24. November 1963, 20:43 Majestic, Konferenzraum

Es war ein merkwürdiges Gefühl, nun Bach wieder gegenüberzusitzen und ausgerechnet in dem Raum, in dem er noch vor kurzem zusammen mit Albano den Film über Oswalds Hinrichtung angesehen hatte. Ein durchaus nicht angenehmes Gefühl. All das, was mich je mit Majestic verbunden hatte, war Illusion gewesen: die Illusion, dass ich an einer guten und großen Sache mitarbeitete, dem Kampf gegen unvorstellbar fremdes außerirdisches Leben, das sich am Effektivsten mit einer Geheimorganisation wie Majestic bekämpfen ließ. Mittlerweile hatte ich erkannt, wie falsch und gefährlich dieser Glaube war. Nur wenn die Menschheit die Wahrheit erkannte, würde sie auf lange Sicht mit der Gefahr aus dem All fertig werden. Männer wie Bach dagegen nutzten das Agentenspielchen nur, um ihre Macht zu stärken und einen Staat im Staate zu bilden.

»Ihr Alleingang ist vollkommen sinnlos«, sagte Bach ärgerlich, kaum das wir uns gesetzt hatten. »Dieses Spiel bringt niemandem etwas - nicht Ihnen, nicht dem Land, nicht dem Präsidenten.«

»Was für ein Spiel?«, fragte ich ärgerlich. »Das ist doch kein Spiel. Der Präsident ist tot.« Ich schüttelte wütend den Kopf. Egal, was ich jetzt sagte, ich würde mich sowieso um Kopf und Kragen reden. Und wenn das so war, wollte ich wenigstens wissen, was genau hier passiert war und welche weiteren Schritte Bach plante. »Sind Sie in die Sache verwickelt, Frank?«

»In welche Sache?«, fragte Bach ungewohnt rasch und legte das Feuerzeug beiseite, mit dem er sich eine Zigarette angezündet hatte. »Mein Land und die Menschheit vor einer unglaublichen Bedrohung zu beschützen? Gegen dummdreiste Regierungsstellen anzukämpfen, die überhaupt nicht begreifen, worum es geht? Bornierten Hornochsen klarzumachen, dass sie die Gelder für Majestic nicht streichen dürfen?« Er lehnte sich zurück und gestattete sich den Luxus eines Lächelns. »Natürlich bin ich darin verwickelt. Aber Sie müssen sich ja in alles einmischen. Sie mussten ja unbedingt den weißen Ritter spielen, der gegen die Windmühlenflügel der Bürokratie kämpft, Mister Don Quijote. Sie haben alles durcheinander gebracht.«

»Na und? Ich habe nur getan, was getan werden musste. Der Präsident hatte schließlich das Recht zu wissen, was vorgeht. Die ganze Menschheit hat das Recht zu wissen, was vorgeht. Es ist Ihre Geheimniskrämerei, die den Präsidenten umgebracht hat.«

»Sie gehen entschieden zu weit, Loengard«, sagte Bach kalt. »Es liegt nicht an Ihnen zu entscheiden, wer was wissen darf. Sie haben den Stein ins Rollen gebracht, der letztlich zu Kennedys Ermordung führte...«

»Das ist doch Quatsch.« Ich sprang von meinem Stuhl auf und ging ein paar Schritte hin und her. Bachs Augen folgten mir wie die einer Schlange - aufmerksam, wachsam, aber ohne jede Spur von Gefühl. »Ich habe überhaupt keinen Stein ins Rollen gebracht. Die Gerölllawine wäre auch ohne mich den Abhang hinuntergesaust.«

»Ach ja, wäre Sie das?«, fragte Bach höhnisch.

»Aber sicher«, beharrte ich. Ich blieb ein paar Schritte vor ihm stehen, wie ein Staatsanwalt vor der Jury, wenn er sein großes Plädoyer hält. »Wenn ihn etwas umgebracht hat, dann war es Ihre Geheimniskrämerei«, fuhr ich fort. »Verdeckte Operationen, Tarnfirmen, Agenten mit der Lizenz zum Töten, alles, was Sie während der letzten sechzehn Jahre unter Verschluss gehalten haben.« Ich deutete mit dem Finger auf ihn. »Wissen Sie, was Ihr größtes Problem ist, Frank? Sie vertrauen absolut niemandem, vielleicht nicht einmal sich selbst.«

Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und blies den Rauch in meine Richtung. »Ich habe Ihnen vertraut, John«, behauptete er.

»Blödsinn«, sagte ich ungerührt. »Sie haben mich benutzt und manipuliert und mich für ein oder zwei Bauernopfer aufgebaut. Erzählen Sie mir nichts von Vertrauen.« Ich ging ein paar Schritte zurück und wandte mich ihm dann wieder zu. »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt. Wenn Sie für die Menschheit kämpfen, Frank, dann sollten Sie ein wenig mehr Vertrauen zu uns haben. Was hält Sie eigentlich in Gang? Woher nehmen Sie die Kraft weiterzumachen, wenn Sie weder an uns noch an sich selbst glauben können?«

Bach inhalierte einen weiteren tiefen Zug und die Furchen in seinem Gesicht schienen plötzlich tiefer zu werden. »Am Ende des Glaubens«, sagte er nach einer Weile, »findet sich die Furcht.«

Das nahm mir den Wind aus den Segeln. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob diese Antwort ein Stück des wahren Frank Bach offenbarte oder nur eine weitere Übung in praktizierter Desinformation war, um mich in die ihm genehme Richtung zu lenken.

»Haben Sie deshalb das Bruchstück aus diesem Wrack um den Hals getragen, all die Jahre lang?«, wollte ich wissen.

»Bruchstück von einem UFO-Wrack?«, fragte Bach mit abfällig heruntergezogenen Mundwinkeln. »Ist es das, wofür Sie es halten?«

»Selbstverständlich«, sagte ich fest. »Ich weiß Bescheid. Ich weiß mittlerweile sogar ziemlich genau, was vor sechzehn Jahren passiert ist.«

»Ach ja, wissen Sie das?«, fragte Bach ohne jede Spur von Humor. »Wie naiv sind Sie eigentlich, Loengard? Sie haben das Artefakt doch in den Händen gehalten. Sieht es vielleicht aus wie das Bruchstück einer Caravelle? Oder wie das eines Mustang-Jagdfliegers? Sieht es nicht ganz anders aus als alles, was man mit dem Wrack eines wie auch immer gearteten Flugobjekts in Verbindung bringt?«

»Selbstverständlich sieht es anders aus«, sagte ich. »Die Ganglien sehen ja auch anders aus als die kleinen grünen Männchen auf den Covertiteln der Science-Fiction-Magazine. Es würde mich sogar komplett überraschen, wenn ein Teil aus dem Wrack eines UFOs irgendwelche Ähnlichkeiten mit irgendetwas mir Bekanntem hätte.«

»Die Eigenständigkeit des Objekts hat Sie nicht stutzig gemacht?«, fragte Bach lauernd.

»Doch...« Ich runzelte die Stirn. Selbstverständlich hatte es das, aber ich wusste dennoch nicht, worauf Bach hinauswollte. »Es kann ja auch sein, dass es nicht aus der Außenhülle stammt, sondern beispielsweise - eine Art Karte war für die Piloten.«

»Eine Karte für die Piloten?« Bach lächelte geringschätzig. »Das ist kompletter Unsinn.«

»Ach ja?«, sagte ich. »Ist es dann vielleicht auch kompletter Unsinn, dass Sie und Ihresgleichen das UFO kaltblütig abgeschossen haben?«

Während ich den Satz aussprach, wusste ich bereits, dass ich einen Fehler machte. Es war doch ganz offensichtlich, warum Bach mich in dieses Gespräch hineingezogen hatte: Er wollte wissen, was Kim, Ray und ich bislang in Erfahrung gebracht hatten. Und darüber hinaus musste es für ihn brennend wichtig sein herauszubekommen, ob und wo wir mit unserem Wissen bereits hausieren gegangen waren. »Das war kein Wetterballon, der bei Roswell niedergegangen ist«, fuhr ich in dem Bestreben fort, ihn so weit wie möglich zu provozieren. »Es war nicht einmal die Bruchlandung eines UFOs. Sie kamen in Frieden, um mit uns zu reden. Und Sie haben sie einfach aus dem Himmel geholt, mit einer Flaksalve, so wie die Deutschen unsere Bomber vom Himmel gefegt haben.«

Bachs Reaktion war ganz anders, als ich erwartet hatte. Seine Mundwinkel glitten leicht nach oben, weder spöttisch noch belustigt, und dann nickte er ganz leicht. »Ja«, sagte er einfach. »So kann man es natürlich sehen. Und so würden es auch viele sehen, wenn wir so leichtsinnig wären, die Ereignisse von Roswell unzensiert zu veröffentlichen. Und genau das ist der Grund, warum wir es nicht tun.«

»Das ist doch Quatsch«, sagte ich heftig. »Sie haben sie abgeschossen und daraufhin haben sie uns den Krieg erklärt.«

Jetzt schüttelte Bach nur ganz leicht den Kopf und es war so viel Resignation in dieser Bewegung, dass ich unwillkürlich zögerte, die nächsten Anklagepunkte hervorzubringen. Bach nahm die Zigarette, die er auf dem Aschenbecher abgelegt hatte, in die Hand, betrachtete sie einen Moment gedankenverloren und nahm dann einen tiefen Zug.

