Odal saß in dem Warteraum. Es war eine kahle Zelle mit unverputzten Wänden und einem schmalen Luftschlitz hoch oben unter der Decke. An Mobiliar gab es lediglich eine Holzbank und einen Bildschirm an der gegenüberliegenden Wand. Grabesstille herrschte.
Aufrecht und reglos saß der kerakische Major auf der harten Bank. Aber seine Gedanken überschlugen sich:
Kor benutzt diese Räume, wenn er einem Besucher Respekt einflößen will. Er weiß genau, wie sehr sie einem mittelalterlichen Verlies ähneln. Es macht ihm Spaß, Menschen zu terrorisieren.
Odal wußte, daß die Verhörzellen unten im Keller genauso aussahen. Nur hatten sie keine Fenster, und die Wände waren oft blutbespritzt.
»Der Minister läßt bitten«, ertönte eine weibliche Stimme aus dem Bildschirm. Der Schirm selbst blieb dunkel. Odal begriff, daß er vermutlich beobachtet worden war, seit er Kors Hauptquartier betreten hatte.
Er stand auf, als sich die einzige Tür des Raums automatisch öffnete. Militärisch forsch und mit klickenden Absätzen marschierte er den Korridor hinunter bis zu der Tür am anderen Ende. Er klopfte an dem massiven Holzportal. Keine Antwort. Er klopfte noch einmal, und die Tür schwang von selbst auf.
Kor saß am anderen Ende des Arbeitszimmers hinter einem gigantischen Schreibtisch. Der Raum wurde lediglich von einer Tischlampe erhellt, unter der die Glatze des Ministers spiegelte. Leise schloß Odal die Tür, machte ein paar Schritte in den mit Teppichen ausgelegten Raum und wartete. Der Geheimdienstchef — oder »Direktor des Informationsministeriums« —, wie sein offizieller Titel lautete — beschäftigte sich mit einer Unterschriftsmappe und ignorierte seinen Besucher.
Schließlich blickte Kor auf. »Setzen Sie sich«, befahl er.
Odal trat zum Schreibtisch und nahm auf dem einzelnen hochlehnigen Stuhl davor Platz. Kor unterschrieb noch ein paar Dokumente, dann schob er den Aktenstapel beiseite.
»Heute morgen war ich beim Führer«, sagte er mit seiner unangenehm schrillen Stimme. »Sie können sich vorstellen, daß er nicht sehr begeistert war über den Ausgang Ihres Duells mit dem Watchman.«
Odal konnte sich Kanus’ wütende Tiraden vorstellen. »Mein einziger Wunsch ist es, noch einmal mit diesem Watchman zusammenzutreffen und die Scharte auszuwetzen.«
Kors ausdruckslose Augen starrten Odal an. »Persönliche Motive tun nichts zur Sache. Der Watchman ist nur ein Tölpel, aber er brachte es fertig, unsere ursprünglichen Pläne für die Eroberung von Acquatainia zu durchkreuzen. Gelingen konnte es ihm nur deshalb, weil dieser Leoh seine Nase in fremde Angelegenheiten stecken mußte. Er ist unser Ziel. Er muß beseitigt werden.«
»Verstehe… «
»Nein, gar nichts verstehen Sie!« herrschte ihn Kor an. »Sie haben keine Ahnung von dem neuen Konzept, weil bis jetzt nur der Führer eingeweiht ist. Und ich werde erst darüber sprechen, wenn die Zeit reif ist.«
Odal verzog keine Miene. Sein Vorgesetzter sollte nicht das geringste Zeichen von Schwäche, von Gefühl, von Furcht sehen.
»Für den Augenblick sind Sie meinem persönlichen Stab zugeteilt. Sie bleiben Tag und Nacht hier im Hauptquartier. Ihre Aufgaben bekommen Sie täglich von meinen Mitarbeitern zugeteilt.«
»Sehr wohl, Sir.«
»Und denken Sie daran«, fuhr Kor fort und beugte sich vor, »Ihr Fiasko mit dem Watchman hat dazu geführt, daß der Führer mir Unfähigkeit vorwarf. Entschuldigungen läßt er nicht gelten. Wenn Sie noch einmal versagen, muß ich Sie leider liquidieren lassen.«
»Ich verstehe vollkommen.«
»Schön. Kehren Sie in Ihr Quartier zurück und warten Sie dort, bis Sie gerufen werden. Und vergessen Sie nicht, entweder vernichten wir Leoh, oder er vernichtet uns.«
Odal nickte, stand auf und verließ das Zimmer. Uns, dachte er. Kor verspürt jetzt am eigenen Leib den Terror, den er sonst über andere ausübt. Wenn Odal sicher gewesen wäre, daß ihn keine versteckten Kameras beobachteten, hätte er gegrinst.
Professor Leoh ließ seinen massigen Körper auf eine weiche Aerocouch sinken. Es sah aus, als schwebte er völlig frei in der Luft — einige Zentimeter über dem polierten Metallgestell der Couch.
»Genau das, was ich schon seit langem brauche«, sagte er zu Hector. »Ein wirklicher Urlaub mit allen Bequemlichkeiten. Ein alter Mann wie ich weiß das zu schätzen.«
Der Star Watchman stand an der Panoramawand und betrachtete angelegentlich die geschäftige Stadt tief unter ihm. »Die haben Ihnen wirklich ein schönes Apartment gegeben.«
Das Zimmer war langgestreckt und geräumig, eine Längswand bestand nur aus Fenstern. Das Interieur war farb- und duftcodiert und änderte sich allmählich im Lauf des Tages. Im Augenblick wiesen die Wände warme Braun- und Goldtöne auf, und es duftete dezent nach exotischen Gewürzen.
