschung entscheiden«, dachte er, »solange Gras und keine Menschen mit Flinten da sind. Und je früher wir eine entdecken, desto besser.«

Hawkbit kehrte als letzter zurück, und als er da war, setzte Hazel sich sofort in Bewegung. Er lugte vorsichtig durch die Bohnen und sauste dann in die Hecke. Der Wind, den er schnupperte, als er stoppte, war beruhigend und trug nur die Gerüche von abendlichem Tau, Weißdornblüten und Kuhdung. Er lief voraus in das nächste Feld, eine Weide; und hier stürzten sie sich alle aufs Fressen, knabberten sich so sorglos durch das Gras, als wäre ihr Gehege dicht in der Nähe.

Als er halbwegs durch das Feld hindurch war, wurde Hazel eines hrududu gewahr, der sich auf der anderen Seite der entfernteren Hecke in großer Geschwindigkeit näherte. Er war klein und weniger geräuschvoll als der Farm-Traktor, den er manchmal vom Rand des heimatlichen SchlüsselblumenWaldes aus beobachtet hatte. Wie ein Blitz schoß er vorbei in einer unnatürlichen, von Menschen gemachten Farbe, die hier und da heller glitzerte als eine Winterstechpalme. Etwas später folgte der Geruch von Benzin und Auspuff. Hazel machte große Augen und zuckte mit der Nase. Er konnte nicht verstehen, wie der hrududu so schnell und glatt durch die Felder jagen konnte. Ob er zurückkehrte? Würde er schneller durch die Felder fahren, als sie rennen konnten, und sie zur Strecke bringen?

Als er zögerte und sich überlegte, was er nun wohl tun sollte, kam Bigwig heran.

»Da ist eine Straße«, sagte er. »Das wird einige von uns überraschen, nicht wahr?«

»Eine Straße?« sagte Hazel und dachte an den Weg neben dem Anschlagbrett. »Woher weißt du das?«

»Nun, was denkst du wohl, wieso ein hrududu so schnell fahren kann? Außerdem, riechst du es denn nicht?«

Der Geruch nach warmem Teer war jetzt ganz deutlich in der Abendluft zu spüren.

»Ich habe das noch nie in meinem Leben gerochen«, sagte Hazel mit einem Anflug von Gereiztheit.

»Ach so«, sagte Bigwig, »dann wurdest du also nie fortgeschickt, um Salatblätter für den Threarah zu stehlen, nicht wahr? Andernfalls wüßtest du Bescheid. Die sind wirklich nicht gefährlich, außer bei Nacht. Dann sind sie elil, bestimmt.«

»Du solltest mir Unterricht geben, glaube ich«, sagte Hazel. »Ich gehe mit dir nach oben, und die anderen lassen wir dann folgen.«

Sie liefen weiter und krochen durch die Hecke. Hazel sah erstaunt auf die Straße hinunter. Einen Augenblick glaubte er, er sehe wieder einen großen Fluß - schwarz, glatt und gerade zwischen seinen Böschungen. Dann sah er den geteerten Kies und beobachtete eine Spinne, die über seine Oberfläche lief.

»Aber das ist nicht natürlich«, sagte er, die merkwürdigen Gerüche nach Teer und Öl schnüffelnd. »Was ist es? Wie ist es dahin gekommen?«

»Es ist ein Menschen-Ding«, sagte Bigwig. »Sie schmieren diesen Stoff dahin, und dann lassen sie die hrududil darüber laufen - schneller, als wir können; und was sonst kann schneller laufen als wir?«

»Sind sie gefährlich? Können sie uns fangen?«

»Nein, das ist ja gerade das Seltsame. Sie beachten uns gar nicht. Ich zeige es dir, wenn du willst.«

Die anderen Kaninchen erreichten jetzt nach und nach die Hecke, als Bigwig die Böschung hinunterhopste und sich an den Rand der Straße kauerte. Hinter der Biegung wurde das Geräusch eines anderen sich nähernden Wagens laut. Hazel und Silver blickten gespannt hin. Der Wagen erschien, funkelte grün und weiß und raste auf Bigwig zu. Einen Augenblick erfüllte er die ganze Welt mit Krach und Angst. Dann war er verschwunden, und Bigwigs Fell wehte im Zugwind, der ihm die Hecken hinunter folgte. Er sprang zu den erstaunt starrenden Kaninchen auf der Böschung zurück.

»Seht ihr? Sie tun einem nicht weh«, sagte Bigwig. »Ehrlich gesagt, ich glaube, daß sie lebendig sind. Aber ich gebe zu, daß ich es nicht ganz verstehe.«

Wie an der Flußböschung hatte Blackberry sich davongeschlichen und war schon auf der Straße, schnupperte sich zur Mitte hin, halbwegs zwischen Hazel und der Biegung. Sie sahen ihn aufschrecken und in den Schutz der Böschung zurückspringen.

»Was ist los?« fragte Hazel.

Blackberry antwortete nicht, und Hazel und Bigwig hopsten am Rande des Grasstreifens zu ihm hin. Er öffnete und schloß das Maul, leckte sich die Lippen wie eine Katze, wenn etwas sie anwidert.

»Du sagst, sie seien nicht gefährlich, Bigwig«, meinte er ruhig. »Aber ich glaube, sie sind es trotzdem.«

In der Mitte der Straße lag eine plattgedrückte, blutige Masse von braunen Stacheln und weißem Fell mit kleinen schwarzen Füßen und einer zerquetschten Schnauze. Fliegen krochen darüber, und hier und da staken Kiesecken aus dem Fleisch.

»Ein yona«, sagte Blackberry. »Auf wen hat ein yona es außer auf Schnecken und Käfer schon abgesehen? Und was kann ein yona fressen?«

»Er muß bei Nacht gekommen sein«, sagte Bigwig.

»Ja, natürlich. Die yonil jagen immer bei Nacht. Wenn du sie bei Tag siehst, liegen sie im Sterben.«

»Ich weiß. Aber was ich zu erklären versuche, ist, daß die hrududil nachts große Lichter haben, heller als Frith selbst. Sie ziehen Geschöpfe an, und wenn sie dich anleuchten, kannst du nicht sehen oder denken, wohin du gehen sollst. Dann wird der hrududu dich wahrscheinlich vernichten. Jedenfalls haben wir's so in der Owsla gelernt. Ich habe nicht die Absicht, es auszuprobieren.«

»Nun es wird bald dunkel«, sagte Hazel. »Kommt, gehen wir hinüber. Soweit ich sehen kann, dient die Straße uns zu gar nichts. Nachdem ich jetzt alles über sie erfahren habe, möchte ich so bald wie möglich von ihr fort.«

Bei Mondaufgang hatten sie den Friedhof von Newtown durcheilt, wo ein kleiner Bach zwischen dem Rasen und unter dem Pfad hindurchläuft. Sie wanderten weiter, kletterten einen kleinen Hügel hinauf und kamen zum Gemeindeland von Newtown - ein Torfgelände mit Stechginster und Silberbirken. Nach den Wiesen, die sie verlassen hatten, war dies eine fremdartige, abstoßende Landschaft. Bäume, Weide, selbst der Boden - alles ganz ungewohnt. Sie zögerten in dem dichten Heidekraut, konnten nicht mehr als ein paar Fuß voraus sehen. Ihr Fell wurde tropfnaß vom Tau. Der Boden war von Rinnen und Flecken nackten dunklen Torfes zerklüftet, wo das Wasser stand und spitze weiße Steine, einige so groß wie Taubeneier, andere wie der Schädel eines Kaninchens, im Mondlicht schimmerten. Wann immer sie eine dieser Rinnen erreichten, drängten sich die Kaninchen zusammen und warteten darauf, daß Hazel oder Bigwig drüben hinaufkletterten und einen Weg voran fanden. Überall stießen sie auf Käfer, Spinnen und kleine Eidechsen, die eiligst davonhuschten, wenn sie durch das storre, widerstandsfähige Heidekraut stießen. Einmal stöberte Buckthorn eine Schlange auf und sprang in die Luft, als sie zwischen seinen Pfoten hindurch in ein Loch am Fuß einer Birke schoß.

Sogar die Pflanzen waren ihnen unbekannt - Läusekraut mit seinem Gezweig hakenförmiger Blüten, Sumpfgewächse und die dünnstengeligen Blüten des Sonnentaus, deren haarige, fliegenfangende Münder, die sich zur Nacht schlossen, herausragten. In diesem Dschungel war alles Stille. Sie liefen immer langsamer und machten zwischen dem ausgestochenen Torf lange Pausen. Wenngleich das Heidekraut still war, trug die Brise doch ferne Nachtgeräusche über das offene Land. Ein Hahn krähte. Ein Hund rannte bellend umher, und ein Mann schrie ihn an. Eine kleine Eule rief »Kii-wik, kii-wik«, und etwas - eine Wühlmaus oder eine Spitzmaus - gab ein kleines Quietschen von sich. Da war kein Geräusch, das nicht von Gefahren kündete.

Spät in der Nacht, gegen Monduntergang, blickte Hazel von einem Einschnitt, wo sie kauerten, zu einer kleinen Böschung hinauf. Als er noch überlegte, ob er hinaufklettern sollte, um zu sehen, ob er klare Sicht nach vorn bekommen konnte, hörte er eine Bewegung hinter sich, drehte sich um und sah Hawkbit neben sich. Es war etwas Hinterlistiges und Zögerndes an ihm, und Hazel blickte ihn scharf an, fragte sich einen Augenblick, ob er krank oder vergiftet sei.

»Äh - Hazel«, sagte Hawkbit, an ihm vorbei auf die dunkle Klippe blickend. »Ich - äh -, das heißt wir - äh -, wir sind der Meinung, daß wir - nun, daß wir nicht so weitergehen können. Wir haben genug.«

Er hielt inne. Hazel sah jetzt, daß Speedwell und Acorn hinter ihm standen und erwartungsvoll zuhörten. Es trat eine Pause ein.

»Weiter, Hawkbit«, sagte Speedwell, »oder soll ich weiterreden?«

»Mehr als genug«, fuhr Hawkbit mit einer Art dummer Wichtigtuerei fort.

»Nun, ich habe auch genug«, antwortete Hazel, »und ich hoffe, es ist bald vorbei. Dann können wir alle ausruhen.«

»Wir wollen jetzt rasten«, sagte Speedwell. »Wir glauben, es war dumm, so weit zu gehen.«

»Es wird immer schlimmer, je weiter wir gehen«, sagte Acorn. »Wo gehen wir hin, und wie lange wird es dauern, bis einige von uns für immer aufhören zu laufen?«

»Es ist der Ort, der dir Sorgen macht«, sagte Hazel. »Mir gefällt er auch nicht, aber es wird nicht ewig so weitergehen.«

Hawkbit sah verschlagen und falsch aus. »Wir glauben nicht, daß du weißt, wo wir wirklich hingehen«, sagte er. »Du wußtest nichts von der Straße, nicht wahr? Und du weißt nicht, was vor uns liegt.«

»Hör zu«, sagte Hazel, »ich schlage vor, daß du mir sagst, was du tun willst, und ich sage dir, was ich davon halte.«

»Wir wollen zurückgehen«, sagte Acorn. »Wir glauben, Fiver hat sich geirrt.«

»Wie könnt ihr durch das zurückgehen, was wir gerade hinter uns gebracht haben?« erwiderte Hazel. »Und wahrscheinlich würdet ihr getötet werden, weil ihr einen Owsla-Offizier verwundet habt, wenn ihr überhaupt zurückkommt. Seid vernünftig, um Friths willen.«

»Wir haben Holly nicht verwundet«, sagte Speedwell.

»Du warst da, und Blackberry brachte dich mit. Glaubst du, sie werden sich nicht daran erinnern? Außerdem -«

Hazel hielt inne, als Fiver, gefolgt von Bigwig, sich näherte.

»Hazel«, sagte Fiver, »könntest du mal mit mir auf die Böschung hinaufkommen? Es ist wichtig.«

»Und während du dort bist«, sagte Bigwig, finster unter dem großen Fellbüschel auf seinem Kopf hervorblickend, »werde ich mit diesen dreien ein Wörtchen reden. Warum wäschst du dich nicht, Hawkbit? Du siehst aus wie das Schwanzende einer gefangenen Ratte. Und was dich anlangt, Speedwell -«

Hazel wartete nicht, um zu hören, wie Speedwell aussah. Er folgte Fiver, krabbelte über die Torfklumpen und Riffe auf den Vorsprung von Kieselerde und dünnem Gras, der sie überragte. Sobald Fiver eine Stelle gefunden, hatte, wo sie hinausklettern konnten, lief er an den Rand der Böschung voraus, die Hazel gemustert hatte, ehe Hawkbit ihn ansprach. Sie lag ein paar Fuß oberhalb des sich neigenden zugigen Heidekrauts und war oben offen und mit Gras bewachsen. Sie kletterten hinauf und hockten sich hin. Der Mond, rauchig und gelb in der dünnen Nachtwolke, stand rechts über einer Gruppe entfernter Fichten. Sie sahen nach Süden über eine trostlose Öde. Hazel wartete darauf, daß Fiver etwas sagen würde, aber der blieb stumm.

»Was wolltest du mir sagen?« fragte Hazel schließlich.

Fiver antwortete nicht, und Hazel schwieg verwirrt. Von unten war Bigwig gerade noch zu hören.

»Und du, Acorn, du Hundesohn, dunggesichtige Schande am Galgen eines Wildhüters; wenn ich nur Zeit hätte, dir zu sagen -«

Der Mond segelte aus der Wolke und beleuchtete das Heidekraut stärker, aber weder Hazel noch Fiver verließen die Böschung. Fiver blickte weit über die Grenze des Gemeindelandes hinaus. Vier Meilen entfernt, am südlichen Horizont, erhob sich die zweihundertfünfzig Meter hohe Kette des Hügellandes. Auf dem höchsten Punkt schwankten die Buchen von Cottington's Baumgruppe in einem stärkeren Wind als jenem, der über das Heidekraut wehte.

»Schau!« sagte Fiver plötzlich. »Das ist unsere Stelle, Hazel. Hohe, einsame Hügel, wo der Wind und der Laut tragen und der Boden so trocken wie Stroh in einer Scheune ist. Dahin müssen wir gelangen.«

Hazel sah zu den undeutlichen, weit entfernten Hügeln hin. Ganz offensichtlich kam ein solcher Versuch nicht in Frage.

Wahrscheinlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als durch das Heidekraut zu einem ruhigen Feld oder einer niedrigen Gestrüppböschung gleich jener zu laufen, die sie gewohnt gewesen waren. Ein Glück, daß Fiver nicht mit diesem närrischen Gedanken vor den anderen herausgeplatzt war, wo es sowieso schon genug Ärger gab. Wenn er nur überredet werden könnte, ihn hier und jetzt fallenzulassen, wäre kein Schaden angerichtet - außer, er hätte schon etwas zu Pipkin gesagt.

»Nein, das ist insgesamt gesehen zu weit, Fiver«, sagte er. »Denke an die Meilen der Gefahr. Jeder ist schon sowieso erschreckt und müde. Wir müssen unbedingt bald einen sicheren Ort finden, und es wäre besser, wir tun, was wir können, statt etwas zu tun, was wir nicht können.«

Fiver ließ nicht erkennen, ob er ihn gehört hatte. Er schien ganz in Gedanken verloren. Als er wieder sprach, war es, als ob er zu sich selbst spräche. »Es ist ein dicker Nebel zwischen den Hügeln und uns. Ich kann nicht hindurchgehen, aber ihn müssen wir durchqueren. Oder in ihn hinein, auf jeden Fall.«

»Ein Nebel?« sagte Hazel. »Was meinst du?«

»Uns steht eine unbekannte Gefahr bevor«, flüsterte Fiver, »und es ist nichts elil. Es fühlt sich mehr wie - wie Nebel an. Als würden wir getäuscht und würden uns verirren.«

Es war kein Nebel um sie herum. Die Maiennacht war klar und frisch. Hazel wartete schweigend, und nach einiger Zeit sagte Fiver langsam und ausdruckslos: »Aber wir müssen weiter, bis wir die Hügel erreichen.« Seine Stimme sank, und er schien wie im Schlaf zu sprechen. »Bis wir die Hügel erreichen. Das Kaninchen, das durch die Lücke zurückgeht, wird Schwierigkeiten bekommen. Dieses Laufen - nicht klug. Dieses Laufen - nicht sicher. Laufen - nicht -« Er zitterte heftig, kickte ein- oder zweimal und wurde dann ruhig.

In der Mulde unten schien Bigwig zu Ende zu kommen.

»Und jetzt, ihr Bande maulwurfsschnäuziger, im Dreck herumwühlender, stallmütiger Schafs-Zecken, verschwindet, und zwar dalli! Sonst werde ich -« Er wurde wieder unhörbar.

Hazel sah noch einmal auf die schwache Linie der Hügel. Dann, als Fiver aufschreckte und neben ihm etwas murmelte, stieß er ihn sanft mit einer Vorderpfote und liebkoste seine Schulter.

Fiver fuhr zusammen. »Was habe ich gesagt, Hazel?« fragte er. »Ich fürchte, ich kann mich nicht erinnern. Ich wollte dir sagen -«

»Es macht nichts«, antwortete Hazel. »Wir gehen jetzt hinunter. Es wird Zeit, daß wir sie auf Trab bringen. Wenn du wieder so komische Gefühle hast, halt dich an mich. Ich kümmere mich um dich.«

11. Schweres Vorwärtskommen


Dann ritt Sir Beaumains ... den ganzen lieben langen Tag durch Moraste und Felder und große Täler, so viele Male ... stürzte er kopfüber in tiefen Sumpf; denn er kannte den Weg nicht, sondern nahm den vorteilhaftesten Weg in dieser waldreichen Gegend ... Und letztlich geschah es ihm, auf einen hübschen grünenden Weg zu kommen.

Malory Le Morte d' Arthur


Als Hazel und Fiver den Grund der Mulde erreichten, wartete Blackberry auf sie. Er hockte auf dem Torf und knabberte ein paar braune Stengel Riedgras.

»Hallo«, sagte Hazel. »Was ist los? Wo sind die anderen?«

»Dort drüben«, antwortete Blackberry. »Es hat einen schrecklichen Streit gegeben. Bigwig sagte Hawkbit und Speedwell, daß er sie in Stücke kratzen würde, wenn sie ihm nicht gehorchten. Und als Hawkbit sagte, er wolle wissen, wer das Oberkaninchen sei, biß Bigwig ihn. Es scheint eine garstige Angelegenheit zu sein. Wer ist übrigens Oberkaninchen - du oder Bigwig?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Hazel, »aber Bigwig ist bestimmt der Stärkste. Es war nicht nötig, Hawkbit zu beißen, er hätte sowieso nicht zurückgehen können, selbst wenn er es versucht hätte. Er und seine Freunde hätten es eingesehen, wenn man ihnen erlaubt hätte, darüber zu sprechen. Jetzt hat Bigwig sie auf die Palme gebracht, und sie werden glauben, daß sie weitergehen müssen, weil er sie dazu zwingt. Ich möchte, daß sie weitergehen, weil sie einsehen, daß es der einzige Weg ist. Wir sind zu wenige, als daß Befehle und Beißen nötig wären. Frith im Nebel! Gibt es nicht schon genug Ärger und Gefahr?«

Sie gingen zum anderen Ende der Grube hinüber. Bigwig und Silver sprachen mit Buckthorn unter einem überhängenden Besenginster. In der Nähe taten Pipkin und Dandelion so, als ob sie von einem Gestrüpp fräßen. In einiger Entfernung tat Acorn sich viel zugute, um Hawkbits Kehle zu lecken, während Speedwell zusah.

»Halte still, wenn du kannst, armer alter Junge«, sagte Acorn, der ganz offensichtlich gehört werden wollte. »Laß mich dich nur vom Blut säubern. Ruhig jetzt!« Hawkbit winselte übertrieben und zuckte zurück. Als Hazel herantrat, drehten sich alle Kaninchen ihm zu und starrten ihn erwartungsvoll an.

»Hört zu«, sagte Hazel, »ich weiß, es hat einigen Streit gegeben, aber das beste ist, wir versuchen, ihn zu vergessen. Dies ist kein schöner Ort, aber wir werden ihn bald verlassen.«

»Glaubst du wirklich daran?« fragte Dandelion.

»Wenn ihr mir jetzt folgt«, erwiderte Hazel verzweifelt, »hab' ich euch bei Sonnenaufgang herausgeholt.«

Wenn es mir nicht gelingt, dachte er, werden sie mich höchstwahrscheinlich in Stücke zerreißen - und möge es ihnen wohl bekommen.

Zum zweiten Mal verließ er die Grube, und die anderen folgten. Die anstrengende, erschreckende Reise begann von neuem, nur von Alarmen unterbrochen. Einmal fegte eine weiße Eule geräuschlos über ihre Köpfe hinweg, so tief fliegend, daß Hazel sah, wie ihre dunklen Augen in die seinen blickten. Aber entweder war sie nicht auf der Jagd, oder er war zu groß, um sich mit ihm anzulegen; denn sie verschwand über dem Heidekraut, und obgleich er einige Zeit bewegungslos verharrte, kehrte sie nicht zurück. Einmal stieß Dandelion auf den Geruch eines Wiesels, und alle sammelten sich um ihn, flüsterten und schnupperten über den Boden. Aber der Geruch war alt, und nach einer Weile gingen sie weiter. In diesem tiefen Unterholz behinderten ihr unorganisiertes Vorgehen und ihr ungleicher Bewegungsrhythmus sie noch mehr als im Gehölz. Dauernd wurde Alarm getrommelt, pausiert, erstarrten sie auf der Stelle beim Geräusch einer tatsächlichen oder eingebildeten Bewegung. Es war so dunkel, daß Hazel selten ganz sicher wußte, ob er führte oder ob Bigwig oder Silver vorne waren. Einmal, als er ein unerklärliches Geräusch vor sich hörte, das sofort wieder verschwand, verhielt er lange Zeit still; und als er schließlich vorsichtig weiterging, stieß er auf Silver, der sich hinter einem Büschel von Hahnenkamm aus Angst vor dem Geräusch seiner Annäherung duckte. Alles war Verwirrung, Unwissenheit, mühsames Klettern und Erschöpfung. Während des ganzen Alptraums der nächtlichen Reise schien Pipkin immer neben ihm zu sein. Obgleich alle anderen verschwanden und wieder erschienen, wie Unrat auf einem Tümpel treibt, verließ Pipkin ihn nie; und dessen Bedürfnis nach Ermutigung wurde schließlich Hazels einziger Beistand gegen seine eigene Müdigkeit.

»Nicht mehr weit jetzt, Hlao-roo, nicht mehr weit«, murmelte er immer wieder, bis er merkte, daß es bedeutungslos geworden war, was er sagte, ein bloßer Kehrreim. Er sprach nicht zu Pipkin oder zu sich selbst. Er sprach im Schlaf oder in etwas, das dem sehr ähnlich war.

