KAPITEL 10
Sternenstaub

Gelegentlich spricht man darüber, etwas Großes und Offensichtliches könne genauso leicht vergessen werden wie etwas Kleines und scheinbar Unbedeutendes, wobei die großen Dinge, die man übersieht, oft Probleme bereiten.

Tristran Thorn näherte sich also der Maueröffnung vom Feenland her, zum zweitenmal seit seiner Zeugung vor achtzehn Jahren, neben sich das hinkende Sternmädchen. Ihm schwirrte der Kopf von den Düften und Klängen des Dorfes, in dem er aufgewachsen war, und ihm wurde warm ums Herz. Höflich nickte er den Wachen am Durchgang zu; er kannte beide: Der junge Mann, der untätig von einem Fuß auf den anderen trat und einen Krug Bier trank – sicher Mr. Bromios’ Premium, vermutete Tristran –, war Wystan Pippin, ein ehemaliger Schulkamerad, wenn auch nie Tristrans Freund; der andere, etwas ältere Mann, der nervös an seiner offenbar erloschenen Pfeife sog, war Tristrans früherer Arbeitgeber bei Monday und Brown, Jerome Ambrose Brown, Esquire. Die beiden Männer wandten Tristran und Yvaine den Rücken zu und starrten so resolut in Richtung Dorf, als wäre es eine Sünde, die Vorbereitungen auf der Wiese hinter ihnen auch nur eines kurzen Blickes zu würdigen.

»Guten Abend«, sagte Tristran nun ausgesucht höflich, »guten Abend, Wystan, guten Abend, Mister Brown.«

Erschrocken zuckten die beiden Männer zusammen. Wystan kippte sich sein Bier über die Jacke. Mr. Brown hob seinen Stock und richtete die Spitze nervös auf Tristrans Brust. Wystan Pippin stellte seinen Bierkrug ab, nahm seinen Knüppel zur Hand und blockierte damit die Mauerlücke.

»Bleibt, wo Ihr seid!« rief Mr. Brown und gestikulierte mit seinem Knüppel, als wäre Tristran ein wildes Tier, das ihn jeden Augenblick anspringen könnte.

»Kennt ihr mich nicht mehr?« fragte Tristran lachend. »Ich bin’s, Tristran Thorn.«

Doch Mr. Brown, der, wie Tristran wußte, der Chef der Mauerwache war, dachte gar nicht daran, seinen Stock sinken zu lassen. Er musterte Tristran von oben bis unten, von seinen abgelaufenen Stiefeln bis zu den ungebärdigen Haaren. Dann starrte er in Tristrans sonnengebräuntes Gesicht und meinte unbeeindruckt: »Selbst wenn Ihr dieser Taugenichts Thorn sein solltet«, sagte er, »sehe ich noch lange keinen Grund, Euch durchzulassen. Immerhin sind wir Mauerwächter.«

Tristran blinzelte. »Ich war auch Mauerwächter«, wandte er ein, »und es gibt keine Regeln, Leute aus dieser Richtung nicht passieren zu lassen. Das gilt nur für die andere Richtung, vom Dorf zur Wiese.«

Langsam nickte Mr. Brown. Dann sagte er, betont geduldig, als spräche er zu einem Idioten: »Und wenn Ihr nun tatsächlich Tristran Thorn seid – nur einmal angenommen, um der Diskussion willen, obwohl Ihr ihm nicht ähnlich seht und auch nicht redet wie er –, wie viele Leute habt Ihr in der Zeit, als Ihr hier gelebt habt, von der Wiesenseite her durchgelassen?«

»Naja, soweit ich weiß, keinen«, antwortete Tristran.

Mr. Brown lächelte das gleiche Lächeln wie früher, wenn er Tristran, weil dieser fünf Minuten zu spät gekommen war, den Lohn für den ganzen Vormittag gekürzt hatte. »Genau«, sagte er. »Es gibt keine diesbezügliche Vorschrift, weil es nie geschieht. Niemand von der anderen Seite geht hier durch. Nicht, solange ich im Dienst bin jedenfalls. Also verschwindet jetzt, ehe ich eure Köpfe mit meinem Prügel bearbeite.«

Tristran verschlug es für einen Moment die Sprache. »Wenn Ihr glaubt, daß ich das alles durchgemacht habe, nur um am Schluß von einem aufgeblasenen, geizigen Krämer und einem Knaben, der in Geschichte von mir abgeschrieben hat, fortgescheucht zu werden…« setzte er an, aber Yvaine berührte leicht seinen Arm und meinte: »Tristran, laß gut sein. Du sollst dich nicht mit deinen eigenen Leuten streiten.«

Tristran schwieg. Dann wandte er sich wortlos ab, und die beiden wanderten den sanft ansteigenden Wiesenhang wieder hinauf. Rund um sie her baute ein buntes Völkchen von Kreaturen verschiedenster Art ihre Stände auf. Sie ließen ihre Fahnen flattern und schoben ihre Handkarren durch die Gegend. Und da begriff Tristran – in einer Gefühlsaufwallung, die einem Anfall von Heimweh ähnelte, aber einem, das sich zu gleichen Teilen aus Sehnsucht und Verzweiflung zusammensetzt –, daß diese Leute eigentlich sehr gut sein Volk sein könnten, denn er spürte, daß er mit ihnen mehr gemeinsam hatte als mit den blassen Einwohnern von Wall in ihren Kammgarnjacken und beschlagenen Stiefeln.

Sie blieben stehen und beobachteten eine kleine Frau, die fast so breit wie hoch war und sich alle Mühe gab, ihren Stand ordentlich aufzubauen. Unaufgefordert ging Tristran ihr zur Hand, schleppte Kisten von ihrem Karren zum Stand, kletterte auf eine hohe Leiter, um eine Fähnchenschnur von Ast zu Ast zu hängen, packte schwere Glaskaraffen und Krüge aus – alle mit einem großen, geschwärzten Korken und mit silberglänzendem Wachs verschlossen, gefüllt mit langsam waberndem, buntem Rauch – und stellte sie auf die Regale. Während er und die Marktfrau arbeiteten, setzte sich Yvaine auf einen Baumstamm in der Nähe und sang mit ihrer sanften, klaren Stimme ein Lied von den hohen Sternen für sie, und danach die bekannteren Lieder, die auch Tristran von den Leuten gehört hatte, denen sie unterwegs begegnet waren.

Als Tristran und die kleine Frau ihr Werk vollendet hatten und der Stand für den morgigen Tag vorbereitet war, mußten sie bereits die Lampen anzünden. Die Frau bestand darauf, Essen für sie zu machen; Yvaine konnte sie kaum davon überzeugen, daß sie nicht hungrig sei, aber Tristran aß alles, was ihm angeboten wurde, mit Begeisterung und trank, was eher untypisch für ihn war, fast eine ganze Karaffe süßen Kanarienwein, wobei er steif und fest behauptete, daß das Gebräu nicht stärker schmecke als frisch gepreßter Traubensaft und keinerlei Wirkung auf ihn hätte. Doch als die rundliche kleine Frau ihnen anbot, sie könnten auf der Lichtung hinter ihrem Wagen übernachten, war Tristran in Sekundenschnelle eingeschlafen.

Es war eine klare, kalte Nacht. Die Sternfrau saß neben dem schlafenden jungen Mann, der sie einst gefangengenommen hatte und nun ihr Weggefährte geworden war, und sie fragte sich, wo ihr Haß gegen ihn geblieben war. Yvaine war nicht müde.