»Am besten gefällt mir«, sagte Leoh und räkelte sich auf der Couch, »daß jetzt kein Telepath mehr externe Helfer ankoppeln kann, ohne die neue Alarmschaltung auszulösen, und daß ich nichts zu tun habe, bis in Carinae das neue Studienjahr anfängt. Vielleicht gehe ich auch gar nicht zurück; nachdem mich die Acquatainier unbedingt so fürstlich behandeln wollen, warum sollte ich da nicht noch ein oder zwei Jahre hierbleiben? Es gäbe eine Menge Forschungsarbeiten für mich… vielleicht kann ich sogar gelegentlich Gastvorlesungen an der Universität hier halten…«
Hector versuchte höflich zu lächeln bei den Träumereien des alten Mannes, brachte aber nur einen gequälten Ausdruck zustande. »Vielleicht sollten Sie nicht zu lange auf Acquatainia bleiben. Ich meine… na ja, kann doch sein, daß die Keraker immer noch hinter Ihnen her sind. Odal wollte Sie zum Duell herausfordern, bevor ich… also, ich meine…«
»Bevor du mich gerettet hast.«
Der Watchman errötete. »Also, das würde ich ja nicht gerade…ich meine… es war doch eigentlich…«
Leoh lachte. »Brauchst nicht verlegen zu werden, mein Junge. Du bist ein Held. Auf jeden Fall in Geris Augen, stimmt’s?«
»Hm, ja, ich glaube schon.«
»Und wie ist dein Quartier?« wechselte Leoh das Thema. »Komfortabel, hoffe ich?«
»Doch.« Hector nickte. »Die Terranische Botschaft ist fast so feudal eingerichtet wie dieses Apartment.«
»Nicht übel für einen Junior Lieutenant.«
Unruhig tänzelte Hector von der Panoramawand zur Couch und pflanzte sich dann auf einen Netzstuhl.
»Bist du nervös wegen Sir Harolds Besuch?« fragte Leoh.
»N… nervös? Nein, Sir. Halb tot vor Angst bin ich!«
Lachend erwiderte Leoh: »Völlig grundlos, Hector. Harold ist in Wahrheit ein unwahrscheinlich nettes altes Rauhbein… wenn er sich auch sehr bemüht, einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken.«
Hector nickte skeptisch und lief wieder ans Fenster. Dann keuchte er: »Er… er ist da!«
Leoh erhob sich von der Couch und eilte zu der Panoramawand. Ein schnittiger Roadster mit Star-Watch-Emblem war vorgefahren. Offizielle acquatainische Begleitfahrzeuge flankierten ihn.
»Er muß schon auf dem Weg nach oben sein«, meinte Leoh. »Jetzt nimm dich zusammen, Hector, gib dich ganz…«
Der unbedarfte Türcomputer quäkte mit monotoner Stimme: »Die angemeldeten Besucher sind eingetroffen, Sir.«
»Dann mach gefälligst auf«, befahl Leoh.
Die Tür glitt auf und gab den Blick frei auf zwei muskulöse, wachsame Watchmen, eine umfangreiche acquatainische Ehrengarde und, in ihrer Mitte, der korpulente und pausbäckige Sir Harold Spencer in einem schmucklosen grauen Raumoverall.
Der Commander-in-Chief der Star Watch verzog die Lippen zu einem seiner seltenen Lächeln. »Albert, du intergalaktischer Schurke! Wie gehts dir?«
Leoh eilte zur Tür und ergriff Spencers ausgestreckte Hand. »Harold… hätte nicht gedacht, daß wir uns noch mal wiedersehen würden — leibhaftig, meine ich.«
»Wenn ich mir unsere beiden Leiber so ansehe, dann muß ich mich direkt fragen, ob wir nicht irgendein physikalisches Gesetz verletzen, wenn wir zur gleichen Zeit im gleichen Raum sind.«
Lachend gingen sie ins Zimmer. Die Tür glitt zu und sperrte die Ehrengarde aus. Hector stand wie hypnotisiert an der Fensterwand.
»Gut siehst du aus, Harold…«
»Unsinn. Ich bin ein wandelndes geriatrisches Experiment. Aber du, du alter Hexenmeister, du mußt dir einen neuen Körper zugelegt haben seit unserem letzten Treffen.«
»Nein, nur vernünftige Lebensweise.«
»Aha. Mein Untergang. Zu viele Sorgen und zuviel Wein. Muß schön sein, so ein angenehmes, sorgenfreies Leben im akademischen Elfenbeinturm…«
»Und ob, und ob. Ach… Harold, ich möchte dir Junior Lieutenant Hector vorstellen.«
Hector knallte die Hacken zusammen und salutierte zackig.
»Rühren, Lieutenant. Wir sind nicht auf dem Kasernenhof. So, Sie sind also der Mann, der Keraks Chefkiller bezwungen hat?«
»Nein, Sir. Ich meine, jawohl, Sir… ich meine, eigentlich war es Professor Leoh…«
»Unsinn. Albert hat mir alles erzählt. Sie waren der Mann mit Mut und Kaltblütigkeit.«
Hector klappte den Mund auf und zu, aber kein Wort drang über seine Lippen.
Spencer fuhr mit seiner massigen Hand in die Tasche und zog eine kleine Ebenholz-Schatulle hervor. »Das ist für Sie, Lieutenant.« Er reichte Hector die Box.
Der Watchman klappte den Deckel auf und entdeckte darin auf nachtschwarzem Samt zwei kleine silberne Anstecknadeln, die einen Kometen darstellten. Die Rangabzeichen eines Kapitänleutnants. Das Kinn fiel ihm auf die Brust.
»Die offizielle Benachrichtigung schwimmt irgendwo in der Star-Watch-Bürokratie, Lieutenant«, sagte Spencer. »Ich wollte Sie nicht so lange warten lassen, bis die Computer sich gnädigerweise geräuspert haben. Gratuliere zu der wohlverdienten Beförderung.«
Hector brachte ein ersticktes »Danke, Sir« zustande.
