Margaret Weis Tracy Hickman Drachendämmerung

1 Ein alter Mann und ein goldener Drache

Er war ein uralter goldener Drache, der älteste seiner Art. In seiner Jugend war er ein feuriger Kämpfer gewesen. Die Narben seiner Siege waren auf seiner faltigen goldenen Haut sichtbar. Sein Name war einst so glanzvoll wie seine Siege gewesen, aber er hatte ihn schon vor langer Zeit vergessen. Einige der jüngeren, respektlosen goldenen Drachen nannten ihn liebevoll Eisenkies, oder auch Narrengold, aufgrund einer nicht seltenen Angewohnheit, die Gegenwart geistig auszublenden und seine Vergangenheit wiedererstehen zu lassen.

Er hatte kaum noch Zähne. Seit Äonen hatte er kein Stück Hirschfleisch mehr gefressen oder einen Goblin verspeist. Hin und wieder konnte er einen Hasen kauen, aber meistens ernährte er sich von Haferbrei.

Wenn Eisenkies in der Gegenwart lebte, war er ein intelligenter, wenn auch anstrengender Gefährte. Seine Sehkraft ließ nach, obwohl er es nie zugeben würde, und er war so taub wie ein Türgriff. Aber er konnte schnell denken. Seine Reden waren immer noch spitz wie ein Zahn – wie es bei den Drachen heißt. Nur diskutierte er selten das gleiche Thema wie die anderen in einer Gesellschaft.

Aber wenn er in seiner Vergangenheit weilte, zogen sich die anderen goldenen Drachen in ihre Höhlen zurück. Denn wenn er sie daran erinnerte, konnte er immer noch bemerkenswert gut Zaubersprüche werfen, und seine Atemwaffen waren immer noch beeindruckend.

An diesem Tag jedoch war Eisenkies weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. Er befand sich in den Ebenen der Ostwildnis und döste in der warmen Frühlingssonne. Neben ihm saß ein alter Mann, der das gleiche tat, sein Kopf ruhte an der Flanke des Drachen.

Ein zerbeulter Hut lag über dem Gesicht des alten Mannes, um seine Augen vor der Sonne zu schützen. Ein langer, weißer Bart floß unter dem Hut hervor. Unter der langen, mausgrauen Robe lugten Stiefel hervor.

Beide schliefen tief und fest. Die Flanken des goldenen Drachen hoben und senkten sich mit seinem zischenden Atem. Der Mund des alten Mannes war weit geöffnet, und manchmal wachte er von einem gewaltigen Schnarchen auf. Wenn dies geschah, richtete er sich kerzengerade auf, wobei sein Hut auf den Boden rollte, und sah sich beunruhigt um. Wenn er dann festgestellt hatte, daß nichts zu sehen war, grunzte er verärgert, setzte seinen Hut wieder auf, nachdem er ihn gefunden hatte, stieß wütend den Drachen in die Rippen und setzte dann sein Nickerchen fort.

Ein zufällig vorbeikommender Spaziergänger würde sich fragen, warum im Namen der Hölle diese beiden so seelenruhig in den Ebenen der Ostwildnis schliefen, auch wenn es ein noch so schöner, warmer Frühlingstag war. Der Spaziergänger würde wohl annehmen, daß die beiden auf jemanden warteten, denn der alte Mann wurde gelegentlich wach, entfernte seinen Hut und spähte ernst in den leeren Himmel.

Ein Spaziergänger hätte sich gewundert – wenn es Spaziergänger gegeben hätte. Die Ebenen der Ostwildnis waren von Drakoniern und Goblinsoldaten übersät. Falls die beiden wußten, daß sie an einem gefährlichen Ort ein Nickerchen hielten, schien es sie nicht zu stören.

Der alte Mann, der wieder von einem besonders heftigen Schnarchen wach geworden war, wollte gerade seinen Gefährten wegen dieses unerträglichen Lärms beschimpfen, als ein Schatten auf sie fiel.

»Ha!« sagte der alte Mann wütend und starrte nach oben.

»Drachenreiter! Eine ganze Gruppe. Haben wohl nichts Gutes im Sinn. Mir reicht es langsam. Jetzt haben sie auch noch den Mut, mir meine Sonne wegzunehmen. Wach auf!« schrie er und stieß Eisenkies mit seinem alten, verschlissenen Stab.

