EIN UNFALL ACCIDENT

Der Retlin-Komplex war zugleich der größte Terminal und der einzige Raumhafen auf Nidia und, so dachte MacEwan spöttisch, obendrein auch noch der beliebteste Zoo. In der großen Wartehalle wimmelte es von den hier einheimischen, pelzigen Flugpassagieren sowie von Touristen und Bodenpersonal. Aber der größte Andrang herrschte draußen vor den transparenten Wänden der Abflughalle, wo sich Nidianer jeden Alters vor Neugierde fast umrempelten, um einen Blick auf die wartenden Raumpassagiere werfen zu können.

Vor den Angehörigen des Monitorkorps, die MacEwan und seinen Gefährten eskortierten, ging die Menge jedoch sofort auseinander — kein Einheimischer würde es jemals wagen, bei einem Fremdweltler Ärgernis zu erregen, und sei es auch nur durch einen unbeabsichtigten Körperkontakt. Vom Eingang der Abflughalle wurden die beiden in ein kleines Bürogebäude geführt, dessen transparente Wände sich bei ihrem Herannahen bis zur Undurchsichtigkeit trübten.

Der Mann, der ihnen gegenüberstand, war zwar Colonel und damit der ranghöchste Offizier des Monitorkorps auf Nidia, blieb aber dennoch respektvoll stehen, bis sich seine Besucher gesetzt hatten, wie es bei der ersten Begegnung mit dem namhaften Terrestrier MacEwan und dem nicht weniger berühmten Orligianer Grawlya-Ki angemessen war. Der Colonel verharrte noch einen Augenblick lang in dieser Stellung und musterte mit höflicher Mißbilligung die Uniformen seiner Gäste — zerschlissene und verschmutzte Relikte eines fast vergessenen Kriegs. Dann warf er einen flüchtigen Blick auf den Solidographen, der auf einer Ecke des Schreibtischs stand, und setzte sich.

Mit ruhiger Stimme sagte er: „Die Planetenversammlung hat beschlossen, daß Sie auf Nidia nicht länger erwünscht sind, und ersucht Sie deshalb, den Planeten unverzüglich zu verlassen. Man hat meineOrganisation mit der Durchführung dieses Ersuchens beauftragt, da sie nach unseren Maßstäben einer neutralen außerplanetarischen Polizeitruppe am nächsten kommt. Mir wäre es angenehm, Sie würden Nidia ohne Anwendung physischer Gewalt verlassen. Es tut mir leid. Das alles ist auch für mich höchst unerfreulich, aber ehrlich gesagt, muß ich den Nidianern recht geben. Ihre ursprünglich friedensstiftenden Aktivitäten sind in letzter Zeit viel zu… ahm… kriegerisch geworden.“

Grawlya-Kis Brustumfang schwoll plötzlich so bedrohlich an, daß der starre, stachelige Pelzbesatz knirschend am alten Kampfharnisch entlangschabte. Der Orligianer sagte jedoch nichts.

MacEwan hingegen entgegnete müde: „Wir haben nur versucht, den Leuten begreiflich zu machen, daß sie.“

„Ich weiß, was Sie versucht haben“, unterbrach ihn der Colonel. „Aber während einer Probe gleich ein halbes Fernsehstudio auseinanderzunehmen, war wohl nicht der richtige Weg. Abgesehen davon wissen Sie genausogut wie ich, daß Ihre Anhänger in Wirklichkeit viel größeres Interesse an Krawall als an der Verbreitung Ihrer Ideen hatten. Durch Ihre Schuld haben die einen Vorwand gefunden, alles kurz und.“

„Immerhin hat das Stück den Krieg verherrlicht“, verteidigte sich MacEwan.

Der Blick des Monitors huschte kurz zum Solidographen hinüber und richtete sich dann wieder auf Grawlya-Ki und MacEwan. Die Stimme des Colonels klang jetzt sanfter: „Glauben Sie mir, es tut mir wirklich leid, aber Sie müssen Nidia verlassen. Ich kann Sie natürlich nicht dazu zwingen, aber Sie sollten am besten auf Ihre Heimatplaneten zurückkehren, wo Sie sich erholen und den Rest Ihres Lebens in Frieden verbringen können. Wahrscheinlich haben die Kriegsverletzungen bei Ihnen tiefe seelische Narben hinterlassen, womöglich brauchen Sie sogar psychiatrische Hilfe. Naja, und außerdem glaube ich, verdienen Sie beide jetzt selbst ein bißchen von dem Frieden, den Sie so verzweifelt für die gesamte Föderation herbeisehnen.“

Als er keine Antwort erhielt, seufzte der Colonel und fragte: „Wohin wollen Sie also diesmal fliegen?“

„Nach Traltha“, antwortete MacEwan.

Der Monitor machte ein erstauntes Gesicht. „Das ist ein heißer und stark industrialisierter Planet mit hoher Gravitation, der von schwerfälligen, sechsbeinigen Elefanten bevölkert ist. Das sind doch fleißige, friedliebende und zivilisatorisch völlig stabile Wesen. Auf Traltha hat es seit tausend Jahren keinen Krieg mehr gegeben. Dort würden Sie nur Ihre Zeit verschwenden und sich im übrigen überhaupt nicht wohl fühlen. Nun gut, aber das ist schließlich Ihre persönliche Entscheidung.“

„Der Wirtschaftskrieg hört auf Traltha niemals auf“, widersprach MacEwan, „und eine Kriegsart kann zur anderen führen.“

Der Colonel versuchte erst gar nicht, seinen Unmut zu verbergen. „Sie machen sich völlig grundlos Sorgen. Außerdem ist es sowieso Sache des Monitorkorps, den Frieden aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zu Ihnen gehen wir dabei ruhig und besonnen vor, indem wir potentielle Störenfriede und gefährliche Situationen genau beobachten und frühzeitig, noch bevor die Vorgänge außer Kontrolle geraten können, mit geringstmöglicher Stärke reagieren. Wir leisten gute Arbeit, wenn ich das selbst einmal sagen darf. Aber Traltha stellt nun wirklich keine Gefahr dar, weder jetzt noch in absehbarer Zukunft.“ Er lächelte. „Da wäre sogar ein zweiter Krieg zwischen Orligia und der Erde wahrscheinlicher.“

„Den wird es garantiert nicht mehr geben, Colonel“, erwiderte Grawlya-Ki, wobei er die ausdruckslose Translatorstimme mit einem gedämpften Brummen unterlegte, das wie eine unterschwellige Drohung klang.

„Feinde, die sich gegenseitig bis aufs Blut bekämpft haben, werden später meistens die besten Freunde. Aber es muß auch noch einen einfacheren Weg geben, neue Freundschaften zu stiften.“

Bevor der Offizier etwas entgegnen konnte, fuhr MacEwan schnell fort: „Ich kann die Vorgehensweise des Monitorkorps durchaus nachvollziehen, Colonel, und ich billige sie sogar. Das tun wir alle. Das Korps wird zwar von allen Spezies stets rasch als die einzige Organisation anerkannt, die die administrativen und polizeilichen Aufgaben wahrnimmt und dem Gesetz der Föderation Geltung verschafft, aber dennoch kann daraus niemals eine Truppe entstehen, die sich aus wirklich vielen verschiedenen Spezies zusammensetzt. Die Offiziere werden zwangsläufig fast ausschließlich von Terrestriern gestellt. Wenn aber eine einzige Spezies so viel Macht besitzt, birgt das die Ge…“

„Wir sind uns dieser Gefahr sehr wohl bewußt“, unterbrach ihn der Colonel. „Unsere Psychologen arbeiten bereits an den sich daraus ergebenden Problemen, und im übrigen sind unsere Monitore für die Kontaktverfahren mit ETs hochqualifiziert“, verteidigte er sich. „Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit sicherzustellen, daß sämtliche Mitglieder einer Schiffsbesatzung, die mit anderen Spezies Kontakt aufnimmt, die gleiche Ausbildung erhalten. Dadurch ist sich jedes einzelne Besatzungsmitglied ständig der Gefahr und auch der möglichen Konsequenzen bewußt, die unbedachte und eventuell als feindlich aufgefaßte Äußerungen oder Taten hervorrufen können. Wir reißen uns fast ein Bein dabei aus, bei niemandem Anstoß zu erregen, das wissen Sie doch genau!“

Der Colonel war eben vor allem Polizist, dachte MacEwan, und wie jeder anständige Polizist nahm er jegliche Kritik an seiner Truppe krumm. Außerdem wuchs sein Ärger über die zwei alternden Kriegsveteranen derart rasch an, daß dem Gespräch ein vorzeitiges Ende drohte.

Immer mit der Ruhe, ermahnte sich MacEwan selbst, schließlich ist dieser Mann kein Feind.

Laut sagte er: „Ich wollte eigentlich nur darauf aufmerksam machen, daß man sich schon von Natur aus in eine äußerst wacklige Position begibt, wenn man sich ein Bein ausreißt. Dieser übertrieben höfliche Umgang mit Extraterrestriern ist doch völlig gekünstelt, ja sogar verlogen. Die dadurch erzeugten Spannungen müssen letztendlich zu Problemen führen, und das selbst bei den handverlesenen und hochintelligenten Wesen, denen als einzigen Kontakte mit anderen Planeten gestattet sind. Diese Form der Kontaktaufnahme bewegt sich auf einem viel zu schmalen Pfad, ist zu begrenzt. So lernen sich die Mitgliedsspezies der Föderation nicht wirklich kennen und können auch gar kein Vertrauen zueinander fassen. Das werden sie erst dann, wenn der Kontakt entspanntere und natürlichere Formen angenommen hat. So, wie die Dinge stehen, ist derzeit nicht einmal ein freundschaftlich geführtes Streitgespräch mit einem Extraterrestrier möglich.

Wir müssen die Extraterrestrier endlich richtig kennenlernen, Colonel“, setzte MacEwan seinen Appell schnell fort. „Und zwar so gut, daß man nicht andauernd so verdammt freundlich sein muß. Wenn ein Tralthaner einen Nidianer oder einen Terrestrier anrempelt, muß man ihn gut genug kennen, um ihm sagen zu können, daß er gefälligst aufpassen soll, wo er hintritt. Und man muß ihn dabei mit allen, dem Vorfall angemessen erscheinenden Schimpfwörtern überhäufen dürfen. Wenn man hingegen selbst Schuld hat, muß man eben mit der gleichen Behandlung rechnen. Der Durchschnittsterrestrier — und eben nicht eine sorgfältig ausgewählte und geschulte Elite von Raumreisenden — muß die Fremdweltler so gut kennenlernen, daß er mit ihnen kontrovers diskutieren oder sich sogar ohne körperliche Gewalt mit ihnen streiten kann, ohne daß sofort.“

„Genau das ist der Grund, weshalb Sie Nidia verlassen werden“, unterbrach ihn der Monitor und stand auf. „Wegen massiver Störung des Friedens.“

Ohne viel Hoffnung versuchte MacEwan einen letzten Erklärungsversuch. „Man muß endlich eine gemeinsame Grundlage finden, auf der die normalen Staatsbürger der Föderation aufeinander zugehen können, Colonel. Und zwar nicht nur zum wissenschaftlichen und kulturellen Austausch oder wegen interstellarer Handelsverträge. Diese gemeinsame Basis muß etwas Grundlegendes sein, etwas, das uns allen stark am Herzen liegt, eine Idee oder ein Projekt, das wir erst zusammen wirklich vorantreiben können. Trotz unserer vielgerühmten Föderation und der Wachsamkeit Ihres Monitorkorps — vielleicht auch gerade wegen dieser Wachsamkeit — lernt man sich gegenseitig eben nicht richtig kennen.

Und wenn wir das nicht schaffen, ist der nächste Krieg schon vorprogrammiert. Aber darüber macht sich ja niemand Sorgen. Sie und Ihresgleichen haben die Schrecken des Kriegs anscheinend schon völlig vergessen.“

Er verstummte, als der Colonel langsam auf den Solidographen auf dem Schreibtisch deutete und die Hand wieder sinken ließ. „Das ist uns eine ständige Mahnung“, gab er zu bedenken.

Danach sagte der Colonel nichts mehr, blieb aber in strammer Grundhaltung stehen, bis Grawlya-Ki und MacEwan das Büro verlassen hatten.

Die Abflughalle war über die Hälfte mit dichtgedrängten, sich aber voneinander absondernden kleinen Gruppen von Tralthanern, Melfanern, Kelgianern und Illensanern gefüllt. Auch zwei untersetzte Wesen mit Tentakeln von einem Planeten mit hoher Schwerkraft befanden sich in der Halle und waren offenbar damit beschäftigt, sich gegenseitig mit Farbe zu besprühen. Diese Wesen stellten eine für MacEwan unbekannte Lebensform dar. Ein teddybärartiger Nidianer, der die blaue Schärpe des nichttechnischen Bodenpersonals trug und sich hinter ihnen befand, ging zwar schnell weiter, um dem feinen Sprühnebel zu entkommen, schenkte den Wesen selbst aber keine Beachtung.