Zu Leoh gewandt, fuhr Spencer fort: »Okay, Albert, jetzt wollen wir uns mal über alte Zeiten unterhalten. Du hast doch hoffentlich ein paar flüssige Erfrischungen im Haus?«
Viele Stunden später saßen die beiden alten Herren noch auf der Aerocouch, während Hector von einem Netzstuhl aus zuhörte. Das Zimmer hatte jetzt rötliche und gelbe Farbtöne angenommen, und es duftete nach Wüstenblumen.
»Und was hast du jetzt vor?« fragte Sir Harold gerade den Professor. »Du willst mir doch nicht weismachen, daß du mitten in der schwersten Krise des Jahrhunderts hier faulenzen und dann nach Carinae zurückkehren möchtest?«
Leoh zuckte die Achseln und zog die Brauen hoch, ein Mienenspiel, das Tausende kleiner Fältchen auf seinem fleischigen Gesicht hervorrief. »Ich weiß noch nicht genau, was ich vorhabe. Einerseits möchte ich an ein paar Ideen für besseren interstellaren Transport weiterarbeiten. Und ich möchte gern in der Nähe sein, wenn diese Barbaren aus Kerak noch einmal versuchen, die Duellmaschine für ihre finsteren Zwecke einzusetzen.«
Spencer nickte. »Wußt ich’s doch«, polterte er, »du interessierst dich für Politik. Früher oder später wirst du mir meinen Job streitig machen wollen.«
Darüber mußte sogar Hector lachen.
Wieder ernst geworden, fuhr Spencer fort: »Du weißt natürlich, daß ich offiziell hier bin, um dem neuen Premierminister General Martine meine Aufwartung zu machen.«
»Klar«, erwiderte Leoh. »Und der wirkliche Grund?«
Spencer senkte die Stimme. »Ich möchte Martine überreden, dem Commonwealth beizutreten. Oder zumindest einen Beistandspakt mit uns abzuschließen. Nur auf diese Weise kann Acquatainia einen Krieg mit Kerak vermeiden. Acquatainias ehemalige Verbündete sind alle von Kerak geschluckt oder in eine strikte Neutralität getrieben worden. Allein sind die Acquatainier in größter Gefahr. Aber sogar Kanus wird nicht die Stirn haben, ein Mitglied oder einen Bündnispartner des Commonwealth anzugreifen.«
»Aber Acquatainia wollte nie etwas von einer Mitgliedschaft im Commonwealth wissen… nicht mal von einer Allianz.«
»Richtig, doch vielleicht sieht General Martine die Lage jetzt mit anderen Augen, nachdem Kanus bedrohlich aufrüstet«, argumentierte Spencer.
»Aber der General…« setzte Hector an und stockte dann.
»Nur weiter, Lieutenant. Was wollten Sie sagen?«
»Also… es ist wahrscheinlich nicht wichtig… nur etwas, was mir Geri über den General erzählt hat… äh, den Premierminister, meine ich. Sie sagt… äh, also, er sei ein dickköpfiger, kurzsichtiger, eingebildeter alter Knacker. Das waren ihre Worte, ehrlich, Sir.«
»Die Terranische Botschaft«, knurrte Spencer, »hat genau das gleiche gesagt, allerdings diplomatischer verklausuliert.«
»Ja, und dann hat Geri noch gemeint, er sei sehr tapfer und patriotisch… aber empfindlich wie eine Mimose und furchtbar leicht eingeschnappt.«
Leoh warf Spencer einen besorgten Blick zu. »Das hört sich nicht gerade an, als wollte er freiwillig zugeben, daß er den Schutz des Commonwealth braucht.«
Achselzuckend erwiderte Sir Harold: »Es ist ein Faktum, daß ein Krieg nur durch eine Allianz mit dem Commonwealth verhindert werden kann. Unsere Computersimulatoren haben die Sache durchgespielt. Nachdem Kerak die Szarno Federation geschluckt und Acquatainias ehemalige Verbündete neutralisiert hat, sagt der Computer im Falle eines Krieges einen kerakischen Sieg über Acquatainia voraus. Mit dreiundneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit.«
Leohs Miene wurde noch düsterer.
»Und wenn Kanus Acquatainia unterworfen hat, wird er das Commonwealth angreifen.«
»Was? Aber das wäre ja glatter Selbstmord! Warum sollte er das tun?«
»Weil er ein Verrückter ist, würde ich sagen.« Spencers Stimme klang richtig wütend. »Die Soziodynamiker haben mir erzählt, daß Kanus’ Art von Diktatur laufend expandieren muß, sonst zerbricht sie an innerer Opposition und an internen Machtkämpfen.«
»Aber gegen das Commonwealth hat er doch militärisch keine Chance«, warf Hector ein.
»Korrekt«, bestätigte Spencer. »Alle unsere Computersimulationen brachten das gleiche Ergebnis: das Commonwealth würde Kerak vernichtend schlagen, selbst wenn Kanus über Acquatainias Reserven und Hilfsquellen verfügen könnte.«
Der Star-Watch-Commander schwieg einen Moment und fuhr dann fort: »Aber die Computer sagen auch voraus, daß der Krieg millionenfache Verluste an Menschenleben fordern würde — auf beiden Seiten. Und er wird weitere Konflikte auslösen, an denen letztlich das Commonwealth zerbrechen könnte.«
Leoh ließ sich entsetzt zurücksinken. »Dann… dann muß Martine einfach dem Commonwealth-Bündnis zustimmen!«
Spencer nickte. Aber seine Miene war pessimistisch.
Leoh und Hector sahen sich General Martines Amtseinführung in der Wohnung des Professors am Tri-Di an. An diesem Abend schlossen sie sich den Hunderten von Politikern, Wirtschaftsbossen, hohen Militärs, Botschaftern, Künstlern, Staatsgasten und sonstigen VIPs an, die sich auf dem Raumhafen der Hauptstadt versammelten, um an dem festlichen Ball teilzunehmen. Die Feier sollte auf einem Satelliten stattfinden, der den Zentralplaneten umkreiste.
»Was meinen Sie, ob Geri auch kommt?« fragte Hector, als sie sich mit der Menschenmenge in eine überfüllte Shuttle drängten.
