Fünftes Buch. Ares

Zeitdauer der Mission [Tag/Std:Min:Sek]

Plus 369/09:27:26

Ockerfarbenes Licht, das seltsam gesprenkelt war, schien neben ihr durch das Fenster der Kommandokapsel: der Mars war inzwischen so groß geworden, daß beim Blick aus dem Fenster nur noch ein Ausschnitt des Planeten zu sehen war.

»Drei Minuten bis zum Verlust des Signals«, meldete Capcom John Young nach oben.

»Roger«, erwiderte Stone.

Die Besatzung saß nebeneinander in der Apollo-Kapsel. York schwitzte im unförmigen Druckanzug, und die kantige Beschleunigungsliege stellte nach der Freizügigkeit des Missionsmoduls eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens dar.

»Ares, wir geben euch die Daten für das Einschwenken auf die Marsumlaufbahn durch. Grünes Licht für MOI. Noch zwei Minuten bis zum Verlust des Signals. Seid versichert, daß ihr den besten Vogel fliegt, den wir haben.«

»Danke, John. Wir wissen das zu schätzen.«

Klar. Nur daß Youngs Versicherungen kein Trost für York waren.

Im Moment stürzte Ares im freien Fall am Mars vorbei. Selbst bei einem Totalausfall der MS-II-Triebwerke wären sie noch schnell genug, um der Gravitationsquelle des Mars zu entkommen und eine freie Trajektorie für die Rückkehr zur Erde einzuschlagen.

Falls Stone und die Bodenstation sich jedoch für eine MOI18 entschieden, die Zündung für das Einschwenken auf eine MarsUmlaufbahn, hätten sie die letzte Abbruchmöglichkeit verloren. Dann würden sie in den Marsorbit gehen müssen.

Die MOI war sozusagen der Augenblick der Wahrheit, der Moment, in dem Ares die zarten Bande der Gravitation und Himmelsmechanik kappte, an denen sie sich zur Erde hätten zurückhangeln können.

Nun schickte Ares sich an, hinter der Rückseite des Mars zu verschwinden. Der Abbruch der Sichtverbindung zur Erde bedeutete gleichzeitig den Abbruch der Funkverbindung, so daß Stone nur noch die Instrumente der Ares zur Verfügung standen, um die Zündung zu überwachen. Ausgerechnet im kritischsten Moment wäre die Besatzung auf sich gestellt -isoliert durch die Zeitverschiebung und die Masse des Mars.

Gemäß der Prognosen des Kontrollzentrums wies das MOI-Fenster eine Abweichung von plus/minus fünfzehn Kilometern von der erforderlichen Höhe über dem Mars auf.

Aber wer, zum Teufel, gab schon etwas auf Prognosen?

Die MS-II würde diesmal kräftig feuern. Deshalb waren die restlichen Module der Stufenrakete - die Stufen der MS-II und der MS-IVB-Zusatztriebwerke, des MEM, des Missionsmoduls und der Apollo - noch immer entlang der Mittellinie der Stufenrakete ausgerichtet, also entlang des Vektors, in der die Beschleunigung wirkte. Nachdem die Brennphase dann abgeschlossen war und sie sich im Marsorbit befanden - falls sie ihn überhaupt erreichten -, würde die Besatzung die Rakete einer komplexen Neupositionierung unterziehen müssen, um die Landung vorzubereiten. Das war vielleicht eine höllische Mission, sagte York sich: das Raumschiff im Marsorbit umzubauen.

»Eine Minute bis zum Verlust des Signals«, sagte Stone.

»Eine Minute«, sagte Young fast simultan. Er setzte die Funksprüche mit einem zeitlichen Vorlauf ab, so daß sie beim Raumschiff eingingen, wenn die Besatzung die Handlung gerade ausführte, auf die er sich jeweils bezog. »Ares, Houston. Eure Systeme sehen gut aus.«

»Bestätige das, John.«

York hörte die Anspannung in Stones Stimme. Gershon lag auf der mittleren Liege. Er war ungewöhnlich still und angespannt.

Das ockerfarbene Licht wanderte. Sie schaute auf.

Ares befand sich im Anflug auf den Mars.

In nicht einmal fünfhundert Kilometern Höhe zog eine gesprenkelte, zerklüftete Landschaft unter York vorbei. Sie erkannte Arabia, ein hellgelbes kreisförmiges Gebiet, und rechts davon einen unregelmäßigen blauschwarzen Abschnitt -das vulkanische Plateau mit der Bezeichnung Syrtis Major Planum. Syrtis war das erste Merkmal des Mars gewesen, das man auf der Erde durch ein Teleskop entdeckt hatte. Und nun fliege ich über Syrtis hinweg. Der Abschnitt hatte die Größe ihrer Hand.

Ihr sträubten sich die Nackenhaare. Sie stand so dicht über dem Planeten, daß Syrtis förmlich auf sie zustürzte, während Ares immer tiefer in die Gravitationsquelle des Mars eintauchte. Syrtis zog so schnell unter ihr vorbei, daß es die Lichtverhältnisse in der Kabine beeinflußte.

Die Kugel des Mars schien sich aufzublähen. Mars war im Vergleich zur Erde eine kleine Welt, und selbst in dieser geringen Höhe sah sie noch die Krümmung des Planeten.

Sie versuchte, analytisch an die Sache heranzugehen und das Panorama in geologische Einheiten zu zergliedern. Doch dies war eine vernarbte, alte Landschaft. Das Land war vom Hagel der Meteoriteneinschläge gezeichnet. Wie blaue Flecken im Gesicht einer Leiche. Es war ein deprimierendes Panorama, das Antlitz einer toten Welt.

»Dreißig Sekunden«, sagte Stone.

York wandte sich kurz ihrer Station zu. Bei dieser ersten Umkreisung des Planeten arbeitete die wissenschaftliche Plattform mit voller Kapazität und führte Untersuchungen der

Oberfläche und der Atmosphäre durch. Wenn die Erde hinter dem Mars verschwand und die Funkverbindung abbrach, würde sogar das Klappen der Trägerwelle noch Aufschluß über die Struktur der Marsatmosphäre übermitteln.

Diese ersten Beobachtungen waren sehr wichtig. Falls die Zündung mißlang und die Mission auf einen bloßen Vorbeiflug reduziert wurde, waren diese Beobachtungen vielleicht die signifikantesten Daten, die Ares zur Erde sandte.

Ares verringerte nun die Sinkgeschwindigkeit und überflog den Terminator. York erhaschte einen Blick auf eine Kraterkette, die das letzte Licht der Sonne reflektierte. Die vom Wind erodierten Ränder warfen lange Schatten auf die uralte Oberfläche.

»Ares, Houston, gleich erfolgt Signalverlust«, sagte Young im weit entfernten Kontrollzentrum. »Guten Flug, Leute.«

»Vielen Dank«, sagte Stone. »Wir sehen dich auf der anderen Seite, John. Zehn. Neun.«

.Dann waren die in der Dämmerung liegenden Krater verschwunden; Ares drang in den Schatten ein und flog über einem dunklen Land dahin. Das Sonnensystem ist angefüllt mit leeren, dunklen Welten, sagte sie sich. Die Erde ist die Ausnahme. Sie fühlte sich isoliert und verwundbar. Fern der Heimat.

»Drei. Zwei. Eins.«

Statisches Rauschen drang aus den Lautsprechern in den Regalen der wissenschaftlichen Station und aus dem Kopfhörer.

Das Signal war zum erwarteten Zeitpunkt abgebrochen. Das bedeutete, daß die Trajektorie stimmte.

Gershon prustete vor Lachen. »Was sagt man dazu. Wie auf Knopfdruck. He, Phil. Ich frage mich, ob sie das Funkgerät nicht einfach abgeschaltet haben. Wäre das nicht ein toller

Spaß? Ich höre John schon sagen: >Sollen die Arschlöcher doch sehen, wie sie da oben klarkommen. <«

York sah Stones Profil über der Kopfstütze der Liege. Er grinste, aber es war ein verkniffenes Grinsen. »Gehen wir die MOI-Checkliste durch, Ralph. Noch fünfzehn Minuten bis zur MOI.«

York reckte den Hals und starrte auf die runde dunkle Fläche, die den Mars darstellte. Vor dem geistigen Auge rief sie eine Karte der Oberfläche auf. Ares überflog gerade Hesperia Planum, eine im Osten von Syrtis gelegene Ebene in der Nähe des Äquators.

Sie erkannte Spuren, Konturen und weißen Schimmer in der Dunkelheit. Muß Sternenlicht sein, das vom Ce-O-Zwei-Eis reflektiert wird.

Sie hatte Lagerfeuer von Nomaden gesehen, die wie Stecknadelköpfe in den nächtlichen Wüsten der Erde glommen. Doch in dieser Marswüste leuchtete kein Feuer. Von allen Welten des Sonnensystems kannte nur die Erde - mit ihrer sauerstoffreichen Atmosphäre - Feuer.

»Fünf Minuten bis zur Zündung.«

Sie war im Anzug versiegelt und hörte das Zischen von Sauerstoff, das Surren der Lüfter und das kratzende Geräusch des eigenen Atems. Sie fühlte sich isoliert und von den Kameraden abgeschnitten. Lausige Konstruktion. Mir wäre jetzt danach, jemandem die Hand zu halten.

»In Ordnung, Ralph«, sagte Stone. »Translationsregelung an.«

»An.«

»Manueller Drehregler Nummer Zwei aktiviert.«

»Aktiviert.«

»Gut. Bereit für die erste TVC-Kontrolle.«

»Druckanstieg im grünen Bereich«, sagte Gershon. »Alles läuft wie am Schnürchen.«

Dreißig Meter unter ihnen erwachte die MS-II-Einschuß-Stufe aus dem interplanetaren > Winterschlaf:. Vorwärmer in den kryogenischen Tanks ließen Dampf ab und bauten einen Druck auf, der Treibstoff und Oxidator zum Austritt aus den Tanks zwang. Stone und Gershon führten derweil Tests der Sequenz durch, die den Wasserstoff und Sauerstoff in den Brennkammern der vier J-S2-Triebwerke zu einem explosiven Gemisch vereinen würde.

Im Fenster über sich erkannte York das Segment eines präzisen, riesigen Kreises, der sich elfenbeinfarben im Sternenlicht abzeichnete.

»O mein Gott.«

Stone bewegte sich im Anzug und sah über die Schulter. »Stimmt was nicht?«

»Sieh dir das an. Ich glaube, es ist Hellas.« Der tiefste Einschlagkrater auf dem Mars, Ausgefüllt war er mit einem weißen See aus gefrorenem Kohlendioxid. Irgendwo dort unten hatten die Sowjets Mars 9 gelandet.

»Du wirst noch reichlich Gelegenheit haben, das zu betrachten«, sagte Stone grunzend. Seine Enttäuschung war offensichtlich. Dann wandte er sich ab und widmete sich wieder der Checkliste für die Zündung.

»Dreißig Sekunden«, sagte Stone. »Alle Werte normal. Bereit für MOI.«

Seine behandschuhte Hand schwebte über dem knubbeligen Auslöser.

York wußte, daß die Brennphase vollautomatisch ablief und von Computern in der Instrumentenkapsel der Stufenrakete kontrolliert wurde, die wie ein mit Elektronik gefüllter Krapfen an der Rückseite des Missionsmoduls klebte. Es handelte sich um ein redundantes Computer-Netzwerk, das endlose Berechnungen durchführte und dessen Komponenten sich gegenseitig kontrollierten. Es war kaum vorstellbar, daß etwas schiefging. Trotzdem schwebte Stones Hand über dem Knopf -bereit zu übernehmen, falls die Notwendigkeit sich ergab. Auf York wirkte das komisch - und dennoch irgendwie heldenhaft. Geradezu rührend’.

»Zwanzig Sekunden«, sagte Stone. »Festhalten, Leute.«

»Alle Systeme sind bereit für MOI«, sagte Gershon.

York kontrollierte ihre Station. »Roger.«

Sie überprüfte noch schnell den Sitz der Gurte und legte den Kopf auf die Kopfstütze der Liege, wobei sie versuchte, den mehrlagigen Druckanzug an der Rücken- und Beinpartie glattzustreichen.

Sie hatte Herzklopfen, und der Schweiß brach ihr aus.

»T minus zehn Sekunden«, sagte Gershon.

Stones Hand schwebte über den Kontrollen.

»Acht Sekunden.«

»Ich habe eine 99«, sagte Stone und drückte auf einen Knopf. »Weitermachen.«

York schnaufte.

»Sechs Sekunden«, sagte Gershon. »Fünf, vier. Trimmung.«

Sie hörte ein kurzes Rattern und bekam einen >Tritt in den Hinternc. Acht kleine Feststoffraketen, die kranzförmig um das MS-II angeordnet waren, hatten dem Zusatztriebwerk einen >Schubs< gegeben, um den Treibstoff in Richtung der Pumpen zu drücken, damit er nicht in den Tanks schwappte.

»Zwei. Eins«, sagte Gershon. »Zündung.«

Die Hilfstriebwerke verstummten; statt dessen setzte ein stetiger Schub ein, der auf Yorks Rücken, Hals und Beine wirkte.

Die Kraft wurde immer stärker. Die Stille war geradezu unheimlich. Der von hinten wirkende Schub vermittelte ihr das Gefühl, sich aufzusetzen und nach vorn geschleudert zu werden, in eine ungewisse Zukunft.

»Brennzeit fünfzehn Sekunden«, sagte Stone. »Null komma fünf Ge. Zunehmend.«

Nach einem Jahr in der Schwerelosigkeit war selbst dieser Druck schon enorm. Soviel zu den Übungen; war alles für die Katz.

Nun erzitterte die Rakete und sandte Schwingungen aus, die sich in den Wänden der Kabine und den Regalen für die Ausrüstung fortpflanzten. Lose Ausrüstungsgegenstände wurden durchgerüttelt. Hinter sich hörte sie ein Scheppern: ein nachlässig befestigter Ausrüstungsgegenstand hatte sich gelöst und war auf ganzer Länge durch die Kommandokapsel gefallen. »Ein Ge«, rief Stone. »Zwei.«

Der zunehmende Druck legte sich auf ihre Brust.

»Mein Gott«, sagte Gershon. Er mußte schreien, um das Rattern der Wände und der Ausrüstung zu übertönen. »Das geht noch für acht Minuten so weiter.«

»Mach keinen Aufstand«, sagte Stone barsch. »Zwei komma fünf Ge. Alles läuft prima. Wir sind voll auf Kurs. Drei komma sechs. Haltet durch, Leute.«

Sie vermochte nicht mehr zu atmen. Der Druckanzug umfing sie wie ein Schraubstock. Es war eine ebenso bizarre wie erschreckende Erfahrung.

Sie erkannte erste Anzeichen des Tunnelblicks.

Sie waren allein im Innern eines winzigen Artefakts, das über einem toten Planeten seine Bahn zog und dessen Überleben vom reibungslosen Funktionieren der Maschinen abhing.

»Vier komma drei Ge«, rief Stone. Sie hörte das durch den Schub verursachte Vibrato in seiner Stimme.

»Geschafft. Das ist der Höchstwert. Wir nähern uns dem Perizentrum.«

Stone und Gershon lasen den Status des bisherigen Manövers ab.

»Brenndauer vier vier fünf.« Vier Minuten fünfundvierzig Sekunden. Die Hälfte hatten sie geschafft. »Zehn Werte für die Winkel: BGX minus null komma eins, BGY minus null komma eins, BGZ plus null komma eins.« Die Geschwindigkeits-Abweichung während der Brennphase betrug gerade einmal dreißig Zentimeter pro Sekunde auf jeder Raumachse. »Keine Trimmung. Minus sechs komma acht Delta-vau-ce. Treibstoff achtunddreißig komma acht. Lox neununddreißig plus fünfzig im Ausgleichsbehälter. Erhöhte Werte beim PUGS. Vorgesehen für eine zwei neunzehn komma neun mal zwölf sechs elf komma drei.«

York interpretierte die Zahlen. Die Brennphase verlief störungsfrei. Die Stufenrakete schickte sich an, in einen elliptischen Orbit mit einer Achse von dreihunderttausend beziehungsweise zwanzigtausend Kilometern zu gehen: fast perfekt.

»He, Natalie.« Das war Gershon.

»Was?«

»Guck mal nach oben.«

Mit Mühe legte sie den Kopf in den Nacken. Der Helm begrenzte die Bewegung, und unter der Beschleunigung hatte sie das Gefühl, der Schädel sei durch eine Betonkugel ersetzt worden, die an der Nackenmuskulatur zerrte.

Durch das Fenster sah sie die südliche Ebene des Mars. Und die sich über ihr ausdehnende Landschaft wurde im Zentrum von einem schwachen rosigen Glühen erhellt. Es sah aus wie ein Lichtreflex auf einer großen ockerfarbenen Bowlingkugel.

Es war das Glühen der Verbrennung, das Licht der MS-II.

Zum erstenmal in der vier Milliarden Jahre währenden Geschichte des Planeten wurde die Marsnacht von künstlichem Licht erhellt.

Freitag, 17. August 1984

Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston

Die Fragen stiegen aus einem Lichtermeer auf, das so intensiv war, daß York förmlich einen Sonnenbrand bekam.

»Was für ein Gefühl ist es, zur Besatzung zu gehören?«

»Was ist mit den Jungs, die Sie ausgebootet haben?«

»Wer wird die Marsoberfläche als erster betreten?«

»Wie fühlt man sich im Weltraum?«

Die drei saßen auf einem improvisierten Podium, wobei Joe Muldoon und Rick Llewellyn, der Leiter des Büros für Öffentlichkeitsarbeit der NASA, als >Aufpasser< fungierten. An der Wand hinter ihnen prangte das NASA-Logo, und auf dem Tisch vor ihnen stand das Plastikmodell eines Columbia-MEM. Der Besprechungsraum im Büro für Öffentlichkeitsarbeit war rappelvoll, und vor dem Tisch befand sich etwas, das die Alten Köpfe aus unerfindlichen Gründen als >goat fuck<, als >Ziegenfick< bezeichneten - ein Wald aus Mikrofonen und Kameralinsen direkt vor den Gesichtern der Astronauten.

Bisher hatte sich kaum jemand für Yorks Leben, ihren Hintergrund, ihre Motive, ihre Hoffnungen und Ängste interessiert. Nun war auf einmal alles interessant: ihr Werdegang, jeder Aspekt ihrer Persönlichkeit.

Das würde wahrscheinlich kein Ende mehr nehmen. Und sie haßte es jetzt schon.

Sie beneidete Phil Stone, mit dem guten Aussehen und dem leichten Kansas-Dialekt - die Ikone des heldenhaften Astronauten -, um die Gelassenheit, mit der er selbst die dümmsten Fragen beantwortete und auch solche, auf die er schon x-mal eine Antwort gegeben hatte. Und Ralph Gershon -der glorreiche, wagemutige Junggesellen-Astronaut - war zum Liebling der Presse avanciert: des ansteckenden Grinsens wegen, der flotten Sprüche sowie der gefährlichen und geheimnisvollen Aura, die er verbreitete. Auch wenn Rick Llewellyn jedesmal, wenn er den Mund aufmachte, sichtlich nervös wurde. York hatte dennoch den Eindruck, daß unterschwelliger Rassismus in der gönnerhaften Art und Weise mitschwang, in der Gershon behandelt wurde.

Apropos York: obwohl sie nach eigener Einschätzung am wenigsten in der Lage war, dem Mediendruck standzuhalten, war sie doch diejenige, der das größte Interesse zuteil wurde. Und zwar aus den falschen Gründen.

Es begann am Tag nach der Bekanntgabe der Besatzung. In allen Zeitungen erschien das alte NASA-Foto, auf dem sie mit dem Modell des längst nicht mehr aktuellen Doppelkegel-MEM zu sehen war. >Diese stille, fleißige und engagierte Wissenschaftlerin.< >Der Rotschopf Natalie York ist mit 37 noch unverheiratet und kinderlos. < Wir fragten die Kosmetikerin Marcia Forbes, wie sie die erste Amerikanerin im Weltraum aufpeppen würde. >Nun, da müßten wir zunächst mal was wegen dieser Augenbrauen tun.< >Diese 35-jährige Einwohnerin von LA mit einer Frisur wie ein Wischmop. < >. Die mittelgroße, brünette Natalie York mit einer Kurzhaarfrisur scheut angeblich die Öffentlichkeit. < >Das dunkle kurze Haar und das aparte südländische Aussehen machen Natalie nicht nur zu einer ebenso glamourösen wie geheimnisvollen Frau, sondern auch zur natürlichen Besetzung als Amerikas erste Frau auf dem Mars.<

Haar, Augenbrauen und Zähne. Sie wurde noch verrückt.

Inzwischen hatte man auch schon ihre Mutter aufgespürt, die sich über die Publizität freute, sowie Mike Conlig und seine neue Familie, die sich nicht darüber freuten.

Es hätte ihr schon geholfen, wenn die NASA sie auf den Umgang mit den Medien vorbereitet hätte; und wenn es sich nur um ein grundlegendes Kommunikations-Training gehandelt hätte. Doch statt dessen lautete die Prämisse: Blamieren Sie die NASA nicht.

Manche Fragen waren pointierter als andere.

»Ist der Fall von Adam Bleeker denn nicht als Beleg dafür zu werten, daß wir noch nicht soweit sind, Menschen auf so lange Missionen zu schicken? Daß wir noch nicht genug über die Auswirkungen der Mikrogravitation auf den Körper wissen? Daß die Ares-Mission an sich eine unverantwortliche Aktion ist?«

»Sie haben sicher recht damit, daß wir noch nicht genug wissen«, sagte Muldoon ruhig. »Doch wir werden dieses Wissen nur erlangen, indem wir ins All fliegen, in der Mikrogravitation arbeiten und die Auswirkungen studieren. Natürlich gibt es auch Gefahren, doch wir akzeptieren sie als Teil des Auftrags. Sie sollten wissen, daß Adam trotz der medizinischen Risiken unbedingt am Flug teilnehmen wollte; und ich weiß auch, daß jeder im Astronauten-Büro gern für ihn einspringen würde.«

»Ralph, möchten Sie etwas zu den Einsätzen in Kambodscha sagen?«

»Das ist alles in den öffentlichen Archiven enthalten, und ich habe dem auch nichts hinzuzufügen. Das ist lange her.«

»Aber wie haben Sie sich gefühlt, als Sie Berichte fälschen und eine langjährige Tarnung aufrechterhalten mußten, bevor.«

»Das können Sie in meinen Memoiren nachlesen, Will.«

Gelächter.

»Was ist mit Apollo-N?«

Muldoon biß fast ins Mikrofon. »Äh. was soll damit sein?«

»Ich habe an einer Führung durch das JSC teilgenommen und große, heroische Maschinen gesehen. Lauter Gedenktafeln für Apollo 11. Das Kontrollzentrum als nationaler Wallfahrtsort -na schön. Doch nach dem, was ich am JSC gesehen habe, hätte

Apollo-N nicht verunglücken dürfen, und schon gar nicht hätte ein Feuer in Apollo 1 ausbrechen dürfen. Was ist los mit euch Leuten? Wie könnt ihr nur behaupten, es sei alles in Ordnung und es würde nie etwas passieren?«

»Das behaupten wir doch gar nicht«, sagte Muldoon. »Aber wir denken auch nicht den ganzen Tag an den Absturz.«

»So bezeichnet ihr das also? Als Absturz? Das verdammte Gerät ist nicht abgestürzt, sondern im Orbit explodiert.«

»Wir müssen aus den Fehlern lernen, weitermachen und dafür sorgen, daß die Verluste nicht umsonst waren. Wir können es uns nicht leisten, über Vergangenem zu grübeln und Pläne nicht zu verwirklichen.«

»Sehen Sie, ich bin nicht von hier. Ich habe gesehen, daß das JSC von Apollo-N-Parkplätzen und Einkaufspassagen umgeben ist. Es gibt sogar einen Apollo-N-Gedächtnispark, um Himmels willen. Meint ihr Leute denn nicht, eine derart spontane und deutliche Reaktion der Öffentlichkeit hätte eine substantiellere Antwort verdient als das Versprechen, >aus den Fehlern zu lernen

Ja, zum Teufel, sagte York sich. Manch einer am JSC vertrat die Ansicht, die Passagen und dergleichen seien geschmacklos und irgendwie unwürdig. York teilte diese Meinung nicht; wie der Reporter implizierte, handelte es sich bei solchen Dingen um Symbole, mit denen die Leute im Land auf die menschliche Tragödie reagierten. Natürlich benannten sie Parkplätze und Einkaufspassagen nach Apollo-N: was, zum Teufel, hätten sie denn sonst nehmen sollen?

Aber sie verstand auch die Einstellung der Piloten. Sie nahmen die Toten als gegeben hin, ließen Apollo-N ruhen und machten weiter. Ben hätte es genauso gemacht. Es war für einen Außenstehenden zwar schwer nachzuvollziehen, doch das war eben die NASA-Kultur.

Nur daß York kein Pilot war. Nach Bens Tod hatte sie ihre Rolle in der NASA für lange Zeit kritisch hinterfragt. Als ob nicht schon genug Zweifel an ihr genagt hätten.

Sie entrann diesem Dilemma, indem sie mit sich selbst abmachte, daß sie alles, was sie fortan tat, für Ben tat. So einfach war das.