Im Gras hinter ihr raschelte etwas. Eine dunkelhaarige Frau erschien neben ihr, und sie starrten beide auf Tristran hinunter.

»Er hat immer noch etwas von einer Haselmaus an sich«, meinte die dunkelhaarige Frau. Ihre Ohren waren spitz und ähnelten denen einer Katze; sie wirkte wenig älter als Tristran selbst. »Manchmal überlege ich, ob sie Menschen in Tiere verwandelt oder ob sie das Tier in uns erkennt und ihm die Freiheit schenkt. Vielleicht ist etwas in mir von Natur aus ein bunter Vogel. Darüber habe ich sehr viel nachgedacht, aber ich bin noch zu keinem Schluß gekommen.«

Tristran murmelte im Schlaf etwas Unverständliches und drehte sich um. Dann begann er leise zu schnarchen.

Die Frau ging um ihn herum und setzte sich schließlich neben ihn. »Sieht aus, als wäre er recht gutherzig«, sagte sie.

»Ja«, bestätigte die Sternfrau, »ich glaube, das ist er.«

»Ich sollte dich warnen«, fuhr die Frau fort, »wenn du dieses Land verläßt, um… um dorthin zu gehen…« – sie machte mit ihrem schlanken Arm, von dessen Handgelenk matt die Silberkette schimmerte, eine Geste in Richtung Wall – »… dann wirst du, soweit ich weiß, in das verwandelt, was du in jener Welt wärst: ein kaltes, totes Ding, das vom Himmel gefallen ist.«

Die Sternfrau schauderte, sagte aber nichts. Statt dessen streckte sie den Arm aus und berührte über Tristrans schlafende Gestalt hinweg die Silberkette, die Hand- und Fußgelenk der Frau umspannte und von dort im Gebüsch verschwand.

»Man gewöhnt sich daran mit der Zeit«, meinte die Frau.

»Wirklich?«

Violette Augen starrten in ihre blauen und blickten dann abrupt weg. »Nein.«

Yvaine ließ die Kette los. »Er hat mich einmal mit einer ähnlichen Kette angebunden. Dann hat er mich befreit, und ich bin weggelaufen. Aber er hat mich wieder gefunden und mich mit einer Verpflichtung an sich gebunden, die mein Volk viel stärker verpflichtet, als irgendeine Kette dies könnte.«

Eine Aprilbrise streifte über die Wiese und bewegte Büsche und Bäume mit einem langen kühlen Seufzen. Die katzenohrige Frau schüttelte die Locken aus dem Gesicht und sagte: »Aber du hast noch eine Verpflichtung aus einer früheren Zeit, oder nicht? Du besitzt etwas, was dir nicht gehört und was du dem rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben mußt.«

Die Sternfrau biß die Lippen zusammen. »Wer bist du?« fragte sie.

»Ich habe es dir doch gesagt – ich war der Vogel im Wohnwagen«, entgegnete die Frau. »Ich weiß, was du bist, und ich weiß, warum die Hexenfrau deine Anwesenheit nicht bemerkt hat. Ich weiß, wer dich sucht und warum sie dich braucht. Außerdem kenne ich die Herkunft des Topas’, den du an einer Silberkette um die Taille trägst. Da ich außerdem weiß, was du bist, ist mir auch deine Verpflichtung bekannt.« Sie beugte sich hinunter und strich Tristran sanft die Haare aus der Stirn. Er rührte sich nicht.

»Ich glaube nicht, daß ich dir glauben oder vertrauen kann«, sagte Yvaine. In einem Baum über ihnen rief ein Nachtvogel. Es klang sehr einsam in der Dunkelheit.

»Ich habe den Topas an deiner Taille gesehen, als ich ein Vogel war«, erklärte die Frau und erhob sich wieder. »Ich habe dich beobachtet, als du im Fluß gebadet hast, und habe den Stein als das erkannt, was er ist.«

»Aber wie?« fragte der Stern. »Wie hast du ihn erkannt?«

Doch die dunkelhaarige Frau schüttelte den Kopf und ging zurück, wo sie hergekommen war, mit einem allerletzten Blick auf den schlafenden Tristran. Dann hatte die Dunkelheit sie verschluckt.

Inzwischen war Tristrans Haar, widerspenstig wie es war, wieder über seine Stirn gefallen. Die Sternfrau strich es behutsam zur Seite und ließ ihre Finger eine Weile auf seiner Wange ruhen. Er schlief friedlich weiter.


* * *


Kurz nach Sonnenaufgang wurde Tristran von einem großen Dachs geweckt, der auf den Hinterbeinen ging, einen blauvioletten Bademantel trug und so lange an Tristrans Ohr schnüffelte, bis dieser schläfrig die Augen aufschlug. »Name des Betreffenden Thorn? Tristran dieser Sippe?« fragte der Dachs wichtigtuerisch.

»Hmm?« machte Tristran. Er hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund, der sich trocken und pelzig anfühlte. Er hätte gut und gern noch ein paar Stunden schlafen können.

»Sie haben nach dir gefragt«, verkündete der Dachs. »Unten am Durchgang. Anscheinend gibt es da eine junge Dame, die mit dir sprechen möchte.«

Tristran setzte sich auf und grinste breit. Vorsichtig tippte er die noch schlafende Sternfrau an die Schulter. Sie öffnete schlaftrunken die blauen Augen und fragte: »Was ist?«

»Gute Neuigkeiten«, erklärte er ihr. »Erinnerst du dich an Victoria Forester? Wahrscheinlich hab’ ich unterwegs ihren Namen ein-, zweimal erwähnt.«

»Ja«, antwortete sie, »wahrscheinlich hast du das.«

»Nun«, fuhr Tristran fort, »ich treffe mich gleich mit ihr. Sie wartet unten am Durchgang.« Er hielt inne. »Hör mal, vielleicht wäre es das beste, wenn du hier bleibst. Ich möchte sie nicht auf falsche Gedanken bringen oder dergleichen.«

Yvaine drehte sich um, legte die Arme über den Kopf und sagte nichts mehr. Schließlich kam Tristran zu dem Schluß, daß sie wieder eingeschlafen sein mußte, schlüpfte in seine Stiefel, wusch sich das Gesicht und spülte den Mund mit Wasser aus dem Wiesenbach gründlich aus. Dann rannte er Hals über Kopf los, über die Wiese in Richtung Dorf.

An diesem Morgen standen Reverend Myles, der Pfarrer von Wall, und Mr. Bromios, der Gastwirt, Wache. Zwischen ihnen sah Tristran eine junge Frau, die der Wiese den Rücken zuwandte. »Victoria!« rief Tristran voller Freude, aber da drehte sich die junge Dame um, und er erkannte, daß es nicht Victoria Forester war. (Plötzlich erinnerte er sich wieder, daß diese graue Augen hatte. Jawohl, grau waren sie. Wie hatte er das nur vergessen können?) Wer diese junge Frau mit ihrem feinen Häubchen und ihrer feinen Stola sein mochte, wußte Tristran nicht. Aber es traten Tränen in ihre Augen, als sie ihn erblickte.

»Tristran!« rief sie. »Du bist es wirklich! Sie haben gesagt, du wärst hier. Wie konntest du nur? Ach, wie konntest du nur?« Nur allmählich wurde Tristran klar, daß sie tatsächlich ihm Vorwürfe machte.