Die chloratmenden Illensaner wiederum hatten einen guten Grund, unter sich zu bleiben: Der weite, durchsichtige Stoff ihrer Schutzhüllen wirkte äußerst empfindlich. Über das farbensprühende Paar wußte MacEwan zwar nichts, aber bei den anderen handelte es sich samt und sonders um warmblütige, sauerstoffatmende Lebensformen, die allesamt ähnliche Druckverhältnisse und eine annähernd gleiche Schwerkraft benötigten — und diese Extraterrestrier hätten doch wenigstens die Anwesenheit der jeweils anderen Wesen zur Kenntnis nehmen müssen, auch wenn sie die sicher vorhandene gegenseitige Neugier nicht offen zeigten. MacEwan drehte sich verärgert um und studierte die Start- und Landezeiten auf den elektronischen Anzeigetafeln.

Im Orbit befand sich gerade ein illensanisches Fabrikschiff, dessen Fähre vor wenigen Minuten aufgesetzt hatte, da es aufgrund seiner Größe und eingeengten Manövrierfähigkeit selbst nicht landen konnte. Ein nidianischer Bodentransporter, ausgerüstet mit allen Lebenserhaltungsmaßnahmen für Chloratmer, befand sich bereits auf dem Weg zur Fähre, um die Passagiere aufzunehmen.

MacEwans und Grawlya-Kis auf Traltha gebautes und mit Tralthanern besetztes Passagierschiff war demnächst zur Aufnahme der Passagiere bereit und wartete schon auf dem Vorfeld jenseits der Hauptstartbahn. Es war eins der neuen Schiffe, die sich rühmen konnten, komfortable Sitzplätze für sechs verschiedene sauerstoffatmende Spezies zu bieten. Aber Bequemlichkeit ist etwas Relatives, und MacEwan, Grawlya-Ki und die anderen nichttralthanischen Wesen in der Halle würden sich bald selbst ein Urteil darüber bilden können.

Außer der illensanischen Fähre und dem tralthanischen Schiff bestand der einzige Luftverkehr aus nidianischen Atmosphäreschiffen, die alle paar Minuten starteten und landeten. Dabei handelte es sich zwar nicht um große Schiffe, aber sie mußten auch keine tausend Nidianer transportieren. Da sich diese Schiffe nur durch ihre Registrierungskennzeichen unterschieden, hatte man den Eindruck, als würde ununterbrochen immer dieselbe Maschine starten und landen.

MacEwan drehte sich schließlich um und blickte wieder einmal zornig auf die schreckliche und zugleich vertraute Skulptur, weil sie durch ihren markanten Platz im Zentrum der Halle automatisch alle Augen auf sich zog und es sonst nichts im Raum gab, was seine Aufmerksamkeit voll in Anspruch nehmen konnte.

Grawlya-Ki hatte den Blick schon vorher auf das Objekt geheftet und wimmerte jetzt leise vor sich hin.

Bei der Skulptur handelte es sich um eine Nachbildung des alten orligianischen Kriegsmahnmals in Originalgröße — um eine der abertausend Kopien, die öffentliche Ehrenplätze einnahmen oder in Miniaturausführung die Schreibtische oder Wohnungen verantwortungsbewußter und engagierter Wesen auf allen Planeten der Föderation zierten. Das Original hatte mehr als zwei Jahrhunderte innerhalb eines Schutzschilds auf dem Marktplatz im Zentrum von Orligias Hauptstadt gestanden. In all den Jahren hatten immer wieder viele mit Intelligenz und Sensibilität ausgestattete Einheimische und Touristen vergeblich zu beschreiben versucht, welche Wirkung dieses Monument auf sie gehabt hatte.

Denn bei dem Mahnmal handelte es sich um keine in Marmor geschlagene, ästhetisch verherrlichende Darstellung, in der gottgleiche Gestalten durch übertriebene Gesten kühnen Widerstand ausdrücken oder aber mit äußerst vorteilhaft angeordneten Gliedmaßen erhaben sterbend daniederliegen. Statt dessen bestand es aus einem Orligianer und einem Terrestrier inmitten zertrümmerter Reste eines Cockpits, das zu einem inzwischen längst veralteten Schiffstyp gehörte.

Der Orligianer stand nach vorn gebeugt, sein Brustpelz und Gesicht waren von Blut bedeckt. Einige Meter entfernt lag der ganz eindeutig sterbende Terrestrier. Das Vorderteil der Uniform hing in Fetzen an ihm herunter und enthüllte die gräßlichen Wunden, die er davongetragen hatte. Schon mit bloßem Auge konnte man ganz deutlich normalerweise von Haut bedeckte Unterleibsorgane, subkutane Gewebeschichten und Muskeln sehen. Dennoch kämpfte sich dieser Mann, der eigentlich gar nicht mehr hätte leben, geschweige denn sich bewegen dürfen, zum Orligianer voran.

Versuchten hier zwei Kämpfer mitten in den Trümmern eines Kriegsschiffs das Gefecht Mann gegen Mann fortzusetzen?

Dutzende von Gedenktafeln, die um den Sockel der Plastik herum gruppiert waren, beschrieben den Vorfall in allen Schriftsprachen der Föderation.

Sie berichteten von dem gewaltigen Zweikampf zwischen dem orligianischen und terrestrischen Schiff. Die beiden Kommandanten waren derart ebenbürtige Gegner gewesen, daß sie nach dem Tod sämtlicher Besatzungsmitglieder, dem völligen Durchlöchern der Schiffe, dem Abfeuern der gesamten Munition und dem Verbrauch der gesamten Restenergie dicht nebeneinander auf einem ihnen gänzlich unbekannten Planeten bruchgelandet waren. Von einer eher persönlichen Neugier auf seinen Gegner getrieben und begierig darauf, soviel wie möglich über feindliche Schiffssysteme in Erfahrung zu bringen, begab sich damals der Orligianer an Bord des zerstörten terrestrischen Schiffs, und die beiden Gegner trafen aufeinander.

Aber für sie war der Krieg vorbei, denn der schwerverletzte Terrestrier wußte nicht, wie lange er noch zu leben hatte, und der Orligianer hatte keine Ahnung, wann — falls überhaupt — auf sein Notsignal hin Retter zu Hilfe kommen würden. Der zuvor noch gegenseitig empfundene, wenn auch nicht persönlich gemeinte Haß war von den ungeheuren Anstrengungen des sechsstündigen Zweikampfs wie weggeblasen und hatte sich in gegenseitigen Respekt vor dem bewiesenen Maß an fachlicher Kompetenz verwandelt. Deshalb versuchten sie, sich zu verständigen, was ihnen auch schließlich gelang.

Für beide handelte es sich dabei um einen außerordentlich schmerzhaften Prozeß, der nur langsam und unter großen Anstrengungen vonstatten ging, aber als sie miteinander sprachen, verschwiegen sie nichts. Der Orligianer wußte, daß jede von ihm eventuell geäußerte aufsässige Bemerkung oder Befehlsverweigerung von dem Terrestrier mit in den Tod genommen werden würde. Der Terrestrier wiederum verspürte zum einen die Sympathie, die ihm sein Gegner entgegenbrachte, und hatte zum anderen viel zu große Schmerzen, um sich darum zu scheren, welche Äußerungen er seinerseits über die eigenen Vorgesetzten machte. Und während sich die beiden unterhielten, erfuhr der Terrestrier etwas von entscheidender Bedeutung: Er sah einmal aus der Sicht des Feindes den relativ einfachen, fast lächerlichen Vorfall, den beide Seiten mißverstanden hatten und der in erster Linie für den Kriegsausbruch verantwortlich gewesen war.

Ein zufällig in dieser Region kreuzendes orligianisches Schiff war gegen Ende dieser Unterhaltung auf dem Planeten gelandet und hatte — nach Abschätzung der Lage — seinen ’Freezer’ gegen das terrestrische Wrack eingesetzt.

Selbst heute noch war MacEwan die Funktionsweise dieser wichtigsten orligianischen Raumwaffe unklar. Der Freezer konnte ein kleines Schiff oder die wichtigsten Teile eines großen Raumfahrzeugs in eine Art Stauungs- oder Stasisfeld einschließen, in dem jede Bewegung zum Stillstand kam. Dabei wurden weder die Schiffe beschädigt noch deren Besatzungen körperlich verletzt. Wenn allerdings jemand die Oberfläche eines dieser zum Stillstand gebrachten Rümpfe auch nur ritzte oder versuchte, eine Nadel in die Haut einer der zur Bewegungslosigkeit erstarrten Personen zu stechen, dann hatte das eine Explosion von fast nuklearem Ausmaß zur Folge.

Aber der orligianische Stasisfeldprojektor diente nicht nur kriegerischen, sondern auch friedlichen Zwecken.

Unter großen Schwierigkeiten hatte man einen Teil des Cockpits und die zwei darin enthaltenen, zum Stillstand gebrachten Körper nach Orligia gebracht, um diese Gruppe als das auf schauerliche Weise eindrucksvollste Kriegsmahnmal, das man je gekannt hatte, für 236 Jahre auf dem Platz im Zentrum der Hauptstadt aufzustellen. In der Zwischenzeit entwickelte sich der unsichere Frieden, den die beiden eingefrorenen Wesen zwischen Orligia und der Erde gestiftet hatten, zu Freundschaft, und die Medizin machte so große Fortschritte, daß der schwerverwundete Terrestrier sogar gerettet werden konnte. Obwohl Grawlya-Kis Verletzungen nicht tödlich gewesen waren, hatte er doch darauf bestanden, zusammen mit seinem Freund MacEwan im erstarrten Zustand zu bleiben, um dessen zukünftige Heilung miterleben zu können.

Und dann wurden die beiden größten Helden des Kriegs — Helden deshalb, weil sie ihn beendet hatten — aus dem erstarrten Zustand geholt und auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus gebracht und geheilt. Es hieß, zum erstenmal würden wahrhaft große Gestalten der Geschichte die Belohnung von der Nachwelt erhalten, die sie verdient hätten — und all dies hatte sich vor etwas über dreißig Jahren auch so abgespielt.

Seitdem waren die beiden Helden, übrigens die einzigen Wesen mit direkter Kriegserfahrung in der gesamten Föderation, immer mehr vom Friedensgedanken besessen, bis die ihnen entgegengebrachte Ehrerbietungund der Respekt nach und nach in Abneigung und offene Behinderung ihrer Bemühungen umschlugen.

„Manchmal frage ich mich, Ki, ob wir nicht wirklich lieber aufgeben und endlich nach unserem inneren Frieden suchen sollten, wie der Colonel es uns geraten hat“, sagte MacEwan, während er sich von den erstarrten Verkörperungen Grawlya-Kis und seines eigenen früheren Ichs abwandte. „Niemand hört uns mehr zu, obwohl wir den Leuten doch nicht mehr zu sagen versuchen, als endlich die Zügel lockerer zu lassen, sich freundschaftlich die Hände zu reichen, und zwar ohne diese bürokratischen Fehdehandschuhe, und daß sie in ihren Äußerungen und Handlungen aufrichtig und ehrlich sein sollen, damit sie.“

„Mir sind all diese Punkte durchaus bekannt“, unterbrach ihn Grawlya-Ki gereizt. „Es ist völlig überflüssig, mir das alles noch mal lang und breit zu erzählen. Ich sehe die Sache doch genauso wie du. Allmählich scheinst du wirklich senil zu werden.“

„Hör mal zu, du verlauster Riesenpavian!“ setzte MacEwan wütend zu einer Schimpftirade an, aber der Orligianer hörte ihm überhaupt nicht zu.

„Unglücklicherweise gehört Senilität zu jenen Leiden, die die Psychiater des Colonels nicht heilen können“, fuhr Grawlya-Ki unbeirrt fort. „Ich möchte sogar behaupten, daß sie Leuten wie dir, dessen Verstand ansonsten noch einigermaßen intakt ist, nicht einmal mehr psychiatrischen Beistand leisten können. Außerdem hast du es gerade nötig, auf meinen leichten Fellausfall da und dort anzuspielen! Bei dir reichen die männlichen Hormone ja gerade mal für einen spärlichen Fellwuchs auf dem Kopf aus, ansonsten ist da.“

„Dafür haben bei euch die Frauen mehr Haare als die Männer“, gab MacEwan bissig zurück und verstummte. Grawlya-Ki hatte ihn wieder einmal aufgezogen.