Endlich sah er das erste Frühdämmern wie das Licht, das man undeutlich am fernen Ende eines bekannten Baues um die Ecke auftauchen sieht; und im selben Augenblick sang eine Goldammer. Hazels Gefühle glichen denen, die einem besiegten General durch den Kopf gehen mochten. Wo genau waren seine Gefährten? Hoffentlich nicht weit weg. Oder doch? Alle? Wohin hatte er sie geführt? Was sollte er jetzt tun? Was, wenn ein Feind in diesem Augenblick auftauchte? Er wußte keine Antworten auf diese Fragen und hatte keine Lebensgeister mehr, um sich zu zwingen, darüber nachzudenken. Pipkin hinter ihm fröstelte in der Feuchtigkeit, und er drehte sich um und rieb sich an ihm; so wie der General, dem nichts mehr zu tun blieb und der sich um das Wohlergehen eines seiner Untergebenen kümmerte, weil der nun einmal gerade da war.

Das Licht wurde stärker, und bald konnte er sehen, daß ein kleiner Weg vor ihm ein offener, bloßer Kiespfad war. Er humpelte aus dem Heidekraut heraus, setzte sich auf die Steine und schüttelte die Nässe aus seinem Fell. Er konnte jetzt ganz deutlich Fivers Hügel sehen, grünlichgrau und anscheinend ganz nahe in der regengeschwängerten Luft. Er konnte sogar die winzigen Punkte des Stechginsters und der verkümmerten Eiben auf den steilen Abhängen ausmachen. Als er sie anstarrte, hörte er eine aufgeregte Stimme weiter unten auf dem Pfad.

»Er hat es geschafft! Hab' ich euch nicht gesagt, er würde es schaffen?«

Hazel wandte den Kopf und sah Blackberry auf dem Pfad. Er war durchnäßt und erschöpft, aber er war es, der sprach. Aus dem Heidekraut hinter ihm kamen Acorn, Speedwell und Buckthorn. Die vier Kaninchen starrten ihn jetzt direkt an. Er überlegte sich, warum. Dann, als sie näher kamen, merkte er, daß sie nicht ihn ansahen, sondern an ihm vorbei auf etwas weiter Entferntes. Er drehte sich um. Der Kiespfad führte abwärts in einen engen Gürtel von Silberbirken und Ebereschen. Dahinter war eine dünne Hecke und dahinter ein grünes Feld zwischen zwei niedrigen Wäldchen. Sie hatten die andere Seite des Gemeindelandes erreicht.

»O Hazel«, sagte Blackberry, um eine Pfütze im Kies herum zu ihm kommend, »ich war so müde und verwirrt, ich begann tatsächlich zu zweifeln, ob du deines Weges sicher warst. Ich konnte dich in dem Heidekraut hören, wie du sagtest: >Nicht mehr weit<, und es ärgerte mich. Ich dachte, du erfändest das Ganze. Ich hätte es besser wissen müssen. Frithrah, du bist wahrhaftig ein Oberkaninchen!«

»Gut gemacht, Hazel-rah!« sagte Buckthorn. »Gut gemacht!«

Hazel wußte nicht, was er erwidern sollte. Er sah sie schweigend an, und es war Acorn, der als nächster sprach.

»Los, kommt!« sagte er. »Wer wird der erste in diesem Feld sein? Ich kann noch laufen.« Und schon war er fort, wenn auch recht langsam, den Abhang hinunter, doch als Hazel trommelte, er solle anhalten, tat er es sofort.

»Wo sind die anderen?« fragte Hazel. »Dandelion, Bigwig?«

In diesem Augenblick tauchte Dandelion aus dem Heidekraut auf, setzte sich auf den Pfad, sah sich das Feld an. Nach ihm kamen zuerst Hawkbit und dann Fiver. Hazel beobachtete Fiver, wie er den Anblick des Feldes in sich aufnahm, als Buckthorn seine Aufmerksamkeit wieder auf den Fuß des Abhanges lenkte.

»Sieh, Hazel-rah«, sagte er. »Silver und Bigwig sind da unten. Sie warten auf uns.«

Silvers graues Fell hob sich deutlich gegen ein Gezweig von Stechginster ab, aber Hazel konnte Bigwig nicht sehen, bis der sich aufsetzte und zu ihnen rannte.

»Sind alle hier, Hazel?« fragte er.

»Natürlich«, antwortete Blackberry. »Ich sage dir, er ist in meinen Augen ein Oberkaninchen. Hazel-rah, sollen wir -«

»Hazel-rah?« unterbrach Bigwig. »Oberkaninchen? Frith in einem Wespennest! Der Tag, an dem ich dich Oberkaninchen nenne, Hazel, wird der Tag sein, so wahr mir Frith helfe! An jenem Tag werde ich aufhören zu kämpfen.«

Es sollte sich in der Tat als ein bedeutungsvoller Tag erweisen - und eine bedeutungsvolle Rede obendrein; aber das lag in einer Zukunft, die keiner voraussehen konnte, und im Augenblick konnte der arme Hazel nichts anderes tun, als mit dem enttäuschten Gefühl beiseite zu treten, daß sein Anteil an der Durchquerung des Heidekrauts nicht wirklich sehr bedeutend gewesen war.

»Komm denn, Acorn«, sagte er. »Du willst laufen - ich laufe mit dir.«

Etwas später waren sie unter den Silberbirken, und als die Sonne aufging, rote und grüne Funken aus den Tropfen auf Farnen und Zweigen schlagend, kletterten sie durch die Hecke, über einen niedrigen Graben und in das dichte Gras der Wiese.

12. Der Fremde im Feld


Trotzdem können selbst in einem überfüllten Gehege Besucher in Form von jungen Kaninchen, die begehrenswertes trockenes Quartier suchen, geduldet werden... und wenn sie mächtig genug sind, können sie einen Platz erlangen und ihn halten.

R. M. Lockley The Private Life of the Rabbit


Ans Ende der Zeit voll Unruhe und Angst gelangen! Die Wolke, die über einem hing, sich heben und sich zerstreuen sehen - die Wolke, die das Herz unempfindlich und das Glück zu nicht mehr als einer Erinnerung machte! Dies ist zum mindesten eine Freude, die beinahe jedes lebende Geschöpf erfahren haben muß.

Da ist ein Knabe, der seine Bestrafung erwartete. Aber dann, unverhofft, findet er, daß sein Vergehen übersehen oder vergeben worden ist, und sofort erscheint die Welt wieder in leuchtenden Farben, voll köstlicher Aussichten. Hier ist ein Soldat, der schweren Herzens erwartete, in der Schlacht zu leiden und zu sterben. Aber plötzlich hat das Glück sich gewendet. Es gibt neue Nachrichten. Der Krieg ist vorbei, und alle brechen in Gesang aus. Er wird schließlich doch nach Hause gehen! Die Spatzen auf dem Ackerland ducken sich in Furcht vor dem Turmfalken. Aber er ist fort, und sie fliegen wild durcheinander in die Hecke, tanzen herum, plappern und setzen sich hin, wo sie wollen. Der bitterkalte Winter hatte das ganze Land in seiner Gewalt. Die Hasen in dem grasbewachsenen Hügelland, benommen und erstarrt vor Kälte, fügten sich in ihr Schicksal und sanken immer tiefer in den eisigen Kern von Schnee und Schweigen. Aber jetzt - wer hätte davon geträumt? - tröpfelt der Tau, die große Meise läutet die Glocke vom Gipfel einer kahlen Linde, die Erde duftet, und die Hasen springen und hüpfen im warmen Wind. Hoffnungslosigkeit und Widerstreben sind fortgeweht wie ein Nebel, und die stumme Einsamkeit, in der sie sich verkrochen, ein Ort, so unwirtlich wie ein Riß im Boden, öffnet sich wie eine Rose und erstreckt sich bis zu den Hügeln und zum Himmel.

Die müden Kaninchen fraßen und aalten sich in der sonnigen Wiese, als ob sie nicht von weiter als von der Böschung am Rande des nahe gelegenen niedrigen Gestrüpps gekommen wären. Das Heidekraut und die Stockdunkelheit waren vergessen, als ob der Sonnenaufgang sie zerschmolzen hätte. Bigwig und Hawkbit jagten sich gegenseitig durch das hohe Gras. Speedwell sprang über den kleinen Bach, der in der Mitte des Feldes rann, und als Acorn versuchte, ihm zu folgen, und abrutschte, neckte Silver ihn, während er sich herausrappelte, und rollte ihn in einem Haufen toten Eichenlaubs, bis er wieder trocken war. Als die Sonne höher stieg, die Schatten verkürzte und den Tau vom Gras zog, wanderten die meisten Kaninchen zu dem sonnengesprenkelten Schatten unter dem Wiesenkerbel am Rande des Grabens. Hier saßen Hazel und Fiver mit Dandelion unter einem blühenden wilden Kirschbaum. Die weißen Blütenblätter wirbelten auf sie herunter, bedeckten das Gras und tupften ihr Fell, während zehn Meter über ihnen eine Drossel sang: »Kirsch-Tau, Kirsch-Tau. Knietief, knietief, knietief.«

»Nun, das ist der richtige Ort, nicht wahr, Hazel?« sagte Dandelion träge. »Ich glaube, wir sollten uns bald die Böschungen ansehen, obgleich ich sagen muß, ich habe es nicht besonders eilig. Aber mir kommt es so vor, als ob es bald regnen wird.«

Fiver sah aus, als wollte er etwas sagen, schüttelte dann aber seine Ohren und ging daran, einen Löwenzahn zu beknabbern.

»Das sieht wie eine gute Böschung aus, am Baumrand dort oben«, antwortete Hazel. »Was hältst du davon, Fiver? Sollen wir hinaufgehen, oder sollen wir noch ein bißchen warten?«

Fiver zögerte und erwiderte dann: »Ganz wie du meinst, Hazel.«

»Nun, es gibt doch keinen ernsthaften Grund, einen Schutzbau zu graben, nicht wahr?« sagte Bigwig. »Das ist etwas für die Weibchen, aber nicht für uns.«

»Wir sollten trotzdem ein oder zwei Kratzer machen, meinst du nicht auch?« fragte Hazel. »Etwas, das uns im Notfall Schutz gibt. Laßt uns zu dem Unterholz hinlaufen und Umschau halten. Wir können uns Zeit lassen und uns genau vergewissern, wo wir den Unterschlupf haben wollen. Wir wollen die Arbeit nicht zweimal machen.«

»Jawohl, das ist das richtige«, sagte Bigwig. »Und während du das tust, werde ich mit Silver und Buckthorn die Felder dahinter in Augenschein nehmen, um die Sachlage zu beurteilen und sicherzugehen, daß uns nichts Gefährliches droht.«

Die drei Erforscher preschten neben dem Bach los, während Hazel die anderen Kaninchen querfeldein und hinauf zum Rand der Waldung führte. Sie wanderten langsam am Fuße der Böschung entlang, drängten sich durch die Haufen roter Lichtnelken und ausgefranster Büschel. Von Zeit zu Zeit begann einer von ihnen in der kiesigen Böschung zu kratzen oder sich zwischen die Bäume und Nußbüsche zu wagen, um in dem Blätterkompost zu scharren. Nachdem sie suchend einige Zeit ruhig weitergegangen waren, erreichten sie eine Stelle, von der aus sie sehen konnten, daß das Feld unter ihnen sich verbreiterte. Sowohl auf ihrer eigenen als auch auf der gegenüberliegenden Seite wölbten sich die Ränder des Waldes nach außen, von dem Bach weg. Sie bemerkten auch die Dächer einer Farm, die aber in einiger Entfernung lag. Hazel blieb stehen, und sie sammelten sich um ihn.

»Ich glaube nicht, daß es viel ausmacht, wo wir mit der Kratzerei anfangen«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung, soweit ich sehen kann. Nicht die geringsten Anzeichen von elil - kein Geruch oder Spuren oder Mist. Das ist ungewöhnlich, aber es kann sein, daß das heimatliche Gehege mehr elil anzog als andere Stellen. Auf jeden Fall scheinen wir es hier gut getroffen zu haben. Jetzt werde ich euch sagen, was ich für das richtige halte. Gehen wir eine kleine Strecke zurück, zwischen das Gehölz, und kratzen wir neben der Eiche da - neben dem weißen Fleck von Jungferngras. Ich weiß, die Farm ist noch weit entfernt, aber es hat keinen Zweck, ihr näher zu sein als nötig. Und wenn wir dem Gehölz gegenüber ziemlich nahe sind, werden die Bäume im Winter das ihre dazu tun, den Wind ein bißchen zu brechen.«

»Großartig«, sagte Blackberry. »Es bewölkt sich, siehst du? Regen vor Sonnenuntergang, und wir werden ein Obdach haben. Nun, fangen wir an. O schaut! Dort unten kommt Bigwig zurück, und die anderen beiden sind bei ihm.«

Die drei Kaninchen kehrten von der Böschung des Baches zurück und hatten Hazel und die anderen noch nicht gesehen. Sie liefen unter ihnen vorbei in den schmaleren Teil des Feldes zwischen den beiden niederen Wäldchen, und erst als Acorn halbwegs den Abhang hinuntergeschickt worden war, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, drehten sie sich um und kamen zum Graben herauf.

»Ich glaube nicht, daß uns hier viel belästigen wird, Hazel«, sagte Bigwig. »Die Farm ist eine ganze Strecke entfernt, und die Felder dazwischen zeigen überhaupt keine Merkmale von elil. Es ist ein Menschenpfad da - tatsächlich sind verschiedene da, und sie sehen aus, als würden sie ziemlich viel benutzt. Der Geruch ist frisch, und es sind die Enden dieser kleinen weißen Stäbchen da, die sie in ihren Mündern verbrennen. Aber das ist ein Vorteil, schätze ich. Wir halten uns den Menschen fern, und die Menschen verscheuchen die elil.«

»Warum kommen wohl die Menschen?« fragte Fiver.

»Wer weiß schon, warum die Menschen irgend etwas tun? Vielleicht treiben sie Kühe oder Schafe auf die Wiesen oder fällen Holz in den niedrigen Wäldchen. Was spielt das für eine Rolle? Ich gehe lieber einem Menschen aus dem Weg als einem Wiesel oder einem Fuchs.«

»Nun, das ist großartig«, sagte Hazel. »Du hast eine Menge herausgefunden, Bigwig, und alles zu unserem Nutzen. Wir waren gerade dabei, ein bißchen entlang der Böschung zu scharren. Fangen wir lieber an. Es wird bald losregnen, wenn ich mich nicht sehr irre.«

Rammler allein graben selten ernstlich. Es ist die natürliche Arbeit eines Weibchens, ein Heim für ihre Jungen zu schaffen, ehe sie geboren sind, und dann hilft der Bock ihr. Trotzdem scharren einzelne Rammler - wenn sie keine bereits vorhandenen Löcher finden, die sie benutzen können -manchmal kurze Tunnel als Schutz, obgleich es keine Arbeit ist, die sie ernstlich anpacken. Während des Morgens ging das Graben fröhlich und mit Unterbrechungen vor sich. Die Böschung rund um die Eiche war kahl und bestand aus leichtem, grobem Sand. Es gab verschiedene Fehlversuche und Neuanfänge, aber bis ni-Frith hatten sie drei halbwegs anständige Ausgrabungen. Hazel beobachtete, half da und dort aus und ermutigte die anderen. Immer wieder schlüpfte er zurück, um über das Feld zu blicken und sicherzugehen, daß alles in Ordnung war. Nur Fiver blieb für sich. Er nahm nicht an der Arbeit teil, sondern hockte am Rande des Grabens, zappelte unruhig hin und her, knabberte manchmal, und dann richtete er sich plötzlich auf, als könnte er ein Geräusch im Gehölz hören. Nachdem er ihn ein paarmal angeredet und keine Antwort erhalten hatte, hielt Hazel es für das beste, ihn in Ruhe zu lassen. Als er das nächste Mal die Graberei unterbrach, hielt er sich von Fiver fern und musterte die Böschung, als ob er gänzlich an der Arbeit interessiert wäre.

Eine kleine Weile nach ni-Frith bedeckte sich der Himmel mit dichten Wolken. Das Licht wurde trübe, und sie konnten Regen riechen, der aus dem Westen kam. Die Meise, die auf einem Brombeerstrauch geschaukelt und gesungen hatte: »Hei-ho, geh und hol noch ein bißchen Moos«, brach ihre Akrobatik ab und flog ins Gehölz. Hazel überlegte sich gerade, ob es sich lohnte, einen Seitendurchgang zu graben, um Bigwigs Loch mit dem Dandelions zu verbinden, als er ganz aus der Nähe ein warnendes Trommeln spürte. Er drehte sich schnell um. Es war Fiver, der getrommelt hatte, und er starrte jetzt gespannt über das Feld.

Neben einem Grasbüschel, etwas außerhalb des gegenüberliegenden Wäldchens, saß ein Kaninchen und starrte sie an. Seine Ohren waren aufgestellt, und es widmete ihnen offensichtlich seine volle Aufmerksamkeit. Hazel erhob sich auf seine Hinterläufe, blieb so einen Augenblick und setzte sich dann in voller Sicht auf seine Keulen. Das andere Kaninchen rührte sich nicht. Hazel, der es keine Sekunde aus den Augen ließ, hörte drei oder vier der anderen hinter sich herankommen. Nach einem Augenblick sagte er:

»Blackberry?«

»Er ist unten im Loch«, erwiderte Pipkin.

»Geh, hol ihn.«

Das fremde Kaninchen machte immer noch keine Bewegung. Wind kam auf, und das hohe Gras in der Senke zwischen ihnen begann sich unruhig zu bewegen und sich zu kräuseln. Von hinten sagte Blackberry:

»Du hast nach mir geschickt, Hazel?«

»Ich gehe hinüber, um mit diesem Kaninchen zu sprechen«, sagte Hazel. »Ich möchte, daß du mitkommst.«

»Darf ich mitkommen?« fragte Pipkin.

»Nein, Hlao-roo. Wir wollen es nicht erschrecken. Drei sind zuviel.«

»Seid vorsichtig«, sagte Buckthorn, als Hazel und Blackberry sich den Abhang hinunter auf den Weg machten. »Es ist vielleicht nicht das einzige.«

An verschiedenen Stellen war der Bach schmal - nicht viel breiter als ein Kaninchenlauf. Sie sprangen hinüber und erklommen den anderen Hang.

»Benimm dich so, als ob wir hier zu Hause wären«, sagte Hazel. »Ich sehe nicht, inwiefern es eine Falle sein kann, und im übrigen können wir immer noch davonlaufen.«

Als sie sich näherten, verhielt sich das andere Kaninchen still und beobachtete sie angestrengt. Sie konnten jetzt sehen, daß es ein großer Bursche war, geschmeidig und gut aussehend. Sein Fell glänzte, und seine Klauen und Zähne waren in perfekter Verfassung. Nichtsdestoweniger schien es nicht aggressiv zu sein. Im Gegenteil, es war eine seltsame, ziemlich unnatürliche Güte in seiner Art, auf ihr Näherkommen zu warten. Sie blieben stehen und sahen ihn aus einiger Entfernung an.

»Ich glaube nicht, daß er gefährlich ist«, flüsterte Blackberry. »Ich gehe zuerst zu ihm hin, wenn du willst.«

»Wir werden beide gehen«, erwiderte Hazel. Aber in diesem Augenblick kam das andere Kaninchen aus eigenem Antrieb zu ihnen und berührte Hazel mit der Nase; sie schnüffelten und erforschten sich schweigend. Der Fremde hatte einen ungewöhnlichen Geruch, der aber durchaus nicht unangenehm war. Er vermittelte Hazel den Eindruck von gutem Fressen, von Gesundheit und einer gewissen

Lässigkeit, als ob der andere aus einem reichen, glücklichen Land käme, wo er selbst nie gewesen war. Er hatte das Wesen eines Aristokraten, und als er sich umwandte, um Blackberry aus seinen großen braunen Augen anzublicken, fühlte Hazel sich als zerlumpter Wanderer, als Führer einer Bande von Vagabunden. Er hatte nicht beabsichtigt, zuerst zu sprechen, aber etwas in dem Schweigen des anderen zwang ihn dazu.

»Wir sind über das Heidekraut gekommen«, sagte er.

Das andere Kaninchen erwiderte nichts, aber sein Blick war nicht feindselig. Seine Haltung drückte eine Art von Melancholie aus, die bestürzend war.

»Lebst du hier?« fragte Hazel nach einer Pause.

»Ja«, erwiderte das andere Kaninchen und fügte dann hinzu: »Wir haben euch kommen sehen.«

»Wir beabsichtigen, auch hier zu leben«, sagte Hazel bestimmt.

Das andere Kaninchen zeigte keinerlei Beunruhigung. Es zögerte und antwortete dann: »Warum nicht? Wir haben das erwartet. Aber ich glaube nicht, daß ihr genug seid, um, auf euch selbst gestellt, sehr angenehm zu leben.«

Hazel geriet durcheinander. Offensichtlich war der Fremde durch die Nachricht, daß sie zu bleiben beabsichtigten, nicht bekümmert. Wie groß war sein Gehege? Wo war es? Wie viele Kaninchen waren im Unterholz verborgen und beobachteten sie jetzt? Hatten sie die Absicht anzugreifen? Das Verhalten des Fremden verriet nichts. Er schien uninteressiert, beinahe gelangweilt, aber durchaus freundlich. Seine Mattigkeit, sein großer Wuchs und seine schöne, gepflegte Erscheinung, seine ruhige Art, die ausdrückte, alles zu haben, was er wollte, und in keiner Weise durch die Neuankömmlinge beeindruckt zu sein - all dies gab Hazel ein Problem auf, das mit nichts zu vergleichen war, womit er sich zuvor herumzuschlagen hatte. Falls eine List dahintersteckte, hatte er keine Ahnung, welcher Art sie sein mochte. Er beschloß, auf jeden Fall selbst vollkommen offen und ehrlich zu sein.

»Wir sind genug, um uns zu schützen«, sagte er. »Wir wollen uns keine Feinde machen, aber wenn uns irgend jemand dazwischentritt -«

Der andere unterbrach ihn ruhig. »Reg dich nicht auf - ihr seid alle höchst willkommen. Wenn du jetzt zurückgehst, werde ich dich begleiten; das heißt, wenn du nichts dagegen hast.«

Er setzte sich den Abhang hinunter in Bewegung. Hazel und Blackberry, die einen kurzen Blick gewechselt hatten, holten ihn ein und gingen neben ihm her. Er bewegte sich leicht, ohne Eile und zeigte weniger Vorsicht beim Überqueren des Feldes als sie. Hazel war verwirrter denn je. Der andere hatte offenbar keine Furcht, daß sie sich auf ihn stürzen würden, hrair gegen einen, um ihn zu töten. Er war bereit, allein unter eine Menge verdächtiger Fremder zu gehen, aber was er sich von diesem Risiko erhoffte, war unmöglich zu erraten. Vielleicht, dachte Hazel vage, würden Zähne und Klauen keinen Eindruck auf diesen großen kräftigen Körper und das schimmernde Fell machen.