Ich stand immer noch mit leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper vor ihm, in einer Haltung, die überhaupt nicht mehr zu der Situation passte. »Okay, Frank«, sagte ich und ließ mich ihm gegenüber in einem der schwarzen Konferenzstühle nieder. Es war eine merkwürdige Situation - diese Mischung zwischen Verhör und fast freundschaftlichem Schlagabtausch, bei dem die Machtverhältnisse allerdings genauso klar definiert waren wie bei einem Gespräch zwischen einem Novizen und einem Abt in einem buddhistischen Kloster. Und dennoch: In mir brannte die Neugierde und ich wollte unbedingt wissen, was nun wirklich passiert war.

»Warum lassen wir nicht das ganze Spiel, Frank?«, fragte ich. »Warum erzählen Sie mir nicht einfach Ihre Version der Ereignisse von Roswell?«

Bach hatte den Kopf leicht zurückgelegt und paffte an seiner Zigarette; der helle Rauch zog in Richtung Klimaanlage und machte mir einmal mehr klar, dass Majestic viele Fuß tief unter die Erde eingegraben lag, ein ausgedehntes Bunkersystem, das wahrscheinlich sogar einem direkten Atombombentreffer standhalten würde. Es war sicherlich kein Zufall, dass Bach sich wie ein Maulwurf in die Erde gebuddelt hatte - das kam seinem Instinkt entgegen, alles zu verbergen und so gut wie möglich zu sichern. Ich bezweifelte allerdings, dass er während der Planung von Majestic auf den Gedanken gekommen war, der Feind könne sich einen viel hinterhältigeren Weg einfallen lassen, um in Majestic einzudringen: Den von Ganglien zerfressenen Steel hatten weder die meterdicken Betonmauern noch die speziell abgeschotteten Sicherheitsbereiche aufhalten können.

Ein paar Sekunden lang herrschte absolutes Schweigen. »Ich wüsste nicht, inwieweit uns das weiterbringen sollte«, sagte er schließlich.

»Weil wir letztlich nicht Feinde sind, sondern Verbündete«, sagte ich ärgerlich. »Und weil es sein kann, dass wir durch das Zusammenlegen unserer Informationen auf neue Erkenntnisse stoßen. Denken Sie nur an Steel, da kam der entscheidende Hinweis schließlich auch von mir.«

»Hm«, machte er und blies einen Rauchring zur Decke. Es gelang ihm nicht ganz, aber er war auch nicht mit dem Herzen bei der Sache. Er senkte den Kopf und starrte mich an, wie ein Lehrer, der mit einem besonders uneinsichtigen Schüler konfrontiert war. Ich dachte an die Ganglien, die ganzen widerwärtigen Einzelheiten und an meine erste Reaktion auf den toten Grauen, der seit Jahren in einem Kühlfach zwei Stockwerke tiefer lag. Ich erinnerte mich daran, dass Steel in die Ermordung Kennedys verwickelt gewesen war, getrieben von einer grausam intelligenten Kraft, die auch schon andere Menschen vor ihm zu furchtbaren Handlungen angetrieben hatte: der mordlüsterne Farmer Elliot P. Brandon etwa, der mich mit seinem Truck fast dem Erdboden gleichgemacht hatte. All das stand im scharfen Kontrast zu der Schönheit des durchscheinenden dreieckigen Artefakts, das ich zuletzt im Beisein Jesse Marcels bewundert hatte, als sich das grelle Licht der Sommersonne in einer kreisförmigen Welle auf der folienähnlichen Oberfläche gebrochen und die Illusion von Erhabenheit und Frieden vermittelt hatte.

»Sie sind sehr naiv, John«, wiederholte Bach, als hätte er meine Gedanken erraten.

»Kann schon sein«, entgegnete ich ruhig. »Aber darauf kommt es jetzt wirklich nicht an, Frank. Wollen Sie mir jetzt nicht endlich erzählen, was in Roswell wirklich passiert ist?«

Er nahm einen letzten langen Zug und drückte den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus; der kalte Rauch stieg mir unangenehm in die Nase. »Sie meinen, Sie wollen meine Version hören?«, erkundigte er sich dann mit perfekt gespielter Höflichkeit. »Oder die Wahrheit?«

»Was immer Sie zum Besten geben wollen«, antwortete ich kurz.

Bach nickte ungerührt. »Sie haben mit Jesse gesprochen, nicht wahr?«

Der Name löste in mir eine unangenehme Erinnerung aus; Bachs Leute hatten den ehemaligen Öffentlichkeitsbeauftragten von Roswell schon im Hotel TEXAS in ihre Gewalt gebracht und das, bevor ich von ihm die ganze Geschichte in Erfahrung bringen konnte. »Was haben Sie mit ihm gemacht?«, fragte ich stirnrunzelnd, gleichermaßen um das Schicksal des schmächtigen Mannes besorgt wie auch begierig darauf, die letzten fehlenden Puzzlestücke der Roswell-Geschichte zu erfahren.

»Jesse Marcel.« Bach lachte kurz und freudlos. »Ein Mann, der sechzehn Jahre lang daran gearbeitet hat, sich im Selbstversuch ein Rückgrat wachsen zu lassen. Sie werden ja seine Geschichten gehört haben, Loengard. Alles, was er zu Stande gebracht hat, ist ein Korsett aus Verschwörungstheorien und wilden Spekulationen. Das hält ihn aufrecht, das und ein klares Feindbild.«

»Hat er Unrecht?«

Bach ignorierte den Einwurf. »Jesse und ich sind alte Bekannte. Ich habe miterlebt, wie er die Öffentlichkeitsarbeit nach dem Roswell-Vorfall verpfuscht hat. Ich bin die Mauer, an der er sich aufrecht hält. Wenn man ihm sein Korsett wegnehmen würde, würde er einknicken und in sich zusammenfallen, als hätte man die Luft aus ihm herausgelassen.«

»Ich bin erstaunt«, sagte ich in die entstehende Pause hinein. »Ein Gefühlsausbruch?«

Bach verzog keine Miene. »Sie sind auf dem besten Wege, wie er zu werden«, erklärte er nüchtern. »Jesse würde auch dann die Wahrheit nicht erkennen, wenn man sie ihm in großen Leuchtbuchstaben vor die Nase halten würde. Wie steht es mit Ihnen?«

»Das werden Sie gleich erleben«, parierte ich. Er honorierte es mit einem anerkennenden Kopfnicken.

