Eines Morgens im Jahr 1948 las ich in der New York Times, daß Street & Smith Publications das Erscheinen all ihrer Magazine eingestellt hatten.
Da Astounding Science Fiction eines dieser Magazine war, wurde mir schwarz vor Augen. Seit 1943 hatte ich dreizehn Science-Fiction-Erzählungen verkauft und publiziert, und jede einzelne davon war in Astounding veröffentlicht worden. Während dieser ganzen Periode hatte ich mich immer wieder mit dem Gefühl herumgequält, daß ich eigentlich gar kein richtiger Schriftsteller war, sondern lediglich das Glück hatte, in einer ganz bestimmten Thematik erfolgreich zu sein. Wenn Astounding oder Mr. Campbell, dem Herausgeber, etwas zustieß, dann war auch ich erledigt.
Tief betrübt las ich den Artikel zu Ende, und ganz am Schluß entdeckte ich die beiläufige Bemerkung, daß Astounding die einzige Ausnahme bilde. Es war das einzige Magazin, das auch weiterhin erscheinen würde.
Zwar atmete ich erleichtert auf, aber meine Situation erschien mir immer noch recht fraglich. Es konnte ja immer noch irgend etwas mit Astounding oder mit Mr. Campbell passieren. (Espassierte aber nichts! Wenigstens vorläufig nicht. Während ich diese Bemerkung niederschreibe, mehr als zwanzig Jahre nach jenem Artikel, blüht und gedeiht Astounding noch immer, wenn es jetzt auch einen anderen Verleger hat und in Analog umbenannt worden war.)
1949 und 1950 verkaufte ich vier weitere Erzählungen an Astounding, bevor ich diese Serie einstellte. Dann nahm 1950 ein neues Science-Fiction-Magazin einen plötzlichen Aufschwung unter der energischen Führung seines Herausgebers, Horace L. Gold.
Mr. Gold suchte rastlos nach neuen Erzählungen, und er fragte mich, ob ich ihm einige zu Verfügung stellen könne. Ich zögerte, weil ich nicht sicher war, ob sie ihm gefallen würden. Außerdem fragte ich mich, ob ich einen Rückschlag ertragen könne, der vielleicht beweisen würde, daß ich gar kein richtiger Schriftsteller, sondern nur der Autor eines einzigen Herausgebers war.
Trotzdem brachte es Mr. Gold fertig, mich zu überreden. Ich schrieb zwei Erzählungen, und er nahm sie beide an. Bei der ersten Erzählung handelte es sich beinahe um einen Zwangsverkauf, denn Mr. Gold brauchte sie sofort für die erste Nummer des neuen Magazins. Die zweite Erzählung erschien in der zweiten Nummer, und ihr Erscheinen schien mir absolut gerechtfertigt. Sieben Jahre lang hatte ich an mir selbst gezweifelt, und jetzt war ich endlich davon geheilt. Das hatte ich dieser Erzählung zu verdanken, die in diesem Buch an zweiter Stelle stehen soll.
Herausgeber haben meist den Drang, die Titel von Erzählungen zu ändern. Der Himmel weiß, warum! Mr. Gold war in dieser Beziehung ein besonders schwieriger Fall.
Ich hatte meiner Erzählung den Titel »Grüne Flecken« gegeben, aus Gründen, die dem Leser nach der Lektüre verständlich erscheinen werden. Aus irgendwelchen geheimnisvollen Gründen gefiel Mr. Gold dieser Titel nicht, und als die Erzählung erschien, hieß sie »Der schreckliche Missionar«. Dieser Titel scheint mir nicht besonders glücklich gewählt, und deshalb versehe ich sie wieder mit dem ursprünglichen Titel, eine Chance, auf die ich achtzehn Jahre lang gewartet habe.
Er war an Bord des Schiffes! Dutzende hatten jenseits der Energiebarriere gewartet, und er hatte schon geglaubt, es wäre sinnlos, zu warten. Doch dann hatte die Sperre zwei Minuten lang geschwankt (was bewies, daß vereinigte Organismen den Lebensfragmenten überlegen waren), und er hatte sie passiert.
Keiner der anderen war schnell genug gewesen, diese Chance zu nützen, aber das machte nichts. Er allein genügte völlig. Er brauchte die anderen nicht.
Aber dann machte seine Zufriedenheit einem Gefühl der Einsamkeit Platz. Es war schrecklich und unnatürlich, von allen anderen vereinigten Organismen getrennt zu sein, selbst ein Lebensfragment zu sein. Wie konnten es diese Fremden ertragen, Fragmente zu sein?
Seine Sympathie für die Fremden wuchs. Nachdem er die Fragmentation am eigenen Leib erfahren hatte, konnte er, wenn auch aus einer gewissen Distanz, die grauenvolle Isolierung fühlen, die sie so ängstigte. Die Furcht, geboren aus der Isolierung, bestimmte all ihre Handlungen. Was sonst könnte sie veranlaßt haben, eine Fläche von einer Meile Durchmesser in die Luft zu sprengen, in trübrote Hitze zu versenken? Alles Leben war bei dieser Explosion vernichtet worden, selbst, wenn es zehn Fuß tief unter dem Boden gesteckt hatte.
Er schaltete den Empfang ein und lauschte eifrig, ließ sich von den fremden Gedanken durchfluten. Er genoß die lebendige Berührung, die sein Bewußtsein streifte. Aber er würde sich diesen Genuß einteilen müssen. Er durfte sich nicht vergessen. Doch es konnte nicht schaden, diese Gedanken zu fühlen. Manche der Lebensfragmente auf dem Schiff dachten ziemlich klar, wenn man bedachte, daß sie primitive, unvollkommene Kreaturen waren. Ihre Gedanken schienen ihm wie klare Glocken.
