Epilog

Mit Kopfverletzungen ist das so eine Sache, wie Bayard mir von seiner Zeit im Vingaard-Gebirge hätte berichten können. Darum sind meine Erinnerungen über alles, was nach dem Fall aus dem Nest des Skorpions geschah, etwas lückenhaft. Eigentlich funktionierte mein Gedächtnis erst wieder zuverlässig, als wir in Kastell di Caela waren und Vorbereitungen für das Hochzeitsbankett getroffen wurden.

Aber folgendes ist geschehen, soweit ich das aus Bayards Berichten und Alfriks grollenden Informationen, dem wenigen Zuverlässigen aus Brithelms Erzählungen und meinen eigenen, bruchstückhaften Erinnerungen zusammensetzen kann.

Als der Skorpion auf den Saalboden stürzte und von seinen blind zustechenden Dienern bedeckt wurde, und als das Schloß einstürzte, sahen wir eilig zu, das zu machen, was wir schon in Kastell di Caela hatten tun wollen – der Zerstörungswut des Skorpions zu entkommen und das Mädchen in Sicherheit zu bringen, um das sich die ganze Prophezeiung rankte.

Die Felsen von Chaktamir stürzten in die Schlucht und begruben den Skorpion und seine Skorpione, seinen Schlupfwinkel und all die Toten, die Nerakaner und die Solamnier. Alles ruhte in Frieden. Dann rasteten wir, und Sir Robert, der mich wie einen eingerollten Teppich unter den Arm geklemmt hatte, setzte mich ab. Bewußtlos glitt ich in die wartenden Arme von Brithelm und Enid.

Enid. Wäre ich bei Bewußtsein gewesen, so wäre ich vor verschämtem Entzücken rot geworden. Doch Enid ließ mich mit einem leisen Protestruf fallen. Das war das erste, was ich hörte, als der Sturz mich weckte. Dort, in den friedlichen Vorbergen von Estwilde, hätte Sir Ramiro um ein Haar Alfrik erledigt. Sie waren sich zwar einig gewesen, daß Bayard bei der Einnahme des Skorpionschlosses der wahre Held gewesen war, doch ihr Streit, wem der zweite Rang gebührte, war anscheinend von Anpflaumen zu offener Aggression übergegangen.

Beide schnauften vor Erschöpfung und Wut und waren rot vor Scham, als Enid selbst sie auseinander zog.

Dann folgte eine lange Prozedur von Wiederaufwärmen und Versöhnungen. Und bald gerieten Alfrik und Sir Robert aneinander. Wie man mir erzählte. Denn ich lag immer noch zerschunden auf dem Boden und brabbelte etwas von Zentauren und ihrer Gewohnheit, Leute zu ertränken, und fragte nach meinen Würfeln.

Erst als wir die Berge verlassen hatten, fiel mir ein, daß ich die kleinen, roten Propheten irgendwo in dem unwegsamen Gelände zurückgelassen hatte. Zweifellos liegen sie bis heute irgendwo in den Ausläufern der Berge von Estwilde.

Ich bat Bayard, anzuhalten und mit mir nach den Calantina-Würfeln zu suchen, aber er wollte nichts von »diesem Quatsch« hören. Er sagte, ich wäre aus den Spielchen herausgewachsen.

Ich neigte dazu, ihm recht zu geben. Was soll ich schon mit der Zukunft anfangen, auch wenn es meine Hände immer noch nach den roten Würfeln und den hölzernen Versen juckt? Obwohl sie die Dinge nicht erklärten, die geschahen, gaben sie einem doch eine Erklärung, in die man diese Sachen einfügen konnte, um sich dann besser zu fühlen.

Ich habe das Wahrsagen gelassen und vorläufig auch das Intrigieren.


Der Funke, der der allgemeinen Erwartung zufolge zwischen Bayard und Enid überspringen mußte, schaffte es schließlich auf der langen Rückreise nach Kastell di Caela. Funken flogen auch zwischen Sir Ramiro und Alfrik. Das Prahlen und Aufschneiden meines Bruders gefielen dem alten Ritter nach so vielen Meilen nicht besser. Noch am Tor von Kastell di Caela wurde Sir Roberts Vermittlungsgeschick gebraucht, weil Sir Ramiro Alfrik vom Pferd in den Wassergraben gestoßen hatte, einfach weil mein ältester Bruder »eine Visage hätte, die es verdient hat, im Graben zu landen«.

