Die Jagd

Fuchsteufelswild kam er aus der Hafenleitung. Ausgerechnet ihm mußte das passieren! Der Armator hatte die Sendung nicht geliefert — einfach nicht geliefert, und damit basta! Näheres wußten sie nicht. Schön, ein Telegramm war eingetroffen: „Verspätung 72 Stunden — stop — zahle Konventionalstrafe auf euer Konto — stop — Estrand.“ Kein Wort mehr. Im Büro des Handelsrates konnte er auch nichts ausrichten. Es wurde langsam eng im Hafen, und die Hafenleitung gab sich mit der Konventionalstrafe nicht zufrieden. Standgeld hin, Standgeld her — das beste wäre immer noch, wenn der Herr Navigator schleunigst startete und auf Umlaufbahn ginge…

Triebwerke lassen sich stoppen, es kostet also keinen Treibstoff. Sie warten die drei Tage dort oben und kommen dann zurück. Was kann Ihnen das schon ausmachen…? Drei Tage lang um den Mond trudeln, bloß weil der Armator mich versetzt hat! Pirx verschlug es die Sprache, aber zum Glück fiel ihm der Kollektivvertrag ein. Na, und als er ihnen die Vorschriften über den Aufenthalt im Raum unter die Nase rieb, die von der Gesellschaft festgelegt worden waren, machten die anderen einen Rückzieher. In der Tat, es war nicht das Jahr der ruhigen Sonne, die Strahlungsdosen waren nicht zu unterschätzen. Er hätte demnach manövrieren, sich hinter dem Mond vor der Sonne verkriechen und dieses Blindekuhspiel mit Schub ausführen müssen. Wer würde das bezahlen?

Der Armator nicht, das stand fest. Etwa die Hafenleitung? Sind Sie sich darüber im klaren, meine Herren, was zehn Minuten voller Schub bei einem Reaktor von siebzig Millionen Kilowatt kosten? Schließlich erhielt er die Halteerlaubnis, aber nur für genau zweiundsiebzig Stunden plus vier Stunden für das Löschen dieses verdammten Stückguts. Keine Minute länger! Sie gebärdeten sich, als erwiesen sie ihm damit eine Gnade. Als ob es seine Schuld gewesen wäre! Dabei hatte er pünktlich auf die Minute zur Landung angesetzt, obwohl er nicht direkt vom Mars kam. Aber daß der Armator… Über alledem hätte er fast vergessen, wo er sich befand beim Hinausgehen schloß er die Tür so heftig, daß er im nächsten Augenblick zur Decke hinauf segelte. Das behagte ihm gar nicht, und er schaute sich argwöhnisch um, doch es war niemand da. Überhaupt erweckte die Luna irgendwie einen Eindruck der Leere. Klar, etliche hundert Kilometer weiter nördlich, zwischen Hypathia und Toricelli, hatten die großen Arbeiten begonnen. Die Ingenieure und Techniker, von denen es hier vor einem Monat nur so wimmelte, waren bereits zur Baustelle abgereist. Das große UNO-Projekt Luna II lockte immer mehr Leute von der Erde herbei. Wenigstens werde ich diesmal keine Scherereien mit dem Hotelzimmer haben, ging es ihm durch den Kopf, während er mit der Rolltreppe ins letzte Stockwerk der unterirdischen Stadt fuhr. Die Leuchten verbreiteten ein grelles, kaltes Tageslicht. Jede zweite war abgeschaltet. Aha, Sparmaßnahmen! Er stieß die Glastür auf und betrat die kleine Halle. Natürlich, freie Zimmer gab es noch. In Hülle und Fülle. Er ließ den kleinen Koffer oder vielmehr die Reisetasche beim Portier und überlegte: Ob Tyndall auch aufpaßt, daß die Mechaniker die Zentraldüse ausschleifen? Denn noch auf dem Mars hatte sie sich wie eine mittelalterliche Kartätsche aufgeführt. Eigentlich hätte er sich selbst darum kümmern müssen, denn wenn der Chef seine Augen nicht überall hat… Aber er hatte keine Lust, zwölf Stockwerke mit dem Lift zu fahren, vermutlich waren sowieso schon alle verduftet. Bestimmt saßen sie im Warenhaus des Flugplatzes und hörten sich die neuesten Platten an. Er ging weiter, ohne recht zu wissen, wohin. Das Hotelrestaurant war leer, schien geschlossen, aber am Büfett saß ein rothaariges Mädchen und las in einem Buch. Vielleicht war sie auch darüber eingenickt, denn ihre Zigarette hatte sich auf der Marmorplatte in einen langen Aschestengel verwandelt… pirx setzte sich, stellte die Uhr nach Ortszeit, und schlagartig wurde es spät: zehn Uhr abends. An Bord war noch vor wenigen Minuten Mittag gewesen. Dieses ewige Ringelspiel mit der Zeit war immer noch genauso anstrengend wie zu Anfang, als er eben erst fliegen lernte. Er aß sein Mittagessen, das sich nun auf einmal als Abendbrot entpuppte, und trank Mineralwasser dazu, das wärmer war als die Vorsuppe. Der Ober, der trübsinnig und verschlafen wirkte wie ein waschechter Mondsüchtiger, verrechnete sich zu seinen Ungunsten — ein bedenkliches Zeichen.

Pirx riet ihm, Urlaub auf der Erde zu machen, und stahl sich leise hinaus, um das Mädchen am Büfett nicht aufzuwecken. Dann holte er sich beim Portier den Schlüssel und fuhr in sein Zimmer. Er guckte nicht gleich auf die Blechmarke, doch als er unterwegs einen Blick auf die Nummer warf, beschlich ihn ein seltsames Gefühl: 173. In diesem Zimmer hatte er früher schon mal gewohnt, damals, als er zum erstenmal „auf die andere Seite“ flog. Aber nachdem er die Tür aufgemacht hatte, stellte er fest, daß es entweder doch ein anderes Zimmer war oder daß man es völlig umgebaut hatte. Nein, er mußte sich wohl geirrt haben, seinerzeit war der Raum größer gewesen. Er knipste überall Licht an, weil er die Dunkelheit satt hatte, sah in den Schrank, zog die Schublade des kleinen Schreibtisches heraus, packte aber den Koffer nicht erst aus, sondern warf nur den Schlafanzug aufs Bett und legte Zahnbürste und Paste aufs Waschbecken.

Er wusch sich die Hände. Das Wasser war hier immer höllisch kalt, das reinste Wunder, daß es nicht gefror. Er drehte den warmen Hahn auf — ein paar Tropfen, dann war Schluß. Er ging zum Telefon, die Rezeption anzurufen, aber er ließ es dann doch bleiben. Ein Skandal war das allerdings, immerhin wurde der Mond schon seit langem bewirtschaftet, und man konnte schließlich verlangen, daß es in einem Hotelzimmer immer warmes Wasser gab! Er schaltete das Radio ein. Es liefen gerade die Abendnachrichten vom Mond. Er hörte nur mit halbem Ohr hin, während er überlegte, ob er dem Armator nicht ein Telegramm schicken sollte. Auf dessen Kosten, versteht sich! Aber heraus kam dabei auch nichts. Sie lebten nicht mehr in den idyllischen Zeiten der Weltraumfahrt. Die waren längst passe, jetzt war man bloß ein Fuhrmann und von denjenigen abhängig, die einem die Ware aufluden! Fracht, Versicherung, Standgeld… Im Radio brabbelte es undeutlich. Halt mal — was war das? Er beugte sich übers Bett und drehte an einem Knopf. „.. aller Wahrscheinlichkeit nach Reste des Leonidenschwarms…“ Der weiche Bariton des Sprechers füllte den Raum. „Lediglich ein Wohngebäude wurde direkt getroffen und büßte seine hermetische Abdichtung ein.

Glücklicherweise befanden sich zu diesem Zeitpunkt alle Bewohner an ihrem Arbeitsplatz. Die übrigen Meteoriten richteten keinen größeren Schaden an, bis auf einen, der die Schutzscheibe der Magazine traf.

Berichten unseres Korrespondenten zufolge wurden sechs für Arbeiten auf dem Baugelände vorgesehene Universalautomaten völlig zerstört. Beschädigt wurde auch die Hochspannungsleitung. Die Telefonverbindung konnte schon nach drei Stunden wiederhergestellt werden. Und hier noch einmal die wichtigsten Meldungen: Heute morgen wurde der panafrikanische Kongreß eröffnet…“ Er schaltete das Radio aus und setzte sich.

Meteoriten? Irgendein Schwärm? Richtig, es war ja die Zeit der Leoniden, aber die Prognosen hatten doch…

Diese Meteorologen pfuschen vielleicht was zusammen, genau wie die Synoptiker auf der Erde… Das Baugelände? Damit war sicherlich das im Norden gemeint. Atmosphäre blieb eben Atmosphäre, es machte einem mächtig zu schaffen, wenn die fehlte. Sechs Automaten — ziemlich happig-Gut, daß wenigstens die Leute mit heiler Haut davongekommen waren. Trotzdem — eine dumme Geschichte, daß es die Scheibe durchgehauen hatte. Na, der Projektant, das ist vielleicht ein…

Er war müde. Sein Zeitgefühl war völlig durcheinandergeraten. Zwischen Mars und Erde mußten sie den Dienstag geschluckt haben. Dem Montag war gleich der Mittwoch gefolgt, und im Endeffekt fehlte ihm auch eine Nacht. Vor allem mal gründlich ausschlafen, sagte er sich, stand auf und stolperte instinktiv auf das winzige Badezimmer zu, aber als ihm das eisige Wasser wieder einfiel, erschauerte er, drehte sich auf dem Absatz um und lag eine Minute später in der Falle. Für die Koje brauchte er sich nicht erst zu waschen! Seine Hand suchte wie von selbst nach den Gurten, um die Decke festzuschnallen. Er schmunzelte, als er sie nicht fand — er war ja in einem Hotel. Hier bestand keine Gefahr, daß die Schwerkraft unversehens aussetzen würde… Mit diesem Gedanken schlief er ein. Als er die Augen wieder aufschlug, hatte er keine Ahnung, wo er war. Ägyptische Finsternis ringsum. Tyndall! wollte er rufen, und plötzlich mußte er daran denken, wie dieser einmal aus der Kajüte gestürzt war, nur in Schlafanzughosen, und den Wachhabenden ganz außer sich angefleht hatte: „Du! Ich bitte dich! Sag mir, wie ich heiße!“ Der Ärmste war sternhagelblau gewesen, er hatte sich irgendeine Magengeschichte eingebildet und eine ganze Buddel Rum hinter die Binde gegossen… Diese Gedankenabschweifung verhalf Pirx sofort in die Wirklichkeit zurück. Er stand auf, knipste die Lampe an und trat unter die Dusche. Vorsichtshalber drehte er den Hahn nur wenig auf — das Wasser war lauwarm. Er seufzte, denn er sehnte sich nach einem heißen Bad, aber bald darauf rann ihm das Wasser in Strömen über Gesicht und Körper, und er begann sogar, vor sich hin zu summen.

Er zog gerade ein sauberes Hemd an, als der Lautsprecher — nanu, daß es so was hier überhaupt gab! — in tiefem Baß losdröhnte: „Achtung! Achtung! Eine wichtige Durchsage. Alle Männer, die befähigt sind, eine Waffe zu tragen, werden gebeten, sich unverzüglich in der Hafenleitung, Zimmer 318, bei Chefingenieur Achanian zu melden. Ich wiederhole. Achtung, Achtung…“ Pirx war so überrascht, daß er eine Weile reglos dastand, nur in Socken und Hemd. Was sollte das heißen? Ein Aprilscherz? Die befähigt sind, eine Waffe zu tragen? Träumte er? Aber während er mit den Armen herumfuchtelte, um das Hemd schnell herunterzuziehen, stieß er so heftig mit der Hand gegen die Tischkante, daß ihm heiß wurde. Nein, das war kein Traum. Aber was dann? Eine Invasion? Die Marsbewohner erobern den Mond? Unsinn! Jedenfalls mußte er hin…

Als er in die Hosen fuhr, war ihm, als flüstere ihm eine Stimme zu: Das mußte ja so kommen, ausgerechnet, wenn du hier bist. Du hast nun mal so’n Glück, du ziehst die Abenteuer an…

Die Uhr zeigte acht, als er das Zimmer verließ. Den ersten besten, der ihm über den Weg lief, wollte er fragen, was eigentlich los sei, aber der Korridor war leer und die Rolltreppe ebenfalls, so als sei die allgemeine Mobilmachung schon im Gange, als ob sich alle schon irgendwo, wo, das wußten die Götter, an vorderster Front tummelten… Er rannte die Treppe hoch, obwohl sie ohnehin ziemlich flott rollte, in einem Tempo, als meinte er wirklich, die Chance zu großen Heldentaten zu verpassen. Oben angelangt, erblickte er einen hell erleuchteten Glaskiosk. Er lief an das Fenster, um endlich Genaueres zu erfahren, aber der Kiosk war unbesetzt. Die Zeitungen verkaufte ein Automat.