»Louisa?« sagte er, da er seine Schwester zu erkennen glaubte. »Du bist wahrhaftig ordentlich gewachsen, während ich nicht da war – aus einem kleinen Mädchen ist eine hübsche junge Dame geworden.«

Sie schniefte und schneuzte sich in ein leinenes Spitzentaschentuch, das sie aus dem Ärmel zog. »Und du«, sagte sie, während sie sich die Tränen von den Wangen tupfte, »du hast dich auf deiner Reise in einen wuschelhaarigen verkommenen Zigeuner verwandelt. Aber du siehst gesund aus, und das ist gut. Komm jetzt«, fuhr sie fort und gab ihm mit einem ungeduldigen Winken zu verstehen, er solle endlich die Mauer passieren und ihr folgen.

»Aber die Mauer…« sagte er und beäugte den Gastwirt und den Pfarrer ein wenig nervös.

»Oh, als Wystan und Mister Brown gestern nacht mit ihrer Schicht fertig waren, haben sie sich in die Schankstube der Siebenten Elster zurückgezogen, und dort hat Wystan dann beiläufig erwähnt, daß sie einem völlig zerlumpten Kerl begegnet wären, der behauptete, er wäre du, und wie sie dem Kerl den Durchgang verweigert hätten – wie sie dir den Durchgang versperrt hätten. Als die Neuigkeit unserem Vater zu Ohren kam, ist er gleich in die Elster spaziert und hat den beiden eine solche Standpauke gehalten, daß ich ihn kaum wiedererkannt habe.«

»Einige waren dafür, Euch gleich heute früh zurückkommen zu lassen«, fügte der Pfarrer hinzu, »andere wollten bis Mittag warten.«

»Aber keiner von denen, die Euch warten lassen wollten, hat heute morgen Wachdienst«, ergänzte Mr. Bromios, »was natürlich ein gewisses Maß an Organisation erforderte – und das ausgerechnet an einem Tag, an dem ich mich um den Erfrischungsstand kümmern müßte, möchte ich betonen. Aber es ist schön, Euch wiederzusehen. Kommt, geht hindurch.« Er streckte die Hand aus, und Tristran schüttelte sie herzlich. Dann kam der Pfarrer an die Reihe.

»Tristran«, meinte letzterer, »Ihr habt sicher viele sonderbare Dinge gesehen auf Eurer Reise.«

Einen Moment lang schwieg Tristran nachdenklich. »Ich glaube schon«, antwortete er dann.

»Dann müßt Ihr nächste Woche unbedingt ins Pfarrhaus kommen«, fuhr der Pfarrer fort. »Wir werden Tee trinken, und Ihr müßt uns alles ausführlich erzählen. Wenn Ihr Euch wieder ein wenig eingelebt habt. Ja?« Und Tristran, der immer ziemlichen Respekt vor dem Pfarrer gehabt hatte, konnte nur nicken.

Louisa seufzte ein bißchen theatralisch und marschierte in zügigem Tempo los, in Richtung Zur Siebenten Elster. Tristran rannte ein Stück über das Kopfsteinpflaster, um sie einzuholen, dann ging er neben ihr her.

»Es tut mir im Herzen wohl, dich wiederzusehen, Schwester«, sagte er.

»Wir sind alle ganz krank gewesen vor Sorge um dich«, entgegnete sie ärgerlich, »wegen deiner ganzen Sperenzchen. Du hast mich nicht mal geweckt, um dich von mir zu verabschieden. Vater war zu nichts zu gebrauchen vor lauter Kummer, und an Weihnachten hat er, nachdem wir mit der Gans und dem Plumpudding fertig waren, den Portwein rausgeholt und auf abwesende Freunde getrunken, und Mutter hat herzzerreißend geschluchzt, also habe ich natürlich auch geweint, und dann hat Vater sich die Nase mit seinem besten Taschentuch geputzt, und Großvater und Großmutter Hempstock haben darauf bestanden, sich endlich den Knallbonbons zu widmen und die lustigen Sprüche vorzulesen, aber irgendwie hat das alles nur schlimmer gemacht, und ehrlich gesagt hast du uns Weihnachten gründlich verdorben, Tristran.«

»Das tut mir wirklich leid«, sagte Tristran. »Was machen wir jetzt? Wohin gehen wir?«

»Wir gehen zur Elster«, antwortete Louisa. »Ich dachte, das wäre klar. Mister Bromios hat gesagt, du könntest sein Wohnzimmer benutzen. Da wartet nämlich jemand auf dich und will dich sprechen.« Mehr wollte sie nicht verraten. In der Kneipe erkannte Tristran eine ganze Reihe von Gesichtern, manche Gäste nickten ihm zu oder lächelten, manche nicht, als er neben Louisa durch die Menge schritt und dann die schmale Treppe hinter der Bar in den ersten Stock hinaufstieg. Die Holzdielen knarrten unter ihren Schritten.

Louisa bedachte Tristran weiterhin mit wütenden Blicken. Doch dann begann plötzlich ihre Unterlippe zu zittern. Zu seiner großen Überraschung fiel sie Tristran um den Hals und drückte ihn so fest an sich, daß er kaum noch Luft bekam. Ohne ein weiteres Wort floh sie dann die Treppe hinunter.

Tristran klopfte an die Tür zum Wohnzimmer und trat ein. Das Zimmer war mit einer Reihe ungewöhnlicher Objekte dekoriert, mit kleinen antiken Statuen und Tontöpfen. An der Wand hing ein Stock, der mit Efeu umwunden war – beziehungsweise mit einem dunklen Metall, das kunstvoll als Efeu geformt worden war. Abgesehen davon hätte es das Wohnzimmer eines x-beliebigen Junggesellen sein können, der viel zu tun hatte und selten Zeit fand zum Ausruhen. Es gab eine kleine Chaiselongue, einen niedrigen Tisch, auf dem ein abgenutztes, in Leder gebundenes Exemplar von Laurence Sternes Predigten lag, ein Klavier und mehrere Ledersessel. In einem davon saß Victoria Forester.

Langsam und mit festen Schritten ging Tristran zu ihr und ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder, wie er es einst im Schlamm des Feldwegs getan hatte.

»Oh, tu das bitte nicht«, sagte Victoria Forester unbehaglich. »Bitte steh auf. Setz dich doch. In den Stuhl da drüben, ja? So ist’s besser.« Die Morgensonne fiel durch die hohen Spitzengardinen und von hinten auf Victorias kastanienbraunes Haar, so daß ihr Gesicht wie von einem goldenen Kranz umrahmt war. »Sieh nur«, meinte sie, »du bist ja ein richtiger Mann geworden«, staunte sie. »Und deine Hand! Was hast du mit deiner Hand angestellt?«

»Ich habe sie mir verbrannt«, antwortete Tristran. »In einem Feuer.«

Zuerst sagte sie nichts dazu, sondern starrte ihn nur an. Dann lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück und sah auf den Stock an der Wand oder vielleicht auch zu einer von Mr. Bromios kleinen Statuen, und sagte: »Ich habe dir einiges zu sagen, Tristran, und es fällt mir nicht leicht. Ich wäre dir dankbar, wenn du mich nicht unterbrichst, bis ich fertig bin. Also. Das erste und vielleicht wichtigste: Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Meine Dummheit, meine Unbedachtheit hat dich in dieses Abenteuer getrieben. Ich dachte, du machtest Witze… nein, keine Witze. Ich dachte, du wärst zu feige, viel zu kindisch, um deinen großen Worten Taten folgen zu lassen. Erst als du weg warst, als die Tage vergingen und du nicht zurückkamst, da wurde mir klar, daß du es ernst gemeint hast, aber da war es natürlich zu spät.