Er behauptete außerdem, daß Alfriks Gesicht sich besser auf einer Pike auf den Zinnen machen würde.

Alfrik überlebte es gerade so eben, aus dem Wasser gefischt zu werden, und kaum war seine Rüstung trocken, war er auch schon auf dem Heimweg nach Küstenlund. Zweifellos träumte er von dem Blick von einer Pike aus. Er jammerte ein wenig bei dem Gedanken, Vater in der jetzt zerbeulten Rüstung unter die Augen zu treten, die er aus der Wasserburg gestohlen hatte. Zweifellos hatte der alte Herr daraufhin das ganze Land durchkämmt und in Abwesenheit seines Ältesten den Sumpf trockengelegt, nur aus Furcht, daß Entführung, Ertrinken oder pure Dummheit ihm seinen Erben geraubt hätten.

Der Empfang würde nicht gerade herzlich sein.

Meine Erleichterung über Alfriks Abzug vermischte sich mit Traurigkeit, weil Brithelm ihn begleitete und ich auch die Gesellschaft meines Lieblingsbruders verlor. Brithelm sollte bis zum Sumpf von Küstenlund mit Alfrik reiten. Dort wollte er anhalten und die Einsiedelei gründen, nach der er sich während unserer gefahrvollen Jagd nach dem Skorpion gesehnt hatte.

Doch als meine Brüder die Berge überquert hatten und in die Ebenen meiner Heimat kamen, entdeckten sie – eigentlich zu niemandes Überraschung –, daß der Sumpf von Küstenlund verschwunden war.

Zentauren und Bauern waren sich einig: Baum um Baum und Schlingpflanze um Schlingpflanze war der Sumpf immer weiter zurückgegangen, bis nur noch ein komisches Haus auf Stelzen übrig war, das von allen anderen meilenweit entfernt war und immer noch nach Ziege und Fäulnis und etwas anderem roch, das nach Aussagen der Zentauren noch schlimmer war als diese anderen üblen Gerüche. Daher eskortierte Brithelm seinen älteren Bruder den ganzen Weg bis zur Wasserburg, wo er ein paar Tage lang beruhigend auf Vater einwirkte, der – wie ich vermutet hatte – nicht so zufrieden mit Alfrik war.

Nachdem das geschafft war, zog Brithelm erneut nach Osten, um sich zwischen den riesigen Steingebilden im Vingaard-Gebirge niederzulassen, wo Bayard, Agion und ich eine Nacht verbracht hatten, und wo ich zum erstenmal von der Prophezeiung aus dem Buch von Vinas Solamnus gehört hatte.

Auch wenn ich nie im Leben zu dem Ort zurückfand, wo Brithelm zum Einsiedler wurde, und auch wenn Bayard geschworen hatte, nie den Weg zu diesem Ort zu verraten, glaube ich fest daran, daß mein Bruder sicher und in guten Händen ist. Etwas abwesend und blöd vielleicht, aber sicher und zuverlässig, falls wieder schwierige Zeiten nahen.

Schwierige Zeiten hatten, soweit ich weiß, eine Weile in der Wasserburg geherrscht. Nachdem er den armen Alfrik kurze Zeit eingesperrt hatte, ließ Vater ihn wieder frei und trainiert ihn jetzt täglich zum Knappen. Wie ich höre, hat Alfrik keine Zeit, die Dienstboten zu schinden oder Wein in sein Zimmer zu schmuggeln, und ich weiß aus sicherer Quelle, daß Gileandos seit der Rückkehr meines Bruders erst einmal in Flammen aufgegangen ist. Denn da hatte sein Ärmel im selbstgebauten Destillierlabor Feuer gefangen. Für diesen Unfall gab man Alfrik nicht die Schuld.

Ich hingegen hatte das perfekte Alibi: Ich war meilenweit weg in Solamnia.