Seit ihrem ersten, mittlerweile historischen Treffen in MacEwans Cockpitwrack hatten sich die beiden sehr gut kennengelernt. Nach Abschätzung der aktuellen Lage stellte Grawlya-Ki damals rasch fest, daß MacEwan viel zu niedergeschlagen war, um sich über sein eigenes zukünftiges Wohlergehen zu sorgen. Daraufhin leitete der Orligianer in Form von therapeutischen Gesprächen erste Heilmaßnahmen ein und machte dem Terrestrier so auf subtile Weise klar, daß er zumindest geistig gesund war.

MacEwan mußte jetzt lächeln und sagte leise: „Die anderen Fluggäste sind durch unsere offene und ehrliche Art, miteinander zu reden, schon ganz nervös geworden. Die glauben wahrscheinlich, der Krieg zwischen Orligia und der Erde bricht demnächst wieder aus — so etwas würden die sich nicht einmal im Traum gegenseitig an den Kopf werfen.“

„Aber trotzdem haben all diese Wesen Träume“, entgegnete Grawlya-Ki, dessen Gedanken plötzlich zu einem der spezifisch orligianischen Themen abschweiften. „Alle intelligenten Lebensformen benötigen Perioden, während der sich ihr Unterbewußtsein in Träumen oder auch Alpträumen ausleben kann.“

„Das Problem ist nur, daß all die anderen leider nicht den gleichen, ganz spezifischen Alptraum haben wie wir“, erwiderte MacEwan.

Grawlya-Ki entgegnete nichts und beobachtete durch die transparenten Außenwände der Halle das rasche Herannahen des Bodentransporters von der illensanischen Fähre. Das Gefährt war ein großes Silberprojektil mit vielen Rädern und auffälligen Markierungen, die auf die Chloratmosphäre im Innern aufmerksam machten. An der Spitze befand sich eine durchsichtige Steuerkanzel mit einer auf den nidianischen Fahrer abgestimmten Atmosphäre. Warum verspürten bloß alle kleineren intelligenten Lebensformen unabhängig von ihrer Spezies den unwiderstehlichen Drang, schnell zu fahren? fragte sich MacEwan. War er mit dieser Beobachtung womöglich auf eine der großen kosmischen Wahrheiten gestoßen?

„Vielleicht sollten wir ganz anders an die Sache herangehen“, sagte der Orligianer, wobei er noch immer den Transporter beobachtete. „Anstatt zu versuchen, den Bürgern der Föderation Alpträume einzujagen, müßten wir einen angenehmen und anregenden Traum für sie finden, durch den sie. Was macht der Idiot denn da?“

Das Fahrzeug schoß mit unvermindert hoher Geschwindigkeit auf die Halle zu, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, abzubremsen oder zu wenden, um mit seiner Verbindungsschleuse an die Ausgangsluke der Halle für Atmer toxischer Atmosphären zu gelangen. Mittlerweile beobachteten auch alle anderen wartenden Fluggäste den Transporter, und viele von ihnen gaben unübersetzbare Laute von sich.

Der Fahrer will anscheinend nur mal angeben, dachte MacEwan.

Durch das auf dem Kanzeldach reflektierende Sonnenlicht konnte man den Piloten nur undeutlich erkennen. Erst als der Transporter in den Schatten des Terminalgebäudes raste, erblickte MacEwan die mit dem Gesicht nach unten über dem Armaturenbrett zusammengesackte Gestalt des Fahrers, doch war es bereits zu spät, irgend etwas dagegen zu unternehmen.

Da die transparente Wand aus äußerst widerstandsfähigem Verbundkunststoff von fast dreißig Zentimeter Dicke bestand, wurde sie zwar beim Aufprall der Fahrzeugspitze nach innen eingedrückt, zersplitterte allerdings zunächst nicht. Doch wurden die Steuerkapsel und ihr Insasse auf der Stelle zu einem dünnen Pfannkuchen aus geborstenem Metall, verhedderter Verkabelung und blutigem Nidianerfell zusammengequetscht, bevor sich der Transporter durch die Wand bohrte.

Als der Fahrer zusammengebrochen war und die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte, mußten zwar augenblicklich die automatischen Energieunterbrechungs- und das Notbremssystem ausgelöst worden sein, aber trotz blockierter Räder rutschte der Transporter jetzt schwerfällig weiter, riß die ursprüngliche Bruchstelle in der transparenten Wand weiter auf, verlor dabei Teile der eigenen Außenhaut und bahnte sich einen Weg durch die ordentlich installierten Sitzreihen tralthanischer, melfanischer, kelgianischer und illensanischer Möbel. Die schweren, teilweise komplexen Konstruktionen wurden aus der Bodenverankerung gerissen und zusammen mit den Wesen, die das Pech hatten, immer noch auf ihnen zu sitzen, zur Seite geschleudert. An einem der Stützpfeiler des Gebäudedachs, der sich zwar beängstigend bog, glücklicherweise aber nicht brach, kam der Transporter schließlich knirschend zum Stehen. Durch die Erschütterung stürzte ein Großteil der Platten an der Hallendecke herab und erzeugte eine gewaltige Staubwolke, die bei einigen zu Erstickungsanfällen und momentaner Erblindung führte.

Überall um MacEwan herum waren die unübersetzbaren Schmerzensund Verzweiflungsschreie blind umhertappender, keuchender Extraterrestrier zu hören. Dazu gehörte auch Grawlya-Ki. MacEwan blinzelte sich den Staub aus den Augen und sah den offenbar unverletzt gebliebenen Orligianer neben dem Transporter kauern. Grawlya-Ki hielt sich die beiden riesigen, pelzigen Hände vor das Gesicht und hustete sich allem Anschein nach die Lunge aus dem Leib. MacEwan schob und trat mit den Füßen losen Schutt beiseite und taumelte auf den Orligianer zu. Plötzlich begannen ihm die Augen zu brennen, und er konnte sich noch gerade rechtzeitig mit einer Hand Mund und Nase zuhalten, um sich vor dem Einatmen verseuchter Luft zu schützen.

Chlor!

Mit der freien Hand packte MacEwan den Orligianer am Kampfharnisch und schleifte ihn vom beschädigten Fahrzeug weg, wobei er sich ängstlich fragte, warum er damit überhaupt wertvolle Zeit verschwendete — denn sollte die Innendruckhülle des Transporters gerissen sein, würde es für Sauerstoffatmer innerhalb weniger Minuten in der gesamten Halle lebensgefährlich werden, da sich das Chlor durch den höheren Druck der illensanischen Atmosphäre überall verteilen würde. Plötzlich stolperte MacEwan über einen gedrungenen, membranartigen Körper, der zuckend und zischend zwischen den Trümmern ausgestreckt dalag, und ihm wurde schlagartig klar, daß das beschädigte Fahrzeug nicht allein für die Verseuchung verantwortlich war.

Der verletzte Illensaner mußte von dem Transporter angefahren und gegen das Gestell eines kelgianischen Sitzmöbels geschleudert worden sein, das daraufhin zusammengebrochen war. Eine der Stützstreben hatte sich in der Druckhülle des Chloratmers verfangen und sie über die gesamte Länge des Körpers aufgeschlitzt. Nun griff die sauerstoffreiche Atmosphäre den ungeschützten Körper des Illensaners an und überzog ihn mit einer scheußlich blauen Korrosionsschicht, die um die beiden Atemöffnungen herum am dicksten war und aus einer pulverigen, organischen Substanz bestand. Während MacEwan den Illensaner musterte, hörte der Körper zu zucken auf, das laute Zischen blieb aber deutlich hörbar.

Er hielt sich weiterhin mit der einen Hand Mund und Nase zu und tastete mit der anderen den Körper und die Druckhülle des Illensaners ab. Obwohl er die Augen inzwischen fest zugekniffen hatte, brannten sie wie Feuer.

Die Haut des Wesens fühlte sich heiß, faserig und glitschig an. Sie besaß hervortretende Linienmuster, die den Anschein erweckten, der ganze Körper wäre mit Blättern irgendeiner grobstrukturierten Pflanze bedeckt. Manchmal war sich MacEwan vollkommen im unklaren, ob er nun die Haut oder den zerrissenen Druckanzug berührte. Das Hämmern des Pulses in seinem Schädel war fast unbeschreiblich, wie eine unaufhörliche, lautstark dröhnende Explosion, und das Engegefühl in seiner Brust steigerte sich rasch zu solch einer Stärke, daß er kurz davor war, Chlor einzuatmen, nur um diesen brennenden, würgenden Schmerz in der Lunge loszuwerden. Aber er kämpfte verzweifelt gegen den Drang zu atmen an und preßte die Hand so fest gegen sein Gesicht, daß die Nase zu bluten begann.

Nach einer Zeit, die ihm wie mehrere Stunden vorkam, ertastete er schließlich die Form eines großen Zylinders mit einer Schlauchverbindung und sich seltsam anfühlenden Beulen und vorspringenden Teilen: Das war der Luftbehälter des Illensaners. Verzweifelt zog und drehte MacEwan an den Bedienungselementen, die für die spatelförmigen Finger eines Illensaners konstruiert waren, und plötzlich hörte das Zischen des entweichenden Chlors auf.

MacEwan drehte sich um und entfernte sich taumelnd von dem Illensaner. Er wollte versuchen, aus der noch nicht allzuweit ausgebreiteten Giftgaswolke herauszukommen, damit er endlich wieder atmen konnte. Aber kaum hatte er ein paar Meter zurückgelegt, stolperte er und fiel in das zerbrochene Sitzmöbel eines Extraterrestriers, das von einem Gewirr aus Plastikvorhängen bedeckt war, die noch wenige Minuten zuvor als Hallendekoration gedient hatten. Sein freier Arm bewahrte ihn zwar davor, sich zu verletzen, aber er reichte bei weitem nicht aus, um sich aus dem Gewirr von Röhren und Plastik zu befreien, das sich irgendwie von selbst um seine Füße gewunden hatte. Er öffnete kurz die Augen, aber da sie wegen des Chlors sofort brannten, schloß er sie gleich wieder. Bei solch einer hohen Gaskonzentration konnte er es nicht riskieren, den Mund für einen Hilferuf zu öffnen. Der Lärmpegel in seinem Kopf war schier unglaublich. Er hatte das Gefühl, als würde er von einem dröhnenden, schwarzen Loch verschlungen und seine Brust von einem straffen Band umschlungen und fest zusammengedrückt werden.

Seine Brust wurde tatsächlich von irgend etwas gepackt. MacEwan fühlte, wie dieses Etwas ihn hochhob, die in seinen Armen und Beinen verfangenen Trümmerstücke abschüttelte und ihn in dieser Position eine unbekannte Strecke weit durch die Halle schleppte. Plötzlich spürte er wieder Boden unter den Füßen und öffnete Augen und Mund.

Der Chlorgeruch war zwar immer noch stark, aber MacEwan konnte wenigstens wieder sehen und atmen. Grawlya-Ki stand nur ein paar Meter entfernt und deutete mit besorgter Miene auf das Blut, das MacEwan aus der Nase tropfte. Einer der beiden Extraterrestrier, die sich zuvor mit Farbe besprüht hatten, löste seinen dicken, eisenharten Tentakel, mit dem er MacEwans Brust umklammert hatte. Dieser rang noch so verzweifelt nach Atem, daß er nicht einmal etwas sagen konnte.

Sein Retter hingegen brüllte über den Lärm hinweg, den die Verwundeten in der ganzen Umgebung machten: „Ich bitte Sie ganz untertänig und aufrichtig um Entschuldigung, falls ich Sie durch solch einen groben und möglicherweise intimen Körperkontakt in irgendeiner Weise in Verlegenheit gebracht oder gar verletzt haben sollte. Hoffentlich habe ich bei Ihnen keinen seelischen Schock hervorgerufen. Wenn Ihr orligianischer Freund nicht so beharrlich behauptet hätte, Sie würden in ernster Gefahr schweben, und wenn er nicht mit der Bitte an mich herangetreten wäre, Sie da herauszuholen, hätte ich es gar nicht gewagt, Sie zu berühren. Sollte ichSie also beleidigt haben, dann.“

„Sie haben mich überhaupt nicht beleidigt“, unterbrach ihn MacEwan. „Ganz im Gegenteil! Sie haben mich unter Einsatz Ihres Lebens vor dem sicheren Tod bewahrt. Schließlich ist Chlor für uns Sauerstoffatmer absolut tödlich. Ich danke Ihnen aufrichtig.“

Da sich die Gaswolke aus dem Anzug des toten Illensaners langsam ausbreitete, wurde es immer schwieriger zu sprechen, ohne zu husten, und Grawlya-Ki entfernte sich bereits. MacEwan wollte ihm gerade folgen, als ihn sein Retter erneut ansprach.