Jeden Tag habe ich mit der Angst gelebt, du würdest nicht zurückkommen und ich… ich hätte dich in den Tod geschickt.«

Während sie sprach, starrte sie geradeaus, und Tristran hatte das Gefühl – und war sich bald sogar ganz sicher –, daß sie diese Rede während seiner Abwesenheit in Gedanken hundertmal geprobt hatte. Deshalb durfte er sie auch nicht unterbrechen. Für Victoria Forester war es schwer genug, diese Erklärung abzugeben, und sie würde es nicht schaffen, wenn irgend etwas sie von ihrem vorgefaßten Skript abbrachte.

»Und ich war nicht fair zu dir, mein armer Ladenjunge… aber jetzt bist du ja gar keiner mehr, nicht wahr?… Da ich dein Versprechen als reine Albernheit ansah…« Sie hielt inne, und ihre Hände umklammerten die hölzernen Armlehnen ihres Sessels so fest, daß ihre Knöchel erst rot und dann weiß wurden. »Frag mich, warum ich dich in jener Nacht nicht küssen wollte, Tristran Thorn.«

»Es war dein gutes Recht, mich nicht zu küssen«, entgegnete Tristran. »Ich bin nicht hergekommen, um dich traurig zu machen, Vicky. Ich hab’ den Stern für dich gefunden, ich möchte nicht, daß du Kummer hast.«

Sie legte den Kopf schief. »Du hast also tatsächlich den Stern gefunden, den wir gesehen haben?«

»O ja«, antwortete Tristran. »Der Stern ist noch auf der Wiese draußen. Aber ich habe getan, was du dir von mir gewünscht hast.«

»Dann tu jetzt noch etwas für mich, bitte. Frag mich, warum ich dich in jener Nacht nicht geküßt habe. Schließlich hatte ich dich ja früher schon geküßt, als wir jünger waren.«

»Na schön, Vicky. Warum wolltest du mich nicht küssen in jener Nacht?«

»Weil«, begann sie, und ihrer Stimme war eine enorme Erleichterung anzuhören, »weil Robert mich am Tag vor der Sternschnuppe gefragt hat, ob ich seine Frau werden will. Als ich dich an jenem Abend gesehen habe, war ich im Laden, weil ich gehofft hatte, ihn dort anzutreffen und mit ihm reden zu können. Ich wollte ihm sagen, daß ich seinen Antrag annehmen würde und er bei meinem Vater um meine Hand anhalten sollte.«

»Robert?« fragte Tristran, dem der Kopf erbärmlich schwirrte.

»Robert Monday. Du hast in seinem Laden gearbeitet.«

»Mister Monday?« wiederholte Tristran. »Du und Mister Monday?«

»Genau.« Jetzt sah sie ihn an. »Und dann mußtest du mich beim Wort nehmen und losrennen, um mir den Stern zu bringen, und kein Tag ist vergangen, an dem mich nicht das Gefühl quälte, ich hätte etwas Dummes und Gemeines getan. Denn ich habe dir ja meine Hand versprochen, wenn du mit dem Stern zurückkommst. Manchmal habe ich ehrlich nicht gewußt, was schlimmer wäre – daß du im Land jenseits der Mauer getötet wirst, nur aus Liebe zu mir, oder daß du deine verrückte Idee wahr machst und mit dem Stern zurückkehrst, um mein Versprechen einzufordern. Natürlich haben mir einige Leute aus dem Dorf gesagt, ich soll mich nicht so aufregen, es sei ohnehin unvermeidlich gewesen, daß du nach drüben gehst, weil das ja in deiner Natur liegt und du von dort stammst, aber irgendwie, tief in meinem Herzen, wußte ich, daß ich schuld war und daß du eines Tages heimkommen und mich zur Frau nehmen wollen würdest.«

»Und du liebst Mister Monday?« fragte Tristran und klammerte sich an das einzige in dem ganzen Durcheinander, das er mit Sicherheit verstanden zu haben glaubte.

Sie nickte und hob den Kopf, so daß ihr hübsches Kinn auf Tristran zeigte. »Aber ich habe dir mein Wort gegeben, Tristran. Und ich werde mein Wort halten, das habe ich auch Robert gesagt. Ich bin verantwortlich für das, was du durchgemacht hast – sogar für deine verbrannte Hand. Und wenn du mich willst, gehöre ich dir.«

»Offen gestanden glaube ich, daß ich selbst für das verantwortlich bin, was ich erlebt habe«, entgegnete Tristran, »nicht du. Und es ist schwer, auch nur einen Augenblick davon zu bereuen, obwohl ich mich gelegentlich nach einem weichen Bett gesehnt habe und ich nie wieder eine Haselmaus ansehen kann wie früher. Aber du hast mir nicht deine Hand versprochen, wenn ich mit dem Stern zurückkomme, Vicky.«

»Nein?«

»Nein. Du hast mir versprochen, mir alles zu geben, was ich mir von dir wünsche.«

Victoria Forester richtete sich kerzengerade in ihrem Stuhl auf und starrte vor sich auf den Fußboden. Rote Flecken erschienen auf ihren blassen Wangen, als hätte jemand sie geschlagen. »Habe ich richtig verstanden, daß du…« begann sie, aber Tristran fiel ihr ins Wort. »Nein«, sagte er, »ich glaube nicht, daß du es verstehst. Du hast gesagt, ich bekomme alles von dir, was ich will.«

»Ja.«

»Dann…« Er stockte. »Dann will ich, daß du Mister Monday heiratest. Ich will, daß du ihn sobald wie möglich heiratest – am besten noch diese Woche, falls es sich arrangieren läßt. Und ich will, daß ihr zusammen glücklich werdet, so glücklich wie ein Mann und eine Frau es je gewesen sind.«

Sie atmete hörbar aus, ein bebender Seufzer der Erleichterung. Dann blickte sie Tristran an. »Meinst du das ernst?« fragte sie.

»Heirate Robert, ich gebe dir meinen Segen, und dann sind wir quitt«, bestätigte Tristran. »Und dem Stern wird es wahrscheinlich auch recht sein.«

Es klopfte an der Tür. »Alles in Ordnung da drin?« rief eine Männerstimme.

»Aber ja«, antwortete Victoria. »Bitte komm rein, Robert. Du erinnerst dich doch an Tristran Thorn, nicht wahr?«

»Guten Morgen, Mister Monday«, sagte Tristran und schüttelte Mr. Monday die Hand, die verschwitzt und feucht war. »Wie ich höre, wollt Ihr demnächst heiraten. Erlaubt mir, Euch meine Glückwünsche auszusprechen.«

Mr. Monday grinste, wodurch er aussah, als hätte er Zahnschmerzen. Dann reichte er Victoria die Hand, und sie erhob sich aus ihrem Sessel.

»Wenn Ihr den Stern zu sehen wünscht, Miss Forester…« bot Tristran noch an, aber Victoria schüttelte den Kopf.