Der goldene Drache murrte, öffnete ein goldenes Auge und starrte den alten Mann an (er sah nur einen mausgrauen Schleier), dann schloß er wieder ruhig das Auge.

Die Schatten zogen vorüber – vier berittene Drachen.

»Wach auf, sage ich, du Faulpelz!« gellte der alte Mann. Selig schnarchend rollte sich der Goldene auf den Rücken, seine Klauenfüße ragten in die Luft, sein Bauch war der warmen Sonne zugewandt.

Der alte Mann funkelte den Drachen einen Moment lang wütend an, dann rannte er mit einer plötzlichen Eingebung um den großen Kopf herum. »Krieg!« brüllte er schadenfroh in ein Ohr des Drachen. »Es ist Krieg! Wir werden angegriffen...«

Die Wirkung war verblüffend. Eisenkies' Augen flammten auf. Er rollte sich wieder auf den Bauch, seine Füße gruben sich tief in den Boden. Sein Kopf richtete sich kämpferisch auf, seine goldenen Flügel spreizten sich und begannen zu schlagen und ließen meterweit Staub- und Sandwolken aufwirbeln.

»Krieg!« posaunte er. »Krieg! Wir werden gebraucht. Die Scharen sollen sich versammeln! Formiert euch zum Angriff!«

Der alte Mann wirkte ziemlich bestürzt über diese plötzliche Verwandlung, und einen Augenblick war er zum Schweigen verdammt, weil er zufällig Staub eingeatmet hatte. Als er jedoch sah, daß der Drache sich in die Lüfte heben wollte, rannte er mit seinem Hut winkend nach vorn.

»Warte!« schrie er hustend und würgend. »Warte auf mich!«

»Wer bist du, daß ich warten soll?« brüllte Eisenkies. Der Drache glotzte durch die Staubschwaden. »Bist du mein Zauberer?«

»Ja, ja«, rief der alte Mann hastig. »Ich bin... uh... dein Zauberer. Senke deinen Flügel ein wenig, damit ich aufsteigen kann. Danke, bist ein guter Bursche. Jetzt muß ich... oh! Huh! Ich bin nicht angeschnallt!... Sieh doch mal! Mein Hut! Verdammt, ich habe dir noch nicht befohlen, abzuheben!«

»Wir müssen rechtzeitig zur Schlacht kommen«, schrie Eisenkies heftig. »Huma kämpft allein!«

»Huma!« Der alte Mann schnaufte verächtlich. »Nun, zu dieser Schlacht wirst du sowieso nicht pünktlich ankommen! Ein paar hundert Jährchen zu spät. Aber das ist auch nicht die Schlacht, die ich im Sinn habe. Dort im Osten fliegen vier Drachen. Böse Kreaturen! Wir müssen sie aufhalten...«

»Drachen! Ach ja! Ich sehe sie!« brüllte Eisenkies, der sich an die Verfolgung von zwei äußerst erschrockenen und höchst beleidigten Adlern machte.

»Nein! Nein!« gellte der alte Mann und trat dem Drachen in die Flanken. »Östlich, du Dummkopf! Flieg etwas weiter östlich!«

»Bist du sicher, daß du mein Zauberer bist?« fragte Eisenkies mit tiefer Stimme. »Mein Zauberer hat niemals in diesem Ton zu mir gesprochen.«

»Ich bin... uh, tut mir leid, alter Bursche«, sagte der alte Mann schnell, »nur ein bißchen nervös. Bevorstehender Konflikt und so.«

»Bei den Göttern, da sind ja vier Drachen!« stellte Eisenkies erstaunt fest, der gerade einen verschwommenen Blick auf sie erhascht hatte.

»Flieg so nah wie möglich an sie heran, damit ich sie in Reichweite habe«, schrie der alte Mann. »Ich habe einen wunderschönen Zauber – Feuerkugel. Nun«, murmelte er, »wenn ich mich nur erinnern könnte, wie er funktioniert.«

Zwei Offiziere der Drachenarmee ritten in einer Schar von vier bronzenen Drachen. Der Anführer war ein bärtiger Mann, dessen Helm etwas zu groß und etwas zu verschlissen war. Der andere Offizier bildete den Schluß. Er war riesig und breit, seine schwarze Rüstung sprang fast auseinander. Er trug keinen Helm – wahrscheinlich gab es keinen, der groß genug war -, aber sein Gesicht war grimmig und wachsam, insbesondere im Hinblick auf die Gefangenen, die sie eskortierten.