„Ich befinde mich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr.“ Seine Augen funkelten MacEwan beim Sprechen aus ihren harten, organischen Schutzpanzerungen an. „Ich bin ein Hudlarer, Terrestrier. Meine Spezies atmet nicht, sondern nimmt die Nahrung direkt aus der Hochdruckatmosphäre auf, die man in der Nähe der Planetenoberfläche mit einer dicken, halbgasförmigen Suppe vergleichen könnte. Außer der Notwendigkeit, unsere Körperoberfläche in regelmäßigen Abständen mit einem Nahrungspräparat zu besprühen, bereitet uns höchstens noch extrem ätzende Atmosphäre Unannehmlichkeiten. Bei Bauvorhaben im Orbit können wir sogar eine ganze Weile im luftleeren Raum arbeiten.

Also, ich bin zwar froh, daß ich Ihnen helfen konnte, Terrestrier, aber deshalb bin ich noch lange kein Held“, schloß der Hudlarer.

MacEwan blieb stehen und rief zurück: „Trotzdem bin ich Ihnen natürlich sehr dankbar.“ Dann deutete er mit einer Handbewegung quer durch den riesigen Raum, der eher einem Schlachtfeld als einer luxuriösen Abflughalle zu den Sternen ähnelte. Erst nach einigen Hustenanfällen war er in der Lage zu sagen: „Entschuldigung, ich will ja nicht unverschämt sein, aber wäre es Ihnen möglich, den anderen Wesen, die durch die Verletzungen bewegungsunfähig geworden sind und Gefahr laufen zu ersticken, genauso zu helfen wie mir?“

Inzwischen hatte sich der zweite Hudlarer zu ihnen gesellt, aber keiner von beiden sagte etwas. Grawlya-Ki winkte zu MacEwan herüber und deutete auf die transparente Wand des Büros vom Colonel, in dem der Offizier des Monitorkorps wie wild gestikulierte.

„Ki, kannst du mal herausfinden, was der will?“ rief MacEwan dem Orligianer zu. Dann wandte er sich wieder an den ersten Hudlarer: „Verständlicherweise gehen Sie bei der körperlichen Berührung von Mitgliedern anderer Spezies sehr behutsam vor, um keinen Anstoß bei ihnen zu erregen. Unter normalen Umständen ist ein solches Verhalten ja auch sehr anerkennenswert und durchaus ein Beweis für die Sensibilität und Intelligenz eines Wesens. Aber hier haben wir es eben nicht mit einer normalen Situation zu tun, und ich bin überzeugt, daß die Verletzten Ihnen jede unbeabsichtigte körperliche Intimität Ihrerseits verzeihen werden, wenn es lediglich in der Absicht geschieht, ihnen zu helfen. Schließlich könnte unter den derzeit herrschenden Umständen eine große Anzahl der Wesen sterben, die.“

„Wenn wir weiterhin mit diesen überflüssigen Höflichkeitsfloskeln kostbare Zeit verplempern, sterben einige der Verletzten noch vor Langeweile oder gar an Altersschwäche“, unterbrach ihn der zweite Hudlarer plötzlich barsch. „Wir Hudlarer haben hier offensichtlich einen körperlichen Vorteil. Also, was sollen wir tun, um.?“

„Für die voreiligen und unbesonnenen Bemerkungen meines Lebensgefährten bitte ich Sie ganz untertänig um Entschuldigung, Terrestrier“, unterbrach der erste den zweiten Hudlarer schnell. „Und auch für alle möglicherweise darin enthaltenen Beleidigungen.“

„Das ist nicht nötig. Ich fühl’ mich überhaupt nicht beleidigt“, entgegnete MacEwan und brach vor lauter Erleichterung in ein Lachen aus, bis daraus durch die chlorhaltige Luft ein Hustenanfall wurde. Zuerst spielte er mit dem Gedanken, seinen Anweisungen sicherheitshalber Entschuldigungen vorauszuschicken, falls er die Hudlarer versehentlich beleidigen sollte, kam dann aber zu dem Schluß, dadurch nur noch mehr Zeit zu verlieren. Also atmete er tief, aber vorsichtig ein und sagte: „Im Umkreis des Transporters nimmt die Chlorkonzentration noch immer zu. Könnte einer von Ihnen die Opfer an der betreffenden Stelle von den schweren Trümmerstücken befreien und sie dann zum Eingang des Bordtunnels bringen? Sollte dieKonzentration nämlich weiter steigen, könnte man sie von dort aus schnell in den Tunnel schaffen. Der zweite sollte sich hingegen darauf konzentrieren, die Illensaner zu retten, und sie in die Einstiegsluke des Transporters hieven. Direkt dahinter befindet sich eine Schleusenvorkammer. Ein paar von den weniger schwer verletzten Chloratmern sind hoffentlich in der Lage, die anderen durch die Schleuse zu schaffen, um dann im Transporter Erste Hilfe zu leisten. Der Orligianer und ich werden zunächst versuchen, die Verletzten zu bergen, für die das Chlor keine unmittelbare Gefahr darstellt, und werden dann den Eingang des Bordtunnels öffnen. Was hast du da, Ki?“

Der Orligianer war mittlerweile mit über einem Dutzend kleiner Zylinder in den Armen zurückgekehrt, an denen Sauerstoffmasken und Gurte befestigt waren. „Notfallausrüstung zur Brandbekämpfung“, antwortete er laut. „Der Colonel hat mir den Weg zum Notschrank gezeigt. Die Masken sind aber eigentlich für Nidianer gedacht. Deshalb werden diese Dinger nicht besonders gut sitzen und einigen dieser Wesen bestimmt überhaupt nicht passen. Aber vielleicht können wir die Masken bei denen durch Festhalten wenigstens einigermaßen anpassen und dann.“

„Diese Seite des Problems betrifft uns nicht“, unterbrach ihn der erste Hudlarer. „Aber was machen wir mit Verwundeten, bei denen wohlmeinende Retter mit ihrer mangelnden Kenntnis von der Physiologie des betreffenden Wesens nur noch eine Verschlimmerung der Verletzungen hervorrufen könnten, Terrestrier?“

MacEwan befestigte bereits einen Zylinder an seiner Brust, indem er den Tragegurt um die eine Schulter legte und unter der Achselhöhle der anderen Schulter hindurchführte — weil die nidianischen Gurte für eine andere Befestigungsmöglichkeit zu kurz waren — und antwortete grimmig: „Grawlya-Ki und ich stehen vor dem gleichen Problem.“

„Dann werden wir eben nach bestem Wissen und Gewissen handeln“, entgegnete der zweite Hudlarer und bewegte sich, dicht gefolgt von seinem Lebensgefährten, schwerfällig auf den Transporter zu.

„Das ist aber nicht das einzige Problem“, gab Grawlya-Ki zu bedenken, während er ebenfalls einen Zylinder an seinem Harnisch befestigte. „Durch die Kollision sind sämtliche Sprechverbindungen lahmgelegt. Deshalb kann der Colonel weder die Terminalverwaltung über die hiesige Lage informieren, noch hat er irgendeine Ahnung, was der Notdienst in dieser Sache unternimmt. Außerdem läßt sich nach seinen Angaben der Eingang zum Bordtunnel nicht öffnen, solange die Atmosphäre in der Halle noch verseucht ist — diese Vorsichtsmaßnahme gehört zum Sicherheitssystem, um eine solche Verseuchung zu begrenzen, damit sie sich nicht über den Bordtunnel in das wartende Schiff oder in die Hauptwartehalle ausbreiten kann. Das System kann zwar von dieser Seite aus abgeschaltet werden, aber nur mit einem Spezialschlüssel, den der diensthabende Chef des Bodenpersonals in der Halle bei sich trägt. Hast du diesen Nidianer vielleicht irgendwo gesehen?“

„Ja“, entgegnete MacEwan mit grimmiger Miene. „Kurz vor dem Unfall hat er an der Ausstiegsluke gestanden. Ich glaube, er liegt irgendwo unter dem Transporter.“

Grawlya-Ki gab einen unübersetzten, jammerenden Laut von sich und fuhr dann fort: „Der Colonel will sich über ein monitorkorpseigenes Funkgerät mit einem angedockten Schiff des Korps in Verbindung setzen, um auf diesem Weg in das Funknetz des Flughafens zu gelangen. Bisher hatte er damit allerdings keinen Erfolg. Die nidianischen Bergungsmannschaften reden und reden und hören überhaupt keinem Außenstehenden zu.

Auf jeden Fall will der Colonel wissen, was er denen sagen muß, falls er durchkommen sollte. Vor allen Dingen muß er von der Anzahl, der körperlichen Verfassung und dem Verseuchungsgrad der Opfer Kenntnis haben und auch von den Stellen, an denen die Rettungsmannschaften am besten in die Halle hereinkommen können. Er will dringend mit dir sprechen.“

„Aber ich will allenfalls erst später mit ihm sprechen“, erwiderte MacEwan. Für einen brauchbaren Lagebericht wußte er noch nicht genug, und bis es soweit war, konnten sie ihre Zeit viel besser nutzen, als sich dem Colonel gegenüber auszuweinen. Er deutete auf einen zuckenden Gegenstand, der wie ein grauer, blutbefleckter Sack aussah und unübersetzbare Laute von sich gab, und sagte: „Der da zuerst.“

Wie MacEwan feststellen mußte, war der verletzte Kelgianer nur unter großen Schwierigkeiten zu bewegen, zumal das gesamte Gewicht auf lediglich einem orligianischen und zwei terrestrischen Armen lastete: Grawlya-Kis Maske paßte nämlich so schlecht, daß er sie ständig festhalten mußte. Der Verletzte war ein raupenähnliches Wesen mit mehr als zwanzig Beinen, das am ganzen Körper von einem silbrigen, jetzt allerdings stark blutbeflecktem Fell bedeckt war. Der Körper, etwa von der Größe und dem Gewicht eines Terrestriers, war völlig schlaff. Mit Ausnahme des Kopfabschnitts schien er kein Skelett oder irgendwelche anderen Knochen zu haben. Aber es fühlte sich so an, als würden statt dessen direkt unter dem Fell breite, konzentrische Muskelbänder über die gesamte Körperlänge verlaufen.

Als MacEwan und Grawlya-Ki den Kelgianer endlich vom Boden hochgehoben hatten — wobei MacEwan Kopf und Mittelteil mit seiner Brust beziehungsweise mit den ausgestreckten Armen stützte und Grawlya-Ki den Schwanz zwischen Oberarm und Brustkorb einklemmte — schaukelte der vollkommen schlaff durchhängende Körper so stark hin und her, daß eine der Wunden zu bluten begann. Weil sich MacEwan beim Transport zum Eingang des Bordtunnels darauf konzentrierte, den Körper bewegungslos zu halten, und nicht auf den Weg achtete, verfing er sich mit den Füßen in einem Stück des Dekorationsvorhangs. Er fiel auf die Knie, und die Blutungen des Kelgianers wurden immer schlimmer.

„Wir müssen sofort etwas dagegen unternehmen“, brüllte der Orligianer, dessen Stimme von der kleinen Maske gedämpft wurde. „Hast du irgendeine Idee?“

Da bei einem Krieg im Weltraum die meisten Verletzungen durch abrupten Druckabfall entstanden und man diese sowieso nur selten oder überhaupt nicht behandeln konnte, hatte MacEwan beim Militär lediglich die Grundlagen Erster Hilfe gelernt. Darüber hinaus ließen sich seinegeringen Kenntnisse nur auf Mitglieder der eigenen Spezies anwenden. So stillte man zum Beispiel ernsthafte Blutungen, indem man die Blutzufuhr zur Wunde mit einer Aderpresse oder durch Druck auf eine ganz bestimmte Körperstelle unterbrach. Das Blutkreislaufsystem des Kelgianers schien sehr nah unter der Haut zu liegen; wahrscheinlich deshalb, weil die breiten, kreisförmigen Muskelbänder mit Unmengen von Blut versorgt werden mußten. Unglücklicherweise wurde jedoch der genaue Verlauf der Adern vom dichten Fell des Wesens verdeckt. Nach MacEwans Ansicht kamen als Behandlungsmethode nur eine Kompresse und feste Bandagen in Frage. Er hatte zwar keine Kompressen und auch keine Zeit, danach zu suchen, aber an seinem linken Fußgelenk hatte sich so etwas ähnliches wie Verbandstoffersatz verfangen: nämlich Reste des Plastikvorhangs.

Er schüttelte den Vorhangstoff vom Fuß und zog dann ungefähr zwei Meter davon unter den Trümmern hervor, die zusammen mit dem Vorhang von der Decke heruntergekommen waren. Das Material war äußerst robust, und deshalb mußte er all seine Kraft aufwenden, um es quer durchzureißen. Glücklicherweise war der Vorhang aber so breit, daß er die gesamte Wunde bedeckte und sogar noch einige Zentimeter übrigblieben. Mit Hilfe des Orligianers hielt MacEwan den synthetischen Stoff über der Wunde fest. Dann führte er die beiden Enden um den zylindrischen Körper herum, zog sie fest zusammen und machte einen Knoten.