»Sie haben tatsächlich mit uns geredet«, sagte er nach einer längeren Pause. Der Rauchschleier in der Luft hatte sich aufgelöst. Ich konnte das summende Geräusch der Lüftungsanlage hören, solange seine gleichmäßige Stimme sie nicht übertönte. »Sie schickten einen einzelnen Abgesandten, nicht viel größer als ein halbwüchsiges Kind.« Er verzog das Gesicht zu einem Ausdruck des Unwillens. »Falls Sie denken, der Tote da unten sei kein schöner Anblick, lassen Sie mich Ihnen versichern, dass der Lebende kaum weniger einnehmend aussah. Die großen, durchgehend schwarzen Augen bieten dem Blick keinen Anhaltspunkt und die Haut sieht aus wie die einer Schlange, die sich gerade gehäutet hat.« Er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. »Ja, so war es, Schlangenhaut, die jemand über einen Haufen Knochen gespannt hat. Da waren Membranen an seinem Kopf, hinter denen der menschliche Blick Schädelknochen erwartete, und dennoch bewegten sie sich, wenn das Ding atmete. Das ganze war so fremdartig, dass ich überhaupt nichts damit anzufangen wusste. Ich glaube, den anderen erging es nicht anders.«

»Truman?«

Er würdigte mich nicht einmal eines Blickes. »Ich denke, jeder in dem Zelt fühlte sich damals heillos überfordert. Es gab keine Vorschriften, keine Pläne, keine Empfehlungen. Niemand hatte je zuvor über eine solche Situation nachgedacht, nicht damals. Schon unsere ganzen Vorbereitungen waren ein einziges Durcheinander gewesen. Es war einfach beängstigend. Eine einzige Funkbotschaft und sowohl Regierung als auch Militärapparat hatten sich in ein einziges Chaos verwandelt.« Er lachte leise, ein ganz anderes Lachen, als ich es jemals zuvor von ihm gehört hatte. »Falls Sie einmal in eine ähnliche Situation kommen sollten, dann nehmen Sie sich die Zeit, die Gesichter der Umstehenden genau zu betrachten. Ich habe damals gelernt, dass auch die mächtigsten Männer der Welt vergessen, den Mund zuzumachen, wenn man es schafft, sie zu überrumpeln.« Sein Gesicht wurde übergangslos wieder ernst. »Und überrumpelt haben sie uns, bei Gott.«

»Was ist passiert?«, fragte ich langsam.

»Ihr Abgesandter hat diese Folie in der Luft vor uns ausgebreitet und sie ist langsam auf Präsident Truman zugesegelt und vor ihm auf dem Tisch niedergegangen, sanft wie ein Blatt und zielsicher wie ein ferngesteuertes Modellflugzeug. Er sprach kein Wort, während der ganzen Zeit nicht. Er machte nur eine Geste, mit der er Truman bedeutete, das dreieckige Blatt mit zwei Fingern zu berühren.« Bach tippte mit Zeigefinger und Mittelfinger auf den Tisch, um es mir zu verdeutlichen. Es erinnerte an die Hand des Grauen, die ebenfalls zwei Finger hatte und zwei kleine Daumen darunter. »Roscoe Hillenkoetter hatte es als Erster von uns begriffen, der alte Mistkerl«, erklärte Bach in widerwilliger Anerkennung. »Einer von Trumans Beratern musste natürlich davon abraten. Politiker und Soldaten... es ist immer wieder dieselbe Geschichte.«

»Hat er es getan?«

»Natürlich hat er«, antwortete Bach. »Harry Truman war ein Hurensohn, aber was immer er sonst für Schwächen hatte, er wusste genau, wann er keine Wahl hatte. Er wusste, dass die Reihe an ihm war. Als nichts geschah, stand er auf und murmelte etwas davon, dass er wie ein Idiot aussähe. Im selben Moment bewegte sich die Folie unter seinen Fingern, gerade so wie eine Wasseroberfläche, und er zuckte zurück.« Bach deutete ein Lächeln an. »Er hielt sich gut, das muss ich ihm lassen. Ein zäher alter Mann.« Er musterte mich und jeder Humor war aus seinen Zügen verschwunden. »Die Folie oder was immer es war, sie hatte zu ihm gesprochen. Er sagte, er hätte eine Stimme gehört, nicht mit den Ohren, sondern im Kopf. Er hatte sogar verstanden, was sie sagte.« Er tippte noch einmal mit den beiden Fingern auf den polierten Tisch, wiederholte die Geste. »Sie verlangten unsere bedingungslose Kapitulation.«

Ich schüttelte stumm den Kopf. Alles zusammengenommen ergaben seine Worte einen Sinn und, alles zusammengenommen, war seine Geschichte noch schlimmer, als ich befürchtet hatte.

»Sie gaben uns eine Stunde - zumindest hatte der Präsident sie so verstanden. Der größte Teil davon wurde in endlosen Diskussionen vergeudet. Der Abgesandte stand die ganze Zeit regungslos in dem anderen Zelt und wartete. Forrestal und die anderen redeten von Verhandlungen und günstigen Bedingungen.« Jetzt war sein Tonfall offen verächtlich geworden. »Der Präsident konnte reden, so viel er wollte, sie ignorierten es einfach, bis ihm der Geduldsfaden riss. Er erklärte uns, dass er nicht der erste Präsident der Vereinigten Staaten sein wolle, der eine Kapitulationsurkunde unterschriebe, aber er wolle auch keinen Krieg auf unserem eigenen Grund und Boden verlieren.«

Bach richtete sich auf und betrachtete seine Hand, die eben noch den zweifingrigen Griff des Abgesandten nachgeahmt hatte, mit einem Ausdruck irgendwo zwischen Verwunderung und Missfallen. »Das war der Moment, in dem ich meinen Mund nicht mehr halten konnte«, bekannte er. »Ich sagte dem Präsidenten, dass es keinen Krieg geben würde.«

»Nun, da haben Sie sich wohl geirrt«, platzte ich heraus.

»Denken Sie nach«, rügte Bach mich milde. »Denken Sie an den Zweiten Weltkrieg. Haben die Nazis irgendetwas entwickelt, was sie nicht gegen uns eingesetzt hätten?«

Ich schüttelte den Kopf, als klar wurde, dass er auf einer Antwort bestehen würde.

»Wir haben die Atombombe entwickelt«, sagte Bach. »Haben wir sie eingesetzt?«

»Ja«, sagte ich mit trockenem Mund.

»Ganz recht.« Bach schürzte die Lippen. »Natürlich haben wir sie eingesetzt, hat Truman gesagt. Wir haben es sogar zweimal getan. Wir haben alle eingesetzt, die wir hatten. Ich denke, dass er sofort begriffen hatte, was ich sagen wollte, aber er wollte es nicht selbst aussprechen. Also habe ich es getan.«

Ich hatte endlich verstanden. »Ein Bluff!«

»Das waren meine Worte. Sie bluffen, habe ich Truman gesagt. Einem Ultimatum geht immer eine Machtdemonstration voraus, nicht umgekehrt. Diese Kreaturen hatten uns ein beeindruckendes Fluggerät und ein wenig Hokuspokus gezeigt, nicht mehr. Ich behauptete, dass sie nicht mehr hätten als das, was sie uns gezeigt hatten. Ich setzte meine ganze Karriere darauf und mein Leben.«

»Einiges mehr als das«, sagte ich tonlos.

Bach lachte wieder dieses seltsame Lachen. »Ja, das ist wohl richtig. Wie der Präsident es ausdrückte: Wir waren im Begriff, die gesamte Menschheit darauf zu verwetten. Auf das Wort eines einzelnen Lieutenant-Commander.« Er warf mir einen Blick zu. »Natürlich war es nicht meine Entscheidung. Truman hat die Münze geworfen. Aber ich hätte genauso entschieden.«

»Er hat befohlen, sie abzuschießen«, stellte ich fest.

»Es war eine knappe Sache. Die eine Stunde war fast abgelaufen. Sie müssen etwas gemerkt haben, denn das Raumschiff setzte sich schon in Bewegung, als wir gerade erst damit begonnen hatten, den Platz zu evakuieren. Die dritte Salve hat sie dann über den Hügeln doch noch erwischt.« Er lehnte sich zurück und zog wieder die Zigarettenschachtel hervor. »In derselben Nacht hat Harry Truman mich damit beauftragt, die Reste aufzusammeln. Falls wir es überleben, waren seine Worte.«

Ich musterte ihn abschätzig. »Die Geburtsstunde von Majestic.«

»Man hat mich abkommandiert«, nickte Bach. »Es war meine Pflicht. Und ich habe Recht behalten.«

»Haben Sie das wirklich?«, fragte ich ruhig. »Oder hat es nur ein wenig länger gedauert als erwartet, bis uns die Rechnung für diese Entscheidung präsentiert wurde?«

»Sehen Sie sich die letzten sechzehn Jahre an«, forderte mich Bach gelassen auf, während er unentschlossen die Zigarettenschachtel in der Hand drehte. »Sie haben keine Waffen, keine Soldaten, keine Armeen.«

»Sie machen uns zu ihrer Armee und nutzen unsere Waffen«, erwiderte ich. »Sehen Sie den Tatsachen ins Auge. Sie machen uns mit einem implantierten Ganglion zu ihrem Werkzeug, einen nach dem anderen.«

»Leute wie Elliot Brandon oder Ihre Freundin?«, fragte Bach verächtlich.