»Ich habe das Gefühl, als ob ich verseucht wäre«, sagte Roger Oldenn. »Ich wasche dauernd meine Hände, und es nützt nichts.«
Jerry Thorn haßte es, wenn jemand dramatisch wurde, und er blickte nicht auf. Sie manövrierten in der Stratosphäre des Planeten Saybrook, und er zog es vor, das Zifferblatt der Schalttafel zu beobachten.
»Es besteht keine Ursache, sich verseucht zu fühlen«, sagte er. »Es ist nichts passiert.«
»Ich hoffe es«, erwiderte Oldenn. »Die Raumanzüge der Männer sind alle desinfiziert worden, und sie mußten ein Radiationsbad nehmen. Ich nehme also an, daß nichts passiert ist.«
»Warum sind Sie dann so nervös?«
»Ich weiß es nicht. Ich wünschte, die Sperre hätte standgehalten.«
»Das war ein Zufall.«
»Ich bezweifle es«, sagte Oldenn heftig. »Ich war dabei, als es passierte. Es war meine Schicht, wie Sie wissen. Es bestand kein Grund, die Hochspannungsleitung zu überladen.«
»Die Leute sind eben dumm.«
»Aber nicht so dumm. Ich war dabei, als der Alte seine Untersuchung durchführte. Keiner konnte eine vernünftige Entschuldigung angeben. Die gepanzerte Leitung von zweitausend Watt ist an die Sperre angeschlossen worden. Eine Woche lang sind sie mit der Aushilfsleitung ausgekommen. Warum diesmal nicht? Das kann kein Mensch sagen.«
»Können Sie es?«
Oldenn errötete.
»Nein. Ich habe mich nur gefragt, ob diese Männer ...« Er suchte nach Worten »... ob sie vielleicht hypnotisiert waren. Von irgendeiner außenstehenden Kraft.«
Thorn hob die Augen, und sein Blick begegnete dem des anderen.
»An Ihrer Stelle würde ich davon zu niemandem sprechen. Die Sperre war nur zwei Minuten lang offen. Wenn irgend jemand passiert wäre, wenn nur ein Grashalm hereingedrungen wäre, hätte sich das in unseren Bakterienkulturen innerhalb von einer halben Stunde gezeigt, und in Teufelsfliegenkolonien in wenigen Tagen. Bevor es uns befallen könnte, würde es sich in den Hasen, Hamstern und Ziegen feststellen lassen. Schlagen Sie sich das nur aus dem Kopf, Oldenn. Es ist nichts passiert.«
Oldenn drehte sich auf den Absätzen um und ging. Er näherte sich bis auf zwei Fuß dem Gegenstand, der in der Ecke des Raumes lag, ohne ihn zu bemerken.
Er unterbrach den Kontakt und beschloß, die Eindrücke zu vergessen. Diese Lebensfragmente waren nicht wichtig. Sie waren nicht fähig, das Leben fortzusetzen. Sogar als Fragmente waren sie unvollständig.
Aber bei diesen anderen Arten von Fragmenten mußte er vorsichtig sein. Die Versuchung würde zwar groß sein, aber er durfte seine Anwesenheit auf dem Schiff nicht verraten, nicht, bevor sie auf ihrem Heimatplaneten gelandet waren.
Er schaltete den Empfang wieder ein, suchte sich Gedankenvermittler in anderen Teilen des Schiffes und wunderte sich über die verschiedenen Spielarten des Lebens. Jedes Wesen, so klein es auch sein mochte, lebte aus sich selbst heraus. Er zwang sich, darüber nachzudenken, aber bald wurden ihm diese Gedanken unangenehm, und er sehnte sich nach Normalität.
Die meisten Gedanken, die er von den kleineren Fragmenten empfing, waren erwartungsgemäß vage und flüchtig. Sie waren sinnlos, aber das bedeutete, daß sie ergänzt werden mußten. Und gerade das interessierte ihn.
Da hockte ein Lebensfragment auf seinen Schenkeln und fingerte an dem Drahtnetz herum, das es gefangenhielt. Seine Gedanken waren klar, aber begrenzt. Hauptsächlich beschäftigten sie sich mit der gelben Frucht, die sein Gefährte gerade verspeiste. Und das Fragment wünschte sich diese Frucht so sehnlich, daß nur die Netze, die die beiden trennten, es daran hindern konnten, sich das begehrte Objekt mit Gewalt zu holen.
Zutiefst verwirrt schaltete er den Empfang aus. Diese Fragmente stritten sich um das Essen!
Seine Gedanken schweiften in die Friedlichkeit und in die Harmonie seiner Heimat zurück, aber davon war er jetzt weit entfernt. Er konnte nur in das Nichts fliehen, das ihn von seinem gesunden Verstand trennte.
In diesem Augenblick sehnte er sich sogar danach, die tödliche Zone zwischen der Sperre und dem Schiff zu spüren. Letzte Nacht hatte er sie durchschritten. Alles Leben war verschwunden, aber es war sein Heimatboden gewesen. Und er hatte das angenehme Gefühl verspürt, daß sich jenseits der Sperre immer noch ein Rest von organisiertem Leben befand.
Er konnte sich an den Augenblick erinnern, da er auf der Tragfläche des Schiffes gekauert und sich verzweifelt gegen den Sog gewehrt hatte, als die Schleusen sich öffneten. Dann war er in das Schiff gekrochen, hatte sich vorsichtig zwischen schnellen Füßen hindurchbewegt. Jetzt lag er hier, selbst ein Lebensfragment, träge und unbemerkt.
Vorsichtig schaltete er den Empfang wieder ein. Das kauernde Fragment zerrte wütend an dem Drahtnetz. Immer noch wollte es das Futter des anderen haben, obwohl es weniger hungrig war als sein Kamerad.