Der Watchman trug seine schwarz-silberne Paradeuniform mit den Kometen-Insignien am Kragenspiegel. Leoh steckte in einem einfachen Overall, wie es auf der Einladung empfohlen worden war, karmesinrot mit goldenem Besatz.
»Sie ist ebenfalls eingeladen, hast du mir erzählt«, antwortete Leoh.
Sie fanden zwei nebeneinanderliegende Sitze und schnallten sich an.
»Aber sie wußte noch nicht, ob sie gehen sollte… nachdem der Tod ihres Vaters doch erst ein paar Wochen zurückliegt.«
Bequem zurückgelehnt in dem gepolsterten Sitz erwiderte Leoh: »Wenn sie nicht kommt, kannst du ihr von der Party erzählen. Das gibt Gesprächsstoff für Stunden.«
Der Watchman grinste überrascht und erfreut. »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht…«
Die Shuttle füllte sich rasch mit ausgelassenen Partygästen und startete dann. Sie stieg wie ein normales Raketenflugzeug bis zum Rand der Atmosphäre, schaltete dann den Booster zu und erreichte rasch den Satelliten. Die Party lief bereits auf vollen Touren, als Hector und Leoh die Schleuse der Shuttle verließen. Es war ein riesiger kugelförmiger Satellit, dessen Inneneinrichtung und Schotten entfernt worden waren, so daß er jetzt wie eine enorme Seifenblase aussah. Die Hülle der Seifenblase war transparent, bis auf zirkelförmige Flächen um die zahlreichen Luftschleusen.
Das müssen schon gut tausend Leute sein, schätzte Leoh, als er die schwerelos durcheinanderquirlenden Menschenmassen im Innern der riesigen Kugel betrachtete. Sie schwebten über ihm, viele mit dem Kopf nach unten, manche quer, manche drifteten gestikulierend und in angeregte Unterhaltung vertieft dahin. Die meisten hielten luftdicht verschlossene Plastikbehälter mit Drinks in der Hand und tranken über eingebaute Saugventile. Die Menge formte ein schwindelerregendes Kaleidoskop: farbenprächtige Kleider, glitzernder Schmuck, Stimmengewirr, vereinzeltes Gelächter — alles tanzte mühelos und schwerelos über seinem Kopf.
Leoh stützte sich haltsuchend auf Hectors Arm.
»An der Hülle scheint ein schwaches Grav-Feld zu wirken«, meinte der Watchman und lupfte vorsichtig einen Fuß vom Boden.
»Für ängstliche Gemüter«, vermutete Leoh.
Die anderen Fährenpassagiere strömten an ihnen vorbei, stießen sich wie Schwimmer von der Luftschleuse ab und schwebten graziös ins Innere der riesigen Kugel.
Leoh sah sich um und entdeckte Büffets und Bars an den Außenwänden, aber auch einige, die mitten im Raum schwebten. Zu Hector gewandt sagte er: »Warum suchst du nicht nach Geri, und ich sehe zu, daß ich Harold finde?«
»Ich bleibe lieber in Ihrer Nähe, Professor. Ich meine, eigentlich ist es doch meine Aufgabe, das heißt, äh…«
»Quatsch! Hier oben gibt es keine kerakischen Attentäter. Such du nach Geri.«
»Also gut«, erwiderte Hector grinsend. »Aber ich behalte Sie im Auge.«
Und damit stieß sich Hector vom Boden ab in Richtung auf die schwerelose Menge. Aber die Bewegung war etwas zu schwungvoll; er prallte mit einem schreiend bunt gekleideten Acquatainier zusammen, der mit einem Drink in der Hand vorbeischwebte, und versetzte den Mann, den Drink und sich selbst in unkontrolliertes Trudeln. Der Verschluß des Plastikbehälters platzte auf, kleine flüssig Kugeln spritzten durch die Luft, prallten auf andere Gäste und zerplatzten in immer kleinere Tröpfchen. Eine Frau kreischte.
Der Acquatainier fing sich sofort wieder, aber Hector konnte nicht stoppen. Kopfüber kreiselnd pflügte er durch die Menge und stieß einen endlosen Strom von »Hoppla… Vorsicht… Pardon…du meine Güte… Aufpassen…« aus.
Leoh stand wie angewurzelt neben der Luftschleuse und starrte ihm ungläubig nach. Die schwerelosen Gäste flüchteten aus seiner Bahn, manche fluchten, ein paar Frauen kreischten, aber die meisten lachten. Hinter ihm schlossen sie wieder auf, und Leoh verlor den Watchman aus den Augen. Drei Stewards nahmen die Verfolgung auf und versuchten ihm den Weg abzuschneiden.
Erst dann bemerkte Leoh einen Steward neben sich, der einen schmalen Gürtel in der Hand hielt. »Ein Stabilisator, Sir. Die meisten Gäste haben ihren eigenen mitgebracht. Ohne den Gürtel ist das Manövrieren etwas schwierig… wie uns der Watchman gerade demonstriert.«
Leoh nahm den Gürtel dankbar an, kam zu der Ansicht, daß er Hector auch nicht helfen konnte — höchstens zu dem Durcheinander beitragen würde —, und schwebte statt dessen aufwärts ins Zentrum der Party. Das Gefühl der Schwerelosigkeit war angenehm, es erinnerte an das faule Dahintreiben in einem Swimming-pool. Er besorgte sich einen Plastikbehälter mit einem Drink und saugte an dem Ventil, während er auf eine größere Gruppe von Gästen ziemlich im Mittelpunkt der Kugel zudriftete.
Plötzlich kam Hector angerudert, hilflos und mit gerötetem Gesicht, verfolgt von zwei atemlosen Stewards. Die Partygäste lachten schallend, als Hector vorbeitrudelte, und nahmen dann ihre Unterhaltung wieder auf. Leoh streckte die Hand aus, aber der Watchman war bereits vorbeigesegelt und verschwand erneut in der Menge.