Eine energische Frau erhob sich. »Natalie, was sagen Sie als Wissenschaftlerin zu dem Vorwurf, die Mars-Expedition sei eine Täuschung? Daß Sie, anstatt zum Mars zu fliegen, für ein Jahr in einem Studio in Nevada weggeschlossen werden und um eine Attrappe des MEM herumhampeln?«

Nun reichte es ihr. York war empört. Sie beugte sich so weit nach vorn, daß sie fast das Mikrofon verschluckt hätte. Ihre Stimme dröhnte aus den Lautsprechern. »Sehen Sie, für einen solchen Mist habe ich wirklich keine Zeit. Wir trainieren für eine Weltraum-Mission, um Himmels willen. Weshalb sollten wir unsere Zeit verschwenden und uns noch mehr unter Druck setzen, nur um auf saudumme Fragen von Arschlöchern wie.?«

Phil Stone legte die Hand auf das Mikrofon.

»Ich weiß, wie Natalie sich fühlt«, sagte er gleichmütig. »Glauben Sie mir. Diese Bemerkung entbehrt einfach jeder Grundlage. Der beste Beweis, den ich Ihnen für die Echtheit unserer Mission anzubieten vermag, ist folgender: es ist wahrscheinlich technisch einfacher, wirklich zum Mars zu fliegen, als den Flug zu simulieren.«

Damit hatte er die Lacher auf seiner Seite, und der kritische Moment wurde überspielt.

York zwang sich zur Ruhe. Sie wußte, daß Rick Llewellyn ihr später eine Standpauke halten würde.

»Was ist mit Sex?«

»Wie meinen Sie das?« fragte Stone.

Nun stand ein männlicher Reporter in einem zerknitterten Inspektor Columbo-Regenmantel auf. Er hatte ein Grinsen im Gesicht. »Ganz einfach - was ist mit Sex? Ihr seid alle normale, gesunde Erwachsene - Amerikas erste gemischte Raumschiffsbesatzung -, und ihr werdet für achtzehn Monate in diesem kleinen Missionsmodul eingesperrt sein. Und Ralph und Natalie sind nicht einmal verheiratet. Kommt schon. Zwei Männer und eine Frau. Was für eine Situation.«

Yorks Wangen glühten. Ich würde am liebsten abhauen. Genau. Und sich auch gleich von der Mission verabschieden.

Gershon feixte. Ihm machte das alles großen Spaß.

Stone schürzte die Lippen. »Ich weise auf die offizielle NASA-Dienstvorschrift hin. Das steht in den Handbüchern. Enge Beziehungen zwischen Besatzungsmitgliedern sind zu vermeiden.« Er lächelte verschmitzt. »Das soll zumindest eine Hilfe sein.« Dies verschaffte ihm einen erneuten Lacherfolg. »Aber ich würde schon sagen, daß dieser Rat prinzipiell richtig ist. Richtig, wir sind alle Erwachsene. Aber eine sexuelle

Beziehung zwischen Besatzungsmitgliedern - ganz zu

schweigen von einer emotionalen Beziehung - würde die

Besatzung destabilisieren. Außerdem würde es unsere

Fähigkeit beeinträchtigen, die Besatzung für die gesamte Dauer der Mission zu unterstützen. Und wenn man sich dann noch das negative Potential vor Augen führt - Eifersucht, Vorzugsbehandlung, Mißachtung des Dienstwegs, Vorwürfe und Schuldgefühle nach einem Abbruch der Beziehung und so weiter -, wette ich, daß diese Zurückhaltung bei künftigen gemischten Flügen ohnehin zur Norm wird.«

Gershon legte den Kopf schräg. »Wozu wird sie?«

»Sie sollten bei der Psychologieausbildung besser aufpassen, Gershon.«

Ein weiterer Lacherfolg. Wieder ein entschärfter Moment.

York hoffte, daß die Röte aus ihren Wangen verschwand. Es war bemerkenswert, welche Show Stone hier abzog. Er gab den gleichen Mist von sich, die gleichen Halbwahrheiten, mit denen die NASA die Öffentlichkeit seit den Tagen von Mercury abgespeist hatte.

Und ich bin nun ein Rädchen im Getriebe, sagte sie sich. Eine Komplizin bei der traditionellen Lüge. Ich bin nun eine Astronautin, und meine menschlichen Bedürfnisse existieren offiziell nicht mehr.

Die Frage des Reporters war zwar frech, aber sie traf den Kern. Die NASA war in technischer Hinsicht Spitze, sagte sie sich, doch verstand sie es überhaupt nicht, den Bedürfnissen der weichen rosigen Körper gerecht zu werden, die sie in die glänzenden von Braun-Traummaschinen steckte - sie wußten nicht einmal, daß diese Bedürfnisse überhaupt existierten. Oder taten so, als wüßten sie es nicht, weil sie es nicht wissen wollten.

Wie fühlt man sich im Weltraum? Auf dem Mond? Auf dem Mars?

Zunächst kam diese Frage ihr blöd vor: naiv, zu offen - es gab darauf keine Antwort. Und es nervte sie, daß diese Frage, wenn auch mit Variationen, auf jeder Pressekonferenz gestellt wurde.

Heute versuchte Joe Muldoon, sie zu beantworten.

»Ich bin ein ganz normaler Mensch. Aber man könnte dennoch sagen, daß ich etwas Außergewöhnliches getan habe.

Ich möchte Ihnen erzählen, wie es war. Wenn man aus dem Orbit auf die Erde herabschaut, vergißt man alle Probleme: die Rechnungen, die bezahlt werden müssen, den Ärger, den man mit dem Auto hat. Statt dessen denkt man über die Menschen in dieser blauen Schüssel aus Luft nach: die Menschen, die man kennt und die einem etwas bedeuten. Und dann erkennt man, wieviel sie einem wirklich bedeuten.«

Außer Muldoon sprach niemand im Raum.

Sie beobachtete die Fragesteller; die harten, zynischen Presseleute hingen nun an den Lippen des Astronauten. Sogar die Frau, die unterstellt hatte, die Mars-Mission sei eine Verlade, hörte gebannt zu.

»Wenn man sieht, wie die Erde hinter dem Raumschiff zurückfällt.«, sagte Muldoon. ».Wenn man auf dem Mond steht und diese kleine Welt einem zu Füßen liegt: dann wird einem bewußt, daß man einer von zwei Menschen auf dem Mond ist und daß man in der Lage ist, die Hand auf die Erde zu legen.«

Es gab eine Handvoll Männer, die Außergewöhnliches geleistet hatten: sie waren durchs Weltall geflogen und sogar auf dem Mond spazierengegangen - eine unvorstellbare Leistung, eine Leistung, auf die das evolutionäre Erbe der Menschheit sie nicht vorbereitet hatte. Und nun erkannte York, daß die Presseleute - hinter der bräsigen Fassade - darauf reagierten. Es war eine archaische Reaktion.

Du bist dort oben gewesen. Mir war das nie vergönnt. Erzähl mir nur nicht, du wärst ein normaler Mensch. Was ist das für ein Gefühl? Sag’s mir.

Wenn die Astronauten zur Öffentlichkeit sprachen - wobei sogar ein Routinier wie Muldoon immer in einen gestelzten Jargon zu verfallen schien -, lief unter dem gesprochenen Wort eine Kommunikation ab, die an archaische Instinkte rührte. Die Worte von Muldoon und den anderen genügten nicht - würden nie genügen. York hatte oft den Eindruck, daß die Leute die Astronauten am liebsten berühren würden. Als ob sie Götter wären. Oder als ob Informationen, Wahrnehmungen und Erinnerungen durch die Haut übertragen würden.

Doch sie vermochte dazu nichts beizutragen. Wie auch? Sie war bisher nur in einem Schulflugzeug mitgeflogen.

Im Licht der Fernsehkameras fühlte sie sich deplaziert neben einem Mann, der mit den Fingern durch den Mondstaub gefahren war.

Oktober 1984

. Wie oft müssen wir erleben, daß die Diskussion über die Zukunft der RAUMFAHRT zwischen hysterischen Extremen schwankt! Und all das findet vor dem Hintergrund einer Zeit statt, wo Zynismus und AMORALITÄT ins Kraut schießen.

Während die >Yuppies< mit Rolex-Uhren und sportlichen BMWs protzen und während der illusorische wirtschaftliche >Aufschwung< allein durch die vom Präsidenten verordnete massive Erhöhung der RÜSTUNGSAUSGABEN stattfindet, ist die Kluft zwischen den niedrigsten und höchsten Einkommen so breit wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Diese Erhöhung der Rüstungsausgaben, die wegen der politischen Unterstützung der NASA auch zur Finanzierung der Mars-Mission dient, schürt die Inflationsgefahr und führt zu einem riesigen DEFIZIT, das eine Hypothek für die nachfolgende Generation darstellt.

Und dieses DEFIZIT ist wiederum eine zynische Manipulation der Wirtschaft durch die Regierung, die nun behauptet, wegen der Belastung durch das DEFIZIT bestünde kein Spielraum für eine Erhöhung der Sozialausgaben in den Jahren nach Präsident Reagans Rücktritt in 1988.

Paradoxerweise führt die entmenschlichende Erfahrung der RAUMFAHRT zu einem tieferen Verständnis der MENSCHLICHKEIT, welche die Astronauten ablegen müssen. Sie vermittelt uns eine neue Perspektive:

- VERACHTUNG für unsere Werke

- Steigerung der SELBSTACHTUNG

Diese neue Perspektive ist geeignet, uns näher an GOTT heranzuführen.

Doch allzu oft schwankt die Erfahrung der RAUMFAHRT, wie sie der Allgemeinheit von der Regierung und öffentlichen Körperschaften vermittelt wird, die der Raumfahrt positiv beziehungsweise negativ gegenüberstehen, zwischen zwei spiegelbildlichen Idolen, von denen eins so falsch ist wie das andere:

- MELLONOLATRIE, das heißt die unkritische Verehrung der Technik als Selbstzweck,

- MISONEISMUS, eine gleichermaßen unbegründete Angst vor und Haß auf Technik.

Gibt es denn ein besseres Argument als dieses, um uns endlich der Raketen mit den tödlichen NUKLEAR-Herzen zu entledigen?.

Auszug aus >Mellonolatrie und Misoneismus: Die ZwillingsIdole der Raumfahrt<, Rev. B. Seger, Kirche des Heiligen Joseph, Cupertino. Alle Rechte Vorbehalten.

Montag, 3. Dezember 1984

Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston

Ralph Gershon stand in der Schleuse der MEM-Attrappe. Sein Gesicht war hinter dem Helmvisier klar zu erkennen. »In Ordnung, Natalie. Wenn du nun eintreten möchtest.«

»Rog, Ralph.«

Die auf der simulierten Marsoberfläche stehende York machte einen Schritt auf das MEM zu.

Bei der Bewegung zerrten die Brustgurte brutal an ihr, und sie wurde einen Meter in die Höhe gerissen. Sie kippte nach vorn. Der Anzug, in dem ein Druck von fast dreihundert Gramm pro

Quadratzentimeter herrschte, blähte sich auf wie ein Ballon. Sie war zur Bewegungsunfähigkeit verurteilt.

Sie kippte wie ein gefällter Baum.

Sie landete auf den Knien und stützte sich mit den behandschuhten Händen im Schmutz ab. Der Erdboden bestand aus eingetrocknetem Houston-Matsch, der mit pinkfarbenen Steinchen übersät war: sie befand sich auf etwas, das die Astronauten fälschlich als einen Gesteinshaufen, eine simulierte Marsoberfläche, bezeichneten. Diese Oberfläche war mehr oder weniger eben, denn ebene Flächen waren der Ort, an dem nach den Vorstellungen der konservativen MissionsPlaner das MEM landen sollte.

»Gottverdammtes Geschirr.«

»Du sagst es, Natalie. Darf ich dir helfen?«

»Nein. Nein, ich komme schon klar, verdammt.«

York war an einem Marsgravitations-Simulator vertäut. Das Brustgeschirr war mit Seilen an einer Stange befestigt, wobei die Seile über Flaschenzüge geführt wurden, die ihr Gewicht um zwei Drittel reduzierten. Wie auf dem Mars. Nur daß sie auf dem Mars nicht bei jedem Schritt von einem lächerlichen Strick zurückgerissen werden würde.

Um aufzustehen, mußte sie sich vom Boden abstoßen und warten, bis das Geschirr sie wieder auf die Füße gestellt hatte. Dann konnte sie nur hoffen, daß sie nicht wieder vornüber kippte.

Sie stand schwankend da und breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Durch den Helm sah sie, wie die Techniker ihr ironisch applaudierten.

»Beachte die Arschlöcher gar nicht«, riet Gershon ihr.

»Rog.« Sie atmete durch. »Ich versuch’s noch mal, Ralph.«

»Nur die Ruhe, Natalie. Tapferes Mädchen.«

Langsam und bedächtig machte sie einen Schritt vorwärts. Es war viel einfacher, den Fuß zu heben, als ihn wieder aufzusetzen. Bei jedem Schritt beschrieb sie eine flache Parabel durch die Luft und landete dann knirschend im eingetrockneten Matsch. Die Bewegungen waren so träge, als ob sie in einer viskosen Flüssigkeit geschwommen wäre. Es erschien ihr wie ein Traum.

Endlich bekam sie etwas mehr >Drehmoment<. Allerdings machte sich nun die Masse des Rückentornisters bemerkbar, und sein Trägheitsmoment lenkte sie von der Ideallinie ab. Jede Richtungsänderung mußte sie vier oder fünf Schritte im voraus einleiten.

Das von Flutlichtern angestrahlte MEM trieb vor ihr; so nah und doch so fern. Die offene Luke der Attrappe klaffte vor ihr, und das fluoreszierende Licht im Innern enthüllte die hölzerne Konstruktion.

Nicht weit vom MEM stand das Modell eines Mars-Rovers. An der Vorderseite war eine Kamera montiert, die nun zu ihr herumschwenkte und sie mit der dunklen Linse anglotzte. Die Kamera war auf Aufnahme geschaltet. York kam sich unter ihrem Blick wie ein Gorilla vor, der im Käfig umhertappte.

Ralph indes beherrschte den Mars-Spaziergang, als ob er auf dem Planeten geboren wäre.

Dies war die Simulation des zweiten Mars-Spaziergangs, bei dem sie zum erstenmal ernsthafte Arbeit verrichten sollten. Beim ersten Spaziergang würde es sich um ein einstündiges Solo handeln, das Phil Stone in seiner Eigenschaft als Kommandant durchführte. Der Zweck des ersten Ausflugs bestand laut Missionsplan darin, die Systeme des Anzugs und die Beweglichkeit im allgemeinen zu testen, den Status des MEM nach der Landung zu überprüfen und eventuelle Defekte am Kommunikationssystem zu beheben. Stones wissenschaftliche Tätigkeit würde sich bei der ersten Exkursion auf die Entnahme einer Bodenprobe beschränken.

Natürlich existierte auch eine versteckte Agenda.

Die Aufmerksamkeit der Welt sowie der NASA-Sponsoren im Weißen Haus und im Kapitol würde sich vor allem auf diesen ersten Spaziergang richten, die ersten zaghaften Schritte, die ein Mensch auf dem Mars machte. Deshalb würde die ganze Zeremonie - das Hissen des Sternenbanners, der Kram mit den Fußabdrücken und die Rede von Präsident Reagan (der gerade einen erdrutschartigen Sieg gegen Teddy Kennedy feierte) - in dieser ersten Stunde außen vor sein. Joe Muldoon hatte nämlich nach seinen Erfahrungen mit Apollo den Rat erteilt, alle Punkte des ersten Spaziergangs anhand einer Checkliste und eines Zeitplans abzuarbeiten; einschließlich Reagans Anruf.

Und dann würde das restliche Programm hoffentlich für ernsthafte Arbeit zur Verfügung stehen.

York hielt das für sinnvoll. Sie wußte, wie man solche Dinge handhaben mußte. Allerdings wunderte sie sich noch immer darüber, daß die NASA die Erforschung des Mars von Einschaltquoten abhängig machte.

Endlich erreichte sie das MEM. Sie schlitterte leicht, als sie am Fuß der zur Luke führenden Leiter zum Stehen kam.

Die Stimme des Simulationsleiters ertönte im Kopfhörer. »Natalie, wir möchten, daß Sie einen SNAP aus dem Behälter holen.«

»Rog.« Sie versuchte, die durch die Müdigkeit bedingte Gereiztheit zu unterdrücken. Der Auftrag verlangte von ihr, zum Sperrholz-Modell des Marsrovers hinüberzugehen. Wie eine Marionette drehte sie sich auf dem Absatz um, bis sie direkt auf den Rover blickte. Dann trottete sie über die knirschende Oberfläche.

Das Oberflächen-Erforschungs-Paket war schon aufgebaut; die auf dem Boden verteilten silbernen und goldenen Kästen waren durch ein >Spinnennetz< aus Stromkabeln und Datenleitungen miteinander verbunden. Ein paar Kabel mußten noch angeschlossen werden - darunter das Kabel für die Antenne, die Nachrichten zur Erde abstrahlen sollte. Der Kasten des SNAP-Generators - das nukleare Stromaggregat -stand am Rand. York sollte den Generator aktivieren, indem sie einen Plutoniumbehälter hineinsteckte. Dieser Behälter, bei dem es sich natürlich auch um eine Attrappe handelte, war im Heck des Rovers verstaut. Es handelte sich um einen schlanken Zylinder mit einer Länge von etwa dreißig Zentimetern, der in einem Graphitbehälter lag.

Sie packte die Griffstange und betätigte den Abzugsbügel, wodurch sich Klemmbacken am Ende des Griffs öffneten, mit denen sie den Behälter zu fassen suchte. Die elastischen Druckhandschuhe widersetzten sich jeder Handbewegung; es war, als ob sie die Hand um einen Gummiball schließen wollte.

Nachdem sie die Klemmbacken geöffnet hatte, mußte sie beide Hände einsetzen, um das Ende des Behälters mit der Zange zu packen.

Dann versuchte sie, den Behälter aus dem Staufach zu holen. Doch das verdammte Ding wollte nicht rauskommen.

Die Klemmbacken rutschten vom Behälter ab, und sie taumelte zurück. Sie hörte ihren rasselnden Atem und die über das Geschirr schabenden Seile.

»Hast du eine Idee, Ralph?«

»Bleib, wo du bist. Ich werde mich mal an diesem Ding versuchen.«

Sie hing unauffällig in den Seilen, während Gershon mit dem Rücken voran aus dem MEM kletterte. Er hing nicht an einem Flaschenzug, so daß er gegen das volle Gewicht des Anzugs ankämpfen mußte. Dementsprechend schwerfällig und plump waren seine Bewegungen.

Er stieg die Leiter herunter und packte die Griffstange. Mit Yorks Hilfe gelang es ihm dann, die Klemmbacken um den Brennstoffbehälter zu schließen. Daraufhin zog er an der Stange, wobei er sich zurücklehnte und die Fersen in den eingetrockneten Matsch stemmte. Der Behälter rührte sich nicht.

»Äh. wollt ihr mal ‘ne Pause machen?« fragte der Simulationsleiter. »Das Ding ist sicher verkantet.«

»Nee«, sagte Gershon. »Natalie, laß uns mal den direkten Ansatz probieren. Du hältst die Stange hier.«

»Gut.« Mit langsamen Bewegungen nahm sie ihm die Stange ab, wobei sie darauf achtete, den Abzugsbügel festzuhalten.

»Jetzt.« Er zog den Geologenhammer aus ihrem Hüftgürtel. »Und nun zieh, Mädchen.«

Sie umklammerte die Griffstange mit beiden Händen, lehnte sich zurück und zog.

Gershon bearbeitete den Kasten mit schnellen, harten Schlägen, wobei er das ganze Körpergewicht in die Schläge legte.

York spürte, wie der Brennstoffbehälter unter den Schlägen erzitterte.

»Das funktioniert nicht, Ralph.«

»Wart’s ab.«

Er wirbelte wie ein Hammerwerfer herum und versetzte dem Kasten beidhändig einen wuchtigen Schlag.

Der Graphitkasten zerbrach in zwei Teile.

Der Brennstoffbehälter kam frei. York taumelte zurück und versuchte, das Gleichgewicht zu bewahren. Diesmal waren die Seile ihr eine Hilfe und hielten sie gerade soweit zurück, daß sie nicht umfiel.

Der Brennstoffbehälter fiel auf den Boden.

Gershon schlurfte zu ihr hinüber. Sein Gesicht wurde vom Helmvisier eingerahmt. »He. Bist du in Ordnung?«

»Sicher. Was ist mit dem Behälter?«

Sie beugten sich über den kleinen Metallzylinder, der im pinkfarbenen Kies lag. Ein Haarriß verlief entlang einer Naht.

»Toll«, sagte Gershon. »Wir haben’s verbockt. Wir haben auf dem Mars eine Atombombe detonieren lassen.«

»Es war doch nur eine Attrappe. Das echte Teil wird wahrscheinlich robuster sein.«

»Das hoffe ich, bei Gott.«

»In Ordnung, Leute«, sagte der Simulationsleiter. »Die Herzfrequenz von euch beiden ist leicht erhöht. Das genügt fürs erste. Ruht euch aus. In einer Stunde geht’s weiter.«

Jorge Romero stürmte in die Simulationskammer. »Gottverdammt«, wütete er. »Du hast es schon wieder getan, Natalie! Du hast mein verdammtes SEP zerstört! Und du warst eine halbe Stunde hinter dem Zeitplan zurück!«

Die vom Geschirr befreite York saß auf dem Rover. Sie hatte den Helm auf den Schoß gelegt und hielt einen Pott Kaffee in der Hand. Sie lächelte ihn an. »Ach, halb so schlimm, Jorge. Ist doch nur eine Simulation.«

Der kleine, zornrote Romero ging auf der simulierten Marsoberfläche hin und her und wirbelte kleine Kiesfontänen auf. »Das ist nun schon die dritte von drei Simulationen, wo meine SEP-Implementation versaubeutelt wurde.«

Die Ausbildung war anstrengend gewesen. Angesichts des knappen Zeitplans mußten sie und die anderen die komplexen Übungen in einen Achtzehnstunden-Tag pressen, und das über einen Zeitraum von mehreren Wochen. Bei Romeros Auftritt drohte ihr nun der Geduldsfaden zu reißen. Ich habe keine Zeit für solche Debatten, Jorge. Doch sie sagte nichts.

»Schau«, sagte sie zu Romero. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber du mußt auch mich verstehen, Jorge. Bei einer Exkursion kannst du dir soviel Zeit lassen, wie du willst und tage- oder auch wochenlang über einer Probe brüten. In diesem Fall ist das aber anders. Die Mars-Spaziergänge dauern jeweils nur ein paar Stunden. Sie sind noch kürzer als die Mondspaziergänge bei Apollo. Deshalb müssen wir jeden Schritt genau planen. Diese Simulationen sind« - sie machte eine Geste -»Choreographie. Das ist eine andere Art des Arbeitens, sowohl für dich als auch für mich. Man nennt das Echtzeit.«

Das stellte Romero keineswegs zufrieden. »Gottverdammt. Ich werde ein Memo für Joe Muldoon verfassen. Ständig diese Pannen. Die Leute von der Flugoperation sind einfach nicht imstande, die Mission ordentlich durchzuführen.«

»Eben das ist doch der Sinn und Zweck der Simulationen, Jorge. Wir sollten die Sache vorantreiben.« Ihr war zum Lachen zumute, doch sie beherrschte sich. »Es tut mir leid, Jorge. Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich verstehe dich.«

Er schaute sie böse an. »Ach ja? Dann bist du also noch nicht einmal bei der operativen Phase angelangt?«

Sie zuckte zusammen. »Das ist nicht fair, verdammt.«

Sein Zorn schien abzuflauen. Er setzte sich zu ihr auf den Rover. Neben der in dem ballonförmigen Anzug steckenden York wirkte er klein. »Natalie. Ich glaube, du solltest das wissen. Ich werde mich aus dem Programm zurückziehen.«

Sie war konsterniert. »Das darfst du nicht.« Romero war die treibende Kraft bei der Erforschung der Mars-Geologie. Wenn er sich nun vom Programm verabschiedete, würde das den wissenschaftlichen Wert stark beeinträchtigen. »Komm schon, Jorge.«

»Das ist mein Ernst. Ich bin mir fast sicher, daß ich es tun werde.« Mit düsterem Gesichtsausdruck ließ er den Blick über den >Sandkasten< schweifen. »Der heutige Tag hat mich in diesem Entschluß nur noch bestärkt. Und wenn du noch einen Rest von Integrität besitzt, Natalie, solltest du auch aufhören.«

»Jorge, bist du verrückt? Es wird ein Geologe zum Mars fliegen. Was willst du denn noch, um Gottes willen?«

»Ich bin durchaus nicht verrückt. Du wirst bestenfalls eine Technikerin sein, Natalie. Natalie, Ares ist ein großartiges System - aber nur in operativer Hinsicht. In wissenschaftlicher Hinsicht handelt es sich lediglich um einen Aufguß von Apollo. Schau dir das an.« Er wies mit ausladender Geste auf das Simulationsgelände. »Mit diesem Gerödel wollt ihr allen Ernstes den Mars erforschen. Mit Flaschenzügen. Mit dem MET. Mit diesem verdammten Strand-Buggy, der nur eine Zuladung von hundert Pfund hat. Und dann noch die Fummelei mit den Handschuhen und dieser albernen Griffstange.« Seine Stimme war angespannt, und das Gesicht rötete sich; sie erkannte, daß er wirklich zornig war. »Natalie, du mußt dich nur um sehen, um zu erkennen, wo der Schwerpunkt bei den Investitionen liegt. Wußtest du schon, daß man mehr Geld in die Entwicklung eines robusten Gewebes für das MarsSternenbanner gesteckt hat als in mein ganzes SEP?«

Operativ. Romero hatte das Wort ausgesprochen, als sei es etwas Obszönes. Früher hätte sie das auch so gesehen, sagte York sich. Doch vielleicht hatte sie nun einen besseren Überblick. Ein Raumfahrtprogramm, noch dazu eine so heikle Mission wie der Marsflug der Ares, mußte sowohl operativen als auch wissenschaftlichen Erfordernissen gerecht werden. Zumal das eine ohne das andere nicht zu haben war.