»Füttern Sie das verdammte Ding nicht«, sagte Larsen. »Sie ist nicht hungrig. Sie ist nur wütend, weil Tillie zu fressen wagte, bevor sie selbst sich vollgestopft hatte. Dieser gierige Affe! Ich wollte, wir wären zu Hause, und ich müßte keines von diesen Biestern mehr sehen.«
Stirnrunzelnd blickte er die alte Schimpansin an.
»Okay, okay«, sagte Rizzo. »Was haben wir hier noch verloren? Die Fütterungszeit ist vorbei. Gehen wir.«
Sie gingen an den Gehegen der Ziegen, den Hasenställen und den Hamsterkäfigen vorbei.
»Da meldet man sich freiwillig zu einer Forschungsexpedition«, sagte Larsen bitter. »Man ist ein Held, sie schwingen große Reden, bevor sie einen auf die Reise schicken, und dann ist man nichts anderes als ein Zoowärter.«
»Dafür erhalten wir auch den doppelten Lohn.«
»Na und? Ich habe mich nicht nur des Geldes wegen verpflichtet. In der Einsatzbesprechung sagten sie, daß es sogar fraglich sei, ob wir jemals wieder zurückkehren würden, ob wir nicht dasselbe Schicksal wie Saybrook erleiden müßten. Ich habe unterzeichnet, weil ich irgend etwas Wichtiges tun wollte.«
»Ein todesmutiger Held.«
»Jedenfalls bin ich kein Tierwärter.«
Rizzo blieb stehen, öffnete einen Hamsterkäfig, nahm das Tier heraus und streichelte es.
»Ist Ihnen eigentlich nie der Gedanke gekommen, daß vielleicht einer dieser Hamster ein hübsches kleines Hamsterbaby in sich trägt?«
»Sehr schlau! Wir untersuchen sie jeden Tag.«
»Sicher, sicher.« Das kleine Wesen rieb seine Nase an Rizzos Hand. »Aber nehmen wir einmal an, Sie kommen eines Morgens hier herunter und finden sie. Niedliche kleine Hamster, die aus sanften grünen Flecken zu Ihnen aufblicken. Grüne Flecken im Pelz, dort, wo die Augen sein sollten.«
»Halten Sie den Mund!« schrie Larsen.
»Kleine, sanfte grüne Flecken im glänzenden Fell«, sagte Rizzo, und er fühlte plötzlichen Ekel in sich aufsteigen, als er den Hamster in den Käfig retournierte. Wieder stellte er den Empfang ein und wählte einen anderen Fokus. Auf seinem Heimatplaneten gab es kein Lebensfragment, das nicht ein ungefähres Gegenstück an Bord dieses Schiffes hatte.
Da gab es bewegliche Läufer in mehreren Gestalten, bewegliche Schwimmer und bewegliche Flieger. Manche der fliegenden Wesen waren ziemlich groß und hatten wahrnehmbare Gedanken. Andere waren kleine Kreaturen mit gazeartigen Flügeln. Sie übermittelten nur unvollkommene Gefühlsmuster und besaßen keinerlei Intelligenz.
Dann gab es noch unbewegliche Wesen, die wie die unbe-weglichen Wesen daheim grün waren und in der Luft, im Wasser und auf dem Boden lebten. Sie hatten überhaupt keinen Geist und waren sich nur dumpf des Lichts, der Feuchtigkeit und der Schwere bewußt.
Und jedes Fragment, beweglich oder nicht, wurde zum Gespött des Lebens.
Aber jetzt noch nicht. Noch nicht ...
Schon einmal waren diese Lebensfragmente gekommen, und die anderen daheim hatten versucht, ihnen zu helfen - aber zu schnell. Es hatte nicht funktioniert. Man mußte sich diesmal mehr Zeit lassen.
Wenn diese Fragmente ihn nur nicht entdeckten!
Bis jetzt hatten sie ihn nicht bemerkt. Immer noch lag er in der Ecke der Pilotenkanzel. Vorhin hatte er sich noch nicht bewegen können. Irgend jemand hätte ihn entdecken können, hätte das steife, wurmförmige Ding gesehen, das nicht ganz sechs Zoll lang war. Erst hätte man ihn verwundert angestarrt, dann erschrocken aufgeschrien, und dann wäre alles vorbei gewesen.
Aber jetzt hatte er sicher lange genug gewartet. Genug Zeit war nach dem Start verstrichen. Die Kontrollen waren auf Automatik gestellt, die Pilotenkanzel war leer.
Er brauchte nicht sehr lange. Bald fand er eine Ritze in dem Panzer und gelangte in die Nische, in der sich die Drähte befanden. Es waren tote Drähte.
Er benutzte seinen vorderen Körperteil als Säge und zerschnitt einen Draht, der gerade den richtigen Durchmesser hatte, in zwei Teile. Dann zerteilte er den Draht sechs Zoll weiter noch einmal. Die abgeschnittenen Teile verstaute er unsichtbar in einer Ecke. Das Äußere des Drahtes bestand aus braunem, elastischen Material, das Innere war rot glühendes Metall. Er konnte natürlich nicht selbst als Draht fungieren, aber das war auch nicht notwendig. Es genügte, daß er von einem dünnen Häutchen umgeben war, daß der Oberfläche eines Drahtes ähnelte.
Er kehrte zurück und ergriff die abgeschnittenen Teile des Drahtes. Fest umschloß er sie mit seinen kleinen Saugfüßen, und nirgends war auch nur eine Nahtstelle zu erblicken.
Jetzt konnten sie ihn nicht mehr finden. Und wenn sie ihn sahen, mußten sie ihn für ein Stück Draht halten.