Leoh runzelte die Stirn. Er haßte große Partys. Zu viele Leute, zuwenig Aktivität. Auf Partys redeten die Leute unablässig, ohne wirklich etwas zu sagen. Sie schlugen sich die Bäuche voll, obwohl sie eigentlich keinen Hunger hatten. Sie hörten stundenlang Unbekannten zu, die sie nie wiedersehen würden. Es war eine kolossale Zeitvergeudung.
Oder ödet es dich nur deswegen an, fragte er sich, weil dich niemand hier kennt? Die scheinen sich auch ohne den berühmten Erfinder der Duellmaschine recht gut zu amüsieren.
Leoh driftete zu der durchsichtigen Außenwand des Satelliten und betrachtete den Planeten, eine riesige Kugel, die in goldenes Sonnenlicht gebadet war. Dann schwebte er weiter, bis er eine gute Aussicht auf den Sternhimmel fand. Der Acquataine Cluster war ein Schmuckkästchen aus roten und goldenen und orangenen. Sternen, so dichtgepackt, daß man kaum den schwarzen Hintergrund des Alls sehen konnte.
So viel Schönheit im Universum, dachte Leoh.
»Professor Leoh?«
Leoh schreckte aus seinen Tagträumen auf und sah einen kleinen Mann mit Vollmondgesicht und beginnender Glatze neben sich schweben. Er streckte ihm die Hand hin.
»Ich bin Lal Ponte«, sagte er, als Leoh die Hand ergriff. »Es ist mir eine Ehre.«
»Mir ist es eine Ehre«, erwiderte Leoh mit der üblichen acquatainischen Grußfloskel.
»Sie suchen vermutlich nach Sir Harold, und ich weiß, daß der Premierminister sich gerne mit Ihnen unterhalten würde. Da die beiden gerade zusammen sind, darf ich Sie vielleicht hinbringen?« Ponte hatte eine piepsende Tenorstimme.
Leoh nickte. »Besten Dank. Gehen Sie bitte voraus.«
Ponte startete ins Innere des Satelliten und schlängelte sich geschickt durch Grüppchen von Gästen — viele von ihnen auf dem Kopf stehend. Leoh folgte ihm. Wie ein Frachter, der von einem Schlepper bugsiert wird. Er grinste bei dem Gedanken an seine massige Gestalt, wie sie hinter dem schmächtigen Acquatainier herzuckelte.
Leoh durchforstete sein Gedächtnis. Lal Ponte: der neue Minister des Inneren. Bis vor ein paar Wochen war Ponte noch ein unbedeutender Hinterbänkler gewesen. Aber bei den hektischen Premierministerwahlen, als vier Kandidaten das Parlament in vier fast gleichstarke Fraktionen spalteten, war er in den Brennpunkt des politischen Interesses gerückt, nachdem er ein Dutzend entscheidender Stimmen für General Martine zusammengekratzt hatte. Sein Lohn war der Kabinettsposten.
Ponte glitt stracks in einen riesigen Menschenklumpen hinein, ziemlich im Zentrum des Satelliten. Leoh folgte ihm schwerfällig und gewichtig, stieß an Schultern und Ellbogen, kassierte finstere Blicke und unwillige Bemerkungen und entschuldigte sich wie ein Zuspätgekommener im Theater, der über viele Beine steigen muß, um zu seinem Platz zu gelangen.
»Wer ist der alte Kerl?« hörte er eine weibliche Stimme flüstern.
»Ach, Albert, da bist du ja!« rief Spencer, als sie zum Zentrum der Gruppe vordrangen. Darauf machten die Gäste sofort Platz, und das Gemurmel bekam einen anderen Tonfall.
»General Martine«, sagte Spencer zu dem neuen Premierminister, »Sie kennen natürlich Albert Leoh, den Erfinder der Duellmaschine und führenden Wissenschaftler des Commonwealth.«
»Ahs« und »Ohs« erklangen.
Martine war schlank und groß und steckte in einer weißen, goldbetreßten Uniform, die ihm ausgezeichnet stand. Sein längliches, ernstes Gesicht wurde von traurigen Hundeaugen und einer Patriziernase beherrscht. Er nickte und setzte ein höfliches Lächeln auf. »Selbstverständlich. Sie sind der Mann, der Keraks Killer geschlagen hat. Es ist mir eine Ehre, Professor.«
»Besten Dank für die Einladung«, entgegnete Leoh. »Und meine Glückwünsche zu Ihrer Wahl.«
Martine nickte würdevoll.
»Ich habe den Premierminister davon zu überzeugen versucht«, sagte Spencer mit einer für Ansprachen reservierten Stimme und Lautstärke, »daß es für Acquatainia sehr von Vorteil wäre, dem Commonwealth beizutreten. Er scheint jedoch gewisse Vorbehalte zu haben.«
Martine hob den Blick und spähte an der Menge vorbei zu der transparenten Hülle des Satelliten und zu dem Planeten.
»Acquatania ist traditionell unabhängig vom Commonwealth geblieben«, erklärte er. »Wir brauchen keine Handelsvergünstigungen oder politischen Pakte. Wir sind eine reiche und starke und glückliche Nation.«
»Aber jetzt werden Sie von Kerak bedroht«, gab Leoh zu bedenken.
»Mein lieber Professor«, erwiderte Martine, reckte sich zu seiner vollen Größe und blickte auf Leoh herab, »ich bin seit meiner Jugend Berufssoldat. Vor einer Generation hatte ich die Ehre, zu dem Sieg über Kerak beitragen zu dürfen. Ich weiß, wie man militärischen Bedrohungen begegnet.«
Ein ganzes Stück entfernt schwebte Hector — jetzt mit einem Stabilisator ausgerüstet — in der Nähe einer Luftschleuse und musterte forschend die Gesichter einer Gruppe von Nachzüglern. Da war sie!