Es war eine merkwürdige Ansammlung von Gefangenen eine Frau, deren Rüstung nicht zusammenpaßte, ein Zwerg, ein Kender und ein Mann mittleren Alters mit langen zerzausten grauen Haaren.

Demselben Spaziergänger, der den alten Mann und seinen Drachen betrachtet hätte, wäre aufgefallen, daß die Offiziere und ihre Gefangenen versuchten, die Bodentruppen des Drachenfürsten zu umfliegen. Wenn eine Gruppe Drakonier sie erspähte und ihnen etwas zuschrie, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, wurde sie in der Tat von den Offizieren sorgfältig ignoriert. Ein aufmerksamer Beobachter hätte sich auch gefragt, seit wann bronzene Drachen im Dienst des Drachenfürsten standen.

Unglücklicherweise war weder der alte Mann noch sein altersschwacher goldener Drache ein scharfer Beobachter.

Im Schutz der Wolken machten sie sich an die ahnungslose Gruppe heran.

»Saus auf meinen Befehl hervor«, sagte der alte Mann und kicherte ausgelassen in Erwartung eines Kampfes. »Wir werden sie von hinten angreifen.«

»Wo ist Huma?« fragte der Goldene störrisch.

»Tot«, murmelte der alte Mann, sich auf seinen Zauberspruch konzentrierend.

»Tot!« brüllte der Drache bestürzt. »Dann sind wir zu spät?«

»Oh, mach dir nichts draus!« schnappte der alte Mann ungeduldig. »Fertig?«

»Tot«, wiederholte der Drache traurig. Dann funkelten seine Augen. »Aber wir werden ihn rächen!«

»Ja, richtig«, sagte der alte Mann. »Jetzt... auf mein Signal... Nein! Noch nicht! Du...«

Die Worte des alten Mannes gingen in einem Windstoß unter, als der Goldene aus der Wolke hervorschoß und sich wie ein Speer auf die vier kleineren Drachen stürzte.

Der breite Offizier bemerkte eine Bewegung über sich und sah hoch. Seine Augen weiteten sich.

»Tanis!« gellte er beunruhigt zu dem Offizier an der Spitze.

Der Halb-Elf drehte sich um. Gewarnt durch den Klang in Caramons Stimme war er auf Schwierigkeiten eingestellt, aber zuerst konnte er nichts erkennen. Dann zeigte Caramon nach oben.

»Was im Namen der Götter...« keuchte Tanis.

Aus dem Himmel schoß ein goldener Drache direkt auf sie zu. Auf diesem Drachen ritt ein alter Mann, sein weißes Haar wehte im Wind (er hatte seinen Hut verloren), sein langer, weißer Bart flatterte über seine Schultern. Das Maul des Drachen war zu einem Fletschen geöffnet, das bösartig ausgesehen hätte, wenn es nicht zahnlos gewesen wäre.

»Ich glaube, wir werden angegriffen«, sagte Caramon nervös.

Tanis war zu der gleichen Schlußfolgerung gekommen. »Zerstreut euch!« gellte er. Unter ihnen beobachtete eine ganze Drakonierdivision die Luftschlacht mit Spannung und Interesse. Das war das letzte gewesen, was er gewollt hatte, nämlich die Aufmerksamkeit der Drakos zu erregen, und jetzt war ein verrückter alter Mann dabei, alles zu ruinieren.

Die vier Drachen, die Tanis' Befehl hörten, brachen sofort aus der Formation aus – aber nicht schnell genug. Eine glänzende Feuerkugel platzte direkt in ihre Mitte und wirbelte sie umeinander.

Durch das helle Licht einen Moment geblendet, ließ Tanis die Zügel fallen und warf seine Arme um den Hals des Tieres, das die Kontrolle verloren hatte.

Dann hörte er eine bekannte Stimme.

»Getroffen! Wunderbarer Zauber, diese Feuerkugel...«

»Fizban!« stöhnte Tanis.