Pirx erstand also ein Päckchen Zigaretten und eine Tageszeitung, deren Seiten er, ohne seine Schritte zu verlangsamen, überflog — doch außer der Beschreibung des Meteoriteneinschlags fand er nichts. Vielleicht war es das? Aber wozu dann die Waffen? Nein, weiter! Endlich erreichte er die Hafenleitung. Hier bekam er zum erstenmal Menschen zu Gesicht. Eben trat jemand in das Zimmer 318, ein anderer steuerte darauf zu — vom anderen Ende des Korridors.

Jetzt erfahre ich nichts mehr — zu spät! dachte er, zog sich das Jackett zurecht und trat ein. Es war ein kleines Zimmer mit drei Fenstern, vor denen eine künstliche Mondlandschaft von der unangenehmen Farbe erhitzten Quecksilbers loderte. Im schmaleren Teil des trapezförmigen Raumes standen zwei Schreibtische, davor hatte man mehrere Reihen Stühle aufgestellt, die wohl in aller Eile herbeigeschleppt worden waren, denn kaum einer glich dem anderen. Etwa vierzehn oder fünfzehn Männer hatten sich hier versammelt, zumeist im mittleren Alter, aber auch ein paar junge Burschen mit den Tressen der Raumfahrtkadetten waren darunter. Ein älterer Kommandant saß etwas abseits, die übrigen Stühle waren leer. Pirx setzte sich neben einen Kadetten, der ihm sofort erzählte, daß sie am Vortag zu sechst hier angekommen seien, um ihr Praktikum „auf dieser Seite“ zu machen, man hätte ihnen aber nur eine kleine Maschine, einen sogenannten Floh, zur Verfügung gestellt, die mit Mühe und Not drei Mann mitnehmen konnte, die anderen mußten auf die nächste Tour warten, und nun auf einmal die Geschichte hier. Ob der Herr Navigator nicht vielleicht wüßte…? Aber der Herr Navigator wußte selber nichts. Man sah den Mienen der Versammelten an, daß auch sie von der ungewöhnlichen Durchsage überrumpelt worden waren — alle kamen geradewegs aus dem Hotel. Der Kadett, dem inzwischen eingefallen war, daß er sich hätte vorstellen müssen, vollführte ein paar akrobatische Verrenkungen, wobei er fast den Stuhl umgerissen hätte. Pirx bekam ihn gerade noch an der Lehne zu fassen, da tat sich die Tür auf, und ein nicht sehr großer, schwarzhaariger Mann mit leicht ergrauten Schläfen trat ein. Er hatte glattrasierte, blauschwarze Wangen, struppige Augenbrauen und kleine stechende Augen. Wortlos durchschritt er die Stuhlreihen, ließ hinter dem Schreibtisch eine aufgerollte Landkarte der „hiesigen Seite“ von der Decke herab, Maßstab 1:1 000000, rieb sich mit dem Handrücken die kräftige, fleischige Nase und sagte ohne jede Einleitung: „Guten Tag, meine Herren, ich heiße Achanian und bin kommissarisch von der Vereinigten Leitung Luna I und II mit der Aktion beauftragt, den Setaurus unschädlich zu machen.“

Unter den Zuhörern breitete sich leichte Unruhe aus, und Pirx verstand nach wie vor kein Wort von alledem, er wußte nicht mal, was ein Setaurus war. „Wer von den Herren Radio gehört hat, der weiß, daß hier“ — Achanian umriß mit dem Lineal die nähere Umgebung von Hypathia und Alfraganus — „gestern ein Meteo-ritenschwarm eingedrungen ist. Von allen anderen Folgen abgesehen, hat ein Meteorit, vermutlich der größte, die Schutzscheiben der Magazine B 7 und R 7 zertrümmert, wobei sich in letzterem eine Lieferung von Setauren befand, die erst vor vier Tagen von der Erde eingetroffen ist. In den Nachrichten wurde bekanntgegeben, diese Setauren seien dabei zerstört worden, und das, meine Herren, entspricht nicht ganz der Wahrheit.“ Der Kadett neben Pirx lauschte mit feuerroten Ohren, er sperrte sogar den Mund auf, als befürchte er, nicht alles mitzubekommen. Achanian fuhr fort: „Fünf dieser Roboter wurden von der einstürzenden Decke erschlagen, der sechste hat die Sache heil überstanden oder ist nur beschädigt worden. Das schlußfolgern wir aus der Tatsache, daß er sich aus den Trümmern des Magazins befreit hat und sich seither aufführt wie… wie…“ Achanian fand nicht das passende Wort und sprach weiter, ohne den Satz zu beenden: „Die Magazine liegen am Anschlußgleis der Schmalspurbahn, fünf Meilen vom provisorischen Landeplatz entfernt. Sofort nach dem Unglück wurde eine Rettungsaktion gestartet, die in erster Linie feststellen sollte, ob niemand verschüttet worden ist. Die Aktion dauerte rund eine Stunde, wurde dann aber, als sich in der Zwischenzeit ergab, daß die Gebäude für die Zentralsteuerung der Arbeiten nicht mehr ganz hermetisch abgedichtet waren, bis Mitternacht weitergeführt. Gegen ein Uhr wußte man bereits, daß die Havarie des Verstärkernetzes für das gesamte Baugelände sowie die Unterbrechung der Telefonverbindung nicht durch den Meteoriteneinschlag verursacht wurde — die Leitungen wurden mit Laserstrahlen durchgeschnitten…“ Pirx blinzelte. Er hatte das unwiderstehliche Gefühl, einer Zirkusvorstellung beizuwohnen, einer Art Maskerade. So etwas konnte es doch gar nicht geben! Laserstrahlen! Nein, wirklich! Die hatte wohl ein Spion vom Mars eingeschmuggelt! Andererseits sah der Chefingenieur nicht wie ein Mann aus, der in aller Hergottsfrühe die Hotelgäste zusammentrommelte, um ihnen ein paar dumme Witzchen aufzutischen.

„Die Telefonleitungen wurden vorrangig repariert“, erklärte Achanian, „aber dafür ging die Funkverbindung zwischen dem Luna-Stab und dem kleinen Transporter der Havariebrigade verloren, der bis zu der Stelle vorstieß, wo die Kabel durchgeschnitten waren. Gegen drei Uhr morgens erfuhren wir, daß der bewußte Transporter mit Laserstrahlen beschossen worden und nach mehreren Treffern in Flammen aufgegangen war.

Der Chauffeur und sein Beifahrer fanden dabei den Tod, die beiden anderen Männer der Besatzung, die glücklicherweise den Skaphander anhatten, weil sie das Fahrzeug gerade verlassen wollten, um die Leitung zu flicken, konnten noch rechtzeitig abspringen und in der Wüste in Deckung gehen, das heißt im Mare Tranquilitatis, ungefähr hier…“ Achanian wies mit dem Lineal auf einen Punkt im Meer der Ruhe, etwa vierhundert Kilometer vom kleinen Arago-Krater entfernt. „Soviel ich weiß, hat keiner von ihnen den Angreifer zu Gesicht bekommen. Sie verspürten nur einen heftigen Wärmestoß, und der Transporter fing an zu brennen.

Rasch sprangen sie ab, bevor die Container mit dem komprimierten Gas explodierten. Die fehlende Atmosphäre war ihre Rettung, denn es explodierte nur der Teil des Treibstoffs, der sich im Innern des Fahrzeugs mit dem Sauerstoff verbinden konnte. Einer der beiden Männer starb unter bisher ungeklärten Umständen, dem anderen gelang es nach der Bewältigung von etwa hundertvierzig Kilometern, das Gelände der Baustelle zu erreichen. Da er im Skaphander gelaufen war, hatte er seine ganze Luftreserve aufgebraucht und erlitt eine Anoxie zum Glück wurde er aber entdeckt. Zur Zeit liegt er im Krankenhaus. Unsere Informationen über die einzelnen Ereignisse basieren lediglich auf seinem Bericht, sie werden folglich noch überprüft werden müssen.“

Totenstille trat ein. Pirx schwante schon, was das alles zu bedeuten hatte, aber er glaubte es noch nicht, er wollte es einfach nicht glauben…

„Wahrscheinlich ahnen Sie bereits, meine Herren“, fuhr der dunkelhaarige Mann fort, dessen Gestalt sich kohlrabenschwarz von der quecksilbernen Mondlandschaft abhob, „daß derjenige, der die Telefonkabel und die Hochspannungsleitung durchgeschnitten und auch den Transporter angegriffen hat, der überlebende Setaurus war. Wir haben es hier mit einer noch wenig bekannten Konstruktion zu tun, die erst vor knapp einem Monat in die Serienfertigung gegangen ist. Ursprünglich sollte Ingenieur Klarner, einer der Projektanten, mit mir hierherkommen, um Ihnen die Verwendungsmöglichkeiten dieses Modells im Detail zu erläutern und Sie auch darüber aufzuklären, wie der Roboter außer Gefecht zu setzen beziehungsweise zu vernichten ist…“ Der Kadett neben Pirx seufzte leise. Es war ein Seufzer des höchsten Entzückens, keine Spur von Entsetzen, nicht einmal von gespielter Besorgnis. Der junge Mann bemerkte den strafenden Blick des Navigators nicht. Im übrigen sah und hörte keiner etwas anderes als die Stimme des Chefingenieurs.

„Ich bin kein Intellektroniker und kann Ihnen deshalb nicht viel über den Setaurus sagen. Aber unter den Anwesenden müßte Doktor McCork sein. Ist er hier?“ Ein schlanker Mann mit Brille erhob sich von seinem Platz. „Ja. Ich war allerdings an der Projektierung des Setaurus nicht beteiligt, ich kenne lediglich unser englisches Modell, das dem amerikanischen ähnelt, aber nicht mit ihm identisch ist. Die Abweichungen sind jedoch unerheblich. Bitte sehr, ich stehe Ihnen zu Diensten…“

„Ausgezeichnet. Darf ich Sie zu mir nach vorn bitten, Doktor? Vorher noch ein paar Worte zur aktuellen Situation. Der bewußte Setaurus befindet sich etwa hier…“ Achanian umfuhr mit der Linealspitze die Küste des Meeres der Ruhe —, „das heißt dreißig bis vierzig Kilometer vom Gelände der Baustelle entfernt. Er war, wie auch alle anderen Setauren, für Bergbauarbeiten unter erschwerten Bedingungen, bei hohen Temperaturen und starker Einsturzgefahr vorgesehen, deshalb sind die Modelle massiv gebaut und besitzen einen dicken Panzer. Näheres dazu wird Ihnen Doktor McCork gleich noch sagen. Was die Mittel betrifft, über die wir verfügen, um ihn außer Gefecht zu setzen, so haben uns die Leitungsgremien sämtlicher Mondbasen vor allem eine bestimmte Menge von Explosivstoffen, Dynamit und Oxyliquiten sowie Handlaser mit Direktfeuerkraft und Bergbaulaser zur Verfügung gestellt, wobei natürlich weder die Sprengstoffe noch Laser ausgesprochene Kampfmittel sind. Zur Fortbewegung werden die Operativgruppen, die für die Vernichtung des Setaurus vorgesehen sind, mit Transportern des kleinen und mittleren Wirkungsbereichs ausgerüstet; zwei von ihnen haben einen leichten Meteoritenschutzpanzer. Nur derartige Panzer können einem Laserbeschuß aus etwa einem Kilometer Entfernung standhalten. Diese Daten beziehen sich allerdings auf die Erde, deren Atmosphäre eine stark energieabsorbierende Wirkung hat. Hier bei uns fehlt die Atmosphäre, die beiden gepanzerten Transporter sind also kaum weniger gefährdet als die anderen auch. Darüber hinaus bekommen wir noch eine genügende Anzahl von Skaphandern sowie Sauerstoff, aber das ist, so fürchte ich, auch schon alles. Gegen zwölf Uhr trifft aus dem sowjetischen Sektor der „Floh“ mit drei Mann Besatzung ein. Für kürzere Flugstrecken kann er eventuell auch vier Mann an Bord nehmen, um sie in das Gebiet zu befördern, wo der Setaurus ausgemacht wurde. Das wär’s fürs erste. Ich gebe Ihnen jetzt ein Blatt Papier, auf das Sie bitte deutlich Ihren Namen sowie ihre berufliche Qualifikation schreiben wollen.