Ich zuckte nicht mit der Wimper. »Denken Sie an Dallas«, sagte ich nur. »Denken Sie an Steel, verdammt. Er wusste, wovon er sprach. Das hier ist wirklich erst der Anfang.«

Seine Finger stoppten das zerstreute Spiel mit der Zigarettenschachtel. »Sie haben sich sechzehn Jahre Zeit gelassen«, wandte er ohne Überzeugung ein.

»Dann sollten wir davon ausgehen, dass sie jetzt umso besser vorbereitet sind.«

Er verzichtete auf eine Entgegnung. Er wusste, dass ich Recht hatte, und er hatte keine Bedenken, es sich anmerken zu lassen. Er konnte eine Auseinandersetzung mit mir jederzeit zu seinen Gunsten entscheiden, wenn er seine eigenen Ansichten und Bewertungen von einem Moment auf den anderen änderte. Schließlich saß er am Drücker und nicht ich.

»Warum erzählen Sie mir das alles?«, fragte ich ihn neugierig.

»Ich muss mich über Sie wundern«, sagte er in einem Tonfall puren Sarkasmus’. »Haben Sie mir nicht eben noch lang und breit erklärt, ich sollte mehr Vertrauen haben zur Menschheit im Allgemeinen und John Loengard im Besonderen?«

»Machen Sie sich ruhig darüber lustig.« Stumm sah ich zu, wie er sich eine weitere Zigarette nahm. Ich bekam langsam Kopfschmerzen von dem Zigarettenrauch. Vielleicht rauchte Bach nur so viel, weil er damit Widersacher im wahrsten Sinne des Wortes einnebeln konnte, während er sich selbst mit Nikotin und heißer Luft aufputschte. »Was ist aus dem Abgesandten geworden?«, erkundigte ich mich.

Diesmal verweigerte er die Antwort. Natürlich, dachte ich. Es war Teil seines Spieles, wie schon zuvor. Ich hatte mich ungezogen gezeigt und war weiterer Informationen nicht würdig.

Und dennoch, ganz gleich, wie unzugänglich er sich gab und wie ätzend er sich auch äußern mochte, es war ein weiterer Widerspruch, eine weitere Unstimmigkeit in seiner ganz persönlichen Fassade, die in den letzten anderthalb Jahrzehnten nicht nur ihn, sondern auch ganz Majestic geprägt hatte. Vielleicht hatte er ja schon als Kind mit diesem Spiel begonnen... vielleicht konnte er schon selbst nicht mehr unterscheiden, was eine echte Regung war und was nur eine der vielen Masken, die er sich zugelegt hatte.

Er hatte nicht einfach sechzehn Jahre lang irgendein beliebiges Andenken um den Hals getragen. Ich hatte nie so recht verstanden, weshalb er das Risiko überhaupt eingegangen war, und es passte ganz und gar nicht zu dem Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte. Frank Bach war ein Profi, kein Schwachkopf, der sich auf einer Absturzstelle bückte und ein Souvenir mitgehen ließ. Er war nicht eitel genug dafür und zugleich ging seine Eitelkeit weit darüber hinaus, in einem Ausmaß, das mich schwindelig machte. Eine fremde Spezies war über den Abgrund zwischen den Sternen zur Erde gekommen und hatte der mächtigsten Nation ein Ultimatum gestellt und er hatte es zurückgewiesen. Nicht Truman, nicht der Sicherheitsrat, er war die treibende Kraft hinter der Entscheidung gewesen.

Und danach hatte er die Folie mit dem Ultimatum an sich genommen und sechzehn Jahre mit sich herumgetragen, als Erinnerung an diesen Tag und zur Mahnung an das, was er von diesem Tag an als seine Aufgabe verstanden hatte. Da saß er, äußerlich unberührt, und zog genießerisch an seiner Zigarette: Frank Bach, ein einzelner Mann, der sich selbst die Last der ganzen Welt um seinen Hals gelegt hatte. Ich fragte mich nur, ob er sich überhaupt darum scherte, was in den Majestic-Akten verzeichnet wurde, oder ob es ihm einzig und allein darum ging, die Fäden in der Hand zu halten.

Vielleicht nicht. Vielleicht war das der Schlüssel zu seinem widersprüchlichen Verhalten mir gegenüber. Ich fragte mich, was er eigentlich in mir gesehen hatte und was er jetzt in mir sah. Ich dachte an Steel und fragte mich, was er wohl in seinem anderen missratenen Ziehsohn gesehen hatte.

»Reden wir über Steel«, sagte ich in einem Versuch, seine Verteidigung zu umgehen.

»Steel?«, erkundigte sich Bach in einem Schwall von Tabakrauch.

»Wie lange war er schon infiziert?«

»Sagen Sie es mir.«

»Ich habe keine Ahnung«, gab ich zu, »und Sie offenbar auch nicht.« Er machte sich nicht die Mühe, es abzustreiten.

Vielleicht wusste er es wirklich nicht. »Wie ich es auch drehe und wende, es ergibt einfach keinen Sinn. Wenn man Steel schon ein Ganglion implantiert hatte, als wir Brandon in Idaho aufgriffen, warum hat er uns dann damals nicht erledigt?«

Bachs Interesse war geweckt. Er zuckte die Achseln. »Die Infiltration von Majestic ist mehr wert als ein Dutzend Brandons, vermute ich.«

»Durch Brandon sind wir erst darauf gekommen, dass es so etwas wie eine Infiltration überhaupt gibt, oder?«

Das trug mir einen weiteren dieser gelassenen, undeutbaren Blicke ein, die ich zu hassen gelernt hatte.

»Wir vermuten, dass Brandon eine Nachricht war«, sagte Bach.

»Eine Nachricht?«, wiederholte ich verständnislos.

»An uns«, erklärte Bach. »Wie ich schon sagte, ein Ultimatum folgt gewöhnlich einer Demonstration.«

Es ergab einen Sinn. »Wenn Steel damals schon hive war, wieso hat das Ganglion aus Brandon ausgerechnet ihn angefallen?«

»Ein einzelnes Ganglion nach einer ART, verletzt und ohne Wirt, ist vermutlich nicht intelligenter als eine Ratte«, sagte Bach geringschätzig. »Jedes Tier flüchtet dorthin, wo es auf ein Willkommen hoffen kann.«

»Und Steel hat sich gewehrt, weil sein Ganglion noch bei Verstand war?« Ich dachte darüber nach. »Was, wenn Steel erst an diesem Tag infiziert worden ist? Ein kleiner Stich, ein abgebissenes oder von selbst abgeschnürtes Stück vom Ganglion, das er während des Kampfes verschluckt hat, ohne es zu merken.«

Bach nickte nach einem Moment. »Möglich«, sagte er.

Ich lehnte mich gegen den Tisch und starrte ihn aus der Nähe an, damit mir keine Einzelheit seiner Reaktion entgehen konnte. »Wussten Sie vielleicht schon vor Dallas, dass er befallen war?«

Bach lachte. Es war sein kontrolliertes, unechtes Lachen. »Sie überschätzen mich«, sagte er.

Ich ignorierte ihn. Die Vergangenheit schien mich plötzlich wieder eingeholt zu haben. Brandons Farm, der Kampf gegen den befallenen Farmer, der mich erbarmungslos über seine Felder gejagt hatte wie ein Psychopath; diese entsetzliche Todesangst, als er mich fast erwischt hatte und mich Bachs Männer im letzten Moment befreit hatten, die Erkenntnis, dass dem Farmer weitaus Schlimmeres zugestoßen war als nur eine geistige Verwirrtheit, die Gewissheit, dass dort irgendetwas in ihm wucherte, das ihn innerlich aushöhlte, gefangen nahm, zu einer menschlichen Hülle ohne eigenen Willen werden ließ. Vor allem die Obduktion Brandons, die von Hertzog mit ruhiger Hand durchgeführt wurde, während ich, gegen meinen Brechreiz kämpfend, zusah, wie der Leichnam des Farmers regelrecht ausgeweidet wurde... und sich dann irgendetwas in seinem Kopf bewegte, nach außen drängte mit zuckenden, widerwärtigen Bewegungen. Nie in meinem Leben werde ich diese entsetzliche Szene vergessen, als der ausgeweidete Leichnam plötzlich zu pulsierendem Leben erwachte, als sich die Finger des toten Farmers um Hertzogs Hals schlossen und ihm erbarmungslos die Luft abschnürten. Mein Gott, was waren das nur für Kräfte, gegen die wir kämpften, jeder auf seine Weise?