Als sie den Graben erreichten, hockten alle anderen Kaninchen zusammen und beobachteten ihr Nahen. Hazel blieb vor ihnen stehen, wußte aber nicht, was er sagen sollte. Wenn der Fremde nicht dagewesen wäre, hätte er ihnen einen Bericht erstattet. Wenn Blackberry und er den Fremden mit Gewalt über das Feld getrieben hätten, hätte er ihn zur Sicherheitsverwahrung an Bigwig oder Silver übergeben können. Aber ihn neben sich sitzen zu sehen, wie er sein Gefolge schweigsam betrachtete und höflich darauf wartete, daß jemand zuerst spräche - das war eine Situation, die jenseits von Hazels Erfahrung lag. Es war Bigwig, geradeheraus und grob wie immer, der die Spannung brach: »Wer ist das, Hazel?« fragte er. »Warum ist er mit dir zurückgekommen?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Hazel, der versuchte, offen auszusehen, sich jedoch albern vorkam. »Er kam von sich aus.«

»Nun, dann fragen wir am besten ihn selbst«, sagte Bigwig mit einem Anflug von Spott. Er trat dicht an den Fremden heran und schnupperte, wie Hazel es getan hatte. Auch er war offensichtlich von dem besonderen Ruch von Prosperität berührt; denn er zögerte, als wäre er unsicher geworden. Dann sagte er in einem rauhen, schroffen Ton: »Wer bist du, und was willst du?«

»Mein Name ist Cowslip«, sagte der andere. »Ich möchte nichts. Wie ich höre, habt ihr einen langen Weg gehabt.«

»Mag sein«, sagte Bigwig. »Wir wissen aber auch, wie wir uns zu verteidigen haben.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte Cowslip und blickte sich unter den beschmutzten, heruntergekommenen Kaninchen um, als sei er zu höflich, einen Kommentar abzugeben. »Aber es kann schwer sein, sich gegen das Wetter zu verteidigen. Es wird Regen geben, und ich glaube nicht, daß eure Buddelei schon beendet ist.« Er sah Bigwig an, als erwartete er eine weitere Frage von ihm. Bigwig schien bestürzt. Offensichtlich konnte er sich ebensowenig einen Reim von der Lage machen wie Hazel. Bis auf das Geräusch des aufkommenden Windes herrschte Stille. Über ihnen begannen die Äste der Eiche zu knarren und zu schwanken. Plötzlich trat Fiver vor.

»Wir verstehen dich nicht«, sagte er. »Es ist besser, das ganz offen zu sagen und zu versuchen, es zu klären. Können wir euch trauen? Sind hier noch viele andere Kaninchen? Dies sind die Dinge, die wir wissen wollen.«

Cowslip zeigte nicht mehr Beunruhigung über Fivers nervöse Spannung als über alles Vorhergegangene. Er fuhr mit einer Vorderpfote über die Rückseite eines seiner Ohren und erwiderte:

»Ich glaube, ihr kompliziert die Sache unnötig. Wenn du aber die Antworten auf deine Fragen haben willst, so sage ich: Ja, ihr könnt uns vertrauen, wir wollen euch nicht vertreiben. Und es ist ein Wildgehege hier, aber wir sind nicht so zahlreich, wie wir es gern sein würden. Warum sollten wir euch schaden wollen? Hier wächst doch genug Gras, nicht wahr?«

Trotz seines eigenartigen, dunklen Verhaltens sprach er so vernünftig, daß Hazel sich ziemlich schämte.

»Wir haben viele Gefahren überstanden«, sagte er. »Alles Neue kommt uns deshalb wie eine Gefahr vor. Schließlich könntet ihr befürchten, wir kämen, um eure Weibchen zu nehmen und euch aus euren Löchern zu vertreiben.«

Cowslip hörte ernst zu. Dann entgegnete er:

»Nun, was die Löcher anlangt, so wäre das etwas, was ich besser erwähne. Diese Kratzer sind nicht sehr tief oder behaglich, nicht wahr? Und obgleich sie jetzt nicht in Windrichtung liegen, müßt ihr wissen, daß dies nicht der übliche Wind ist, den wir hier haben. Er weht diesen Regen von Süden herauf. Wir haben aber gewöhnlich Westwind, und der bläst direkt in diese Löcher. Es gibt genug leere Baue in unserem Gehege, und wenn ihr herüberkommen wollt, seid ihr willkommen. Und nun entschuldigt mich bitte, ich möchte nicht länger bleiben. Ich hasse den Regen. Das Gehege liegt hinter der Ecke des gegenüberliegenden Gehölzes.«

Er rannte den Abhang hinunter und über den Bach. Sie sahen ihn über die Böschung springen und durch das grüne Farnkraut verschwinden. Die ersten Regentropfen begannen zu fallen, prasselten auf die Eichenblätter und prickelten auf der nackten, rosafarbenen Haut ihres Ohrinneren.

»Feiner großer Bursche, nicht wahr?« sagte Buckthorn. »Er sieht nicht aus, als müßte er sich viel Sorgen um sein Leben hier machen.«

»Was sollten wir tun, Hazel, was meinst du?« fragte Silver. »Es stimmt, was er sagte, nicht wahr? Diese Kratzer -nun ja, wir können in ihnen hocken, um uns vor dem Wetter zu schützen, aber mehr auch nicht. Und da wir nicht alle in einen hineinpassen, werden wir uns verteilen müssen.«

»Wir werden sie miteinander verbinden«, sagte Hazel, »und während wir das tun, möchte ich gerne über das, was er gesagt hat, reden. Fiver, Bigwig und Blackberry, könnt ihr mitkommen? Ihr anderen verteilt euch, wie ihr wollt.«

Das neue Loch war kurz, schmal und uneben. Es bot nicht genügend Platz, daß zwei Kaninchen aneinander vorbeigehen konnten. Vier waren wie Bohnen in einer Hülse, Zum ersten Mal wurde es Hazel klar, wieviel sie aufgegeben hatten. Die Löcher und Tunnel eines alten Geheges werden durch den Gebrauch glatt, beruhigend und bequem. Es gibt keine unerwarteten Hindernisse oder scharfe Winkel. Jedes Fleckchen riecht nach Kaninchen - nach dieser großen, unzerstörbaren Flut von Kaninchentum, in der jeder mitgeschwemmt wird, sicheren Fußes und heil. Die schwere Arbeit ist von zahllosen Urgroßmüttern und ihren Männchen getan worden. Alle Fehler sind ausgemerzt worden, und alles, was benutzt wird, hat seinen erwiesenen Wert. Der Regen läuft leicht ab, und selbst der heftigste Winterwind kann nicht in die tiefergelegenen Baue dringen. Nicht eines von Hazels Kaninchen hatte je ernstlich gegraben. Die Arbeit, die sie an jenem Morgen geleistet hatten, war unbedeutend, und alles, was sie vorzuweisen hatten, waren ein vorläufiger Schutz und wenig Behaglichkeit.

Es geht nichts über schlechtes Wetter, um die Unzulänglichkeiten einer Behausung, besonders wenn sie zu klein ist, aufzudecken. Man ist, wie man so sagt, auf Gedeih und Verderb an sie gebunden und hat Muße genug, all ihre besonderen Ärgernisse und Unbequemlichkeiten zu empfinden. Bigwig, wie üblich flink und energisch, machte sich an die Arbeit. Hazel hingegen ging zurück, setzte sich nachdenklich an den Rand des Loches und blickte auf die stillen, wellenförmigen Regenschleier hinaus, die durch das kleine Tal zwischen den beiden Wäldchen trieben. Direkt vor seiner Nase war jeder Grashalm, jeder Farnwedel gebeugt, triefend und glitzernd. Der Geruch nach den letztjährigen Eichenblättern erfüllte die Luft. Es war kühl geworden. Jenseits der Wiese hing die Blüte des Kirschbaumes, unter dem sie am Morgen gesessen hatten, durchgeweicht und vernichtet herunter. Während Hazel all dies in sich aufnahm, drehte der Wind langsam nach Westen, wie Cowslip vorausgesagt hatte, und trieb den Regen direkt in die Öffnung des Loches. Er duckte sich und kehrte wieder zu den anderen zurück. Das Klatschen und Flüstern des Regens draußen erklang leise, aber deutlich. Die Felder und Gehölze waren in ihn eingehüllt, leer und besiegt. Das Insektenleben auf den Blättern und im Gras war verstummt. Die Drossel hätte singen sollen, aber Hazel konnte keine Drossel hören. Er und seine Gefährten waren eine dreckige Handvoll von Kratzern, die sich in einem einsamen Land in eine enge, zugige Höhle kauerten. Sie waren nicht vor dem Unwetter geschützt. Sie warteten voller Unbehagen, daß das Wetter sich änderte.

»Blackberry«, sagte Hazel, »wie gefiel dir unser Gast, und was hieltest du davon, in sein Gehege zu gehen?«

»Nun«, erwiderte Blackberry, »was ich denke, ist folgendes: Es gibt keine Möglichkeit, herauszufinden, ob man ihm vertrauen kann, außer durch einen Versuch. Er schien freundlich gesinnt. Aber wenn andererseits eine Menge Kaninchen vor einigen Neuankömmlingen Angst hätte und sie täuschen wollte - sie in ein Loch hinunterlocken und dann angreifen -, würden sie zunächst jemanden schicken, der glaubhaft wäre. Vielleicht wollen sie uns töten. Andererseits gibt es, wie er sagte, genug Gras hier, und was das Hinauswerfen oder das Rauben ihrer Weibchen anlangt, so haben sie, wenn sie alle seine Körpergröße und sein Gewicht haben, nichts von einem Haufen wie dem unsern zu befürchten. Sie müssen uns haben kommen sehen. Wir waren müde. Und das wäre doch sicher die beste Gelegenheit gewesen, uns anzugreifen. Oder während wir getrennt waren, ehe wir anfingen zu graben. Aber nichts dergleichen. Ich schätze, es ist wahrscheinlicher, daß sie freundlich gesinnt sind, als das Gegenteil. Nur eines begreife ich nicht: Was versprechen sie sich davon, wenn sie uns bitten, sich ihrem Gehege anzuschließen?«

»Narren ziehen elil an, indem sie eine leichte Beute sind«, sagte Bigwig, der seinen Backenbart von Schmutz reinigte und durch seine langen Vorderzähne blies. »Und wir sind Narren, bis wir gelernt haben, hier zu leben. Vielleicht ist es sicherer, uns anzulernen. Ich weiß nicht - soll man's aufgeben? Aber ich fürchte mich nicht, das herauszubekommen. Und wenn die wirklich einige Schliche versuchen, werden sie sehr bald herausfinden, daß ich auch einige kenne. Ich hätte nichts dagegen, mein Glück zu probieren und irgendwo bequemer zu schlafen als hier. Wir haben seit gestern nachmittag nicht geschlafen.«

»Fiver?«

»Ich bin der Meinung, wir sollten mit diesem Kaninchen oder seinem Gehege nichts zu tun haben. Wir sollten diesen Ort sofort verlassen. Aber was hat es für einen Sinn, etwas zu sagen?«

Hazel, kalt und feucht, empfand Ungeduld. Er war immer gewohnt gewesen, sich auf Fiver zu verlassen, und jetzt, da er ihn wirklich brauchte, ließ er sie im Stich. Blackberrys Argumentation war erstklassig gewesen, und Bigwig hatte zumindest dargelegt, worauf sich ein vernünftiges Kaninchen wahrscheinlich stützen würde. Augenscheinlich war der einzige Beitrag Fivers sein einem Käfergeist entsprungenes Hirngespinst. Er rief sich ins Gedächtnis zurück, daß Fiver kleinwüchsig war und daß sie Aufregungen hinter sich hatten und alle müde waren. In diesem Augenblick begann die Erde am anderen Ende des Baus nach innen zu bröckeln; dann brach sie auseinander, und Silvers Kopf und Vorderpfoten erschienen.

»Hier sind wir«, sagte Silver fröhlich. »Wir haben getan, was du wolltest, Hazel, und Buckthorn ist nebenan durch. Was ich aber gerne wissen möchte: Was ist mit Wie-heißt-er-gleich? Cowpat, nein - Cowslip? Gehen wir in sein Gehege oder nicht? Wir werden uns doch nicht etwa hier verkriechen, weil wir Angst haben, ihn aufzusuchen. Was wird er von uns denken?«

»Ich werde es euch sagen«, rief Dandelion über die Schulter. »Wenn er nicht ehrlich ist, wird er wissen, daß wir Angst haben zu kommen; und wenn er ehrlich ist, wird er denken, wir seien mißtrauische, feige Drückeberger. Wenn wir in dieser Gegend leben wollen, müssen wir uns mit seinen Leuten früher oder später arrangieren, und es geht einem gegen den Strich, herumzulungern und zuzugeben, wir wagten es nicht, sie zu besuchen.«

»Ich weiß nicht, wie viele sie sind«, sagte Silver, »aber wir sind eine ganze Menge. Jedenfalls ist mir der Gedanke unsympathisch, uns einfach fernzuhalten. Seit wann sind Kaninchen elil? Der alte Cowslip hat keine Angst gehabt, mitten unter uns zu treten, nicht wahr?«

»Ausgezeichnet«, sagte Hazel. »So denke ich auch. Ich wollte bloß wissen, ob ihr derselben Meinung seid. Sollen Bigwig und ich zuerst allein da hinübergehen und dann Bericht erstatten?«

»Nein«, sagte Silver. »Gehen wir alle. Wenn wir überhaupt gehen, dann um Friths willen so, als hätten wir keine Angst. Was sagst du dazu, Dandelion?«

»Ich denke, du hast recht.«

»Dann werden wir jetzt aufbrechen«, sagte Hazel. »Holt die anderen, und folgt mir.«

Draußen, in dem sich trübenden Licht des späten Nachmittags - der Regen lief ihm in die Augen und unter seine Blume -, beobachtete er sie, als sie sich ihm anschlossen. Blackberry, wachsam und intelligent, musterte zuerst den Graben in beiden Richtungen, ehe er ihn überquerte. Bigwig, quietschvergnügt bei der Aussicht auf Aktion. Der stetige, verläßliche Silver. Dandelion, der blendende Geschichtenerzähler, so begierig fortzukommen, daß er den Graben übersprang und ein kleines Stück in das Feld rannte, ehe er stehenblieb und auf die anderen wartete. Buckthorn, vielleicht der vernünftigste und anhänglichste von ihnen allen. Pipkin, der sich nach Hazel umsah und dann herüberkam, um neben ihm zu warten. Acorn, Hawkbit und Speedwell, anständige Männer aus dem Mannschaftsstand, solange sie nicht überfordert wurden. Zuletzt kam Fiver, niedergeschlagen und widerstrebend, wie ein Sperling im Frost. Als Hazel sich von dem Loch abwandte, teilten sich die Wolken im Westen leicht, und plötzlich brach der Glanz regenfeuchten, fahlgoldenen Lichtes durch.

»O El-ahrairah!« dachte Hazel. »Es sind Kaninchen, zu denen wir stoßen werden. Du kennst sie ebensogut wie uns. Laß es das Richtige sein, was ich tue.«

»Jetzt schwing dich auf, Fiver!« sagte er laut. »Wir warten auf dich und werden jeden Augenblick nasser.«

Eine tropfnasse Hummel kroch über eine Distelblüte, zitterte ein paar Sekunden mit ihren Flügeln und flog dann fort über das Feld. Hazel folgte und ließ über dem silberhellen Gras eine dunkle Spur hinter sich zurück.

13. Gastfreundschaft


Am Nachmittag kamen sie in ein Land,

In dem immer Nachmittag zu sein schien.

Die Küste entlang schien die träge Luft zu schwinden,

Atmend wie einer, der einen bösen Traum hat.

Tennyson The Lotus-Eaters


Die Ecke des gegenüberliegenden Gehölzes erwies sich als eine klare Spitze, um die der Graben und die Bäume in einem Bogen herumliefen, so daß das Feld eine Bucht mit einer umlaufenden Böschung bildete. Es war jetzt klar, warum sich Cowslip, als er sie verließ, zwischen die Bäume begeben hatte. Er war einfach in direkter Linie von ihren Löchern zu seinen eigenen gelaufen und dabei unterwegs durch den schmalen Streifen Waldland gekommen, der dazwischen lag. Tatsächlich konnte Hazel, als er um die Spitze kam und stoppte, um sich umzusehen, die Stelle erkennen, wo Cowslip herausgekommen sein mußte. Eine klare Kaninchenspur führte aus dem Farnkraut heraus, unter den Zaun und ins Feld. In der Böschung auf der anderen Seite der Bucht waren die Kaninchenlöcher genau zu sehen; sie zeichneten sich dunkel und deutlich auf dem bloßen Boden ab. Es war ein so auffälliges Gehege, wie man es sich nur vorstellen konnte.

»Um Himmels willen!« sagte Bigwig. »Jedes lebende Geschöpf im Umkreis von Meilen muß wissen, daß es da ist! Schaut euch bloß all die Spuren im Gras an! Glaubst du, die singen am Morgen wie die Drosseln?«

»Vielleicht fühlen sie sich zu sicher, um sich Gedanken zu machen, wie sie sich verbergen könnten«, sagte Blackberry.

»Schließlich war unser Heimatgehege auch ziemlich offen zu sehen.«

»Ja, aber nicht so! Zwei hrududil könnten in einige dieser Löcher hineinsausen.«

»Ich auch«, sagte Dandelion. »Ich werde schrecklich naß.«

Als sie sich näherten, erschien ein großes Kaninchen über dem Grabenrand, sah sie schnell an und verschwand in der Böschung. Kurz danach kamen zwei andere heraus und warteten auf sie. Auch diese hatten seidiges Fell und waren ungewöhnlich groß.

»Ein Kaninchen namens Cowslip hat uns Schutz hier angeboten«, sagte Hazel. »Vielleicht wißt ihr, daß er uns besucht hat?«

Beide Kaninchen machten gleichzeitig eine seltsame, tanzende Bewegung mit dem Kopf und den Vorderpfoten. Vom Beschnuppern abgesehen, wie Hazel und Cowslip es getan hatten, als sie sich trafen, waren feierliche Gebärden -außer zur Paarungszeit - Hazel und seinen Gefährten unbekannt. Der Sinn war ihnen dunkel, und sie empfanden Unbehagen. Die Tänzer hielten inne und warteten offensichtlich auf eine Bestätigung oder Gegengeste, aber es kam keine.

»Cowslip ist im großen Bau«, sagte einer von ihnen schließlich. »Würdet ihr uns wohl dorthin folgen?«

»Wie viele von uns?« fragte Hazel.

»Natürlich alle«, antwortete der andere überrascht. »Ihr wollt doch nicht im Regen draußen bleiben?«

Hazel hatte angenommen, daß er und einer oder zwei seiner Kameraden zum Oberkaninchen geführt werden würden - das wahrscheinlich nicht Cowslip wäre, da Cowslip sie unbegleitet besucht hatte -, und danach würde man ihnen verschiedene Plätze zuweisen. Diese Trennung war es, vor der er sich gefürchtet hatte. Jetzt wurde ihm verwundert klar, daß es offensichtlich einen Teil im unterirdischen Gehege gab, der groß genug war, sie alle aufzunehmen. Er war so neugierig, ihn zu besichtigen, daß er sich nicht damit aufhielt, genaue Anordnungen über die Reihenfolge zu treffen, in der sie hinuntergehen sollten. Jedoch stellte er Pipkin direkt hinter sich. »Das wird sein kleines Herz erwärmen«, dachte er, »und wenn die ersten doch angegriffen werden, können wir ihn bestimmt leichter entbehren als andere.« Bigwig bat er, die Nachhut zu bilden. »Wenn es Schwierigkeiten gibt, verschwinde«, sagte er, »und nimm so viele wie möglich mit.« Dann folgte er ihren Führern in eines der Löcher in der Böschung.

Der Lauf war breit, glatt und trocken. Es war offenbar eine Hauptstraße, denn von ihr gingen andere Läufe in allen Richtungen ab. Die Kaninchen vor ihm gingen schnell, und Hazel hatte wenig Zeit, herumzuschnuppem, als er ihnen folgte. Plötzlich machte er halt. Er war an einen offenliegenden Ort gekommen. Sein Backenbart konnte keine Erde vor sich fühlen, und in der Nähe seiner Flanken war auch keine. Vor ihm war ziemlich viel Luft - er spürte den Zug - und über seinem Kopf beträchtlicher Raum. Außerdem waren mehrere Kaninchen in seiner Nähe. Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, daß es unter der Erde einen Ort geben könnte, der an drei Seiten ungeschützt war. Er trat schnell zurück und fühlte Pipkin an seinem Schwanz. Was für ein Narr war ich! dachte er. Warum habe ich nicht Silver da postiert?

In diesem Augenblick vernahm er Cowslip. Er schreckte auf; denn er konnte erkennen, daß er ziemlich weit entfernt war. Dieser Ort mußte ungeheuer groß sein.

»Bist du's, Hazel?« fragte Cowslip. »Sei uns willkommen und deine Freunde auch. Wir sind froh, daß ihr gekommen seid.«

Keine menschlichen Wesen, mit Ausnahme der mutigen und erfahrenen Blinden, können an einem fremden Ort, wo sie nichts sehen können, sinnlich viel wahrnehmen, aber bei Kaninchen ist es anders. Sie verbringen das halbe Leben in Dunkelheit oder in annähernder Dunkelheit, und Tastsinn, Geruch und Gehör vermitteln ihnen ebensoviel oder mehr als das Sehvermögen. Hazel hatte jetzt die klarste Kenntnis dessen, wo er war. Er würde den Ort wiedererkennen, auch wenn er auf der Stelle fortginge und erst sechs Monate später wiederkäme. Er befand sich auf der einen Seite des größten Baus, in dem er je gewesen war; sandig, warm und trocken, mit einem festen, kahlen Boden. Mehrere Baumwurzeln durchzogen die Decke, und sie waren es, die die ungewöhnliche Spannweite trugen. Eine große Anzahl von Kaninchen war hier versammelt - viel mehr, als er mitbrachte. Alle hatten denselben kräftigen, üppigen Geruch wie Cowslip.

Cowslip selbst befand sich am anderen Ende der Halle, und Hazel merkte, daß er auf eine Erwiderung von ihm wartete. Seine eigenen Gefährten kamen immer noch unter Scharren und Schlurfen nacheinander aus dem Eingangsbau. Er überlegte sich, ob er sehr förmlich sein sollte. Ob er sich nun Oberkaninchen nennen konnte oder nicht, er hatte keine Erfahrung in solchen Dinge. Der Threarah hätte sich zweifellos der Lage großartig gewachsen gezeigt. Er wollte nicht verlegen erscheinen oder seine Anhänger im Stich lassen. Er kam zu dem Schluß, daß es am besten wäre, offen und freundlich zu sein. Schließlich hätten sie reichlich Zeit, während sie sich in dem Gehege niederließen, diesen Fremden zu zeigen, daß sie ihnen in nichts nachstanden, statt Ärger zu riskieren, wenn er gleich am Anfang vornehm tat.