Außer sie betrachteten ihn aus nächster Nähe. Dann würden sie feststellen, daß an einer gewissen Stelle dieses Drahtes zwei winzige Flecken aus grünem Fell glänzten.
»Es ist wirklich bemerkenswert«, sagte Dr. Weiss, »daß diese kleinen grünen Haare eine solche Wirkung haben.«
Captain Loring goß sorgfältig den Brandy ein. In gewissem Sinn war das eine kleine Feier. In zwei Stunden waren sie bereit zum Start in den Hyperraum, und in zwei Tagen würden sie auf der Erde eintreffen.
»Sind Sie überzeugt davon, daß dieses grüne Fell ein Sinnesorgan ist?« fragte Loring.
»So ist es«, sagte Weiss. Der Brandy bewirkte, daß er sich nur in Satzfetzen ausdrückte, aber bald fühlte er die Notwendigkeit, sich um eine etwas feierlichere Sprache zu bemühen. »Die Experimente sind unter größten Schwierigkeiten durchgeführt worden, aber sie waren sehr bezeichnend.«
Der Captain lächelte steif.
»>Unter größten Schwierigkeiten ist doch nur eine Redensart. Ich hätte nie so viel gewagt wie Sie.«
»Unsinn. Alle Männer, die sich an Bord dieses Schiffes befinden, sind Helden, großartige, mutige Männer, die sich freiwillig in Gefahr begeben haben. Sie haben viel riskiert.«
»Aber Sie haben als erster die Sperre durchschritten.«
»Das war kein besonderes Risiko«, erwiderte Weiss. »Ich verbrannte den Boden vor mir, während ich ging, gar nicht zu reden von der fahrbaren Barriere, die mich umgab. Unsinn, Captain. Wir alle werden unsere Medaillen erhalten, wenn wir zurückkehren. Wir wollen sie nehmen, ohne den Versuch einer Wertung zu unternehmen. Außer man berücksichtigt, daß ich ein Mann bin.«
»Aber sie sind voll von Bakterien, bis hier.« Der Captain durchschnitt mit einer schnellen Handbewegung die Luft. »Das macht sie genauso verletzlich wie eine Frau.«
»Wir sollten den Planeten unter Quarantäne stellen.«
»Das erscheint mir nicht drastisch genug«, sagte der Captain. »Es kann immer wieder jemand zufällig dort landen, der weder über Saybrooks Einsicht noch über seinen Charakter verfügt. Nehmen wir einmal an, er sprengt sein Schiff nicht in die Luft, wie Saybrook es tat. Nehmen wir an, er kehrt zu irgendwelchen bewohnten Plätzen zurück.« Der Captain wurde ernst. »Glauben Sie, daß sie jemals aus eigenen Stücken eine interstellare Raumfahrt entwickeln?«
»Das bezweifle ich. Natürlich kann man es nicht mit Sicherheit sagen. Sie haben eine völlig andere Orientierung. Ihre Lebensorganisation macht den Gebrauch von Werkzeugen unnötig. Soweit wir in Erfahrung bringen konnten, existiert nicht einmal eine Steinaxt auf diesem Planeten.«
»Ich hoffe, Sie haben recht. Oh, da ist noch etwas, Weiss. Könnten Sie ein paar Minuten für Drake opfern?«
»Sie meinen diesen Burschen von Galactic Press?«
»Ja. Sobald wir zurückkehren, wird die Geschichte vom Say-brook-Planeten an die Öffentlichkeit dringen. Und ich halte es für unklug, wenn man die Sache allzu sensationell aufbauscht. Deshalb sagte ich Drake, er soll Sie bezüglich der Story zu Rate ziehen. Sie sind Biologe und besitzen genug Autorität, um mit ihm fertig zu werden. Würden Sie mir den Gefallen tun?«
»Mit Vergnügen.«
Er war des Schiffes überdrüssig. Vor einer kleinen Weile war er noch sonderbar erregt gewesen, als wäre sein Innerstes nach außen gekehrt. Es war alarmierend gewesen, und er hatte Kontakt mit den scharfen Denkern gesucht, um eine Erklärung zu finden. Offensichtlich glitt das Schiff durch weite Strecken leeren Raumes und durchschnitt etwas, das sie »Hyperraum« nannten. Die scharfen Denker waren ziemlich klug.
Und trotzdem - er war des Schiffes überdrüssig. Es war ein so sinnloses Phänomen. Der Körper dieser klugen Lebensfragmente war zwar sehr kunstvoll konstruiert, und doch lag gerade darin ihr Unglück. Indem sie die unbeseelte Kreatur zu beherrschen suchten, bemühten sie sich, etwas zu finden, das sie in sich selbst nicht finden konnten. In ihrer unbewußten Sehnsucht nach Vollständigkeit bauten sie Maschinen, durchstreiften den Raum und suchten und suchten .
Er wußte, daß diese Kreaturen niemals das finden konnten, wonach sie suchten. Bis er es ihnen geben würde. Bei diesem Gedanken zitterte er ein wenig.
In ihrer Unwissenheit würden sie sogar dagegen kämpfen. Das Schiff, das vor diesem angekommen war, hatte viele der scharfen Denker an Bord gehabt. Es hatte zwei Arten gegeben: Lebenserzeuger und Sterile. (Auf diesem Schiff war es ganz anders. Hier waren die scharfen Denker alle steril, während die verschwommenen Denker und die Nichtdenker durchweg Lebenserzeuger waren. Es war sehr seltsam.)