»Hertzog hat damals dem Schimpansen nur eine kleine Menge Gewebe injiziert«, erinnerte ich mich laut. Das Gewebe hatte er diesem Ding entnommen, das von Brandons Gehirn Besitz ergriffen hatte, dem Ding, das Bach schon zuvor Ganglion getauft hatte - von dem er damals allerdings behauptet hatte, bis zu Brandons Obduktion nur tote Exemplare entdeckt zu haben. Mittlerweile war ich da alles andere als sicher. Bach würde mir auch glaubhaft zu versichern versuchen, dass Kennedys Ermordung lediglich die Tat eines verwirrten Einzeltäters gewesen sei, wenn er sich ausrechnete, damit durchzukommen. Die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge schien für ihn gar nicht zu existieren; Machiavellis berühmt-berüchtigter Spruch, dass der Zweck die Mittel heilige, schien geradezu auf ihn zugeschnitten zu sein.

Als Bach nicht antwortete, hakte ich nach: »Das war kein Stück eines Beines, kein intaktes Ganglion, nur ein Haufen Zellen in einer wässrigen Lösung. Richtig?« Dabei hatte ich plastisch das Bild des Schimpansen vor mir, dem Hertzog diese Lösung injiziert hatte, ein Wesen, das seinerzeit mein Gespräch mit meinen damaligen Kollegen mit Blicken verfolgt hatte, als würde er jedes Wort verstehen. Vielleicht war es auch so. Vielleicht hatte dieses... Etwas, dieses in dem Affen heranwachsende Ganglion auch nur gespürt, was um es herum vorging. Im Grunde genommen war es aber vollkommen gleichgültig. Tatsache war jedenfalls, dass es viel gefährlicher war, als ich seinerzeit vermutet hatte.

Aber das war im Moment fast unwichtig. Denn mit der Erinnerung kam die Angst. Die Angst um Kim, in der sich noch immer ein Rest des Ganglions eingegraben hatte, ganz offensichtlich, denn sonst hätte sie nicht die Nähe ihrer... Artgenossen spüren können.

Es dauerte ein paar Sekunden, bevor Bach meine Frage mit einem Nicken belohnte. Ich bezweifelte plötzlich, dass ich in dieser Sache jemals mehr an Antwort von ihm erhalten würde als dieses einzelne, genau bemessene Kopfnicken. Alles, was er sagte, wenn er der Welt diesen starren Gesichtsausdruck zeigte, pflegten Gegenfragen, allgemeine Behauptungen, Ausweichmanöver oder glatte Lügen zu sein. Vielleicht ging ihm das Thema wirklich nahe und wenn es so war, dann wollte ich verdammt sein, ehe ich davon abließ und von ihm.

»Hat er jemals untersucht, ob eine Infektion auch über die Luft möglich ist?« Ich erkannte seinen spöttischen Blick als die Erwiderung und hob die Hände. »In Ordnung. Keine Antwort.«

»Sie wollten aussteigen«, erinnerte er mich trocken.

»Sie wollen mich nicht gehen lassen«, erwiderte ich kurz angebunden.

Bach nickte erneut, zweimal. »Sieht so aus, als hätten Sie einen Fehler gemacht. Sie sind nicht Fisch noch Fleisch, John. Sie sind nicht mehr drin, aber Sie kommen auch nie wieder raus. Ich hatte Sie gewarnt.«

»Wo wir gerade von Aussteigen reden«, sagte ich, seinem unvermittelten Angriff ausweichend, »was ist eigentlich aus Doktor Hertzog geworden?«

»Carl hatte womöglich Heimweh«, sagte Bach nachdenklich. Ich fragte mich, warum es wie eine Drohung klang. Es war wieder eine von diesen Antworten, mit denen Bach seine Gegner zu verhöhnen pflegte. Es war gerade so, als müsse er sich und ihnen beweisen, dass sie ihm nicht gewachsen waren.

»Hertzog ist ein erstaunlicher Bursche«, fuhr Bach fort. »Er fand heraus, dass die Ganglien Ähnlichkeiten mit einer bestimmten Art von Schleimpilzen aufweisen.«

»Mit was?«, fragte ich irritiert. Das ganze Gespräch begann eine Richtung zu nehmen, die mir ganz und gar nicht gefiel. Meine Vermutung, dass es ihm nur darum ging herauszubekommen, wie viel wir wussten und wie viel wir ausgequatscht hatten, löste sich langsam in Luft auf. Was wollte er wirklich von mir? Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich vermutet, dass er Zeit gewinnen wollte. Doch wozu? Um Kimberley erneut einer ART zu unterziehen oder sie sonst wie zu drangsalieren?

»Dictyostelium ist ein Schleimpilz.« Bach spitzte die Lippen. »Acrasiomycota«, sagte er betont. »Ich habe dreimal nachfragen müssen. Etwas ganz Besonderes, nicht Vielzeller, nicht Einzeller, sondern beides. Kann sich aus einzelnen Zellen zusammenfügen und eine Art Organismus bilden und dann einfach wieder zerfallen. Jede Zelle trägt das vollständige Programm, wie eine Samenzelle. Hertzog sagt, ein Ganglion ist auch so etwas... ein Aggregationsplasmodium. Ganglien können sich auflösen, sich vollständig im Körper verbergen und dann wieder zusammenkommen. Sie nisten nicht nur in der Kehle oder im Hirnstamm, sie durchsetzen den gesamten Körper wie ein Pilz, mit feinen Myzelien bis in die Zehen und Fingerspitzen. Sie wuchern an der Amygdala und durchdringen das gesamte Stammhirn. Das ist so, als wenn man ein zweites Nervensystem hätte. Hertzog glaubt, wenn wir den pH-Wert des Blutes verändern und diesen ganzen Voodoo-Zauber vollziehen, den wir so hochtrabend ART nennen, dann lösen wir nur eine automatische Reaktion der einzelnen Zellen aus und das Ganglion fügt sich zusammen.«

»Eine automatische Reaktion?«, wiederholte ich verständnislos. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Was hatten Schleimpilze mit Kim zu tun? Das Ganglion, das Kimberley befallen hatte, hatte Hertzog zwar mit seiner ART aus ihr herausgewürgt. Aber es steckte noch irgendetwas in ihr, und wenn Bach mit seinen Andeutungen Recht hatte, konnte es auch gar nicht anders sein, als dass es sich weiterentwickelte, eben genau wie ein Pilz, der sich verästelnd ins Erdreich ausdehnt oder in einem befallenen Wirt.

»Flucht, Fortpflanzung, wir wissen es nicht. Wir verändern die Körperchemie, dem Fremdgewebe wird es ungemütlich und es fängt an, sich im Kehlraum zu einem differenzierten Vielzeller zusammenzuziehen.« Bach drückte die Zigarette aus, obwohl sie noch nicht einmal halb zu Ende geraucht war. Anscheinend ließ dieses Bild selbst ihn nicht völlig unbeeindruckt. »Sagt Hertzog. Er hat eines der abgetrennten Pseudopodien in eine Schale gelegt. Nach zwei Tagen ist es zu einer Art durchsichtigem Wackelpudding zerfallen. Er sagt, es sei immer noch lebendig. In der richtigen Umgebung würde es wachsen und sich notfalls wieder zu einem Ganglion zusammensetzen können.«

»Ich verstehe«, sagte ich langsam. Nur mit Mühe unterdrückte ich die aufkommende Panik und nur ein Gedanke beherrschte mich: Nichts anmerken lassen, nicht Bach zeigen, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte als an Kim und das, was da in ihrem Inneren vorging, unbemerkt oder zumindest doch nicht offensichtlich, es sei denn, man war ihr so nah, wie ich es war. »Steel ist durchsetzt damit.«

»Jedes verdammte Stück Gewebe. Er schwimmt darin, weit mehr noch als Brandon. Er ist entweder schon lange infiziert gewesen oder es ist bei ihm besonders schnell gegangen.« Bach hielt eine neue Zigarette in der Hand, drehte sie zwischen den Fingern und schüttelte den Kopf, wie um sich über seine eigene Nervosität zu wundern. Er zündete sie nicht an. »Hertzog hat nach Brandon ein Dutzend Berichte produziert und jeder liest sich wie das Drehbuch zu einem verdammten Horrorfilm. Manchmal denke ich, wir sind alle reif für ein Irrenhaus.«

Ich lachte und war selbst davon überrascht.