Sie versuchte, Romero das begreiflich zu machen.

»Geschenkt, Natalie. Ich habe mir das selbst auch schon hundertmal gesagt, und es hat mich nicht überzeugt. Und was dich betrifft.« Er zögerte.

»Ja? Sag es, Jorge.«

»Ich glaube, du hast dich verkauft. Ich habe deine Bewerbung bei der NASA unterstützt. Verdammt, ich habe dich hier reingebracht. Ich hoffte, du würdest etwas ändern. Aber du hast dich angepaßt. Nun haben wir eine Neuauflage von Apollo mit den gleichen verdammten Fehlern. Nur daß es diesmal -zumindest zum Teil - deine Schuld ist. Und meine. Es tut mir leid.«

Er stieg vom Rover und ging davon.

York zitterte im Druckanzug wegen der ungestümen Attacke. Januar 1985

Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston

Zusätzlich zur Arbeitsbelastung, die stetig zunahm, je näher der Termin des Starts rückte, wurde von der Besatzung die Wahrnehmung von PR-Terminen erwartet. Die Astronauten nannten das >Theater spielenc. Für gewöhnlich forderte der Vorsitzende einer Handelskammer einen Vorzeige-Astronauten an, der an Empfängen teilnahm, Hände schüttelte, für Fotos posierte und für gute Stimmung sorgte.

York war völlig ungeeignet für solche Aktionen und wurde deshalb hinter den Kulissen eingesetzt, wobei sie diversen NASA-Zentren und Firmen der Luft- und Raumfahrtindustrie Besuche abstattete, um die Beziehungen zu pflegen. Gershon verbrachte derweil viel Zeit in Newport, wo die ColumbiaIngenieure noch immer daran arbeiteten, die während der D1-Mission und anderen Tests aufgetretenen Mängel am MEM zu beheben und das Mars-Raumschiff endlich fertigzustellen.

Dann wurde York nach Marshall geschickt.

Sie wurde im Sheraton Hotel in Huntsville einquartiert, einer Stadt, die im Baedeker als >Raketen-Stadt< firmierte. Am nächsten Tag unternahmen zwei jungdynamische Ingenieure mit ihr eine Führung durch Marshall. Marshall war aus dem Ballistischen Raketen-Kommando der Armee ausgegliedert und der NASA unterstellt worden, doch der militärische

Ursprung war noch erkennbar. Man zeigte ihr einen spektakulären Raketen-Garten im WeltraumorientierungsZentrum und einen großen Prüfstand, der bei der Entwicklung der Saturn F-1-Triebwerke verwendet worden war. Die SaturnStufen wurden hier montiert und dann auf Wasserstraßen nach Cape Canaveral transportiert: auf Lastkähnen den Tennessee River hinab, anschließend über den Ohio und Mississippi in den Golf von Mexiko und zuletzt an der Küste von Florida entlang, wo sie im Hafen von Cape Canaveral angelandet wurden.

Sie verbrachte fast den ganzen Tag in von Brauns altem Konferenzraum, in der Gesellschaft von ungefähr zwanzig Ingenieuren. Es handelte sich überwiegend um Amerikaner, was ihr Vorurteil widerlegte, daß Marshall von Deutschen dominiert würde. Jeder Ingenieur hielt einen halbstündigen Vortrag auf seinem Fachgebiet, während die anderen ihre Aufmerksamkeit zu gleichen Teilen dem Referenten und ihr widmeten. Das verwunderte sie. Hatten die Jungs denn nichts Besseres zu tun, als zuzuschauen, wie sie Raketen-Grafiken betrachtete?

Dann wurde sie zu einer Party in den Country Club der Marshall-Belegschaft eingeladen, der den Namen >Mars Club< trug.

Bei dieser Gelegenheit lernte sie die Leute etwas besser kennen.

Sie waren eine isolierte Gruppe, die im provinziellen Alabama ihrer Arbeit nachging und sich mit Leib und Seele der Raumfahrt verschrieben hatte. Sie brachten einem Astronauten eine weitaus größere Verehrung entgegen, als sie ihm zum Beispiel in Houston zuteil wurde: und noch dazu der AresBesatzung, die von Brauns dreißig Jahre alten Traum vom Flug zum Mars verwirklichte. Der Besuch eines Astronauten hier in Alabama ließ sie daran teilhaben und vermittelte ihnen angesichts der chronischen Finanzkrise der NASA und der unsicheren Zukunft der NASA-Zentren neue Zuversicht.

Später besuchte sie die Firma Michoud in New Orleans, wo die großen Zusatztanks hergestellt wurden. Sie hielt sich ziemlich lange dort auf, weil den Tanks während der Mission eine große Bedeutung zukam.

Die Montagehallen glichen riesigen Höhlen, in denen die Tanks in zylindrischen Behältern montiert wurden. Sie verfolgte die Fertigung eines Schotts, einer großen Kuppel, die den großen Flüssigwasserstoff-Tank ab schließen würde. Die Kuppel wurde aus Aluminiumstücken zusammengesetzt, was eine Fertigungspräzision erforderte, die von hydraulischen Pressen nicht erreicht wurde. Deshalb wurde eine Gußform, auf deren Oberseite eine Aluminiumbahn lag, auf den Boden eines über zweihunderttausend Liter fassenden Wassertanks hinabgesenkt. Der Einsatz wurde dann durch Schockwellen in die gewünschte Form gebracht.

York war von der Dimension dieser Fertigungsabläufe überwältigt. Im Verlauf ihrer Studien wurden die Tanks förmlich zu einem Faszinosum, obwohl sie im Grunde die profansten Elemente der ganzen Mission darstellten.

Jeder Tank enthielt zwei massive Kammern für Treibstoff und Oxidator, die durch einen zylindrischen Ring verbunden waren. Die Tanks waren mit einer zehn Zentimeter starken Lage aus Polyurethanschaum und einer reflektierenden Beschichtung ausgekleidet, um die Verdunstung der kryogenen Treibstoffe zu reduzieren. Im Innern der Tanks befanden sich Null-Ge-Abschirmungen und käfigartige Resonanzwände, die verhindern sollten, daß die Flüssigkeiten während des Feuerns der Triebwerke im Tank schwappten. Aufgrund des Gewichts der Flüssigkeiten - etwa tausend Tonnen pro Tank - bestand die Gefahr, daß die gesamte Triebwerksgruppe bei einem solchen Schwappen außer Kontrolle geriet. Außerdem gab es Leitbleche in Form großer Propellerblätter, um das Entstehen von Strudeln zu verhindern, die vielleicht Gasblasen in die Brennstoffleitungen gesaugt hätten.

Wegen der extremen Anforderungen an die Zuverlässigkeit und des breiten Spektrums der Einsatzbedingungen eines Raumschiffs war jede Komponente von Ares in einem Ausmaß mit Technik gespickt, das man als Außenstehender nicht vermutet hätte. Das galt selbst für diese profanen Teile, die Tanks. Wegen der eingeschränkten Testmöglichkeiten war die Diagnose von größter Bedeutung: die Fähigkeit, die

Entstehungsgeschichte auch der unscheinbarsten Komponente bis zum Hochofen zurückzuverfolgen, um im Fall einer Panne die Ursache zu ermitteln.

Von dieser Detailarbeit hatten die Leute - einschließlich der Entscheidungsträger im Kapitol -, die über die Preise der von der NASA bestellten Komponenten meckerten, nicht die geringste Ahnung.

Wenn sie sich an Plätzen wie Michoud - >im prallen Programm< - aufhielt, fielen alle Zweifel, welche Romeros Resignation sowie die Skepsis und partielle Feindseligkeit der Presse bei ihr geweckt hatten, von ihr ab. Wie könnte ich eine Saturn ablehnen? Wo sie sie doch zum Mars bringen und zur Durchführung wichtiger Experimente befähigen würde. Eine Milliarde Dollar waren in sie investiert worden, und eine Milliarde Menschen würden darauf achten, daß sie gute Arbeit leistete.

An Plätzen wie Michaud war sie überzeugt, daß der Preis, den sie zahlte - der ganze Ärger mit dem Astronauten-Büro, der Karriereknick, die Kompromisse bei der Wissenschaft, das nicht vorhandene Privatleben - gerechtfertigt war.

. Wir sind uns bewußt, daß ein bemannter Raumflug auch als komplexes biotechnisches und soziotechnisches System mit mechanischen und menschlichen Teilen betrachtet werden kann. Ein grundlegendes Verständnis der psychologischen und interpersonalen Dimensionen der Mars-Mission ist notwendig, um unabhängig von den strukturellen, mechanischen und elektronischen Elementen die Wahrscheinlichkeit eines Versagens des menschlichen Teils zu verringern, was die Umstellung des Systems als Ganzes erfordern würde. Psychologische und interpersonale Belastungen können durch die Einrichtung des Raumschiffs, eine optimale Auswahl der Besatzung und die Strukturierung von Situationen und Aufgaben verringert werden...

Für York waren die pseudowissenschaftlichen Vorträge der Psychologen, die Rollenspiele sowie die psychologischen Gruppen- und Einzelauswertungen, welche die Besatzung über sich ergehen lassen mußte, der schlimmste Teil des Trainings. Sie waren entweder todlangweilig oder höchst peinlich oder beides.

York war in den >weichen< Wissenschaften nicht sehr bewandert, und sie wunderte sich darüber, wie beschränkt der Horizont dieser Disziplinen war - selbst in diesem Raumfahrtprogramm, wo Geld keine Rolle spielte. Manche Theorien, die auf sie und ihre Kameraden angewandt wurden, hielt sie im besten Fall für spekulativ. Sie erkannte, daß das Studium der Gruppenpsychologie im Gegensatz zur Individualpsychologie noch in den Kinderschuhen steckte.

Das eigentliche Problem war jedoch, daß bisher kaum Erfahrungen mit Langzeit-Raumflügen vorlagen, so daß die Leitlinien und Techniken, die man ihnen beibrachte, nicht durch die Praxis untermauert wurden.

Bei der Ares-Mission würden Menschen tiefer ins Weltall vorstoßen, als je eine Besatzung zuvor. Um die mentale Befindlichkeit einer Mars-Besatzung zu prognostizieren, mußten die Psychologen sich deshalb auf Fallstudien von analogen Situationen stützen: unterseeische Habitate, Atom-U-Boote, Polarstationen und isolierte Ansiedlungen. Dazu bedienten sie sich sensorischer Deprivationsexperimente, Schlaflosigkeits-Untersuchungen und Studien über soziale Isolation. Wobei sie, wie York sich sagte, diese Analogien manchmal etwas überdehnten.

Sie machte sich mit dem Gedanken vertraut, daß die Luft-und Raumfahrttechnik beim Ares-Flug an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stieß. Da war es um so bedenklicher, daß auch die weichen Disziplinen wie Psychologie bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten strapaziert wurden.

Es war beunruhigend, daß in diesem fundamentalen Aspekt der Mission niemand wußte, ob die Besatzung den Flug auch überleben würde.

Später erfuhr York von Wladimir Wiktorenko, wie die Sowjets solche Dinge handhabten.

Es fing schon bei Kleinigkeiten an: die sowjetischen Missions-Planer berücksichtigten bei der Zusammenstellung der Verpflegung den Geschmack der Besatzung. Mit der gleichen Sorgfalt wurden die Farben für die Wände und die Ausrüstung des Raumschiffs ausgewählt. Jedes Mitglied der Besatzung erhielt einen Kassettenrecorder mit seiner Lieblingsmusik, dazu Aufnahmen von Klängen aus der Natur: Vogelstimmen, Meeresrauschen, Regen. Die Kosmonauten wurden sogar aufgefordert, Lebewesen mitzunehmen, zum Beispiel für biologische Experimente: Pflanzen, Gräser und Kaulquappen - Tropfen des Lebens, sagte Wiktorenko, Tropfen aus dem Ozean des irdischen Lebens.

Die amerikanischen Astronauten neigten dazu, die Sowjets in technischer Hinsicht als rückständig zu betrachten. Doch York gefielen manche der sowjetischen Lösungen. Sie verstanden es, den menschlichen Wesen in den Raketen mit ebenso einfachen wie praktischen Maßnahmen ein behagliches Ambiente zu schaffen.

Sie brachte Wiktorenkos Ideen in die Psycho-Sitzungen mit Stone und Gershon ein.

».Ich übertreibe gewiß nicht, wenn ich sage, daß die schiere Größe des Öffentlichkeitsarbeits-Programms alles übertrifft, was wir seit Apollo 11 gesehen haben. Natürlich ist auch die >Stimme Amerikas< daran beteiligt. Unseren Schätzungen zufolge erreicht dieser Sender siebenundsiebzig Prozent der Weltbevölkerung außerhalb der USA. Dies ist die größte Operation in der Geschichte des Senders. Noch vor dem Start werden wir zehntausend Tonbänder mit einer Spieldauer von fünfundvierzig Minuten und Manuskripte an amerikanische Informationsdienste in aller Welt schicken. Während der Schlüsselphasen der Mission wird die Stimme Amerikas LiveÜbertragungen in sieben Sprachen bringen und Zusammenfassungen in weiteren sechsunddreißig Sprachen.

Außerdem werden wir die bei einer bemannten NASA-Mission üblichen Sendungen durch Sondersendungen ergänzen, und zwar mit neunzig Direktübertragungen. Hinzu kommen Werbemittel, die in den letzten Wochen vor dem Start erscheinen: ein achtundvierzigseitiges Heft mit dem Titel >Menschen auf dem Mars< in einer Auflage von vierhundertzweiundzwanzigtausend Exemplaren sowie neunhunderttausend Postkarten mit den Portraits der Astronauten, also von Ihnen drei. Des weiteren wollen wir die überseeischen Informationsdienste mit einer Million AresButtons versorgen, neun originalgetreuen Mars-Anzügen und hundertfünfundzwanzig Ares-Pavillons mit diversen

Darbietungen. Hierfür stellen wir zehntausend Karten vom Mars bereit, achthundertvierzig Saturn-Modelle, zweihundertfünfzig Marsgloben.«

Die Statistik rauschte an ihr vorbei, und die gezeigten Dias trugen nur noch zur Verwirrung bei.

Als Leiter der NASA-Öffentlichkeitsarbeit war Rick Llewellyn aber ein schlechter Redner, sagte York sich. Es fiel ihr schwer, sich länger als für ein paar Sätze auf ihn zu konzentrieren. Sie fühlte sich wieder in die Ausbildung zurückversetzt, an die endlosen, monotonen Nachmittage mit all den Blockdiagrammen.

Doch bei näherer Überlegung war der Inhalt von Llewellyns Diavorführung ein Hammer.

»Nach Ihrer Rückkehr planen wir schon eine Welt-Tour für Sie. In einem Zeitraum von achtundvierzig Tagen werden Sie fünfunddreißig Länder besuchen und sich mit Leuten von der Presse und vom Fernsehen treffen, mit Wissenschaftlern, Studenten und Lehrern sowie mit Politikern. Sie werden nach Mexiko gehen, nach Kolumbien, Brasilien, Spanien, Frankreich, Belgien, Norwegen, England.

Für die Medien haben wir im Rahmen der Missionsplanung Leitlinien entwickelt. Zuerst repräsentiert Ares natürlich den Menschen auf dem Mars. Das ist die Verwirklichung eines uralten Traums. Es liegt in der Natur des Menschen, sich Herausforderungen zu stellen. Dieser Kram eben. Was den historischen Aspekt betrifft, so beruht Ares auf den Leistungen vieler Wissenschaftler, von Newton über Goddard bis hin zu von Braun. Sie wissen Bescheid. Und mit Blick auf die Gegenwart betonen wir den starken internationalen Bezug von Ares, die weltweite Forschung, den freien Zugang zu Proben und Daten, die Beobachtungsstationen in aller Welt, die Unterstützung durch die Russen bei Ihrem Training und so weiter. Nicht zu vergessen natürlich, daß die Menschheit vom

Raumflug profitiert - Sie gehen ausführlich auf die Nebeneffekte ein. Und dann geben Sie der Hoffnung Ausdruck, daß die Ares-Technik trotz der Ausrichtung auf den Weltraum dazu beitragen wird, die Probleme auf der Erde zu lösen.«

Ares als Schaufenster für technokratische Lösungen, sagte York sich bitter. Jorge hatte doch recht. Es handelt sich nur um einen Aufguß von Apollo.

Nur daß das Stimmungsbarometer im Vergleich zu den Sechzigern leicht gefallen war. Heute schwadronierte Reagan vom Krieg der Sterne, faselte von Teilchenstrahlen und Lasern und >intelligenten< Geschossen. Der Weltraum mußte wieder einmal als Arena fürs nationale Kräftemessen herhalten. Und Ares diente der Reagan-Administration als Alibi, nationale und internationale Ängste wegen des militärischen Einsatzes der Weltraumtechnik zu zerstreuen. Die Medien hatten Ares und die >Krieg der Sterne<-Initiative verquickt. Ares war der >Dr. Jekyll< des amerikanischen Raumfahrtprogramms, und die Strategische Verteidigungsinitiative war >Mr. Hyde<. Vielleicht hatte die Regierung das von Anfang an geplant, als sie Joe Muldoon 1981 mit der Neuordnung der Mission beauftragte.

Sie erkannte die Handschrift von Fred Michaels, der noch aus dem Ruhestand in Dallas die Fäden zog. Michaels hatte Reagan Ares und SDI sozusagen als Paketlösung verkauft - und der Öffentlichkeit und dem Kongreß. Solange Reagan Milliarden Dollar in die Rüstung pumpte, würde davon auch ein kleines Rinnsal in die NASA fließen und Ares zugute kommen. Geschickt eingefädelt von Michaels. Auch wenn das, wie sie erkannte, absolut unmoralisch war. Der Zweck heiligte mal wieder die Mittel.

Sie sah, daß jeder Aspekt der Mission - jeder Gimmick, jedes Spielzeug, jedes Bild - inzwischen eine vielfältige Bedeutung hatte: Ares als ein geopolitisches Symbol. Ares als Meilenstein für die Technokratie.

Doch so würde es wahrscheinlich immer sein. Die Erringung eines politischen Vorteils war letztlich der einzige Grund, weshalb eine Regierung die Raumfahrt überhaupt finanzierte.

Und nun mutierte sie, Natalie York, die Zweiflerin an der Raumfahrt, zu einer Ikone des tödlich-glamourösen WeltraumGeschäfts.

Sie sah zur Leinwand auf und schaute in ihr tausendfaches Spiegelbild. Sie schauderte.

Die Reisen, die Pressekonferenzen, die Fototermine nahmen kein Ende.

Sie verkündete die von den PR-Leuten in eine Formel gekleidete Botschaft. Ich brauche euch! Leistet gute Arbeit!

Und überall, wohin sie kam, waren Leute: Tausende, die sie anstarrten und anlächelten. Dennoch schienen sie sich irgendwie zurückzuhalten. Als ob sie sie berühren wollten. Und jedesmal applaudierten sie ihr.

Über die Zukunft machte sie sich kaum Gedanken. Für sie lag >nach der Mission< noch in so weiter Ferne, als ob die Mission nie enden würde. Es kam ihr so vor, als ob in dem Moment, wo sie die Kommandokapsel betrat, auch ihr Leben zu Ende wäre.

Doch es würde ein Leben danach geben. Und in gewisser Weise war nichts von dem, was sie auf dem Mars tat - nicht einmal ihr Steckenpferd, die Geologie -, so wichtig wie der schlichte Sachverhalt, daß sie dort gewesen war.

Sie erinnerte sich an den Ausdruck auf den Gesichtern der Presseleute und der Menschen überhaupt, mit dem sie die heimgekehrten Mondfahrer angeschaut hatten. Wenn ich zurückkomme, werden sie mich genauso ansehen. Das tun sie jetzt schon. Und sie haben ein Recht dazu; schließlich bezahlen sie dafür.

Und was war mit ihr? Würde sie wie Joe Muldoon werden, eine Art wandelnder Geist, dessen Leben durch das kurze, traumgleiche - und einmalige - Zwischenspiel auf dem Mars umgekrempelt worden war?

Nun sah sie auch eine dunklere Seite an der Faszination, mit der die Leute sie betrachteten. Natürlich wollten sie Zeuge sein, wie diese Frau - die im Grunde eine in den AstronautenStatus erhobene Normalbürgerin war - den Mars betrat und stellvertretend für sie einen unvorstellbaren Schritt in der Evolution vollzog.

Doch sie kalkulierten auch ihren Tod ein.

Montag, 18. Februar 1984 Marion, Ohio

Es war ein typischer Kleinstadtfriedhof: weiße MarmorGrabsteine standen in Reih und Glied in der gepflegten Anlage. Das offene Grab klaffte wie eine Wunde im Erdboden, die darauf wartete, daß sie wieder geschlossen wurde.

Die Astronauten, Aktive und Veteranen, die zur Beerdigung erschienen waren - unter anderem auch Joe Muldoon und Phil Stone - fügten sich in den schwarzen Anzügen und mit dem militärischen Habitus harmonisch in die Trauergemeinde ein. Schließlich waren Astronauten perfekte Kleinstadt-Helden, nicht mehr und nicht weniger.

Es war ein herrlicher Tag. Der Himmel war strahlend blau, und das Sonnenlicht war Vorbote des nahenden Frühlings.

York fühlte sich betäubt und leer, unfähig zu trauern.

Peter Priest war mit fünfundzwanzig einen schmutzigen Tod an einer Überdosis Kokain gestorben. Er hatte sein Leben vergeudet, sagte sie sich, und nichts erreicht. Was, zum Teufel, gab es da zu betrauern? Und sie hegte auch keine

Schuldgefühle wegen ihrer Gefühllosigkeit. Zumal der Junge wahrscheinlich eh nicht mit dem Aufwand einverstanden gewesen wäre, den seine Mutter bei der Beerdigung trieb.

York erinnerte sich an den kleinen Jungen, der vor so vielen Jahren auf dem Testgelände für Nuklearraketen herumgestreunt war. Welche Bedeutung hatte sein Tod nun? Gab es einen Bezug zu den Tagen in Jackass Flats - zum Raumfahrtprogramm an sich, zur Verfolgung seiner Ziele, zum Umstand, daß sein Vater diesem Programm zum Opfer gefallen war?

Und in welchem Licht erschien angesichts dieses tragischen Ereignisses ihre seltsame Beziehung zu Ben?

Sie hätte nicht herkommen sollen. Doch Karen Priest hatte sie darum gebeten: >Ben hat oft von Ihnen gesprochen. Ich weiß, daß Sie eine gute Freundin von ihm waren. Ich würde mich geehrt fühlen, wenn Sie mit uns Petey gedenken würden. <

Petey, um Gottes willen. Er wollte immer Peter genannt werden. Ein recht bescheidener Wunsch.

Eigenartigerweise wirkte Karen nicht so traurig, wie York erwartet hatte. Als ob sie Peters Tod als Teil der alten Abmachung begriff, die sie mit ihrem Ehemann getroffen hatte.

Manchmal fragte York sich, ob ihre Gefühlsarmut bei solchen Anlässen noch normal war. Vielleicht war sie durch die Fixierung auf ihre Belange emotional verkümmert. Innerlich so leer wie das Raumfahrtprogramm, wie manche Leute mutmaßten. Sie war einfach nicht imstande, sich in Karen Priest hineinzuversetzen, die binnen weniger Jahre ihren Mann und ihren Sohn verloren hatte. Vielleicht sollte die NASA eine entsprechende Simulation für mich konzipieren, sagte sie sich bitter.

Die Beisetzungsfeierlichkeiten waren vorbei, und die Leute gingen zu ihren Autos zurück: die meisten Einheimischen fuhren alte Karren, und die Leute vom Raumfahrtprogramm waren in Mietwagen der Oberklasse vorgefahren.

York wußte, daß Karen die Leute zum Bleiben aufforderte, doch ihre Befindlichkeit stand einem weiteren Aufenthalt entgegen: sie empfand keine Trauer, sondern nur diese schreckliche Leere.

Ein kleiner, übergewichtiger Mann mit dunklem Haar kam auf sie zu. »Hallo.« Er machte einen gepflegten Eindruck und trug einen teuren Mantel. Er lächelte sie an.

Obwohl er ihr irgendwie bekannt vorkam, vermochte sie ihn zunächst nicht einzuordnen. Sie wich zurück und musterte sein Gesicht. Es wäre nicht das erstemal gewesen, daß Presseleute selbst bei einem so privaten Ereignis auftauchten. Zumal sie im Moment nichts sagen oder tun wollte, was an die Öffentlichkeit gelangte.

Sein Lächeln gefror. »Du erkennst mich nicht, oder? Mein Gott, Natalie. Ich schätze, es liegt an der neuen Uniform.«

Es war Mike Conlig.

»Mike! Mein Gott. Was ist denn mit dir passiert?«

Er grinste und strich sich verlegen über das Kinn. »Es gefällt dir nicht?«

»Du hast dich ganz schön verändert, Mike.«

»Was sein muß, das muß sein.«

»Bist du noch immer bei Oakland?« Conlig war nämlich nach dem Apollo-N-Debakel aus der NASA ausgeschieden und zu Oakland Gyroskope gewechselt.