Wer weiß, vielleicht ändert sich Alfrik eines Tages und wird ein halbwegs vorzeigbarer Knappe. In ein paar Jahren, wenn ich Ritter bin und jemanden brauche, der mein Pferd versorgt und mir Schwert und Rüstung poliert, reite ich vielleicht nach Küstenlund und rede mit Vater, ob ich seinen Ältesten und Erben dafür bekomme. Ich habe nichts gegen einen Knappen, der auf die Dreißig zugeht – ich kann viel verzeihen, selbst eine etwas langsame Auffassungsgabe.

Und außerdem würde es sein liebes Bruderherz ganz besonders wurmen, mein Knappe zu sein.

Es überrascht den Leser vielleicht, daß ich die Ritterschaft anstrebe, nachdem ich so viele schlimme Dinge über den Orden gesagt und gedacht habe. Nun, ich tu’s, weil ich gar keine Wahl habe, wenn ich das beträchtliche Erbe antreten will, das ich als Belohnung bekomme.

Denn schließlich werde ich nach dem heutigen Bankett und den Zeremonien Galen Pfadwächter Blitzklinge, angenommener Sohn und Erbe von Sir Bayard Blitzklinge.

Ende des Monats nach einem weiteren Bankett und weiteren, noch längeren und noch langweiligeren Zeremonien werde ich Galen Pfadwächter di Caela Blitzklinge, wenn Stiefvater und Stiefmutter endlich heiraten.

Die Werbung verlief scheu und anfangs geradezu lächerlich, denn beide, Bayard und Enid, hatten ihr Leben immer von der Prophezeiung und der Familiengeschichte leiten lassen und hatten überhaupt keine Ahnung, wie sie einander umwerben sollten.

Bayard wollte mich sogar um Hilfe bitten, um ein Liebeslied für Enid zu schreiben. Allerdings nur, bis ich ihm erklärte, wie wirksam meine Dichtkunst in der Nacht gewesen war, wo Alfrik sein Glück versucht hatte. Bayard beschloß, daß ich Unglück brächte und fragte mich in Herzenssachen nicht wieder um Rat.

Obwohl es so umständlich ging, verliebten sich die beiden dennoch. Es war erst eine Woche in Kastell di Caela vergangen, als sie »sich die Ehe versprachen«, wie es heißt, und Sir Robert und Bayard schon Pläne für die Hochzeit schmiedeten. Ich merkte, wie Danielle dämlich in meine Richtung schaute und zog deshalb in Lady Muriels Katzenturm um, wie ich ihn nannte, um so weit wie möglich aus der ehelichen Schußlinie zu sein.

Trotzdem konnte es nichts schaden, Danielle zum Hochzeitsbankett zu geleiten, wo das arme Mädchen seinen gehüteten Augapfel in solamnischem Prunk sehen konnte. Besonders nachdem ich sie da oben fast verkauft hatte, indem ich ihren Namen vor dem Skorpion erwähnte, um dessen wirklich dramatisches Vorhaben zu unterbrechen.

Außerdem ist sie ein hübsches, gescheites Ding. Solange es nicht ans Heiraten geht, sollte ich mit ihr wohl fertig werden.


Noch zwei Stunden, bis ich die rotgelbe Robe anlege, die Farben meiner neuen Familie, und durch den großen Festsaal von Kastell di Caela marschiere, wie ich in jener, lang zurückliegenden Nacht so viele Ritter hatte marschieren sehen.

Unten bereiten sie alles vor. Durch meine offene Tür hört man Geschirr und Besteck klappern, weil gerade die Eichentische im großen Saal gedeckt werden. Es ist ein feierlicher, festlicher Abend, der bevorsteht. Ein Abend mit Bankett.

Auf den ich mich von Herzen freue.

Aber wenn vorher noch jemand mit Vorschlägen oder Bestechungen oder Versprechungen oder Drohungen irgendwelcher Art in mein Zimmer kommt, dann sage ich: »Nein, danke, aus dem Geschäft ziehe ich mich gerade zurück.«

Ich habe den Bogen meines Glücks und meiner Geschichte so weit gespannt, wie es nur geht.

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