»Was ist so komisch?«, erkundigte sich Bach ruhig.

»Nichts«, sagte ich, erschrocken über meine eigene Reaktion. Kim. Wo war sie? Was stellten sie mit ihr an? In meiner Phantasie überschlugen sich die Bilder, vermischte sich die Erinnerung an Brandons Obduktion mit der dieser fürchterlichen Prozedur, mit der Dr. Carl Hertzog zum erstenmal an einem lebenden Menschen versucht hatte, ein Ganglion auszutreiben, und das ausgerechnet bei Kim. Hertzog hatte wohl Heimweh, echoten Bachs Worte in meinem Kopf, und das empfand ich jetzt als doppelt bedrohlich, denn schließlich war Carl so etwas wie mein einziger Verbündeter bei Majestic gewesen und ein Garant dafür, dass niemand leichtfertig Experimente mit Kim anstellte.

»Was werden Sie mit Steel machen?«, fragte ich Bach so schroff wie möglich, um nicht zu offenbaren, dass ich mit der Frage eigentlich Kimberley meinte.

»Das ist Halligens Sache«, teilte er mit verschlossenem Gesicht mit. Er musterte mich grimmig. »Ich habe mir eben die Röntgenaufnahmen angesehen. Ich hatte Ihnen nicht geglaubt, was den Unfall anging. Ich habe mich geirrt. Der Schläfenknochen war eingedrückt.«

»Ich frage mich, wie er das überlebt hat«, sagte ich.

»Hertzog hat behauptet, dass jemand, der über einen Zeitraum von mehreren Jahren infiziert war, wie ein Stück Boden ist, durchsetzt mit den Wurzeln einer Pflanze. Der Farmer in Idaho war bestenfalls ein paar Wochen infiziert und Sie waren ja dabei, was passierte, als Hertzog ihn aufschneiden wollte.«

»Steel hätte einen EBE-Test bestanden«, vermutete ich. Es war noch gar nicht lange her, da war ich sehr stolz auf diesen Test gewesen, den ich in meiner aktiven Zeit bei Majestic entwickelt hatte, um von Ganglien befallene Personen zu enttarnen. Der Test hatte sich durchaus als hilfreich erwiesen, wenn er auch viel zu wenig eindeutig war, um mehr als ein Hilfsmittel zu sein: Er beruhte auf einem Wechselspiel sinnvoller und unsinniger Fragen, die Befallene in charakteristischer Art aus dem Tritt bringen konnte. Das war natürlich nichts im Vergleich zu Kims Fähigkeit, Befallene direkt zu spüren. Wenn ich Bach Kims Fähigkeit offenbarte, würde er sie künftig als lebendes Messgerät missbrauchen - die Frage war nur, ob sie ihr nicht gerade im Moment etwas Schlimmeres antaten.

»Sie und Ihr EBE-Profil«, spottete Bach. »Sie sind verdammt stolz darauf, was? Ein paar Bögen Papier mit sinnlosen Fragen und ein paar Empfehlungen. In den ersten Wochen nach der Implantation ist Ihr Test vielleicht sogar nützlich, aber spätestens nach einem Jahr...« Er ließ den Satz unbeendet. »Hertzog nennt die Tage unmittelbar nach der Implantation das Alpha-Stadium und die folgende Periode Beta.« Als ich ihn fragte, wie lange das Beta-Stadium dauert, konnte er mir keine Antwort geben. Er sagte nur, dass irgendwann eine ART-Behandlung nicht mehr möglich sei. Dann, so erklärte er mir, hätten wir es mit einem Gamma zu tun.

»War Steel ein Gamma?«

Bach versuchte einen weiteren Rauchring. »Ich weiß nicht, was Steel war. Ich bezweifle, dass Hertzog es weiß.« Er wirkte plötzlich bedrückt. »Ich wünschte, der verdammte Kerl wäre tot«, sagte er aufrichtig.

»Er ist noch immer am Leben?«

»Laut Halligen ist sein Zustand stabil. Er ist im Koma. Das EEG ist so flach wie die Kornfelder von Oklahoma nach heftigen Regenfällen. Nach allem, was wir wissen, könnte er bis zum jüngsten Tag im gegenwärtigen Zustand bleiben.« Bach atmete tief ein. »Und ich frage mich, wann ich es seiner Frau sagen soll.«

»Er ist verheiratet?«

Bach warf mir einen schwer zu deutenden Blick zu. »Finden Sie das so erstaunlich?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Sie können sie ja anlässlich des tröstenden Gespräches einer EBE unterziehen«, parierte ich.

Er zuckte tatsächlich zusammen. Er starrte mich für einige lange Sekunden an und schüttelte dann verwundert den Kopf. »Sie sind ein richtiger Mistkerl, wenn Sie es drauf anlegen«, sagte er ganz ruhig.

»Ich hatte einen guten Lehrer«, hielt ich dagegen.

Er schien eine Entgegnung in Erwägung zu ziehen und ließ das Thema dann doch auf sich beruhen, einfach so. Er zog den Stuhl neben sich vom Tisch weg und nahm etwas von der Sitzfläche, das er mir achtlos hinwarf. Es war ein dunkelbrauner Aktendeckel, der säuberlich mit einem maschinengeschriebenen Etikett beschriftet war, zu klein allerdings, als dass ich es hätte entziffern können.

»Kimberley Sayers«, sagte er. »Erzählen Sie mir, was ich wissen muss.«

Ich starrte auf den Aktendeckel und tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. »Ist das ihre Akte?«, fragte ich. »Ist Kim der Grund, warum Sie mit mir sprechen wollten?«

Bach lehnte sich zurück und blies genüsslich den Zigarettenrauch aus Mund und Nase. »Nein«, sagte er schließlich. »Das ist nicht die Akte Ihrer Freundin. Jedenfalls nicht das, was Sie unter einer Akte verstehen würden. Nein.« Er beugte sich wieder vor und sah mir geradewegs in die Augen. »Es sind Aufzeichnungen von Hertzog.«

Ich versuchte ruhig zu bleiben, spürte aber, wie wenig mir das gelang. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, hätte Bach am Revers gepackt und kräftig durchgeschüttelt. Jede Sympathie, die ich für ihn empfunden haben mochte, war wie weggewischt. »Was genau soll das heißen?«, fragte ich. Meine Stimme klang in meinen eigenen Ohren seltsam rau und heiser.

»Hertzog ist ein durchaus schlauer Kopf«, sagte Bach statt einer direkten Antwort. »Kein theoretisierender Wissenschaftler, sonder ein Pragmatiker, der oft aus dem Bauch heraus handelt und damit mehr als einmal richtig gelegen hat.«

Meine Abneigung gegen Bach wuchs mit jedem Satz. Vielleicht war sein Katz-und-Maus-Spiel nur ein Beispiel seiner perfiden Art von Humor, um mir auf diese Weise zu demonstrieren, wie sehr er mir voraus war. Ich verzichtete auf einen Kommentar.

Bach nahm den Aktendeckel in die rechte Hand und wog ihn wie ein Steak, dessen Gewicht darüber Aufschluss geben soll, ob man es teilt oder in einem Stück zu braten gedenkt. »Wenn Sie das gelesen hätten, dann wüssten Sie, worüber ich mir Sorgen mache.«

Ich starrte ihn trotzig an. »Ich denke, Sie müssen sich über eine ganze Menge Dinge Sorgen machen. Kimberley dürfte auf Ihrer Prioritätenliste doch erst unter Position dreiundachtzig auftauchen.«

»Wie ich Prioritäten setze, sollten Sie mir schon lieber selber überlassen«, sagte Bach ohne jeden Ärger in der Stimme.