Unterdessen ist Doktor McCork vielleicht so freundlich, uns ein paar Worte über den Setaurus zu sagen. Das wichtigste ist, glaube ich, daß Sie eine Achillesferse kennenlernen…“ McCork stand bereits neben Achanian. Er war noch magerer, als es Pirx vorhin erschienen war, hatte abstehende Ohren, einen dreieckigen Schädel, kaum sichtbare Augenbrauen und einen Haarschopf von undefinierbarer Farbe. Dennoch wirkte er merkwürdig sympathisch. Bevor er zu sprechen begann, setzte er seine stahlgefaßte Brille ab und legte sie, als würde sie ihn beim Vortrag behindern, vor sich auf den Schreibtisch. „Ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß wir je an einen solchen Vorfall gedacht hätten, wie er sich hier ereignet hat. Neben Mathematik muß ein Kybernetiker auch noch eine Prise Intuition im Kopf haben. Und aus eben diesem Grund haben wir uns bisher noch nicht entschlossen, unser Modell in Serienfertigung zu geben. Die Labortests haben gezeigt, daß „Mephisto“ — so heißt unser Modell — enorm leistungsfähig ist. Der Setaurus unterscheidet sich von ihm angeblich durch eine bessere Synchronisation von Hemmung und Erregung. Wenigstens war ich bisher dieser Meinung, soviel hatte ich der einschlägigen Literatur entnehmen können. Jetzt bin ich mir meiner Sache nicht mehr ganz so sicher.

Setaurus — das riecht nach Mythologie, ist aber lediglich aus dem Begriff „Selbstprogrammierender Dreierelektronenrechenautomat “ entstanden, denn zur Konstruktion seines Hirns werden sowohl rechts- als auch linksdrehende pseudokristalline Monopolymere verwendet. Aber das ist wohl im Augenblick nicht von Bedeutung. Der Automat ist mit einem Laser für Bergbauarbeiten ausgerüstet, mit einem Violettlaser, und die Energie für die Ausstrahlung der Impulse liefert ein Mikroreaktor, der nach dem Prinzip der kalten Kettenreaktion arbeitet, wodurch der Setaurus, wenn ich mich recht erinnere, eine Leistung von fünfundvierzigtausend Kilowatt pro Impuls entwickeln kann.“

„Für wie lange?“

„Nach unserem Ermessen bis in alle Ewigkeit“, entgegnete der magere Doktor sofort. „Jedenfalls viele Jahre lang. Was kann nun mit diesem Setaurus passiert sein? Ich vermute, schlicht gesagt, er hat eins über den Schädel gekriegt. Es muß ein außerordentlich wuchtiger Schlag gewesen sein, aber letzten Endes kann auch ein einstürzendes Gebäude dieses Chrom-Nickel-Gehäuse beschädigen. Derlei Versuche haben wir allerdings nie durchgeführt, sie wären zu kostspielig gewesen“ — McCork lächelte unvermittelt und zeigte dabei zwei Reihen kleiner, regelmäßiger Zähne —, „aber es dürfte allgemein bekannt sein, daß die genau lokalisierte Beschädigung eines kleinen, das heißt relativ einfachen Hirns oder einer gewöhnlichen Rechenmaschine einen totalen Ausfall aller Funktionen zur Folge haben kann. Je mehr wir uns jedoch bei der Imitation von derlei Prozessen einem menschlichen Hirn annähern, in desto größerem Umfang wird so ein kompliziertes Hirn auch dann noch funktionieren, wenn es teilweise beschädigt ist. Das Hirn eines Tieres, zum Beispiel einer Katze, hat bestimmte Zentren, die auf einen Reiz von außen her mit einem aggressiven Wutausbruch reagieren. Das Hirn des Setaurus ist anders gebaut, aber es besitzt auch einen Hauptantrieb, einen Motor für seine Aktivität, die auf verschiedene Weise gesteuert und abgeleitet werden kann. Vermutlich ist also eine Art Kurzschluß dieses Aktivitätszentrums erfolgt und ein Destruktionsprogramm eingeschaltet worden. Das ist natürlich alles furchtbar simpel ausgedrückt.“

„Aber woher diese Destruktion“, fragte dieselbe Stimme wie vorhin. „Weil der Automat für Bergbauarbeiten vorgesehen ist“, erläuterte McCork. „Er hat die Aufgabe, Stollen und Gänge zu schlagen, Felsgestein zu durchbohren und besonders harte Mineralien zu zertrümmern, ganz allgemein gesagt — kompakte Materie zu zerstören, natürlich nicht immer und nicht überall, aber durch den Unfall muß es zu einer derartigen Generalisation gekommen sein. Im übrigen braucht meine Hypothese durchaus nicht zu stimmen. Diese rein theoretische Seite wird für uns erst dann an Bedeutung gewinnen, wenn wir den Automaten aktionsunfähig gemacht haben. Das wichtigste ist zunächst einmal, uns darüber klarzuwerden, was der Setaurus alles zu leisten vermag. Er kann sich zum Beispiel mit einer Geschwindigkeit von rund fünfzig Stundenkilometern vorwärts bewegen, und zwar in jedem beliebigen Gelände. Er besitzt keinerlei Schmierstellen, alle Gelenke und Reibungsflächen arbeiten auf Teflon-Basis. Er hat magnetische Aufhängungen, sein Panzer ist unempfindlich gegen Pistolen- oder Maschinengewehrkugeln. Derlei Versuche wurden zwar nicht gemacht, aber ich nehme an, daß erst ein Panzerabwehrgeschoß… Aber so was haben wir nicht — oder?“

Achanian schüttelte verneinend den Kopf. Er nahm die Liste, die mittlerweile zurückgekehrt war, überflog sie und machte hinter die einzelnen Namen kleine Zeichen. „Natürlich würde ihn eine Sprengstoffladung in Stücke reißen“, fuhr McCork seelenruhig fort, als spräche er von der harmlosesten Sache der Welt. „Aber zu diesem Zweck müßte man die Ladung erst einmal in seine Nähe bringen, und ich fürchte, das dürfte nicht so einfach sein.“

„Wo hat er eigentlich seinen Laser? Im Kopf?“ wurde aus dem Auditorium gefragt.

„Er hat gar keinen Kopf, sondern nur eine Art Wölbung zwischen den Schultern. Das soll ihn widerstandsfähiger gegen Verschüttungen machen. Der Setaurus ist zweihundertzwanzig Zentimeter groß, er feuert demnach aus einer Höhe von etwa zwei Metern. Die Lasermündung ist durch eine Schiebekappe abgeschirmt. Bei unbeweglichem Rumpf hat er einen Schußwinkel von dreißig Grad; braucht er ein größeres Schußfeld, dreht sich der Rumpf mit. Der Laser hat eine Höchstleistung von fünf und vierzigtausend Kilowatt. Jeder Fachmann weiß, daß man damit mühelos eine mehrere Zentimeter dicke Stahlplatte durchbohren kann…“

„Und wie groß ist der Wirkungsbereich?“

„Es handelt sich um einen Violettlaser, also hat das Lichtbündel einen sehr kleinen Streuwinkel… Der Wirkungsbereich ist praktisch durch das Gesichtsfeld begrenzt. Da der Horizont hier in der Ebene etwa zwei Kilometer entfernt ist, wird der Vernichtungsbereich folglich mindestens ebenso groß sein.“

„Wir bekommen Spezialbergbaulaser mit einer Leistung, die sechsmal so hoch ist“, warf Achanian ein. „Ach, das ist nichts anderes als Overkill, wie es die Amerikaner nennen“, erwiderte McCork lächelnd. „Die höhere Leistung bietet uns in einem Gefecht mit dem Setaurus keinerlei Vorteile…“

Jemand wollte wissen, ob sich der Automat nicht von Bord eines Raumschiffes vernichten ließe. McCork hielt sich für nicht kompetent genug, darauf eine Antwort zu geben, und Achanian warf einen Blick auf die Liste und sagte: „Unter uns befindet sich Herr Pirx, Navigator der ersten Klasse… Wären Sie vielleicht so freundlich, uns diese Frage zu beantworten, Herr Pirx?“ Pirx erhob sich.

„Theoretisch gesehen, könnte ein Raumschiff mittlerer Tonnage wie mein „Cuivier“, also ein Schiff mit einer Ruhemasse von sechzehntausend Tonnen, diesen Setaurus sicherlich vernichten, wenn er ihn in seinen Rückstoß bekäme. Die Ausstoßtemperatur übersteigt sechstausend Grad bei einer Entfernung von neunhundert Metern, das dürfte doch wohl genügen…?“ McCork nickte. „Aber das ist reine Spekulation“, nahm Pirx den Faden wieder auf. „Das Raumschiff müßte den Automaten ansteuern, und einem so kleinen Ziel wie dem Setaurus, der doch kaum größer ist als ein Mensch, würde es immer gelingen, dem Rückstoßstrahl zu entwischen. Die Seitengeschwindigkeit eines Schiffes, das über einem Planeten, also in seinem Gravitationsfeld manövriert, ist nämlich sehr gering, und von einer plötzlichen Verfolgungsjagd kann gar keine Rede sein. Bliebe also nur die Möglichkeit, eventuell kleinere Einheiten einzusetzen, sagen wir die eigene Mondflottille. Allerdings haben diese Schiffchen nur einen schwachen Rückstoß mit keiner sonderlich hohen Temperatur, es sei denn, man benutzte sie als Bomber… Doch zu einer präzisen Bombardierung müßten sie mit Zielobjektiven ausgerüstet sein, über die wir auf Luna nicht verfügen.

Sonst sehe ich keinerlei Möglichkeit. Freilich, diese kleinen Maschinen sollten ruhig eingesetzt werden, aber nur zu Erkundungszwecken, das heißt zur Lokalisierung des Setaurus.“

Pirx wollte sich schon setzen, als ihm plötzlich noch ein Gedanke kam.

„Ach ja, richtig!“ sagte er. „Die Sprungpatronen! Die könnte man verwenden. Das heißt, verwenden können sie nur Leute, die damit umzugehen wissen.“

„Sind das diese kleinen Einmannraketen, die auf dem Rücken befestigt werden?“ erkundigte sich McCork. „Ja. Man kann damit Sprünge ausführen und sich sogar reglos in der Luft halten. Auch minutenlange Flüge sind möglich, bis zu einer Höhe von fünfzig oder auch vierhundert Metern, das hängt vom jeweiligen Modell und vom jeweiligen Typ ab.“ Achanian stand auf.

„Das scheint mir wichtig zu sein. Wer von den Anwesenden hat ein Training an diesen Apparaten mitgemacht?“

Zwei Hände gingen in die Höhe. Dann noch eine. „Nur drei Mann?“ fragte Achanian. „Ah ja, und Sie auch“, fügte er hinzu, als er sah, daß Pirx wohl ein bißchen spät geschaltet hatte und deshalb erst jetzt die Hand hob. „Also vier. Tja, das ist nicht gerade üppig… Wir werden uns noch unter der Besatzung des Flugplatzes umsehen. Meine Herren! Es handelt sich natürlich um eine freiwillige Aktion. Eigentlich hätte ich damit beginnen müssen. Wer von Ihnen möchte an den Operationen teilnehmen?“ Es entstand ein kleines Durcheinander, denn alle Versammelten erhoben sich von ihren Plätzen.