Er ließ sich fallen, katapultierte dabei drei schmuckbehängte acquatainische Industrielle in die Arme ihrer aufgeputzten und mikroberockten Begleiterinnen, trat einem bärbeißigen Colonel auf die Zehen und drängte sich durch die Neuankömmlinge zu Geri Dulaq vor.
»Du bist gekommen«, seufzte er und ergriff ihre Hände.
Bei ihrem Lächeln wurden ihm die Knie butterweich. »Ich hatte gehofft, daß du hier sein würdest, Hector.«
»Ich… na ja…« Er grinste wie ein Idiot, »ich bin da.«
»Das freut mich wirklich.«
Sie standen an der Schleuse und blickten sich an, während ein Strom von Neuankömmlingen an ihnen vorbeidrängte.
»Hector, sollten wir nicht Platz machen?« schlug Geri vor.
»Wie? Ach so, klar…« Er führte sie zu einem verschwitzten Steward (ein Mitglied der Posse, die Hector quer durch den Satelliten gejagt hatte) und ließ sich von ihm einen Stabilisator geben.
»Du brauchst so einen Gürtel, wenn du frei schweben willst. Andernfalls hast du gewisse, äh, Schwierigkeiten mit dem Manövrieren.«
Der Steward knirschte mit den Zähnen und funkelte ihn wütend an.
Geri heftete ihre großen braunen Augen auf Hector. »Zeigst du mir, wie es funktioniert? Ich bin völlig unbegabt in solchen technischen Dingen.«
Hector wäre am liebsten in die Luft gesprungen und hätte einen dreifachen Salto geschlagen, doch er unterdrückte den Impuls und sagte nur: »Oh, das ist ganz einfach…« Er warf dem schweißüberströmten Steward einen Blick zu und fügte hinzu: »Wenn man den Trick einmal heraus hat.«
»Aber als Sie Kerak besiegten«, sagte Spencer mit einiger Schärfe, »standen Ihnen die Szarno Confederation und einige andere Sternen-Nationen zur Seite. Jetzt sind alle Ihre Verbündeten verschwunden. Sie stehen Kerak ganz allein gegenüber.«
Martine seufzte ungeduldig. »Ich wiederhole, Sir Harold, Acquatainia ist stark genug, jeden kerakischen Angriff auch ohne Unterstützung der Star Watch abzuwehren.«
Leoh schüttelte den Kopf, schwieg aber.
La Ponte, der wie ein Satellit seinen Regierungschef umkreiste, mischte sich ein. »Der Premierminister plant ein starkes Verteidigungssystem, ein Netz von festungsmäßig ausgebauten Planeten und eine so starke Raumflotte, daß Kerak nie einen Angriff wagen würde.«
»Und nehmen wir mal an«, konterte Spencer, »daß Kerak angreift, bevor diese Abwehrlinie steht? Oder aus einer ganz anderen Richtung angreift?«
»Wir werden kämpfen und siegen«, beharrte Martine.
Spencer fuhr sich durch das schüttere Haar. »Begreifen Sie denn nicht, daß bei einem Pakt mit dem Commonwealth — wie lose er auch immer sein mag — Kanus es sich zweimal überlegen würde, bevor er einen Angriff wagt? Ich finde, es sollte Ihr oberstes Ziel sein, einen Kriegsausbruch zu verhindern. Statt dessen konzentrieren Sie sich darauf, den Krieg zu gewinnen, wenn er tatsächlich ausgebrochen ist.«
»Wenn Kanus Krieg will«, erklärte Martine, »werden wir ihn besiegen.«
»Aber er kann auch ohne Krieg besiegt werden«, beharrte Spencer.
Leoh fügte hinzu: »Ohne eine ständig Kriegsdrohung kann kein Diktator lein Volk lange bei der Stange halten. Und wenn es offenkundig wird, daß sich ein Angriff auf Acquatainia nicht lohnt…«
»Kanus will den Krieg«, unterbrach ihn Martine.
»Und Sie anscheinend auch«, warf ihm Spencer vor.
Der Premierminister bedachte Spencer mit einem finsteren Blick, wandte sich dann ab und murmelte: »Entschuldigen Sie, ich muß mich um meine Gäste kümmern.« Gefolgt von seinem Hofstaat schwebte er davon und ließ Spencer, Leoh und Lal Ponte inmitten der sich rasch auflösenden Menge zurück.
Geri und Hector schwebten zu der transparenten Außenhülle, schauten die Sterne an und nahmen kaum die Musik und das Stimmengewirr wahr.
»Hector?«
»Ja?«
»Versprichst du mir etwas?«
»Klar. Was denn?«
Ihr Gesicht war so ernst, so schön, daß Hector kaum zu atmen wagte.
»Glaubst du, daß Odal jemals nach Acquatainia zurückkommt?«
Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. »Hmmm… keine Ahnung. Möglich. Ich bezweifle es aber. Ich meine, na ja…«
»Wenn er jemals zurückkommt…« Geri verstummte.
»Keine Angst«, sagte Hector und zog sie an sich. »Ich werde nicht zulassen, daß er dir ein Leid zufügt… oder irgendeinem anderen.«
Ihr Lächeln war unwiderstehlich. »Hector, liebster Hector, wenn Odal zurückkommt, würdest du ihn dann für mich töten?«
Hector erwiderte ohne nachzudenken: »Ich würde ihn fordern, sobald er mir unter die Augen kommt.«
Ihr Gesicht wurde wieder ernst. »Nein. Ich meine nicht in der Duellmaschine. Ihn wirklich töten.«
»Ich verstehe den Premierminister nicht«, sagte Leoh zu Spencer und Lal Ponte.
»Er hat seinen Stolz«, antwortete Ponte, »den Stolz eines Berufsoffiziers. Und wir sind sehr stolz auf ihn. Er ist der Mann, der Acquatainia wieder zu einer ruhmreichen Nation machen kann. Dulaq und Massan… es waren gute Männer, aber Zivilisten; zu schwach und unentschlossen, um mit Kanus fertig zu werden.«
»Sie waren politische Führer«, knurrte Spencer. »Sie wußten, daß Krieg immer das Eingeständnis eines Versagens ist. Krieg ist der letzte Ausweg, wenn alle anderen Mittel versagt haben.«
»Wir fürchten uns nicht vor einem Krieg!« fuhr Ponte auf.