»Sicher.« Er schaute sie nachdenklich an, als ob er sich fragte, wie sie die Neuigkeiten aufnehmen würde. »Ich bin zufrieden. Wir produzieren sogar Teile für die Saturn VB. Vielleicht besuchst du uns einmal.«

»Klar«, sagte sie ohne allzu große Begeisterung.

»Ich arbeite nicht mehr in der Konstruktion, sondern im Management.« Er lachte verlegen. »Dem Vernehmen nach soll ich zum Vizepräsidenten im Bereich Technik ernannt werden. Ist das zu glauben? Und du - wie geht’s dir?«

Mir? Ich spiele doch noch immer die Tussi im Weltall. »Gut«, sagte sie zögerlich. »Wenn du Zeitung liest, weißt du wahrscheinlich mehr über mich als ich selbst.«

»Ja. Ich freue mich für dich, Natalie. Ich freue mich, daß du erreicht hast, was du wolltest.« Er wirkte verlegen und erging sich dann in Allgemeinplätzen. »Das öffentliche Interesse an der Mission hat stark zugenommen, nachdem deine Teilnahme bekanntgegeben wurde. Ich verfolge natürlich die Nachrichten. Die Mars-Initiative ist im Lauf der Jahre stark angefeindet worden, nicht wahr? Doch das scheint sich nun

abzuschwächen. Es ist wie bei Apollo 11.«

Da mußte wohl etwas dran sein, sagte sie sich: eine Reihe von Leuten hatte ihr das schon gesagt. Die starke Opposition gegen die bemannte Raumfahrt war fürs erste verschwunden, und die Öffentlichkeit konzentrierte sich nun auf die drei Menschen, welche die außergewöhnliche Reise antreten würden. Wenn die Raumfahrt von den Höhen der Technik und der Wissenschaft herabstieg und sozusagen ein menschliches Antlitz bekam, standen die Menschen ihr viel aufgeschlossener gegenüber.

Doch York wußte auch, daß Muldoon, Josephson und andere sich schon die bange Frage stellten, was wohl nach Ares kommen und wie lange diese günstige Stimmung noch anhalten würde.

»Ich glaube, es liegt an dir, Natalie«, sagte Conlig zögernd.

»An mir? Wie das?«

»Wahrscheinlich liegt es daran, daß du eine Frau bist. Und weil du unverkennbar ein menschliches Wesen bist. Keiner von diesen sprachlosen Robotern, die man zum Mond geschickt hat. Grundsätzlich wünschen die Leute dem

Raumfahrtprogramm Erfolg; dessen bin ich sicher. Die Astronauten sollen nämlich Neuland betreten. Das ist ein Urinstinkt des Menschen. Zumal wir es uns auch leisten können, wenn Reagan davon spricht, eine Billion Mäuse in die Verteidigung zu investieren. Aber das kalte, inhumane Gesicht der NASA wirkt abstoßend auf die Menschen. Doch nun wünschen die Leute dir Erfolg, weil du eine von uns bist. Du weißt, was ich meine?« Conlig musterte sie.

»Verdammt, Mike. Das ist vielleicht das Netteste, was du je zu mir gesagt hast.«

Seit ihrem letzten Streit und der Sache mit NERVA sah sie ihn nun zum erstenmal wieder. Sie fand, daß es mutig von ihm gewesen war, herzukommen. Wenn sie noch solche Schuldgefühle wegen Ben verspürte, wie mußte Mike sich dann erst fühlen.

Doch er wirkte völlig gelassen. Vielleicht hatte er einen Weg gefunden, die Geschehnisse zu verarbeiten und seinen Part in dem Desaster zu rationalisieren. Wenn das wirklich der Fall war, beneidete sie ihn.

»Du mußt mich mal besuchen«, sagte er. »Du mußt Bobbie kennenlernen.«

»Deine Frau, oder?«

Er stutzte. »Ach so, du kennst sie noch gar nicht.« Dann drehte er sich um und wies auf eine schlanke blonde Frau, die bei den Fahrzeugen stand. Sie hielt ein Kind an der Hand und winkte ihnen zu.

»Du hast ein Kind.«

»Zwei.« Conlig grinste stolz. »Das Baby ist bei seiner Großmutter. Von den Kindern wußtest du auch noch nichts. Teufel, Natalie. Bei der Vorstellung.«

Bei der Vorstellung, daß es vielleicht meine wären. Sie verdrängte diesen Gedanken, und Conlig war so taktvoll, nicht mehr davon zu sprechen.

Sie verdrückte sich ziemlich früh. Mike war sehr nett gewesen und hatte ihr unter anderem das Versprechen abgenommen, ihn in seinem Gyroskop-Werk zu besuchen. Sie schieden mit einem Handschlag.

Verwirrt eilte York zum Auto.

Conlig hatte viel souveräner gewirkt, als sie ihn in Erinnerung hatte. Diese Besessenheit, diese Fixierung auf eine einzige Sache waren verschwunden. Vielleicht hatten diese Eigenschaften auch nur den Zweck gehabt, ihn dorthin zu befördern, wo er hingehörte. Dann hatte er sie wie eine ausgebrannte Raketenstufe abgestoßen.

Conligs Position spiegelte sich in seinem. Habitus, sagte sie sich: ein wohlhabender, aufstrebender Mittvierziger.

Mike hatte eine Familie gegründet. Wurzeln geschlagen. Er hatte die technischen Wahnvorstellungen der Jugend abgeschüttelt. Er hatte zur menschlichen Rasse gefunden. Er war erwachsen geworden. Er war die Art Mensch geworden, die sie immer vor Augen hatte; allerdings vermochte sie sich nicht vorzustellen, selbst jemals eine dieser Art zu werden.

Und wo stehe ich nun, zum Teufel?

Die Existenz des Mars-Programms hatte die Geschichte des Raumfahrtprogramms entstellt, wie sie nun erkannte. Im Moment bestand der einzige Daseinszweck der NASA darin, die drei auf der Marsoberfläche zu landen und sie wieder nach Hause zu bringen. Sonst war nichts von Belang - nicht einmal die Frage, was danach kommen mochte.

Und in der gleichen Art und Weise hatte der Mars auch ihr Leben umgekrempelt, als ob sie ein maßstabsgetreues Modell der Welt wäre.

Teufel, vielleicht hätte ich doch lieber >Spürhund< bei einer Ölgesellschaft werden sollen. Dann wäre ich jetzt glücklich und viel besser dran. Doch der diabolisch rote Mars hatte ihr die Sinne verwirrt, und um den Planeten zu erreichen, hatte sie

alles aufgegeben: ihre Karriere, die Wissenschaft,

wahrscheinlich auch die Aussicht auf eine Familie. Zumal ihre Zukunft nach Abschluß der Mission sowieso in den Sternen stand.

Mike Conlig hatte sich ihr heute als Vorbild des Erwachsenen präsentiert, der sie auch hätte werden können. Wenn da nicht der gottverdammte Mars gewesen wäre.

Als sie ins Auto stieg, wurde sie von einer tiefen Depression heimgesucht.

Dienstag, 26. Februar 1985

Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston

In Gebäude 3 befand sich die Cafeteria. York pochte nicht auf den Status als Mars-Astronautin, sondern stellte sich hinter dem >Fußvolk< an der Essensausgabe an. Dann setzte sie sich an einen kleinen Tisch am Fenster. Das Essen war typischer Kantinenfraß - verschmortes Steak mit Reis -, den sie mit Sodawasser runterspülte.

Die Cafeteria war in einem der älteren JSC-Gebäude untergebracht. Es handelte sich um einen düsteren Saal mit kleinen Fenstern und gekachelter Decke - die Architektur der frühen Sechziger, die sie unangenehm an die Schule erinnerte, wo sie immer an Klaustrophobie gelitten hatte.

Adam Bleeker setzte sich zu ihr an den Tisch. »Ist noch ein Plätzchen frei?«

Sie rang sich ein Lächeln ab. Sie hatte ihn gar nicht kommen sehen. Bleekers Gesicht war so ausdruckslos wie immer. Vielleicht hat er wirklich die Ruhe weg. »Nein. Ich meine, Teufel, ja, natürlich, Adam. Bitte.«

Er nickte, stellte das Tablett auf den Tisch und setzte sich. Er hatte eine Gemüse-Lasagne auf dem Teller, das

Gesundheitsmenü des Tages. Nun spießte er mit der Gabel ein Stück Lasagne auf und führte es zum Mund. Seine Augen wirkten tiefblau und undurchdringlich.

York versuchte, Konversation zu betreiben.

»Hast du viel zu tun?« fragte sie.

Er schnitt eine Grimasse. »Was sonst? Ich habe mehr zu tun als zu meiner Zeit als Astronaut. Kaum zu glauben, was? Ich mußte schon an so vielen Simulationen teilnehmen, daß ich längst den Überblick verloren habe.«

»Das ist wohl ein Indiz dafür, wie sehr.«

». du mich brauchst. Ich weiß, Natalie.«

»Schau, Adam. Ich weiß, wie du dich fühlst. Du hast schon für die Mondlandungen trainiert. Und nun zieht ein Anfänger wie ich an dir vorbei.«

»Ich habe Weltraum-Medizin studiert«, sagte er unvermittelt. »In der Freizeit.«

Dieser Gedankensprung verwirrte sie. Vielleicht war das ein Indiz für Adams mentale Verfassung. »Wirklich? Wieso?«

Er musterte sie. »Wieso nicht? Früher habe ich das nie ernst genommen. Und weißt du, was ich herausgefunden habe? Als Mitglied einer Raumschiffsbesatzung bist du ein >öffentlich bestelltem Strahlenarbeiter. Was sagst du dazu. Und mit Blick auf die Strahlendosis, die man im All abbekommt, gelten die Arbeitsschutzbestimmungen.«

»Und was hat das zu besagen? Ich wette, wenn wir uns an die Regeln halten, würden wir nie den Erdorbit verlassen.«

Er lachte. »Das stimmt auch. Im niedrigen Erdorbit wird man bis zu einem gewissen Grad von der Magnetosphäre geschützt. Darüber hinaus ist man ungeschützt. Doch die NASA hat eine Ausnahmegenehmigung für außerordentliche

Forschungsmissionen<.«

»Dann haben sie sich also abgesichert.«

»Genau. Wie die Luftwaffe.« Er schaute sie mit einem undurchdringlichen Gesichtsausdruck an. »Ohne den Schutz der Magnetosphäre gibt es viele Risiken dort draußen. Da wären zum Beispiel die Sonnenaktivitäten - Protuberanzen, bei denen man sich in die Schutzunterkunft zurückzieht -, doch dann gibt es noch die konstante Hintergrundstrahlung, kosmische Strahlen aus dem galaktischen Hintergrund. Und Frauen sind.«

»Um fünfzig Prozent anfälliger für Strahlung als Männer. Ich weiß, Adam«, sagte sie.

Er machte einen entrückten Eindruck. »Weißt du, man spürt den Unterschied. Du mußt die Erfahrung selbst machen, Natalie; ich vermag sie nicht zu beschreiben. Man spürt, wie das Blut durchs Herz in die Adern strömt. Man kehrt mit >Hühnerbeinen< zurück, wie wir sagen. Das geht aber vorbei. Doch dann unterliegt man einem schnellen Alterungsprozeß. ich bin nicht der einzige, mußt du wissen.«

»Der einzige was?«

»Der einzige Astronaut, der so geendet hat. So weit ich weiß, ist bisher niemand von den Aktiven explizit wegen Strahlenbelastung ausgemustert worden. Doch ein paar der Älteren, die in den sechziger Jahren geflogen sind, leiden nun an Osteoporose. Krebs. Sie sind in den Fünfzigern und Sechzigern und sterben an Krankheiten, die in der normalen Population nicht auftreten.«

Sie fröstelte und legte die Gabel aus der Hand. »Und diese Kameraden sind gerade einmal für zwei bis drei Wochen im All gewesen.«

»Schon. Aber wir haben vier Milliarden Jahre gebraucht, um uns an das Leben auf der Erde anzupassen. Für eine Weile glaubten wir, die Raumfahrt sei ein Spaziergang. Ich vermute, wir setzen wirklich unser Leben aufs Spiel, oder? Doch manche Leute scheinen keine gesundheitlichen Probleme zu haben. Zum Beispiel leiden sie bei der Rückkehr nur an leichtem Muskelschwund. Vielleicht gehörst du auch zu den Glücklichen, Natalie. Vielleicht bist du immun.«

»Wenn wir in einer rationalen Welt leben würden«, sagte York, »dann hätten wir gar kein Missionsprofil wie Ares. Der Ares-Plan ist im Grunde ein Relikt der Sechziger.«

»Genau. Damals ging es nur darum, das Ziel zu erreichen. Niemand fragte, was man tun mußte, um es zu erreichen. Es wäre sinnvoller, nicht nur einen dreißigtägigen Aufenthalt auf dem Mars zu planen, sondern gleich für ein ganzes Jahr dortzubleiben. Auf der Marsoberfläche ist man relativ geschützt. Während der kurzen Flugreise unterliegst du fast der gleichen Strahlenbelastung wie bei einer doppelt so langen Hohmann-Mission, bei der du dich für fünfhundert Tage auf dem Mars aufhalten würdest. Auf dieser einen Mission erhältst du fast die Dosis, die nach den geltenden Grenzwerten für ein ganzes Leben zulässig ist.«

»Gemäß der Arbeitsschutzbestimmungen, richtig?«

»Ja. Überhaupt wäre ein längerer Aufenthalt auf dem Mars besser für dich«, fuhr er fort, »um dir die Gelegenheit zu geben, dich von den Auswirkungen des langen Null-Ge-Flugs zu erholen.

Ach, zum Teufel.« Er stocherte im Essen herum. »Weißt du, im Grunde sind wir noch gar nicht so weit. Seit von Braun vor dreißig Jahren die Vorreiterrolle übernommen hatte, studieren wir Optionen für eine Mars-Mission. Und die grundlegenden Probleme - die Energie, die benötigt wird, um die Gravitationsquelle der Erde zu verlassen und den interplanetaren Raum zu durchqueren - sind noch immer dieselben. Und es ist uns bisher auch nicht gelungen, von Brauns Lösungen grundsätzlich zu verbessern. Wir schießen noch immer große Wasserstoff/Sauerstoff-Raketen ins All, weil uns nichts Besseres einfällt.«

Sie freute sich über Bleekers offene Worte. Vielleicht fand doch ein langsamer Wandel in der NASA-Kultur statt. Doch bei dem Ton, der in seiner Stimme mitschwang, hätte er ihr ebensogut die Fußballergebnisse mitteilen können.

»Ich werde einfach nicht schlau aus dir«, sagte sie unverblümt. »Das habe ich mir auch schon gesagt. Daß wir noch nicht soweit sind.«

Er nickte. »Dachte ich mir«, sagte er mit einem schwachen Lächeln.

»Aber das wird mich trotzdem nicht davon abhalten.«

»Nein. Und ich würde mich auch nicht davon abhalten lassen, wenn ich fliegen dürfte.«

»Du willst es mir nicht ausreden?« Sie versuchte, ihre Stimme mit Humor zu unterlegen, zweifelte aber am Erfolg ihrer Bemühungen.

»Ich würde es tun, wenn ich eine Erfolgsaussicht sähe«, sagte er ernst. »Aber nicht, daß ich etwas davon hätte.« Er schüttelte den Kopf. »Weißt du, was das Schlimmste war?« fragte er plötzlich.

»Was denn?«

»Daß ich meinem Jungen - Billy - erklären mußte, daß ich nicht zum Mars fliegen würde. Verdammt«, sagte er und sah aus dem Fenster ins Sonnenlicht, das vom Smog über Houston gefiltert wurde.

Sie wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte.

Er widmete sich wieder der Lasagne.

Zeitdauer der Mission [Tag/Std:Min:Sek]

Plus 371/01:32:30

Gershon ließ die Bremsraketen der Challenger noch einmal kurz feuern, um sich von ihrer Funktionsfähigkeit zu überzeugen.

Elektromagneten klackten.

»Alles klar, Leute.«

Stones Gesicht hinter dem verschrammten Helm visier war unbewegt, fast schon düster. »Gut. Dann laßt uns, verdammt noch mal, weitermachen«, sagte er.

Gershon grinste.

Die Sprengbolzen knallten, und Challenger trennte sich von der restlichen Ares. Dann feuerten die Bremsraketen, die Gruppe der kleinen Feststoffraketen an der Basis des MEM.

Die Zündung brachte Challenger in einen niedrigeren Orbit um den Mars.

Die auf die Beschleunigungsliege geschnallte York versuchte sich zu entspannen. Challenger würde für ein paar Umdrehungen im neuen Orbit bleiben, während die beiden Piloten und die Controller im Kontrollzentrum die Systeme überprüften.

Die Kabine der MEM-Aufstiegsstufe hatte sich im konischen oberen Hitzeschild verborgen. Nun erhob der Zylinder sich über sie. Die Beschleunigungsliegen waren in die Basis gezwängt. Im schrägen Winkel sah sie die Navigations- und Steuerkonsolen mit dem künstlichen Horizont, und das optische Richtteleskop stieß von der Decke auf sie herab.

Die Fenster der Kabine bestanden aus großen Dreiecken, deren Spitze nach unten wies, so daß die Piloten beim Aufstehen die Landezone erkannten. Direkt über ihrem Kopf befand sich ein kleines rechteckiges Sichtfenster, und der obere Hitzeschild war von einer spiegelbildlichen Öffnung durchbrochen. York sah durch dieses Fenster; eingezwängt zwischen den beiden Piloten fühlte sie sich wie eine Gefangene, die durch ein Fensterchen in der Decke der Zelle schaute.

Im Gegensatz zum relativ angenehmen Ambiente der ApolloKommandokapsel mit den Braun-, Grau- und Grüntönen bestand diese Kabine überwiegend aus blankem Aluminium und wirkte zerbrechlich und irgendwie unfertig. Sie sah die Nieten, die das Ding zusammenhielten. Für York war die primitive Einrichtung Ausdruck einer hastigen Entwicklung und einer Technik, die nicht so ausgereift war wie Apollo.

Durchs Fenster sah York, wie die Ares sich vom MEM entfernte. Seit dem Rendezvous im Erdorbit war es das erstemal, daß sie das Schiff wieder von außen sah. Das dicke, brave MS-II-Triebwerk, das sie in den Marsorbit eingeschossen hatte, bildete noch immer den Schwerpunkt der Stufenrakete -obwohl die beiden Außentanks längst abgestoßen worden waren -, und davor war die schlanke MS-IVB-Stufe montiert, die sie wieder in den Erdorbit bringen würde. Die Endeavour, das mit Sonnensegeln bestückte zylindrische Missionsmodul, hatte sich von der MS-IVB getrennt, gedreht und mit der Nase voran wieder an der Stufe angedockt. Das Manöver hatte den Zweck gehabt, das MEM von der Verkleidung an der Basis des Missionsmoduls zu befreien. Mittlerweile hatte die Discovery, die Apollo-Kapsel, an einem seitlichen Andockpunkt festgemacht und hing nun wie eine Beere an den zylindrischen Treibstofftanks des Missionsmoduls.

Nachdem die Challenger in den Marsorbit zurückgekehrt war, würde das MEM abgestoßen und die restlichen Module -die Raketenstufen, das Missionsmodul und Apollo - würden für den Heimflug wieder zu einem Raumschiff-Verbund zusammengesetzt werden.

Im Moment stellte die Ares-Gruppe ein Ensemble von provisorisch aneinander gehängten Zylindern, Quadern und Sonnensegeln dar, die nach dem Abkoppeln der Challenger genauso unordentlich wieder zusammengefügt worden waren. Diese orbitalen Bauarbeiten - wobei Module wie Bausteine im Weltraum verschoben wurden - gingen York gehörig auf die Nerven. Wenn sie das Missionsmodul von den Raketen trennten, beraubten sie sich ihrer einzigen Rückkehrmöglichkeit! Doch sie wußte auch, daß jede Stufe über Hilfssysteme verfügte, mit deren Hilfe sie eine Konfiguration herzustellen vermochten, die sie wieder nach Hause brachte - auch wenn sie dabei eine Bruchlandung hinlegten.

Diese Beschränkungen sind nur ein Symptom der lausigen Technik. Eines Tages werden wir vielleicht in der Lage sein, diese Reise halbwegs komfortabel zu gestalten, ohne das verdammte Raumschiff ständig auseinandernehmen zu müssen.

Das montierte Raumschiff hatte nichts mehr von der filigranen, spielzeugartigen Eleganz, die sie bei den Schiffen im Erdorbit beobachtet hatte. Nach einem Jahr im Weltall hatte das ursprünglich blütenweiße Schiff sich gelblich verfärbt, und die schattigen Abschnitte der Hülle nahmen die braune Tönung der pockennarbigen Marsoberfläche an. Die Ares-Gruppe wirkte alt, vom Weltraum zermürbt.

Nachdem Ares außer Sicht war, sah sie beim Blick durchs Fenster nichts mehr außer Dunkelheit.

Dunkelheit und zuweilen einen Ausschnitt ockerfarbenen Geländes.

Die Challenger flog über der Nachtseite des Mars dahin.

»Dreißig Sekunden bis DOI19«, sagte Stone. »Alle Systeme klar.«

»Ich bestätige alle Systeme klar«, sagte Gershon.

DOI stand für das Einschwenken in einen langen, elliptischen Orbit, der die Oberfläche des Planeten tangieren würde.

York sah Gershons Hand über dem Auslöser für die manuelle Zündung schweben. Challenger war natürlich Gershons Baby; diese Landung - die nächsten paar Minuten - stellten die Krönung von zehn Jahren Arbeit für ihn dar. Angespannt und erwartungsvoll schaute er zu York auf.

Die Simulationen waren so programmiert, daß der Proband an einem bestimmten Punkt versagte. Doch war das gerade Sinn und Zweck der Übung: Besatzung und Controller mit allen Eventualitäten vertraut zu machen und sie in die Lage zu versetzen, die Situation zu bewältigen. Nun hatte York aber den Eindruck, daß Ralph Gershon umgekehrt programmiert war. Es wird schwer sein, ihn davon abzuhalten, den Blecheimer eigenhändig zu landen.

York betrachtete das durchaus nicht als Nachteil.

»Fünfzehn Sekunden«, sagte Stone. »Zehn Sekunden bis DOI. Auf geht’s, Leute. Acht. Sechs, fünf, vier.«

Gershons behandschuhte Hand legte sich auf den Auslöser.

»Zwei, eins.«

Die Raketen feuerten in Folge. Sie hörten ein gedämpftes Rattern.

Und dann spürte sie den Schub im Rücken.

»Bremsanzeige an.« Ein Grinsen erschien auf Gershons Gesicht. »Sehr schön!«

Es kam ihr so vor, als ob Challenger zurückgeschleudert worden wäre. Die Verbrennung bei Feststoffraketen, so hatte man ihr gesagt, lief kerniger ab als bei FlüssigbrennstoffRaketen.

Die Brennphase hielt an. Stone verfolgte die Brenndauer. Der Raketenschub von zwanzig Kilotonnen war zu schwach, um ernstlich an der Masse des MEM zu rütteln, und deshalb waren weder ein Rattern noch Vibrationen zu spüren. Man glaubte fast nicht, daß das Schiff überhaupt bremste. Sie spürte nur einen anhaltenden Druck im Rücken und hörte das leise Zischen der feuernden Retros.

Der Schub brach abrupt ab. Die Retros waren auf die Sekunde genau ausgebrannt.

Es hatte sich scheinbar nichts verändert. Challenger war noch immer im Orbit um den Mars, und York war noch immer schwerelos und driftete in den Gurten, mit denen sie auf der Liege befestigt war.

Doch nun folgte das MEM einem Pfad, der es auf einer Kurve nach unten führte, bis das Schiff ungefähr fünfzig Kilometer über der Planetenoberfläche in die Marsatmosphäre eintrat. Der Luftwiderstand würde dann verhindern, daß das MEM wieder aus der Atmosphäre austrat.

Challenger befand sich nun in den Fängen des Mars.

Plötzlich überkam sie die unangenehme Erkenntnis, wie klein und zerbrechlich diese Kapsel war. Dies war doch etwas anderes als eine Landung auf der Erde. Bei der Erde handelte es sich um einen bewohnten Planeten mit Ozeanen, auf denen es vor Bergungsschiffen wimmelte.

Hier draußen gab es nur sie drei, die in dieser kleinen Kapsel zusammengepfercht waren und zu einer toten Welt abstiegen. Die Erde war so weit entfernt, daß sie sie nicht einmal mehr sahen. Sie näherten sich nicht dem Ende der Reise, sondern stießen immer weiter ins Unbekannte vor, wobei sie die technische Kapazität ausreizten und tödliche Risiken eingingen. Sie waren so weit von der Erde entfernt, daß das Kontrollzentrum nicht mehr in der Lage war, in Echtzeit mit ihnen zu sprechen. Es war, als ob sie eine weitere Sprosse auf der Leiter erklommen hätten.

Doch was York nun fühlte, war keine Angst, sondern Erleichterung. Wieder eine Abbruch-Schwelle überschritten. Je länger die Mission dauerte, desto geringer wurde die Wahrscheinlichkeit einer Panne.

»Gleich erfolgt Abwurf der Bremsraketen«, sagte Gershon.

Stone zählte abwärts. »Drei, zwei, eins.«

York vernahm einen dumpfen Knall, als pyrotechnische Ladungen den Metallkranz sprengten, der die Retros an der Grundfläche des MEM umspannt hatte.

Dann ertönte ein Scheppern an der Hülle, das sich wie das Trapsen eines großen Vogels anhörte: das mußte der Kranz sein, der an der Hülle entlangschrammte.