„Ich danke Ihnen im Namen der Leitung“, sagte Achanian. „Ausgezeichnet… Also siebzehn Freiwillige. Wir erhalten noch Verstärkung durch drei Einheiten der Mondflottille, darüber hinaus stehen uns zehn Kraftfahrer und Funker zur Bedienung der Transporter zur Verfügung. Ich bitte die Anwesenden, vorerst hierzubleiben, und Sie, meine Herren“, er wandte sich an McCork und Pirx, „wollen mir bitte in die Leitung folgen…“

Gegen vier Uhr nachmittags saß Pirx im Turm eines großen Raupenfahrzeugs, das von heftigen Stößen geschüttelt wurde. Er steckte in einem kompletten Skaphander, auf seinen Knien lag der Helm, bereit, beim ersten Alarmsignal seinen Kopf zu schützen; quer über der Brust hing das schwere Lasergerät, dessen Kolben unbarmherzig drückte. In der linken Hand hielt der Navigator das Mikrofon, mit der rechten drehte er am Periskop und beobachtete die zu einer langen Kette aufgereihten anderen Transporter, die wie Kähne über die geröllübersäten Flächen des Meeres der Ruhe schaukelten. Dieses Wüstenmeer gleißte im Sonnenlicht, es war öde und leer, so weit das Auge reichte, von einem schwarzen Horizont bis zum anderen. Pirx nahm die Meldungen entgegen und gab sie weiter, er sprach mit Luna I, mit den Kommandanten der anderen Maschinen, mit den Piloten der kleinen Erkundungsschiffe, deren winzige Rückstoßflämmchen zwischen den Sternen am schwarzen Firmament aufblitzten, und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, all dies sei nur ein wirrer, verrückter Traum. Die Ereignisse überstürzten sich. Nicht nur er hatte das Gefühl, daß die Bauleitung in eine Art Panik verfallen war, denn was konnte ein wild gewordener Automat schließlich schon ausrichten, selbst wenn er mit einem Lichtwerfer bewaffnet war?

Als während der zweiten Beratung „auf höchster Ebene“, Punkt zwölf Uhr, davon gesprochen wurde, man wolle sich an die UNO oder zumindest an den Sicherheitsrat wenden, um „Sondersanktionen“ zu erwirken — das heißt die Erlaubnis, Artillerie (am besten Raketenwerfer) oder sogar Atomgeschosse einsetzen zu dürfen —, hatte er zusammen mit anderen Protest eingelegt und erklärt, daß sie sich auf diese Weise, noch ehe sie etwas erreicht hätten, vor der ganzen Erde bis auf die Knochen blamieren würden. Im übrigen war vorauszusehen, daß sie auf eine Entscheidung eines solchen internationalen Gremiums mindestens mehrere Tage, wenn nicht gar Wochen warten müßten, während deren sich der „verrückte Roboter“ Gott weiß wo verstecken konnte, so daß man ihn, wenn er sich erst einmal in einer unzugänglichen Schlucht der Mondrinde verkrochen hatte, selbst mit allen Kanonen der Welt nicht mehr erreichen würde. Es galt also, entschlossen und rasch zu handeln. Dabei stellte sich heraus, daß ihnen die Nachrichtenübermittlung am meisten zu schaffen machen würde, die schon immer ein Sorgenkind bei Mondunternehmungen gewesen war. Es gab nicht umsonst an die dreitausend patentierte Erfindungen, die das Nachrichtenwesen verbessern sollten, von seismischen Telegrafen (unter Verwendung von Mikroexplosionen) bis zu stationären „trojanischen“ Satelliten. Diese Satelliten waren schon vor Jahresfrist auf eine Umlaufbahn gebracht worden, was die prekäre Situation jedoch keineswegs verbessert hatte. Praktisch wurde das Problem durch Systeme von UKW-Relais gelöst, die auf Masten angebracht waren. Das erinnerte stark an die alten irdischen Sendeleitungen der Ära des satellitenlosen Fernsehens. Dieses Verfahren war sogar sicherer als die Übermittlung über Nachrichtensatelliten, weil sich die Ingenieure noch immer den Kopf darüber zerbrachen, wie die Orbitalrelais gegen „Sonnenstürme“ unempfindlich zu machen seien. Jeder Sprung der Sonnenaktivität und die damit einhergehenden „Hurrikane“ elektrisch geladener Teilchen mit hoher Energie, die den Raum durchdrangen, riefen sofort Störungen hervor, die den Nachrichtenaustausch manchmal tagelang erschwerten. Gerade jetzt herrschte ein solcher „Sonnentaifun“, deshalb liefen alle Nachrichten zwischen Luna I und der Baustelle über stationäre Relais.

Der Erfolg der „Operation Setaurus“ hing, weitgehend davon ab, daß es den „Rebellen“ nicht etwa danach gelüstete, diese Relais zu zerstören: Allein fünfundvierzig Gittermaste standen nämlich in einer Wüste, die Luna-Stadt mit dem Kosmodrom vom Baugelände trennte. All diese Überlegungen basierten selbstverständlich auf der Voraussetzung, daß der Setaurus weiterhin in dieser Gegend sein Unwesen trieb. Er hatte ja absolute Manövrierfreiheit, brauchte weder Treibstoff noch Oxygen, weder Schlaf noch Ruhepausen — er war so autark, daß so manchem der Ingenieure erst jetzt klar wurde, welch vollkommene Maschine hier von Menschenhand gebaut worden war: eine Maschine, deren Schritte niemand mehr voraussehen konnte. Natürlich dauerten die bereits im Morgengrauen eingeleiteten Direktgespräche Mond-Erde noch an, die Gespräche zwischen dem Operativstab sowie der Firma „Cybertronics“ und dem Projektierungsstab des Setaurus, aber man erfuhr nichts, was der kleine Doktor McCork nicht schon dargelegt hätte. Nur noch Laien versuchten, die Spezialisten zu überreden, doch mit Hilfe eines großen Kalkulators die Taktik des Automaten vorauszusagen. War er intelligent?

O ja, allerdings auf seine Art! Jene „überflüssige“, im Augenblick sogar äußerst schädliche „Klugheit“ des Roboters ärgerte viele Teilnehmer der Aktion — sie konnten einfach nicht begreifen, warum zum Teufel die Ingenieure eine Maschine, die ausschließlich für Bergbauarbeiten bestimmt war, mit einer solchen Freizügigkeit und Autonomie des Handelns ausgestattet hatten. McCork setzte ihnen klipp und klar auseinander, daß das „intellektronische Übermaß“ beim derzeitigen technischen Entwicklungsstand nichts anderes sei als ein Kapazitätsüberschuß, über den in der Regel alle konventionellen Maschinen und Motoren verfügten — eine Havariereserve sozusagen, die die allgemeine Funktionssicherheit und — Zuverlässigkeit erhöhte. Schließlich war es unmöglich, alle Situationen a priori zu bestimmen, in die eine Maschine — sei es nun eine energetische oder eine Informationsmaschine — geraten konnte.

Wozu der Setaurus nun wirklich imstande war, davon hatte im Grunde genommen niemand auch nur einen blassen Schimmer. Natürlich übermittelten die Fachleute, auch die von der Erde, telegrafisch ihre Gutachten, das Schlimme war nur, daß manche einander diametral entgegengesetzt waren. Die einen nahmen an, der Setaurus werde versuchen, Objekte „künstlichen“ Charakters zu zerstören, wie eben Nachrichtenrelais oder Hochspannungsmasten, andere wiederum vermuteten, er werde seine Energie unproduktiv verpulvern, das heißt alles unter Beschuß nehmen, was ihm in den Weg kam, ganz gleich ob es sich um das Felsgestein des Mondes oder um einen bemannten Transporter handelte. Manche plädierten für die Konzeption eines sofortigen Angriffs, um den Setaurus außer Gefecht zu setzen, andere rieten zur Taktik des Abwartens. Einig waren sie sich nur in einem Punkt: Die Bewegungen des Automaten müßten unbedingt überwacht werden.

Und so patrouillierten die zwölf kleinen Einheiten der Mondflottille im Meer der Ruhe und schickten regelmäßig ihre Meldungen an den Verteidigungsstab des Baugeländes, der wiederum ständigen Kontakt mit der Leitung des Kosmodroms aufrechterhielt. Es war beileibe kein Kinderspiel, den Setaurus ausfindig zu machen: ein Metallkrümel inmitten einer riesigen Felswüste, in der es von Geröllhalden, Schrunden und halbverschütteten Spalten nur so wimmelte und die zudem von winzigen Kratern übersät war — die ganze Gegend wirkte aus der Höhe wie mit Pockennarben übersät. Wenn also die Meldungen wenigstens negativ gewesen wären! Aber die Patrouillen hatten das Bodenpersonal schon mehrere Male mit der Nachricht alarmiert, sie hätten den „Verrückten“ aufgestöbert. Anschließend stellte sich stets heraus, daß es entweder ein ungewöhnlich geformter Felsbrocken oder auch ein Stück Lava war, das in der Sonne glitzerte, und selbst die Verwendung von Radar mit Ferroinduktionszeigern nutzte nicht viel, weil von den Explorationsaktionen aus der Anfangszeit der Monderkundung in den Felsenwüsten eine Unmenge von Metallbehältern, ausgeglühten Raketenpatronenhülsen und diverses Blechgerümpel zurückgeblieben war, was nun in gewissen Abständen immer wieder zu einem blinden Alarm führte. Schließlich wünschte sich der Operationsstab nichts sehnlicher, als daß der Setaurus wieder einmal irgendein Objekt angreifen möge, damit man endlich seinen Standort erfuhr — aber der Automat hatte sich zum letztenmal neun Stunden zuvor bemerkbar gemacht, als er einen kleinen Transporter des elektronischen Hilfsdienstes angriff, und seither war er wie vom Mondboden verschluckt.

Da man jedoch ein weiteres Abwarten nicht für ratsam hielt, vor allem weil die Elektroenergiezufuhr für die Baustelle wiederhergestellt werden mußte, beschränkte sich die ganze Aktion darauf, ein Gebiet von nahezu neuntausend Quadratkilometern aus zwei entgegengesetzten Richtungen — von Norden und von Süden — mit aufeinander zustrebenden Fahrzeugketten zu durchkämmen. Die eine Gefechtslinie unter dem Kommando des Haupttechnologen Strzibr schwärmte von der Baustelle aus, die zweite vom Kosmodrom der Luna. Pirx hatte die Rolle des Koordinators übernommen, der die Aktionen beider Seiten aufeinander abzustimmen hatte und der seinerseits dem Kommandanten der Aktion unterstand, dem Commander-Navigator Pleydar. Pirx wußte sehr gut, daß sie jederzeit an dem Versteck des Setaurus vorbeikommen konnten und daß er ihnen, falls er sich in einem der zahlreichen tiefen tektonischen Gräben verborgen hielt oder sich auch nur mit dem hellen Mondsand getarnt hatte, leicht durch die Lappen gehen konnte. McCork, den er als „intellektronischen Berater“ zur Seite hatte, war derselben Auffassung.

Der Transporter wurde fürchterlich hin und her geschleudert, denn sie fuhren in einem Tempo, bei dem, wie der Fahrer ihnen seelenruhig ankündigte, „einem über kurz oder lang die Augen auslaufen“ würden. Sie befanden sich im östlichen Sektor des Meeres der Ruhe, eine knappe Stunde von dem Gebiet entfernt, in dem sich der Automat aller Wahrscheinlichkeit nach aufhielt. Wenn sie jene vereinbarte Grenze erreichten, sollten sie unverzüglich die Helme aufsetzen, um bei einem unvermittelten Angriff, bei Verlust der hermetischen Abdichtung oder im Falle eines Brandes sofort das Fahrzeug verlassen zu können.

Der Transporter war in ein Kampffahrzeug verwandelt worden — die Mechaniker hatten auf seinem kuppelartigen Turm ein Hochleistungs-Bergbaulasergerät montiert, um dessen Treffsicherheit es aber recht dürftig bestellt war.

Pirx hielt diese Bewaffnung für absolut unzureichend. Der Roboter hatte ein automatisches Visier, denn seine fotoelektrischen Augen waren mit dem Lasergerät gekoppelt, er konnte also alles blitzschnell unter Beschuß nehmen, was sich im Zentrum seines Gesichtskreises befand. Sie hingegen verfügten über ein sehr merkwürdiges Objektiv, das wohl von einem alten kosmonautischen Entfernungsmesser stammte. Sie hatten es ausprobiert, indem sie ein paarmal auf Felsblöcke am Horizont schössen, bevor sie Luna verließen. Es waren ganz ansehnliche Brocken gewesen, und die Entfernung hatte nicht mehr als eine Meile betragen — dennoch hatten sie erst beim vierten Versuch getroffen. Auch hierbei machten ihnen wieder einmal die spezifischen Mondverhältnisse zu schaffen, denn ein Laserstrahl ist nur in einem streuenden Medium, zum Beispiel in der Erdatmosphäre, als greller Lichtstreifen sichtbar. Im Vakuum hingegen wird ein Lichtbündel, wie stark es auch immer sein mag, erst dann sichtbar, wenn es auf ein materielles Hindernis trifft.