»Ich freue mich sehr, daß Ihr wohlbehalten nach Hause gekommen seid, Mister Thorn. Ich darf Euch doch sicher zu unserer Hochzeit willkommen heißen?«

»Gewiß würde ich nichts lieber tun«, erwiderte Tristran, obwohl er sich nicht sicher war, ob das stimmte.


* * *


An einem gewöhnlichen Tag wäre es ein unerhörtes Ereignis gewesen, daß die Elster schon vor dem Frühstück so voll war, aber heute war Markttag, und die Einwohner von Wall samt den Fremdlingen drängten sich ins Gasthaus, verspeisten riesige Portionen Lammkeule, Speck und Pilze, Spiegeleier und Blutwurstpastete. Dunstan Thorn erwartete Tristran ebenfalls im Wirtshaus. Als er seinen Sohn kommen sah, stand er auf, ging zu ihm und legte ihm wortlos den Arm um die Schulter. »Du hast es also geschafft, wohlbehalten zurückzukehren«, sagte er, und man hörte seiner Stimme an, wie stolz er war.

Tristran fragte sich, ob er gewachsen war, denn er hatte seinen Vater viel größer in Erinnerung. »Hallo, Vater«, sagte er. »Nur meine Hand habe ich mir ein bißchen verletzt.«

»Deine Mutter hat Frühstück für dich vorbereitet, zu Hause auf der Farm«, sagte Dunstan.

»Ein Frühstück wäre wundervoll«, gestand Tristran. »Und ich freue mich natürlich auch darauf, Mutter zu sehen. Aber wir müssen uns unbedingt unterhalten.« Ihm ging nämlich einiges von dem, was Victoria Forester gesagt hatte, nicht mehr aus dem Kopf.

»Du bist erwachsen geworden«, bemerkte sein Vater. »Aber du hättest einen Besuch beim Barbier dringend nötig.« Damit leerte er seinen Krug. Gemeinsam verließen sie die Siebente Elster und wanderten hinaus in den hellen Morgen.

An einem von Dunstans Feldern kletterten die beiden Thorns über den Zaun, und während sie die Weide überquerten, auf der Tristran als Junge gespielt hatte, schnitt Tristran das Thema an, das ihm keine Ruhe ließ, nämlich die Frage seiner Herkunft. Sein Vater antwortete ihm so ehrlich er konnte auf dem langen Heimweg zum Farmhaus, und berichtete, was damals geschehen war, als wäre es eine alte Geschichte, die er einem weitläufigen Bekannten erzählte. Eine Liebesgeschichte.

Schließlich standen sie vor Tristrans altem Heim, wo seine Schwester auf ihn wartete und ein dampfendes Frühstück auf dem Herd vorbereitet war, das bald auf dem Tisch stand; ein Frühstück, voller Liebe zubereitet von der Frau, die er stets für seine Mutter gehalten hatte.


* * *


Madame Semele arrangierte die letzten Kristallblumen an ihrem Stand und beäugte kritisch den Markt. Es war kurz nach Mittag, und die Kunden begannen sich gerade erst umzusehen. Bis jetzt war noch niemand an ihrer Bude gewesen.

»Es werden immer weniger, alle neun Jahre«, stellte sie fest. »Hör auf meine Worte, bald wird der Markt nur noch eine Erinnerung sein. Es gibt andere Märkte und andere Marktplätze. Ich glaube, dieser Markt hier hat ausgedient. Vielleicht noch vierzig, fünfzig, sechzig Jahre, dann gibt es ihn nicht mehr.«

»Vielleicht«, erwiderte ihre violettäugige Dienerin, »aber mir ist das gleich. Auf jeden Fall bin ich das letzte Mal dabei.«

Madame Semele funkelte sie wütend an. »Ich dachte, ich hätte deine Unverschämtheit schon vor langer Zeit aus dir rausgeprügelt.«

»Das ist durchaus keine Unverschämtheit«, antwortete ihre Sklavin. »Sieh hier.« Sie hielt ihre Silberkette empor, ihre Fessel. Sie glänzte im Sonnenlicht, aber sie war dünner und durchsichtiger geworden; an manchen Stellen schien sie nicht mehr aus Silber zu bestehen, sondern war transparent wie Rauch.

»Was hast du angestellt?« Vor Zorn bildeten sich Spuckefäden in den Mundwinkeln der Alten.

»Ich habe nichts getan, jedenfalls nichts, was ich nicht schon seit achtzehn Jahren tue. Ich war an dich gefesselt als deine Sklavin bis zu dem Tag, an dem der Mond seine Tochter verliert, wenn dies in einer Woche geschieht, in der zwei Montage zusammenkommen. Und meine Zeit bei dir neigt sich nun dem Ende entgegen.«


* * *


Es war nach drei Uhr am Nachmittag. Die Sternfrau hatte sich neben Mr. Bromios’ Erfrischungsstand ins Gras gesetzt und starrte durch den Mauerdurchgang zum Dorf hinüber. Gelegentlich bot ihr ein Stammkunde der Bude ein Glas Wein oder Bier oder eine fettige Wurst an, und jedesmal lehnte sie dankend ab.

»Wartest du auf jemanden?« fragte eine junge Frau mit einem netten Gesicht, irgendwann am Nachmittag.

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Yvaine. »Vielleicht.«

»Bestimmt wartest du auf einen jungen Mann – sonst müßte ich mich gewaltig irren, so hübsch, wie du bist.«

Die Sternfrau nickte. »In gewisser Weise schon«, antwortete sie.

»Ich bin Victoria«, stellte die junge Frau sich vor. »Victoria Forester.«

»Ich heiße Yvaine«, erwiderte die Sternfrau, während sie Victoria Forester von Kopf bis Fuß musterte. »Aha, du bist also Victoria Forester. Dein Ruhm eilt dir voraus.«

»Die Hochzeit, meinst du?« sagte Victoria, und ihre Augen strahlten vor Stolz und Freude.

»Deine Hochzeit?« fragte Yvaine. Ihre Hand glitt zu ihrer Taille und spürte den Topas an seiner Silberkette. Dann starrte sie wieder zur Mauer hinüber und biß sich auf die Lippe.

»Ach, du Arme! Der Kerl muß ja ein richtiges Biest sein, wenn er dich so lange warten läßt!« meinte Victoria Forester. »Warum gehst du nicht runter ins Dorf, durch die Mauer, und suchst ihn?«

»Weil…« sagte Yvaine, unterbrach sich aber. »Nun gut«, fuhr sie fort, »vielleicht sollte ich das tun.« Graue und weiße Wolkenbänder überspannten den Himmel, dazwischen schimmerten blaue Zwischenräume. »Ich wollte, meine Mutter wäre hier«, fügte sie hinzu. »Ihr würde ich gern als erster Lebewohl sagen.« Unbeholfen stand sie auf.

Aber Victoria wollte ihre neue Freundin nicht so einfach gehen lassen, deshalb plapperte sie weiter über Sperren und Heiratslizenzen, über Ausnahmegenehmigungen, die nur der Erzbischof ausstellen durfte, und was für ein Glück es doch war, daß Robert persönlich mit ihm bekannt war. Anscheinend sollte die Hochzeit in sechs Tagen um Mittag stattfinden.