»Wir sind froh, daß wir aus dem schlechten Wetter heraus sind«, sagte er. »Wir sind wie alle Kaninchen - am glücklichsten in der Menge. Als du zu uns ins Feld herüberkamst, Cowslip, sagtest du, euer Gehege sei nicht groß, aber nach den Löchern zu schließen, die wir entlang der Böschung sahen, muß es ein vortreffliches großes sein.«

Als er schloß, spürte er, daß Bigwig soeben die Halle betreten hatte, und wußte, daß sie alle wieder beisammen waren. Die fremden Kaninchen schienen durch seine kleine Rede leicht verstimmt, und er merkte, daß er aus irgendeinem Grunde nicht den richtigen Ton angeschlagen hatte, als er sie zu ihrer großen Zahl beglückwünschte. Vielleicht waren es doch nicht so sehr viele? Hatte eine Krankheit gewütet? Aber weder roch es danach, noch gab es sonstige Anzeichen. Sie waren die größten und gesündesten Kaninchen, die er je kennengelernt hatte. Vielleicht hatten ihre nervöse Unruhe und ihr Schweigen mit dem nichts zu tun, was er gesagt hatte? Vielleicht hatte er einfach nicht gut gesprochen, weil er keine Übung darin hatte, und sie glaubten, daß er sich ihren feinen Bräuchen nicht anpassen könne. Schadet nichts, dachte er. Nach gestern Abend bin ich mir meines eigenen Haufens sicher. Wir wären nicht hier, wenn wir schwierigen Situationen nicht gewachsen wären. Diese anderen Burschen werden uns eben kennenlernen müssen. Auf jeden Fall scheinen sie keine Abneigung gegen uns zu empfinden.

Es wurden keine Reden mehr gehalten. Kaninchen haben ihre eigenen Konventionen und Förmlichkeiten, wenn auch nur wenige und kurze, nach menschlichen Normen. Wenn Hazel ein menschliches Wesen gewesen wäre, hätte man von ihm erwartet, daß er seine Gefährten vorstellte, und zweifellos wäre jeder als Gast von einem ihrer Gastgeber in Obhut genommen worden. In dem großen Bau hingegen ging es anders zu. Die Kaninchen vermischten sich ganz natürlich. Sie redeten nicht um des Redens willen, in der gekünstelten Art, wie es menschliche Wesen - und manchmal sogar ihre Hunde und Katzen - tun. Was aber nicht bedeutete, daß sie sich nicht miteinander in Verbindung setzten; nur geschah es nicht durch Geplauder. Im ganzen Bau gewöhnten sich die Neuankömmlinge und diejenigen, die hier zu Hause waren, auf ihre eigene Weise und wann es ihnen paßte aneinander. Ausfindig zu machen, wie die Fremden rochen, wie sie sich bewegten, wie sie atmeten, wie sie kratzten, Eindruck von ihrem Rhythmus und ihren Impulsen zu gewinnen - das waren ihre Themen und Diskussionsgegenstände, ohne das Bedürfnis nach Reden. In einem stärkeren Ausmaß als ein Mensch in einer ähnlichen Versammlung war jedes Kaninchen, wenn es seinem eigenen kleinen Teil nachging, empfindlich für den Trend des Ganzen. Nach einiger Zeit wußten alle, daß das Zusammentreffen nicht unfreundlich oder in einem Streit enden würde. Genau wie eine Schlacht in einem Stadium des Gleichgewichts zwischen beiden Seiten beginnt, das sich allmählich so oder so verändert, bis sich die Waage so weit geneigt hat, daß das Ergebnis nicht mehr im Zweifel sein kann - so begann diese Zusammenkunft von Kaninchen im Dunkeln mit zögernden Annäherungen, Schweigen, Pausen, Bewegungen, Nebeneinanderhocken und allen Arten von probender Abschätzung, bewegte sich langsam, wie sich die eine Hälfte des Erdballs dem Sommer zuneigt, in einen wärmeren, helleren Bereich gegenseitiger Sympathie und Anerkennung, bis alle sicher waren, daß sie nichts zu befürchten hatten. Pipkin hockte, etwas abseits von Hazel, bequem zwischen zwei riesigen Kaninchen, die ihm in einer Sekunde den Hals hätten brechen können, während Buckthorn und Cowslip eine spielerische Balgerei begannen, sich gegenseitig kneifend wie junge Kätzchen und dann abbrechend, um ihre Ohren in komisch feierlicher Verstellung zu kämmen. Nur Fiver saß allein und abgesondert. Er schien entweder krank oder sehr deprimiert, und die Fremden mieden ihn instinktiv.

Die Gewißheit, daß die Versammlung erfolgreich verlaufen war, überkam Hazel in Form der Erinnerung an Silver, wie dessen Kopf und Pfoten durch den Kies brachen. Sofort empfand er Wärme und Entspannung. Er hatte bereits die ganze Länge der Halle durchquert und wurde dicht an zwei Kaninchen gedrängt, einen Rammler und ein Weibchen, jedes von ihnen so groß wie Cowslip. Als beide zusammen einige gemächliche Hopser einen der in der Nähe gelegenen Läufe hinunter machten, folgte ihnen Hazel, und nach und nach entfernten sich alle drei aus der Halle. Sie kamen in einen kleineren Bau, der tiefer unter der Erde lag. Augenscheinlich gehörte er dem Paar, das sich darin niederließ, als wäre es dort zu Hause, und nichts dagegen hatte, als Hazel dasselbe tat. Hier, während die Stimmung der großen Halle langsam von ihnen wich, schwiegen alle drei eine Weile.

»Ist Cowslip das Oberkaninchen?« fragte Hazel schließlich.

Der andere erwiderte mit einer Gegenfrage: »Wirst du Oberkaninchen genannt?«

Hazel fand es peinlich, darauf zu antworten. Falls er erwiderte, er sei es, wurden seine neuen Freunde ihn in Zukunft vielleicht so anreden, und er konnte sich leicht vorstellen, was Bigwig und Silver dazu sagen würden. Wie gewöhnlich bediente er sich der reinen Wahrheit.

»Wir sind nur wenige«, sagte er. »Wir verließen unser Gehege in Eile, um vor etwas Schlimmem zu fliehen. Die meisten blieben da, einschließlich des Oberkaninchens. Ich habe versucht, meine Freunde zu führen, aber ich weiß nicht, ob sie es gern hören würden, wenn man mich als Oberkaninchen bezeichnete.«

»Jetzt wird er mir Fragen stellen«, dachte er. »>Warum gingt ihr? Warum ist der Rest nicht mit euch gekommen? Wovor hattet ihr Angst?< Und was um alles in der Welt soll ich sagen?«

Als dann das andere Kaninchen sprach, war es klar, daß es entweder nicht an dem interessiert war, was Hazel gesagt hatte, oder sonst einen Grund hatte, ihm keine Fragen zu stellen.

»Wir nennen niemanden Oberkaninchen«, sagte er. »Es war Cowslips Idee, euch heute nachmittag zu besuchen, und deshalb war er auch derjenige, der ging.«

»Aber wer entscheidet, was gegen elil zu geschehen hat? Und über das Graben, das Aussenden von Spähtrupps und so weiter?«

»Oh, wir tun nie etwas Derartiges. Elil halten sich von hier fern. Letzten Winter gab es einen homba, aber der Mann, der durch die Felder geht, erschoß ihn mit seinem Gewehr.«

Hazel starrte ihn an. »Aber Menschen schießen keine homba.«

»Nun, er tötete jedenfalls diesen hier. Er tötet auch Eulen. Wir brauchen nie zu graben. Solange ich lebe, hat noch niemand gegraben. Eine Menge Baue stehen leer, müßt ihr wissen. Ratten leben in einem Teil, aber der Mann tötet auch sie, wenn er kann. Wir brauchen keine Spähtrupps. Hier gibt es besseres Futter als irgendwo anders. Deine Freunde werden glücklich sein, hier leben zu können.«

Doch es klang nicht besonders glücklich, wie er es sagte, und wieder war Hazel eigentümlich verdutzt. »Wo kommt der Mann -«, begann er. Aber er wurde unterbrochen.

»Ich heiße Strawberry. Das ist mein Weibchen, Nildro-hain[6] . Einige der besten leeren Baue sind ganz in der Nähe. Ich zeige sie dir, falls deine Freunde sich dort niederlassen wollen. Der große Bau ist fabelhaft, findest du nicht auch? Ich bin sicher, daß es nicht viele Gehege gibt, wo alle Kaninchen sich unterirdisch treffen können. Die Decke besteht aus Baumwurzeln. Und natürlich hält der Baum draußen den Regen ab. Es ist ein Wunder, daß der Baum lebt, aber er lebt.«

Hazel vermutete, daß Strawberrys Plappern den wahren Zweck hatte, Fragen seinerseits zu verhindern. Er war teils irritiert, teils verblüfft.

»Schadet nichts«, dachte er. »Wenn wir alle so groß werden wie diese Burschen, werden wir eine Menge erreichen. Es muß hierherum gutes Futter geben. Sein Weibchen ist ein schönes Geschöpf. Vielleicht gibt es im Gehege noch mehr wie sie.«

Strawberry verließ den Bau, und Hazel folgte ihm in einen anderen Lauf, der tiefer unter das Gehölz führte. Es war tatsächlich ein bewundernswertes Gehege. Wenn sie einen Lauf kreuzten, der nach oben zu einem Loch führte, konnte man manchmal den noch immer fallenden Nachtregen hören. Aber obgleich es jetzt seit mehreren Stunden regnete, war keine Feuchtigkeit oder Kälte in den Läufen oder den vielen Bauen, an denen sie vorüberkamen, zu spüren. Sowohl die Entwässerung als auch die Ventilation waren besser, als er es gewohnt war. Hier und da waren andere Kaninchen auf dem Marsch. Einmal trafen sie Acorn, der offensichtlich auf einen ähnlichen Rundgang mitgenommen worden war. »Die sind sehr freundlich, nicht wahr?« sagte er zu Hazel, als sie aneinander vorbeikamen. »Ich habe mir nie träumen lassen, daß wir einen solchen Ort erreichen würden. Du hast ein wunderbares Urteilsvermögen, Hazel.« Strawberry wartete höflich, bis er geendet hatte, und Hazel war unwillkürlich froh, daß er alles mit angehört hatte.

Schließlich, nachdem sie sorgsam einige Öffnungen umgangen hatten, aus denen ein merklicher Geruch nach Ratten drang, machten sie in einer Art Grube halt. Ein steiler Tunnel führte an die Luft. Kaninchenläufe sind im allgemeinen bogenförmig angelegt; aber dieser hier war gerade, so daß Hazel über sich, durch die Mündung des Loches, Blätter gegen den Nachthimmel sehen konnte. Er stellte fest, daß eine Wand der Grube nach außen gewölbt war und aus einer harten Materie bestand. Er schnupperte unsicher daran.

»Weißt du nicht, was das ist?« fragte Strawberry. »Es sind Backsteine; die Steine, mit denen die Menschen ihre Häuser und Scheunen bauen. Vor langer Zeit war hier ein Brunnen, aber er ist jetzt zugeschüttet - die Menschen benutzen ihn nicht mehr. Das ist die Außenseite des Brunnenschachtes. Und dieser Erdwall hier ist vollkommen flach, weil dahinter ein Menschen-Ding im Boden befestigt ist, aber ich weiß nicht, was.«

»Da steckt irgend etwas drin«, sagte Hazel. »Nanu, da sind Steine in die Oberfläche gestoßen! Aber wozu?«

»Gefällt es dir?« fragte Strawberry.

Hazel zerbrach sich den Kopf über die Steine. Sie hatten alle dieselbe Größe und waren in regelmäßigen Abständen in den Boden gesteckt.

»Wofür sind die denn?« fragte er wieder.

»Es ist El-ahrairah«, sagte Strawberry. »Ein Kaninchen namens Goldregen machte es vor einiger Zeit. Wir haben andere, aber dies hier ist das beste. Einen Besuch wert, findest du nicht?«

Hazel war mehr in Verlegenheit denn je. Er hatte nie Goldregen gesehen und geriet wegen des Namens, der in der Hasensprache »Gift-Baum« bedeutet, in Verwirrung. Wie konnte ein Kaninchen Gift heißen? Und wie konnten Steine El-ahrairah sein? In seiner Verwirrung sagte er: »Ich begreife das nicht.«

»Wir nennen das eine Gestalt«, erklärte Strawberry. »Hast du noch nie eine gesehen? Die Steine werfen die Gestalt von El-ahrairah an die Wand. Den Salat des Königs stehlen. Verstehst du?«

Seitdem Blackberry von dem Floß neben dem Enborne gesprochen hatte, war Hazel nicht so durcheinander gewesen. Offensichtlich konnten die Steine doch nichts mit El-ahrairah zu tun haben. Er fand, daß Strawberry ebensogut gesagt haben könnte, sein Schwanz sei eine Eiche. Er schnupperte und hob dann die Pfote zur Wand hoch.

»Sachte, sachte«, sagte Strawberry. »Du könntest sie beschädigen, und das hätten wir nicht so gern. Schon gut. Wir kommen ein andermal wieder.«

»Aber wo sind -«, begann Hazel, als Strawberry ihn wieder unterbrach.

»Ich nehme an, du bist jetzt hungrig. Ich bin's jedenfalls. Es wird bestimmt die ganze Nacht weiterregnen, aber wir können hier unterirdisch fressen, weißt du? Und dann kannst du in dem großen Bau schlafen oder bei mir, wenn du das lieber möchtest. Wir können schneller zurückgehen, als wir gekommen sind. Es gibt einen Gang, der nahezu gerade verläuft. Tatsächlich führt er hinüber -«

Er plapperte unbarmherzig weiter, während sie zurückliefen. Plötzlich ging es Hazel auf, daß diese verzweifelten Unterbrechungen jeder Frage zu folgen schienen, die mit einem »Wo?« begann. Er wollte die Probe darauf machen. Nach einer Weile schloß Strawberry mit den Worten: »Wir sind jetzt beinahe am großen Bau, aber wir kommen auf einem anderen Weg hinein.«

»Und wo -«, begann Hazel. Sofort bog Strawberry in einen Seitenlauf ein und rief: »Kingcup! Kommst du in den großen Bau herunter?« Schweigen. »Das ist komisch!« sagte Strawberry, der zurückkam und wieder vorausging. »Im allgemeinen ist er um diese Zeit da. Ich hole ihn oft ab, weißt du?«

Hazel, der etwas zurückblieb, erkundete schnell mit Nase und Schnurrbart. Die Schwelle des Baues war mit einem einen Tag alten Belag weicher Erde bedeckt, die von der Decke gefallen war. Strawberrys Abdrücke waren deutlich zu erkennen, aber andere Spuren, gleich welcher Art, gab es nicht.

14. »Wie Bäume im November«


Höfe und Lager sind die einzigen Orte, um die Welt kennenzulernen ... Nimm den Tonfall der Gesellschaft an, in der du dich befindest.

The Earl of Chesterfield Letters to his Son


Der große Bau war nicht so voll, wie er gewesen war, als sie ihn verlassen hatten. Nildro-hain war das erste Kaninchen, das sie trafen. Sie befand sich in einer Gruppe von drei oder vier schönen Weibchen, die sich ruhig unterhielten und gleichzeitig zu fressen schienen. Es roch nach Grünfutter. Offenbar war irgendein Futter unterirdisch verfügbar, wie der Salat vom Threarah. Hazel hielt an, um mit Nildro-hain zu sprechen. Sie fragte, ob sie bis zur Brunnengrube und zu El-ahrairah von Goldregen gegangen seien.

»Ja«, sagte Hazel. »Es schien mir etwas merkwürdig, fürchte ich. Und ich würde lieber dich und deine Freundinnen bewundern als Steine an der Wand.«

Während er sprach, bemerkte er, daß Cowslip sich zu ihnen gesellt hatte und Strawberry leise mit ihm redete. Er fing die Worte auf - »Nie in der Nähe einer Gestalt gewesen« -, und einen Augenblick später erwiderte Cowslip: »Nun, es macht auch keinen Unterschied von unserem Standpunkt aus.«

Plötzlich fühlte sich Hazel erschöpft und deprimiert. Er bemerkte Blackberry hinter Cowslips geschmeidiger und wuchtiger Schulter und ging zu ihm hinüber.

»Komm ins Gras hinaus«, sagte er ruhig. »Bring jeden mit, der kommen will.«

In diesem Augenblick wandte sich Cowslip an ihn und sagte: »Du wirst froh sein, jetzt etwas zu fressen zu bekommen. Ich zeige dir, was wir hier unten haben.«

»Ein paar von uns gehen gerade zum silflay «, sagte Hazel.

»Oh, dazu regnet es immer noch zu stark«, sagte Cowslip, als könnte es darüber keine unterschiedlichen Ansichten geben. »Wir werden euch hier füttern.«

»Es täte mir leid, darüber zu streiten«, sagte Hazel fest, »aber einige von uns brauchen silflay. Wir sind es gewohnt, und der Regen stört uns nicht.«

Cowslip schien einen Augenblick bestürzt. Dann lachte er.

Das Phänomen des Lachens ist Tieren unbekannt, obgleich es möglich ist, daß Hunde und Elefanten eine dunkle Ahnung davon haben. Die Wirkung auf Hazel und Blackberry war überwältigend. Hazel dachte zuerst, bei Cowslip zeigten sich Anzeichen irgendeiner Krankheit, Blackberry nahm offensichtlich an, daß er sie angreifen wollte, und zog sich zurück. Cowslip sagte nichts, aber sein unheimliches Lachen hielt an. Hazel und Blackberry drehten sich um und machten sich den nächsten Lauf hinauf davon, als ob er ein Frettchen wäre. Auf halbem Weg nach oben trafen sie Pipkin, der klein genug war, sie zunächst vorbeigehen zu lassen, um sich dann umzudrehen und ihnen zu folgen.

Der Regen fiel jetzt stetig. Die Nacht war finster und für den Mai kalt. Die drei kauerten sich ins Gras und knabberten, während der Regen in Strömen an ihrem Fell hinunterrann.

»Meine Güte, Hazel«, sagte Blackberry, »wolltest du wirklich silflay[7]? Das ist ja furchtbar! Ich wollte gerade fressen, egal, was sie haben, und dann schlafen gehen. Was ist denn los?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Hazel. »Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich mußte hinaus, und ich wollte dich dabeihaben. Mir ist klar, was Fiver beunruhigt, obgleich er bestimmt darüber hinwegkommt. Es ist etwas Seltsames an diesen Kaninchen. Weißt du, daß sie Steine in die Wand stoßen?«

»Was tun sie?«

Hazel erklärte es. Blackberry war ebenso ratlos, wie er es gewesen war. »Aber ich kann dir auch etwas erzählen«, sagte er. »Bigwig hatte gar nicht so unrecht. Sie singen wirklich wie die Vögel. Ich war in einem Bau, der einem Kaninchen namens Betony gehört. Sein Weibchen hat einen Wurf, und sie stimmte ein Geschrei an, fast wie ein Rotkehlchen im Herbst. Um sie in den Schlaf zu singen, sagte sie. Ich kam mir wirklich komisch vor, kann ich dir sagen.«

»Und was hältst du von ihnen, Hlao-roo?« fragte Hazel.

»Sie sind sehr nett und freundlich«, antwortete Pipkin, »aber ich will dir sagen, was mir an ihnen auffällt. Sie wirken alle furchtbar traurig. Ich kann mir nicht vorstellen, warum, wo sie so groß und stark sind und dieses schöne Gehege haben. Aber sie erinnern mich an Bäume im November. Sicher ist es dumm von mir, Hazel. Du hast uns hierher gebracht, und bestimmt ist es ein schöner, sicherer Ort.«

»Nein, es ist durchaus nicht dumm. Mir war es nicht klar, aber du hast vollkommen recht. Sie scheinen alle etwas auf dem Herzen zu haben.«

»Im übrigen«, sagte Blackberry, »wissen wir nicht, warum es so wenig sind. Sie füllen das Gehege bei weitem nicht aus. Vielleicht haben sie irgendeinen Kummer gehabt, den sie nicht verwinden können.«

»Wir wissen es nicht, weil sie uns nichts sagen. Aber wenn wir hierbleiben wollen, müssen wir lernen, mit ihnen zurechtzukommen. Wir können sie nicht bekämpfen - sie sind zu groß. Und wir wollen nicht, daß sie uns bekämpfen.«

»Ich glaube nicht, daß sie überhaupt kämpfen können, Hazel«, sagte Pipkin. »Obgleich sie so groß sind, scheinen sie mir keine Kämpfer zu sein. Nicht wie Bigwig und Silver.«

»Du bemerkst eine ganze Menge, nicht wahr, Hlao-roo?« sagte Hazel. »Bemerkst du vielleicht auch, daß es mehr denn je regnet? Ich habe genug Gras in meinem Magen für 'ne Weile. Gehen wir jetzt wieder hinunter, aber bleiben wir ein Weilchen unter uns.«

»Warum gehen wir nicht schlafen?« sagte Blackberry. »Es ist jetzt über eine Nacht und einen Tag her, und ich falle fast um.«

Sie kehrten durch ein anderes Loch nach unten zurück und fanden bald einen trockenen, leeren Bau, wo sie sich zusammenrollten und in der Wärme ihrer eigenen müden Körper schliefen.

Als Hazel aufwachte, merkte er sofort, daß es Morgen war - einige Zeit nach Sonnenaufgang, dem Geruch nach zu schließen. Der Geruch von Apfelblüten war deutlich genug. Dann nahm er die undeutlicheren Gerüche von Hahnenfuß und Pferden auf und vermischt mit diesen noch einen anderen. Obgleich es ihn ängstigte, konnte er einige Augenblicke nicht sagen, was es war. Ein gefährlicher Geruch, ein unangenehmer Geruch, ein vollkommen unnatürlicher Geruch, sehr dicht draußen: ein Rauch-Geruch - etwas brannte. Dann erinnerte er sich, wie Bigwig nach seinem gestrigen Spähunternehmen von den kleinen weißen Stöcken im Gras gesprochen hatte. Das war's. Ein Mann war draußen über die Erde gegangen. Das mußte es gewesen sein, was ihn aufgeweckt hatte.

Hazel lag mit einem köstlichen Gefühl der Sicherheit in dem warmen, dunklen Bau. Er konnte den Mann riechen, aber der Mann konnte ihn nicht riechen. Alles, was der Mann riechen konnte, war der scheußliche Rauch, den er machte. Ihm kam die Gestalt in der Brunnengrube in den Sinn, und dann versank er in einen dumpfen Halbschlaf, in dem El-ahrairah sagte, es sei eine List von ihm, sich als Gift-Baum zu tarnen und die Steine in die Wand zu setzen, um Strawberrys Aufmerksamkeit zu erregen, während er selbst sich mit Nildro-hain bekannt machte.

Pipkin regte sich und drehte sich im Schlaf um, murmelte »Sayn lay narn, marli?« (»Ist Kreuzkraut fein, Mutter?«), und Hazel glaubte gerührt, daß er von alten Tagen träumte, und rollte sich auf die Seite, damit er Platz hatte, bequem zu liegen. Doch in diesem Augenblick hörte er ein Kaninchen durch einen Lauf in der Nähe herunterkommen. Wer immer es war, es rief - und trommelte auch, wie Hazel bemerkte - auf eine unnatürliche Weise. Der Ton, wie Blackberry schon sagte, war dem Vogelgesang nicht unähnlich. Als es näher kam, konnte Hazel das Wort verstehen.