Blinzelnd versuchte er verzweifelt, seinen Drachen zu beruhigen. Aber anscheinend wußte das Tier die Situation besser zu handhaben als sein unerfahrener Reiter, denn der bronzene Drache richtete sich schnell wieder auf. Als Tanis wieder sehen konnte, warf er schnell einen Blick zu den anderen. Sie schienen unverletzt, aber waren am ganzen Himmel verstreut. Der alte Mann und sein Drache verfolgten Caramon. Der alte Mann hielt seine Hände ausgestreckt, offenbar wollte er gerade einen weiteren verheerenden Zauber werfen. Caramon schrie und fuchtelte mit den Händen. Auch er hatte den verwirrten alten Magier wiedererkannt.

Hinter Fizban stoben Flint und Tolpan, der Kender kreischte vor Freude und winkte. Flint hielt sich, um sein Leben bangend, krampfhaft fest. Sein Gesicht hatte ein klares Grün angenommen. Aber Fizbans Aufmerksamkeit war völlig auf seine Beute gerichtet. Tanis hörte den alten Mann einige Worte schreien, dann streckte er eine Hand aus. Blitze schössen aus seinen Fingerspitzen. Glücklicherweise traf er nicht. Die Blitze streiften zwar Caramons Kopf, zwangen ihn, sich zu ducken, aber ansonsten wurde er nicht verletzt.

Tanis fluchte so heftig, daß er sich selbst erschreckte. Er trat seinen Drachen in die Flanken und zeigte zum alten Mann. »Greif an!« befahl er dem Drachen. »Verletz ihn nicht, vertreib ihn nur.«

Zu seiner Verwunderung weigerte sich der bronzene Drache. Kopfschüttelnd begann der Drache zu kreisen, und plötzlich begriff Tanis, daß das Tier landen wollte!

»Was? Bist du verrückt?« beschimpfte Tanis den Drachen. »Du bringst uns mitten in die Drachenarmee!«

Der Drache schien taub zu sein, und jetzt sah Tanis, daß auch die anderen bronzenen Drachen zur Landung kreisten.

Vergeblich redete Tanis auf seinen Drachen ein. Berem, der hinter Tika saß, umklammerte die Frau so heftig, daß sie kaum atmen konnte. Seine Augen waren auf die Drakonier gerichtet, die ausschwärmten, um die Drachen abzufangen. Caramon schlug wild um sich, versuchte, den Blitzen, die um ihn zischten, zu entkommen. Selbst Flint war wieder zum Leben erwacht und zog hektisch an den Zügeln des Drachen und brüllte vor Wut, während Tolpan wild auf Fizban einschrie. Der alte Mann folgte ihnen, die bronzenen Drachen wie Schafe vor sich hertreibend.

Sie landeten dicht bei den Ausläufern des Khalkist-Gebirges.

Tanis sah sich schnell um. Die Drakonier schwärmten auf sie zu.

Wir könnten uns herausreden, dachte Tanis fieberhaft, obwohl sie mit ihrer Verkleidung nur beabsichtigt hatten, ungestört nach Neraka zu kommen, und nicht eine Gruppe argwöhnischer Drakonier zu täuschen. Wenn nur Berem daran denken würde, im Hintergrund und ruhig zu bleiben.

Aber bevor Tanis ein Wort sagen konnte, war Berem vom Rücken seines Drachen gesprungen und rannte auf die Bergausläufer zu. Tanis sah, wie die Drakonier schreiend auf ihn zeigten.

Tanis fluchte wieder. Aber es könnte immer noch mit einer Ausrede funktionieren... sie könnten noch behaupten, ein Gefangener hätte einen Fluchtversuch unternommen. Nein, erkannte er verzweifelt, die Drakonier wurden Berem einfach jagen und ihn fangen. Von Kitiara wußte er, daß alle Drakonier auf Krynn Berems Beschreibung hatten.

»Im Namen der Hölle!« Tanis zwang sich zur Ruhe, um klar zu denken, aber die Situation entglitt ihm. »Caramon! Lauf Berem hinterher. Flint, du... Nein, Tolpan, komm zurück! Verdammt! Tika, lauf Tolpan hinterher. Nein, bleib doch lieber hier. Du auch, Flint...«

»Aber Tolpan ist hinter dem verrückten alten...«

»Und wenn wir Glück haben, wird sich der Boden öffnen und beide verschlingen!« Tanis sah zurück und fluchte wild. Berem, von Angst getrieben, kletterte mit der Leichtigkeit einer Bergziege über Steine und Sträucher, während Caramon – behindert durch seine Drachenrüstung und sein Waffenarsenal nach jedem Schritt zwei Schritte zurückfiel.