Dann rief Victoria einen respektablen Gentleman zu sich herüber, der eine schwarze Zigarre schmauchte und grinste, als hätte er Zahnschmerzen. »Das ist Robert«, verkündete sie. »Robert, das ist Yvaine. Sie wartet hier auf ihren Freund. Yvaine, das ist Robert Monday. Und am nächsten Freitag um die Mittagszeit werde ich Victoria Monday. Vielleicht solltest du das in deine Rede beim Hochzeitsfrühstück einflechten, Schatz – daß am Freitag zwei Montage zusammenkommen!«

Und Mr. Monday paffte seine Zigarre und versprach seiner Zukünftigen, daß er dies ganz gewiß in Erwägung ziehen werde.

»Dann«, fragte Yvaine und wählte ihre Worte mit Bedacht, »dann heiratest du also nicht Tristran Thorn?«

»Nein«, antwortete Victoria.

»Oh«, sagte die Sternfrau. »Gut.« Und setzte sich wieder ins Gras.


* * *


Dort saß sie noch immer, als Tristran einige Stunden später durch die Mauerlücke kam. Er wirkte aufgewühlt, aber seine Miene hellte sich auf, als er Yvaine entdeckte. »Hallo, du«, sagte er und half ihr beim Aufstehen. »Hast du dich gut amüsiert, während du auf mich gewartet hast?«

»Nicht besonders«, antwortete sie.

»Tut mir leid«, sagte Tristran. »Wahrscheinlich hätte ich dich doch ins Dorf mitnehmen sollen.«

»Nein«, entgegnete Yvaine. »Ganz bestimmt nicht. Ich lebe, solange ich im Feenland bleibe. Sollte ich je in deine Welt reisen, wäre ich nichts weiter als ein kalter Metallstein, der vom Himmel gefallen ist, voller Pusteln und Löcher.«

»Aber ich hätte dich beinahe mitgenommen!« rief Tristran entsetzt. »Ich hab es versucht, gestern abend.«

»Ja«, sagte sie. »Was einmal mehr beweist, daß du ein Trottel bist, ein Idiot und ein… ein Blödian.«

»Ein Schwachkopf«, fügte Tristran bereitwillig hinzu. »So hast du mich immer besonders gern genannt. Und einen Hornochsen.«

»Naja, das bist du alles, und noch mehr«, bestätigte sie. »Warum hast du mich so lange warten lassen? Ich dachte, dir ist etwas Schreckliches zugestoßen.«

»Es tut mir leid«, wiederholte er. »Ich werde dich nie wieder verlassen.«

»Nein«, erwiderte sie ernst und fest, »du wirst mich nie wieder verlassen.«

Seine Hand fand die ihre, und so wanderten sie Hand in Hand über den Markt. Ein Wind kam auf und brachte die Leinwand von Zelten und Fahnen zum Flattern; kurz darauf setzte ein kalter Regen ein. Sie suchten Zuflucht unter der Markise eines Bücherstands, gemeinsam mit einer ganzen Anzahl anderer Menschen und Kreaturen. Der Inhaber des Stands zog seine Bücherkisten weiter unter das Vordach, damit nichts naß wurde.

»Wenn Schäfchenwolken am Himmel treiben, wird’s nie lang naß und auch nicht trocken bleiben«, sagte ein Mann mit einem schwarzen Seidenzylinder zu Tristran und Yvaine. Er war dabei, ein kleines, in rotes Leder gebundenes Buch zu erwerben.

Tristran lächelte und nickte, und als der Regen weniger wurde, gingen er und Yvaine weiter.

»Vermutlich werden sie es mir nie ausführlicher danken«, meinte der Mann mit dem Zylinder zu dem Buchhändler, der nicht die leiseste Ahnung hatte, was damit gemeint war. Aber es war ihm vollkommen gleichgültig.

»Ich habe meiner Familie Lebewohl gesagt«, erklärte Tristran Yvaine, während sie weitergingen. »Meinem Vater, meiner Mutter – der Frau meines Vaters, sollte ich vielleicht lieber sagen – und meiner Schwester Louisa. Ich glaube nicht, daß ich noch einmal zurückkehre. Jetzt müssen wir nur noch das Problem lösen, wie wir dich wieder an den Himmel kriegen. Vielleicht komme ich mit dir.«

»Dir würde es nicht gefallen am Himmel«, versicherte der Stern. »Also… gehe ich recht in der Annahme, daß du Victoria Forester nicht heiraten wirst?«

Tristran nickte. »Da hast du völlig recht«, bestätigte er.

»Ich bin ihr begegnet«, sagte der Stern. »Hast du gewußt, daß sie schwanger ist?«

»Was?« fragte Tristran überrascht.

»Ich bezweifle, daß sie es weiß. Sie ist im ersten oder Anfang des zweiten Monats.«

»Guter Gott. Und woher weißt du das?«

Jetzt war Yvaine an der Reihe, die Achseln zu zucken. »Übrigens«, sagte sie, »übrigens habe ich mich gefreut, als ich erfahren habe, daß du Victoria Forester nicht heiraten wirst.«

»Ich auch«, gestand er.

Abermals begann es zu regnen, aber die beiden machten keine Anstalten, einen Unterschlupf zu suchen. Tristran drückte Yvaines Hand. »Weißt du eigentlich«, sagte sie, »daß eine Sternfrau und ein sterblicher Mann…«

»Nur halb sterblich«, verbesserte Tristran hilfsbereit. »Alles, was ich über mich gedacht habe – wer ich war, was ich bin –, das war alles eine Lüge. Oder jedenfalls eine Art Lüge. Du hast keine Ahnung, was für ein erstaunlich befreiendes Gefühl das ist.«

»Was immer du bist«, sagte sie. »Ich wollte dich nur darauf hinweisen, daß wir wahrscheinlich niemals Kinder bekommen können. Weiter nichts.«

Da sah Tristran die Sternfrau an, lächelte und schwieg. Seine Hände umfaßten ihre Arme. So stand er vor ihr und sah auf sie herab.

»Nur damit du es weißt«, sagte die Sternfrau und beugte sich vor.

Sie küßten sich zum ersten Mal im kalten Frühlingsregen, aber sie merkten nicht, daß sie naß wurden. Tristrans Herz schlug in seiner Brust, als wäre dort zuwenig Raum für all die Freude, die er spürte. Während er Yvaine küßte, öffnete er die Augen, und ihre Augen, die so blau waren wie der Himmel, begegneten den seinen, und er sah in ihnen, daß er sich nie mehr von ihr trennen würde.


* * *


Die Silberkette war nur noch Rauch und Dampf. Einen Herzschlag lang hing sie in der Luft, dann blies ein heftiger, regennasser Windstoß sie endgültig weg.

»Bitte sehr«, sagte die Frau mit den dunklen, lockigen Haaren, streckte sich wie eine Katze und lächelte. »Die Bedingungen zur Beendigung meiner Sklaverei sind erfüllt, und nun haben du und ich nichts mehr miteinander zu schaffen.«

Hilflos blickte die alte Frau sie an. »Aber was soll ich tun? Ich bin alt. Ich kann den Stand allein nicht halten. Du bist eine gemeine, dumme Schlampe, daß du mich einfach so sitzenläßt.«

»Deine Probleme gehen mich nichts an«, erwiderte ihre ehemalige Sklavin, »aber ich lasse mich von nun an nie wieder eine Schlampe, eine Sklavin oder sonst etwas nennen, ich will nur noch meinen eigenen Namen hören. Denn ich bin Lady Una, die erstgeborene und einzige Tochter des einundachtzigsten Lords von Stormhold, und die Bannsprüche, mit denen du mich belegt hast, sind ein für allemal null und nichtig. Nun wirst du dich bei mir entschuldigen und mich mit meinem richtigen Namen ansprechen, sonst werde ich – und zwar mit dem größten Vergnügen – den Rest meines Lebens damit verbringen, dir nachzujagen und alles zu zerstören, was dir lieb und teuer ist und dich selbst noch dazu.«

Sie blickten sich in die Augen, und die alte Frau wandte als erste den Blick ab.