Wahrscheinlich war die Behelfsbandage zu fest geraten und dort, wo sie unterhalb des Kelgianerkörpers entlanglief, preßte sie zwei Beinpaare in einer womöglich falschen Richtung gegen den Bauch. Außerdem mochte MacEwan gar nicht daran denken, welche Folgen der überall an dem Plastikstoff haftende Staub und Schmutz auf die offene Wunde haben könnte.

Der gleiche Gedanke mußte auch Grawlya-Ki durch den Kopf gegangen sein, denn er sagte: „Vielleicht können wir einen anderen Kelgianer auftreiben, der nicht so stark verletzt ist und weiß, was zu tun ist.“

Es dauerte jedoch eine ganze Weile, bis sie endlich einen anderen Kelgianer gefunden hatten. Es kam ihnen vor, als sei bereits mehr als eineStunde vergangen, obwohl erst zehn Minuten verstrichen sein konnten, wenn man der großen und merkwürdigerweise noch immer funktionierenden Hallenuhr glauben wollte, die in konzentrische Ringe unterteilt war, in denen die Zeiteinheiten der Hauptplaneten der Föderation angezeigt wurden.

Einer der beiden Hudlarer hatte zwei der krabbenähnlichen Melfaner aus den Trümmern des Wracks befreit, und zumindest ein Melfaner war noch ansprechbar und anscheinend sogar unverletzt, konnte aber wegen des Chlors oder Staubs nichts sehen. Grawlya-Ki sprach beruhigend auf ihn ein und führte ihn weg, indem er ihn an einem dicken, fleischigen Fortsatz festhielt, der dem Wesen aus dem Kopf wuchs und dessen eigentlichen Zweck er nicht kannte. Der andere Melfaner gab nur laute und unübersetzbare Geräusche von sich. Sein Rückenpanzer war an mehreren Stellen gebrochen und von den drei Beinen, die ihn auf der einen Seite hätten tragen sollen, waren zwei schlaff und nicht mehr zu gebrauchen, und das dritte fehlte sogar völlig.

MacEwan bückte sich schnell und schob seine Hände und Unterarme zwischen den beiden unbrauchbaren Beinen unter den Rand des Rückenpanzers. Dann hob er den Körper bis zur normalen Stehhöhe hoch. Kurz darauf setzten sich die Beine auf der anderen Seite langsam in Bewegung. Er hielt im selben Tempo Schritt, während er die verletzte Seite des Körpers abstützte und den Melfaner um die Trümmerteile herumführte, die überall im Weg lagen, bis er schließlich den Schwerverletzten neben seinen erblindeten Gefährten legen konnte.

MacEwan wußte nicht, was er für den Melfaner noch hätte tun können, deshalb begab er sich wieder zu den Hudlarern, die gerade inmitten der größeren Trümmerstücke herumgruben.

Gemeinsam legten sie drei weitere Melfaner frei, die trotz ihrer schweren Verletzungen gehfähig waren, und führten sie zum Eingang des Bordtunnels. Danach bargen sie zwei Tralthaner aus den Trümmern. Diese riesenhaften, sechsbeinigen Wesen schienen zwar unverletzt, von dem unverändert aus dem Transporter entweichenden Gas jedoch stark in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. MacEwan und Grawlya-Ki drückten den Tralthanern je eine nidianische Sauerstoffmaske auf eine ihrer beiden Atemöffnungen und riefen ihnen zu, die andere zu schließen. Dann führten sie die beiden zum Sammelpunkt der Verwundeten, wobei sie höllisch aufpassen mußten, daß sie nicht unter eines der elefantenartigen Beine gerieten, das ihnen mit Leichtigkeit einen Fuß zermalmt hätte. Anschließend gruben sie noch zwei der kelgianischen Raupen aus. Eine war offensichtlich an einer seitlichen, tiefen Rißwunde bereits verblutet. Die andere hatte sich fünf der hinteren Beinpaare verletzt und konnte sich deshalb nicht mehr bewegen. Jedoch war sie bei vollem Bewußtsein und konnte so MacEwan und Grawlya-Ki beim Transport zu den anderen Verwundeten mithelfen, indem sie ihren Körper versteifte.

MacEwans Bitte um Hilfe für den zu Anfang geborgenen kelgianischen Verletzten, dem er vorhin eine Behelfskompresse angelegt hatte, mußte die Raupe abweisen, da sie keine medizinische Ausbildung hatte und ihr auch ansonsten keine anderen Hilfsmaßnahmen einfielen.

Auf die stetig wachsende Menge von Verletzten am Tunneleingang gingen, krochen und schlängelten sich inzwischen noch mehr Verwundete zu, die aus den Trümmern geborgen worden waren oder sich selbst hatten befreien können. Einige konnten zwar sprechen, aber die meisten gaben nur laute und unübersetzbare Töne von sich, die vermutlich Schmerzenslaute waren. Die Verletzten, die noch immer zwischen den herabgestürzten Trümmerstücken eingeklemmt waren, gaben vergleichsweise schwache Geräusche von sich.

Die beiden Hudlarer arbeiteten zwar unermüdlich, wobei sie oft von einer Staubwolke umgeben waren, die sie dabei aufwirbelten, schienen aber nur noch organische Überbleibsel freizulegen, für die jede Hoffnung auf Rettung zu spät kam. So gab es einen weiteren Kelgianer, der auf schreckliche Weise völlig ausgeblutet war. Zwei, vielleicht auch drei Melfaner mit zerdrückten und zertrümmerten Rückenpanzern und gebrochenen Gliedern wurden freigelegt und ein von einem herabstürzenden Dachbalken völlig zerquetschter Tralthaner, der sichallerdings noch immer fortzubewegen versuchte.

MacEwan hatte zwar Angst, eins dieser Wesen zu berühren, weil der Körper womöglich zwischen seinen Händen auseinanderfallen würde, konnte sich aber nicht absolut sicher sein, ob den Schwerverletzten wirklich nicht mehr zu helfen war. Schließlich wußte er überhaupt nichts über ihre Überlebensfähigkeit bei schweren Verletzungen, und er hatte auch keine Ahnung, ob sie nicht durch eine rechtzeitige fachärztliche Behandlung gerettet werden könnten. Er war auf sich selbst wütend und fühlte sich zu nichts nutze, und nun drang auch noch zu allem Überfluß allmählich das Chlor in seine Gesichtsmaske ein.

„Dieses Wesen hier scheint fast unverletzt zu sein“, stellte der Hudlarer neben ihm fest. Er hatte einen schweren Tisch von einem auf der Seite liegenden Tralthaner gehoben, dessen sechs stämmige Beine noch schwach zuckten. Jedenfalls wiesen die kuppelartige Gehirnschale, der Rüssel mit den vier Augen und die dicke Lederhaut keinerlei Anzeichen von Verletzungen auf. „Vielleicht macht ihm nur das giftige Gas zu schaffen. Was meinen Sie?“

„Wahrscheinlich haben Sie recht“, antwortete MacEwan, und gleich darauf drückte er zusammen mit Grawlya-Ki nidianische Masken auf die Atemöffnungen des Tralthaners. Nach einigen Minuten hatte sich der Zustand des Tralthaners noch immer nicht gebessert. MacEwans Augen brannten, obwohl er genau wie Grawlya-Ki die Maske mit einer Hand fest gegen das Gesicht gepreßt hielt.

„Haben Sie noch eine andere Idee?“ fragte er schließlich den Hudlarer wütend.

In Wirklichkeit richtete sich seine Wut gegen seine eigene Hilflosigkeit, und er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, daß er sie an dem Hudlarer ausließ. Zu allem Überfluß konnte er die beiden Hudlarer äußerlich einfach nicht auseinanderhalten. Sie unterschieden sich nur dadurch, daß der eine eher gequält klang und alles sehr umständlich und allzu höflich formulierte, während sein Lebensgefährte wesentlich direkter zur Sache kam. Dieser hier war zum Glück der Erstgenannte. „Möglicherweise befinden sich die Verletzungen auf der Seite, die auf dem Boden liegt, und sind daher momentan für uns nicht sichtbar“, gab der Hudlarer auf seine schwerfällige Art zu bedenken. „Vielleicht bereitet dem Tralthaner auch das Liegen auf der Seite ernste Unannehmlichkeiten, zumal er ein gedrungenes Wesen ist, das unter hohen Schwerkraftverhältnissen lebt und gewisse körperliche Ähnlichkeiten mit mir selbst aufweist. Wir Hudlarer können zwar problemlos in der Schwerelosigkeit arbeiten, wenn aber Schwerkraft vorhanden ist, muß sie unbedingt nach unten wirken, andernfalls treten innerhalb kürzester Zeit ernsthafte Organverlagerungen auf, die eine vollkommene Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben. Darüber hinaus ist es eine Tatsache, daß sämtliche tralthanischen Schiffe mit einem künstlichen Gravitationssystem ausgerüstet sind, das mehrere Ausfall Schutzsicherungen besitzt. Das ist übrigens nur einer der vielen Gründe für die Zuverlässigkeit der auf Traltha gebauten Schiffe und warum sie überall so beliebt sind. Jedenfalls läßt sich daraus folgern, daß die Tralthaner die seitliche Einwirkung der Gravitation auf den Körper um jeden Preis vermeiden müssen, und daß dieses Wesen hier unter.“

„Jetzt hör endlich auf, großartige Vorträge zu halten, und heb den Kerl hoch“, unterbrach ihn plötzlich der zweite Hudlarer, der sich zu der Gruppe gesellt hatte.

Der erste Hudlarer streckte seine beiden vorderen Tentakel aus, ließ sie über den Rücken des Tralthaners gleiten und schob sie unter die auf dem Boden liegende Seite des Körpers, wobei er sich mit den anderen vier vor den schwach zuckenden Füßen des Liegenden abstützte. MacEwan beobachtete, wie sich die Tentakel strafften, sich bis zum äußersten anspannten und schließlich zu zittern begannen. Doch der Körper des Tralthaners rührte sich keinen Millimeter, so daß der zweite Hudlarer in Position ging, um zu helfen.

MacEwan war überrascht und besorgt zugleich. Er hatte gesehen, daß diese Tentakel, die sowohl zum Gehen als auch zum Greifen dienten, Balken, riesige Bauteile und gewaltige Trümmermassen anscheinend mühelos hochheben konnten. Es handelte sich um eindrucksvoll undungeheuer stark entwickelte Gliedmaßen mit dicken, verhärteten Ballen, die eine Art Knöchel bildeten, auf dem der Hudlarer ging. Der Rest des Tentakels, die dünnere, flexiblere Hälfte mit einem Fingerbüschel an der Spitze, wurde beim Gehen nach innen gegen die Unterseite des Körpers zusammengerollt. Obwohl der Tralthaner, den die beiden Hudlarer jetzt zu bewegen versuchten, ungefähr nur die Größe eines terrestrischen Elefantenbabys hatte, reichten deren vereinte Kräfte lediglich dazu aus, den Körper leicht anzuheben.

„Warten Sie!“ rief MacEwan eindringlich. „Sie haben doch schon viel schwerere Gewichte hochgehoben. Ich glaube, der Tralthaner hängt an einem vorspringenden Bauteil fest oder ist womöglich darauf aufgespießt, und Sie können ihn nicht bewegen, weil er.“

„Wir können ihn nicht bewegen, weil wir nach einer ungenügenden Mahlzeit riesige Energiemengen verbraucht haben“, unterbrach ihn der höfliche Hudlarer. „Bei der Einnahme unserer letzten, sowieso schon überfälligen Mahlzeit sind wir vom Unfall unterbrochen worden, kaum daß wir mit ihr begonnen hatten. Wir sind schwach wie kleine Kinder, so schwach wie Sie oder Ihr orligianischer Freund. Aber wenn Sie beide auf die andere Seite des Tralthaners gehen und mithelfen würden, dann könnte Ihre vereinte Körperkraft, so jämmerlich diese auch ist, die Sache möglicherweise ändern.“

Vielleicht war das doch nicht der höfliche Hudlarer, dachte MacEwan, als er und Grawlya-Ki seinem Vorschlag nachkamen. Eigentlich wollte er sich bei den Hudlarern für die Unterstellung entschuldigen, sie seien lediglich organische Bergungsmaschinen, deren Fähigkeiten er für selbstverständlich gehalten hatte. Aber im Gegensatz zu den Hudlarern brauchte er Luft zum Sprechen und davon hatte er zur Zeit zuwenig, da er und Grawlya-Ki sich bereits mit den Schultern unter dem Schädeldach des Tralthaners befanden. Ihre jämmerliche vereinte Körperkraft änderte die Sache allerdings tatsächlich.