»Ach ja?«, versetzte ich und beugte mich ein Stück vor. »Und was war mit Kennedys Ermordung? War er nur eine unwichtige Randerscheinung, genauso wie Steels Verwicklung in Oswalds Hinrichtung?«

Bach runzelte die Stirn. »Hat Oswald für Sie eine höhere Priorität als Ihre Freundin?«, fragte er scharf. »Stand Ihnen John F. Kennedy näher als Kimberley Sayers? Halten Sie Ihre eigene persönliche Episode für den Nabel der Welt, der sich notfalls auch Majestic und der Rest der Welt unterzuordnen hat?«

Das war wieder einer der typischen Bachschen Volltreffer. Denn streng genommen hatte er vollständig Recht; streng genommen erwartete ich, dass Kim eine Sonderbehandlung zukam, nur weil es Kim war. In gewisser Weise hatte ich genau denselben Fehler gemacht, den ich ihm vorwarf - ich hatte meine eigene Bedeutung überschätzt.

»Was soll ich Ihrer Meinung nach tun, John?«, erkundigte sich Bach. Seine zusammengekniffenen Augen musterten mich mit einer Kälte, die mich schaudern ließ - wie die einer Schlange, kurz bevor sie zustößt. »Bezüglich ihres Bruders, der so plötzlich in die Geschichte hineingeschneit kommt, dass es fast schon peinlich ist. Was mache ich mit ihm?«

»Mit ihm machen?« Ich wusste, dass er mich in der Falle hatte, und er wusste, dass ich es wusste. Er hatte mich ein weiteres Mal ausmanövriert, Drohung gegen die Dame, Schach und matt. Er würde mich für jede meiner scharfen Anklagen zahlen lassen, Silbe für Silbe. Ich sah es ganz deutlich vor mir. Er würde mir jedes einzelne Wort die Kehle wieder hinunterwürgen. Nein, schlimmer noch, er würde Ray und Kim dafür zahlen lassen, dass ich an seiner Maske herumgezerrt hatte. Ich hatte an seiner Kontrolle gerüttelt, seinen Nimbus beschädigt. Bach hatte einen Fehler gemacht, als er mich in den inneren Kreis geholt hatte, vermutlich gegen den ausdrücklichen Rat von Albano und seinen anderen Vertrauten. Jetzt wollte er seinen Fehler um jeden Preis wieder ausbügeln und wenn er mich dabei zu Staub zerdrücken musste, dann würde er keine Sekunde zögern.

Bach ließ sich Zeit. Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, stieß eine Rauchwolke durch die Nase aus und sah mich durch den grauen, allmählich auseinander treibenden Schleier hindurch an. Er betrachtete mich ohne Freundlichkeit. Es dauerte lange, bis er den Faden wieder aufnahm, aber als er es tat, klang seine Stimme um keinen Deut weniger leutselig als zuvor.

»Wir können ihn schlecht einfach wieder zurück schicken«, sagte er. »Dazu ist er bereits zu tief in die Sache verstrickt.«

»Wie sind Sie überhaupt auf ihn gekommen?«, fragte ich.

Bach leistete sich den Luxus eines leichten Lächelns. »Reine Routine. Wir hatten uns schon längst an seine Fersen geheftet, als er selbst noch gar nicht auf die Idee gekommen war, nach Washington zu fahren. Er war eine Schwachstelle, durch die wir früher oder später an Sie und Ihre Freundin kommen mussten.« Er beugte sich ein Stück vor und blies einen Rauchschwaden direkt in meine Richtung. »Glauben Sie, dass Ihre Freundin, sagen wir, geheilt ist?«, erkundigte er sich, abrupt das Thema wechselnd.

»Die ART war erfolgreich«, erinnerte ich ihn ohne Hoffnung. »Ihre Leute haben die Reste des Ganglions vom Boden gekratzt.«

»Natürlich«, sagte er. »Wissen Sie, Loengard, ich verstehe nicht alles, was Hertzog oder auch Halligen in ihre Berichte schreiben, und beide wissen im Grunde auch nicht mehr als irgendjemand sonst.« Er zündete sich umständlich die nächste Zigarette an, die er nun schon seit einigen Minuten zwischen den Fingern gedreht hatte. »Nehmen Sie zum Beispiel sich selbst«, sagte er in einem neuerlichen Schwall von Tabaksqualm. Die Wellen und Luftwirbel, die seine Worte im Rauchschleier hervorriefen, erinnerten mich an die schimmernden Reflexe auf der Folie. Ich hatte das Artefakt fast vergessen, das Bach nun wieder an sich genommen hatte, diesen einzigen Beweis der Existenz einer überlegenen Technologie, den ich unbedingt zu Robert Kennedy hatte bringen wollen. Wie unwichtig das plötzlich alles war.

»Was ist mit mir?«, fragte ich.

»Sie haben Brandon gesehen«, sagte Bach, »und Steel. Und Ruby, wie ich höre. Sie haben womöglich mehr Kenntnisse aus erster Hand als die meisten hier und sicherlich mehr als Halligen. Sie haben miterlebt, was ein einzelnes Ganglion anrichten kann und was aus den Infizierten wird.« Sein Blick war so stetig wie erbarmungslos. »Nun sagen Sie mir, wie sie die Chancen einschätzen, dass ein Mensch davon geheilt werden kann.«

»Kimberley ist geheilt«, beharrte ich.

»Da spricht Ihr Herz, John«, stellte er fest. »Lassen Sie Ihren Verstand sprechen. Kann ein Mensch wirklich geheilt werden, wenn er einmal infiziert wurde?«

»Beweisen Sie mir das Gegenteil«, forderte ich.

»Sehen Sie sich die Prozedur doch an. Ein kruder Humbug, kaum erprobt, ein Einfall von Hertzog nach ein paar Tests an Gewebeproben, der rein zufällig funktionierte und bislang in etwa dieselbe Erfolgsquote aufweist wie der bei den Ärzten früherer Jahrhunderte beliebte Aderlass.«

»Kimberley hat überlebt«, hielt ich wütend dagegen. »Das wäre wohl kaum der Fall, wenn Hertzog ihr das Ganglion chirurgisch entfernt hätte.«

»Wenn er es getan hätte, wären wir immer noch nicht sicher«, entgegnete Bach. »Wir konnten in keinem Fall ein Ganglion vollständig entfernen, das wissen wir jetzt. Wie kann ein Patient da von einer ART geheilt werden?«

»Wozu ist die ART-Behandlung sonst gut?«

»Reden wir über chirurgische Eingriffe.« Bach nahm einen tiefen Zug. »Wozu schneidet ein Chirurg einen Tumor aus dem Körper eines Menschen? In neunzig Prozent der Fälle zögert er das unvermeidliche Ende nur heraus. Es gibt meistens Metastasen. Der Eingriff verschafft dem Kranken ein wenig mehr Zeit, aber in den meisten Fällen trägt schließlich der Krebs den Sieg davon.«

»Ist das nicht genug?«, fragte ich verzweifelt. »Sollen wir den Kampf aufgeben, nur weil wir keine Erfolgsgarantien haben? Ich werde kämpfen, solange ich lebe, für Kim und für mich selbst und wenn Sie schon nicht auf unserer Seite stehen, dann gehen Sie uns um Himmels willen aus dem Weg. Kimberley ist in Ordnung. Die ART war erfolgreich, verdammt!«

»Sie müssen nicht schreien«, sagte Bach milde.

»Die Wände sind schalldicht«, hielt ich dagegen. »Wen kümmert es?«

Er fixierte mich nachdenklich. Ich suchte in seinem Gesicht nach einem Zeichen, einem Hinweis und plötzlich verstand ich, dass mein Wutausbruch ihm ein Stück von dem gegeben hatte, was er haben wollte. Sobald ich die Beherrschung verlor, hatte ich aus seiner Sicht einen Teil seiner Überlegenheit wiederhergestellt. Ihm bereitete es Genugtuung, wenn ich schrie und tobte, war das doch ein offensichtliches Zeichen meiner Schwäche wie auch ein Zeichen seiner Stärke. Aber darum ging es jetzt gar nicht mehr. Es gab etwas, das für mich wichtiger geworden war als seine Anerkennung oder meine Selbstachtung.

»Kimberley ist in Ordnung«, wiederholte ich. »Ich weiß nicht, was morgen sein wird. Vielleicht sind wir morgen schon tot, vielleicht fallen wir in die Hände der Hive, vielleicht wird es einen Rückfall geben. Ich werde mich damit auseinander setzen, wenn es so weit ist. In der Zwischenzeit will ich nicht mehr als am Leben bleiben und mit ihr zusammen sein. Die Behandlung hat das Ganglion entfernt und wenn die Infektion dadurch nicht besiegt worden ist, dann wurde sie zumindest zum Stillstand gebracht.« Ich gab mir keine Mühe, den flehentlichen Unterton zu unterdrücken. »Ist das nicht genug?«

Bach verzog den Mund. »Für Sie mag das genügen«, sagte er. »In meinem Fall...« Er ließ den Satz unbeendet.