»Flayrah! Flayrah

Es war Strawberrys Stimme. Pipkin und Blackberry wachten auf, mehr durch das Trommeln als durch die Stimme, die dünn und ungewöhnlich war und nicht durch den Schlaf in ihr Bewußtsein drang. Hazel glitt aus dem Bau in den Lauf und stieß sofort auf Strawberry, der emsig damit beschäftigt war, mit einem Hinterbein auf den harten Erdboden zu hämmern.

»Meine Mutter sagte immer: >Wenn du ein Pferd wärest, würde die Decke einfallen<«, sagte Hazel. »Warum trommelst du unterirdisch?«

»Um alle zu wecken«, antwortete Strawberry. »Es hat beinahe die ganze Nacht geregnet, weißt du? Wir schlafen im allgemeinen etwas länger, wenn das Wetter schlecht ist. Aber es ist jetzt schön geworden.«

»Aber warum weckst du eigentlich alle?«

»Nun, der Mann ist vorübergekommen, und Cowslip und ich dachten, daß das flayrah nicht zu lange herumliegen sollte. Wenn wir es nicht holen, kommen die Ratten und Saatkrähen, und ich kämpfe nicht gern mit Ratten. Ich nehme an, das gehört alles zu einem abenteuerlichen Haufen wie dem eurigen mit dazu.«

»Ich verstehe nicht.«

»Nun, komm mit. Ich gehe nur rasch zurück, um Nildro-hain zu holen. Wir haben zur Zeit keinen Wurf, verstehst du, sie wird also mit uns hinauskommen.«

Andere Kaninchen kamen durch diesen Lauf, und Strawberry sprach mit mehreren von ihnen, wobei er mehr als einmal bemerkte, daß er ihre neuen Freunde gerne mit über die Wiese nähme. Hazel wurde sich bewußt, daß er Strawberry mochte. Am gestrigen Tag war er zu müde und verwirrt gewesen, um sich ein Urteil über ihn zu bilden. Aber jetzt, nachdem er gut geschlafen hatte, konnte er sehen, daß Strawberry wirklich ein harmloser, anständiger Bursche war. Er war der schönen Nildro-hain rührend ergeben, und offensichtlich hatte er Heiterkeitsanwandlungen und eine ausgeprägte Fähigkeit, sich zu amüsieren. Als sie in den Maimorgen hinauskamen, hopste er über den Graben und sprang munter wie ein Eichhörnchen in das hohe Gras. Er schien seine Gedankenverlorenheit völlig abgelegt zu haben, die Hazel am Abend zuvor gestört hatte. Hazel selbst blieb am Rande des Loches stehen, wie er es immer hinter dem Dornengestrüpp zu Hause getan hatte, und blickte über das Tal.

Die Sonne, die hinter dem niedrigen Wäldchen aufgegangen war, warf lange Schatten von den Bäumen südwestlich über die Wiese. Das nasse Gras glitzerte, und ein Nußbaum in der Nähe glänzte irisierend, flimmerte und schimmerte, als seine Äste sich in dem leichten Wind bewegten. Der Bach war angeschwollen, und Hazels Ohren konnten das tiefere, ruhigere Geräusch, das sich seit dem Vortag verändert hatte, ausmachen. Der Hang zwischen dem Unterholz und dem Bach war mit blassem Wiesenschaumkraut bedeckt; die zerbrechlichen Blütenstengel über einer Fläche von kresseartigen Blättern standen einzeln im Gras. Die Brise legte sich, und das kleine Tal, auf beiden Seiten von den Reihen der Gehölze eingeschlossen, lag vollkommen still unter langen Sonnenstrahlen. In diese klare Stille fiel, wie Federn auf die Oberfläche eines Teiches, der Ruf eines Kuckucks.

»Es ist ganz sicher, Hazel«, sagte Cowslip hinter ihm im Loch. »Ich weiß, du bist gewohnt, dich genau umzusehen, wenn du silflay willst, aber hier gehen wir gewöhnlich stracks hinaus.«

Hazel beabsichtigte nicht, seine Gewohnheiten zu ändern oder Vorschriften von Cowslip anzunehmen. Jedoch hatte ihn niemand gedrängt, und es hatte keinen Zweck, sich über Kleinigkeiten zu zanken. Er hopste durch den Graben ans andere Ende der Böschung und sah sich noch mal um. Mehrere Kaninchen rannten schon durch die Wiese auf eine entfernt gelegene Hecke zu, die mit großen Flecken von Weißdornblüten gesprenkelt war. Er sah Bigwig und Silver und gesellte sich zu ihnen, wobei er die Nässe wie eine Katze Schritt für Schritt von den Vorderpfoten abschüttelte.

»Ich hoffe, deine Freunde haben sich ebenso um dich gekümmert, wie diese Burschen hier für uns gesorgt haben, Hazel«, sagte Bigwig. »Silver und ich fühlen uns wirklich wieder zu Hause. Wenn du mich fragst, so schätze ich, wir haben uns alle mächtig verbessert. Selbst wenn Fiver sich irrt und nichts Furchtbares sich im alten Gehege ereignet hat, sag' ich trotzdem, daß wir hier besser dran sind. Kommst du mit zum Fressen?«

»Was machen die bloß für ein Getue um das Fressen, weißt du das?« fragte Hazel.

»Haben sie's dir nicht gesagt? Offenbar gibt es flayrah am

Ende der Wiesen. Die meisten gehen jeden Tag.«

(Kaninchen fressen gewöhnlich Gras, wie jedermann weiß. Aber appetitanregenderes Futter wie Salat oder Mohrrüben, für das sie weitere Wege auf sich nehmen oder einen Garten ausrauben, ist flayrah.)

»Flayrah? Aber ist es nicht schon zu spät am Morgen, um einen Garten zu überfallen?« fragte Hazel, einen Blick auf die fernen Dächer der Farm hinter den Bäumen werfend.

»Nein, nein«, sagte eines der Gehege-Kaninchen, das ihn zufällig gehört hatte. »Das flayrah liegt auf den Wiesen, gewöhnlich nahe der Quelle des Bachs. Wir fressen es entweder dort oder holen es oder beides. Aber heute werden wir einiges holen müssen. Der Regen war so schlimm gestern nacht, daß keiner hinausging und wir beinahe alles im Gehege aufgefressen haben.«

Der Bach rann durch die Hecke, und eine Lücke diente als Viehdurchgang. Nach dem Regen waren die Ränder ein Sumpf, das Wasser stand in jedem Hufabdruck. Die Kaninchen machten einen weiten Bogen und schlüpften durch eine andere Lücke weiter oben hindurch, ganz dicht bei dem knorrigen Stumpf eines alten Holzapfelbaums. Dahinter umgab eine halb mannshohe Umzäunung aus Pfosten und Querstangen ein Binsendickicht, in dem Sumpfdotterblumen blühten. Dort entsprang der Bach.

Auf der Weide in der Nähe konnte Hazel rostbraune und orangefarbene Stücke herumliegen sehen, einige mit federartigem hellgrünem Blätterwerk, das sich von dem dunkleren Gras abhob. Sie strömten einen scharfen Stallgeruch aus, als wenn sie frisch geschnitten wären. Es zog ihn an. Er begann Speichel abzusondern und stoppte, um hraka abzugeben. Cowslip, der in der Nähe auftauchte, kam mit seinem unnatürlichen Lächeln auf ihn zu. Doch diesmal schenkte ihm Hazel in seinem Eifer keine Aufmerksamkeit. Machtvoll angezogen, rannte er aus der Hecke heraus auf den bestreuten Boden zu. Er erreichte eines der Stücke, beschnüffelte und probierte es. Es waren Mohrrüben.

Hazel hatte schon die verschiedensten Wurzeln in seinem Leben gefressen, aber nur einmal hatte er Mohrrüben gekostet, als ein Karrenpferd in der Nähe des heimatlichen Geheges einen Futterbeutel verschüttet hatte. Dies hier waren alte Mohrrüben, einige von ihnen von Mäusen oder Fliegen angefressen. Aber für die Kaninchen atmeten sie Üppigkeit, ein Festmahl, das alle anderen Sinne ausschaltete. Hazel saß knabbernd und beißend da, der kräftige, volle Geschmack der verfeinerten Wurzeln erfüllte ihn mit einer Welle von Vergnügen. Er hopste im Gras umher, nagte an einem Stück nach dem anderen, fraß die grünen Spitzen zusammen mit den Scheiben. Niemand störte ihn. Es schien genug für alle dazusein. Von Zeit zu Zeit blickte er instinktiv auf und schnupperte den Wind, aber seine Vorsicht war nur halbherzig. »Wenn elil kommen, laß sie«, dachte er. »Ich nehme es mit allen auf. Ich könnte sowieso nicht weglaufen. Was für ein Land! Was für ein Gehege! Kein Wunder, daß sie so groß wie Hasen sind und wie Fürsten riechen!« - »Hallo, Pipkin! Friß dich bis zu den Ohren voll! Kein Bibbern mehr auf den Böschungen von Bächen, alter Junge!«

»Er wird in zwei bis drei Wochen total vergessen haben, wie das ist: bibbern«, sagte Hawkbit mit vollem Maul. »Ich fühle mich so viel besser! Ich würde dir überallhin folgen, Hazel. Ich war nicht ganz bei mir in dem Heidekraut neulich nachts. Es ist übel, wenn man weiß, man kann nicht mehr unter die Erde flitzen. Ich hoffe, du verstehst das.«

»Vergessen und vergeben«, antwortete Hazel. »Ich frage jetzt lieber Cowslip, ob wir von dem Zeug einiges ins Gehege mitnehmen sollen.«

Er fand Cowslip nahe der Quelle. Offenbar hatte er genug gefressen und wusch sich das Gesicht mit den Vorderpfoten.

»Gibt es hier jeden Tag Wurzeln?« fragte Hazel. »Wo -« Er hielt sich gerade noch rechtzeitig im Zaum. Ich lerne, dachte er.

»Nicht immer Wurzeln«, erwiderte Cowslip. »Das sind letztjährige, wie du bemerkt haben wirst. Ich nehme an, die Reste werden hinausgeworfen. Es kann alles mögliche sein -Wurzeln, Grünzeug, alte Äpfel -, kommt ganz darauf an. Manchmal liegt überhaupt nichts da, besonders bei gutem Sommerwetter. Aber bei schlechtem Wetter, im Winter, liegt beinahe immer etwas da. Große Wurzeln gewöhnlich oder Kohl oder manchmal Korn. Das fressen wir auch, weißt du?«

»Futter ist also kein Problem. Dieser Ort hier müßte von Kaninchen wimmeln. Ich schätze -«

»Wenn du wirklich fertig bist«, unterbrach Cowslip, »aber es ist gar nicht eilig, nimm dir Zeit -, könntest du versuchen, einiges fortzuschaffen. Mit diesen Wurzeln ist es leicht - leichter als alles andere, mit Ausnahme von Salat. Du beißt einfach in eine hinein, bringst sie ins Gehege und legst sie in den großen Bau. Ich nehme gewöhnlich zwei auf einmal, aber ich habe ja auch schon viel Übung darin. Kaninchen schaffen im allgemeinen kein Futter fort, ich weiß, aber du wirst es lernen. Es ist ganz nützlich, einen Vorrat zu haben. Die Weibchen brauchen etwas für ihre Jungen, wenn sie größer werden; und für uns alle ist es besonders bequem bei schlechtem Wetter. Komm mit mir zurück, und ich werde dir helfen, wenn du den Transport zuerst schwierig findest.«

Es kostete Hazel einige Mühe, eine halbe Mohrrübe mit seinem Maul zu packen und sie wie ein Hund über die Wiese ins Gehege zurückzutragen. Er mußte sie mehrere Male niederlegen. Aber Cowslip ermutigte ihn, und er war entschlossen, seine Stellung als der einfallsreiche Führer der Neuankömmlinge zu halten. Auf seinen Vorschlag hin warteten sie beide an der Mündung eines der größeren Löcher, um zu sehen, wie seine Gefährten sich machten. Sie schienen sich alle anzustrengen und ihr Bestes zu geben, obgleich die kleineren Kaninchen - besonders Pipkin - die Aufgabe schwierig fanden.

»Kopf hoch, Pipkin«, sagte Hazel. »Denk daran, wie gut es dir heute Abend schmecken wird. Jedenfalls bin ich sicher, daß es Fiver ebenso schwerfällt wie dir; er ist genauso klein.«

»Ich weiß nicht, wo er ist«, sagte Pipkin. »Hast du ihn gesehen?«

Tatsächlich, es stimmte: Er hatte ihn nicht gesehen. Er bekam etwas Angst, und als er mit Cowslip über die Wiese zurückkehrte, bemühte er sich, Fivers sonderbare Gemütsart zu erklären. »Ich hoffe, es fehlt ihm nichts«, sagte er. »Ich sollte mich vielleicht nach ihm umsehen, wenn wir die nächste Partie fortgetragen haben. Hast du eine Ahnung, wo er sein könnte?«

Er wartete auf eine Antwort, wurde aber enttäuscht. Nach einigen Augenblicken sagte Cowslip: »Schau, siehst du diese Dohlen, die sich um die Mohrrüben herumtreiben? Sie sind seit Tagen die reinste Plage. Ich muß jemanden finden, der sie verscheucht, bis wir alles fortgetragen haben. Aber sie sind wirklich zu groß, als daß ein Kaninchen sie angreifen könnte. Wogegen Spatzen -«

»Was hat das mit Fiver zu tun?« fragte Hazel scharf.

»Na ja«, sagte Cowslip und lief los, »ich werde selbst nach dem Rechten sehen.«

Aber er griff die Dohlen nicht an, und Hazel sah, daß er eine weitere Mohrrübe auflas und mit ihr davonlief. Verärgert schloß er sich Buckthorn und Dandelion an, und zu dritt kehrten sie zurück.

Als sie sich der Böschung des Geheges näherten, erblickte er plötzlich Fiver. Er saß halb verborgen unter den tiefhängenden Ästen einer Eibe am Rande des Unterholzes, etwas von den Löchern des Geheges entfernt. Hazel legte seine Mohrrübe hin, rannte hinüber, kletterte die Böschung hinauf und setzte sich zu ihm auf den nackten Boden unter den tiefen, dichten Ästen. Fiver schwieg und starrte weiter über die Wiese.

»Willst du nicht auch lernen, wie man etwas trägt?« fragte Hazel schließlich. »Es ist nicht so schwer, wenn man den Dreh einmal raus hat.«

»Ich will nichts damit zu tun haben«, antwortete Fiver leise. »Hunde - ihr seid wie Stöcke tragende Hunde.«

»Fiver! Willst du, daß ich böse werde? Es regt mich nicht auf, daß du mich beschimpfst. Aber du läßt die anderen die ganze Arbeit machen.«

»Ich bin derjenige, der böse sein sollte«, sagte Fiver. »Aber es liegt mir nicht, das ist das Dumme. Warum sollten sie auf mich hören? Die Hälfte von ihnen glaubt, ich sei verrückt. Du bist schuld, Hazel, weil du weißt, daß es nicht so ist, und trotzdem nicht auf mich hören willst.«

»Dir gefällt dieses Gehege also immer noch nicht? Nun, ich glaube, du hast unrecht. Jeder macht mal Fehler. Warum solltest nicht auch du einen Fehler machen? Hawkbit irrte sich im Heidekraut, und du irrst dich jetzt.«

»Das da unten sind Kaninchen, die wie Eichhörnchen mit Nüssen losziehen. Wie kann das richtig sein?«

»Nun, ich würde sagen, sie haben eine gute Idee der Eichhörnchen nachgeahmt, und das macht bessere Kaninchen aus ihnen.«

»Glaubst du, daß dieser Mann die Wurzeln da hinwirft, weil er ein gutes Herz hat? Was führt er im Schilde?«

»Er wirft Abfall fort. Wie viele Kaninchen haben sich eine gute Mahlzeit von den Abfallhaufen der Menschen geholt? Geschossenen Salat, alte Rüben. Du weißt, wir alle tun's, wenn wir können. Es ist nicht vergiftet, Fiver, das kann ich dir versichern. Und wenn er Kaninchen schießen wollte, so hätte er heute früh jede Gelegenheit gehabt. Aber er hat es nicht getan.«

Fiver schien noch kleiner zu werden, als er sich platt auf die harte Erde drückte. »Ich bin ein Narr, euch überreden zu wollen«, sagte er kläglich. »Hazel - lieber alter Hazel -, ich weiß eben einfach, daß etwas Unnatürliches und Böses mit diesem Ort verwoben ist. Ich weiß nur nicht, was es ist, und deshalb ist es kein Wunder, daß ich nicht darüber reden kann. Aber ich komme der Sache näher. Weißt du, so wie man mit der Nase an das Drahtnetz stößt und es an den Apfelbaum drückt, und trotzdem kannst du die Rinde wegen des Drahtes nicht abbeißen. Ich bin dicht davor - was immer es sein mag -, aber ich kann es nicht packen. Wenn ich allein hier sitze, gelingt es mir vielleicht doch noch.«

»Fiver, warum tust du nicht, was ich sage? Friß von diesen Wurzeln und geh dann hinunter schlafen. Du wirst dich bestimmt wohler fühlen.«

»Ich sage dir, ich möchte nichts mit diesem Ort zu tun haben«, erwiderte Fiver. »Und lieber würde ich durch das Heidekraut zurücklaufen als hier nach unten gehen. Die Decke dieser Halle besteht aus Gebeinen.«

»Nein, nein - aus Baumwurzeln. Schließlich warst du die ganze Nacht unten.«

»War ich nicht«, sagte Fiver.

»Was? Wo warst du dann?«

»Hier.«

»Die ganze Nacht?«

»Ja. Eine Eibe gibt guten Schutz, wie du weißt.«

Hazel machte sich jetzt ernstlich Sorgen. Wenn Fivers Entsetzen ihn die ganze Nacht draußen im Regen gehalten hatte, ungeachtet der Kälte und herumschleichender elil, dann war es offenkundig nicht leicht, ihm das auszureden. Er schwieg eine Weile. Schließlich sagte er: »Wie schade! Ich bin immer noch der Meinung, daß es besser ist, wenn du dich uns anschließt. Aber ich lasse dich jetzt allein und sehe später nach dir. Friß mir nicht die Eibe auf!«

Fiver erwiderte nichts, und Hazel lief wieder auf die Wiese.

Der Tag bestärkte in keiner Weise irgendwelche bösen Vorahnungen. Gegen ni-Frith war es so heiß, daß der untere Teil der Wiese feucht war. Die Luft war schwer mit starken Pflanzengerüchen geladen, als wenn es schon Ende Juli wäre; der Wasserminze und dem Majoran, die noch nicht blühten, entströmte Geruch von ihren Blättern, und hier und da stand ein Mädesüß in Blüte. Der Weidenzeisig war den ganzen Morgen hoch in einer Silberbirke neben den verlassenen Löchern über der Senke drüben tätig, und aus der Tiefe des Unterholzes, irgendwo bei dem stillgelegten Brunnen, kam das schöne Lied der Kohlmeise. Gegen den frühen Nachmittag war es still vor Hitze, und eine Kuhherde graste langsam ihren Weg von den höhergelegenen Wiesen in den Schatten hinunter. Von den Kaninchen waren nur einige oben. Fast alle schliefen in den Bauen. Aber immer noch saß Fiver allein unter der Eibe.

Am frühen Abend suchte Hazel Bigwig auf, und zusammen wagten sie sich in das Unterholz hinter dem Gehege. Zuerst bewegten sie sich vorsichtig, aber es dauerte nicht lange, bis sie sicherer wurden, da sie keine Spur eines Geschöpfes fanden, das größer als eine Maus war.

»Nichts zu riechen«, sagte Bigwig, »und keine Spuren. Ich glaube, Cowslip hat uns ganz einfach die Wahrheit gesagt. Hier sind wirklich keine elil. Im Gegensatz zu dem Gehölz, wo wir den Fluß überquerten. Ich sag' dir ganz offen, Hazel, ich hatte eine Mordsangst in jener Nacht, aber ich wollte es nicht zeigen.«

»Ich auch«, antwortete Hazel. »Und was diesen Ort betrifft, stimme ich mit dir überein. Er scheint vollkommen sicher zu sein. Wenn wir -«

»Das ist aber sonderbar«, unterbrach ihn Bigwig. Er befand sich in einer Gruppe von Brombeersträuchern, in deren Mitte ein von den Gehege-Gängen heraufführendes Kaninchen-Loch mündete. Der Boden war weich und feucht, in der Mulde mit alten Blättern übersät. Wo Bigwig verharrte, fanden sich Anzeichen von Aufregung. Die verrotteten Blätter waren hochgewirbelt worden. Einige hingen an den Brombeerzweigen, und ein paar flache, nasse Klumpen lagen auf dem Boden hinter den Sträuchern. Genau in der Mitte war die Erde durch lange Kratzer und Furchen freigelegt, und hier befand sich ein nicht sehr tiefes, sauber ausgehobenes Loch, etwa in derselben Größe wie eine der Mohrrüben, die sie am Morgen fortgeschleppt hatten. Die beiden Kaninchen schnüffelten und glotzten, konnten sich aber keinen Reim darauf machen.

»Komisch, ich spüre keinen Geruch«, sagte Bigwig.

»Nein - nur von Kaninchen, und der ist natürlich überall. Und von Menschen - auch der ist überall. Aber dieser Geruch braucht nicht unbedingt etwas damit zu tun zu haben. Er sagt uns nur, daß ein Mensch durch das Gehölz ging und einen weißen Stengel niederwarf. Es war kein Mensch, der diese Erde aufwühlte.«

»Nun, diese verrückten Kaninchen tanzen wahrscheinlich im Mondlicht oder so was.«

»Das würde mich nicht überraschen«, sagte Hazel. »Es sähe ihnen durchaus ähnlich. Fragen wir Cowslip.«

»Das ist deine einzige dumme Bemerkung bislang. Sag mir, hat Cowslip, seit wir hierherkamen, irgendeine Frage beantwortet, die du ihm gestellt hast?«

»Nein, nein - nicht viele.«

»Frag ihn doch mal, wo er im Mondlicht tanzt. Sag: >Cowslip, wo -<«

»Oh, das hast du also auch bemerkt? Er antwortet prinzipiell nicht auf >wo<. Auch Strawberry nicht. Ich glaube, die haben Angst vor uns. Pipkin hatte recht, als er sagte, daß sie keine Kämpfer seien. Also bewahren sie ein Geheimnis, um sich uns gegenüber zu behaupten. Finden wir uns damit ab. Wir wollen sie nicht beunruhigen, und mit der Zeit wird sich das bestimmt geben.«

»Es wird heute nacht wieder regnen«, sagte Bigwig. »Und ich glaube, bald. Los, runter mit uns, und dann versuchen wir, sie zum Sprechen zu bringen.«

»Ich glaube, darauf können wir lange warten. Aber ich meine auch, daß wir jetzt nach unten gehen sollten. Und versuchen wir um Himmels willen, Fiver mitzunehmen. Er macht mir Sorgen. Weißt du, daß er die ganze Nacht im Regen draußen war?«

Während sie durch das Unterholz zurückliefen, erzählte Hazel von seiner Unterhaltung mit Fiver an jenem Morgen. Sie fanden ihn unter der Eibe, und nach einer ziemlich stürmischen Szene, in der Bigwig ihn rauh anpackte und ungeduldig wurde, wurde er eher gezwungen als überredet, mit in den großen Bau hinunterzugehen.