Auf der Erde kann man daher mit Laser ebenso schießen wie mit jeder beliebigen Feuerwaffe: Man braucht sich nur nach der sichtbaren Fluglinie des Geschosses zu richten. Ein Laser ohne Visier war auf dem Mond jedoch praktisch wertlos. Pirx hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Als sie nur noch wenige Minuten von der hypothetischen Gefahrenzone entfernt waren, unterbreitete er sie McCork. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht“, gestand der Ingenieur. Und dann fügte er lächelnd hinzu: „Warum sagen Sie mir das eigentlich?“

„Um Ihnen die Illusionen zu nehmen“, erwiderte Pirx, ohne vom Periskop aufzuschauen. Obwohl die Gläser schaumgummigepolstert waren, spürte er, daß er- falls er die ganze Geschichte lebend überstand — längere Zeit mit blutunterlaufenen Augen herumlaufen würde. „Außerdem wollte ich Ihnen damit erklären, weshalb wir den Krempel dort hinten mitschleppen.“

„Die Flaschen?“ fragte McCork. „Ich hab gesehen, wie Sie die Dinger aus dem Magazin geholt haben. Was ist denn drin?“

„Ammoniak, Chlor und irgendwelche Kohlenwasserstoffe“, entgegnete Pirx. „Ich denke, wir werden sie vielleicht brauchen können…“

„Eine Gas-Rauch-Wand?“ riet der Ingenieur. „Nein, eigentlich mehr, damit wir zielen können! Wenn keine Atmosphäre da ist, muß man sie eben schaffen, zumindest vorübergehend…“

„Ich fürchte nur, dazu wird uns keine Zeit bleiben.“

„Vielleicht nicht… Jedenfalls hab ich das Zeug mitgenommen. Gegen Verrückte eignen sich verrückte Methoden am besten.“ Sie verstummten, denn der Transporter sprang auf und nieder wie ein Ball. Die Stoßdämpfer stöhnten und kreischten, ihr Öl schien jeden Augenblick ins Sieden zu geraten. Sie jagten ein abschüssiges Gelände hinunter, das mit scharfkantigen Steinen übersät war. Der Hang gegenüber leuchtete weiß wie Bimsstein. „Wissen Sie, wovor ich mich am meisten fürchte?“ begann Pirx wieder, als die Stöße des Fahrzeugs etwas nachließen. Er war merkwürdig redselig. „Nicht vor dem Setaurus, keineswegs — sondern vor diesen Transportern von der Baustelle.

Denn wenn uns nur ein einziger für den Setaurus hält und seinen Laser zieht, dann wird’s gemütlich!“

„Ich sehe, daß Sie an alles gedacht haben“, murmelte der Ingenieur. Der Kadett neben dem Funker beugte sich über die Lehne seines Sessels und reichte Pirx einen in aller Eile hingekritzelten, kaum leserlichen Funkspruch.

Einfahren in Gefahrenzone bei Relais Nummer zwanzig — stop — vorläufig nichts — stop — strzibr — stop — ende,

las Pirx laut.

„Na, da werden wir auch bald die Helme aufsetzen müssen.“

Der Transporter drosselte ein wenig das Tempo, während er die Anhöhe emporkletterte. Pirx bemerkte, daß er das Nachbarfahrzeug zu seiner Linken nicht mehr sah. Nur der Transporter rechts von ihnen schob sich als dunkler Fleck den Hang hinauf. Er ließ das vermißte Fahrzeug über Funk rufen, bekam aber keine Antwort. „Wir verlieren allmählich die Tuchfühlung“, sagte er ruhig. „Genauso hab ich mir das vorgestellt. Können wir die Antennen nicht höher ausfahren? Nein? Na, dann eben nicht.“

Sie hatten den Kamm der leichten Anhöhe bereits erklommen. Am Horizont schoß jäh der gezackte, sonnenüberflutete Grat des Toricelli-Kraters auf, der sich scharf vom schwarzen Firmament abhob. Die Ebene des Meeres der Ruhe lag nun schon fast hinter ihnen. Tiefe tektonische Gräben tauchten auf, hier und da ragten erkaltete Magmaplatten aus dem Sand, über die der Transporter nur mit Mühe hinwegkroch, indem er sich erst aufbäumte wie ein Boot auf den Wellen und dann schwerfällig nach unten plumpste, als wollte er Hals über Kopf in einen bodenlosen Abgrund stürzen. Pirx erspähte den nächsten Relaismast, warf einen Blick auf die an seinem Knie festgeschnallte Tasche mit der Karte unter der Zelluloidscheibe und befahl allen, die Helme aufzusetzen. Von nun an konnten sie sich nur noch über die Bordanlage verständigen. Das Fahrzeug stuckerte noch schlimmer als bisher — Pirx’ Kopf rutschte im Helm umher wie ein Nußkern in einer hohlen Schale.

Als sie die Anhöhe überquert hatten und wieder etwas tiefer fuhren, verschwanden die Zacken des Toricelli-Kraters; sie wurden von den nächstgelegenen Erhebungen verdeckt. Beinahe zur gleichen Zeit vermißten sie ihren rechten Nachbarn. Ein paar Minuten noch hörten sie seine Rufzeichen, doch dann verzerrten sich die von den Felsplatten reflektierten Wellen immer mehr, und schließlich trat völlige Funkstille ein. Es erwies sich als sehr unbequem, mit dem Helm auf dem Kopf am Periskop zu hocken. Pirx fürchtete ständig, entweder die kleine Scheibe einzudrücken oder aber die Optik zu zerquetschen. Er gab sein Bestes, um das Gesichtsfeld nicht aus den Augen zu verlieren, das im Takt der Sprünge des Fahrzeugs auf und ab hüpfte. Von dem Gewirr der pechschwarzen Schatten und der grell beleuchteten Steinflächen flimmerte es ihm vor den Augen. Plötzlich schoß ein kleines orangefarbenes Flämmchen in die Düsternis des fernen Himmels, es flackerte, schrumpfte zusammen und verschwand. Dann ein zweiter, etwas stärkerer Blitz. Pirx schrie: „Achtung! An alle! Ich sehe irgendwelche Explosionen!“ und drehte fieberhaft an der Kurbel des Periskops. Von der durchsichtigen, auf Glas aufgezeichneten Skala las er den Azimut ab.

„Kursänderung!“ brüllte er. „Siebenundvierzig Komma acht- voller Schub!“ Eigentlich bezog sich dieses Kommando auf ein Raumschiff, aber der Fahrer begriff auch so. Die Bleche und Verstrebungen des Transporters erbebten wie im Krampf, und nachdem sie fast auf der Stelle gewendet hatten, brauste das Fahrzeug weiter geradeaus. Pirx erhob sich von seinem Sitz, weil ihm die Stöße den Kopf von der Optik rissen. Wieder blitzte es auf, diesmal war es eine rotviolette, fächerartige Flamme. Doch die Quelle dieser Entladungen oder Explosionen lag außerhalb seines Gesichtsfeldes, verdeckt von dem Bergkamm, den sie hinauffuhren.

„Achtung! An alle!“ sagte Pirx. „Handlaser fertigmachen! Doktor McCork! Bitte an die Luke! Sobald ich es sage oder im Falle eines Treffers öffnen Sie! Kraftfahrer! Geschwindigkeit drosseln!“

Der Höhenzug, den das Fahrzeug nun erklomm, ragte aus der Wüste auf wie das Schienbein eines Mondungeheuers, das bis zur Hälfte im Sand versunken war. Das Felsgestein erinnerte durch seine Glätte tatsächlich an ein poliertes Skelett oder an einen riesigen Totenschädel. Pirx befahl dem Fahrer, bis auf den Kamm hinaufzufahren. Die Raupenketten kreischten auf, als scheuerten sie über Glasscheiben. „Stop!“ schrie Pirx, und der plötzlich abgebremste Transporter schlug mit dem Bug vornüber aufs Gestein. Er schwankte, die Stoßdämpfer quietschten unter der Überbelastung, dann stand das Fahrzeug still.

Pirx schaute in einen flachen Talkessel hinunter, der zu beiden Seiten von strahlenförmig auseinanderlaufenden, abgerundeten Wällen alter Magmaströme eingefaßt war. Zwei Drittel dieser ausgedehnten Senke lagen im grellen Sonnenlicht, über das andere Drittel war das Leichentuch undurchdringlicher Schwärze gebreitet. In dieser samtenen Finsternis glühte wie ein unheimliches Kleinod das zur Hälfte aufgeschlitzte Skelett eines Fahrzeugs und verglomm rubinrot. Nur der Chauffeur und Pirx konnten es sehen, denn die Panzerluken waren herabgelassen. Um es offen zu sagen: Pirx wußte nicht, was er machen sollte. Das ist einer von den Transportern! dachte er. Wohin zeigt sein Bug? Nach Süden? Scheint also einer von der Baustelle zu sein. Aber wer hat ihn aufs Korn genommen — der Setaurus? Dann stehe ich hier wie ein Idiot, weithin sichtbar — wir müssen in Deckung gehen!

Doch wo sind die anderen Fahrzeuge, die von der Baustelle und meine? „Da ist er!“ schrie der Funker. Er schloß den Apparat des Transporters ans Bordnetz an, so daß alle die Signale in ihren Helmen mithören konnten.

„Aximo-Portativ-Geschiebefeld — Gewebsumschlossene Wand — Wiederholung bei Umkehr hinfällig — Zielerreichung nach Azimut — Polykristalline Metamorphisierung…“, sagte eine Stimme in Pirx’ Kopfhörer deutlich, monoton und ohne jegliche Intonation. „Das ist er!“ brüllte Pirx. „Der Setaurus! Hallo, Funker! Peilen, schnell, peilen! Bitte Peilung durchgeben! Los, zum Donnerwetter! Schnell, solange er noch sendet!“ Er brüllte so laut, daß der eigene Schrei, durch den geschlossenen Raum des Helms noch verstärkt, ihn fast betäubte. Ohne abzuwarten, bis der Funker reagierte, sprang er vom Sitz, duckte sich unter dem kleinen Kuppeldach, packte den Doppelgriff des schweren Lasergeräts und begann ihn zusammen mit der Kuppel zu drehen, während er die Augen schon am Visier hatte. Die tiefe, gleichsam traurige, eintönige Stimme in den Kopfhörern sprach weiter:

„Komplizierte viskosale Doppelglühschwachfärbung — nicht abgerundete Segmente ohne neuerliche Satteleinschlüsse..“ Dann schien das sinnlose Gestammel schwächer zu werden. „Was ist denn mit der Peilung, verdammt noch mal?“ Ohne die Augen vom Visier loszureißen, hörte Pirx ein undeutliches Rumoren — McCork war nach vorn gekommen, schob den Funker beiseite, irgendwas polterte… Auf einmal vernahm er die ruhige Stimme des Kybernetikers in den Kopfhörern: „Azimut 39,3… 40,0… 40,1 . 40,2…“ Er bewegt sich! sagte sich Pirx. Die Kuppel mußte mit einem Drehgriff bewegt werden, fast sprang ihm der Arm aus dem Gelenk, so schnell kurbelte er. Die kleinen Ziffern krochen nur träge vorwärts. Die rote Linie überschritt die Vierzig.

Plötzlich schrumpfte die Stimme des Setaurus zu einem gellenden Piepen zusammen und verstummte dann vollends. Im selben Augenblick drückte Pirx auf den Abzug, und einen halben Kilometer tiefer, unmittelbar an der Grenze zwischen Licht und Schatten, versprühten die Felsen ultravioletten Feuerschein.

Es überstieg fast eines Menschen Kraft, in den dicken Handschuhen die Hebel unbeweglich zu halten. Eine Flamme, heller als das Sonnenlicht, bohrte sich in die Finsternis des Talkessels, Dutzende Kilometer von dem verglimmenden Fahrzeugwrack entfernt; sie verharrte auf der Stelle und drang dann, nachdem sie zweimal Funkengarben in die Luft geschleudert hatte, als glutspeiende Linie weiter vor. Ein Plärren erklang in den Kopfhörern, doch Pirx schenkte dem keine Beachtung. Er schoß unaufhörlich weiter mit dieser unheimlich feinen, furchtbaren Feuerlinie, so lange, bis sie auf einen Felspfeiler auftraf und in Tausende von zentrifugalen Querschlägern zerstob. Vor Pirx’ Augen ballten sich rotwirbelnde Kreise, doch durch diesen Strudel hindurch sah er ein grelleuchtendes blaues Auge, kleiner als ein Nadelöhr, das sich tief im Grunde der Finsternis auftat, und irgendwo seitwärts, nicht dort, wohin er schoß. Doch ehe er noch die Hebel packen konnte, um das Lasergerät mitsamt dem Drehkreuz neu einzustellen, verspritzte das Felsgestein dicht vor dem Fahrzeug flüssige Sonnenmasse. „Zurück!“ brüllte Pirx und ging unwillkürlich in die Knie, aber er hätte ohnehin nichts weiter gesehen als jene roten, träge dahinkriechenden Kreise, die abwechselnd eine schwärzliche und goldene Farbe annahmen. Der Motor dröhnte auf. Der Transporter wurde so sehr durchgeschüttelt, daß Pirx ganz nach unten rutschte und gleich darauf nach vorn rollte, zwischen die Knie des Kadetten und des Funkers. Die Flaschen, die sie auf dem Verdeck mitführten, klirrten entsetzlich, obwohl sie doch gut befestigt waren. Sie jagten rückwärts, unter den Raupenketten knirschte es scheußlich, das Fahrzeug drehte sich um die eigene Achse, dann wurden sie auf die andere Seite geschleudert, und einen Moment lang sah es so aus, als wollte der Transporter umkippen.. Der Fahrer nahm das Gas weg, trat verzweifelt auf Bremse und Kupplung, und schließlich gelang es ihm, die heftige Schlingerbewegung abzufangen. Ein langes Beben durchlief die Maschine, dann stand sie still.