»Sollten Sie aber«, bemerkte Leoh.
»Warum? Bezweifeln Sie, daß wir Kerak überlegen sind?«
»Warum wollen Sie das Risiko in Kauf nehmen, wenn Sie einen Krieg leicht vermeiden können?«
Der kleine Politiker ruderte aufgeregt mit den Armen, ein Manöver, das ihn wie einen Korken auf- und niedertanzen ließ. »Wir haben keine Angst vor den Kerak-Welten! Sie halten uns wohl für Feiglinge, die sich beim ersten Anzeichen von Gefahr unter der Rockschürze Ihres Terranischen Commonwealth verkriechen!«
»Mangel an Urteilsfähigkeit ist schlimmer als Feigheit«, erwiderte Leoh trocken. »Warum sind Sie denn so verbohrt…?«
»Sie werfen der acquatainischen Regierung Dummheit vor?«
»Nein, ich…«
Pontes quiekende Stimme überschlug sich fast. »Dann werfen Sie mir Dummheit vor… oder vielleicht dem Premierminister?«
»Ich ziehe lediglich Ihre Einschätzung der militärischen Situation in Zweifel…«
»Und ich werfe Ihnen Feigheit vor!« kreischte Ponte. Köpfe wandten sich. Ponte spuckte Gift und Galle. »Weil Sie Angst vor diesem Kerl, vor Kanus, haben, unterstellen Sie, daß wir auch Angst vor ihm haben müßten!«
»Jetzt hören Sie mal…«, setzte Spencer an.
»Ein Feigling sind Sie!« gellte Ponte, zu Leoh gewandt. »Und das beweise ich auch. Ich fordere Sie zum Duell in Ihrer eigenen Duellmaschine!«
Zum ersten Mal seit langer Zeit geriet Leoh in Wut. »Das ist der schwachsinnigste Disput, den ich je geführt habe!«
»Ich fordere Sie zum Duell!« beharrte Ponte. »Nehmen Sie die Herausforderung an, oder wollen Sie kneifen?«
»Ich nehme an!« schnauzte Leoh.
Die Sonne war eine bläulichweiße Scheibe hoch am Himmel von Meklin, einem Treibhausplaneten der Kerak-Gruppe. Hier oben auf dem Hügelkamm empfand Odal den Wind als kühl, trotz der Hitze drunten in den landwirtschaftlich genutzten Tälern. Der Himmel war wolkenlos, aber die windgeschüttelten Bäume zeichneten goldrote Muster in die Bläue.
Odal sah Runstet mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern auf einer Lichtung in der Sonne sitzen. Das älteste Kind, ein Junge, war höchstens zehn. Sie verzehrten ein Picknick und lachten über etwas, das Odals Aufmerksamkeit entgangen war.
Der kerakische Major trat aus dem Schatten. Runstet sah ihn und erblaßte. Er stand auf und blickte Odal an.
»Das will ich nicht sehen«, sagte Odal ruhig. »Sie müssen sich schon mehr anstrengen.«
Runstet blieb wie angewurzelt stehen, während alles um ihn herum zu flimmern begann. Die lachenden Kinder mit ihrer Mutter verblaßten, und ihr Lachen verklang. Die Bäume schienen durchsichtig zu werden und verschwanden dann völlig. Nichts war mehr zu sehen bis auf Runstet und sein angstvolles Gesicht.
»Sie versuchen Ihre Erinnerungen vor mir zu verbergen, indem Sie sie durch andere Erinnerungen ersetzen«, sagte Odal. »Wir wissen, daß Sie sich vor drei Monaten mit bestimmten hohen Offizieren in Ihrem Haus getroffen haben. Sie behaupten, es sei ein Kameradschaftsabend gewesen. Ich möchte die Szene sehen.«
Der Älteste, mit einem Bulldoggengesicht und eisgrauem Haar, beherrschte sich offenbar nur mit Mühe. Odal wußte, daß er Angst hatte, aber er spürte noch etwas: Zorn, Halsstarrigkeit, Stolz.
»Niedere Chargen waren nicht eingeladen zu der… der Party. Lediglich meine alten Klassenkameraden, Major.« Gehässig betonte General Runstet das letzte Wort.
Odal verspürte aufkeimenden Ärger, erwiderte jedoch mit unbewegter Stimme: »Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie unter Arrest stehen und deshalb keinen Dienstrang besitzen. Und wenn Sie mir weiterhin den Zugang zu Ihrer Erinnerung über dieses bewußte Treffen verweigern, dann müssen wir andere Verhörmethoden anwenden.« Idiot! dachte er. Du bist ein toter Mann und willst es nur nicht wahrhaben.
»Sie können mit mir machen, was Sie wollen«, knurrte Runstet. »Drogen, Folter… Sie hören kein Wort von mir. Und wenn Sie hundert Jahre mit dieser verdammten Duellmaschine herumspielen, erfahren Sie trotzdem nichts!«
Ungerührt erwiderte Odal: »Soll ich Ihnen die Szene nachstellen? Ich habe Ihr Haus auf Meklin besucht und habe eine Liste der Offiziere, die an diesem Treffen teilnahmen.«
»Wenn Marschall Lugal erfährt, wie Kor und seine Schergen einen Generalstabsoffizier behandeln, läßt er Sie alle an die Wand stellen!« bellte Runstet. »Und ausgerechnet Sie! Selbst ein Offizier! Sie besudeln die Uniform, die Sie tragen!«
»Ich tue nur meine Pflicht«, entgegnete Odal. »Und ich versuche Ihnen einige der weniger angenehmen Verhörmethoden zu ersparen.«
Während Odal sprach, löste sich der Nebel um sie auf, und sie standen plötzlich in einem geräumigen Wohnzimmer. Durch offene Patiotüren schien die Sonne. Fast ein Dutzend Männer in Armeeuniformen saßen auf Sesseln und Sofas. Aber die schwiegen und bewegten sich nicht.