»Dann muß ich mich wohl dafür entschuldigen, daß ich dich eine Schlampe genannt habe, Lady Una«, sagte sie, als wäre jedes Wort Sägemehl, das sie ausspucken mußte.

Lady Una nickte. »Gut. Und ich glaube, du schuldest mir noch die Bezahlung für die Dienste, die ich dir geleistet habe, nun, da meine Zeit bei dir abgelaufen ist«, sagte sie. Denn solche Dinge haben Regeln. Alle Dinge haben Regeln.


* * *


Der Regen fiel noch immer in abrupten Schauern und pausierte zwischendurch lange genug, um die Leute unter ihren behelfsmäßigen Unterständen hervorzulocken und sie dann von neuem zu durchnässen. Tristran und Yvaine saßen glücklich neben einem Lagerfeuer, in Gesellschaft eines bunten Häufchens verschiedenster Kreaturen und Menschen.

Tristran hatte gefragt, ob einer von ihnen den kleinen haarigen Mann kannte, den er auf seinen Reisen ken-


nengelernt hatte, und ihn so gut er konnte beschrieben. Einige hatten bereits erklärt, ihm früher einmal begegnet zu sein. Aber auf dem Markt hatte ihn noch keiner entdeckt.

Fast als hätten sie einen eigenen Willen, spielten seine Finger mit Yvaines Haaren, und Tristran fragte sich, warum er so lange gebraucht hatte, bis ihm klargeworden war, wie sehr sie ihm am Herzen lag. Als er ihr das sagte, nannte sie ihn einen Narren, und er verkündete, ein so schönes Kompliment sei einem Mann bestimmt noch nie gemacht worden.

»Wohin gehen wir denn nun, wenn der Markt vorüber ist?« fragte Tristran die Sternfrau.

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Aber ich habe noch einen Auftrag zu erledigen.«

»Ach ja?«

»Ja«, erwiderte sie. »Die Sache mit dem Topas, den ich dir gezeigt habe. Ich muß ihn der richtigen Person zukommen lassen. Das letzte Mal, als mir der rechtmäßige Besitzer begegnet ist, hat die verrückte Gastwirtsfrau ihm die Kehle durchgeschnitten, deshalb habe ich ihn noch immer. Aber ich wäre ihn gern los.«

»Bitte sie um das, was sie trägt, Tristran Thorn«, erklang eine Frauenstimme hinter Tristrans Schulter.

Er wandte sich um und starrte in ein Paar Augen von der Farbe eines Wiesenveilchens. »Ihr wart der Vogel im Wohnwagen der Hexe«, stellte er fest.

»Und du warst die Haselmaus, mein Sohn«, erwiderte die Frau. »Ich war der Vogel, aber jetzt habe ich wieder meine wahre Gestalt, und meine Zeit der Sklaverei ist vorüber. Bitte Yvaine um das, was sie trägt. Du hast das Recht dazu.«

Er wandte sich wieder der Sternfrau zu. »Yvaine?«

Sie nickte abwartend.

»Yvaine, willst du mir das Ding geben, das du bei dir trägst?«

Sie blickte ihn verwundert an, dann griff sie in ihr Kleid, fingerte ein wenig herum und zog dann einen großen Topas an einer zerbrochenen Silberkette hervor.

»Er hat deinem Großvater gehört«, sagte die Frau zu Tristran. »Du bist der letzte männliche Erbe des Geschlechts von Stormhold. Leg den Stein um deinen Hals.«

Tristran tat es, und als er die Enden der Kette berührte, verschmolzen sie miteinander, als wären sie nie zerbrochen gewesen. »Eine schöne Kette«, meinte er ein wenig unschlüssig.

»Das ist die Macht von Stormhold«, sagte seine Mutter. »Niemand kann das bestreiten. In deinen Adern fließt das Blut von Stormhold, und alle deine Onkel sind tot. Du wirst ein guter Lord von Stormhold werden.«

Tristran starrte sie ehrlich verblüfft an. »Aber ich habe nicht das Bedürfnis, ein Lord von irgendwas zu sein«, erklärte er ihr, »oder wenn schon, dann nur der des Herzens meiner Lady.« Damit nahm er die Hand des Sterns in die seine und drückte sie lächelnd an seine Brust.

Die Frau wackelte ungeduldig mit ihren Katzenohren. »Fast achtzehn Jahre lang habe ich nichts von dir verlangt, Tristran Thorn, und jetzt, bei der ersten kleinen Bitte, die ich habe – einem winzigen Gefallen, den du mir ruhig tun könntest – da weigerst du dich. Also wirklich, Tristran, behandelt man so seine Mutter?«

»Nein, Mutter«, sagte Tristran.

»Nun«, fuhr sie ein wenig beschwichtigt fort, »ich denke nämlich, es wäre gut für euch jungen Leute, wenn ihr ein eigenes Heim hättet und eine richtige Aufgabe. Falls es dir nicht gefällt, kannst du immer noch gehen, weißt du. Niemand wird dich mit einer Silberkette an den Thron von Stormhold fesseln.«

Das fand Tristran sehr beruhigend. Yvaine dagegen war weniger beeindruckt, denn sie wußte, daß es Silberketten in allen möglichen Formen und Gestalten gab. Aber sie wußte auch, daß es keine gute Idee gewesen wäre, ihr Leben mit Tristran damit zu beginnen, daß sie einen Streit mit seiner Mutter vom Zaun brach.

»Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, mir Euren Namen mitzuteilen?« fragte Yvaine und überlegte kurz, ob sie nicht ein bißchen zu dick auftrug. Aber Tristrans Mutter fühlte sich ganz offensichtlich geschmeichelt, und Yvaine erkannte, daß sie ihre Sache gut gemacht hatte.

»Ich bin Lady Una von Stormhold«, sagte sie. Dann griff sie in eine kleine Tasche, die an ihrer Seite hing, und holte eine Rose aus Glas hervor, so dunkelrot, daß sie im Feuerschein beinahe schwarz wirkte. »Das war mein Lohn«, erklärte sie, »für über sechzig Jahre Sklavendienst. Es hat sie mächtig gefuchst, mir das zu geben, aber Regeln sind nun mal Regeln, und sie hätte ihre Zauberkraft verloren und noch einiges mehr, wenn sie sich nicht dazu bereit gefunden hätte. Nun, ich gedenke die Blume gegen eine Sänfte einzutauschen, die uns nach Stormhold zurückbringt, denn wir müssen in einem angemessenen Rahmen dort eintreffen. Oh, wie sehr habe ich Stormhold vermißt! Wir brauchen Träger und Vorreiter und vielleicht einen Elefanten – die machen wirklich Eindruck, nichts sorgt wirkungsvoller für freie Fahrt und Respekt als ein Elefant…«

»Nein«, unterbrach Tristran ihren Redeschwall.