„Funktioniert die hermetische Abdichtung noch?“ schrie Pirx, während er sich hochrappelte. Ein Glück, daß der Boden gummiert ist! durchfuhr es ihn. „ja.“

„Na, das war ja ziemlich nahe dran“, sagte er in einem ganz anderen Ton, stand auf und reckte sich. Und mit leisem Bedauern fügte er hinzu: „Zwei Hundertstel mehr nach links, und ich hätte ihn gehabt…“ McCork ging an seinen Platz zurück.

„Danke, Doktor!“ rief Pirx, der schon wieder vor dem Periskop saß. „He, Fahrer, bitte fahren Sie so zurück, wie wir hinaufgekommen sind. Da waren einige kleine Felstrümmer, eine Art Tor. Ja, da, da! Fahren Sie in den Schatten dort und halten Sie an…“ Das Fahrzeug schob sich langsam, scheinbar übertrieben vorsichtig zwischen die teilweise vom Sand verschütteten Felsblöcke und blieb unsichtbar in ihrem Schatten stehen.

„Ausgezeichnet!“ sagte Pirx beinahe vergnügt. „Jetzt brauche ich zwei Mann für einen kleinen Spähtrupp..“ McCork und der Kadett meldeten sich gleichzeitig. „Schön… Achtung!“ Er wandte sich an die übrigen Mitglieder der Besatzung. „Ihr bleibt hier. Rührt euch nicht aus dem Schatten! Selbst wenn der Setaurus direkt auf euch zusteuert, verhaltet ihr euch still. Es sei denn, er steigt euch richtig aufs Dach, dann müßt ihr euch verteidigen. Aber das ist ziemlich unwahrscheinlich. Und Sie“ — er meinte den Funker — „rufen Luna, den Kosmodrom, die Baustelle und die Patrouillenfahrzeuge, und dem ersten, der sich meldet, sagen Sie, daß der Roboter einen Transporter zerstört hat, vermutlich einen von der Baustelle, und daß drei Mann von unserem Fahrzeug Jagd auf ihn machen damit uns dort niemand mit Laser dazwischenpfuscht, blindlings drauflosballert und so weiter. Und jetzt ab!“ Da jeder von ihnen nur eine Flasche tragen konnte, gingen sie zu viert. Pirx führte seine Gefährten nicht zum Gipfel des „Totenschädels“, sondern etwas weiter, wo eine flache, leicht ansteigende kleine Schlucht auszumachen war. Sie stiegen so weit wie möglich hinauf, stellten die Flaschen unter einem großen Felsblock ab, und Pirx befahl dem Fahrer umzukehren.

Er selbst lehnte sich über den Block und untersuchte mit dem Fernglas das Innere des Talkessels. McCork und der Kadett kauerten neben ihm. Nach geraumer Weile ließ sich Pirx vernehmen: „Ich sehe ihn nicht. Hatte das, was er da gesagt hat, eigentlich irgendeinen Sinn, Doktor?“

„Kaum. Einzelne Wortfetzen. Eine Art Schizophrenie…“

„Das Wrack ist fast ausgeglüht“, sagte Pirx. „Warum haben Sie denn geschossen?“ fragte McCork. „Es hätten doch Menschen dort sein können.“

„Niemand war dort.“

Pirx rückte das Fernglas Millimeter um Millimeter weiter und suchte jeden Winkel des von der Sonne beleuchteten Gebietes ab.

„Sie konnten nicht mehr rechtzeitig abspringen.“

„Woher wissen Sie das?“

„Weil er die Maschine förmlich in der Mitte durchgesägt hat. Das kann man sogar jetzt noch erkennen. Sie müssen wohl direkt auf ihn zugefahren sein. Er hat sie aus ein paar Dutzend Metern abgeschossen. Außerdem sind beide Luken geschlossen geblieben… Nein“, setzte er nach ein paar Sekunden hinzu, „in der Sonne ist er nicht. Und entwischt sein kann er auch nicht… Versuchen wir, ihn aus seinem Versteck zu locken.“

Er bückte sich und zog die schwere Flasche auf den Felsblock hinauf. Während er sie vor sich herschob, brummte er: „Das sind genau die Indianergeschichten, von denen ich immer geträumt habe…“

Die Flasche senkte sich, er hielt sie an den Ventilen fest. Bäuchlings auf den Steinen ausgestreckt, sagte er:

„Wenn ihr eine blaue Flamme seht, gebt sofort Feuer, schießt in sein Laserauge…“

Mit aller Kraft stieß er die Flasche hinab, die zunächst langsam, dann immer schneller den Abhang hinunterrollte. Die drei Männer lagen schußbereit, die Flasche hatte schon eine Strecke von etwa zweihundert Metern zurückgelegt und kullerte jetzt langsamer, weil das Gefälle abnahm. Mehrmals schien es, als würde sie an Steinen hängenbleiben, aber sie überrollte sie schließlich doch und näherte sich, nun schon als kleiner, dunkelglänzender Fleck, der Sohle des Talkessels.

„Nichts?“ fragte Pirx enttäuscht. „Entweder ist er schlauer, als ich dachte, oder er hat sie nicht bemerkt. Oder aber.. “

Er brachte den Satz nicht zu Ende. Auf dem Hang unter ihnen zuckte ein greller Blitz auf. Die Flamme wurde augenblicklich zu einer schweren, schmutziggelben Wolke, deren Zentrum noch in einem düsteren Feuer glühte, während die Ränder schon an Gestalt verloren und sich mit ihren Ausläufern ins Gestein krallten. „Das Chlor“, sagte Pirx. „Warum habt ihr nicht geschossen? Habt ihr nichts gesehen?“

„Nein“, antworteten der Kadett und McCork wie aus einem Munde.

„So ein Halunke! Er hat sich in einer Schlucht verkrochen, oder er schießt aus der Flanke. Jetzt fange ich wirklich schon an zu zweifeln, ob das Ganze überhaupt einen Sinn hat. Aber versuchen wir’s noch mal…“ Er hob die zweite Flasche an und schickte sie der ersten hinterdrein.

Sie rollte zunächst genauso den Hang hinunter, kam aber etwa auf halber Höhe ins Schlingern und blieb liegen.

Pirx schenkte ihr keine Beachtung, er richtete sein ganzes Augenmerk auf die dunkle dreieckige Fläche, in der irgendwo der Setaurus lauern mußte. Die Sekunden krochen dahin. Da, eine Explosion! Das genaue Versteck des Automaten hatte Pirx nicht ausmachen können, doch er sah die Schußlinie, vielmehr einen Teil davon, weil sie sich zu einem sonnenhell glühenden Faden materialisierte, als sie die Reste der ersten Gaswolke durchdrang.

Sofort stellte er den Sucher längs dieser Lichttrajektorie ein, die bereits erlosch, und als er die Hell-Dunkel-Grenze im Fadenkreuz hatte, drückte er ab. Zur gleichen Zeit mußte McCork wohl dasselbe getan haben, und wenig später folgte auch der Kadett ihrem Beispiel. Drei Sonnendolche bohrten sich in die schwarze Sohle des Talkessels, und im selben Moment schien dicht vor ihnen ein riesiger, heißer Deckel zuzuklappen — der Felsblock, der ihnen Deckung gewährte, erbebte, und von seinen Kanten stoben Myriaden von glitzernden Regenbogen empor, glühender Quarz fiel ihnen auf Skaphander und Helme und erkaltete im Handumdrehen zu tränenförmigen Kügelchen. Die drei Männer lagen lang ausgestreckt im Schatten des Felsens, und über ihre Köpfe zischte gleich einer weißglühenden Klinge eine zweite und dritte Feuergarbe hinweg, ihr Atem strich über das Gestein, das im Nu gläsern erstarrte Blasen warf.

„Niemand verletzt?“ fragte Pirx, ohne den Kopf zu heben.

„Nein“ — „Ich auch nicht!“ bekam er zur Antwort. „Bitte laufen Sie zum Fahrzeug und sagen Sie dem Funker, er soll Verstärkung anfordern. Wir hätten den Setaurus gestellt und bemühten uns, ihn so lange wie möglich aufzuhalten“, wandte sich Pirx an den Kadetten, der zurückrobbte und dann geduckt auf die Felsen zurannte, zwischen denen das Raupenfahrzeug stand.

„Wir haben noch zwei Flaschen. Für jeden eine. Wechseln wir jetzt den Standort, Doktor. Aber seien Sie bitte vorsichtig, und gehen Sie in volle Deckung, er hat sich nämlich schon auf unseren kleinen Hügel eingeschossen…“

Mit diesen Worten packte Pirx eine Flasche und rannte los, so schnell ihn die Beine trugen, wobei er sich immer im Schatten der großen Felsblöcke hielt. Etwa zweihundert Meter weiter gingen sie in der Scharte eines Magmawalles in Stellung. Der Kadett, der vom Transporter zurückkehrte, hatte einige Mühe, sie zu finden. Er keuchte, als wäre er mindestens eine Meile gerannt.

„Immer mit der Ruhe, es brennt doch nicht!“ sagte Pirx. „Na, was gibt’s Neues?“

„Die Verbindung ist da..“ Der Kadett hockte sich neben Pirx auf den Boden, und Pirx sah, wie der Blick des Jungen hinter der Helmscheibe flackerte. „In dem verunglückten Fahrzeug… waren vier Mann von der Baustelle. Das zweite mußte umkehren, weil es einen Laserdefekt hatte… und die anderen haben nichts bemerkt.“ Pirx nickte, als wollte er sagen: Genauso hab ich mir das vorgestellt.

„Und weiter? Wo sind unsere Leute?“

„Fast die ganze Gruppe hat sich zwanzig Meilen von uns entfernt versammelt. Dort hat es blinden Alarm gegeben. Eine Patrouille meldete, sie hätte den Setaurus gesichtet, und daraufhin sind alle dorthin abgezogen worden. Drei weitere Fahrzeuge beantworteten unser Rufzeichen nicht.“

„Wann sollen sie hier sein?“

„Vorläufig funktioniert nur der Empfang…“, erwiderte der Kadett schüchtern. „Nur der Empfang? Wieso?“

„Der Funker sagt, entweder wäre irgendwas mit dem Sender nicht in Ordnung, oder die Rufzeichen würden an dem Punkt, wo wir uns befinden, gelöscht. Er läßt fragen, ob er den Standort wechseln darf, um es noch mal zu probieren…“

„Soll er ihn wechseln, wenn’s sein muß“, entgegnete Pirx. „Aber rennen Sie nicht wieder so! Passen Sie auf, wo Sie hintreten!“

Der junge Mann hatte wohl nicht richtig hingehört, denn er galoppierte schon wieder zurück. „In einer halben Stunde können sie bestenfalls hier sein, falls die Verbindung zustande kommt“, sagte Pirx. McCork schwieg.

Pirx dachte über die nächsten Schritte nach. Sollte er die Ankunft der anderen Fahrzeuge abwarten? Den Talkessel mit Transportern anzugreifen hätte sicherlich Erfolg gehabt, aber das wäre nicht ohne Verluste abgegangen. Im Gegensatz zu dem Setaurus waren die Transporter ja große, schwerbewegliche Ziele, und sie hätten schon im Verband vorgehen müssen, denn ein Zweikampf mit dem Roboter wäre genauso ausgegangen wie der mit dem Raupenfahrzeug von der Baustelle. Pirx suchte nach einem Weg, wie er den Setaurus auf das beleuchtete Gelände locken könnte. Wenn man nun einfach einen unbemannten, ferngesteuerten Transporter als Köder vorschickte, um den Automaten dann irgendwie von oben aufs Korn zu nehmen…

Da fiel ihm ein, daß er doch gar nicht zu warten brauchte, er hatte ja einen Transporter. Aber der Plan wollte keine konkrete Gestalt annehmen. Und das Fahrzeug nur so aufs Geratewohl loszuschicken hatte keinen Sinn.