Wieder über die Ebene blickend, konnte Tanis jetzt die Drakonier deutlich erkennen. Vielleicht hatten sie immer noch eine Chance, wenn die bronzenen Drachen angreifen würden...

Aber gerade als er ihnen den Befehl zum Angriff erteilen wollte, kam der alte Mann von seinem Landeplatz herbeigerannt.

»Husch!« sagte der alte Mann zu den bronzenen Drachen.

»Husch – verschwindet! Geht zurück, wo immer ihr hergekommen seid!«

»Nein! Wartet!« Tanis riß sich vor Wut fast den Bart aus, während er beobachtete, wie der alte Mann zwischen die Drachen lief und mit den Händen fuchtelte wie eine Bäuerin, die ihre Hühner in den Stall treibt. Dann hörte der Halb-Elf zu fluchen auf, denn zu seiner Verblüffung warfen sich die bronzenen Drachen vor dem alten Mann in seiner mausgrauen Robe auf den Boden. Dann spreizten sie die Flügel und erhoben sich anmutig in die Lüfte.

In einem Wutanfall rannte Tanis über das zertrampelte Gras auf den alten Mann zu. Tolpan lief vor ihm. Fizban, der sie kommen hörte, drehte sich zu ihnen um.

»Ich hätte Lust, dir deinen Mund mit Seife auszuwaschen«, schnappte der alte Magier, während er Tanis anfunkelte. »Ihr seid jetzt meine Gefangenen, also kommt mit, ohne Widerstand zu leisten, oder ihr werdet meine Magie kennenlernen...«

»Fizban!« schrie Tolpan und warf seine Arme um den alten Mann.

Der alte Magier beäugte den Kender, der ihn umarmte, dann wich er erstaunt zurück.

»Das ist doch Toi... Toi...«, stammelte er.

»Tolpan«, sagte der Kender, der zurücktrat und sich höflich verbeugte. »Tolpan Barfuß.«

»Großer Geist von Huma!« rief Fizban aus.

»Das ist Tanis, der Halb-Elf. Und da ist Flint Feuerschmied. Erinnerst du dich an ihn?« fuhr Tolpan fort und winkte rüber zum Zwerg.

»Uh, ja, natürlich«, murmelte Fizban, der knallrot wurde.

»Und Tika... und dort oben ist Caramon... na ja, im Moment kannst du ihn nicht sehen. Und dann ist da noch Berem. Wir haben ihn in Kalaman aufgelesen und... oh, Fizban!... er hat einen grünen Ju... autsch, Tanis, das tat weh!« Fizban räusperte sich und blickte sich um.

»Ihr gehört... uh... nicht zur... uh... Drachenarmee?«

»Nein«, antwortete Tanis wütend. »Wir nicht. Bis jetzt gehören wir nicht dazu.« Er zeigte nach hinten. »Das kann sich aber jeden Moment ändern.«

»Aber jedenfalls gehört ihr nicht zur Drachenarmee?« fragte Fizban hoffnungsfroh. »Bist du sicher, daß ihr nicht übergetreten seid? Gefoltert? Gehirnwäsche?«

»Nein, verdammt!« Tanis riß seinen Helm ab. »Ich bin Tanis, der Halb-Elf, erinnerst du...«

Fizban strahlte. »Tanis, der Halb-Elf! Sehr erfreut, dich wiederzusehen.« Er nahm Tanis' Hand und schüttelte sie herzlich.

»Fahr zur Hölle!« schnappte Tanis wütend und riß seine Hand aus dem Griff des alten Mannes.

»Aber ihr reitet Drachen!«

»Das waren gute Drachen!« schrie Tanis. »Sie müssen zurückkommen!«

»Das hat mir niemand gesagt!« Der alte Mann keuchte beleidigt.

»Weißt du, was du angerichtet hast?« fuhr Tanis fort. »Du hast sie vom Himmel geschossen! Unsere einzigen Hilfsmittel, Neraka zu erreichen, weggeschickt...«

»Oh, ich weiß, was ich getan habe«, murmelte Fizban. Er blickte über seine Schulter. »Oje, oje. Diese Burschen scheinen näherzukommen. Wir dürfen von denen nicht geschnappt werden. Nun, warum stehen wir hier herum?« Er funkelte Tanis wütend an. »Du bist mir ja ein schöner Anführer! Vermutlich muß ich wohl die Leitung übernehmen... Wo ist mein Hut?«

»Ungefähr fünf Meilen hinter uns«, bemerkte Eisenkies mit einem Gähnen.