»Was wollen Sie tun?«, fragte ich tonlos.

»Majestic wird seine Vorgehensweise ändern müssen«, sagte er mit Bedauern. Es war womöglich sogar aufrichtig, soweit er dazu eben in der Lage war. »Wir können uns auf das Resultat einer ART nicht mehr verlassen.«

»Was wollen Sie machen, die Opfer lebenslang einsperren?« Ich sprang auf. »Wollen Sie sie anbinden und beobachten, so wie Steel?«

»Er wird nicht ewig in diesem Zustand bleiben.«

»Woher wollen Sie das wissen?«, fuhr ich ihn an. »Und was wollen Sie tun, wenn er Ihnen nicht den Gefallen tut, da unten auf diesem Seziertisch zu verrecken? Was wollen Sie tun, wenn er wieder erwacht? Ihn erschießen? Ihn in kleine Stücke zerschneiden und in Formaldehyd einlegen lassen?«

»Wir reden über Kimberley Sayers«, sagte Bach finster. »Oder liegt Steel Ihnen ebenso am Herzen?«

»Reden Sie keinen Mist.« Ich ließ meiner Wut freien Lauf. »Wie sollen denn die neuen Richtlinien aussehen, Bach? Ich will gar nicht wissen, welche gefällige Abkürzung sich die Metzger da unten im Kellergeschoss diesmal ausdenken, aber ganz egal, wie Sie es nennen, ich nenne es Mord. Sie werden diese Menschen töten, so wie Sie es mit Elisabeth Brandon und unzähligen anderen getan haben.«

»Jemand, der mit einem Ganglion infiziert wurde, ist so gut wie tot«, sagte Bach hart. »Was von dem Menschen noch übrig ist, verschwindet innerhalb weniger Wochen.«

»Was denn? Seine Seele?« Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und er zuckte zusammen. »Sind Sie in letzter Zeit zu oft in der Kirche gewesen, Frank? Wir reden hier nicht vom Teufel und den himmlischen Heerscharen. Wir sprechen von einer Krankheit. Wir reden von der Pest und von Ratten, nicht von Dämonen und Bannflüchen. Wollen Sie jetzt Knoblauchzehen und Silberkugeln an Ihre Männer ausgeben lassen?« Ich beugte mich über den Tisch und er wich tatsächlich ein Stück zurück, nur für einen Sekundenbruchteil und kaum merklich, aber ich hatte es wahrgenommen. »Diese Ganglien sind aus Fleisch und Blut. Ein verdammter Schleimpilz, den man zerstören kann. Ich habe einen davon mit meiner Schuhsohle über den Boden verteilt, bis man ihn kaum noch sehen konnte. Vielleicht kann eine ART nicht alles entfernen. Vielleicht bleiben Narben zurück oder kleine Reste. Vielleicht kann unter ungünstigen Umständen eine erneute Infektion aus diesen Überresten entstehen. Was wollen Sie tun? Wollen Sie jeden erschießen lassen, der jemals mit einem Ganglion in Berührung gekommen ist? Dann müssen Sie bei mir anfangen und bei sich selbst. Wollen Sie jeden verbrennen, der des Teufels ist? Sind Ihre Leute schon dabei, Holz für die Scheiterhaufen zu sammeln?«

Er blies mir den Rauch ins Gesicht. »Wir haben die Leichen schon immer einäschern müssen«, sagte er kalt.

Es traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich hatte einen Atemzug lang geglaubt, ich wäre zu ihm durchgedrungen, aber er ruhte wieder in sich selbst. Was immer er in seinen Albträumen sah, es waren sicherlich nicht die Gesichter der Menschen, die unter seinen Händen gestorben waren. Ich ließ mich erschöpft in den Sessel fallen.

»Wenn Sie glauben, dass mir diese Entscheidung leicht fällt, dann irren Sie sich«, erklärte Bach. »Wir haben keine andere Wahl. Wir wissen einfach zu wenig. Wir wissen nicht einmal, ob eine Implantation überhaupt notwendig ist oder ob für eine Infektion nicht schon eine Berührung ausreicht, ein Händedruck.« Er nickte mir zu. »Oder ein Kuss«, fügte er hinzu.

Ich war zu getroffen, um darauf sofort reagieren zu können. Ich starrte ihn an, ohne ihn wirklich zu sehen. »Sagen Sie mir nur eines«, verlangte ich in einem letzten verzweifelten Versuch, ihn zu fassen zu bekommen. »Sagen Sie mir, auf wen Sie mit Ihren neuen Spielregeln eigentlich zielen?«

»Wie meinen Sie das?«

»Geht es Ihnen um Steel oder um Kimberley?« Ich beugte mich vor und stemmte die Hände rechts und links von mir auf die Tischplatte, ohne es selbst gleich zu bemerken. »Oder wollen Sie am Ende nur mich damit treffen?«

»Jetzt überschätzen Sie sich selbst«, antwortete Bach und schüttelte den Kopf, Verständnislosigkeit signalisierend. »Die Dienstanweisungen von Majestic werden nicht um Ihretwillen geändert und auch nicht um meinetwillen, falls Sie das denken sollten.« Er starrte mich entschlossen an. »Und sie werden auch nicht für Kimberley Sayers geändert, weder auf die eine noch auf die andere Art.«

Ich nickte erschöpft. »Selbstverständlich. Sind wir wieder bei Pflicht und Verantwortung angekommen?« Ich fühlte mich unendlich müde. Die fieberhafte Konzentration, mit der ich nach einem Argument, einer Ausflucht, einer Ablenkung gesucht hatte, war einer bleiernen Trägheit gewichen. Ich konnte nur hoffen, dass Kim nicht gerade jetzt irgendwo in einem der tristen Labors in diesem gottverdammten Bunkerkomplex unterm Messer lag. Sie war klug genug zu verschweigen, dass sie Hives auf emphatischem Wege orten konnte, aber ich wusste nicht, wie sie darauf reagieren würde, wenn man sie mit irgendwelchen chemischen Substanzen oder Drogen voll pumpte. Es wäre besser gewesen, nie wieder nach Washington zurückgekehrt zu sein. Ich hatte das Gefühl, Kimberley in jeder Hinsicht im Stich gelassen zu haben - und meinen Bruder gleich noch dazu.

Ich hob den Kopf und versuchte, aus Bachs Gesicht eine menschliche Regung herauszulesen, eine Spur Mitgefühl, einen Ansatz von Trauer. Ich fand nichts und wenn etwas da gewesen wäre, dann hätte ich es vermutlich nicht einmal mehr erkannt. »Ich weiß nicht, wofür Sie kämpfen, Frank«, sagte ich leise. »Ist Ihnen das alles nur Pflichtbewusstsein und sonst nichts? Was ist mit Ihrer Frau und Ihren Kindern? Ist das auch nur eine Pflichtübung? Nur ein notwendiger Bestandteil der Tarnung?«

Er zeigte keine Reaktion. Er sah mich an, wie ein Boxer in der Pause vor der zehnten Runde seinen Widersacher ansehen mochte, mit einem Ausdruck, der abgeklärt oder einfach nur stur sein mochte oder vielleicht sogar benommen. Schließlich erwachte er aus seiner Starre. Er drückte mit einer entschlossenen Bewegung die Zigarette aus und stand auf.

»Ich hoffe nur, dass Hertzog Unrecht hat«, sagte er rau und gestikulierte mit dem braunen Aktendeckel. »Er hat da ein paar Vermutungen angestellt, die wirklich Besorgnis erregend sind.« Er ging zur Tür. »Sie sollten beten, dass Ihre Freundin wirklich clean ist«, sagte er noch. »Sie sollten beten, dass sie mehr für uns ist als nur ein unkalkulierbarer Risikofaktor.« Er riss die Tür auf. »Ich lasse Sie zu Marcel bringen«, waren seine letzten Worte. »Vielleicht können Sie beide sich gegenseitig etwas darüber beibringen, wie es in der wirklichen Welt aussieht.«

Загрузка...