Nachdem die Bremsraketen nun abgestoßen waren, ging die Challenger wie eine Kanonenkugel in den ballistischen Fall über. Der Hitzeschild verlieh ihr die Form eines stumpfen Kegels, die klassische Gestalt einer Kommandokapsel; nur daß das MEM fast dreimal so groß war wie eine ApolloKommandokapsel.

Gershon kippte das Raumschiff, so daß die breite Basis, wo der mit einem Titan-Wabenkern verstärkte Hitzeschild am massivsten war, in die sich verdichtende Luft eindrang. Als er die Steuertriebwerke aktivierte, sah York vereinzelte Schwaden aus grauem Dunst vor dem Sichtfenster.

Der Rauch wurde dichter, und die fahlen Schwaden waberten noch am Schiff vorbei, nachdem Gershon die Brennphase schon abgebrochen hatte.

Bald verfärbte der Dunst sich rosa, und sie hörten ein leises Pfeifen, das von draußen in die Kabine drang.

Das Glühen rührte von der Luft des Mars her, deren Atome vom Hitzeschild der Challenger zertrümmert wurden.

»Gleich sind wir da!« jubelte Gershon. »Papa Mars nimmt uns unter die Fittiche!«

»Gottverdammt«, sagte Stone mit belegter Stimme.

York spürte erste, verhaltene Bremskräfte: einen leichten Druck im Magen und eine gewisse Schwere in den Beinen.

Eine Lampe an Gershons Station erlosch.

»Super!« rief er. »Wir haben null komma fünf Ge. Wir sitzen in einem Gleiter.«

Null komma fünf Ge: die Schwelle des Luftwiderstands. Und diese Schwelle von null komma fünf Ge überschritten sie nun auf dem Mars.

Die Bremskräfte wurden immer stärker. Es ist rauher als in den Simulationen. Das dürfte bei der dünnen Luft gar nicht passieren. Die Atmosphäre mußte doch eine komplexere und differenziertere Schichtung aufweisen als vermutet.

Der Druck, der auf der Brust lastete, war kaum noch zu ertragen.

Mit offenen Augen versuchte sie, jede Einzelheit der Landung aufzunehmen. Jede Zunahme des Schmerzes wird einem Atmosphären-Wissenschaftler mehr über den Mars sagen. Wahrscheinlich war sie sowieso nur einer von drei Menschen, die jemals diese Erfahrung machten.

Dennoch hätte sie in diesem Moment darauf verzichten können.

Sie hörte die Elektromagneten der Steuertriebwerke klacken.

Gershon überwachte die Anzeige der Flugführung. »Voll auf Kurs. Eins-vier-sieben Grad.«

Challenger mußte sich an einen präzisen Eintrittskorridor halten. Die zulässige Abweichung auf beiden Seiten betrug nur einen halben Grad: damit war der Korridor knapp achtzig Kilometer breit.

»Nähern uns einem Ge. jetzt.«

Nur ein Ge? York hatte jetzt schon das Gefühl, der Anzug bestünde aus Bleiröhren, als ob ein Sumo-Ringer auf ihrer Brust hocken würde. Entspricht das wirklich der irdischen Schwerkraft? Nach einem Jahr in der Mikrogravitation schien diese Last unerträglich; es war, als ob sie ihr Leben lang einen schweren Rucksack auf dem Buckel gehabt hätte.

»Eins komma fünf«, sagte Stone.

York stöhnte. Sie wurde auf die Liege gedrückt, und die Arme wurden an den Körper gepreßt. Das an sich geringe Gewicht von Gershons und Stones Ellbogen, die an ihrer Seite ruhten, wurde nun zu einer drückenden Last.

»Haltet durch, Leute«, sagte Stone. »Eins komma acht. Ihr habt im Rad viel mehr ausgehalten. Zwei komma eins.«

Gershon betätigte die Kontrollen, und seine Hand schwebte über dem Auslöser für die Reaktionssteuerung.

»Zwei komma fünf«, sagte Stone. »Komma sechs!. Komma fünf. Komma drei. Na, hab ich’s euch nicht gesagt?«

Das Licht, das durchs Fenster über York einfiel, hatte sich in ein weißgraues Glühen verwandelt. In seiner Kälte und Brillanz war es genauso hell wie das Tageslicht auf der Erde. Gershon und Stone wurden im diffusen, unirdischen Licht gebadet; das Orange der Druckanzüge bleichte förmlich aus, und die Gesichter waren hinter den Helmvisieren, auf denen Lichtreflexe tanzten, nicht zu sehen. Sie kamen sich vor wie in einer großen fluoreszierenden Lichtröhre.

Das Gewicht auf Brust und Beinen verringerte sich nun. Sie spürte, wie der Brustkorb sich ausdehnte und wie der Atem wieder ungehindert in die Lunge strömte.

Etwas flog am Fenster vorbei, ein kleines, gelb glühendes Objekt, das wie ein Feuerball aussah. Es handelte sich um einen Teil des Hitzeschilds, der von der Grundfläche des Raumschiffs abgeschmolzen war und die tödliche Wärmeenergie von der Kapsel abführte. Nun flogen noch mehr

Stücke in verschiedenen Größen vorbei, von denen ein paar gegen die Hülle der Kabine prallten.

York verspürte einen Anflug von Panik. Mein Gott. Wenn das so weitergeht, wird die Kapsel noch durchlöchert.

Das ist die erste Chance, die der Mars hat, uns zu töten, sagte sie sich. Ich frage mich, ob er sie auch nutzt.

Für einen Betrachter am Boden würde Challenger wie ein großer Meteor erscheinen, mutmaßte sie, wie ein glühender Meteor mit einem Feuerschweif, der eine komplexe Bahn am dunklen Marshimmel zog.

Die Steuertriebwerke feuerten kurz, und die Challenger richtete sich auf.

»Los geht’s!« sagte Gershon. »Wir fangen die Maschine ab.«

Das MEM verfügte über eine gewisse Manövrierfähigkeit. Durch die Verlagerung des Schwerpunkts und durch Dreh- und Nickbewegungen hüpfte Challenger wie ein Kieselstein über die Schichten der Atmosphäre und stieg dabei zur Oberfläche hinab.

»Drei, zwei, eins«, sagte Gershon.

Nun verspürte York eine starke Verzögerung, einen Schub, der ebenso schnell verschwand, wie er eingesetzt hatte; als ob sie den tiefsten Punkt einer Achterbahnschleife erreicht hätte.

»Toll«, sagte Gershon. »Was für ein Flug. Nun kommt das Zoom-Manöver.«

Challenger stieg kurz auf und führte die Wärme ab, bevor das Schiff wieder in die unteren Luftschichten eintauchte.

Stone tippte gegen eine Glasscheibe. »He. Der Höhenmesser funktioniert sogar. Achtzehntausend Meter.«

York verspürte ein Prickeln an der Schädelbasis. Achtzehntausend Meter. Plötzlich hatte der Meßbereich des Höhenmessers sich von Kilometern, die in der Raumfahrt die Basiseinheit darstellten, auf Meter verkleinert. Wie bei einem Flugzeug arbeitete der Höhenmesser nun als Staudruck-

Instrument. Wir sind fast da. Die Steuertriebwerke sprangen an, und die Kapsel richtete sich wieder auf.

Das Glühen vor dem Sichtfenster wechselte zu Grau und dann zu einem blassen, fleischfarbenen Rosa.

»Auftriebsvektor für Gleitflug«, rief Gershon.

Das MEM ging erneut in den freien Fall über und tauchte mit einer Geschwindigkeit von hundertfünfzig Metern pro Sekunde in die sich verdichtende Luft ein. Nachdem die Reibungshitze und die Bremskräfte sich deutlich verringert hatten, verlief der Flug verhältnismäßig ruhig. Nun war es wirklich wie in den Simulationen.

Gershon befreite sich von den Gurten und warf sie über die Schulter. Dann stieß er sich von der Liege ab und erhob sich. Stone, der links neben York lag, folgte seinem Beispiel. In der letzten Phase, der angetriebenen Landung, mußte die Besatzung stehen.

Furchtsam löste sie die Gurte. Dann stellte sie sich vorsichtig auf die Liege und hielt sich an den Gurten fest, die an der Wand entlang verliefen.

Sie spürte die Beine kaum. Nach einem Jahr im Weltraum schien York fast vergessen zu haben, wie man aufstand. Der Gleichgewichtssinn war gestört, und die Aluminiumwände der Kabine drehten sich um sie. Sie hatte das Gefühl, drei Zentner zu wiegen.

Dann spürte sie eine Hand auf dem Arm. Stones Hand.

»Mach dir keine Sorgen deswegen«, sagte er. »Das geht vorbei.«

Damit hatte er recht. Auf der Erde stand nach einem Langzeit-Raumflug immer Personal bereit, das einen aus der Kabine zog, in einen Rollstuhl setzte und schnurstracks ins Krankenhaus brachte. Nur daß sie auf dem Mars mit solchen Serviceleistungen nicht rechnen durften.

Stone klatschte in die behandschuhten Hände. »Kommt in die Gänge«, sagte er. Er wandte sich seiner Station zu, und Gershon ging an seinen Arbeitsplatz. Dann arbeiteten sie die anstehende Checkliste ab.

Yorks Aufgabe bestand nun darin, die Piloten zu unterstützen. Sie betätigte die entsprechenden Hebel, um die Beschleunigungsliegen hochzuklappen und den Boden der Kabine freizumachen. Dann sicherte sie die Piloten mit elastischen Gurten.

Anschließend bezog sie in einer Ecke der Kabine Position und sicherte sich selbst. Es gibt nur Stehplätze bis zur Landung auf der Marsoberfläche.

Plötzlich ertönte ein lautes Knacken. Helles Sonnenlicht strömte in die Kabine.

Der obere Hitzschild hatte seine Schuldigkeit getan und zerfiel nun in mehrere Segmente. Die Stücke drifteten am Fenster vorbei und enthüllten eine komplexe Struktur aus Treibstofftanks und Antennen. Ein >Stopfen< flog aus der Unterseite des Raumschiffs und legte den Trichter des Abstiegstriebwerks frei. Sechs Landebeine schoben sich aus den Schächten an der Basis des MEM.

Challenger hatte sich für die Landung konfiguriert.

York lugte aus den Dreiecksfenstern, die den Piloten zur Orientierung dienten. Sie sah Sonnenlicht, einen violetten Himmel und eine bräunliche, gekrümmte Landschaft.

New York Times, Montag, 4. März 1985 Deutschstämmiger Nazi-Experte verläßt USA, um Anklage wegen Kriegsverbrechen zu entgehen

Wie gestern bekannt wurde, hat Hans Udet, ein in Deutschland geborener Raketenexperte der NASA, die amerikanische

Staatsbürgerschaft abgelegt und ist nach Deutschland zurückgekehrt, um sich einer drohenden Anklage wegen Kriegsverbrechen zu entziehen.

Udet gehörte zu Wernher von Brauns Arbeitsgruppe, die während des Zweiten Weltkriegs die V-2-Rakete entwickelt hatte. Nach dem Krieg ging er mit von Braun nach Amerika und hat an Weltraumprojekten der USA mitgearbeitet.

Nach von Brauns Pensionierung war Udet zu einem der ranghöchsten NASA-Mitarbeiter aufgestiegen und hat erst vor kurzem die Entwicklung des leistungsgesteigerten Saturn VB-Raketentriebwerks geleitet. Die VB wird eingesetzt werden, um die bemannte >Ares<-Mission zum Mars zu schicken und ist schon ein paarmal erfolgreich gestartet, um Komponenten des Marsraumschiffs in den Erdorbit zu bringen.

Das Justizministerium hat Udet nun aufgefordert, die amerikanische Staatsbürgerschaft abzulegen. Andernfalls müsse er mit einer Anklage rechnen, weil er eine leitende Funktion im Konzentrationslager Nordhausen im Harz innehatte, wo die V-S produziert wurde. Das Ministerium stützt sich dabei anscheinend auf Informationen, die der Regierung seit vierzig Jahren vorliegen.

Udet wird anscheinend nicht bezichtigt, selbst Verbrechen begangen zu haben. Doch man wirft ihm Mitwisserschaft vor und den Umstand, daß er dieses Wissen bei der Beantragung der amerikanischen Staatsbürgerschaft verschwiegen hat. Udet behauptet nach wie vor seine Unschuld, will sich aber aufgrund seines Alters und der finanziellen Situation nicht auf den langen Rechtsstreit einlassen, den eine Klage der Regierung unweigerlich nach sich ziehen würde.

Im Rahmen einer Abmachung mit dem Justizministerium hat Udet im Januar die USA verlassen.

Kollegen in der NASA haben für Udet Partei ergriffen und die Vorgehensweise des Justizministeriums als >zynisch< und »schäbig« bezeichnet. Es herrscht die Ansicht vor, daß das Justizministerium so lange stillgehalten hat, bis Udet -nachdem er jahrzehntelang seine Arbeitskraft in den Dienst der US-Regierung gestellt hat - ins Pensionsalter gekommen ist.

Zu den NASA-Mitarbeitern, die sich für Udet verwendet haben, gehörte auch Dr. Gregory Dana, der Vater des toten Apollo-N-Astronauten James Dana. Recherchen dieser Zeitung haben ergeben, daß der Wissenschaftler selbst während des Krieges als Zwangsarbeiter in Nordhausen interniert war.

New York Times, Freitag, 8. März 1985 Frederick W. Michaels, 76, NASA-Direktor

Fred Michaels, der während des turbulenten Jahrzehnts, das auf Apollo folgte, Direktor der NASA war, ist am Dienstag in seinem Haus in Dallas, Texas, gestorben. Er wurde 76 Jahre alt.

Der 1909 in Dallas geborene Michaels beendete 1933 ein Pädagogikstudium an der University of Chicago. Im Anschluß studierte er Rechtswissenschaften und erhielt 1930 die Zulassung als Anwalt. Von 1939 bis 1963 arbeitete er in der Privatwirtschaft, mit einem vierjährigen Zwischenspiel im Haushaltsausschuß. In dieser Zeit stieg er zum Präsidenten der Umex Oil Company und zum Assistenten des Präsidenten von Morgan Industries auf. Außerdem erhielt er einen Posten im Vorstand einer Fluggesellschaft. 1963 trat er in die NASA ein. Von 1971 bis 1981 war er Direktor der NASA und trat dann wegen des Scheiterns der Testmission von Apollo-N und des Todes der Besatzung zurück.

Michaels’ Dienstzeit bei der NASA zeichnete sich durch politische Klugheit aus. Er war ein weitaus >weltlicheren Direktor als sein Vorgänger, der visionäre, aber glücklose

Thomas O. Paine. Michaels löste nicht nur die internen Konflikte zwischen den NASA-Zentren, die seit der Gründung der Weltraumbehörde geschwelt hatten, sondern er führte auch einen Ausgleich mit den Interessen der Politik, des Finanzministeriums und der Luft- und Raumfahrtindustrie sowie der Universitäten herbei.

Michaels wurde wegen fehlender Visionen kritisiert. Unter seiner Regie wurde die NASA in die Organisation der ApolloÄra zurückgeworfen, für die James Webb (Jahrgang 1906) verantwortlich zeichnete und wo alle Aktivitäten auf ein einziges Ziel ausgerichtet waren - in Michaels’ Fall auf die Landung auf dem Mars. Die NASA litt in den siebziger Jahren an Führungsschwäche, und als nach der Apollo-N-Katastrophe sich wieder eine klare Mission abzeichnete, hatte die Weltraumbehörde über das Ares-Projekt hinaus keine Perspektive. Alle Einrichtungen und Systeme wurden in den Dienst von Ares gestellt. Dies ist eine gefährliche Entwicklung. Michaels’ Nachfolger stehen vor der großen Herausforderung, die Organisation zusammenzuhalten und die Arbeitsplätze zu sichern, nachdem das primäre Ziel erreicht worden ist.

Jedoch wird die Geschichte Michaels’ Leistungen wahrscheinlich eher würdigen als viele seiner Zeitgenossen. In einer Zeit, wo die Etats schrumpften und das zivile Raumfahrtprogramm der USA ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, trat er in Webbs Fußstapfen und schmiedete eine dauerhafte politische Koalition für das bemannte Raumfahrtprogramm. Das betrachtete er als wichtigstes Ziel seiner Behörde.

Wie der frühere Präsident John F. Kennedy diese Woche in einem Nachruf sagte, wäre ohne Michaels’ geschicktes Taktieren das Raumfahrtprogramm nach Apollo vielleicht eingestellt worden. In diesem Zusammenhang wäre noch zu erwähnen, daß Mr. Kennedy sich seinerzeit für Michaels’ Ernennung zum NASA-Direktor eingesetzt hat.

Wie auch immer man das diesjährige >Mensch-zum-Mars<-Spektakel beurteilt, entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, daß sein Wegbereiter es nicht mehr erlebt hat.

Mr. Michaels hinterläßt eine Frau - Elly -, drei Töchter -Kathleen Lau, Ann Irving und Jane Devlin - sowie acht Enkelkinder.

März 1985

Cocoa Beach, Florida

Es fand eine letzte Pressekonferenz in Houston statt, bevor sie nach Cape Canaveral gebracht wurden. Die Besatzung stand inzwischen unter Quarantäne und mußte das Podium mit einem Mundschutz betreten. Die Masken mußten sie solange anbehalten, bis sie hinter einer transparenten Trennwand Platz genommen hatten.

Die erschöpfte York empfand den Vorgang als bizarr und irreal, und die Fragen und Antworten hatten durch die endlosen Wiederholungen längst jeden Sinn verloren.

Die Ausgabe der Zeitschrift Life vom 28. März brachte eine Titelgeschichte mit der Überschrift >Bereit für den Mars<. Der Inhalt war wie gehabt: Stone, der mit seinen Söhnen Ball spielte, Gershon, der am Steuer seines Autos saß und York -nun, York saß in ihrem Kabuff, sichtete die Korrespondenz, stellte einen Nachsendeantrag für die Post, bereitete den Transport des Hausrats in das Lager einer Spedition vor und lächelte dabei unsicher in die Kamera. Sie hatte inzwischen ihre eigenen Klischees produziert. Die fleißige Wissenschaftler in. Die alleinstehende Frau, die ihren Weg geht. Die brillante Visionärin, die sich nur auf das Ziel konzentriert.

Sie hatte die Vorbehalte gegenüber den Medien aufgegeben und betrachtete das alles nur noch als eine Art Sturm im Wasserglas. Die Kolumne in Life hätte nämlich noch viel ungünstiger ausfallen können. Sie hielt dem Reporter sogar zugute, aus dürftigem Material das Beste gemacht zu haben.

Ein paar Tage vor dem Start wurden sie vom Hotel ins Besatzungs-Wohnheim im ersten Stock des MSOB20 im Kennedy-Raumfahrtzentrum verlegt.

Das MSOB war in Anbetracht der Umstände recht gemütlich. Es gab eine Sporthalle und ein Casino. Und die Unterkünfte für die Besatzungen, die sich in einem Bau befanden, der von außen wie ein schlichtes Bürogebäude aussah, waren gar luxuriös im Vergleich zu den meisten NASA-Einrichtungen: aus einem sterilen Büro ging sie durch eine verschlossene Tür in ein Appartement mit gedämpfter Beleuchtung und je einem Schlafzimmer für die dreiköpfige Besatzung.

Es handelte sich um dasselbe Appartement, in dem die Apollo-Mondfahrer vor dem Start einquartiert worden waren.

Die Schlafzimmer waren individuell eingerichtet; es gab sogar ein Fernsehgerät. Die drei Räume waren mit Bildern verziert: zwei Aktzeichnungen und einem Landschaftsgemälde.

York bekam das Zimmer mit dem Landschaftsgemälde. Über dem Bild befestigte sie die körnigen Vergrößerungen der Mariner 4-Aufnahmen.

Die Astronauten waren hier isoliert. Um die Besatzung vor Infektionen zu schützen - und sie dem Zugriff der Medien zu entziehen -, war nur >befugtem Personal< der Zutritt zum

MSOB gestattet. Familienangehörige und Freunde fielen nicht in diese Kategorie.

Zumal York ohnehin niemanden sehen wollte. Ihre Mutter hatte einmal angerufen und von ihren eigenen Sorgen erzählt. Sie würde nicht persönlich zum Start erscheinen, sondern sich von einem lokalen Fernsehsender filmen lassen, wie sie den Start im Fernsehen verfolgte.

Doch sie sah, daß Stone und Gershon, die zwar froh waren, den aufdringlichen Kameras entronnen zu sein, bald einen >Lagerkoller< kriegen würden.

Sie verstand den Sinn dieser Maßnahme nicht. Weshalb durften sie keinen Besuch von Familienangehörigen empfangen? Sicher, die Quarantäne war erforderlich. Aber sie wußte auch, daß Kontakt zu den Kindern und Ehepartnern Balsam für die Seele wäre.

Was auch immer die Vor- und Nachteile der Quarantäne waren, für York war sie eine große Erleichterung. Nachdem sie die schwere Zimmertür geschlossen hatte, ließ sie die Reisetasche auf den Boden und sich selbst aufs Bett fallen und schlief neun Stunden durch.

Zeitdauer der Mission [Tag/Std:Min:Sek]

Plus 371/02:03:23

Ralph Gershon hatte einen trockenen Mund. Das lag am reinen Sauerstoff, der im Druckanzug zirkulierte.

Stone stand zu seiner Rechten, und York war hinter ihnen. Sie sagte nichts.

Gershon überflog die Anzeigen seiner Station. Er hatte bereits die Treibstofftanks des Abstiegstriebwerks unter Druck gesetzt, die erforderlichen Computerprogramme geladen und durchs

Richtteleskop eine optische Peilung vorgenommen, um die Trajektorie von Challenger zu überprüfen.

Challenger hatte sich während des Sturzes durch die Atmosphäre auf den Rücken gedreht, so daß das Landeradar auf den Boden gerichtet war. Bisher hatte das Radar noch kein Ziel aufgefaßt. Alles, was Gershon durchs Fenster sah, war ein zwischen Pink und Violett changierender Himmel.

»Auf Los drei Minuten dreißig bis zur Zündung.«, sagte Stone. »Los. Drei dreißig.«

Gershon betätigte den Schalter für die Aktivierung des Abstiegstriebwerks.

Gershon war bereit. Zum erstenmal im Verlauf der Mission hatte er das Kommando. Es vermittelte ihm ein Gefühl der Freiheit und Macht. Er würde schon dafür sorgen, daß nichts schiefging.

Zumal er diese Phase tausendmal im Simulator und MLTV-Trainingsgerät geprobt hatte. Er beherrschte es im Schlaf.

Natürlich. Aber das ist der Mars, mein Junge. Vielleicht hält diese alte Welt noch ein paar Überraschungen bereit.

Das MEM würde mit einer Präzision funktionieren müssen, die von den Testgeräten nicht erreicht worden war.

»Ich habe eine 63 für PDI«, sagte Stone ruhig. 63 war ein Relikt von Apollo, wobei die Bereitschaft des Computers abgefragt wurde, mit PDI fortzufahren, der Einleitung des raketengestützten Abstiegs.

»Tu es«, sagte Gershon. »Ich zünde.«

Stone drückte auf die WEITER-Taste. »Zündung.«

Zunächst spürte Gershon nichts. Doch die Instrumente zeigten an, daß die Landestufe mit zehn Prozent der Höchstleistung feuerte. Es war ein seidenweicher Abstieg.

Nach einer halben Minute arbeiteten die Triebwerke dann mit Vollschub.

Er hörte noch immer nichts, doch dafür wurde die Kabine nun von hochfrequenten Schwingungen durchdrungen. Sie waren unangenehm, als ob der Zahnarzt den Bohrer ansetzte. Schon die erste Abweichung von den Simulationen.

Challenger folgte dem vorgesehenen Korridor und bremste leicht ab.

»AGS und PGNS stimmen überein«, sagte Stone. Der nun als Navigator fungierende Stone teilte Gershon mit, daß die redundanten Primär- und Abbruch-Führungssysteme synchron arbeiteten. »Wir sehen gut aus bei drei, nähern uns. Drei Minuten. Höhe zwölf tausend Meter.« Bei diesem Wert handelte es sich nach wie vor um eine Schätzung der beiden Führungscomputer; das Landeradar hatte noch immer kein Ziel aufgefaßt. Außerdem verfügte Stone über den Höhenmesser, obwohl das mit dem Druck der unerforschten Marsatmosphäre arbeitende Instrument insofern ein >Experimentalgerät< war, dessen Daten gemäß der Einsatzbestimmungen nicht verwertet wurden.

»Brennphase dauert an«, sagte Stone. »Vier Minuten. Wir sollen für vier Minuten feuern lassen.«

»Rager«, sagte Gershon knapp.

»Die Daten sind gut. Zehntausend.«

Doch nun leuchteten Warnlampen auf Gershons Station auf. Das Landeradar müßte inzwischen arbeiten und die Echos der Signale auffangen, die es zum Boden schickte.

Doch nichts dergleichen.

»Wo bleibt das gottverdammte Radar, Ralph?« fragte Stone.

»Prüf es noch mal durch.«

»Ja.« Stone versuchte es erneut.

»Komm schon, Baby«, sagte Gershon ruhig. »Such dir ein Ziel.« Doch es tat sich nichts. »Komm schon.«

»Man soll doch nicht mit der Technik reden«, sagte York trocken.

»Schnauze, Natalie«, sagte Stone abwesend.

Gershon verspürte einen Anflug von Zorn. Die anderen Daten waren noch immer in Ordnung. Sie flogen mit der richtigen Geschwindigkeit, und AGS und PGNS lieferten übereinstimmende Schätzwerte für die Höhe. Doch ohne das Radar war er aufgeschmissen - selbst wenn der Höhenmesser funktionierte. Die Einsatzbestimmungen waren eindeutig: Falls das Radar in dreitausend Metern Höhe noch kein Ziel aufgefaßt hat, muß die Landung abgebrochen werden.