Wie freudig war jenes erste Schiff auf dem ganzen Planeten willkommen geheißen worden! Er konnte sich noch an den ersten Schock erinnern, als man gemerkt hatte, daß die Besucher Fragmente und keine vollständigen Wesen waren. Doch dann war der Schock tiefem Mitleid gewichen, und das Mitleid hatte sie zur Tat schreiten lassen. Es war nicht sicher, ob die Fremden sich der Gemeinschaft anpassen würden, aber die Bewohner des Planeten hatten nicht gezögert. Alles Leben war heilig, und irgendeinen Raum würde man für die Gäste schon schaffen können - für alle, von den großen, scharfen Denkern bis zu den kleinen Wesen, die im Dunkel lebten.
John Drake hätte es niemals zugegeben, aber er war sehr stolz auf seine Fingerfertigkeit auf dem Phototyper. Er besaß ein Reisemodell, eine sechs mal acht Zoll große, dunkle Plastikplatte, die an jedem Ende mit zylindrisch geformten Griffen versehen war, die die dünne Papierrolle hielten. Er transportierte sie in einer braunen Ledertasche, die mit einer gürtelartigen Vorrichtung ausgerüstet war. So konnte er sich die Tasche um die Hüften schnüren. Das ganze Ding wog weniger als ein Pfund.
Drake konnte mit jeder Hand darauf arbeiten. Schnell und leicht flogen seine Finger über die Platte, plazierten den hellen Druck exakt auf die schwarze Fläche. Er schrieb lautlos.
Nachdenklich las er den Anfang seiner Story, dann blickte er zu Dr. Weiss auf.
»Was halten Sie davon, Doc?«
»Es fängt gut an.«
Drake nickte.
»Ich dachte, ich beginne am besten mit Saybrook. Seine Geschichte wurde daheim noch nicht veröffentlicht. Ich wünschte, ich könnte Saybrooks Originalbericht lesen. Wie konnte er übrigens diesen Bericht übermitteln?«
»Soviel ich weiß, hat er ihn während der letzten Nacht durch den Sub-Äther gefunkt. Als er damit fertig war, stellte er die Motoren an, und eine Sekunde später war das Schiff eine dünne Wolke von Millionen Teilchen. Er selbst und die gesamte Mannschaft lösten sich in Nichts auf.«
»Was für ein Mann! Und Sie waren von Anfang an ein Mitglied dieses Forschungsteams?«
»Nicht von Anfang an«, sagte Weiss sanft. »Erst nach Erhalt des Berichts von Saybrook.«
Er konnte nicht verhindern, daß seine Gedanken in die Vergangenheit schweiften. Er hatte diesen Bericht gelesen, hatte erkannt, wie wundervoll der Planet allen erschienen sein mußte, als Saybrooks Kolonisationsexpedition zum erstenmal auf ihm gelandet war. Er war nahezu ein Duplikat der Erde, besaß ein reiches Pflanzenleben und eine rein vegetarische Tierwelt.
Nur diese kleinen Flecken von grünem Fell (wie oft hatte er diese Worte schon benutzt, hatte sie gedacht oder ausgesprochen!) waren seltsam. Kein lebendes Individuum auf diesem Planeten besaß Augen. Statt dessen hatten sie dieses sonderbare Fell. Sogar die Pflanzen, alle Blätter, alle Blüten hatten zwei grüne Flecken.
Dann hatte Saybrook verwundert und verwirrt festgestellt, daß es auf diesem Planeten keinen Kampf um die Nahrung gab. An allen Pflanzen wuchsen Anhängsel, die von den Tieren gefressen wurden. In wenigen Stunden wuchsen diese Anhängsel wieder nach. Die anderen Teile der Pflanzen blieben unberührt, als würden die Pflanzen den Gesetzen einer natürlichen Ordnung folgend die Tiere füttern. Und die Pflanzen selbst wuchsen keineswegs in schwelgerischem Überfluß. Es schien fast, als wären sie kultiviert worden, so geordnet verteilten sie sich auf dem Boden.
Wieviel Zeit hatte Saybrook wohl, um die seltsame Ordnung auf diesem Planeten zu studieren? Zum Beispiel die Tatsache, daß die Insekten sich stets in einer vernünftigen Anzahl hielten, obwohl die Vögel sie nicht fraßen, daß es nicht überall von Nagetieren wimmelte, obwohl keine Fleischfresser existierten, die sie dezimierten.
Und dann war die Sache mit den weißen Ratten passiert.
Das brachte Weiss wieder in die Gegenwart zurück.
»Da wäre eine Korrektur vorzunehmen, Drake«, sagte er. »Es fing nicht mit den Hamstern an, sondern mit weißen Ratten.«
»Weiße Ratten«, sagte Drake und fügte die Korrektur in seine Aufzeichnungen ein.
»Jedes Kolonisationsschiff nimmt einige weiße Ratten mit, damit die fremde Nahrung getestet werden kann. Ratten ähneln den Menschen sehr, vom Standpunkt der Ernährungsart aus gesehen. Natürlich hat man nur weibliche Ratten mitgenommen.«
Natürlich. Wenn man nur ein Geschlecht mit sich führt, besteht nicht die Gefahr einer unkontrollierbaren Vermehrung, falls man auf dem Planeten günstige Bedingungen vorfinden sollte. Man muß nur an die Hasen in Australien denken.
»Warum nimmt man keine Männchen?« fragte Drake.