Der Tralthaner kam langsam wieder in eine aufrechte Position, taumelte unsicher auf seinen sechs weit auseinanderstehenden Füßen und wurdedann vom Orligianer zu den übrigen Verletzten geführt. MacEwan hatte mittlerweile nicht nur Chlor, sondern auch Schweiß in den Augen und wußte deshalb nicht, welcher der beiden Hudlarer ihn jetzt ansprach. Wahrscheinlich war es derjenige, den er damit betraut hatte, verletzte Illensaner in den beschädigten Transporter zu heben.

„Ich hab da Schwierigkeiten mit einem Chloratmer, Terrestrier“, sagte der Hudlarer. „Er ist mir gegenüber ausfallend und will mir nicht gestatten, ihn anzufassen. Die Umstände verlangen nach einer schnellen Entscheidung, die ich aber allein nicht fällen will. Könnten Sie vielleicht mit ihm sprechen?“

Die nähere Umgebung des Transporters war inzwischen von allen Verletzten geräumt worden. Die einzige Ausnahme bildete dieser Illensaner, der sich standhaft weigerte, fortgebracht zu werden. MacEwan gegenüber gab er als Begründung an, er selbst habe zwar keine ernsthaften Verletzungen erlitten, dafür aber hätte seine Druckhülle zwei kurze Risse bekommen. Den einen hatte er schlecht und recht abdichten können, indem er den Stoff der Hülle um das Leck herum mit beiden Greiforganen gepackt hatte und fest geschlossen hielt, den anderen Riß preßte er zusammen, indem er lediglich darauf lag. Diese Vorkehrungen hatten ihn gezwungen, den Innendruck der Hülle zeitweilig zu erhöhen, so daß er überhaupt keine klare Vorstellung mehr davon hatte, wie lange die Füllung seines Chlorbehälters noch reichte. Obwohl er womöglich kurz vor dem Erstickungstod stand, wollte er sich trotzdem nicht in den zwar ebenfalls leckgeschlagenen, aber dennoch relativ sicheren Transporter tragen lassen, weil dadurch die tödliche Hallenatmosphäre in seine Schutzhülle eindringen könnte.

„Lieber ersticke ich langsam an Chlormangel, als mir von Ihrem Sauerstoff in null Komma nichts meine Atemwege und Lunge zerfressen zu lassen. Fassen Sie mich bloß nicht an!“ bat er eindringlich.

MacEwan fluchte leise vor sich hin, näherte sich dem Illensaner aber nicht. Wo blieben nur die Bergungstrupps, die schon längst hätten eintreffen müssen? Die Uhr zeigte an, daß bereits mehr als fünfundzwanzigterrestrische Minuten seit dem Unfall vergangen waren. Er sah, daß zwar inzwischen die Schaulustigen von der inneren Hallenwand verjagt worden waren, dort aber mittlerweile ein nidianisches Fernsehteam in Position gegangen war und einige ahnungslose Mitglieder des Bodenpersonals anscheinend tatenlos herumstanden. Draußen fuhren schwere Fahrzeuge vor und Nidianer mit Rucksäcken und Helmen hasteten umher, aber wegen der ständig tränenden Augen und der allgegenwärtigen Plastikvorhänge konnte MacEwan keine Einzelheiten erkennen.

Plötzlich deutete er auf die Vorhänge und sagte zu den Hudlarern: „Würden Sie bitte ein großes Stück von dem Plastik herunterreißen und es über den Illensaner legen? Drücken Sie es überall fest an den Anzug und streichen Sie die Falten zu den Rändern hin glatt, damit dort soviel Luft wie möglich ausweicht. Ich bin in einer Minute wieder da.“

Um den Transporter herum eilte er zu dem ersten verletzten Illensaner, dessen Körper ein blasses, pulveriges Blau angenommen hatte und sich allmählich auflöste, und bemühte sich, nur auf die Verbindungspunkte des Chlorbehälters mit dem Gurt zu schauen. Er brauchte mehrere Minuten, um den Tank vom Körpergurt zu lösen, und mehrmals berührten dabei seine bloßen Hände das organische Gewebe des toten Illensaners, das wie verfaulendes Holz zerbröckelte. MacEwan wußte zwar, was für ein heimtückisches Gas Sauerstoff für Chloratmer war, aber erst jetzt konnte er richtig verstehen, daß allein der Gedanke, in einem undichten Anzug fortgetragen zu werden, bei dem zweiten Illensaner panische Angst ausgelöst haben mußte.

Als er zurückkehrte, strich Grawlya-Ki das Plastik um den Illensaner herum alleine glatt, während die beiden Hudlarer ein Stück zurückgetreten waren. Einer der beiden entschuldigte sich: „Unsere Bewegungen sind leider ein wenig unkoordiniert geworden, und deshalb hatte der Chloratmer Angst, wir könnten aus Versehen auf ihn fallen. Aber falls wir noch etwas anderes tun können.“

„Nein“, entgegnete MacEwan knapp. Dann drehte er den Gashahn des Chlorbehälters auf, schob ihn schnell unter die Plastikdecke und stieß ihn nah an den Illensaner heran. Seiner Meinung nach würde das zusätzliche Ausströmen von Chlor jetzt auch keinen großen Unterschied mehr machen — schließlich hatten sich Sauerstoffatmer im gesamten Umkreis des Transporters schon die ganze Zeit nicht mehr ohne Gefahr für Leib und Leben aufhalten können. Er drückte seine kleine Sauerstofffmaske fest gegen das Gesicht, atmete tief und gründlich durch die Nase ein, um mit den Hudlarern sprechen zu können.

„Ich bin ziemlich gedankenlos und anscheinend für die großartige Arbeit, die Sie hier geleistet haben, auch recht undankbar gewesen“, entschuldigte er sich. „Für Sie gibt es hier nichts mehr zu tun. Bitte gehen Sie jetzt, und besprühen Sie sich mit dem notwendigen Nahrungspräparat. Sie haben äußerst uneigennützig gehandelt, und dafür bin ich Ihnen, wie übrigens alle anderen auch, zu größtem Dank verpflichtet.“

Die beiden Hudlarer machten allerdings keinerlei Anstalten zu gehen. Ungeachtet dessen legte MacEwan einzelne Trümmerstücke auf die Ränder der Plastikplane, und Grawlya-Ki, der eine rasche Auffassungsgabe hatte, tat das gleiche. Kurz darauf wurden die Ränder so fest zu Boden gedrückt, daß das aus dem Behälter entweichende Gas die Plastikdecke langsam aufblies und sich der Illensaner somit in einem provisorischen Chlorzelt befand. Die Hudlarer hatten sich immer noch nicht von der Stelle gerührt.

„Der Colonel gibt dir schon wieder ein Zeichen“, sagte Grawlya-Ki. „So, wie er sich aufführt, scheint es ziemlich dringend zu sein.“

„Unglücklicherweise können wir hier unsere Sprühdosen nicht benutzen, Terrestrier“, erklärte einer der Hudlarer, bevor MacEwan Grawlya-Ki antworten konnte. „Der Absorptionsmechanismus in unserer Haut würde zusammen mit der Nahrung auch das giftige Gas aufnehmen, und für unsere Spezies sind schon winzige Mengen Chlor tödlich. Das Nahrungspräparat kann nur in einer günstigen Atmosphäre oder im luftleeren Raum eingenommen werden.“

„Verdammte Scheiße!“ fluchte MacEwan. Wenn er daran dachte, wie aufopferungsvoll die Hudlarer für die Befreiung der Verletzten geschuftet hatten, obwohl sie wußten, daß ihre Zeit und verfügbare Energie streng begrenzt waren, und ihn darüber hinaus im Glauben gelassen hatten, keinerlei Schwierigkeiten zu haben, dann hätte er eigentlich mehr zu sagen haben müssen — doch „Verdammte Scheiße!“ war alles, was er über die Lippen brachte. Er blickte Grawlya-Ki hilflos an, aber das Gesicht des Orligianers war fast vollständig von der pelzigen Hand bedeckt, die die lächerlich kleine Maske festhielt.

„Bei unserer Spezies ist Verhungern ein recht schneller Vorgang, ähnlich dem Ersticken bei Gasatmern“, fügte der andere Hudlarer ruhig hinzu. „Ich schätze mal, wir werden in knapp acht kurzen Einheiten unserer Zeitrechnung das Bewußtsein verlieren und sterben.“

MacEwans Augen richteten sich auf die konzentrischen Kreise der Hallenuhr. Der Hudlarer sprach von einer Zeitspanne, die ungefähr zwanzig irdischen Minuten entsprach. Irgendwie mußte dieser Bordtunnel doch zu öffnen sein!

„Gehen Sie zum Tunneleingang und versuchen Sie, bei Kräften zu bleiben“, sagte er. „Warten Sie bei den anderen, bis.“ Er brach verlegen ab und wandte sich dann an seinen Freund: „Ki, du gehst am besten auch mit rüber. Das Chlor hier in der Luft reicht aus, um dein Fell vollkommen auszureichen. Laß weiterhin die Masken herumgehen und.“

„Denk an den Colonel“, erinnerte ihn Grawlya-Ki, während er sich bereits umdrehte, um den Hudlarern zu folgen. MacEwan signalisierte ihm seinen Dank, doch bevor er selbst zur Innenwand gehen konnte, begann der Illensaner zu sprechen, dessen Stimme unter dem provisorischen Chlorzelt gedämpft klang.

„Das war eine geniale Idee, Terrestrier“, sagte der Illensaner langsam. „Meine Druckhülle befindet sich jetzt in einer günstigen Atmosphäre, die es mir ermöglicht, den gerissenen Stoff zu reparieren und so lange zu überleben, bis ich Hilfe von anderen Illensanern erhalte. Vielen Dank!“

„Keine Ursache“, entgegnete MacEwan und bahnte sich durch die Trümmer hindurch einen Weg zu der noch immer wie wild gestikulierenden Gestalt des Colonels. Er war noch mehrere Meter von der Wand entfernt, als der Offizier auf ein Ohr deutete und dann mit dem Zeigefinger gegen die Innenfläche der Wand pochte. MacEwan löste gehorsam auf einer Seite die Maske und drückte ein Ohr gegen die transparente Wand. Obwohl die Gesichtsfarbe des Colonels verriet, daß er schrie, war seine Stimme nur leise und sehr undeutlich zu hören.

„Hören Sie zu, MacEwan, und versuchen Sie jetzt nicht zu antworten“, brüllte der Colonel. „Wir haben Sie in fünfzehn, höchstens zwanzig Minuten da rausgeholt, und schon in zehn Minuten bekommen sie frische Luft. Es ist bereits für sämtliche Verletzten aller Spezies ärztliche Hilfe unterwegs. Außerdem weiß auf diesem Planeten inzwischen jeder über den Unfall Bescheid, weil das Fernsehen auf allen Kanälen in den Nachrichten über Ihre Ausweisung berichtet hat. Das ist wirklich mal eine Nachricht, die einschlägt! Wegen der Kontaktmikrofone und der daran angeschlossenen Translatoren der Fernsehteams verstehen wir jedes einzelne Wort, das bei Ihnen da drinnen gesprochen wird. Die Regierung besteht darauf, daß alle erdenklichen Anstrengungen zur Beschleunigung der Rettungsaktion unternommen werden.“

Auf der anderen Seite der Halle schwenkte Grawlya-Ki gerade seine Maske und den Luftbehälter über dem Kopf. Als sich der Orligianer sicher war, daß MacEwan ihn gesehen hatte, warf er Maske und Behälter weg. Auch von den anderen Verwundeten trug keiner mehr eine Maske; offensichtlich waren die Geräte nutzlos geworden, da der Sauerstoffvorrat mittlerweile verbraucht war.

MacEwan fragte sich, wie lange sein eigener Sauerstoffvorrat noch reichen würde, zumal die Ausrüstung für die kleinen Nidianer konzipiert worden war, deren Lungen lediglich das halbe Volumen menschlicher Lungen hatten. Außerdem war während des ständigen Weitergebens der Masken von einem Verletzten zum anderen eine Menge Luft ungenutzt verloren gegangen. Bei Grawlya-Ki schließlich hatte die Luft wegen seines pelzigen Gesichts unter den Maskenrändern hindurch entweichen können, ganz besonders dann, wenn der Orligianer von Zeit zu Zeit den Druck erhöht hatte, um das Einströmen von Chlor zu verhindern.

Der Colonel hatte Grawlya-Kis Handlung auch gesehen und mußte zum selben Schluß gekommen sein. „Sagen Sie den Verletzten, sie brauchen nur noch ein paar Minuten lang durchzuhalten“, fuhr er fort. „Leider können wir nicht von der Haupthalle aus zu ihnen reinkommen, weil sich darin zu viele ungeschützte Wesen aufhalten. Abgesehen davon ist diese Kunststoffwand äußerst widerstandsfähig. Um die zu zerschneiden, braucht man ganz spezielle Schweißgeräte, die aber wiederum nicht schnell genug verfügbar wären. Obendrein würden durch die Einwirkung der Hitze auf den Kunststoff große Mengen hochgiftiger Dämpfe entstehen, und zwar mit solch verheerenden Auswirkungen, daß Ihnen Ihr gegenwärtiges Chlorproblem nur noch wie schlechter Geruch vorkommen würde.