»Versuch, den Unterbrecher für das Landeradar zu unterdrücken«, sagte Stone.

Gershon, der vor Zorn schon ganz verkrampft war, zog den Unterbrecher für das Radar heraus und schob ihn dann in den Schacht zurück. »Ist unterdrückt.«

Die Warnlampen glommen vor sich hin. Keine Reaktion.

Er drehte sich um und schaute Stone in die Augen. »Ein guter Tag für eine Landung.«

Will sagen: Scheiß auf die Bestimmungen. Scheiß auf Houston; sie sind so weit weg, daß sie es erst erfahren werden, wenn wir schon gelandet sind. Wir sind schon zu weit gekommen, um jetzt noch abzubrechen. Ich sage, wir ziehen die Landung durch, und wenn wir uns mit optischen Peilungen behelfen müssen. Scheiß drauf.

Stone erwiderte den Blick.

Verdammt noch mal, du kaltschnäuziger Bastard. Was wirst du tun? Gershon spürte, wie die Kabine sich aufrichtete; beim Blick aus dem Fenster sah er nicht mehr nur den Himmel, sondern auch den Strich einer roten Landschaft. Challenger richtete sich für die letzte Phase der Landung auf.

»Siebentausend Meter«, sagte Stone. »Triebwerk drosseln. Jetzt.«

Nun würde das primäre Führungsprogramm den Schub des Abstiegstriebwerks auf sechzig Prozent reduzieren. Gershon

spürte, wie die Schwingungen abebbten. Alles läuft nach Plan. »Das ist gut gelaufen«, sagte er. »Besser als in den Simulationen.«

»Sechstausend. Alle Systeme klar. Außer der Radarsperre. Geschwindigkeit runter auf dreihundertfünfzig Meter pro Sekunde.«

Dreihundertfünfzig Meter pro Sekunde. Die Geschwindigkeit eines Flugzeugs. Gershon betätigte die Steuerung. Ich fliege in der Marsatmosphäre. Er sah aus dem Fenster. Die Sterne waren nicht mehr zu sehen, und der Himmel erschien als eine riesige Kuppel aus braunem Licht. Und er sah den Boden. Es war eine zerklüftete Landschaft, die unter ihm dahinzog. Die Sicht war gut: die Schatten, die von der tiefstehenden Morgensonne geworfen wurden, enthüllten eine kontrastreiche Detailfülle.

Challenger näherte sich der Landezone in einer weiten Kurve aus südwestlicher Richtung und überflog das alte, kraterübersäte Terrain der südlichen Hemisphäre. Fast wähnte die Besatzung sich in der Simulation einer Mondlandung: ein Krater reihte sich an den anderen, und manche waren so alt, daß sie Mehrfacheinschläge aufwiesen. Doch im Gegensatz zum Mond waren die Kraterböden hier mit Sanddünen bedeckt, und ein Krater sah so aus, als ob die Wände von fließendem Wasser eingerissen worden wären. Das ist, weiß Gott, nicht der Mond.

Die stark gekrümmte Landschaft war öde und unwirtlich. Es war ein toter Planet. Hier gab es keine Bodenstation... Keine Landebahnbefeuerung. Aber auch niemanden, der die Kiste abschießt.

»Sieben Minuten dreißig«, sagte Stone. »Fünftausend Meter. Beginn der Einflugschneise. Noch immer kein Radarkontakt.«

Sie befanden sich nun an dem Punkt, wo Gershon erstmals Sichtkontakt mit der Landezone hätte bekommen müssen. Er schaute in Flugrichtung.

Die vorgesehene Landezone befand sich nördlich eines Steilhangs an der Mündung eines Urstromtals. Laut Yorks Beschreibung würde das Tal wie ein ausgetrocknetes Flußbett aussehen. Gershon hatte die Stelle anhand von Orbiter-Fotos und Gipsmodellen studiert, bis er sie so gut wie seine Westentasche kannte.

Doch sie arbeiteten nun unter erschwerten Bedingungen: sie kamen im Tiefflug rein, die Sonne stand niedrig, das Schiff war noch um mehr als fünfzig Grad geneigt, und das Licht spiegelte sich im Fenster.

Nichts war so, wie es sein sollte. Die Topographie der komplexen, verwüsteten Landschaft änderte sich ständig. Tiefe Schatten wanderten über das Gelände, und die ockerfarbenen Oberflächenmerkmale sprangen ihn förmlich an, wobei der vertikale Maßstab durch den Kontrast vergrößert wurde.

»Viertausendfünfhundert«, sagte Stone. »Noch immer kein Kontakt.«

Scheiße.

»In Ordnung, Ralph, leiten wir die Abbruch-Prozedur ein«, sagte Stone resigniert.

Gottverdammte Hölle, er gibt auf.

»Wir führen ein Nickmanöver durch und aktivieren das Aufstiegsprogramm. Countdown für Missions-Abbruch beginnt bei zweitausendfünfhundert Metern.«

»Nein. Nicht abbrechen«, sagte Natalie York unvermittelt.

Stone schaute sie an. »Hä?«

»Nicht abbrechen. Vielleicht überfliegen wir gerade eine tote Zone.«

»Und was«, fragte Stone trocken, »ist eine tote Zone?«

»Vulkanasche«, sagte sie. »Bimsstein.« Sie legte sich in die Gurte und versuchte, aus den Pilotenfenstern einen Blick auf die malträtierte Landschaft zu erhaschen. »Das ist Materie mit geringer Dichte. Sie erzeugt fast keine Radarechos. Deshalb bekommt das Landeradar auch keinen Kontakt.«

»Vielleicht«, sagte Stone, »ist das Landeradar auch defekt.«

»Nicht abbrechen.«

Stone und Gershon wechselten Blicke.

»Zweitausendsiebenhundert«, sagte Stone. »Noch immer kein Kontakt.«

Gershon wurde sich bewußt, daß sie bereits gegen die Einsatzbestimmungen verstoßen hatten.

»Ralph.«, sagte Stone.

Und in dem Moment erloschen die Warnlampen. Das Radar hatte Kontakt bekommen.

York schnaufte erleichtert.

»Mein Gott.« Gershon hieb mit der Faust auf die Konsole. »Wir haben grünes Licht.«

»Stimmt«, sagte Stone mit belegter Stimme.

Mit Verrenkungen drehte Gershon sich zu York um. »Ich schätze, wir sind während der ganzen Zeit über Bimsstein hinweggeflogen.«

Sie erwiderte den Blick. »Gut möglich.«

Er wußte nicht, ob York ihnen mit dem Bimsstein nur einen Bären aufgebunden hatte. Er schätzte York zwar nicht so ein, aber möglich war alles. Und er wußte auch nicht, ob Stone wirklich abgebrochen oder ihm erlaubt hätte, auch ohne Radar zu landen.

Ihm wurde bewußt, daß er seine Kameraden doch nicht so gut kannte, wie er immer geglaubt hatte.

»Zweitausendvierhundert«, leierte Stone herunter. »Sinkgeschwindigkeit dreißig Meter pro Sekunde. Landung erfolgt in Kürze.«

»Rager.«

Gershon wandte sich den Kontrollen zu. Rechts von ihm war der Lageregler - ein Hebel mit einem Pistolengriff -, und links war ein als Schubtranslationsregler bezeichneter Kippschalter, der die Bremsdüsen aktivieren würde, um die Sinkgeschwindigkeit zu verringern. Diese Komponenten waren durch die Elektronik mit dem Reaktionssteuerungs-Subsystem verbunden, das ihm den größten Teil der Steuerungsarbeit abnehmen würde.

Er gab Schub auf die Bremsdüsen, was vom beruhigenden Klacken von Elektromagneten quittiert wurde.

Er überließ die Steuerung dem Computer. »Manuelle Lage-und Bahnregelung ist in Ordnung.« Er fühlte neuerliche Zuversicht. Das Radar hatte Kontakt, und die Schubdüsen funktionierten wie ein Uhrwerk. Wenn es soweit war, wenn er das Schiff schließlich für die Landung übernahm, würde er dies in der Gewißheit tun, daß alles in Ordnung war.

»Zweitausendeinhundert«, sagte Stone. »Auf geht’s! Beginn der Einflugschneise. Ab durch die Mitte.«

Unter der Regie des Computers richtete Challenger sich noch etwas auf, wodurch Gershon nach vorn kippte. Er blickte in Flugrichtung. Am gekrümmten Horizont erschien etwas, das wie eine Klippe aussah, ein Höhenrücken, der die Grenze der Kraterregion markierte. Das Land hinter diesem Höhenrücken hatte ein anderes Aussehen: glatt, ohne Krater, wie

Schwemmland.

Und nun tauchte ein Tal unter dem Schiff auf, das sich vom südlichen Plateau nach Norden schlängelte; die Szenerie erinnerte an einen Holzschnitt. Im Nordosten gab es einen einzelnen großen Krater.

Das Szenario stimmte mit den Karten und Modellen am JSC überein.

»Ich hab’s!« krähte Gershon. »Ich habe Mangala gefunden! Liegt da wie auf dem Präsentierteller.«

Er übernahm die Steuerung der Challenger und bereitete die Landung vor.

Das MEM schwebte über der Landschaft. Das Schiff ritt quasi auf dem Abgasstrahl der Raketen und würde mit der Basis voran landen.

»Neunhundert Meter. Zwanzig Meter pro Sekunde. Alles im grünen Bereich«, sagte Stone. »Bereit zur Landung. Paßt gut auf. Sechshundert. Windgeschwindigkeit drei Meter pro Sekunde.«

Windgeschwindigkeit. Noch eine Einflußgröße, die sie bei Apollo nicht berücksichtigen mußten.

»Gib mir ein LPD«, sagte er zu Stone.

»Dreiundvierzig.«

Er schaute auf die Strichplatte am Fenster und peilte den Dreiundvierzig-Grad-Strich an, die Landepunktmarkierung. Er stellte sich vor, wie der Computer imaginäre Polynom-Kurven aussandte, die ihn wie auf einer gläsernen Straße durch die Marsluft zur Landezone leiteten. Diese verdammten Schnörkel höherer Ordnung gibt es diesmal nicht. Obwohl die Hard- und Software des MEM mit anderen Systemen auf Apollo-Basis die primitive menschliche Schnittstelle gemeinsam hatten, waren sie doch um eine Größenordnung leistungsfähiger als der antiquierte Scheiß, mit dem er sich an Bord des MLTV hatte behelfen müssen.

Nun sah er auch die Stelle, an die der Computer ihn führte. Sie war noch etwa zwei Kilometer entfernt und kam schnell näher. Er nahm sie mit der Strichplatte ins Visier. Scheiße.

Unter der Führung des PGNS zielte Challenger auf einen Punkt ein paar Kilometer jenseits des Steilhangs, nördlich der

Mündung des Urstromtals. Soweit lief alles nach Plan. Doch aus der Nähe erkannte er nun, daß das Land uneben war, ausgewaschen und von etwas durchzogen wurde, das wie Kiesbänke aussah. Und inmitten der Landezone klaffte ein flacher, erodierter Einschlagkrater, an den sich eine tränenförmige Insel aus Schutt anschloß.

»Scablands«, sagte er. »Natalie, das wird dir gefallen. Es bestätigt deine Vermutungen. Das da unten sieht nämlich wie ein abgefucktes Flußbett aus.«

Nur daß er nicht imstande war, das MEM in dieser Scheiße zu landen.

Elektromagneten klackten, und Challenger erzitterte. Anhand der Radardaten aktualisierte der Computer ständig die Trajektorie. Dennoch wunderte Gershon sich, mit welcher Häufigkeit die Steuertriebwerke feuerten; viel öfter als in den Simulationen.

Stone gab noch immer Höhe und Geschwindigkeit durch. »Zweihundert Meter, sinken mit neun komma drei Meter pro Sekunde. Hundertachtzig. Abwärts mit acht komma sieben. Hundertsechzig. Abwärts mit sieben komma fünf.«

Entscheide dich, Ralph.

Er legte einen Schalter um und deaktivierte PGNS.

Dann drückte er auf den Translationsregler und betätigte den Schubschalter, um den Fall des MEM zu verlangsamen. Challenger quittierte jeden Tastendruck mit klackenden Elektromagneten.

Nun nahm das Schiff die Charakteristik eines Flugzeugs an. Der Übergang war abrupt. Die Schubdüsen sprangen an, und das MEM kippte nach vorn, so daß er in den Gurten hing.

Unter seinem Kommando flog Challenger über die Oberfläche des Mars dahin.

Er spürte, daß Stones Blick auf ihm ruhte.

»Ende der Einflugschneise«, sagte Stone. »Hundertfünfzig Meter. Neigung fünfunddreißig Grad. Gehen runter mit sechs Metern pro Sekunde.«

Das MEM fiel noch immer, bewegte sich inzwischen aber auch vorwärts. Das Schiff glitt über das zerklüftete, ausgetrocknete Schwemmland. Ich muß weiter nach Norden, weg von diesem verschissenen alten Gelände. Ich werde im Norden landen. Auf den glatten Lavaebenen jenseits des Schwemmlands.

Die Testpiloten hatten ein Motto, das da lautete: Im Zweifelsfall die längere Landebahn nehmen. Also flog Ralph Gershon weiter und hielt nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau.

»Hundertzwanzig Meter, runter mit zwei komma sieben Meter pro Sekunde. Hundertfünf Meter, runter mit eins komma zwei Meter. Hundert. Achte auf den Treibstoffvorrat, Ralph.«

Achte auf den Treibstoffvorrat. Logo. Die Missionsplaner hatten ihn auf diese Reise geschickt, eine Sonnenumrundung inklusive, auf daß er auf einem fremden Planeten lande - und den Landeanflug mußte er dann mit dem letzten Tropfen Sprit durchführen.

Aber das ist es doch, was du wolltest, Ralph. Nicht wahr? Das ist es, worauf du all die Jahre hingearbeitet hattest. Um in Armstrongs Fußstapfen zu treten und auf einem fremden Planeten zu landen.

Er bekam Herzklopfen.

Dann machte er einen Ort aus, der auf den ersten Blick günstig erschien, doch beim Anflug sah er, daß die Stelle mit Felsen übersät war. Vielleicht noch ein Geschenk für Natalie, aber eine Katastrophe für das MEM, hätte es dort eine Landung versucht. Dort drüben war das Gelände zwar glatter, doch für

Gershon mutete der Boden wie Blätterteig an - brüchig und überall Rinnen und Spalten. Wenn auch nur der Teller eines Landebeins einbrach, würde das ganze verdammte MEM umkippen.

Er zog Challenger wieder hoch, damit das Schiff nicht zu schnell wurde. Vor ihm lag wieder ein felsiger Abschnitt, und er drehte nach links ab, um ihn zu umgehen.

Auf dem ganzen abgefuckten Planeten, so sagte er sich, gab es keinen Landeplatz.

Schweiß tröpfelte von der Stirne und lief ihm in die Augen, so daß er blinzeln mußte.

Das Gelände spulte sich am Horizont ab, raste auf ihn zu und machte ihm in allen unerfreulichen Details klar, daß es für eine Landung nicht in Frage kam. Es war wie verhext.

»Neunzig Meter, abwärts einen Meter, dreizehn komma fünf vorwärts.«

»Wie sieht’s mit dem Treibstoff aus?«

»Sieben Prozent.«

Scheiße. Das war schlechter als in allen Simulationen. Mit Ausnahme der Übungen, wo er eine Bruchlandung gebaut hatte.

Dort. Ein flacher Abschnitt, ein kleines Plateau zur Rechten: nicht mehr als ein Staubfeld. Auf der einen Seite war ein Feld mit großen Felsbrocken, auf der anderen eine erodierte Fläche. Dieser Sektor war nicht größer als ein Parkplatz, hundert Quadratmeter vielleicht, aber es müßte ausreichen.

Er hatte seinen Landeplatz.

Er zog am Steuerknüppel. Das MEM kippte nach rechts ab. Er nahm eine Peilung mit der Strichplatte vor und gab die Daten in den Computer ein. Vor dem geistigen Auge wurden diese unsichtbaren Kurven, Yorks magische Polynome, ausgeworfen und geleiteten ihn zur Landezone.

»Fünfundsechzig Meter. Drei komma neun vorwärts, eins komma zwei abwärts. Drei komma drei vorwärts. Wir kommen gut runter. Anzeigen für Höhe und Geschwindigkeit an.«

Der Schatten von Challenger jagte über die zerklüftete Oberfläche des Mars auf ihn zu. Der Schatten hatte die Konturen eines dicken, unregelmäßigen Kegels; er sah das Antennenbüschel und die aus der Basis ragenden Landebeine mit den langen Kontaktsonden.

Es war wirklich nicht viel Luft zwischen ihm und dem Schatten.

Und nun wurden rote, braune und gelbe Staubwolken von der Oberfläche aufgewirbelt und blieben in der dünnen Luft hängen. Staub und Schatten. Das hat bei den Simulationen gefehlt.

Das hier ist die Wirklichkeit, Ralph!

Eine Leuchtfläche mit der Aufschrift >LANDUNG QTY< ging an. Der Treibstoff ging zur Neige. War er zu niedrig, wenn der Treibstoff verbraucht war, bedeutete das den sicheren Tod: zu niedrig, um noch abzubrechen, und zu hoch, um sicher zu landen. Das MEM würde abstürzen und wie ein Aluminium-Ei an der Oberfläche zerschellen.

Er versuchte, die Warnlampe zu ignorieren. Überzüchteter Schrott. Laßt mal einen Profi ans Steuer.

PGNS entließ das Raumschiff aus dem Landeprogramm, und die Challenger setzte zur Landung an.

Er peilte eine Rinne kurz vor dem Landepunkt an, um sie als Bezugspunkt für die Höhe und Bewegung des Schiffs zu verwenden. Er hielt den Blick auf die Rinne gerichtet, während er die Horizontalgeschwindigkeit aufzehrte. Das MEM mußte senkrecht landen, ohne eine seitliche Abdrift. Sonst bestand die Gefahr, daß beim Aufsetzen ein Landebein brach.

Das Raumschiff war in eine Staubwolke gehüllt, die ihm die Sicht nahm und das Fenster mit ockerfarbenem Puder überzog.

»Dreißig Sekunden.«

»Vorwärtsdrift?«

»Alles klar. Hundert Meter hoch. Runter mit einem Meter pro Sekunde.«

Der Staub war überall. Nun sah er auch, wie der Staub auf dem Boden nach allen Seiten wegstob. Beim Anblick der Staubfahnen wurde ihm schwindlig; sie hatten Ähnlichkeit mit dem Nebel, der sich manchmal auf ein Flugfeld legte. Dann machte er einen Felsen aus, der aus dem Dunst ragte und nutzte ihn als Orientierungshilfe.

»Achtzehn Meter. Abwärts mit sechzig Zentimetern pro Sekunde. Sechzig vorwärts. Sechzig vorwärts. Gut.«

Er betätigte den Abstiegsschalter und zehrte die Geschwindigkeit auf, bis Challenger gemächlich wie eine Feder dem Mars entgegenschwebte.

»Fünfzehn Meter. Neun. Runter mit achtzig Zentimetern pro Sekunde. Wir wirbeln eine Menge Staub auf.«

Das sehe ich selber, verdammt. Das MEM driftete zurück, ohne daß Gershon den Grund kannte. Der Rückwärtsgang war schlecht, weil er nach hinten nichts sah. Er betätigte die Handregler.

»Sechs Meter.«

Die Rückwärtsbewegung hatte er abgestellt, doch dafür setzte nun eine seitliche Abdrift ein. Verflucht! Er ärgerte sich über sich selbst. Im Moment flog er die Kiste wie ein Anfänger.

»Neigungswinkel nach vorn vier Grad. Drei Grad. Leichte Linksdrift. Schwacher Schatten.«

Der Schatten kam näher, und der aufgewirbelte Staub nahm ihm die Sicht auf den Boden. Er versuchte, das MEM in die Vertikale zu bringen.

Er stürzte blind dem Boden entgegen.

»Eins komma zwei vorwärts. Null komma neun vorwärts. Höhe fünfzehn Zentimeter. Linksdrift.«

Gershon verspürte einen leichten Stoß.

»Kontaktlicht«, sagte Stone. »Kontaktlicht, bei Gott.«

Gershon warf Stone einen kurzen Blick zu.

Dann schaltete er hastig das Abstiegstriebwerk ab.

Die Triebwerksvibrationen, die den angetriebenen Abstieg begleitet hatten, ebbten ab. Er hätte das Triebwerk sofort abschalten sollen, als das Kontaktlicht aufleuchtete. Wenn das Triebwerk zu dicht am Boden feuerte, bestand nämlich die Gefahr, daß der Gegendruck der Abgase das Aggregat zur Explosion brachte.

Challenger bewältigte die letzten anderthalb Meter im freien Fall und landete mit einem kräftigen Stoß auf dem Mars. Gershon ging in die Knie, und die Ausrüstung in der Kabine wurde durchgerüttelt.

»Scheiße«, sagte er.

Stone ging die Checkliste durch, die nach der Landung abgearbeitet werden mußte. »Triebwerk stop. ACA entriegelt.«

»Entriegelt.«

»Beide Steuerungsmodi auto. Manuelle Regelung des Abstiegstriebwerks aus. Triebwerkszündung aus.«

Sie hakten den T plus eins-Prüfpunkt ab, die erste Bleiben/Nicht Bleiben-Entscheidung.

Nachdem sie im Schiff Verschlußzustand hergestellt hatten, würden sie es für eine Weile hier aushalten.

Vor Gershons Fenster erstreckte sich ein flacher, naher Horizont. Er sah Dünen, Staub und kleine Felsen, die auf der Oberfläche verstreut waren. Nirgends regte sich etwas. Ohne die auf der Erde existierenden Bezugspunkte wie Gebäude, Bäume und Menschen war es schwierig, den Maßstab der Geländemerkmale zu bestimmen. Die kleine, gelbe Sonne stand tief am gelbbraunen Himmel. Das durchs Fenster einfallende Licht war eine Mischung aus Pink und Braun und wurde vom Helmvisier und den Wangen reflektiert.

Marslicht spielte auf seinem Gesicht.

Er sah Stone hinter dem Helmvisier grinsen. »Houston, hier spricht Mangala Valles. Die Challenger ist auf dem Mars gelandet.« Gershon hörte den Überschwang in seiner Stimme.

Gershon, Stone und York schüttelten sich die Hände, klopften sich auf den Rücken und täuschten spielerisch Schläge auf die Helme an.

»Houston, richtet Columbia Aviation Grüße von mir aus. Die alte Gurke hat uns runtergebracht. JK, du bist schon ein ausgebuffter Raketenmann.«

Er kontrollierte seine Station. Es war noch für vierzehn Sekunden Treibstoff im Tank. Egal; hol’s der Geier! Vierzehn Sekunden sind eine lange Zeit. Armstrong hatte auch nur noch für zwanzig Sekunden Sprit, und kein Mensch hat sich darüber aufgeregt.

Zumal auf absehbare Zeit niemand Gelegenheit haben wird, es besser zu machen als ich.

Donnerstag, 21. März 1985 Luftwaffenstützpunkt Patrick

Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte Joe Muldoon, wie das von Houston kommende Flugzeug zur Landung auf Patrick ansetzte.

Obwohl die Sonne erst in ein paar Stunden aufgehen würde, fielen die Firmenflugzeuge schon in Schwärmen in den Luftwaffenstützpunkt Patrick und den Flughafen von Orlando ein. Sämtliche Straßen auf der Halbinsel glichen Bändern aus Licht: überall Staus. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Vielleicht war er zu spät aufgebrochen.

Doch er war nicht früher weggekommen. Diese Nacht hatte er gar nicht geschlafen, und die vergangene Nacht auch kaum. Die Logistik des Starts war immer komplexer und detaillierter geworden. Die Presse wollte mit Informationen gefüttert werden, die Kommunikation zwischen den NASA-Zentren mußte hergestellt werden, und dann mußten auf den letzten Drücker VIP-Ausweise ausgestellt, Drehorte fürs Fernsehen ausgewählt werden und so weiter.

Teufel, sollte er den Start etwa im Radio verfolgen, mitten im dicksten Stau?

Die Stewardeß hatte ihm vor der Landung noch einen Drink angeboten. Er hatte ihn abgelehnt, wie schon die Drinks zuvor. Dazu hatte er immer noch Gelegenheit.

Nach der Landung in Patrick hatte er die Maschine hastig verlassen. Ein junger Mann im Anzug erwartete ihn; er hielt ein Pappschild mit seinem Namen hoch.

»Mr. Muldoon?«

»Ja.«

»Ich bin vom Kennedy-Raumfahrtzentrum. Ein Hubschrauber wartet auf Sie. Hier entlang, Sir.«

»Gott sei Dank.«

Muldoon hatte noch Gepäck im Flugzeug. Er fackelte nicht lang. Zum Teufel; wenn er ein frisches Hemd brauchte, würde er sich eins kaufen.

Der Assistent und er gingen zügig über das Rollfeld. »Wir fliegen wichtige Leute mit dem Hubschrauber ein, damit sie nicht im Stau stehen müssen«, sagte der junge Mann. Er machte einen hektischen, fast verstör ten Eindruck und hatte sich gerade noch unter Kontrolle. Muldoon vermutete, daß der arme Kerl schon die ganze Nacht unterwegs war.