»Weibchen sind unempfindlicher«, sagte Weiss, »und das war ein Glück für uns, als wir plötzlich feststellten, daß die Ratten trächtig waren.«
»Richtig. Und deshalb möchte ich auch mit Ihnen sprechen. Ich möchte in dieser Angelegenheil einiges klarstellen. Zu meiner eigenen Information, Doc, wie hat Saybrook herausgefunden, daß die Tiere trächtig waren?«
»Natürlich durch Zufall. Als man einige Ratten sezierte, um ernährungswissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen, entdeckte man ihren Zustand. Man sezierte noch mehr Ratten, mit demselben Ergebnis. Schließlich brachten die lebenden ihre Jungen zur Welt, und kein einziges Männchen war dabei.«
»Und der springende Punkt ist, daß alle jungen Ratten kleine grüne Fellflecken anstelle der Augen hatten.«
»Das stimmt. Saybrook sagte es, und wir können es nur bestätigen. Nach den Ratten wurde die Lieblingskatze von einem der Kinder trächtig. Als sie ihre Jungen warf, hatten die Kätzchen keine geschlossenen Augen, sondern kleine grüne Flecken aus Fell. Und es war kein Kater dabei.
Schließlich begann Saybrook damit, Versuche mit Frauen anzustellen. Er sagte ihnen aber nicht, was diese Versuche bezweckten. Er wollte ihnen keine Angst einjagen. Jede einzelne der Frauen befand sich bald in den ersten Stadien der Schwangerschaft, außer denjenigen natürlich, die schon vor dem Start des Schiffes schwanger gewesen waren. Saybrook wartete nicht, bis eines der Kinder geboren wurde. Er wußte, daß sie keine Augen haben würden, sondern kleine Flecken aus grünem Fell.
Da Saybrook sehr gewissenhaft war, legte er sogar Bakterienkulturen an, und er entdeckte an jedem Bazillus mikroskopisch kleine grüne Punkte.«
»Das geht weit über die Information hinaus, die ich bisher erhalten habe«, sagte Drake eifrig. »Aber wenn man einmal annimmt, daß auf dem Saybrook-Planeten das Leben aus einem organisierten, vereinigten Ganzen besteht, wie funktioniert es?«
»Wie? Wie sind denn die Zellen in Ihrem Körper organisiert? Wenn Sie Ihrem Körper irgendeine Zelle entnehmen, sogar eine Gehirnzelle, ist sie ein Nichts. Ein kleiner Protoplasmaklumpen, genauso unfähig, irgendeine menschliche Eigenschaft zu entwickeln, wie eine Amöbe. Sie kann nicht einmal allein existieren. Aber wenn man die Zellen vereint, kommt ein Wesen zustande, das ein Raumschiff erfinden oder eine Sinfonie komponieren kann.«
»Verstehe«, sagte Drake.
»Alles Leben auf Saybrooks Planeten ist ein einziger Organismus«, fuhr Weiss fort. »In gewisser Hinsicht ist auch das Leben auf der Erde ein einziger Organismus, aber die Bedingung heißt Kampf.
Die Bakterien fixieren Stickstoff, die Pflanzen Kohlenstoff. Die Tiere fressen Pflanzen und andere Tiere. Ein Kreislauf entsteht. Ein jeder frißt, soviel er kann, und wird selbst gefressen.
Auf dem Saybrook-Planeten hat jeder Organismus seinen Platz, so wie jede Zelle in unserem Körper. Die Bakterien und die Pflanzen erzeugen Nahrung, deren Überschuß von den Tieren gefressen wird. Als Gegenleistung verhindern die Tiere eine Verschwendung der Kohlendioxyde und des Stickstoffs. Nicht mehr oder weniger wird hergestellt, als gebraucht wird. Dieses Lebensschema ändert sich auf kluge Weise je nach den lokalen Gegebenheiten. Keine Lebensgruppe produziert Men-gen, die nicht verwendet werden können, genauso, wie der menschliche Körper aufhört, Zellen zu produzieren, wenn sie keinen Zweck mehr erfüllen können. Wenn die Zellen nicht aufhören, neue zu produzieren, entsteht Krebs. Und genau das ist unser Leben auf der Erde, verglichen mit der Lebensorganisation auf dem Saybrook-Planeten: ein einziger riesiger Krebs. Jede Spezies, jedes Individuum, alle tun ihr Möglichstes, um auf Kosten der anderen zu gedeihen.«
»Sie scheinen vom Saybrook-Planeten ja ganz begeistert zu sein, Doc.«
»In gewissem Sinn bin ich das auch. Das Leben ist dort sehr sinnvoll eingerichtet. Und man kann diesen Sinn auf unser Leben übertragen. Angenommen, eine Zelle Ihres Körpers würde sich der Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers bewußt und vergliche sie mit der Leistungsfähigkeit einer einzelnen Zelle. Angenommen, sie könnte feststellen, daß die Leistung nur das Resultat einer Vereinigung von Zellen ist, eines großen Ganzen. Und dann nehmen wir einmal an, sie würde sich der Existenz der freilebenden Zellen bewußt, die nur ganz einfach leben und sonst keinerlei Funktion besitzen. Sie würde den starken Wunsch verspüren, diese armen Zellen in die Gesamtorganisation einzufügen. Sie würde Mitleid fühlen, vielleicht eine Art von Missionsgeist. Das Wesen auf dem Saybrook-Planeten - wir benutzen in diesem Fall lieber die Einzahl - fühlt vielleicht genau dasselbe.«
»Und sie regeln das mit Hilfe jungfräulicher Geburten, eh, Doc?«
»Das ist nichts Neues. Seit Jahrhunderten schon können wir die Eier von Seeigeln, Bienen, Fröschen und so weiter entwik-keln, ohne daß vorher eine männliche Befruchtung stattgefunden hätte. Manchmal genügte eine kleine Injektion, manchmal mußte man die Tiere nur in die richtige Salzlösung legen. Das Leben auf dem Saybrook-Planeten wird befruchtet durch die kontrollierte Nutzung von Strahlenenergien. Deshalb kann eine
Energiesperre die Befruchtung stoppen oder beeinträchtigen.