Aus genau diesem Grund wird der Bergungstrupp durch das Loch hereinkommen, das von dem Transporter in die Wand gerissen worden ist. Zwischen dem Rumpf des Fahrzeugs und der Wand sind zwar nur ein paar Zentimeter Platz, aber das Team wird den Transporter einfach rückwärts herausziehen, damit man Sie dann durch das Loch an die frische Luft bringen kann. Dort werden Ärzte bereitstehen, die Sie mit.“

MacEwan hämmerte mit der Faust und einem Fuß gegen den Kunststoff, um den Colonel auf sich aufmerksam zu machen, und atmete so tief durch die Maske ein, wie er konnte. Jetzt war er an der Reihe zu brüllen.

„Nein!“ schrie er und hielt dabei den Mund so nahe an die Wand, wie es mit der Maske möglich war. „Bis auf eine Ausnahme befinden sich in dem Transporter sämtliche verwundeten Illensaner! Bei dem Zusammenstoß ist die gesamte Rumpfkonstruktion beschädigt worden. Aus sämtlichen Schweißnähten strömt Chlor. Wenn Sie den Transporter einfach rückwärts herausziehen, bricht er höchstwahrscheinlich auseinander, und die Verletzten sind dann schutzlos der Luft ausgeliefert. Ich hab mit eigenen Augen gesehen, was mit einem Chloratmer passiert, wenn er der Einwirkung von Sauerstoff frei ausgesetzt ist.“

„Aber wenn wir nicht schleunigst in die Halle reinkommen, sterben dieSauerstoffatmer“, antwortete der Colonel, dessen zuvor feuerrotes Gesicht mittlerweile kreidebleich geworden war.

MacEwan konnte fast sehen, wie die grauen Zellen des Colonels fieberhaft arbeiteten. Zog man den Transporter mit den verletzten Chloratmern an Bord rückwärts aus der Hallenwand heraus und verschuldete auf diese Weise das Auseinanderbrechen des Fahrzeugs, dann wäre die illensanische Regierung darüber nicht gerade erfreut. Auf der anderen Seite würden aber auch die Regierungen von Traltha, Kelgia, Melf, Orligia und der Erde keine Freudentänze aufführen, wenn nicht schleunigst etwas unternommen wurde, um ihre Leute zu retten.

So etwas konnte durchaus der Anlaß für einen interstellaren Krieg sein.

Angesichts der Medien, die sofort über jeden Zwischenfall berichteten, der empfindlichen Kontaktmikrofone, die jedes übersetzte Wort aufnahmen, kaum daß es über die Lippen gekommen war, hatte man keine Chance, den Zwischenfall zu vertuschen oder diplomatisch zu beschönigen. Außerdem verfolgten die Artgenossen der Opfer auf Nidia die Ereignisse und konnten sich ihr eigenes Urteil bilden. Sie waren emotional in die Sache verwickelt und würden schließlich entsprechend darauf reagieren. Der zu fassende Entschluß konnte nur sein, sich entweder für den sicheren Tod von sieben oder acht chloratmenden Illensanern zu entscheiden, um vielleicht die dreifache Menge Tralthaner, Hudlarer, Kelgianer und Melfaner zu retten — die allerdings nach dem derzeitigen Stand der Dinge so oder so in großer Zahl sterben würden —, oder den Tod der Sauerstoffatmer durch Chlorvergiftung in Kauf zu nehmen.

MacEwan konnte eine solche Entscheidung nicht fällen und wie er dem in seinem Büro gefangenen, kreidebleichen und schwitzenden Colonel ansah, war dieser ebensowenig dazu in der Lage. Er machte erneut durch Klopfen auf sich aufmerksam und brüllte: „Öffnen Sie den Bordtunnel! Wenn es sein muß, sprengen Sie ihn eben auf. Stellen Sie im Tunnel Ventilatoren auf, oder pumpen Sie frische Luft aus dem Schiff hinein, um den Druck zu erhöhen und das Eindringen von Chlor zu verhindern. Dann schicken Sie die Bergungstrupps zu unserem Tunnelende und lassen ihn von innen öffnen. Die elektrischen Leitungen des Sicherheitssystems lassen sich doch bestimmt kurzschließen und die.“

Beim Sprechen dachte er über die Entfernung zwischen dem Tunneleingang und dem Vorfeld nach. Falls das schnelle Rollband nicht funktionierte, würde die Tunneldurchquerung viel Zeit in Anspruch nehmen. Außerdem hatte man in einem Flug- oder Raumhafen möglicherweise nicht so schnell Sprengstoff zur Hand. Vielleicht konnte das Monitorkorpsschiff im Dock etwas Sprengstoff zur Verfügung stellen, wenn noch genügend Zeit blieb — dabei stand ihnen allerdings nur ein Zeitraum von wenigen Minuten zur Verfügung.

„Der Auslöser für das Sicherheitssystem ist auf Ihrer Seite“, unterbrach ihn der Colonel. „Im übrigen befindet sich das äußere Tunnelende viel zu nah am Schiff, um Sprengstoff einsetzen zu können. Das Schiff müßte also erst starten, und damit würde man nur noch mehr kostbare Minuten verlieren. Das Sicherheitssystem kann nur von Ihrer Seite aus abgeschaltet werden, und zwar mit einem Spezialschlüssel, den der Chef des diensthabenden nidianischen Bodenpersonals bei sich trägt. Mit diesem Schlüssel läßt sich die Abdeckhaube vor den Schaltern für den Tunnel entfernen. Die Haube selbst ist zwar durchsichtig, aber leider unzerbrechlich. Wissen Sie, in einem solch riesigen Komplex kann eine Verseuchung absolut tödlich sein, erst recht, wenn Sie bedenken, daß Chlor im Vergleich zu einigen anderen Substanzen, die Aliens einatmen, geradezu mild ist.“

MacEwan hämmerte wieder gegen die Wand und rief: „Der Nidianer mit dem Schlüssel liegt unter dem Transporter, und der läßt sich ja wiederum nicht bewegen. Aber wer sagt denn, daß die Abdeckhaube unzerbrechlich ist? Hier in den Trümmern liegen überall Eisenstangen herum, die Streben von den Sitzmöbeln. Falls ich die Haube nicht aufkriege, werde ich versuchen, sie aufzuhebeln oder einzuschlagen. Inzwischen könnten Sie schon mal herausfinden, was ich überhaupt tun muß, sobald die Haube entfernt ist.“

Aber der Colonel war ihm um eine Nasenlänge voraus, denn er hatteden Nidianern bereits dieselbe Frage gestellt. Um die versehentliche Betätigung der Schalter durch nichtnidianische Finger von vornherein auszuschließen, hatten die Tunnel Schalter die Form von sechs versenkten Knöpfen, die in einer bestimmten Reihenfolge gedrückt werden mußten. MacEwan würde also einen Stift oder etwas Ähnliches benutzen müssen, um sie überhaupt betätigen zu können, denn seine Finger waren viel zu dick. Er hörte den Erklärungen des Colonels aufmerksam zu, signalisierte ihm, daß er alles verstanden hatte, und kehrte dann zu den Verletzten zurück.

Grawlya-Ki hatte MacEwans Beiträge zu der durch die Hallenwand gebrüllten Unterhaltung mitbekommen und bereits zwei Metallstangen aufgetrieben. Er war gerade dabei, über das Pult herzufallen, als MacEwan hinzukam. Die Stangen waren zwar robust genug, hatten aber nicht das notwendige Gewicht und somit auch nicht die erforderliche Trägheit. Bei jedem Schlag auf die Abdeckhaube prallten oder rutschten die Stangen ab, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen.

Diese verdammten Nidianer mit ihrem steinharten Kunststoff!

MacEwan kochte. Er versuchte die Haube aufzuhebeln, aber die Fuge war kaum zu erkennen, und auch die Scharniere schlossen mit dem Sockel des Schaltpults bündig ab. Er fluchte und versuchte es noch einmal.

Grawlya-Ki sagte nichts, weil er inzwischen pausenlos husten mußte. Das Chlor griff seine Augen so stark an, daß die Schläge immer häufiger völlig ins Leere gingen, anstatt das Pult zu treffen. MacEwan spürte eine allmähliche Verschlechterung der eigenen Luftversorgung. Dabei hatte er nicht den Eindruck, durch die Ränder der Maske die vergiftete Hallenluft anzusaugen, sondern eher das Gefühl, daß sein Behälter fast leer war und er Sauerstoff einzuatmen versuchte, der gar nicht mehr vorhanden war.

Die Verletzten ringsherum regten sich zwar immer noch, ihre Bewegungen waren aber inzwischen krampfartig geworden, als würden sie bereits im Endstadium des Erstickens mit dem Tod ringen. Durch diese krampfartigen Zuckungen wurden die Verletzungen natürlich nur noch schlimmer. Die beiden Hudlarer waren die einzigen, die vollkommen reglos blieben. Sie schwebten, von den sechs tentakelartigen Gliedern getragen, nur wenige Zentimeter über dem Boden. MacEwan stellte sich auf die Zehenspitzen, hob die Metallstange hoch in die Luft, und schlug sie mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft nach unten.

Als ihm die furchtbare Erschütterung des Aufpralls vom Handgelenk bis zu den Schultern durch die Arme fuhr, stöhnte er vor Schmerz laut auf, und die Stange fiel ihm kraftlos aus den Händen. Er fluchte abermals und blickte hilflos umher.

Durch die Glaswände des Büros beobachtete ihn der Colonel. Hinter den Innenwänden der Halle konnte MacEwan die Fernsehteams des nidianischen Sendenetzes sehen, die ihn mit ihren Kameras verfolgten und jedes einzelne Wort, jedes Husten und Stöhnen der Eingeschlossenen hörten und aufnahmen. Da sich mittlerweile der Staub gelegt hatte und die meisten der störenden Vorhänge heruntergerissen worden waren, konnte er die Besatzungsmitglieder der schweren nidianischen Abschleppfahrzeuge erkennen, die ihm allesamt gebannt zusahen. Er brauchte dem Colonel bloß ein Zeichen zu geben — schon würden die Hilfstrupps den beschädigten Transporter rückwärts herausziehen, und binnen weniger Minuten könnten die Ärzte mit der Behandlung der Verletzten beginnen.

Aber wie würde wohl die Spezies der Illensaner darauf reagieren? Technologisch stand sie auf einer hohen Entwicklungsstufe. So besaßen die Illensaner Hunderte von Kolonialwelten, die sie ihren komplexen Umweltbedürfnissen erst einmal hatten anpassen müssen. Und obwohl sie die am weitesten gereiste Spezies der Föderation waren, stellten sie die eigentliche unbekannte Größe dar, denn ihre Planeten waren so gefährlich und unwirtlich, daß sie in der Tat nur äußerst selten von anderen Wesen besucht wurden. Würde diese Spezies Nidia die Schuld an dem Unfall und dem Tod ihrer Angehörigen geben oder gar die anderen warmblütigen Sauerstoffatmer dafür verantwortlich machen, daß deren Angehörige auf Kosten der Illensaner überlebt hatten?

Aber wenn alle Beteiligten zauderten und unentschlossen blieben, bis schließlich sämtliche Verletzten mit Ausnahme der Illensaner tot waren, wiewürden dann wiederum die Weltregierungen von Kelgia, Traltha, Melf, Orligia und der Erde reagieren?

Wahrscheinlich würden sie sich deshalb nicht gleich gegen Illensa verbünden, noch müßte wegen dieses Zwischenfalls gleich ein Krieg ausbrechen, jedenfalls nicht offiziell. Aber egal, welche Spezies gerettet oder welche geopfert wurde, der Grundstein dazu wäre immerhin gelegt, sogar dann, wenn alle Verwundeten sterben sollten. Ein solcher Krieg würde nicht beginnen, weil ihn irgend jemand gewollt hätte, sondern wegen eines höchst unwahrscheinlichen Unfalls, zu dem eine Anzahl von Umständen beigetragen hatte, die größtenteils hätten vermieden werden können.

Selbst den plötzlichen Kollaps des nidianischen Fahrers am Steuer des Transporters hätte man durch strengere ärztliche Kontrollen des Bodenpersonals umgehen können. Daß der Zwischenfall ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt passieren mußte, war bloßes Pech, und das zu starr ausgelegte Sicherheitssystem hatte dann für den Rest gesorgt. Die meisten Todesfälle aber würde es aus Angst und Unwissenheit geben, dachte MacEwan verärgert. Alle Betroffenen waren einfach im Umgang miteinander zu ängstlich und deshalb zu rücksichtsvoll gewesen, um an irgendwelche Fremdweltler mit der Bitte heranzutreten, ihnen rasch ein paar grundlegende Lektionen in Erster Hilfe beizubringen.