Er war voll, und als der Regen zu fallen begann, kamen noch mehr Kaninchen die Läufe herunter. Sie schoben und drängten sich fröhlich plaudernd. Die Mohrrüben, die hereingebracht worden waren, wurden in Gesellschaft von Freunden gefressen oder zu Weibchen und Familien im ganzen Gehege getragen. Aber auch als die Futterei beendet war, blieb die Halle voll. Es war angenehm warm durch die vielen Körper. Allmählich versanken die redseligen Gruppen in eine zufriedene Stille, aber niemand schien geneigt zu sein, schlafen zu gehen. Kaninchen sind lebhaft bei Einbruch der Nacht, und wenn der Abendregen sie nach unten treibt, fühlen sie sich immer noch gesellig. Hazel bemerkte, daß beinahe alle seine Kameraden mit den Gehege-Kaninchen Freundschaft geschlossen hatten. Auch fand er, daß, wann immer er zu einer Gruppe trat, die Gehege-Kaninchen wußten, wer er war, und ihn als Führer der Neuankömmlinge behandelten. Er konnte Strawberry nicht entdecken, aber nach einiger Zeit kam Cowslip vom anderen Ende der Halle zu ihm.

»Ich bin froh, daß du da bist, Hazel«, sagte er. »Einige von uns schlagen vor, daß einer eine Geschichte erzählt. Vielleicht würde es einem deiner Leute Spaß machen, eine zu erzählen, aber wir können auch gerne selbst damit anfangen, wenn euch das lieber ist.«

Es gibt eine Kaninchen-Redensart: »Im Gehege mehr Geschichten als Verbindungsgänge«, und ein Kaninchen kann sich ebensowenig weigern, eine Geschichte zu erzählen, wie ein Irländer sich weigern kann, sich zu schlagen. Hazel und seine Freunde besprachen sich. Nach kurzer Zeit kündigte Blackberry an: »Wir haben Hazel gebeten, euch von unseren Abenteuern zu erzählen. Wie wir unsere Reise hierher machten und das Glück hatten, uns euch anzuschließen.«

Es folgte eine ungemütliche Stille, die nur durch Scharren und Flüstern unterbrochen wurde. Blackberry wandte sich bestürzt an Hazel und Bigwig.

»Was ist los?« fragte er leise. »Dabei ist doch nichts Unrechtes?«

»Warte«, erwiderte Hazel ruhig. »Sie sollen uns sagen, ob sie's wollen oder nicht. Sie haben hier so ihre eigene Art.«

Die Stille dauerte jedoch noch einige Zeit an, als ob die anderen Kaninchen keinen Wert darauf legten, sich weiter auf die Sache einzulassen.

»Es hat keinen Zweck«, sagte Blackberry schließlich. »Du wirst selbst etwas sagen müssen, Hazel. Nein, wie kämst du dazu? Ich werde es tun.« Er sprach wieder. »Nachdem wir es uns noch einmal überlegt haben, hat sich Hazel daran erinnert, daß wir einen guten Geschichtenerzähler unter uns haben. Dandelion wird uns eine Geschichte von El-ahrairah erzählen. Das kann auf keinen Fall schiefgehen«, flüsterte er.

»Welche?« fragte Dandelion.

Hazel erinnerte sich an die Steine an der Brunnengrube. »Der Salat des Königs«, antwortete er. »Sie halten viel davon, glaube ich.«

Dandelion nahm sein Stichwort mit derselben mutigen Bereitschaft auf, die er in dem Wäldchen gezeigt hatte. »Ich werde euch die Geschichte von dem Salat des Königs erzählen«, sagte er laut.

»Die wird uns gefallen«, erwiderte Cowslip sofort.

»Hoffentlich«, murmelte Bigwig.

Dandelion begann.

15. Die Geschichte vom Salat des Königs


Don Alfonso: »Eccovi il medico, signore belle.«

Ferrando und Guglielmo: »Despina in maschera, che triste pelle!«

Lorenzo da Ponte Cosi fan tutte


»Es heißt, es gab eine Zeit, in der El-ahrairah und seine Anhänger das Glück verließ. Ihre Feinde trieben sie fort, und sie waren gezwungen, in den Sümpfen von Kelfazin zu leben. Wo die Sümpfe von Kelfazin sind, weiß ich nicht, aber zu der Zeit, als El-ahrairah und seine Anhänger dort lebten, war das einer der trostlosesten Orte der Welt. Das einzige Futter war grobes Gras, und selbst das war gemischt mit bitteren Binsen und Ampfer. Der Boden war zu feucht zum Graben; das Wasser stand sofort in jedem Loch. Aber alle anderen Tiere waren gegenüber El-ahrairah und seinen Schlichen so mißtrauisch geworden, daß sie ihn nicht aus diesem elenden Land hinauslassen wollten, und jeden Tag pflegte Fürst Regenbogen durch die Sümpfe zu gehen, um sich zu vergewissern, daß El-ahrairah noch da war. Fürst Regenbogen hatte die Macht über den Himmel und über die Berge, und Frith hatte ihn geheißen, die Welt nach seinem Gutdünken zu ordnen.

Eines Tages, als Fürst Regenbogen durch die Sümpfe kam, ging El-ahrairah zu ihm und sagte: >Fürst Regenbogen, meine Leute frieren und können wegen der Nässe nicht unter die Erde gehen. Ihr Futter ist so fade und schlecht, daß sie krank werden, wenn das schlechte Wetter einsetzt. Warum haltet Ihr uns hier gegen unseren Willen? Wir schaden niemandem.< >El-ahrairah<, erwiderte Fürst Regenbogen, >alle Tiere wissen, daß du ein Dieb und ein großer Gauner bist. Jetzt bist du ein Opfer deiner eigenen Tricks geworden, und du mußt hier leben, bis du uns davon überzeugen kannst, daß du ein ehrliches Kaninchen sein willst.<

>Dann werden wir nie hier herauskommen<, sagte El-ahrairah, >denn ich müßte mich schämen, meinen Leuten ihr Abenteuerleben zu verbieten. Werdet Ihr uns herauslassen, wenn ich durch einen See schwimmen kann, der voller Hechte ist?<

>Nein<, sagte Fürst Regenbogen, >von dieser deiner List habe ich gehört, El-ahrairah, und ich weiß, wie es gemacht wird.<

>Werdet Ihr uns gehen lassen, wenn es mir gelingt, den Salat aus König Darzins Garten zu stehlen?< fragte El-ahrairah.

König Darzin herrschte zu jener Zeit über die größte und reichste aller Tierstädte der Welt. Seine Soldaten waren sehr grimmig, und sein Salatgarten war von einem tiefen Graben umgeben und von tausend Posten Tag und Nacht bewacht. Er lag nahe seinem Palast, am Rande der Stadt, wo alle seine Anhänger lebten. Als nun El-ahrairah davon sprach, König Darzins Salat zu stehlen, lachte Fürst Regenbogen und sagte: >Du kannst es versuchen, und wenn es dir gelingt, werde ich dein Volk überall vermehren, und niemand wird imstande sein, es aus einem Gemüsegarten herauszuhalten, von heute bis ans Ende der Welt. Aber in Wirklichkeit wirst du von den Soldaten getötet werden, und die Welt wird einen glatten, einnehmenden Schurken los sein.<

>Sehr gut<, sagte El-ahrairah, >wir werden sehen.<

Nun war Yona, der Igel, ganz in der Nähe, suchte Schnecken in den Sümpfen und hörte mit an, was sich zwischen Fürst Regenbogen und El-ahrairah zugetragen hatte. Er stahl sich zum großen Palast König Darzins davon und wollte für seine Warnung belohnt werden.

>König Darzin<, schnüffelte er, >dieser verruchte Dieb El-ahrairah hat gesagt, er werde deinen Salat stehlen, und er kommt, dich zu überlisten, um in den Garten zu gelangen.< König Darzin eilte in den Salatgarten hinunter und ließ den Hauptmann der Wache holen.

>Siehst du diesen Salat?< sagte er. >Nicht einer ist gestohlen worden, seit er ausgesät worden ist. Sehr bald wird er geerntet werden können, und ich beabsichtige, zu diesem Zeitpunkt ein großes Fest für mein ganzes Volk zu geben. Aber ich habe gehört, daß der Schurke El-ahrairah plant, zu kommen und ihn zu stehlen, wenn es ihm gelingt. Ihr werdet die Wachen verdoppeln, und alle Gärtner und Jäter sind täglich zu kontrollieren. Nicht ein Blatt geht aus dem Garten heraus, bis nicht ich oder mein Hauptkoster den Befehl dazu geben.<

Der Hauptmann der Wache tat, wie ihm geheißen. In jener Nacht kam El-ahrairah aus den Sümpfen von Kelfazin und schlich sich zu dem großen Graben. Bei ihm war sein treuer Hauptmann der Owsla, Rabscuttle. Sie hockten sich in die Büsche und sahen die Doppelwachen auf und ab patrouillieren. Als der Morgen kam, sahen sie alle Gärtner und Jäter zur Mauer kommen, und jeder wurde von drei Wachen überprüft. Einer war neu und war anstelle seines Onkels gekommen, der krank geworden war, aber die Wachen ließen ihn nicht hinein, weil sie ihn nicht kannten, und warfen ihn beinahe in den Graben, ehe sie ihm gerade noch erlaubten, nach Hause zu gehen.

El-ahrairah und Rabscuttle machten sich bestürzt davon, und als Fürst Regenbogen an jenem Tag durch die Sümpfe kam, sagte er: >Nun, nun, Fürst mit tausendfachen Feinden, wo ist der Salat?<

>Ich lasse ihn mir liefern<, antwortete El-ahrairah. >Es sind zum Tragen zu viele.< Dann gingen er und Rabscuttle heimlich in eines der wenigen Löcher hinunter, in denen kein Wasser war, stellten einen Posten davor und dachten nach und redeten einen Tag und eine Nacht lang.

Oben auf dem Berg, neben König Darzins Palast, lag ein Garten, in den seine vielen Kindern und die seiner Hauptanhänger von ihren Müttern und Kindermädchen zum Spielen gebracht wurden. Es gab keine Mauer um den Garten. Er wurde nur bewacht, solange die Kinder da waren; nachts war er leer, weil man dort nichts stehlen und auf niemanden Jagd machen konnte. In der folgenden Nacht ging Rabscuttle, der von El-ahrairah genaue Anweisungen erhalten hatte, in den Garten und buddelte ein Loch, in dem er sich die ganze Nacht versteckte. Am anderen Morgen, als die Kinder zum Spielen gebracht wurden, glitt er hinaus und schloß sich ihnen an. Es waren so viele Kinder, daß jede der Mütter und Kindermädchen glaubte, er gehöre zu einer anderen; aber da er ungefähr dieselbe Größe wie die Kinder hatte und auch nicht viel anders aussah, konnte er sich mit einigen von ihnen anfreunden. Rabscuttle kannte viele Kunststücke und Spiele, und bald tollte er herum und spielte, als wäre er einer von ihnen. Als es für die Kinder Zeit wurde, nach Hause zu gehen, ging Rabscuttle mit ihnen. Sie kamen aus dem Stadttor, und die Wachen sahen Rabscuttle mit König Darzins Sohn. Sie hielten ihn an und fragten, wer seine Mutter wäre, aber der Sohn des Königs sagte: >Laßt ihn in Ruhe. Er ist mein Freund<, und Rabscuttle ging mit allen anderen hinein.

Sobald Rabscuttle ins Innere des Königspalastes gelangt war, huschte er davon in einen der dunklen Baue, und da versteckte er sich den ganzen Tag. Doch am Abend kam er heraus und fand einen Weg in die königlichen Vorratskammern, wo das Futter für den König und sein Gefolge und dessen Frauen zubereitet wurde. Da gab es Gräser und Früchte und Wurzeln und sogar Nüsse und Beeren; denn König Darzins Volk ging in diesen Tagen überallhin, durch Wälder und Felder. Es waren keine Soldaten in den Vorratskammern, und Rabscuttle versteckte sich dort im Dunkel. Und er tat alles, was er konnte, um das Futter ungenießbar zu machen, mit Ausnahme dessen, was er selbst fraß.

An jenem Abend ließ König Darzin den Oberkoster holen und fragte ihn, ob der Salat schon eßbar wäre. Der Oberkoster sagte, zum Teil sei er ausgezeichnet und er habe schon einiges in die Vorratskammern bringen lassen.

>Gut<, sagte der König, >wir werden zwei oder drei heute Abend zu uns nehmen.<

Aber am nächsten Morgen erkrankten der König und einige seiner Untergebenen an einer Magenverstimmung. Was immer sie aßen, sie wurden krank davon, weil Rabscuttle in den Vorratskammern versteckt war und das Futter so schnell verdarb, wie es hereingebracht wurde. Der König aß noch mehrere Salatblätter, aber es ging ihm nicht besser. Sein Zustand verschlimmerte sich sogar.

Nach fünf Tagen schlüpfte Rabscuttle mit den Kindern wieder hinaus und kehrte zu El-ahrairah zurück. Als der vernahm, daß der König krank war und Rabscuttle alles nach Wunsch erledigt hatte, ging er daran, sich zu maskieren. Er stutzte seinen weißen Schwanz, und Rabscuttle mußte sein Fell kurzknabbern und es mit Schlamm und Brombeeren sprenkeln. Dann bedeckte er sich überall mit Strähnen von Klebkraut und fand sogar einen Weg, seinen Geruch zu verändern. Schließlich konnten seine eigenen Frauen ihn nicht mehr erkennen, und El-ahrairah befahl Rabscuttle, ihm in einigem Abstand zu folgen, und los ging's zu König Darzins Palast. Rabscuttle aber wartete draußen, oben auf dem Berg.

Als er zum Palast kam, verlangte El-ahrairah, den Hauptmann der Wache zu sprechen. >Du mußt mich zum König bringen<, sagte er. >Fürst Regenbogen schickt mich. Er hat gehört, daß der König krank ist, und hat mich aus dem fernen Land hinter Kelfazin holen lassen, um den Grund für seine Erkrankung herauszufinden. Beeil dich! Ich bin nicht gewohnt zu warten.<

>Woher weiß ich, daß dies wahr ist?< fragte der Hauptmann der Wache.

>Mir ist es einerlei<, erwiderte El-ahrairah. >Was bedeutet die Krankheit eines kleinen Königs dem Oberarzt des Landes hinter dem goldenen Fluß von Frith? Ich kehre zurück und sage Fürst Regenbogen, daß die Wache des Königs so dumm war, mich zu behandeln, wie es von einem Haufen flohgebissener Lümmel nicht anders zu erwarten war.<

Er drehte sich um und schickte sich an zu gehen, aber der Hauptmann der Wache bekam es mit der Angst zu tun und rief ihn zurück. El-ahrairah ließ sich überreden, und man brachte ihn zum König.

Nach fünf Tagen schlechten Futters und einem kranken Magen war der König nicht dazu aufgelegt, jemandem zu mißtrauen, der vorgab, Fürst Regenbogen habe ihn geschickt, um ihn zu heilen. Er bat El-ahrairah, ihn zu untersuchen, und versprach, alles zu tun, was er befahl.

El-ahrairah machte ein großes Getue aus der Untersuchung des Königs. Er sah sich seine Augen an, seine Ohren, seine Zähne und seinen Mist und die Enden seiner Klauen und fragte, was er gefressen habe. Dann verlangte er, die königlichen Vorratskammern und den Salatgarten zu sehen. Als er zurückkam, sah er sehr ernst aus und sagte: >Großer König, ich weiß nur zu gut, was für eine traurige Nachricht es für Euch sein wird, aber die Ursache Eurer Krankheit ist ebenjener Salat, den Ihr so hoch schätzt.<

>Der Salat?< rief König Darzin. >Unmöglich! Er wird aus gutem, gesundem Samen gezogen und Tag und Nacht bewacht.<

>Ach!< sagte El-ahrairah. >Ich weiß es wohl! Aber er ist von dem gefürchteten Lausbabaus, einem tödlichen Virus, infiziert, der in immer kleiner werdenden Kreisen durch die Lüfte fliegt und, isoliert von dem purpurfarbenen Awago, in den graugrünen Wäldern von Okey Pokey reift. Das erklärt Euch, soweit ich es vermag, die Angelegenheit in einfachen Worten. Vom medizinischen Standpunkt sieht die Sache etwas komplizierter aus, aber ich möchte Euch damit nicht ermüden.<

>Ich kann es nicht glauben<, stöhnte der König.

>Der einfachste Wegs<, sagte El-ahrairah, >wird der sein, es Euch zu beweisen. Aber dazu brauchen wir nicht einen Eurer Untertanen in Mitleidenschaft zu ziehen. Befehlt den Soldaten, hinauszugehen und einen Gefangenen zu machen.<

Die Soldaten gingen hinaus, und das erste Geschöpf, das sie fanden, war Rabscuttle, der auf dem Berg graste. Sie schleppten ihn durch die Tore und vor den König.

>Ah, ein Kaninchen<, sagte El-ahrairah. >Widerliches Geschöpf! Um so besser. Abscheuliches Kaninchen, friß diesen Salat!<

Rabscuttle tat es und begann bald danach, zu stöhnen und um sich zu schlagen. Er kickte in Zuckungen und rollte mit den Augen. Er nagte am Boden und hatte Schaum vor dem Mund.

>Er ist sehr krank<, sagte El-ahrairah. >Er muß einen außergewöhnlich schlechten erwischt haben. Oder aber, was wahrscheinlicher ist, die Infektion wirkt besonders stark bei Kaninchen. Auf jeden Fall wollen wir dankbar sein, daß es nicht Eure Majestät war. Nun, er hat seinen Zweck erfüllt. Schmeißt ihn raus! Ich würde Eurer Majestät ernstlich raten<, fuhr El-ahrairah fort, >den Salat nicht dort zu lassen, wo er ist, denn er wird schießen und blühen und keimen. Die Infektion wird sich ausdehnen. Ich weiß, wie enttäuschend das für Euch ist, aber Ihr müßt ihn loswerden.<

In diesem Augenblick kam, wie das Glück es wollte, der Hauptmann der Wache mit Yona, dem Igel, herein.

>Eure Majestät<, rief er, >dieses Geschöpf kehrt von den Sümpfen von Kelfazin zurück. Das Volk von El-ahrairah tritt zum Krieg an. Sie sagen, sie kommen, um Eurer Majestät Garten anzugreifen und den königlichen Salat zu stehlen. Habe ich Eurer Majestät Befehl, die Soldaten hinauszuführen und die Feinde zu vernichten?<

>Aha!< sagte der König. >Ich habe mir da eine doppelte List ausgedacht. Besonders stark bei Kaninchen. Nun gut! Sie sollen so viel Salat haben, wie sie wollen. Ihr werdet sogleich tausend Stück hinunter in die Sümpfe von Kelfazin bringen und sie dort lassen. Haha! Was für ein Witz! Mir geht es gleich viel besser.<

>Oh, welch todbringende List!< sagte El-ahrairah. >Kein Wunder, daß Eure Majestät Herrscher über ein großes Volk ist. Ich glaube, Ihr werdet sehr schnell gesund werden. Nein, nein, ich nehme keine Belohnung. Auch gibt es hier nichts, was in dem strahlenden Land jenseits des goldenen Flusses von Frith für wertvoll gehalten würde. Ich habe getan, was Fürst Regenbogen verlangte. Das genügt. Vielleicht seid Ihr so gütig, Euren Wachen zu befehlen, mich zum Fuß des Berges zu begleiten?< Er verbeugte sich und verließ den Palast.

Später am Abend, als El-ahrairah seine Kaninchen drängte, wütender zu knurren und in den Sümpfen von Kelfazin auf und ab zu rennen, kam Fürst Regenbogen über den Fluß. >El-ahrairah<, rief er, >bin ich behext?<

>Es ist durchaus möglich<, sagte El-ahrairah. >Der gefürchtete Lausbabaus -<

>Tausend Stück Salat liegen in einem Haufen oben am Sumpf. Wer hat sie dahin gebracht?<

>Ich sagte Euch, sie würden geliefert werden<, erwiderte El-ahrairah. >Ihr könnt von meinem Volk kaum erwarten, schwach und hungrig, wie es ist, sie den ganzen Weg von König Darzins Garten hierher zu tragen. Es wird sich aber bald aufgrund der Behandlung, die ich ihm verordnen werde, erholen. Ich bin Arzt, darf ich bemerken, und wenn Ihr noch nicht davon gehört habt, Fürst Regenbogen, werdet Ihr das bald von anderer Seite erfahren. Rabscuttle, geh und hole den Salat.<

Da sah Fürst Regenbogen, daß El-ahrairah ein Mann von Wort war und daß auch er sein Versprechen halten mußte. Er ließ die Kaninchen aus den Sümpfen von Kelfazin heraus, und sie vermehrten sich überall. Und von jenem Tag an kann keine Macht der Welt ein Kaninchen aus einem Gemüsegarten heraushalten; denn El-ahrairah gibt ihnen tausend Listen ein, die besten der Welt.«

16. Silverweed


Er sagte: »Tanze für mich«, und er sagte:

»Du bist zu schön, als daß der Wind dich zerpflücken Oder die Sonne dich verbrennen könnte.« Er sagte:

»Ich bin ein armes, zerfetztes Ding, aber nicht herzlos Dem traurigen Tänzer und den tanzenden Toten gegenüber.«

Sidney Keyes Four Postures of Death


»Gut gemacht«, sagte Hazel, als Dandelion geendet hatte.

»Er ist sehr gut, nicht wahr?« sagte Silver. »Wir sind glücklich, ihn bei uns zu haben. Allein ihm zuzuhören belebt die Geister.«

»Das hat ihre Ohren flachgelegt«, flüsterte Bigwig. »Wollen mal sehen, ob sie einen Geschichtenerzähler finden, der ihn schlagen könnte.«

Keiner von ihnen hatte Zweifel, daß Dandelion ihnen Ehre gemacht hatte. Seit ihrer Ankunft hatten sie sich unsicher gefühlt neben diesen prächtigen, wohlgenährten Fremden mit ihrem distanzierten Benehmen, ihren Gestalten an der Wand, ihrer Eleganz, ihrem geschickten Ausweichen beinahe aller Fragen - vor allem aber mit ihren Anfällen von unkaninchenhafter Melancholie. Jetzt hatte ihr eigener Geschichtenerzähler gezeigt, daß sie nicht ein bloßer Haufen von Tramps waren. Gewiß konnte ihm kein vernünftiges Kaninchen seine Bewunderung versagen. Sie warteten auf eine entsprechende Äußerung, aber nach einigen Augenblicken merkten sie überrascht, daß ihre Gastgeber offenbar weniger begeistert waren.