Sie können mehr tun, als ein unbefruchtetes Ei zu teilen oder zu entwickeln. Sie können die Nukleoproteide mit ihren eigenen Charakterzügen versehen, so daß die Jungen mit den kleinen Flecken aus grünem Fell geboren werden. Diese Flecken sind die Sinnesorgane des Planeten und bewirken die Kontaktaufnahme. Die Jungen sind also keine Individuen, sondern Teile des einen großen Lebens auf diesem Planeten. Und dieses eine Leben kann jede Spezies befruchten, Pflanzen, Tiere, Mikroben.«
»Unsinn«, murmelte Drake.
»Keineswegs«, sagte Weiss scharf. »Da liegt sogar ein gigantischer Sinn darin. In einiger Zeit wird eine einzige Bakterie vom Saybrook-Planeten die ganze Erde in einen einzigen Organismus verwandeln können. Das wurde bereits experimentell erwiesen.«
»Wissen Sie, daß ich bald Millionär sein werde?« fragte Drake. »Können Sie ein Geheimnis bewahren, Doc?«
Weiss nickte verwirrt.
»Ich habe ein Souvenir vom Saybrook-Planeten mitgebracht«, sagte Drake grinsend. »Es ist nur ein Kieselstein, aber angesichts der Publicity, die dieser Planet bald haben wird, und angesichts der Quarantäne, unter die man ihn stellen wird, wird dieser Kieselstein für die Menschheit enorm wichtig sein. Was glauben Sie, wie teuer werde ich ihn verkaufen können?«
Weiss starrte ihn an.
»Ein Kieselstein?« Hastig griff er nach dem harten, grauen, eiförmigen Gegenstand, den Drake ihm zeigte. »Das hätten Sie nicht tun dürfen, Drake. Das war gegen die Vorschriften.«
»Ich weiß. Deshalb fragte ich Sie ja auch, ob Sie ein Geheimnis bewahren können. Wenn Sie ein Beglaubigungsschreiben unterzeichnen, daß dieser Kieselstein ... Was ist los, Doc?«
Aber Weiss war unfähig, eine Antwort zu geben. Zähneklap-pernd zeigte er auf den Kiesel. Drake beugte sich vor und starrte den kleinen grauen Stein an. Er sah genauso aus wie zuvor .
Er war verstört. Irgendeine Gefahr schwebte über dem Schiff. Mißtrauen herrschte, man ahnte seine Anwesenheit an Bord. Wie konnte das sein? Er hatte bis jetzt noch nichts unternommen. War irgendein anderes Fragment von daheim ebenfalls auf das Schiff gekommen und weniger vorsichtig gewesen? Das war ohne sein Wissen unmöglich, und obwohl er das Schiff sorgfältig durchsuchte, konnte er nichts finden.
Dann verminderte sich das Mißtrauen, aber es erstarb nicht völlig. Einer der scharfen Denker befaßte sich nach wie vor mit dem Problem, und bald würde er die Wahrheit herausfinden.
Wie lange dauerte es noch bis zu Landung? Sollte eine ganze Welt von Lebensfragmenten von der Vollständigkeit ausgeschlossen sein? Er verkroch sich tiefer in den Drähten, fürchtete sich vor der Entdeckung, fürchtete für seine altruistische Mission.
Dr. Weiss hatte sich in seinem Raum eingeschlossen. Sie befanden sich bereits im Sonnensystem, und in drei Stunden würden sie landen. Er mußte nachdenken. Er hatte drei Stunden Zeit, um seine Entscheidung zu treffen.
Drakes teuflischer Kieselstein war ein Teil des organisierten Lebens auf dem Saybrook-Planeten gewesen, aber jetzt mußte er natürlich tot sein. Er war tot, als er ihn zum erstenmal gesehen hatte, und wenn er es da noch nicht gewesen war, so war er ganz sicher tot, nachdem sie ihn in den hyper-atomaren Motor gesteckt und ihn der Stärkstmöglichen Hitze ausgesetzt hatten. In den Bakterienkulturen, die Weiss ängstlich untersucht hatte, war keine Veränderung vor sich gegangen.
Aber das war es nicht, was Weiss Sorgen bereitete.
Drake hatte den Kiesel in den letzten Stunden des Aufenthalts auf dem Saybrook-Planeten aufgehoben - nach dem
Zusammenbruch der Sperre. Und wenn dieser Zusammenbruch das Resultat eines langsamen, unerbittlichen geistigen Einflusses war, den dieses Ding auf dem Planeten ausübte? Wenn Teile seines Seins nur darauf gewartet hatten, in das Schiff einzudringen, als die Sperre schwankte? Wenn dieser Kiesel sich nicht schnell genug bewegt und nur die Sperre passiert hatte. Nachdem diese wieder errichtet worden war, würde sie ihn getötet haben. Er hatte dagelegen, bis Drake ihn fand und einsteckte.
Es war ein Kiesel, also keine natürliche Lebensform. Aber war er nicht doch irgendeine Art von Leben? Vielleicht war er eine wohlüberlegte Produktion des einen Organismus auf dem Planeten, eine Kreatur, die so entworfen worden war, daß sie wie ein Kieselstein aussah, ein harmloser, unverdächtiger Kieselstein. Mit anderen Worten - eine Tarnung, eine schlaue, beängstigend erfolgreiche Tarnung.
Hatte vorher bereits eine andere getarnte Kreatur erfolgreich die Sperre überschritten, bevor sie wieder errichtet worden war, in einer Gestalt, die der gedankenlesende Organismus des Planeten dem Denken der Menschen an Bord des Schiffes entnommen hatte? Sah die Kreatur vielleicht zufällig wie ein Briefbeschwerer aus? Oder wie ein verzierter Messingnagelknopf im altmodischen Stuhl des Captains? Und wie konnte man die Kreatur finden? Sollte man das ganze Schiff nach den verräterischen grünen Flecken durchsuchen - sogar die Mikroben?