Der Setaurus würde es in Stücke reißen, ohne sich auch nur vom Fleck zu rühren. Ob er sich darüber im klaren war, daß ihm die Schattenzone, in der er steckte, diese Überlegenheit verlieh? Aber sie hatten es doch nicht mit einer Maschine zu tun, die zu einem von Strategie und Taktik bestimmten Kampf geschaffen war, dieser Wahnsinn hatte immerhin Methode! Bloß was für eine? Die beiden Männer kauerten geduckt am Fuß der Steinplatte, in ihrem dunklen, kühlen Schatten. Plötzlich konnte sich Pirx des Eindrucks nicht erwehren, daß er sich wie ein ausgewachsener Hornochse benahm. Wenn er sich an der Stelle des Setaurus befände, dort unten — was würde er dann tun? Und sogleich wurde ihm sehr unbehaglich zumute, weil er überzeugt war, daß er dann zum Angriff übergehen würde. Passiv die Dinge auf sich zukommen zu lassen, das brachte nichts ein. Vielleicht war der Automat also schon im Anmarsch, jetzt, in diesem Augenblick… Er konnte doch bis zum Westhang vordringen, ohne ein einziges Mal die schützende Dunkelheit verlassen zu müssen, und dann kam ein Gewirr von riesigen Felsblöcken und geborstenem Lavagestein, ein Labyrinth, in dem man sich Gott weiß wie lange verbergen konnte… Er war schon beinahe sicher, daß der Setaurus so und nicht anders handeln würde und daß sie jeden Moment mit seinem Auftauchen rechnen mußten. „Ich fürchte, er wird uns hier womöglich überraschen, Doktor“, sagte er hastig und sprang auf. „Was meinen Sie?“

„Glauben Sie, daß er uns aus dem Hinterhalt überfällt?“ fragte McCork zurück und lächelte. „Ich habe auch schon daran gedacht. Freilich, das wäre sogar logisch. Aber geht er logisch zu Werke? Das ist hier die Frage…“

„Wir müssen’s eben noch mal probieren“, knurrte Pirx. „Die Flaschen müssen bis ganz runter, mal sehen, was er dann macht…„„Ich verstehe. Gleich?“

„Ja — Achtung!“

Sie schleppten die beiden Metallzylinder auf den Gipfel der Anhöhe und stießen sie fast gleichzeitig hinunter, immer bemüht, vom Grunde des Talkessels aus nicht gesehen zu werden. Leider war durch das Fehlen der Atmosphäre nicht zu hören, ob und wie sie den Hang hinunterrollten. Pirx faßte sich ein Herz, legte sich platt aufs Felsengestein und reckte behutsam den Kopf vor, wobei er sich merkwürdig nackt und bloß und beileibe nicht so vorkam, als hätte er auf dem Kopf eine Stahlkugel und am ganzen Körper einen dreischichtigen, durchaus nicht leichten Skaphander.

Im Tal hatte sich nichts verändert. Lediglich das Fahrzeugwrack war jetzt nicht mehr zu sehen, weil seine erkalteten Trümmer mit der Dunkelheit verschmolzen. Der Schatten bedeckte noch immer dasselbe Gebiet, eine Fläche von der Form eines ungleichmäßigen, sehr in die Länge gezogenen Dreiecks, das mit seiner Hypotenuse im Westen an die Steilwand des höchsten Kammes grenzte. Eine der beiden Flaschen blieb hundert Meter unterhalb von ihnen liegen, weil sie gegen einen Stein gestoßen und aufrecht stehengeblieben war. Die andere rollte weiter, immer langsamer, immer kleiner werdend, bis auch sie liegenblieb. Daß damit alles sein Bewenden haben sollte, schmeckte Pirx ganz und gar nicht. Der ist wirklich nicht auf den Kopf gefallen, dachte er. Er hat keine Lust, auf ein Ziel zu schießen, das ihm als Köder vorgesetzt wird… Pirx versuchte, die Stelle wiederzufinden, wo sich der Setaurus etwa zehn Minuten zuvor das letztemal durch das Aufblitzen seines Laserauges zu erkennen gegeben hatte, aber das war alles andere als einfach.

Vielleicht ist er gar nicht mehr dort, überlegte Pirx. Er kann sich ja ohne weiteres nach Norden zurückziehen, er kann auch auf der Talsohle weitergehen oder einem dieser Risse im Magmastrom folgen… Wenn er bis zu der Steilwand kommt, bis in dieses Labyrinth, dann verschwindet er wie eine Stecknadel im Heuhaufen…

Langsam, tastend hob er den Laserkolben und entspannte die Muskeln.

„Doktor McCork!“ sagte er. „Bitte kommen Sie mal her!“

Und als der Doktor herangerobbt war, fuhr er fort: „Sehen Sie die beiden Flaschen? Eine direkt unter uns, die andere ein Stück weiter hangabwärts…“

„Ja, ich sehe sie.“

„Sie schießen zuerst auf die vordere und dann auf die andere. In einem Abstand von, sagen wir, vierzig Sekunden… Aber nicht von hier aus!“ fügte er rasch hinzu. „Sie müssen sich einen günstigeren Platz aussuchen. Schauen Sie mal!“ Er streckte die Hand aus. „Die Stelle dort in der Mulde wäre nicht übel. Und wenn Sie geschossen haben, robben Sie bitte sofort zurück. Gut?“ McCork stellte keine Fragen, sondern lief schon geduckt in die angegebene Richtung. Pirx wartete ungeduldig. Wenn dieser Roboter auch nur ein Quentchen Menschenähnlichkeit hatte, dann mußte ihn die Neugier packen. Jedes intelligente Wesen ist neugierig, und diese Neugier drängt zum Handeln, wenn etwas Unverständliches geschieht… Er sah den Doktor nicht mehr. Er verkniff sich auch, zu den Flaschen hinunterzublicken, die unter den Schüssen des Doktors explodieren sollten. Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den sonnenbeschienenen Streifen der Geröllhalde zwischen der Schattenzone und dem Steilabfall. Er hielt das Fernglas an die Augen und suchte das Gebiet am Lavasturz ab. Langsam glitten groteske Gestalten vorbei, die aus der Werkstatt eines abstrakten Bildhauers zu stammen schienen: gestreckte, spiralenartig gedrehte kleine Obelisken sowie Felstafeln, von den Schlangenlinien der Risse zerfurcht — ein Gewirr grell beleuchteter Flächen und gezackter Schatten, das einem förmlich die Netzhaut kitzelte. Aus dem Augenwinkel erfaßte er tief unter sich eine sich ausbreitende Flamme.

Geraume Zeit später schoß eine zweite Stichflamme in die Höhe. Stille. Nur der Pulsschlag hämmerte im Helm, durch den sich die Sonnenstrahlen in seinen Schädel zu bohren schienen. Er prüfte diesen Gürtel chaotisch übereinandergetürmter Geröllbrocken durch das Glas.

Irgend etwas rührte sich dort. Er erstarrte. Über den rasiermesserscharfen Grat einer Felsspalte, die der gespaltenen Schneide einer riesigen Steinaxt ähnelte, schob sich ein halbkugelförmiges Etwas, das farblich ganz dem dunklen Felsgestein angepaßt war. Aber dieses Etwas besaß Arme, die den Block von beiden Seiten umklammerten, und — jetzt sah er es vollständig — einen Rumpf. Die Gestalt wirkte bei alledem nicht wie ein Monstrum ohne Kopf, sondern wie ein Mensch mit der Maske eines afrikanischen Medizinmannes, die Gesicht, Hals und Nacken verdeckte und gleichsam plattgedrückt und deshalb irgendwie unförmig schien… Pirx spürte den Laserkolben am rechten Ellenbogen, doch er dachte gar nicht daran, zu schießen. Das Risiko war viel zu groß, und es gab kaum eine Chance, mit dieser verhältnismäßig schwachen Waffe aus einer solchen Entfernung zu treffen. Der Roboter stand reglos da; er schien mit seinem Schädel, der kaum über die Schultern hinausragte, auf die Überreste der beiden Gaswolken zu starren, die hangabwärts glitten und sich nur noch zaghaft ausdehnten. Dieses Bild änderte sich längere Zeit nicht. Es sah aus, als wüßte der Setaurus nicht, was passiert sei, und als zögere er, etwas zu unternehmen. In diesem Zögern, dieser Unsicherheit, die Pirx sehr gut nachvollziehen konnte, lag etwas so unheimlich Vertrautes, Menschliches, daß es ihm die Kehle zuschnürte. Was würde ich an seiner Stelle tun, was würde ich denken? Daß jemand auf die gleichen Gegenstände geschossen hat, so wie ich vorher, daß es sich demnach wohl nicht um einen Gegner handeln kann, sondern um einen Verbündeten. Aber ich, Pirx, wäre mir doch darüber im klaren, daß ich keinen Verbündeten habe… Und wenn es nun jemand war, der mir glich? Der Automat rührte sich. Seine Bewegungen waren fließend und enorm schnell.

Auf einmal zeigte er sich in voller Größe, hoch aufgerichtet stand er auf jenem steil emporragenden Stein, als wäre er noch immer damit beschäftigt, die Ursache jener beiden geheimnisvollen Explosionen zu ergründen.

Dann drehte er sich plötzlich um, machte einen Satz hangabwärts und begann leicht vornübergebeugt zu laufen.

Ab und zu entschwand er Pirx’ Blicken, aber nie länger als für einige Sekunden, und tauchte dann wieder in einem der Arme des Magmalabyrinths ans Sonnenlicht. So näherte er sich Pirx, nur daß er sich die ganze Zeit auf der Talsohle vorwärts bewegte. Lediglich der Bergstock trennte sie voneinander, und Pirx überlegte, ob er nicht doch schießen solle. Aber der Roboter huschte nur ab und zu durch die schmalen Lichtstreifen und verschmolz immer wieder mit der Finsternis, und da er vermutlich ständig die Richtung änderte, weil er sich einen Weg durchs Geröll bahnen mußte, war es unmöglich vorauszusehen, wo seine Schultern — die wie bei einem laufenden Menschen ruderten, um das Gleichgewicht zu halten — und sein kopfloser Rumpf das nächstemal auftauchen, metallisch aufleuchten und abermals verschwinden würden.

Plötzlich zerschnitt die Zickzacklinie eines Blitzes das Mosaik der Halde und schlug lange Funkenbüsche aus dem Gestein, genau dort, wo der Setaurus rannte. Wer hatte geschossen? Pirx konnte McCork nicht sehen, doch der Feuerschweif war aus der entgegengesetzten Richtung gekommen. Das konnte höchstens der Kadett gewesen sein, dieser Grünschnabel, dieser Idiot! Pirx verfluchte ihn und war wütend, weil dieser Beschuß natürlich nicht das mindeste erreicht hatte — der Metallbuckel glitt im Bruchteil einer Sekunde daran vorbei und war nun endgültig verschwunden. Noch dazu hinterrücks auf ihn zu schießen! schäumte Pirx innerlich und war sich gar nicht bewußt, wie sinnlos dieser Vorwurf war. Der Setaurus hatte das Feuer nicht erwidert — warum nicht? Pirx hielt noch einmal nach dem Roboter Ausschau, aber umsonst. Verdeckte ihn schon die Wölbung des Bergstocks? Durchaus möglich… Dann konnte man sich hier jetzt sicher und frei bewegen… Pirx rutschte von seinem Felsblock herunter, weil er einsah, daß er von dieser Stelle aus nichts mehr erspähen würde. Er setzte sich in Trab und rannte leicht gebeugt auf dem Grat entlang, und als er an dem Kadetten vorbeikam, der wie im Schießstand dalag, die Beine von sich gestreckt und die Füße gegen den Fels gestemmt, hatte er nicht übel Lust, ihm einen Tritt in den Hintern zu geben, der so komisch hervorstand, aufgebauscht von dem zu großen Skaphander. Für einen Augenblick im Lauf innehaltend, rief er ihm zu: „Wag es nicht, noch mal zu schießen, kapiert? Leg das Lasergerät weg!“

Und bevor der Kadett sich auf die Seite wälzte und fassungslos nach ihm Ausschau hielt, weil ihn die Stimme aus den Kopfhörern angesprochen hatte, ohne daß er etwas über Standort oder Richtung des Sprechers wußte, war Pirx schon weiter. Er durfte keine Zeit verlieren, deshalb rannte er, so schnell ihn die Beine trugen, bis sich vor ihm ein breiter Riß auftat, der den Blick bis hinunter auf die Sohle des Talkessels freigab. Es war so etwas wie ein tektonischer Graben; seine Ränder, altersmorsch, hatten ihre Schärfe verloren und ähnelten nun einem von starker Erosion erweiterten Gebirgskar. Pirx zögerte. Vom Setaurus keine Spur. Im übrigen hätte er ihn von dieser Stelle aus wohl auch gar nicht sehen können. Mit schußbereitem Lasergerät stieg er also in das Kar hinab, und er war sich sehr wohl bewußt, wie wahnwitzig sein Vorhaben war. Irgend etwas jedoch trieb ihn dort hinunter, er konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen. Er redete sich ein, daß er den Setaurus nur noch ein einziges Mal sehen wolle und daß er an dem erstbesten Punkt haltmachen würde, von dem aus er den letzten Abschnitt des Steilabfalls und das ganze Labyrinth der Geröllhalde überblicken könnte. Und während er immer tiefer stieg, noch immer geduckt, und ganze Steinhagel unter seinen Schuhen hervorstiebten, glaubte er vielleicht selbst daran. Im übrigen hatte er in diesen Sekunden auch gar keine Muße, gründliche Überlegungen anzustellen.