Neben ihm war Grawlya-Ki mittlerweile in die Knie gesunken. Der Orligianer hustete, hielt aber immer noch die Metallstange fest. Der Colonel mußte jeden Moment einen Entschluß fassen, weil MacEwan, der einzige Terrestrier am Ort des Geschehens, für eine eigene Entscheidung moralisch viel zu feige war. Aber zu welchem Entschluß der Colonel auch immer kommen würde, sei es, die Illensaner zu retten oder die Sauerstoffarmer, in beiden Fällen wäre die Entscheidung falsch. MacEwan ging näher an einen der reglosen Hudlarer heran und schwenkte die Hand vor einem der großen, weit auseinanderstehen Augen.

Mehrere endlose Sekunden lang zeigte der Hudlarer keinerlei Reaktion. MacEwan fragte sich schon, ob das bedauernswerte Geschöpf bereits tot war, als der Hudlarer plötzlich fragte: „Was ist denn los, Terrestrier?“

MacEwan wollte tief durch die Nase einatmen, merkte aber, daß ihm die Luft ausgegangen war. Einen Augenblick lang geriet er in Panik und hätte fast durch den Mund Luft geholt, konnte sich aber gerade noch rechtzeitig davor hüten. Er deutete auf die Abdeckhaube des Pults und fragte mit dem letzten Rest Luft, den er in seiner fast leeren Lunge hatte: „Schaffen Sie es vielleicht, die Abdeckhaube aufzubrechen? Nur die Haube. Die Schalter, kann ich selbst. betätigen.“

Verzweifelt kämpfte er gegen den Drang an, die chlorverseuchte Luft in die eingefallenen Lungenflügel einzusaugen, während der Hudlarer langsam einen Tentakel ausstreckte und ihn um die Abdeckhaube schlang, der jedoch von der glatten, halbrunden Oberfläche sofort wieder abrutschte. Als ein zweiter Versuch erfolglos blieb, zog der Hudlarer den Tentakel ein kleines Stück zurück und stieß mit seinen scharfen, stahlharten Fingerkuppen gegen die Haube. Im Kunststoff zeigte sich zwar ein kleiner Kratzer, doch waren keinerlei Bruchspuren zu erkennen. Daraufhin zog er den Tentakel wieder zurück, dieses Mal allerdings ein ganzes Stück weiter.

Das Tosen in MacEwans Kopf war lauter als jedes Geräusch, das er jemals in seinem Leben gehört hatte, und wegen der großen, pulsierenden Flecken vor den Augen konnte er nur noch verschwommen erkennen, wie der Hudlarer gerade einen erneuten Versuch unternahm, die Abdeckhaube zu zerbrechen. MacEwan schüttelte den Uniformrock ab, knüllte ihn fest in der Faust zusammen und preßte ihn als Behelfsfilter auf den Mund. Mit der anderen Hand drückte er sich die Nidianermaske gegen das Gesicht, um wenigstens die Augen vor dem Chlor zu schützen. Er atmete vorsichtig ein und bemühte sich, nicht zu husten, während der Hudlarer den Tentakel zu einem weiteren Versuch zurückschwang.

Diesmal schlug er wie ein Rammbock zu, und die Abdeckhaube flog samt Schaltpult und Sockel in sämtliche Einzelteile auseinander.

„Oh, ich war wohl etwas ungeschickt, tut mir leid“, entschuldigte sich der Hudlarer langsam. „Aber der Nahrungsmangel beeinträchtigt leider mein Urteilsvermögen.“

Er brach ab, als ein lauter, doppelter Gongton erklang, die Türen des Bordtunnels aufglitten, und sie alle plötzlich in einem Strom von kühler, reiner Luft badeten. Eine automatisch ausgelöste Ansagestimme verkündete: „Die Passagiere werden gebeten, sich auf das Rollband zu begeben und die Reisedokumente zur Kontrolle bereitzuhalten.“

Die zwei Hudlarer besaßen zusammen noch genügend Kraft, die schwerer Verletzten auf das Rollband zu heben, bevor sie selbst darauf stiegen. Danach fingen sie sofort an, sich gegenseitig mit dem Nahrungspräparat zu besprühen, wobei sie unübersetzbare Laute von sich gaben. Inzwischen rannten Mitglieder des nidianischen Notdienstes, gefolgt von einigen illensanischen und weiteren extraterrestrischen Ärzten, über den feststehenden Rahmen des Rollbands in die entgegengesetzte Richtung.

Durch den Zwischenfall verzögerte sich der Abflug des tralthanischen Schiffs um sechs Stunden. Man nutzte die Zeit, um die nur leicht verwundeten Wesen zu behandeln und an Bord zu bringen, während die Schwerverletzten in die verschiedenen Fremdweltlerquartiere der Stadt transportiert wurden, wo man sie unter genaue Beobachtung von Ärzten ihrer jeweils eigenen Spezies stellen konnte. Das Unfallfahrzeug war nach der geglückten Rettung der verletzten illensanischen Insassen rückwärts aus der transparenten Wand herausgezogen worden, und nun blies durch das klaffende Loch ein kalter Wind vom Vorfeld herein.

Grawlya-Ki, MacEwan und der Colonel standen neben dem Eingang zum Bordtunnel. Das Mehrfachchronometer über ihnen zeigte an, daß es nur noch knapp eine halbe terrestrische Stunde bis zum Start war.

Der Colonel streifte mit einem Stiefel an einem der Überreste des zerstörten Schaltpults entlang und sagte, ohne die beiden Kriegsveteranen anzublicken: „Sie hatten Glück. Wir alle hatten Glück. Ich mag gar nicht an die Folgen denken, wenn Sie es nicht geschafft hätten, die Verwundeten nach draußen zu schaffen. Aber Sie — Sie beide und die Hudlarer — haben zur Rettung sämtlicher Verletzten einen wesentlichen Beitrag geleistet, bis auf die fünf bedauernswerten Wesen, die so oder so gestorben wären.“

Er lachte verlegen und blickte auf. „Die extraterrestrischen Ärzte halten zwar einige Ihrer primitiven Vorstellungen von Erster Hilfe für schlichtergreifend furchterregend, aber schließlich haben Sie niemanden getötet, sondern sogar Leben gerettet, und das direkt vor den Augen der Fernsehkameras, so daß ganz Nidia und alle extraterrestrischen Besucher die Übertragungen verfolgen konnten. Auf diese Weise haben Sie Ihren Appell zu engerem und offenerem Kontakt zwischen den Spezies in einer Art an die Öffentlichkeit gerichtet, die wir bestimmt nicht vergessen werden. Sie sind wieder Helden, und ich glaube — nein, verdammt, ich bin mir sogar sicher —, daß die Nidianer ihren Ausweisungsbescheid auf der Stelle wieder aufheben werden, wenn Sie die hiesige Behörde nur darum bitten.“

„Wir fliegen lieber nach Hause“, entgegnete MacEwan entschieden. „Nach Orligia und zur Erde.“

Der Colonel blickte jetzt noch verlegener drein und erwiderte: „Ich kann Ihre Ansicht über diese plötzliche Änderung der öffentlichen Meinung gut verstehen. Aber die Regierungen sind Ihnen jetzt einfach dankbar. Außerdem brennen sämtliche Reporter darauf, seien es nun Nidianer oder Fremdweltler, mit Ihnen ein Interview führen zu können. Sie können sicher sein, daß man Ihren Ideen aufmerksam zuhört. Aber falls Sie eine Art öffentlicher Entschuldigung verlangen, könnte ich natürlich das eine oder andere arrangieren.“

MacEwan schüttelte den Kopf. „Wir fliegen ab, weil wir glauben, die Lösung des Problems gefunden zu haben. Wir kennen jetzt das gemeinsame Interessengebiet, für das sich alle intelligenten Spezies einsetzen werden, ein Vorhaben, an dem zukünftig bestimmt alle gern mitarbeiten. Die Lösung lag die ganze Zeit über direkt vor unserer Nase, aber bis zum heutigen Zeitpunkt waren wir einfach zu dumm, um darauf zu kommen.

Die Durchführung dieses Projekts ist allerdings wirklich keine Aufgabe für zwei müde, alte Veteranen, von denen die Leute langsam die Nase voll haben“, fuhr er lächelnd fort. „Denn für die Koordination dieses Vorhabens braucht man erstens eine Organisation wie Ihr Monitorkorps, zweitens dietechnischen Mittel eines halben Dutzends Planeten, drittens viel mehr Geld, als ich mir überhaupt vorstellen kann, und viertens viel, viel Zeit.“

Als er mit seinen Erläuterungen fortfuhr, war sich MacEwan durchaus der aufgeregten Geschäftigkeit unter den Mitarbeitern des Fernsehteams bewußt, das sich in der Hoffnung auf ein Interview mit ihm und Grawlya-Ki ein Stück abseits von ihnen gehalten hatte. Zwar bekamen die Journalisten kein Interview, dafür nahmen sie aber MacEwans abschließende Worte an den Colonel auf. Und als sich der Orligianer und der Terrestrier schließlich zum Gehen wandten, konnten sie auch ein nicht ganz so interessantes Bild vom ranghöchsten Offizier des Monitorkorps auf Nidia übertragen, der völlig reglos mit doppelt angewinkeltem Arm in Denkerpose dastand. In den Augen des Terrestriers aber strahlte ein seltsamer Glanz, und auf dem rosigen, pelzlosen Gesicht lag ein Ausdruck, den die anwesenden Journalisten natürlich nicht deuten konnten.

Die Durchführung des Projekts beanspruchte eine sehr lange Zeit, die selbst die großzügigsten Schätzungen bei weitem übertraf. Immer wieder mußte man die ursprünglichen und relativ bescheidenen Pläne erweitern, denn es verging kaum ein Jahrzehnt, in dem nicht gleich mehrere neuentdeckte intelligente Spezies der Föderation beitraten, für die ebenso Platz geschafft werden mußte wie für alle anderen. Die erforderliche Konstruktion fiel so gewaltig und kompliziert aus, daß letztendlich von den verschiedensten Spezies auf Hunderten von Planeten einzelne Bauteile gefertigt worden waren, die man wie Teile eines ungeheuren dreidimensionalen Puzzles zum Montageplatz transportiert hatte.

Das gewaltige Gebäude, das schließlich im galaktischen Sektor zwölf Gestalt angenommen hatte, war ein Krankenhaus, und zwar eins, das alle früheren Krankenhäuser vollkommen überflüssig machte. Auf den dreihundertvierundachtzig Ebenen dieser einmaligen Einrichtung konnten die Umweltbedingungen sämtlicher zur galaktischen Föderation gehörender Lebensformen reproduziert werden — ein biologisches Spektrum, das bei den unter extremen Kältebedingungen lebenden Methanarten begann undüber die eher normalen Sauerstoff- und Chloratmer bis zu den Exoten reichte, die von der direkten Umwandlung harter Strahlung lebten.

Das Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwölf stellte hinsichtlich seiner technischen Leistungsfähigkeit wie auch seiner psychologischen Betreuung gleich ein doppeltes Wunder dar. Für Nachschub, Wartung und Verwaltung des Krankenhauses war in erster Linie das Monitorkorps zuständig. Die sonst üblichen Reibereien zwischen militärischen und zivilen Mitarbeitern traten hier allerdings so gut wie nie auf. Genauso selten waren ernsthafte Meinungsverschiedenheiten unter den ungefähr zehntausend Angehörigen des medizinischen Personals, das sich aus mehr als sechzig verschiedenen Lebensformen mit ebenso vielen unterschiedlichen Ernährungs- und Verhaltensweisen, Körpergerüchen und Lebensanschauungen zusammensetzte. Ihr vielleicht einziger gemeinsamer Nenner war das Anliegen aller Ärzte — unabhängig ihrer Größe, Gestalt oder Anzahl der Beine —, nämlich Kranke zu heilen.

Direkt am Haupteingang der riesigen Kantine für warmblütige Sauerstoffatmer hing eine kleine Widmungstafel. Das kelgianische, ianische, melfanische, nidianische, etlanische, orligianische, dwerlanische, tralthanische und terrestrische Arzt- und Wartungspersonal hatte allerdings nur selten Zeit, einen Blick auf die eingravierten Namen zu werfen — man war viel zu sehr damit beschäftigt, Fachgespräche zu führen, den neuesten Klatsch über andere Spezies auszutauschen und an den Tischen mit Utensilien essen zu müssen, die für die Bedürfnisse vollkommen andersartiger Lebensformen entwickelt worden waren. Schließlich handelte es sich bei der Kantine um einen äußerst belebten und häufig überfüllten Raum, und man nahm eben dort Platz, wo noch gerade etwas frei war. Aber genau das hatten Grawlya-Ki und MacEwan ja immer gewollt.

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