»So schlimm?«

»Teufel, ja, Sir. Alle Straßen nach Merritt Island sind verstopft. Ein einziger Parkplatz. So etwas habe ich noch nie erlebt, Sir.«

Muldoon betrachtete ihn im Licht der Morgendämmerung. Der Junge war nicht älter als zweiundzwanzig. Dann war er 1969 sechs Jahre alt gewesen. Er erinnert sich nicht. Er hatte so etwas wirklich noch nie gesehen.

Muldoon fühlte sich alt, von der Schwerkraft förmlich in Ketten gelegt. Genauso hatte er sich ‘69 nach der Rückkehr zur Erde gefühlt. Seine Arbeit an Ares war fast erledigt, und die Depressionen, die er in all den Jahren abgewehrt hatte - wobei die Verfolgung dieses großen Ziels ihm sehr geholfen hatte -, schlichen sich wieder ein.

Seine einzige Mondlandung war lange her, und er würde nie wieder über die schneeähnliche Oberfläche spazieren.

Sie beschleunigten den Schritt. Der Hubschrauber wartete.

Gebäude für Operationen der Bemannten Raumfahrt Cocoa Beach

Ein kerniges militärisches Klopfen ertönte an der Tür.

Sie rollte sich auf die Seite und knipste die Nachttischlampe an. Vier Uhr fünfzehn morgens.

»Kompanie aufstehen! Es ist eine klare Nacht, und das Wetter soll gut werden.«

»Danke, Fred.«

Fred Haise war pünktlich. 04:15 war der erste Zeitpunkt auf der Ares-Checkliste.

Die Uhr läuft. Und wird erst in achtzehn Monaten wieder angehalten.

Sie schlug die Decke zurück und stand auf. Dann machte sie das Bett. Sie würde vorerst nicht zurückkommen, doch wollte sie auch keine Unordnung hinterlassen.

Sie schaltete das Fernsehgerät ein und blickte in ihr Spiegelbild, während ein Kommentator berichtete, welche Menschenmengen sich in Cape Canaveral versammelten. Sie schaltete das Ding wieder aus.

Dann gönnte sie sich eine ausgiebige Dusche. Sie genoß es, wie das Wasser auf die Haut prasselte, wie der Schaum an ihr hinabrann und im Abfluß verschwand. Dann drehte sie das kalte Wasser auf. Sie schlotterte und spürte, wie das Blut in den Kapillaren stieg. In der Mikrogravitation zu duschen wäre nicht so einfach; sie ahnte schon, daß sie sich erst nach der Rückkehr zur Erde wieder so frisch fühlen würde wie jetzt.

Sie rubbelte sich mit dem Handtuch ab. Das raspelkurze Haar trocknete schnell. Dann zog sie ein Polohemd, eine Hose und bequeme Schuhe an.

Das blaue Polohemd war mit dem Logo für die Ares-Mission verziert: ein Kreis, dessen Umfang vom Namen >Ares< und den Namen der drei Teileinheiten gebildet wurde. Der Kreis selbst wurde vom stilisierten Ares-Verbund ausgefüllt, der einem roten Stern entgegenstrebte. Die Abgase des Schiffs formten sich zu einem Adler im Design des Sternenbanners, der mit kühnem Blick dem Raumschiff hinterherschaute.

Die künstlerische Gestaltung des Logos hatte sie von vornherein nicht überzeugt. Doch für die NASA hatte es eine patriotische Aussagekraft, und Stone und Gershon war es sowieso egal. Also prangte das kitschige und peinliche Abzeichen nun über der rechten Brust.

Als sie das Zimmer verließ, wurde sie auf dem Korridor bereits von Gershon und Stone erwartet. Sie lehnten an der Wand, hatten die Arme in fast identischer Pose verschränkt und unterhielten sich leise. Sie grinsten sie an.

Sie ging zu ihnen. Dann reichte sie beiden spontan die Hand. Stone und Gershon ergriffen je eine Hand, und zu ihrer Überraschung reichten sie sich dann auch die Hand. Für ein paar Sekunden standen die drei mitten im Gang im Kreis herum und grinsten sich an.

Merritt Island

Bert Seger hätte erwartet, daß die beiden Maultiergespanne ein Verkehrshindernis darstellten. Doch alle vier Spuren von Highway Eins waren schon verstopft. Selbst auf den Nebenstraßen kamen die Autos langsamer voran als die Maultiere, und das Problem bestand nun darin, daß die Tiere beim Zockeltempo der Autos vielleicht ungeduldig wurden.

Er hatte schon gesehen, daß manche Leute die Bemühungen eingestellt hatten, näher an den Startort heranzukommen. Sie stiegen auf die Wagendächer und bauten Fernrohrstative auf.

Eine Reihe schwarzer Gesichter lugte aus den Wagen und betrachtete das Verkehrschaos. Seger hatte ein paar der ärmsten Familien von Washington eingeladen, den Start vor Ort zu verfolgen. Alle gehörten sie der Gemeinde des Kirchleins an, das er in der Hauptstadt entdeckt hatte.

Obwohl er sich inzwischen die Frage nach dem Sinn dieser Geste stellte.

In jeder Tankstelle und Raststätte an der Autobahn - die ohnehin rund um die Uhr geöffnet hatten - drängten sich Menschen aller Altersstufen, Berufe und sozialer Schichten. Es war ein repräsentativer Querschnitt der amerikanischen Gesellschaft. Er hatte ausgerechnet, daß der Flug zum Mars jeden amerikanischen Bürger etwa fünfzig Dollar gekostet hatte, und es hatte nun den Anschein, daß viele Bürger heute hierher gekommen waren und sich in der reizlosen Landschaft ausbreiteten, um sich von der Vorteilhaftigkeit dieser Investition zu überzeugen.

In dieser Flut von Menschen, so erkannte Seger mit sinkendem Mut, würde sein Fähnlein Demonstranten nichts ausrichten. Vielleicht gab es hier ohnehin genug Beweise dafür, daß es falsch war, drei Amerikaner zum Mars zu schicken, während so viele ihrer Mitbürger Not litten. Da mußte Seger auf diese Mißstände gar nicht erst aufmerksam machen. Er hatte erfahren, daß bei den Ärmsten der Armen noch immer Fälle von Unterernährung festgestellt wurden: hier im Raumfahrtzentrum, zu Füßen des Marsraumschiffs! Wenn solche Dinge die Leute kaltließen, dann wäre seine bescheidene Geste ohnehin zwecklos.

Doch er würde nicht aufgeben. Zumal die Wirkung des öffentlichen Auftritts ohnehin von sekundärer Bedeutung war. Wichtiger war, daß es ihm durch die Aktivierung seiner alten NASA-Kontakte vielleicht gelingen würde, näher an die Startrampe heranzukommen als das übrige Publikum. Wenn er ins Fernsehen kam, wäre die Mission schon ein Erfolg.

Jemand in den Wagen stimmte ein Lied an, und die anderen fielen ein, derweil die Maultiere die verstopfte Straße entlangtrotteten. Nach ein paar Worten erkannte Seger das Lied. Es war der Psalm, den die Astronauten aus dem Mondorbit rezitiert hatten, um dem Tod ihrer Kollegen zu gedenken. Bleib bei mir.

Er fragte sich, wo Fay wohl war. Vielleicht saß sie in Houston vor dem Fernsehgerät. Er hatte nichts mehr von ihr gehört, seit er ihr am Telefon von seinem Vorhaben erzählt hatte, eine eigene Kirche zu gründen. Vielleicht würde sie ihm verzeihen, daß er sie einfach hatte sitzen lassen.

Am Horizont war die Saturn VB als weißer Finger zu sehen, der in Licht gebadet wurde.

Seger überkam ein tiefes Gefühl der Ergriffenheit. Er packte das am Revers befestigte Kruzifix so fest, daß das Metall sich in die Finger grub.

Gebäude für Operationen der Bemannten Raumfahrt,

Cocoa Beach

York meldete sich im Fitnessraum, wo eine Krankenschwester sie wog und die Körpertemperatur maß. Dann wurden Herz-und Atemfrequenz sowie der Blutdruck gemessen. Das geschah schnell und gründlich, aber auch mechanisch. Als ob die Krankenschwester - eine fröhliche Frau in den Vierzigern -sich gar nicht für die Ergebnisse interessierte. Immerhin war Yorks Gesundheitszustand der NASA hinlänglich bekannt. Fragmente ihres Körpers, Abstriche und Flüssigkeitsproben waren über ein Dutzend NASA-Einrichtungen verteilt und wurden gehütet wie Mondgestein.

Doch auf einer anderen Ebene ergab es sehr wohl einen Sinn. Es war Teil des Rituals. Wie ein Priester, dem man die Robe umhängt, sagte sie sich. Sie war ein besonderer Mensch und mußte auch als solcher behandelt werden.

Dann ging sie ins Kasino. Sie mußte mit den beiden Kameraden an einem Tisch Platz nehmen, der zusammen mit einem anderen Tisch ein T-förmiges Arrangement bildete. Ihr Tisch war der Querstrich des T. Hinter ihr befand sich ein Vorhang. Auf dem Tisch standen eine üppige Blumenvase, um die ein Band mit der Aufschrift >Ares< geschlungen war sowie ein Gesteck aus Seidenschleifen, welche die Form des Missionslogos hatten. Der längere Tisch war auf beiden Seiten mit Leuten besetzt, die sie anstarrten. In der Mitte des Tischs verlief eine angesichts des historischen Moments profane Spur aus Soßenflaschen und Pfefferstreuern.

Ihr kam es vor wie ein Hochzeitsmahl.

Das Mahl gehörte ebenfalls zum Ritual vor dem Start: die Speisekarte umfaßte Steak, Eier, Saft, Toastbrot und Kaffee. Jedem Astronauten, bis hin zu Al Shepard, war das gleiche Menü vor dem Flug aufgetischt worden.

York versuchte sich am Steak, doch es war dick und zäh und schmeckte wie Hartgummi.

Sie hatte versucht, diesen Teil des Rituals abzuändern. Ein wenig Müsli und Milch hätten ihr völlig gereicht. Doch die Ärzte hatten sie eindringlich über die Bedeutung von >rückstandsarmer Nahrung< vor dem Start belehrt. Dadurch sollte das Volumen der festen Ausscheidungen verringert werden. Was sich in der Theorie noch gut anhörte, mutierte in der Praxis zu Mahlzeiten, die aus halbgarem Fleisch bestanden.

Sie schaute in die Runde. Dort saßen Direktor Josephson sowie hochrangige Vertreter der jeweiligen NASA-Zentren und der Luft- und Raumfahrtindustrie. Sie erkannte Gene Tyson von Columbia, der Firma, die das MEM gebaut hatte. Er hockte da wie ein feister, selbstgefälliger Buddha. Es waren noch weitere hochrangige Astronauten anwesend, Bob Crippen, Fred Haise und andere. Und dort waren Ted Curval und Adam Bleeker, die grinsten und Witze rissen, als ob alles eitel Sonnenschein wäre. Doch York empfand das Grinsen als gezwungen und glaubte einen harten Ausdruck in seinen Augen zu erkennen.

Sie sagte sich, daß die neben ihr sitzenden Herren Stone und Gershon gut drauf waren. Sie waren nur zwei Kameraden von der Luftwaffe, die mit den anderen Piloten scherzten. Bescheiden, tapfer, entspannt. Fast schon gelangweilt. Wieder ein Tag im Büro. Es war eine gute Darbietung.

Unter der Oberfläche indes - der bemühten Lässigkeit, des leisen Klirrens von Besteck auf den Tellern, des sporadischen

Gelächters - war die Atmosphäre im Kasino bis zum Zerreißen angespannt.

York wußte nicht, was sie sagen sollte. Und je länger das Mahl sich hinzog, desto größer wurde die Angst, daß ihr die Stimme versagen würde, wenn sie sich überhaupt zu Wort meldete.

Sie piekste mit der Gabel in das hartgekochte Ei.

Fred Haise schaute immer wieder auf die Uhr. Wie jeder andere Vorgang an diesem Tag war auch das Frühstück zeitlich genau eingegrenzt.

Die Besatzung wurde wieder auf die Zimmer geschickt.

York putzte sich die Zähne. Anschließend überprüfte sie das Handgepäck. Sie würde nicht viel mitnehmen: einen Kalender und ein vergilbtes Mariner 4-Foto. Nun stellte sie jedoch fest, daß, während sie beim Frühstück gesessen hatte, noch ein paar Dinge eingeschmuggelt worden waren. Zum Beispiel ein Kärtchen vom Heiligen Christoph, das ihr allerdings bekannt vorkam: ihr Vater hatte gesagt, diese Karte hätte schon seinen Vater durch den Ersten Weltkrieg begleitet. Dann waren da noch eine Glückwunschkarte von ihrer Mutter und ein Geschenk von ihrer alten Schule, eine Brosche in Form einer Orbitalellipse mit einem winzigen Rubin, der den Mars darstellen sollte.

Und dort erspähte sie ein kompaktes Gebilde: ein kleiner Kosmonaut, dessen Troglodytengesicht sie unter dem Helm lüstern anstarrte. Am Kopf war eine kurze Kette befestigt. Sie grinste. »Hallo, Ba-riis.«

Privatsphäre war hier ein Fremdwort; wahrscheinlich hatte man eines der Zimmermädchen bestochen, damit es den Kram einschmuggelte. Aber das war ihr egal. Es gab sowieso nur einen wirklich persönlichen Gegenstand, den sie mitnehmen würde.

Sie schob das Polohemd hoch. An der Innenseite, verdeckt vom Abzeichen mit dem Missions-Logo, steckte die Nadel mit den silbernen Schwingen, die Ben Priest ihr vor so vielen Jahren in Jackass Flats verehrt hatte.

Sie legte die Nadel in den Beutel und machte den Reißverschluß zu.

Sie wog den Beutel in der Hand. Er bestand aus einem Spezialgewebe, einem feuerfesten synthetischen Material, das so robust war wie ein Feuerwehrschlauch. Selbst dieser profane Beutel, bei dem es sich noch dazu nur um einen persönlichen Ausrüstungsgegenstand handelte, entsprach den Anforderungen der Raumfahrt.

Sie schaute sich noch einmal im Raum um, mit dem schmalen Bett, dem kleinen Fenster und dem Fernsehgerät. Sie fühlte sich hier geborgen und hatte das Gefühl, aus einem Nest auszufliegen. Obwohl das überhaupt nicht ihr Zuhause war; sie hatte nur ein paar Tage hier zugebracht. Dennoch war es der letzte Ort auf Erden, den sie für sich beansprucht hatte. Der Ort, wo sie die letzte Nacht vor dem Start verbracht hatte.

Sie nahm einen Stift und schrieb ihren Namen an die Tür. Das war eine Kosmonautentradition, die Wladimir Wiktorenko ihr vermittelt hatte.

Dann öffnete sie entschlossen die Tür und verließ den Raum.

Banana River

Gregory Dana hatte im Holiday Inn übernachtet. Er hatte Glück gehabt, daß noch ein Zimmer frei gewesen war. Jedes Hotel in Zentralflorida war seit Februar aus gebucht. Manche Häuser berechneten sogar für einen Liegestuhl am

Swimmingpool den Preis für ein Zimmer. Doch das Personal des Holiday Inn hatte sich an Dana erinnert und ihm das Zimmer gegeben, das er bei seinen Arbeitsbesuchen in Cape Canaveral immer bewohnte.

In der Hotellobby deckte Dana sich mit Autoaufklebern, TShirts und Ansteckern für Jake und Maria ein. ARES: ICH WAR DABEI. Die Kinder und Mary waren bei Sylvia in Hampton. Die beiden Teenager, die ihrem Vater immer ähnlicher sahen, waren wahrscheinlich schon zu cool für diesen Kram. Doch das focht Dana nicht an. Dann sollten sie es eben für ihre Kinder aufheben.

Dana hatte für einen Tag einen kleinen Kabinenkreuzer gemietet und holte das Boot schon im Morgengrauen ab. Er fuhr zu einem flußabwärts gelegenen Ankerplatz, der sich fünf Kilometer südlich der Startrampe befand.

Er hätte natürlich auch einen Tribünenplatz bekommen oder den Start von einem der NASA-Zentren aus verfolgen dürfen. Doch so war es ihm lieber. Er wollte allein sein. Er brauchte den Freiraum, um Jims zu gedenken - von Rechts wegen hätte Jim nämlich einer der drei Mars-Forscher sein müssen, die in der Spitze der großen Rakete auf Rampe 39-A steckten.

Überhaupt war er gern auf dem Wasser. Deshalb hatte er es auch so lange in Hampton ausgehalten. Und aus dieser Perspektive kam der an der Grenze zwischen Land und Meer gelegene Raumhafen am besten zur Geltung. Es war, als ob drei Elemente - Land, Meer und Weltraum - sich an diesem Ort vereinigt hätten, hier, wo die Kette von massiven Raketensilos der Erosion des platten Lands Einhalt gebot.

Auf dem Wasser war er genau richtig. Zumal er den Start vom Ankerplatz aus besser verfolgen konnte als von der Tribüne aus.

Er manövrierte durch die Armada von Jachten, Booten, Katamaranen und Kajaks, die sich auf dem Kanal tummelten.

Die Wasserstraße war fast so verstopft wie die Autobahnen und Landstraßen. Es würde ein paar Stunden dauern, bis er den Ankerplatz erreicht hatte, doch er hatte schließlich Zeit.

Die Sonne kam zwischen den niedrigen Wolken über dem Golfstrom hervor.

Gebäude für Operationen der Bemannten Raumfahrt,

Cocoa Beach

Der Anzugs-Raum hatte die Größe einer Hotelsuite: mit weiß getünchten Wänden, fensterlos, steril. Drei Liegen standen in der Mitte des Raums. Drei orangefarbene Druckanzüge, deren leere Helme wie offene Mäuler klafften, lagen auf dem Boden. Das weiße Licht blendete sie; der Raum wirkte wie ein futuristisches Labor, und die Anzüge sahen aus wie die sezierten Kokons gigantischer Insekten.

Anzugstechniker, die mit weißen Overalls bekleidet waren und Kappen und Mundschutz trugen, kamen auf die Besatzung zu und applaudierten. Ein paar Techniker hatten diesen sanften, verklärten Blick, der York schon in den letzten Monaten auf ihren Reisen durch das Land aufgefallen war.

Nach dem Wohnheim und dem Casino war das die erste wahrhaft unmenschliche Umgebung, in der York sich heute aufhielt.

Sie bekam ein flaues Gefühl im Magen. Sie bemühte sich, das Tempo beizubehalten und war dem vor ihr marschierenden Phil Stone dankbar, daß er sie mitzog; sie mußte nur mit ihm Schritt halten, und alles wäre in Ordnung.

Dann wurde sie von zwei Krankenschwestern hinter eine Trennwand geführt und mußte sich ausziehen. Sie sah, wie ihre Kleidung zu einem Bündel verschnürt und irgendwo deponiert wurde. Sie fragte sich, ob sie die Kleider je wiedersehen würde.

Für einen Moment stand sie nackt an der Schwelle zwischen Erde und Himmel, aller irdischen Güter beraubt.

Ihre Brust wurde betupft, und ein biomedizinischer Instrumentengürtel wurde ihr um die Hüfte gelegt. Vom Gürtel gingen vier Drähte aus, an denen Silberchlorid-Elektroden hingen. Diese wurden an der Brust befestigt. Die kleinen Elektroden waren kalt und hart.

Dann mußte sie sich den Po mit einer Salbe einreiben und schlüpfte in den Fäkalienbeutel, eine Plastikwindel mit einem Loch zum Urinieren. Diese Prozedur war erniedrigend, aber unumgänglich. Falls im Orbit etwas schiefging, würde es fast eine Woche dauern, bis man sie auf die Erde zurückgeholt hatte. Und während der ganzen Zeit steckst du in diesem Anzug. Du wirst in dieser Zeit Darmtätigkeit haben, egal, wieviel Steak du gemampft hast. Also leg die gottverdammte Windel an.

Also leitete York den Flug zum Mars damit ein, ihren knochigen Hintern mit Zinksalbe zu bestreichen.

Nachdem sie die Windel angelegt hatte, zog sie eine Art Strumpfhose an. Dann folgten ein bequemer Büstenhalter und eine Garnitur lange Unterwäsche.

Anschließend führte man ihr einen Katheter ein, welcher über eine Röhre zu einem Urinsammelbehälter führte, der aussah wie eine Wärmflasche.

Nun kamen zwei Anzugstechniker mit einem Druckanzug auf sie zu. Es war ein fabrikneuer orangefarbener Panzer mit den Konturen eines menschlichen Körpers. Arme und Beine baumelten herab. Der Anzug war mit dem NASA-Emblem und dem Missionslogo verziert. Die Techniker sagten ihr, sie solle sich hinsetzen und stopften sie in den Anzug.

Der Anzug hatte drei Schichten. Die innere Lage bestand aus Fünf-Unzen-Nomex, das sich weich wie Satin an die Haut schmiegte. Die äußere Schicht bestand aus reißfestem BetaCloth. Die mittlere Lage, die Druckschicht, war eine NeoprenBlase, die von einem Netzwerk aus Schläuchen und Ventilen durchzogen wurde. Aufgeblasen würde sie einen Druck von einem viertel Ge auf den Körper ausüben. Der Anzug war mit Rollen, Kabeln und Gelenken ausgestattet, die sie bei der Bewegung unterstützen sollten, wenn das Ding unter Druck gesetzt war.

York hatte das Gefühl, in einen zweiten Körper zu schlüpfen, bei dem die Adern durch Gummizüge ersetzt waren, die Gelenke durch Rollen und die Muskeln durch Kabel.

Dann trat sie hinter der Trennwand hervor und wurde zu den Liegen geführt. Stone und Gershon waren schon fertig. Sie saßen nebeneinander auf den Liegen. Offensichtlich dauerte das Überziehen eines Kondoms nicht so lang wie die Einführung eines Katheters.

Sechs Techniker nahmen sie unter die Fittiche. Zwei führten sie zu ihrer Liege und bedeuteten ihr, sich zu setzen. Dann verbanden sie den blauen und roten Anschluß an der Brust mit Schläuchen, die ihr von einer Konsole Luft zuführten. Als nächstes zogen sie ihr schwarze Gummi-Druckhandschuhe und schwere Stiefel an. Ein zweites Techniker-Duo stülpte ihr die Astronauten-Haube über den Kopf und fixierte das Mikrofon unter dem Kinn.

Sie kam sich vor wie eine Braut, der man das Hochzeitskleid anlegte. Nur daß es in diesem Fall länger dauerte. Ständig diese Berührungen. Vielleicht lag dieser Vorbereitung ein Subtext zugrunde, ein Urinstinkt, der bis in die Zeit zurückreichte, als die Menschen sich gerade aus den Primaten entwickelten. Sie mußte berührt und gestreichelt werden, bevor sie auf eine gefahrvolle Reise geschickt wurde.

Die letzten zwei Techniker nahten mit dem Helm. Er sah aus wie ein Goldfischglas mit einem schmalen Metallrahmen.

Sie sog ein letztesmal die antiseptische Luft ein, lauschte dem Murmeln der Techniker und spürte den leichten Luftzug der Klimaanlage auf der Haut.

Dann senkte der Helm sich über ihren Kopf. Im Nacken schabte Metall auf Metall.

Sie war versiegelt. Die Außengeräusche ebbten ab, und die Sicht wurde durch die Krümmung des gläsernen Helms verzerrt. Der Atem und das Blut rauschten ihr in den Ohren.

Nun mußte sie sich zurücklegen und für eine halbe Stunde warten, die ihr indes viel länger erschien. Die Konsole füllte den Anzug mit reinem Sauerstoff und entzog dem System überschüssigen Stickstoff.

Die Techniker wuselten um die drei herum, überprüften dieses und jenes und grinsten sie dabei an. Durch das Glas des Helms wurden ihre Gesichter zu Karikaturen verzerrt. Die Techniker folgten einer komplizierten, lautlosen Choreographie. Sie erschienen York wie Arbeitsameisen, die um drei Königinnen herumscharwenzelten.

Ralph Gershon bat einen Techniker, ihm ein Handtuch auf den Helm zu legen. Dann legte er sich zurück und faltete die Hände über der Brust. Allem Anschein nach machte er ein Nickerchen.

Als die Wartezeit vorüber war, streiften die Techniker ihnen gelbe Überschuhe über die Stiefel und hoben sie von den Liegen. Dann verbanden sie die Luftschläuche mit einer tragbaren Einheit im Format eines Koffers und drückten ihr das Gerät in die Hand.

Die drei formierten sich zu einer Linie - Stone zuerst, dann York und Gershon zum Schluß -, um die kurze Strecke vom MSOB zum Transporter zurückzulegen.

Das Gehen war anstrengend. Der Anzug war an sich schon schwer genug, doch mußte sie auch noch den Widerstand überwinden, den die aufgeblasene Druckschicht den Beinen und der Hüfte bei jedem Schritt entgegensetzte. Sie hatte den Eindruck, daß sie an einem elastischen Seil zerrte. Es war ein unangenehmes Gefühl.

Die Ironie dabei war, daß diese unförmigen, antiquierten Druckanzüge im Apollo-Stil nur während der Startphase gebraucht wurden und dann noch einmal für die Rückkehr zur Erde. Für den Rest der Mission würden die Anzüge in der Kommandokapsel des Apollo-Raumschiffs deponiert werden. Für die EVA-Operationen auf dem Mars hielt das MEM nämlich viel modernere Anzüge bereit.

In der Halle wimmelte es von Menschen: Astronauten, NASA-Verwaltungs- und Bodenpersonal, Freunde und Familienangehörige, die stumm applaudierten. Für York war es ein Spießrutenlaufen durch einen Korridor voller lächelnder Gesichter, deren Konturen durch den Helm verwischt und verzerrt wurden.