Er war auf dem Mond, wog folglich nur knappe fünfzehn Kilogramm, und doch riß ihm das zunehmende Gefälle die Beine weg. Mit Acht-Meter-Sätzen jagte er vorwärts, bremste ab, so gut er konnte, und hatte bereits die Hälfte des Hanges hinter sich gelassen. Das Kar mündete in eine flache, sonnenbeschienene Mulde.

Etwa hundert Meter tiefer türmten sich die ersten Lavablöcke, schwarz auf der sonnenabgekehrten Seite, glitzernd und funkelnd auf der anderen. Da hab ich mir ja was Schönes eingebrockt! ging es ihm durch den Sinn.

Die Zone, in der sich der Setaurus aufhalten mußte, lag zum Greifen nahe. Fieberhaft schaute er nach rechts und links. Er war allein — hoch über ihm ragte der Bergrücken als glühender Steilhang in den schwarzen Himmel.

Eben noch hatte er wie aus der Vogelperspektive die Lücken zwischen den Felsblöcken einsehen können, nun aber verdeckten ihm die allernächsten Gesteinsbrocken den Blick auf das Netz der Felsspalten. Alles Blödsinn, dachte er, ob ich nicht lieber umkehre? Aus irgendeinem unerfindlichen Grunde wußte er, daß er das nicht tun würde. Es schien ihm nicht ratsam, länger so stehenzubleiben. Ein paar Dutzend Schritte tiefer lag ein einsamer Magmabrocken, offensichtlich das Ende jener Lavazunge, die sich einst als feuriger Strom von den großen Überhängen des Toricellifußes ergossen und mit ihrem letzten Ausläufer diese Senke erreicht hatte. Als Versteck war es gar nicht so übel, ein besseres gab es weit und breit nicht. Mit einem Satz erreichte er den Brocken, wobei ihm das lange Schweben, dieser traumähnliche Flug im Zeitlupentempo, an den er sich auf dem Mond übrigens nie so richtig hatte gewöhnen können, auch jetzt wieder besonders unangenehm war. Geduckt hockte er hinter dem scharfkantigen Block, und als er vorsichtig dahinter hervorspähte, erblickte er den Setaurus, der eben hinter zwei gezackten Zinnen auftauchte, dann eine dritte umging, wobei er sie mit seinem Metallkreuz streifte, und schließlich stehenblieb.

Pirx sah ihn von der Seite und nur zum Teil beleuchtet, denn lediglich seine rechte Schulter glänzte dunkel und fettig wie ein gut geöltes Maschinenteil — der übrige Rumpf lag im Schatten. Im Nu hatte er das Lasergerät an die Augen gehoben, aber da war der Roboter auch schon fort — wie weggeblasen, als hätte er jählings Lunte gerochen. Doch vielleicht… vielleicht stand er sogar noch immer dort und hatte sich bloß in den Schatten zurückgezogen… Sollte man einfach diesen Schatten aufs Korn nehmen? Pirx hatte ihn schon genau über Kimme und Korn, aber er legte den Finger nicht an den Abzug. Im Gegenteil. Er entspannte die Muskeln und ließ den Laserlauf sinken. Er wartete.

Der Setaurus blieb verschwunden. Unten dehnte sich wie ein höllisches Labyrinth die Schutthalde, man hätte darin Verstecken spielen können, stundenlang; die zu Glas erstarrte Lava war gesprungen und zerplatzt, und dabei war es zu geometrischen und zugleich unheimlichen Formen gekommen. Wo mag er bloß sein? dachte Pirx. Wenn man wenigstens etwas hören könnte, aber diese verdammte luftleere Gegend hier… es ist wie in einem Alptraum. Wenn ich runterklettere, könnte ich Jagd auf ihn machen. Nein, ausgeschlossen, schließlich bin nicht ich hier der Verrückte… Aber in Gedanken darf man alles. Der Abgrund mißt nicht mehr als zwölf Meter — das ist wie ein Sprung aus zwei Meter Höhe auf der Erde. Dann wäre ich im Schatten unter der Wand, könnte mich daran entlangschieben und wäre die ganze Zeit über im Rücken durch den Felsen gedeckt. Früher oder später würde ich ihn bestimmt vor den Lauf kriegen… In dem steinernen Labyrinth passierte nichts. Auf der Erde wäre die Sonne in dieser Zeit schon ein ordentliches Stück weitergegangen, doch hier herrschte der lange Mondtag. Der Sonnenball schien noch immer am selben Fleck zu stehen, er löschte die Sterne in seiner nächsten Umgebung aus, so daß er von einer schwarzen Leere umgeben war, verwoben in einem orangefarbenen, buschigen Dunstschleier. Pirx schob sich halb hinter seinem Lavablock hervor. Nichts. Langsam stieg Ärger in ihm hoch. Warum kamen die anderen nicht? Unmöglich, daß die Funkverbindung noch immer nicht hergestellt sein sollte… Könnten sie ihn nicht endlich aus diesen Trümmern aufscheuchen? Er sah auf die Uhr unter dem dicken Glas an seinem Handgelenk und war verblüfft — seit seinem letzten Gespräch mit McCork waren erst dreizehn Minuten vergangen.

Gerade wollte er sein Versteck verlassen, als plötzlich zwei Ereignisse eintraten, die gleichermaßen unverhofft kamen. In dem Felsentor zwischen den beiden Magmarücken, die den Talkessel im Osten abschlössen, sah er eine lange Kette von Transportern. Sie waren noch weit entfernt, vermutlich mehr als einen Kilometer, fuhren mit Höchstgeschwindigkeit und zogen lange, scheinbar starre Staubschweife hinter sich her. Zur gleichen Zeit erschienen dicht am Rande des Steilabfalls zwei große Hände, die aussahen wie die eines Menschen, nur daß sie in riesigen Metallhandschuhen steckten — und so schnell, daß Pirx nicht mehr zurückweichen konnte, folgte ihnen der Setaurus nach. Kaum zehn Meter lagen zwischen ihnen. Pirx erkannte deutlich die den Kopf ersetzende massive Wölbung zwischen den mächtigen Schultern, in der unbeweglich die Gläser der Optik glänzten wie zwei schwarze, weit auseinanderstehende Augen. Und dann das mittlere, dritte, schreckliche unter dem momentan geschlossenen Lid des Laserwerfers! Pirx hielt seinen Werfer zwar schußbereit in der Hand, aber der Roboter besaß ein ungleich schnelleres Reaktionsvermögen als er. So versuchte Pirx erst gar nicht, in Deckung zu gehen — er erstarrte einfach im grellen Sonnenlicht mit eingeknickten Knien, so wie ihn der andere überrascht hatte, als er sich gerade aufrichten wollte. Und nun schauten sie einander an: die Statue eines Menschen und die Statue einer Maschine, beide in Metall gehüllt.

Plötzlich zerriß ein entsetzlicher Feuerschein den Raum vor Pirx, ein glühender Schlag riß ihn von den Beinen, er wurde rücklings zu Boden geschleudert. Pirx verlor nicht das Bewußtsein, und im Sekundenbruchteil des Sturzes empfand er nur Verwunderung, denn er hätte schwören mögen, daß nicht der Setaurus auf ihn geschossen hatte dessen dunkles und blindes Laserauge hatte er ja ständig beobachtet!

Er fiel auf den Rücken, denn der Blitz zuckte seitlich an ihm vorbei, aber ganz offensichtlich war auf ihn gezielt worden, weil der entsetzliche Feuerstrahl einen Augenblick danach erneut aufblitzte und einen Teil der Felsnadel wegriß, die ihm vorher Schutz geboten hatte. Flüssiges Mineral spritzte umher und verwandelte sich noch im Fluge in ein gleißendes Spinngewebe. Aber diesmal rettete ihn der Umstand, daß sie auf einen Punkt in Mannshöhe zielten — sie, die Besatzung des ersten Transporters. Pirx wälzte sich auf die Seite, und da erblickte er den Rücken des Setaurus, der reglos und starr, wie aus Bronze gegossen, zweimal seine violette Sonne aufblitzen ließ. Selbst aus dieser Entfernung war zu erkennen, wie es dem Transporter die ganze Raupenkette mit den Rollen und dem Antriebsrad wegriß. Eine riesige Wolke aus Rauch und leuchtenden Gasen wurde hochgewirbelt der nächste Transporter war geblendet und konnte nicht mehr schießen.

Der Zweieinhalbmeterriese sah ruhig auf den Mann herab, der zu seinen Füßen lag und seine Waffe umklammerte; er drehte sich um und ging leicht in die Knie, um mit einem Satz dorthin zurückzukehren, woher er gekommen war. Aber da schoß Pirx. Eigentlich wollte er den Setaurus nur zu Fall bringen, doch in dieser äußerst unbequemen Haltung — seitlich auf den Ellenbogen gestützt — zitterte er sehr, als er den Abzug betätigte, und eine Feuerklinge schlitzte den Riesen von oben bis unten auf, so daß er nur noch als glühender Eisenkoloß auf den Grund der Geröllhalde hinunterpolterte.

Die Besatzung des zerstörten Transporters war mit heiler Haut, ja sogar ohne Verbrennungen davongekommen, und Pirx erfuhr, allerdings erst viel später, daß sie auf ihn geschossen hatten, weil sie den Setaurus vor dem dunk len Hintergrund der Steilwand gar nicht bemerkt hatten. Dem wohl noch unerfahrenen Richtschützen war nicht einmal aufgefallen, daß die Gestalt, die er aufs Korn nahm, die helle Farbe eines Aluminiumskaphanders hatte.

Pirx war fast sicher, daß ihm der nächste Schuß den Garaus gemacht hätte. Der Setaurus hatte ihn gerettet — aber war er sich dessen bewußt gewesen? Immer wieder kehrte Pirx in Gedanken zu diesen letzten Sekunden zurück, und es wurde ihm mehr und mehr zur Gewißheit, daß der Roboter an einer Stelle gestanden hatte, von der aus er sehr wohl beurteilen konnte, auf wen da geschossen wurde. Hieß das, daß der Setaurus ihn retten wollte? Darauf konnte ihm niemand eine Antwort geben. Die Intellektroniker hielten das Ganze für ein „Zusammentreffen verschiedener Umstände“, doch keiner vermochte diese leere Behauptung mit Fakten zu beweisen. So etwas war eben noch nicht vorgekommen, die Fachliteratur vermerkte nicht einen einzigen ähnlichen Fall. Alle waren der Auffassung, Pirx hätte gehandelt, wie er hätte handeln müssen — aber das genügte ihm nicht. Noch lange Jahre blieb ihm jenes Bild im Gedächtnis haften, jene Sekundenbruchteile, da er dem Tod nahe gewesen und ihm schließlich doch noch entronnen war. Aber er würde niemals die ganze Wahrheit erfahren, und die Erkenntnis war bitter, daß er seinen Lebensretter auf ebenso hinterhältige wie verdammenswerte Weise getötet hatte — durch einen Schuß in den Rücken.

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