»Nein?« wiederholte seine Mutter verwundert.

»Nein«, bestätigte Tristran. »Du kannst meinetwegen in einer Sänfte reisen, mit Elefanten, Kamelen und allem, was du sonst noch möchtest, Mutter. Aber Yvaine und ich gehen unseren eigenen Weg und zwar in unserem eigenen Tempo.«

Lady Una holte tief Luft, und Yvaine dachte, dieser Streit würde sich zu etwas auswachsen, bei dem sie lieber nicht anwesend sein wollte. Deshalb stand sie auf und entschuldigte sich, sie wolle ein Stück Spazierengehen, werde sich jedoch nicht zu weit entfernen und bald zurück sein. Tristran blickte sie flehend an, aber Yvaine schüttelte den Kopf: Dies war sein Kampf, er mußte ihn gewinnen, und er würde besser kämpfen können, wenn sie nicht dabei war.

So hinkte sie durch den dämmrig werdenden Markt. An einem Zelt, aus dem man Musik und Applaus hörte und ein warmes Licht wie Honig in die Dunkelheit strömte, machte sie halt. Sie lauschte der Musik und hing ihren Gedanken nach. Nach einer Weile kam eine gebeugte, weißhaarige alte Frau auf sie zu und bat sie, sich eine Weile zu ihr setzen und sich mit ihr unterhalten zu dürfen.

»Worüber denn?« fragte die Sternfrau.

Die alte Frau, die vom Alter geschrumpft und kaum größer war als ein Kind, hielt mit rheumatischen Fingern einen Stock umklammert, so kurz und krumm wie sie selbst. Mit einem normalen und einem milchigen Auge starrte sie zu der Sternfrau empor und antwortete: »Ich bin gekommen, um dein Herz zu holen.«

»Ach wirklich?« entgegnete der Stern.

»Jawohl«, bekräftigte die alte Frau. »Ich hatte es schon beinahe, dort oben in den Bergen.« Sie kicherte tief in der Kehle bei dieser Erinnerung. »Weißt du nicht mehr?« Auf dem Rücken trug sie wie einen Buckel einen großen Rucksack. Aus dem Sack ragte ein spiralförmiges Elfenbeinhorn, und Yvaine wußte sofort, wo sie dieses Horn schon einmal gesehen hatte.

»Ach, Ihr wart das?« fragte der Stern die verschrumpelte Alte. »Ihr wart die Frau mit den Messern?«

»Hmmm. Das war ich. Aber ich habe meine ganze Jugend verschwendet, die ich mir auf die Reise mitgenommen hatte. Für jede Zauberei mußte ich ein wenig davon bezahlen, und jetzt bin ich älter, als ich es jemals war.«

»Wenn Ihr mich anfaßt«, sagte der Stern, »wenn Ihr auch nur einen Finger an mich legt, werdet Ihr es ewig bereuen.«

»Falls du je so alt wirst wie ich«, erwiderte die alte Frau, »wirst du alles wissen, was es über Reue zu wissen gibt, und du wirst auch wissen, daß ein bißchen mehr oder weniger auf lange Sicht keinen Unterschied macht.« Sie schnüffelte. Früher einmal war ihr Kleid leuchtend rot gewesen, aber im Lauf der Jahre war es oft geflickt und ausgebessert worden und die Farbe verblichen. An einer Seite hing es über die Schulter herunter und gab den Blick auf eine dicke häßliche Narbe frei. »Aber eins möchte ich von dir wissen: Warum kann ich dich in meinen Gedanken nicht mehr finden? Du bist zwar noch da, aber nur wie ein Geist, ein Windhauch, mehr nicht. Vor kurzem hast du – oder vielmehr dein Herz – in meinem Geist geglüht wie ein silbernes Feuer. Doch nach der Nacht im Wirtshaus ist das Bild fleckig und unscharf geworden, und jetzt sehe ich es gar nicht mehr.«

Yvaine merkte, daß sie nichts weiter als Mitleid empfand für diese Kreatur, die ihren Tod wollte, und deshalb antwortete sie: »Könnte es sein, daß das Herz, das Ihr sucht, mir nicht mehr gehört?«

Die Alte hustete. Ihr ganzer Körper bebte und krümmte sich zusammen vor Anstrengung.

Geduldig wartete Yvaine, bis sie fertig war, dann sagte sie: »Ich habe mein Herz jemandem geschenkt.«

»Dem Jungen? Dem im Wirtshaus? Mit dem Einhorn?«

»Ja.«

»Du hättest es mir damals geben sollen, für meine Schwestern und mich. Wir hätten wieder jung sein können, gut und gern bis ins nächste Zeitalter hinein. Dein Junge wird es brechen, er wird es achtlos behandeln oder gar verlieren. Das tun sie doch alle.«

»Trotzdem«, entgegnete der Stern, »trotzdem gehört es ihm. Ich hoffe, Eure Schwestern werden nicht allzu böse auf Euch sein, wenn Ihr ohne es zurückkehrt.«

In diesem Augenblick kam Tristran über die Wiese zurück und ging auf Yvaine zu. Er nahm ihre Hand und nickte der alten Frau kurz zu. »Es ist alles geklärt«, sagte er. »Und alles in Ordnung.«

»Und die Sänfte?«

»Oh, Mutter wird per Sänfte reisen. Ich mußte ihr versprechen, daß wir früher oder später nach Stormhold kommen, aber wir können uns unterwegs ruhig Zeit lassen. Ich denke, wir sollten zwei Pferde kaufen und uns die Sehenswürdigkeiten anschauen.«

»Und deine Mutter war damit zufrieden?«

»Zu guter Letzt schon«, antwortete er heiter. »Übrigens – tut mir leid, euch unterbrochen zu haben.«

»Wir sind fast fertig«, meinte Yvaine und wandte sich wieder an die alte Frau.

»Meine Schwestern werden hart und grausam zu mir sein«, sagte die alte Hexenkönigin. »Aber ich weiß deine Freundlichkeit zu schätzen. Du hast ein gutes Herz, Kind. Schade, daß ich es nicht kriegen kann.«

Der Stern beugte sich herab und küßte die alte Frau auf ihre faltige Wange und spürte, wie die Haare darauf ihre weichen Lippen kratzten.

Dann wanderten die Sternfrau und ihr Geliebter davon in Richtung Mauer. »Wer war die Alte?« wollte Tristran wissen. »Sie kam mir irgendwie bekannt vor. War irgendwas los?«

»Aber nein«, antwortete sie. »Ich kannte sie von unterwegs.«

Hinter ihnen lagen die Lichter des Markts, die Laternen und Kerzen und Hexenlichter und der Feenglimmer, wie ein Traum des Nachthimmels, der auf die Erde gekommen war. Vor ihnen auf der anderen Seite der Wiese, auf der anderen Seite der Mauerlücke, lag das Dorf Wall. Öllampen und Gaslaternen und Kerzen schimmerten in den Fenstern der Häuser. Für Tristran erschienen sie so fern und unerforschlich wie die Welt aus Tausendundeiner Nacht.

Er blickte über die Lichter von Wall und wußte plötzlich mit absoluter Sicherheit, daß es das letzte Mal sein würde. Eine Weile starrte er sie schweigend an, die Sternschnuppe dicht neben ihm. Dann drehte er sich um, und gemeinsam wanderten sie gen Osten.

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