»Sehr hübsch«, sagte Cowslip. Er schien noch mehr sagen zu wollen, wiederholte dann aber: »Ja, sehr hübsch. Eine ungewöhnliche Geschichte.«

»Aber er muß sie doch kennen!« murmelte Blackberry zu Hazel.

»Ich finde immer, daß diese traditionellen Geschichten einen großen Reiz bewahren«, meinte ein anderes Kaninchen, »besonders, wenn sie im echt altmodischen Geist erzählt werden.«

»Ja«, sagte Strawberry. »Überzeugung, das ist nötig. Man muß wirklich an El-ahrairah und Fürst Regenbogen glauben, nicht wahr? Dann kommt alles übrige von selbst.«

»Sag nichts, Bigwig«, flüsterte Hazel, denn Bigwig scharrte empört mit seinen Pfoten. »Du kannst sie nicht zwingen, Gefallen an etwas zu finden, das ihnen nicht zusagt. Warten wir ab, was sie uns zu erzählen haben.« Laut sagte er: »Unsere Geschichten haben sich durch Generationen nicht verändert. Schließlich haben wir uns auch nicht verändert. Unser Leben ist dasselbe wie das unserer Väter und deren Vorväter. Hier ist das anders. Wir merken das, und wir finden eure neuen Ideen und Methoden sehr aufregend. Wir sind neugierig, was für Geschichten ihr zu erzählen wißt.«

»Nun, wir erzählen die alten Geschichten nicht mehr allzu häufig«, erwiderte Cowslip. »Unsere Geschichten und Gedichte handeln hauptsächlich von unserem eigenen Leben hier. Gewiß, diese Gestalt von Goldregen, die ihr gesehen habt - aber das ist vorbei. El-ahrairah bedeutet uns wirklich nicht mehr viel. Nicht, daß die Geschichte deines Freundes nicht sehr reizvoll gewesen wäre«, fügte er hastig hinzu.

»El-ahrairah ist ein Gauner«, sagte Buckthorn, »und Kaninchen werden immer Listen brauchen.«

»Nein«, sagte eine neue Stimme vom anderen Ende der Halle hinter Cowslip. »Kaninchen brauchen Würde und vor allem den Willen, ihr Schicksal auf sich zu nehmen.«

»Wir halten Silverweed für einen der besten Poeten, den wir seit langem gehabt haben«, sagte Cowslip. »Seine Gedanken haben eine große Anhängerschaft. Würdet ihr ihn jetzt gerne hören?«

»Ja, ja«, kamen Stimmen von allen Seiten. »Silverweed!«

»Hazel«, sagte Fiver plötzlich, »ich möchte einen klaren Eindruck von diesem Silverweed gewinnen, aber ich wage nicht, allein dichter heranzugehen. Könntest du mitkommen?«

»Nanu, Fiver, was meinst du? Was gibt es da zu fürchten?«

»Oh, Frith steh mir bei!« sagte Fiver zitternd. »Ich kann ihn von hier aus riechen. Er versetzt mich in Schrecken.«

»Ach Fiver, sei nicht albern! Er riecht genauso wie sie alle.«

»Er riecht wie heruntergeregnete und in den Feldern faulende Gerste. Er riecht wie ein verwundeter Maulwurf, der nicht unter die Erde gelangen kann.«

»Meiner Meinung nach riecht er wie ein großes dickes Kaninchen mit einer Menge Mohrrüben im Bauch. Aber ich komme mit dir.«

Als sie langsam durch die Menge ans andere Ende des Baus vorgerückt waren, stellte Hazel überrascht fest, daß Silverweed noch ein junger Bursche war. Im Sandleford-Gehege wäre kein Kaninchen seines Alters gebeten worden, eine Geschichte zu erzählen, außer vielleicht von ein paar Freunden. Er bot einen milden, verwegenen Anblick, und seine Ohren zuckten dauernd. Als er zu sprechen begann, schien er sich seiner Zuhörerschaft immer weniger bewußt zu werden und drehte wiederholt den Kopf, als lauschte er auf ein Geräusch aus dem Eingangstunnel hinter ihm, das nur für ihn hörbar war. Aber es war ein fesselnder Zauber in seiner Stimme, wie die Bewegung des Windes und des Lichtes auf einer Wiese, und als ihr An- und Abschwellen in seine Hörer eindrang, wurde der ganze Bau still.


»Der Wind weht, weht über das Gras.

Er schüttelt die Weidenkätzchen; die Blätter leuchten silbern.

Wohin gehst du, Wind? Weit, weit fort

Über die Berge, über den Rand der Welt.

Nimm mich mit, Wind, hoch über den Himmel.

Ich werde mit dir gehen, ich werde Kaninchen-des-Windes sein,

Im Himmel, der federige Himmel und das Kaninchen.

Der Bach läuft, läuft über den Kies,

Durch die Bachbunge, die Sumpfdotterblumen, das Blau und Gold des Frühlings.

Wohin läufst du, Bach? Weit, weit fort jenseits des Heidekrauts,

Fortgleitend die ganze Nacht.

Nimm mich mit dir, Bach, fort in das Sternenlicht.

Ich werde mit dir gehen, ich werde Kaninchen-vom-Bach sein.

Hinunter durch das Wasser, das grüne Wasser und das Kaninchen.

Im Herbst kommen die Blätter angetrieben, gelb und braun.

Sie rascheln in den Gräben, sie zerren und hängen an der Hecke.

Wohin geht ihr, Blätter? Weit, weit weg.

In die Erde gehen wir, mit dem Regen und den Beeren.

Nehmt mich mit, Blätter, nehmt mich mit auf eure geheimnisvolle Reise.

Ich werde mit euch gehen, werde Kaninchen-der-Blätter sein,

In den Tiefen der Erde, die Erde und das Kaninchen.

Frith liegt im Abendhimmel. Die Wolken sind rot um ihn.

Ich bin hier, o Frith, ich laufe durch das hohe Gras.

Nimm mich mit, hinter den Wäldern vergehend,

Weit weg zum Herzen des Lichtes, dem Schweigen.

Denn ich bin bereit, dir meinen Atem zu geben, mein Leben.

Der leuchtende Kreis der Sonne, die Sonne und das Kaninchen.«


Fiver hatte, während er lauschte, eine Mischung von intensivem Vertieftsein und ungläubigem Entsetzen gezeigt. Er schien jedes Wort in sich aufzunehmen und trotzdem gleichzeitig von Angst befallen zu sein. Einmal sog er den Atem ein, als wäre er überrascht, seine eigenen, halbbewußten Gedanken wahrzunehmen, und als das Gedicht zu Ende war, schien er mit Mühe zu sich selbst zu kommen. Er entblößte die Zähne und leckte seine Lippen, wie Blackberry es vor dem toten Igel auf der Straße getan hatte.

Ein Kaninchen, das sich vor einem Feind fürchtet, wird sich manchmal mäuschenstill ducken, entweder gebannt oder auf seine natürliche Unauffälligkeit vertrauend, unbemerkt zu bleiben. Aber dann, es sei denn, die Faszination ist zu mächtig, kommt der Punkt, an dem es das Stillhalten aufgibt und sich, als bräche es einen Zauberbann, augenblicklich dem letzten Ausweg zuwendet - der Flucht. Dies schien jetzt bei Fiver der Fall zu sein. Plötzlich sprang er auf und bahnte sich heftig einen Weg durch den großen Bau. Mehrere Kaninchen wurden angerempelt und drehten sich wütend um, aber er achtete nicht darauf. Dann kam er an eine Stelle, wo er sich nicht zwischen zwei schweren Gehege-Rammlern hindurchdrängen konnte. Er wurde hysterisch, kickte und scharrte, und Hazel, der hinter ihm war, hatte Schwierigkeiten, eine Schlägerei zu verhindern.

»Mein Bruder ist in gewisser Hinsicht auch ein Poet«, sagte er zu den zornigen Fremden. »Manche Dinge bewegen ihn zuweilen sehr stark, und er weiß nicht immer, warum.«

Eines der Kaninchen schien hinzunehmen, was Hazel gesagt hatte, aber das andere erwiderte: »Oh, noch ein Poet? Hören wir ihn an. Das wird wenigstens eine kleine Entschädigung für meine Schulter sein. Er hat ein großes Büschel Fell herausgekratzt.«

Fiver war schon weit voraus und eilte auf den gegenüberliegenden Eingangstunnel zu. Hazel fühlte, daß er ihm folgen mußte. Doch nach all der Mühe, die er sich gegeben hatte, freundlich zu sein, war er so böse über die Art, wie Fiver sich ihre neuen Freunde zu Gegnern gemacht hatte, daß er, als er an Bigwig vorbeikam, sagte: »Komm und hilf mir, ihm etwas Vernunft beizubringen. Das fehlte uns gerade noch, jetzt eine Schlägerei.« Er war der Meinung, daß Fiver wirklich eine kleine Zurechtweisung von Bigwig verdiente.

Sie folgten Fiver den Lauf hinauf und überholten ihn am Eingang. Ehe einer von ihnen ein Wort sagen konnte, drehte er sich um und begann zu sprechen, als ob sie ihm eine Frage gestellt hätten.

»Ihr habt es also gefühlt? Und ihr wollt wissen, ob ich es auch gefühlt habe? Natürlich. Das ist das Schlimmste daran. Es ist keine List. Er sagt die Wahrheit. Solange er die Wahrheit sagt, kann es keine Narrheit sein - das wolltest du doch sagen, nicht wahr? Ich mache dir keine Vorwürfe, Hazel. Ich selbst habe mich zu ihm hingezogen gefühlt wie eine Wolke, die in eine andere treibt. Aber dann, im letzten Augenblick, trieb ich weit weg. Wer weiß, warum? Es war nicht mein eigener Wille; es war ein Zufall. Es war nur ein kleiner Teil von mir, der mich weit von ihm wegtrug. Sagte ich, das Dach dieser Halle wäre aus Knochen? Nein! Ein großer Nebel von Torheit bedeckt den ganzen Himmel, und wir werden nie mehr Friths Licht sehen. Oh, was wird aus uns werden? Eine Sache kann wahr und trotzdem eine verzweifelte Narrheit sein, Hazel.«

»Was zum Teufel bedeutet das alles?« sagte Hazel bestürzt zu Bigwig.

»Er spricht von dem hängeohrigen Nichtsnutz von einem Dichter da unten«, antwortete Bigwig. »Soviel verstehe ich. Aber weshalb er zu denken scheint, daß wir etwas mit ihm und seinem phantastischen Gerede zu tun haben wollen - das geht über meinen Verstand. Du kannst dir deinen Atem sparen, Fiver. Das einzige, was uns Sorgen macht, ist der Streit, den du angefangen hast.«

Fiver starrte ihn mit Augen an, die, wie bei einer Fliege, größer als sein Kopf zu sein schienen. »Du denkst das«, sagte er. »Du glaubst das. Aber jeder von euch, jeder auf seine eigene Art, steckt tief in diesem Nebel. Wo ist der -«

Hazel unterbrach ihn, was Fiver zusammenschrecken ließ. »Fiver, ich will nicht leugnen, daß ich dir hier herauf gefolgt bin, um zornig zu werden. Du hast unseren guten Anfang in diesem Gehege gefährdet -«

»Gefährdet?« rief Fiver. »Gefährdet? Der ganze Ort -«

»Sei still. Ich wollte schon böse werden, aber offensichtlich bist du so außer dir, daß es zwecklos wäre. Du kommst jetzt auf der Stelle mit uns beiden nach unten und schläfst. Komm mit! Und keine Widerrede!«

In einer Hinsicht ist das Leben der Kaninchen weniger kompliziert als das der Menschen: Sie schämen sich nicht, Gewalt anzuwenden. Da er keine andere Wahl hatte, begleitete Fiver Hazel und Bigwig in den Bau, wo Hazel die vergangene Nacht verbracht hatte. Es war niemand da, und sie legten sich hin und schliefen.

17. Der glänzende Draht


Wenn das grüne Feld sich hebt wie ein Deckel

Und enthüllt, was viel besser verborgen geblieben wäre,

Unerfreuliches;

Und schau! Hinten, lautlos

Sind die Wälder heraufgekommen und stehen herum in einem tödlichen Halbmond.

Und der Riegel gleitet in seine Vertiefung,

Vor dem Fenster steht der schwarze

Wagen des Spediteurs,

Und jetzt plötzlich, schnell erscheinend,

Kommen die Frauen mit dunklen Gläsern, die buckligen Chirurgen

Und der Sensenmann.

W. H. Auden The Witnesses


Es war kalt, es war kalt, und das Dach bestand aus Gebeinen. Das Dach bestand aus den verschlungenen Zweigen der Eibe, steifen Ästchen, die sich heraus- und herein-, darüber- und darunterwanden, hart wie Eis und mit mattroten Beeren besetzt. »Komm, Hazel«, sagte Cowslip. »Wir tragen die Eibenbeeren in unserem Maul heim und fressen sie in dem großen Bau. Deine Freunde müssen das lernen, wenn sie unsere Lebensweise annehmen wollen.«

»Nein, nein«, rief Fiver, »Hazel, nein!« Dann aber kam Bigwig, der sich durch die Zweige wand, sein Maul voller Beeren. »Schaut!« sagte Bigwig. »Ich kann's. Ich laufe einen anderen Weg. Rate, wo, Hazel! Rate, wo! Rate, wo!«

Dann rannten sie in eine andere Richtung, nicht zum Bau, sondern über die Felder in die Kälte, und Bigwig ließ die Beeren fallen - blutrote Tropfen, roter Mist, so hart wie Draht. »Es hat keinen Zweck«, sagte er, »keinen Zweck, sie zu beißen. Sie sind zu kalt.«

Hazel wachte auf. Er befand sich im Bau. Er fröstelte. Warum fehlte die Wärme dicht aneinandergedrängter Kaninchenkörper? Wo war Fiver? Er setzte sich auf. In der Nähe regte sich Bigwig, zuckte im Schlaf, suchte Wärme, wollte sich an den Körper eines anderen Kaninchens drücken, das nicht mehr da war. Die flache Mulde in dem sandigen Boden, in der Fiver gelegen hatte, war noch nicht ganz kalt, aber Fiver war fort.

»Fiver!« rief Hazel in die Dunkelheit.

Aber sowie er gerufen hatte, wußte er, daß keine Erwiderung kommen würde. Er stieß Bigwig mit der Nase an, stieß heftig zu. »Bigwig! Fiver ist fort! Bigwig!«

Bigwig war sofort hellwach, und Hazel war noch nie so froh über seine standhafte Bereitschaft gewesen.

»Was hast du gesagt? Was ist los?«

»Fiver ist fort.«

»Wo ist er hin?«

»Silf - nach draußen. Es kann nur silf sein. Du weißt doch, er würde nicht im Gehege herumwandern. Er haßt es.«

»Er ist ein Quälgeist, nicht wahr? Deshalb hat er diesen Bau kalt verlassen. Du glaubst, er ist in Gefahr, nicht wahr? Willst du ihn suchen?«

»Ja, ich muß. Er ist durcheinander und überreizt, und es ist noch nicht hell. Es können elil da sein, was immer Strawberry sagt.«

Bigwig hörte zu und rümpfte die Nase.

»Es ist beinahe hell«, sagte er. »Hell genug, um ihn zu finden. Nun gut, ich schätze, ich gehe lieber mit. Keine Angst, er kann nicht weit gekommen sein. Aber beim Salat des Königs! Dem werde ich vielleicht die Meinung sagen, wenn ich ihn erwische.«

»Ich halte ihn, während du ihn kickst, wenn wir ihn nur finden. Los!«

Sie gingen durch den Lauf zur Mündung des Loches und blieben stehen. »Da unsere Freunde nicht da sind, um uns anzutreiben«, sagte Bigwig, »können wir uns ebensogut versichern, daß der Ort nicht von Wieseln und Eulen wimmelt, bevor wir hinausgehen.«

In diesem Augenblick klang der Ruf einer braunen Eule aus dem gegenüberliegenden Gehölz. Es war der erste Ruf, und instinktmäßig duckten sie sich, zählten bewegungslos vier Herzschläge, bis der zweite folgte.

»Sie fliegt fort«, sagte Hazel.

»Wie viele Feldmäuse sagen das jede Nacht, frag' ich mich. Du weißt natürlich, daß der Ruf irreführend ist. Und das soll er sein.«

»Nun, da kann ich nichts machen«, erwiderte Hazel. »Fiver ist irgendwo da draußen, und ich suche ihn. Du hast übrigens recht. Es ist hell - gerade so.«

»Sollen wir zuerst unter der Eibe nachschauen?«

Aber Fiver war nicht unter der Eibe. Das stärker werdende Licht zeigte das obere Feld, während die ferne Hecke und der Bach als strichförmige Umrisse unten dunkel blieben. Bigwig sprang von der Böschung ins Feld hinunter und rannte in weitem Bogen über das nasse Gras. Er blieb beinahe gegenüber dem Loch stehen, durch das sie heraufgekommen waren, und Hazel stieß zu ihm.

»Das ist seine Spur«, sagte Bigwig. »Ganz frisch. Vom Loch direkt zum Bach hinunter. Er wird nicht weit sein.«

Wenn Regentropfen liegen, kann man leicht sehen, ob das Gras unlängst überquert worden ist. Sie folgten der Spur das Feld hinunter und erreichten die Hecke neben dem Mohrrübenfeld und der Quelle des Baches. Bigwig hatte recht gehabt, als er sagte, die Spur sei frisch. Sobald sie durch die Hecke gekrochen waren, sahen sie Fiver. Er fraß allein. Ein paar Stücke Mohrrüben lagen noch in der Nähe der Quelle herum, aber er hatte sie unberührt gelassen und fraß Gras, nicht weit von dem knorrigen Holzapfelbaum. Sie näherten sich, und er blickte auf.

Hazel sagte nichts und begann neben ihm zu fressen. Er bedauerte jetzt, daß er Bigwig mitgebracht hatte. In der Dunkelheit vor der Frühdämmerung und im ersten Schreck, als er entdeckte, daß Fiver fort war, war Bigwig Trost und Beistand gewesen. Aber jetzt, als er Fiver sah, klein und vertraut, unfähig, jemandem weh zu tun oder zu verbergen, was er fühlte, zitternd im nassen Gras aus Furcht oder vor der Kälte, schwand sein Zorn dahin. Er tat ihm nur noch leid, und er war sicher, daß Fiver, wenn sie eine Weile allein zusammen sein könnten, seinen Sinn ändern würde. Aber wahrscheinlich war es zu spät, Bigwig zu überreden, sanft mit ihm umzugehen; er konnte nur das Beste hoffen.

Entgegen seinen Befürchtungen blieb Bigwig so still wie er selbst. Offenbar hatte er erwartet, daß Hazel zuerst spräche, und war etwas in Verlegenheit. Einige Zeit wanderten alle drei schweigend durch das Gras, während die Schatten kräftiger wurden und die Ringeltauben zwischen den fernen Bäumen rumorten. Hazel fing schon an zu glauben, daß alles gut werden würde und daß Bigwig vernünftiger war, als er ihm zugetraut hatte, als Fiver sich auf seine Hinterbeine setzte, sein Gesicht mit den Pfoten säuberte und ihn dann zum ersten Mal direkt ansah.

»Ich gehe jetzt«, sagte er. »Ich bin sehr traurig. Ich würde dir gern alles Gute wünschen, Hazel, aber an diesem Ort kann man dir nichts Gutes wünschen. Also - leb wohl.«

»Aber wohin gehst du, Fiver?«

»Fort. In die Hügel, wenn ich es schaffe.«

»Allein? Das kannst du nicht. Du würdest sterben.«

»Völlig hoffnungslos, alter Junge«, sagte Bigwig. »Vor ni-Frith würde dich etwas erwischen.«

»Nein«, sagte Fiver ganz ruhig. »Du bist dem Tod näher als ich.«

»Willst du mir Angst einjagen, du elendes kleines Stück plappernder Vogelmiere?« rief Bigwig. »Ich habe die größte Lust -«

»Warte, Bigwig«, sagte Hazel. »Sei nicht grob zu ihm.«

»Du hast doch selbst gesagt -«, begann Bigwig.

»Ich weiß. Aber ich habe meine Meinung geändert. Tut mir leid, Bigwig. Ich wollte dich bitten, mir zu helfen, ihn zu bewegen, ins Gehege zurückzukommen. Jetzt aber - nun, ich habe immer erlebt, daß etwas an dem war, was Fiver zu sagen hatte. Die letzten zwei Tage weigerte ich mich, auf ihn zu hören, und ich bin nach wie vor der Meinung, daß er von Sinnen ist. Aber ich bringe es nicht über mich, ihn ins Gehege zurückzutreiben. Ich glaube wirklich, daß der Ort ihn aus irgendeinem Grunde zu Tode erschreckt. Ich begleite ihn eine Strecke, und vielleicht können wir miteinander reden. Ich kann dich nicht bitten, es auch zu riskieren. Auf jeden Fall sollten die anderen wissen, was wir tun, und sie erfahren es nicht, wenn du es ihnen nicht sagst. Ich werde vor ni-Frith zurück sein. Ich hoffe, wir werden beide zurück sein.«

Bigwig starrte ihn an. Dann wandte er sich wütend an Fiver. »Du erbärmliche kleine Küchenschabe«, sagte er. »Du hast nie gelernt zu gehorchen, nicht wahr? Ich, ich, ich die ganze Zeit. >Oh, ich habe ein komisches Gefühl in meiner Zehe, wir alle müssen auf dem Kopf stehen!< Und jetzt haben wir ein feines Gehege gefunden und sind aufgenommen worden, ohne darum zu kämpfen, und du hast nichts Besseres zu tun, als jedermann durcheinanderzubringen! Und dann riskierst du das Leben eines der besten Kaninchen, die wir haben, bloß damit er Kindermädchen spielt, während du herumwanderst wie eine mondsüchtige Feldmaus. Nun, ich bin mit dir fertig, ganz offen gesagt. Und jetzt gehe ich ins Gehege zurück, um mich zu vergewissern, daß die anderen auch mit dir fertig sind. Und das werden sie sein - darauf kannst du dich verlassen.«

Er drehte sich um und stürzte durch die nächste Lücke in der Hecke.

Im selben Augenblick gab es ein schreckliches Getöse auf der anderen Seite. Geräusche von Kicken und Stampfen waren zu vernehmen. Ein Stock flog in die Luft. Dann schoß ein nasser Klumpen toter Blätter durch die Lücke und landete neben der Hecke, dicht bei Hazel. Die Brombeerzweige droschen auf und ab. Hazel und Fiver starrten sich an, beide gegen den Impuls ankämpfend, die Flucht zu ergreifen. Was für ein Feind war auf der anderen Seite der Hecke an der Arbeit? Es waren keine Schreie zu hören - kein Fauchen einer Katze, kein Winseln eines Kaninchens -, nur das Krachen von Zweigen und das heftige Reißen von Gras.