Sie gingen an Stones Familie vorbei, Phyllis und den beiden Jungen. Stone blieb stehen, stellte den Sauerstoff-Tornister ab und breitete die Arme aus. Er drückte seine Frau an die breite Brust des Anzugs und reichte den Jungen einen behandschuhten Finger. Er strich ihnen durchs Haar und warf ihnen Handküsse zu. Die Jungen wirkten wie Zwerge im Vergleich zu ihrem im aufgeblähten Anzug steckenden Vater.

Doch York wußte, daß der Anzug Stone von seiner Familie isolierte. Weder spürte er sie mit den dicken, elastischen Handschuhen noch vernahm er ihre Stimmen durch den Helm; wenn er überhaupt etwas hörte, dann war es ein leises Raunen. Die einzigen Geräusche im des Anzug waren das Zischen der Luft und das Rasseln des Atems.

Stone war nur ein paar Zentimeter von seinen Söhnen entfernt, doch es hätten genauso gut tausend Meilen sein können.

Sie verließen das MSOB.

Es war noch nicht einmal sechs Uhr. Die Presse war hinter den Absperrungen aufmarschiert, und sie geriet in ein Sperrfeuer als Blitzlichtern. Der letzte Fototermin, bevor sie eine neue Welt eroberten - oder auf der Strecke blieben.

Eine Rampe führte in den Transporter. Als sie Wladimir Wiktorenko am Wagenschlag stehen sah, verlor sie fast die Fassung. Er trug die Galauniform eines sowjetischen Luftwaffenoffiziers.

Phil Stone nahm Haltung an und salutierte vor Wiktorenko. Seine Stimme drang aus Yorks Kopfhörer: »Meine Besatzung und ich sind fertig. Wir melden Bereitschaft für Ausführung der Ares-Mission.«

Wiktorenko salutierte ebenfalls. York hörte seine Antwort zwar nicht, doch sie ahnte zumindest, was er sagte. Ich erteile Ihnen Starterlaubnis. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Flug und eine sanfte Landung. Noch ein sowjetisches Ritual.

Stone ging zum Transporter, und die Techniker halfen ihm auf seinen Platz.

Nun blieb York vor Wiktorenko stehen. Sein Lächeln wurde noch herzlicher, und er formte die Lippen zu einem Wort. Maruschka.

Sie spürte, wie etwas in ihr durchbrach, etwas, das sie seit dem Moment, als sie an diesem Morgen aufgewacht war, zurückgehalten hatte.

Achtlos ließ sie das Sauerstoffgerät fallen und ging auf Wladimir zu. Auch auf die Gefahr hin, daß der korrekte Sitz der Uniform darunter litt, umarmte er sie mit einer solchen

Kraft, daß sie es noch durch die Schichten des Druckanzugs spürte.

Schließlich trat er wieder zurück, und sie rang sich ein Lächeln ab. »Ich habe Ba-riis gefunden. Danke.«

Er sagte wieder etwas, griff in die Tasche und holte eine Handvoll Steppengras heraus. Dann steckte er ihr das Kraut in eine Ärmeltasche des Anzugs, ergriff ein letztes Mal ihre Arme und half den Technikern, sie in den Wagen zu verfrachten.

Newport Beach

Es war ein schöner Frühlingsmorgen.

JK Lee trat auf die Veranda und sog die Luft ein. Er hatte einen Riecher für das Wachstum von Pflanzen.

Er mußte husten.

Die Lunge schien sich im Lauf der Jahre an die für ein Flugzeugwerk charakteristischen Ausdünstungen gewöhnt zu haben: Kerosin, Schmierstoffe, Ozon, Gummi, heißes Metall. Nachdem er diesen technischen Kokon nun gesprengt hatte, hatte er das Gefühl, auf einem Planeten mit einer fremden Atmosphäre gestrandet zu sein.

Er zündete sich eine Zigarette an und fühlte sich in der Wolke aus Nikotin und Teer gleich besser.

Er verspürte das Bedürfnis, den Rasen zu mähen.

Also ging er in den Geräteschuppen und inspizierte den Mäher. Er ölte die Messer und überprüfte die Zündkerzen. Im Schuppen war es warm und dunkel, und es roch nach Holz.

Er hörte die Stimmen der Kommentatoren von Cape Canaveral, die aus den angrenzenden Häusern drangen. Die ganze Nachbarschaft schien an diesem Donnerstagmorgen in den Startvorbereitungen zu stecken. Und nicht nur die Nachbarschaft, sondern ganz Amerika.

Jennine rief ihn ins Haus.

Sie reichte ihm den Telefönhörer. Jack Morgan war dran. Er fragte, ob Lee und Jennine nicht zu ihm rüberkommen wollten, um den Start bei ein paar Bieren zu verfolgen. Lee lehnte nach kurzer Überlegung ab und sagte, er wolle heute im Garten arbeiten.

Lee hatte nämlich gehofft, die NASA würde ihn nach Cape Canaveral einladen, um den Start vor Ort zu verfolgen. Das wäre eine nette Geste gewesen. Doch die Hoffnung hatte sich zerschlagen.

Er und Morgan plauderten für eine Weile über die alten Zeiten.

Morgan hatte Columbia inzwischen verlassen und sich als Spezialist für Raumfahrtmedizin selbständig gemacht. Er verdiente nun viel mehr Geld als früher, indem er als Freiberufler für Columbia arbeitete. Dennoch hatte er der Firma länger angehört als Lee.

Die Degradierung zum Grüßaugust hatte Lee so zugesetzt, daß er in den Vorruhestand gegangen war.

Art Cane war vor einiger Zeit gestorben; nicht einmal achtzehn Monate, bevor das Paradestück seiner Firma, das MEM 014, auf dem Mars landen sollte. Und nun war Gene Tyson - das selbstgefällige Arschloch, das damals JKs Posten übernommen hatte - Chef der Firma.

Wie dem auch sei, Lee widmete sich wieder dem Rasenmäher und rollte das Ding schließlich auf den Rasen. Als er das Gerät startete, übertönte das Knattern des Zweitaktmotors die Stimmen der Reporter von Canaveral.

Nach einer Weile kam Jennine wieder nach draußen. Das Sonnenlicht verlieh ihrem von grauen Strähnen durchzogenen Haar einen silbernen Glanz. Sie reichte ihm ein Glas Limonade, nahm ihn an der Hand und ging mit ihm ins Haus.

Das Fernsehgerät lief natürlich.

Und da war es auch schon, das vertraute Bild der Saturn VB-Stufe, die aussah wie ein Bündel weißer Nadeln. Die in der Hitze des Florida-Morgens flimmernde Luft verzerrte die Entfernung zwischen der Kamera und der Startrampe. JK erspähte die Ausbeulung der MEM-Verkleidung in der Mitte der Stufenrakete: oberhalb der ersten Stufe und der Zusatztriebwerke und unterhalb der filigranen Konturen des Missionsmoduls und des Apollo-Raumschiffs.

»Geh dorthin«, sagte Jennine plötzlich. Sie hatte einen Fotoapparat in der Hand.

»Hä?«

Sie fuchtelte mit der freien Hand. »Stell dich neben den Fernseher. Mach schon.«

Der erst zur Hälfte gemähte Rasen kam ihm in den Sinn.

Dann stellte er sich doch neben das Fernsehgerät.

Langsam hob JK Lee die Hand zum Salut, während auf der Mattscheibe neben ihm das Mars-Raumschiff gezeigt wurde. Seine Frau machte ein Bild von ihm.

Startkomplex 39-A,

Merritt Island

Die dreizehn Kilometer lange Strecke vom MSOB zur Startrampe führte größtenteils über den Highway Eins, die Küstenstraße. Obwohl dieser Streckenabschnitt von der Polizei gesperrt worden war, kam der Transporter mit dem Troß von Begleitfahrzeugen dennoch nur im Schneckentempo voran.

Stone schaute stoisch aus dem Fenster, und Gershon trommelte mit den behandschuhten Fingern aufs Knie.

Das als Rechteck angelegte Kennedy-Raumfahrtzentrum war ein weitläufiger, leerer Komplex, durchzogen von staubigen Straßen und alligatorverseuchten Entwässerungskanälen. Die

Gebäude waren mehrstöckige, verwitterte Kästen - sogar noch häßlicher als die Architektur von Houston - mit dem typischen Flair einer Forschungseinrichtung der Regierung. Im Licht der tiefstehenden Morgensonne vermittelte die flache und staubige Anlage dem Betrachter das Gefühl, sich an einem Strand zu befinden.

Hin und wieder sah York hinter der Absperrung Menschen, >Normalbürger<, die ihr zuwinkten und applaudierten. Sie fühlte sich wie betäubt und isoliert.

Am östlichen Horizont sah sie die unscharfen Konturen der Startkomplexe, die großen Gerüste, die sich über die Ebene erhoben. Viele der Gerüste waren außer Betrieb und beschädigt; sie wirkten wie Wracks, die an diese triste Küste getrieben worden waren und nun hier vergammelten - an der Grenze zwischen Meer und Land, die von den Gezeiten ständig neu gezogen wurde.

Der Transporter bog vom Highway auf den Zubringer zur Startrampe ab.

Plötzlich sah York zum erstenmal an diesem Tag die Saturn: die kraftvolle weiße Nadel in der Mitte, umringt von vier kompakten Feststoff-Boostern. Und das Ganze wurde vom massiven Gerüst des Startturms umschlossen, der von der achteckigen Grundfläche der Startrampe aufragte. Die Rakete wurde von Flutlichtern angestrahlt, die das Morgenlicht überblendeten. Sie sah die Eisschicht auf den kryogenischen Brennstofftanks. Dampfschwaden traten aus der Zentralsäule aus und zogen wie Wolken über den Startkomplex dahin.

Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor und färbte den Himmel orangefarben und golden. Licht spielte über die Startrampe, und die neben dem Startturm stehende Saturn schimmerte wie eine Perle.

Der Transporter fuhr bis an das Betonfundament der Startrampe heran. Die Türen schwangen auf, und Techniker halfen York beim Aussteigen.

Die Saturn ragte vor ihr in den Himmel. Das diffuse Licht der Morgendämmerung verlieh der Rakete eine intensive Präsenz. Mit den Nieten, die sie zusammenhielten und dem weißen Anstrich erweckte sie den Eindruck, in Handarbeit gefertigt worden zu sein. Ihre Komplexität, das Von-Menschenhand-gefertigt-Sein, war schier mit Händen zu greifen.

Am Betonfundament der Startrampe war ein Schild angebracht: GO, ARES!

Sie überblickte die >Kriechspur< von der Montagehalle, dem VAB21, bis hierher. Das Gebäude selbst zeichnete sich als schwarzweißer Quader am Horizont ab, dessen Größe nicht zu bestimmen war. Die >Kriechspur< war ein Pfad aus massiven gelben Steinblöcken, der sich schnurgerade zum VAB in die Unendlichkeit erstreckte; er verlief entlang des Kanals, der eigens für die Lastkähne gebaut worden war, welche die Saturn-Stufen zum VAB beförderten. Sie sah die Spurrillen im Straßenpflaster, wo das Gleiskettenfahrzeug die Saturn zum Startkomplex gebracht hatte. Sie wirkten wie die Fußabdrücke eines Dinosauriers.

Nun wurde ihr erst richtig bewußt, worauf sie sich bei dieser Sache überhaupt eingelassen hatte. Das Ereignis, das sie seit Monaten geprobt und diskutiert hatten, stand unmittelbar bevor. Man würde sie wirklich in der kleinen Kabine an der Spitze dieser Rakete einschließen und in den Weltraum schießen. Mein Gott, sagte sie sich. Sie machen ernst.

In den letzten Wochen war York immer wieder zur Startrampe hinausgefahren. Sie hatte die Rampe als lauten, betriebsamen Ort erlebt, der einer Industrieanlage ähnelte: mit laufenden Maschinen, mit Aufzügen, die an den Starttürmen auf und ab glitten, mit Leuten, die emsig umherwuselten.

Doch heute war ein anderer Tag. Heute gab es außer der Besatzung und den Technikern keine Menschenseele im Umkreis von fünf Kilometern.

Nach den vielen Menschen im MSOB und den Blicken, die sie auf das Millionenheer der Zuschauer auf dem Gelände von Cape Canaveral erhascht hatte, war es für York ein niederschmetterndes und schreckliches Erlebnis, sich nun im Epizentrum dieser Betonwüste zu befinden, vor sich die dräuende Masse der Saturn VB. Es war wie eine Begegnung mit dem Tod.

York, die noch immer das Atemgerät trug und deren einziger Begleiter das Wispern des Sauerstoffs war, folgte Stone zum Aufzugskäfig an der Basis des Startturms.

Vielleicht sehe ich die Erde nun zum letztenmal. Hier und jetzt auf dem versengten Beton. Vielleicht ist das wirklich ein Countdown zum Tod.

Jacqueline B. Kennedy-Raumfahrtzentrum

Die vom Atlantik wehende Brise blähte die Flaggen hinter den hölzernen Absperrungen an der Tribüne in der Nähe des VAB. Die Tribüne war mit über zwanzigtausend Zuschauern besetzt, wie man Muldoon gesagt hatte, darunter fünftausend Ehrengäste und viertausend Journalisten. Erschienen waren Prominente, Politiker, Familien und Freunde der Besatzung.

Eine Million Menschen hielten sich im Umkreis von hundert Kilometern um diesen Ort auf.

JFK war auch da. Er saß im Rollstuhl und versuchte, sich mit einer großen Sonnenbrille zu tarnen. Trotzdem wirkte er viel älter als ein Achtundsechzigjähriger. Der Rest von Muldoons alter Apollo-Besatzung war ebenfalls erschienen, und die PR-Experten der NASA ließen die dreiköpfige Truppe -Armstrong, Muldoon und Collins - in Linie hinter dem gebrechlichen, alten Ex-Präsidenten antreten, mit der Saturn im Hintergrund.

Nachdem der Öffentlichkeitsarbeit Genüge getan war, nahm Muldoon Platz.

Er blickte nach Osten, in die Morgensonne. Es war ein klarer, windstiller Morgen, der nur von vereinzelten Wolken getrübt wurde. Der Wetterdienst sagte mit einer Wahrscheinlichkeit von über achtzig Prozent gute Witterungsbedingungen für den Start voraus.

Das VAB stand als wuchtiger Block zu Muldoons Linken, und die Scheiben der davor geparkten Fahrzeuge glänzten wie schillernde Käfer. Auf dem Rasen vor ihm befanden sich Kameramänner, die Fahnenstange und die große digitale Countdown-Uhr. Auf der anderen Seite zog der Kanal sich durchs Blickfeld. Dahinter war eine Baumreihe. Und hinter den Bäumen - am vom Morgendunst eingetrübten Horizont -erspähte er die blaugrauen Formen der beiden Rampen des Startkomplexes 39. 39-A, die Rampe für Ares, befand sich zur Rechten.

Wenn er den Blick weiter nach rechts wandte, sah er weitere Startkomplexe, die wie Skelette in den Himmel ragten: die Interkontinentalraketen, welche entlang der Atlantikküste stationiert waren.

Das Kennedy-Weltraumzentrum hatte sich seit seinem ersten Flug mit Gemini sehr verändert. Noch aus dieser Entfernung sah man, in welchem Ausmaß das Weltraumprogramm gestutzt worden war. Die Zahl der Beschäftigten war um die Hälfte reduziert worden. Der Startkomplex 19, von dem aus er mit Gemini gestartet war, existierte noch und wurde für unbemannte Titan-Starts genutzt. Doch von den insgesamt sechsundzwanzig Startkomplexen des Raumhafens waren nur noch zehn in Betrieb. Die Startrampen zerfielen, und die verrosteten Starttürme waren bereits abgerissen und von der NASA an Schrotthändler verhökert worden.

Doch Komplex 39-A existierte noch. Einst war er von dort mit Apollo gestartet. Und nun stand die Ares-Stufenrakete dort und wartete auf die Startfreigabe.

Hinter Muldoon unterhielten zwei alte Damen sich über die Start-Parties, die sie im Lauf der Jahre in ihren Gärten in Florida veranstaltet hatten, derweil mit Elite-Astronauten bemannte Raumschiffe über den Köpfen am nächtlichen Himmel ihre Bahn gezogen hatten.

Die NASA hatte für die Presse Bürocontainer aufgestellt. Dort gingen nun Reporter ein und aus und deckten sich mit Kopien des Missions-Zeitplans und Werbegeschenken von den Firmen der Luft- und Raumfahrtindustrie ein. In den Ü-Wagen der Fernsehsender, die zu Muldoons Linken in der Nähe des VAB stationiert waren, herrschte geschäftiges Treiben. Die Panoramabildschirme leuchteten im Morgenlicht.

Aus Lautsprechern dröhnten die Stimmen der Astronauten auf der Luft-Boden-Schleife, während das Kontrollzentrum in Houston und die Startzentrale hier in Cape Canaveral die aktuellen Daten durchgaben. Der PR-Leiter verkündete die Etappen des Countdowns. Eine Reporterin, die in der Nähe von Muldoon stand, zweckentfremdete eine zerknitterte Pressemitteilung als Fächer.

Muldoon, der sich in einen schwarzen Anzug gezwängt hatte, schwitzte und hatte Durst. Er fühlte sich alt und rastlos.

Der Nebel löste sich unter der Sonneneinstrahlung auf. Er sah, wie die weiße Nadel der Saturn auf 39-A sich aus dem blauen Dunst schälte.

Start-Kontrollzentrum,

Cape Canaveral

Als er die Tätigkeit hier in Cape Canaveral aufnahm, wähnte Rolf Donnelly, der bislang im MOCR in Houston gearbeitet hatte, sich im LCC, dem Start-Kontrollzentrum, wie in einer anderen Welt.

Der >Abschußraum< verfügte zwar über die gleiche EDV-Ausrüstung wie das Kontrollzentrum in Houston, war darüber hinaus aber noch mit sechzig Monitoren ausgestattet, welche die Saturn-Stufenrakete aus unterschiedlichen Blickwinkeln zeigten. Und der Leitstand hinter dem >Schützengraben< hatte ein großes Fenster mit einem Panoramablick auf das fünf Kilometer entfernte Merritt Island und die himmelwärts strebenden Starttürme. Im Gegensatz zum MOCR war der >Abschußraum< nicht von der Außenwelt abgeschottet.

Und im Augenblick des Starts wurde der >Abschußraum< von echtem, ehrlichen Raketen-Licht durchflutet.

Und die Atmosphäre war auch eine andere. Die Controller arbeiteten unabhängig von den Jungs im Kontrollzentrum und hatten einen eigenen Ermessensspielraum, denn sie befanden sich hier im Brennpunkt des Geschehens. Sie wirkten eher wie Techniker. Den LCC-Controllern oblag die Verantwortung für die ersten Sekunden des Flugs; sie waren diejenigen, welche die >Drecksarbeit< erledigen mußten, um die Rakete überhaupt hoch zu bekommen.

In einer solchen Atmosphäre fühlte Donnelly sich wohl. Kurze Zeit nach dem Apollo-N-Fiasko war er mit seiner Familie nach Florida gezogen, um hier einen beruflichen Neuanfang zu versuchen.

Die Befürchtung, daß von der gequirlten Scheiße etwas an ihm hängenbleiben würde, hatte sich leider bewahrheitet. Nun, er war kein Flugleiter mehr, das Indigo-Team war nur noch eine schlechte Erinnerung, und Donnellys Karriere würde wohl nie mehr im alten Glanz erstrahlen. Wenigstens stand er noch immer im Dienst der NASA.

Sie erreichten T minus fünf Minuten, und die Controller nahmen die letzten Überprüfungen an den Systemen vor, ehe die Automatik übernahm.

»Lenkung?«

»Alles klar.«

»EECOM?«

»Alles klar.«

»Booster?«

»Alles klar.«

»Retro?«

Damit war Donnelly gemeint.

Er schaute auf die Konsole. Sein Blick war getrübt. »Alles klar«, sagte er.

Jacqueline B. Kennedy-Raumfahrtzentrum

Helikopter flogen über die Startrampen hinweg. Muldoon wußte, daß es sich bei den Piloten um Bob Crippen und Fred Haise handelte, welche die Witterungsbedingungen für den Start erkundeten.

Bei T minus zehn Minuten durchlief der Countdown den letzten geplanten Haltepunkt. Danach gab es kein Halten mehr, und für Muldoon entwickelten die Ereignisse eine Dynamik, als ob er von einer Klippe stürzen würde.

Bei dreißig Sekunden erhob Muldoon sich mit den anderen vom Sitz und richtete den Blick auf die Saturn. Außer sporadischen Dampfschwaden aus den kryogenischen Tanks wirkte die Startrampe so statisch wie ein Werksgelände.

Für einen Moment war es still.

Dampfschwaden - aus dem Schalldämpfungs-Wassersystem - quollen aus beiden Seiten des Triebwerks. Muldoon sah, wie die Halterungen von der Rakete zum Turm zurückschwenkten. Start des Haupttriebwerks.

Dann eruptierte ein grelles weißes Licht an der Basis der Saturn.

Die Saturn erhob sich vom Boden und zog eine Schleppe aus weißem Rauch nach, die im Kern orangefarben glühte, als ob sie brennen würde. Das Triebwerk hatte Ähnlichkeit mit einem weißen Knochensplitter, der auf einem Wattebausch aus flüssigem, weißgelben Licht ritt. Dieses Licht, das Feuer der Feststoff-Booster, war von gleißender Helligkeit. Dies hier, die Brillanz des Raketenlichts, so sagte er sich, bekamen die Fernsehzuschauer nie zu Gesicht. In diesem Moment würden die Aufnahmen fürs Fernsehen nämlich gefiltert werden müssen, so daß das Raketenlicht abgeblendet wurde, der Himmel dunkelblau und der Rauch dunkelgrau erschienen.

Die Rakete kippte vornüber und stieg in einer steilen Kurve auf: das Nickmanöver war so abrupt, daß es fast den Anschein hatte, als ob die Rakete umkippte. Die Rauchsäule überragte den Startturm inzwischen um ein Vielfaches.

Die Saturn stieß durch eine vereinzelte Wolke, als ob ein Faden durchs Nadelöhr gefädelt würde. Die Oberfläche des Kanals kräuselte sich und reflektierte das gleißende Licht der Rakete.

Zehn Sekunden nach dem Start kam der Schall schließlich bei ihm an, und zwar in Form einer niederfrequenten Schwingung, die im Körper rumorte. Dann hörte er einen krachenden Donner, der in mehreren Schüben vom Himmel regnete: das waren die Schockwellen der Raketentriebwerke, gewaltige nonlineare Wellenformen, die zusammenfielen und sich dabei überlagerten. Durch diesen Baß hörte er, wie die Leute um ihn herum jubelten und in die Hände klatschten.

Vor ihm, als Silhouette im Raketenlicht, stieß JFK die Faust in die Höhe.

Muldoon spürte, daß eine gewaltige Energie freigesetzt wurde: als ob er an einem großen Wasserfall gestanden hätte. Nur daß diese Energie von Menschen erzeugt und beherrscht wurde. Ihn überkam ein Gefühl des Triumphs und des Überschwangs... gepaart mit großer Erleichterung.

Geschafft. Und nach diesem letzten Kraftakt, so sagte er sich morbide, würde er die Leber etwas anfeuchten. Er hatte seine Schuldigkeit getan. Keine Ziele mehr.

Die Saturn stieg in einer weiten Kurve gen Himmel. Die Rauchspur führte geradewegs in die Sonne. Muldoon war so geblendet, daß er die erste Stufe nicht mehr sah.

Die Sicht war verschwommen. Er weinte doch tatsächlich, verdammt noch mal. »Flieg, Baby!« rief er.

Merritt Island

Seger hatte mit seiner Schar Choräle angestimmt und Flugblätter mit der Information verteilt, wonach Ares Plutoniumbehälter für die SNAP-Generatoren ins All trüge. SANKT JOSEPH VON CUPERTINO IST DER SCHUTZHEILIGE DER ASTRONAUTEN. SCHLIESST EUCH UNS AN ZUM GEBET.

Doch die Menschen, welche die Straßen säumten, nahmen keine Notiz von ihnen. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, den Start der Rakete zu verfolgen.

Als das Licht der Saturn die Straße überflutete, brachen die Gemeindemitglieder den Choral ab und wandten den Blick gen Himmel.

Die deutlich erkennbare weiße Nadel erhob sich auf einem Feuerstrahl vom Boden. Zu hören war noch nichts.

Überwältigt fiel Seger auf die Knie. Es war der erste Start, den er seit Apollo-N beobachtet hatte. Er ließ die Pamphlete in den Staub fallen, und Tränen traten ihm in die Augen. Er sah, daß ein paar seiner Schäflein ihn verwundert anblickten, doch er wähnte sich wieder im MOCR.

Er wußte, daß er das MOCR im Grunde nie verlassen hatte und auch nie verlassen würde.

»Dies ist heiliger Boden«, sagte er. »Heiliger Boden.«

Kreischende Möwen kreisten über ihm. Sie ahnten nichts vom tödlichen Lärm, der auf sie zuflutete.

Jacqueline B. Kennedy-Raumfahrtzentrum

Muldoon blieb solange auf der Tribüne, bis die Nachricht durchkam, daß Ares den Orbit erreicht hatte. Als er vielleicht eine halbe Stunde nach dem Start zum Parkplatz vor dem VAB zurückging, wo eine Limousine auf ihn wartete, hing der Rauch noch immer am Himmel, eine von Menschenhand erschaffene, riesige Wolke, die sich langsam auflöste.

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