Und warum tarnte die Kreatur sich? Wollte sie eine Zeitlang unentdeckt bleiben? Warum? Wollte sie warten, bis das Schiff auf der Erde gelandet war?
Eine Infektion nach der Landung konnte nicht geheilt werden, indem man das ganze Schiff in die Luft sprengte. Die Bakterien, der Humusboden, die Protozoen würden zuerst befallen werden. Und innerhalb eines Jahres würde das nichtmenschliche Sein in unzähligen Billionen auf der Erde eintreffen.
Weiss schloß die Augen und versuchte sich einzureden, daß es nicht so schlimm sein würde. Es würde keine Krankheiten mehr geben, denn die Bakterien würden sich nicht mehr unbegrenzt vermehren, sondern sich mit einem angemessenen Anteil am Leben zufriedengeben. Es würde keine Übervölkerung mehr geben. Die Menschheit würde sich dem Nahrungspotential anpassen. Es würde keine Kriege mehr geben, keine Verbrechen, keine Habgier.
Aber es würde auch keine Individualität mehr geben.
Die Menschheit würde in absolute Sicherheit eingebettet sein, ein Rad in einer riesigen biologischen Maschine. Der Mensch wurde zum Bruder des Bazillus, der Leberzelle.
Er stand auf. Er mußte mit Captain Loring sprechen. Sie würden ihren Bericht zur Erde durchgeben und das Schiff in Atome zersprengen, genau wie Saybrook.
Dann setzte Weiss sich wieder. Saybrook hatte Beweise gehabt, während er nur über die Mutmaßungen eines geängstigten Verstands verfügte, aufgerüttelt durch den Anblick zweier grüner Punkte auf einem Kieselstein. Konnte er zweihundert Menschen töten, auf einen vagen Verdacht hin?
Er mußte nachdenken.
Er war sehr erregt. Warum sollte er warten? Wenn er doch nur die willkommen heißen könnte, die jetzt an Bord waren. Jetzt!
Aber sein kühl denkender, vernünftiger Teil sagte ihm, daß er das nicht tun konnte. Die kleinen Bakterien würden ihren neuen Status in höchstens fünf Minuten verraten, und die scharfen Denker beobachteten sie ständig. Sogar wenn sie nur noch eine Meile von der Oberfläche ihres Planeten entfernt waren, würde es noch zu früh sein. Dann konnten sie sich mit ihrem Schiff immer noch selbst vernichten.
Er wartete besser, bis die Hauptschleusen sich öffneten, bis die kleinen Bakterien in der Erdenluft heranwirbelten. Dann konnte er jede einzelne von ihnen begrüßen, sie in die Brüder-schaft des vereinten Lebens aufnehmen und sie vorausschik-ken, damit sie die Botschaft verbreiteten.
Dann war das Werk vollbracht! Eine andere Welt war vollständig organisiert!
Er wartete. Dumpf pochten die Motoren, als das Schiff sich langsam zur Erde senkte. Bald wird ein Ruck durch die Riesenmaschine gehen, wenn sie auf der Erdoberfläche landet, und dann ...
Er schaltete den Empfang ein und hörte den Jubel der scharfen Denker, und seine eigenen jubelnden Gedanken antworteten ihnen. Bald würden sie imstande sein, seine Gedanken genauso zu empfangen, wie er die ihren. Vielleicht nicht gerade diese Fragmente, aber die anderen, die aus dem neuen Sein erwachsen würden.
Bald mußten sich die Hauptschleusen öffnen .
Und alles Denken verlöschte.
Verdammt, dachte Jerry Thorn, irgend etwas ist schiefgelaufen.
»Tut mir leid«, sagte er zu Captain Loring. »Eine Betriebsstörung. Die Schleusen öffnen sich nicht.«
»Sind Sie sicher, Thorn? Die Lichter sind an.«
»Ja, Sir. Wir sehen mal nach.«
Er trat neben Roger Oldenn, der neben der Leitungsnetz-Box stand.
»Was ist denn nicht in Ordnung?«
»Augenblick mal«, sagte Oldenn. Er untersuchte die Drähte. »Verdammt, da ist ein sechs Zoll breiter Riß in der Zwanzig-Ampere-Leitung.«
»Was? Das gibt es doch nicht.«
Oldenn hielt die zerschnittenen Drähte hoch, mit ihren scharf und sauber abgesägten Enden.
Dr. Weiss trat hinzu. Er sah müde aus, und sein Atem roch nach Brandy.
»Was ist los?« fragte er mit zitternder Stimme.
Sie sagten es ihm. In einer Ecke des Faches fanden sie den fehlenden Teil des Drahtes.
Weiss beugte sich darüber. Ein schwarzes Etwas lag auf dem Boden des Faches. Er berührte es mit einem Finger, und es hinterließ einen rußigen Fleck auf seiner Haut. Geistesabwesend wischte er ihn weg.
Irgend etwas mußte die Stelle des fehlenden Drahtstücks eingenommen haben. Irgend etwas Lebendes, das nur wie ein Stück Draht aussah, irgend etwas, das in der großen Hitze verkohlen würde, wenn man den elektrischen Stromkreis wieder geschlossen hatte.
»Wie steht es mit den Bakterien?« fragte er.
Einer der Männer ging nachsehen, kam zurück und sagte: »Alles in Ordnung, Doc.«
Mittlerweile hatte man die Drähte wieder verbunden, die Schleusen öffneten sich, und dann trat Dr. Weiss wieder hinaus in die anarchistische Erdenwelt.
»Anarchistisch«, sagte er mit triumphierendem Lächeln. »Und so wird es auch bleiben.«