Gegen seinen Instinkt nahm Hazel allen Mut zusammen und zwang sich vorwärts zur Lücke; Fiver folgte ihm. Ein furchtbarer Anblick bot sich ihnen. Die verfaulten Blätter waren in Schauern emporgeworfen worden. Die Erde war kahl und von langen Kratzern und Furchen durchzogen. Bigwig lag auf der Seite, mit den Hinterbeinen kickend und strampelnd. Ein gezwirnter Kupferdraht, der matt im ersten Frühlicht glänzte, war um seinen Hals geschlungen und lief straff über eine Vorderpfote zum oberen Ende eines dicken, in die Erde getriebenen Pflocks. Die Schlinge hatte sich zugezogen und war im Fell hinter seinem Ohr verborgen. Ein vorstehender Teil einer Litze hatte seinen Hals verletzt, und Blutstropfen, dunkelrot wie Eibenbeeren, flossen an seiner Schulter hinunter. Einige Augenblicke lag er keuchend da, seine Flanke hob und senkte sich in Erschöpfung. Dann begann wieder das Strampeln und Kämpfen, vor und zurück, stoßend und fallend, bis er würgte und dann still lag.

Rasend vor Qual sprang Hazel aus der Lücke und hockte sich neben ihn. Bigwigs Augen waren geschlossen und seine Lippen in einem starren Fletschen von den langen Vorderzähnen zurückgezogen. Er hatte auf seine Unterlippe gebissen, von der ebenfalls Blut floß. Schaum bedeckte seine Kinnbacken und die Brust.

»Thlayli!« sagte Hazel trampelnd. »Thlayli! Höre! Du bist in einer Schlinge - einer Schlinge! Was sagten sie in der Owsla? Komm schon - denke nach. Wie können wir dir helfen?«

Es trat eine Pause ein. Dann begannen Bigwigs Hinterbeine wieder auszuschlagen, aber nur schwach. Seine Ohren hingen herab. Seine Augen öffneten sich, und das Weiße zeigte sich blutunterlaufen, als die braune Iris hin- und herrollte. Kurz darauf kam seine Stimme dumpf und schwach durch den blutigen Schaum in seinem Maul.

»Owsla - taugt nichts - Draht durchzubeißen. Pflock — muß ausgegraben werden.«

Ein Krampf schüttelte ihn, und er scharrte auf dem Boden, bedeckte sich mit einer Schicht aus nasser Erde und Blut. Dann lag er wieder still.

»Lauf, Fiver, lauf ins Gehege«, rief Hazel. »Hol die anderen - Blackberry, Silver. Schnell! Er wird sterben!«

Fiver war auf und davon wie ein Hase. Hazel, alleingelassen, versuchte zu begreifen, was getan werden mußte. Was war der Pflock? Wie sollte er ihn ausgraben? Er blickte auf die schmutzige Schweinerei vor ihm hinunter. Bigwig lag über dem Draht, der unter seinem Bauch herauskam und im Boden zu verschwinden schien. Hazel kämpfte mit seinem eigenen Unverständnis. Bigwig hatte gesagt: »Grabe.« Das zumindest verstand er. Er begann, in dem weichen Boden neben seinem Körper zu kratzen, bis nach einiger Zeit seine Pfoten gegen etwas Glattes und Festes stießen. Als er verblüfft innehielt, fand er Blackberry neben sich.

»Bigwig hat soeben gesprochen«, sagte er zu ihm, »aber ich glaube nicht, daß er es jetzt noch kann. Er sagte: >Grabt diesen Pflock aus.< Was bedeutet das? Was müssen wir tun?«

»Augenblick«, sagte Blackberry. »Laß mich überlegen und werde nicht ungeduldig.«

Hazel drehte den Kopf und blickte den Lauf des Baches hinunter. Weit weg, zwischen den beiden niederen Gehölzen, konnte er den Kirschbaum sehen, wo er vor zwei Tagen mit Blackberry und Fiver gesessen hatte. Er erinnerte sich, wie Bigwig Hawkbit durch das hohe Gras gejagt und den Streit der vergangenen Nacht in der Freude über ihre Ankunft vergessen hatte. Er konnte Hawkbit und zwei oder drei der anderen jetzt auf sich zulaufen sehen - Silver, Dandelion und Pipkin. Dandelion, weit vorn, stürmte auf die Lücke zu und hielt zuckend und starrend an.

»Was ist, Hazel? Was ist passiert? Fiver sagte -«

»Bigwig hat sich in einem Draht verfangen. Laß ihn in Ruhe, bis Blackberry einen Einfall hat. Halte die anderen davon ab, sich herumzudrängen.«

Dandelion drehte sich um und rannte zurück, als Pipkin herankam.

»Kommt Cowslip?« fragte Hazel. »Vielleicht weiß er -«

»Er wollte nicht kommen«, erwiderte Pipkin. »Er sagte Fiver, er solle aufhören, davon zu reden.«

»Was sagte er ihm?« fragte Hazel ungläubig. Aber in diesem Augenblick sprach Blackberry, und Hazel war wie der Blitz bei ihm.

»Das ist es«, sagte Blackberry. »Der Draht ist an einem Pflock befestigt, der im Boden steckt - da, schau. Wir müssen ihn ausgraben. Los - grabe daneben.«

Hazel grub wieder; seine Vorderpfoten warfen die weiche, nasse Erde empor und rutschten gegen die harten Seiten des Pflockes. Undeutlich war er sich der anderen bewußt, die in der Nähe warteten. Nach einer Weile war er gezwungen aufzuhören, denn er keuchte. Silver nahm seine Stelle ein, und Buckthorn folgte ihm. Der scheußliche glatte, saubere, nach Mann riechende Pflock war in der Länge eines Kaninchenohrs bloßgelegt, kam aber immer noch nicht frei. Bigwig hatte sich nicht bewegt. Er lag über dem Draht, aufgerissen und blutig, mit geschlossenen Augen. Buckthorn zog seinen Kopf und seine Pfoten aus dem Loch und rieb den Schmutz aus seinem Gesicht.

»Der Pflock ist da unten schmaler«, sagte er. »Er läuft spitz zu. Ich glaube, er könnte durchgebissen werden, aber ich kann meine Zähne nicht richtig rankriegen.«

»Schick Pipkin hinein«, sagte Blackberry. »Er ist kleiner.«

Pipkin plumpste in das Loch. Sie konnten das Holz unter seinen Zähnen splittern hören - ein Geräusch wie von einer Maus in der Holzverkleidung eines Schuppens. Er kam mit blutender Nase heraus.

»Die Splitter pieken einen, und man kann kaum atmen, aber der Pflock ist beinahe durch.«

»Fiver, geh hinein«, sagte Hazel.

Fiver blieb nicht lange im Loch. Auch er kam blutend heraus.

»Er ist entzweigebrochen. Er ist frei.«

Blackberry drückte seine Nase an Bigwigs Kopf. Als er ihn sanft liebkoste, rollte sein Kopf seitwärts und wieder zurück.

»Bigwig«, sagte Blackberry in sein Ohr, »der Pflock ist raus.«

Keine Antwort. Bigwig lag still wie zuvor. Eine große Fliege setzte sich auf eines seiner Ohren. Blackberry schlug wütend nach ihr, und sie flog summend in den Sonnenschein hinaus.

»Ich glaube, er ist erledigt«, sagte Blackberry. »Ich kann seinen Atem nicht mehr spüren.«

Hazel hockte sich neben Blackberry und legte die Nüstern dicht an die Bigwigs, aber eine leichte Brise wehte, und er konnte nicht sagen, ob es Atem war oder nicht. Die Beine waren locker, der Bauch schlaff und kraftlos. Er versuchte, sich das wenige zu vergegenwärtigen, was er von Schlingen gehört hatte. Ein starkes Kaninchen könnte sich den Hals in einer Schlinge brechen. Oder hatte die Spitze eines scharfen Drahtes die Luftröhre durchbohrt?

»Bigwig«, flüsterte er, »wir haben dich rausgeholt, du bist frei.«

Bigwig rührte sich nicht. Plötzlich wurde es Hazel klar, daß, wenn Bigwig tot war - und was sonst konnte ihn im Morast festhalten? -, er selbst die anderen wegführen mußte, ehe der furchtbare Verlust ihnen ihren Mut und ihre Lebensgeister nehmen konnte - was zweifellos geschehen würde, wenn sie neben der Leiche blieben. Außerdem würde der Mann bald kommen. Vielleicht kam er schon mit einem Gewehr, um den armen Bigwig fortzunehmen. Sie mußten gehen; und er mußte dafür sorgen, daß alle - auch er - aus ihren Gedanken für immer verbannten, was sich ereignet hatte.

»Mein Herz hat sich mit den Tausend verbunden, denn mein Freund hörte auf zu laufen«, sagte er zu Blackberry, ein Kaninchensprichwort zitierend.

»Wenn es bloß nicht Bigwig wäre«, sagte Blackberry. »Was sollen wir ohne ihn anfangen?«

»Die anderen warten«, sagte Hazel. »Wir müssen am Leben bleiben. Sie brauchen etwas, an das sie glauben können. Hilf mir, oder es geht über meine Kräfte.«

Er wandte sich von der Leiche ab und suchte unter den Kaninchen hinter ihm nach Fiver. Aber der war nirgends zu sehen, und Hazel fürchtete sich, nach ihm zu fragen, weil es als Schwäche und als ein Bedürfnis nach Trost gedeutet werden könnte.

»Pipkin«, schnauzte er, »warum putzt du dir nicht das Gesicht und stillst das Blut? Der Blutgeruch zieht elil an. Das weißt du doch!«

»Ja, Hazel. Verzeih. Wird Bigwig -«

»Und noch etwas«, unterbrach Hazel ihn verzweifelt. »Was hast du mir da von Cowslip erzählt? Sagtest du, er gebot Fiver, zu schweigen?«

»Ja, Hazel. Fiver kam ins Gehege und erzählte uns von der Schlinge und daß der arme Bigwig -«

»Ja, ja, schon gut. Und dann Cowslip - ?«

»Cowslip und Strawberry und die anderen taten so, als ob sie Fiver nicht hörten. Es war lächerlich, weil Fiver es allen zurief. Und dann, als wir hinausliefen, sagte Silver zu Cowslip: >Du kommst doch sicherlich auch?< Und Cowslip drehte ihm einfach den Rücken zu. Worauf Fiver zu ihm trat und sehr ruhig mit ihm sprach, aber ich hörte, was Cowslip antwortete. Er sagte: >Hügel oder Inle, es ist mir vollkommen gleichgültig, wohin ihr geht. Halt dein Maul.< Und dann schlug er nach Fiver und verletzte ihn am Ohr.«

»Ich bringe ihn um«, keuchte eine tiefe, würgende Stimme hinter ihnen. Alle fuhren herum. Bigwig hatte den Kopf gehoben und stemmte sich auf den Hinterpfoten hoch. Sein Körper war verdreht, und sein Hinterteil und die Hinterbeine lagen immer noch auf dem Boden. Seine Augen waren offen, und sein Gesicht war eine so furchtbare Maske von Blut, Schaum, Erbrochenem und Erde, daß er mehr wie ein Dämon als wie ein Kaninchen aussah. Sein unmittelbarer Anblick, der sie mit Erleichterung und Freude hätte erfüllen sollen, verbreitete nur Entsetzen. Sie verdrückten sich, und keiner sagte ein Wort.

»Ich bringe ihn um«, wiederholte Bigwig blubbernd durch seinen schmutzigen Bart und sein verklebtes Fell. »Helft mir doch, verdammt noch mal! Kann mir nicht jemand diesen gemeinen Draht abstreifen?« Er strampelte, zog seine Hinterbeine nach. Dann fiel er wieder hin und kroch vorwärts, den Draht mit dem nachschleppenden Pflock durch das Gras ziehend.

»Laßt ihn in Ruhe!« rief Hazel, denn jetzt drängten alle vorwärts, um ihm zu helfen. »Wollt ihr ihn umbringen? Laßt ihn ausruhen! Laßt ihn Atem holen!«

»Nein, nicht ausruhen«, keuchte Bigwig. »Mir geht's gut.« Bei diesen Worten fiel er wieder hin, rappelte sich jedoch sofort auf seine Vorderpfoten hoch. »Es sind meine Hinterbeine. Wollen sich nicht bewegen. Dieser Cowslip! Ich bringe ihn um!«

»Warum lassen wir sie überhaupt im Gehege?« rief Silver. »Was sind denn das für Kaninchen? Sie hätten Bigwig sterben lassen. Ihr alle habt Cowslip gehört. Das sind Feiglinge. Treiben wir sie hinaus - töten wir sie! Wir nehmen das Gehege in Besitz und leben selbst da!«

»Ja, ja!« antworteten alle. »Los, zurück zum Gehege! Nieder mit Cowslip! Nieder mit Silverweed! Tötet sie!«

»O embleer Frith!« rief eine kreischende Stimme im hohen Gras.

Bei dieser schockierenden Gottlosigkeit erstarb der Tumult. Sie blickten sich um, fragten sich, wer gesprochen haben könnte. Schweigen. Dann tauchte zwischen zwei großen Büscheln Schmielgras Fiver auf, dessen Augen wie rasend funkelten. Er knurrte und sprach ein Kauderwelsch wie ein Hexenhase, und wer in seiner Nähe war, zog sich furchterfüllt zurück. Selbst Hazel hätte ums Leben kein Wort sagen können. Dann verstanden sie, was er sagte.

»Das Gehege? Ihr geht ins Gehege? Ihr Narren! Dieses Gehege ist nichts als ein Todesloch! Der ganze Ort ist eine schmutzige Speisekammer für elil! Es ist eine Falle - überall, jeden Tag! Das erklärt alles - alles, was sich ereignet hat, seit wir hierherkamen.«

Er saß bewegungslos da, und seine Worte schienen mit dem Sonnenlicht über das Gras heraufzukriechen.

»Hör zu, Dandelion. Du magst gern Geschichten, nicht wahr? Ich werde dir eine erzählen - jawohl, eine, über die El-ahrairah weinen kann. Es war einmal ein schönes Gehege am Rande eines Gehölzes, die Wiesen einer Farm überblickend. Es war groß, voll von Kaninchen. Dann, eines Tages, kam die weiße Blindheit, und die Kaninchen wurden krank und verendeten. Aber ein paar von ihnen überlebten, wie immer. Das Gehege wurde beinahe leer. Eines Tages dachte der Farmer: Ich könnte eigentlich diese Kaninchen vermehren, sie zum Teil meiner Farm machen - ihr Fleisch, ihr Fell. Warum mir die Mühe machen, sie im Stall zu halten? Die fühlen sich sehr wohl, wo sie sind. Er begann, alle elil zu schießen -lendri, homba, Wiesel, Eulen. Er legte Futter für die Kaninchen aus, aber nicht zu nahe dem Gehege. Für seine Zwecke mußten sie sich daran gewöhnen, in den Wiesen und im Gehölz herumzustreifen. Und dann fing er sie mit einer Schlinge - nicht zu viele: so viele, wie er brauchte, und nicht so viele, daß sie alle verscheucht würden oder ausstarben. Sie wurden groß, stark und gesund; denn er sorgte dafür, daß sie das Beste von allem hatten, besonders im Winter, und nichts zu fürchten brauchten - außer in die Schlinge in der Heckenlücke und im Holzpfad zu rennen. Sie lebten also, wie er es wollte, und immer verschwanden eben ein paar von ihnen. Die Kaninchen wurden eigenartig in verschiedener Hinsicht, anders als andere Kaninchen. Sie wußten ganz genau, was los war. Aber sogar vor sich selbst taten sie so, als ob alles in bester Ordnung wäre; denn das Futter war gut, sie waren geschützt, sie hatten nichts zu fürchten als die eine Furcht, und die schlug hier und da zu, aber niemals ausreichend, um sie zu vertreiben. Sie verloren die Eigenart von Wildkaninchen. Sie vergaßen El-ahrairah; denn was für einen Nutzen hatten sie von Listen und Schlauheit, da sie im Gehege eines Feindes lebten und seinen Preis bezahlten? Sie fanden andere wunderbare Künste anstelle von Listen und alten Geschichten. Sie tanzten zum feierlichen Gruß. Sie sangen Lieder wie die Vögel und machten Wandmalereien; und obgleich diese ihnen nicht helfen konnten, vertrieben sie doch die Zeit und ermöglichten es ihnen, sich zu sagen, daß sie großartige Burschen seien, die Blüte der Kaninchenschaft, klüger als die Elstern. Sie hatten kein Oberkaninchen - nein, wie konnten sie auch? -, denn ein Oberkaninchen mußte El-ahrairah für sein Gehege sein und sie vor dem Tod bewahren. Und hier gab es nur einen Tod, und welches Oberkaninchen könnte eine Antwort darauf haben? Statt dessen schickte ihnen Frith sonderbare Sänger, schön und krank wie Galläpfel, wie Rotkehlchens Nadelkissen an der wilden Rose. Und da diese Sänger, die an einem anderen Ort klug und weise gewesen sein mochten, die Wahrheit nicht ertragen konnten, wurden sie unter den Druck des schrecklich schweren Geheimnisses des Geheges gesetzt, bis sie schöne Narreteien hervorwürgten über Würde und Fügsamkeit und alles andere, das glauben machen konnte, daß das Kaninchen den glänzenden Draht liebte. Aber einen strikten Grundsatz hatten sie; o ja, den striktesten. Niemand durfte sie fragen, wo ein anderes Kaninchen war, und jeder, der >Wo?< fragte -außer in einem Lied oder einem Gedicht -, mußte zum Schweigen gebracht werden. >Wo?< zu sagen, war schon schlimm genug, aber offen von den Drähten zu sprechen -war unerträglich. Dafür würden sie kratzen und töten.«

Er hielt inne. Keiner bewegte sich. Dann, in dem Schweigen, sprang Bigwig auf, schwankte einen Augenblick, torkelte ein paar Schritte auf Fiver zu und fiel wieder hin. Fiver schenkte ihm keine Beachtung, sondern blickte von einem Kaninchen zum anderen. Dann begann er wieder zu sprechen.

»Und dann kamen wir, über die Heide in der Nacht. Wilde Kaninchen, die Kratzer im ganzen Tal machten. Die GehegeKaninchen zeigten sich nicht sofort. Sie mußten überlegen, was am besten zu tun wäre. Aber sie kamen sehr bald darauf: uns ins Gehege zu bringen und uns nichts zu sagen. Versteht ihr nicht? Der Farmer legt nur eine bestimmte Anzahl Fallen, und wenn ein Kaninchen stirbt, leben die anderen um so länger. Du schlugst vor, daß Hazel ihnen von unseren Abenteuern erzählt, Blackberry, aber es hat nicht gut geklappt, nicht wahr? Wer will von tapferen Taten hören, wenn er sich seiner eigenen schämt, und wer will eine offene, ehrliche Geschichte von jemandem hören, den er täuscht? Soll ich weitermachen? Ich sage euch, jedes einzelne Ding, das geschehen ist, paßt wie eine Biene in einen Fingerhut. Und sie töten, sagt ihr, und den großen Bau in Besitz nehmen? Wir würden ein Dach von Gebeinen, mit glänzenden Drähten behangen, in Besitz nehmen! Wir würden uns zu Elend und Tod verhelfen!«

Fiver sank ins Gras. Bigwig, der noch immer seinen schrecklichen, glatten Pflock hinter sich herzog, taumelte zu ihm und berührte seine Nase mit der seinen.

»Ich lebe noch, Fiver«, sagte er. »Wir alle leben. Du hast einen größeren Pflock als den, den ich schleppe, durchgebissen. Sag uns, was wir tun sollen.«

»Tun?« erwiderte Fiver. »Gehen - jetzt. Ich sagte Cowslip, daß wir gehen würden, ehe ich den Bau verließ.«

»Wohin?« fragte Bigwig. Aber Hazel antwortete.

»In die Hügel«, sagte er.

Südlich von ihnen stieg der Boden sanft vom Bach an. Auf dem Kamm konnte man die Furchen einer Wagenspur und dahinter ein Unterholz erkennen. Hazel lief darauf zu, und die übrigen folgten ihm einzeln und zu zweit den Hang hinauf.

»Was ist mit dem Draht, Bigwig?« fragte Silver. »Der Pflock wird sich verfangen und ihn wieder straffen.«

»Nein, er ist jetzt locker«, sagte Bigwig. »Ich könnte ihn abschütteln, wenn ich mich nicht am Hals verletzt hätte.«

»Versuch es«, sagte Silver. »Du wirst sonst nicht weit kommen.«

»Hazel«, rief Speedwell plötzlich, »da kommt ein Kaninchen aus dem Gehege herunter. Schau!«

»Nur eines?« meinte Bigwig. »Wie schade! Du übernimmst es, Silver. Ich will dir das nicht vorenthalten. Mach's gut!«

Sie hielten an und warteten, hier und da über den Hang verstreut. Das sich nähernde Kaninchen lief auf eine merkwürdige, unbesonnene Art. Einmal rannte es direkt in einen dickstieligen Distelstrauch, prallte seitwärts ab und überschlug sich mehrmals. Aber schließlich kam es auf die Füße und tappte auf sie zu.

»Ist es die weiße Blindheit?« fragte Buckthorn. »Er sieht nicht, wohin er geht.«

»Da sei Frith vor!« sagte Blackberry. »Sollen wir davonrennen?«

»Nein, er könnte mit der weißen Blindheit nicht so laufen«, sagte Hazel. »Was immer ihm fehlt, das ist es nicht.«

»Es ist Strawberry!« rief Dandelion.

Strawberry kam durch die Hecke am Holzapfelbaum, sah sich um und ging auf Hazel zu. Seine ganze höfliche Selbstbeherrschung war verschwunden. Er stierte und zitterte, und seine Größe schien den Ausdruck von tiefstem Elend nur noch zu verstärken. Er kroch vor ihnen im Gras, während Hazel wartete, streng und bewegungslos, Silver an seiner Seite.

»Hazel«, fragte Strawberry, »geht ihr fort?«

Hazel schwieg, aber Silver sagte scharf: »Was geht das dich an?«

»Nehmt mich mit.« Keine Erwiderung, und er wiederholte: »Nehmt mich mit.«

»Wir legen keinen Wert auf Geschöpfe, die uns täuschen«, sagte Silver. »Geh lieber zu Nildro-hain zurück. Sie nimmt es zweifellos weniger genau.«

Strawberry gab eine Art würgendes Kreischen von sich, als wäre er verwundet worden. Er blickte von Silver zu Hazel und dann zu Fiver. Schließlich sagte er in einem kläglichen Flüstern:

»Die Drähte.«

Silver wollte schon antworten, aber Hazel sprach zuerst.

»Du kannst mitkommen«, sagte er. »Sag nichts mehr. Armer Kerl.«

Ein paar Minuten später hatten die Kaninchen die Wagenspur überquert und verschwanden im dahinterliegenden Unterholz. Eine Elster, die einen hellen, auffallenden Gegenstand auf dem leeren Hang sah, flog näher, um zu sehen, was es war. Doch alles, was da lag, war ein zersplitterter Pflock und ein Stück verbogener Draht.

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