»Du bist immer noch hier?« fragte Fizban, den goldenen Drachen verärgert musternd.

»Wo sollte ich denn sonst sein?« fragte der Drache düster.

»Du solltest doch mit den anderen fliegen!«

»Wollte ich aber nicht.« Eisenkies schnaufte verächtlich. Aus seiner Nase schoß ein kleiner Feuerstrahl. Dann nieste er heftig. Schnaufend fuhr der Drache verdrießlich fort. »Kein Respekt vor dem Alter, diese bronzenen Drachen. Sie quatschen ununterbrochen. Und kichern. Geht mir auf die Nerven, dieses dämliche Kichern...«

»Nun, dann fliegst du eben allein zurück!« Fizban starrte in ein trübes Auge des Drachen. »Wir unternehmen eine lange Reise in ein gefährliches Land...«

»Wir?« schrie Tanis. »Sieh mal, alter Mann, Fizban, oder wie immer du heißen magst, warum gehst du nicht mit deinem... uh... Freund zurück? Du hast recht. Es wird eine lange, gefährliche Reise. Jetzt noch länger, weil wir unsere Drachen verloren haben und...«

»Tanis...«, warnte Tika, die die Drakonier im Auge behalten hatte.

»Schnell in die Berge«, sagte Tanis, holte tief Luft, versuchte, seine Angst und seine Wut unter Kontrolle zu kriegen. »Lauf schon, Tika. Du und Flint. Tolpan...« Er packte den Kender.

»Nein, Tanis! Wir können ihn nicht hierlassen!« plärrte Tolpan.

»Tolpan!« sagte Tanis mit einer Stimme, die den Kender warnte, daß das Maß voll war. Offenbar hatte der alte Mann das auch so verstanden.

»Ich muß mit diesen Leuten gehen«, sagte er zu dem Drachen. »Sie brauchen mich. Du kannst nicht allein zurück. Du mußt einfach nur eine mutierte...«

»Polymorph!« korrigierte der Drache beleidigt. »Das Wort heißt polymorph! Du lernst es nie...«

»Ist doch egal!« schrie der alte Mann. »Schnell! Wir nehmen dich mit.«

»Na gut«, sagte der Drache. »Ich könnte eine Pause vertragen.«

»Ich glaube nicht...«, begann Tanis, der sich fragte, was sie mit einem riesigen goldenen Drachen anfangen sollten, aber es war zu spät.

Während Tolpan fasziniert zusah und Tanis vor Ungeduld kochte, sprach der Drache einige Worte in der seltsamen Sprache der Magie, Dann blitzte es kurz auf, und plötzlich war der Drache verschwunden.

»Was? Wo?« Tolpan sah sich schnell um.

Fizban beugte sich und hob rasch etwas aus dem Gras auf.

»Beeilt euch! Sofort!« Tanis scheuchte Tolpan und den alten Mann zu den Ausläufern, Tika und Flint folgten.

»Hier«, sagte Fizban zu Tolpan beim Laufen. »Halt deine Hand auf!«

Tolpan gehorchte. Dann hielt der Kender vor Ehrfurcht den Atem an. Er hätte am liebsten angehalten, um es zu untersuchen, aber Tanis packte ihn am Arm und zog ihn weiter.

In Tolpans Handfläche glänzte die winzige goldene Gestalt eines Drachen, alle Einzelheiten waren deutlich herausgearbeitet. Tolpan dachte, daß er sogar die Narben auf den Flügeln sehen konnte. Zwei kleine rote Juwelen glitzerten in den Augen, dann erloschen sie, als sich die goldenen Augenlider schlossen.

»Oh, Fizban, das... das ist... wunderschön! Kann ich das wirklich behalten?« schrie Tolpan über die Schulter dem alten Mann zu, der hinter ihnen prustete.

»Sicher, mein Junge!« Fizban strahlte. »Zumindest bis zum Ende dieses Abenteuers.«

»Oder es wird unser Ende sein«, murmelte Tanis, der schnell über die Steine kletterte. Die Drakonier kamen näher und näher.

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