»Okay«, sagte Odal, »zeigen Sie mir jetzt genau, was sich abgespielt hat. Jedes Wort und jede Geste, jedes Mienenspiel.«
»Nie und nimmer!«
»Das allein ist schon ein Eingeständnis Ihrer Schuld«, herrschte ihn Odal an. »Sie haben gegen den Führer intrigiert; Sie und einige Generalstabsoffiziere.«
»Ich werde niemand belasten«, sagte Runstet störrisch. »Sie können mich umbringen, aber…«
»Wir können auch Ihre Frau und Ihre Kinder umbringen«, unterbrach ihn Odal.
Der General sperrte den Mund auf, und Odal spürte die Wellen von Panik in ihm. »Das wagen Sie nicht! Nicht einmal Kanus selbst würde…«
»Unfälle passieren«, sagte Odal gelassen. »Für das übrige Kerak liegen Sie mit einem Nervenzusammenbruch im Krankenhaus. Ihre verzweifelte Frau nimmt sich vielleicht das Leben, oder Ihre gesamte Familie kommt auf dem Weg zu Ihnen, zu einem Besuch, bei einem Verkehrsunfall um.«
Runstet verfiel sichtlich. Er bewegte sich nicht und sagte auch nichts, aber sein Körper schien alle Spannkraft verloren zu haben und in sich zusammenzusinken. Hinter ihm erwachte einer der Generäle zum Leben. Er bewegte sich vor, entnahm dem Humidor vor ihm auf dem niedrigen Tisch eine Zigarre und sagte:
»Wenn wir gegen Acquatainia losschlagen, inwieweit können wir dann Kanus trauen, daß er sich nicht in die Heeresführung einmischt?«
»Ich verstehe einfach nicht, was über mich gekommen ist«, sagte Leoh zu Spencer und Hector. »Ich fahre sonst nie aus der Haut.«
Sie standen in dem ehemaligen Hörsaal, der das groteske Gewirr der Duellmaschine beherbergte. Niemand außer ihnen war bis jetzt gekommen; das Duell mit Ponte fand erst in einer Stunde statt.
»Hör mal, Albert«, meinte Spencer, »wenn dieser miese kleine Politiker mir solche Sachen an den Kopf geworfen hätte, wäre mir wahrscheinlich auf der Stelle die Hand ausgerutscht.«
Leoh zuckte die Achseln.
»Ein hitzköpfiges Volk, diese Acquatainier«, fuhr Spencer fort. »Ich bin ehrlich froh, daß ich abreise.«
»Wann fliegst du?«
»Sobald dieses idiotische Duell vorbei ist. Martine will ganz offensichtlich keine Hilfe vom Commonwealth. Meine Anwesenheit hier verschärft die Lage nur.«
Hector sprach zum ersten Mal. »Das bedeutet Krieg zwischen Acquatainia und Kerak.« Er sagte es leise, und seine Augen starrten ins Leere.
»Beide Seiten wollen den Krieg«, erklärte Spencer.
»Aus Dummheit«, murmelte Leoh.
»Aus Stolz«, widersprach Spencer. »Der gleiche Stolz, der gleiche Hochmut, weswegen Männer Duelle austragen.«
Leoh wollte schon zu einem heftigen Protest ansetzen, da sah er das versteckte Grinsen auf Spencers runzligem Gesicht.
Der Saal füllte sich langsam. Die Meditechniker trafen ein und überprüften die Duellmaschine. Es gab jetzt einen zusätzlichen Mann, der vor einer neu installierten Konsole saß. Mit seinen Instrumenten überwachte er die Quelle und stellte sicher, daß keiner der Duellanten telepathische Unterstützung von außen bekam.
Ponte mit seiner Begleitung traf genau zu der festgesetzten Stunde ein. Vier Reporter erschienen droben auf der Pressetribüne. Leoh verkniff sich ein Stirnrunzeln. Ein Duell mit dem Erfinder der Duellmaschine sollte eigentlich auf mehr Interesse bei den Medien stoßen.
Sie unterzogen sich den medizinischen Tests, wurden in den Gebrauch der Maschine eingewiesen (die Instruktionen hatte Leoh damals selbst geschrieben) und wurden belehrt, daß die herausgeforderte Partei die Waffen bestimmen dürfe.
»Mein Waffen sind die Elementargesetze der Physik«, erklärte Leoh. »Besondere Instruktionen sind nicht erforderlich.«
Pontes Augen weiteten sich verdutzt. Seine Sekundanten warfen sich Blicke zu. Selbst die Meditechniker schienen unsicher zu sein. Nach einem kurzen Schweigen zuckte der leitende Meditechniker die Achseln.
»Wenn es keine Einwände gibt«, sagte er, »dann können wir anfangen.«
Geduldig ließ sich Leoh in der Kabine die Neurokontakte an Kopf und Oberkörper anbringen. Seltsam, dachte er. Hunderte von Malen habe ich die Duellmaschine benutzt. Aber zum ersten Mal ist mein Gegner wirklich wütend auf mich. Er will mich töten.
Die Meditechniker zogen sich zurück. Leoh war jetzt allein, betrachtete den Bildschirm und die verschwimmenden Farben. Er versuchte die Augen zu schließen, hatte Schwierigkeiten, versuchte es noch einmal, bis es ihm gelang.
Als er die Augen aufschlug, stand er in einem großen Saal, der einer Turnhalle ähnelte. Hoch oben unter der Decke befanden sich Fenster. Statt mit Sportgeräten war die Halle jedoch vollgestopft mit Seilen, Flaschenzügen, schiefen Ebenen, Metallkugeln jeder Größe, von einigen Zentimetern Durchmesser bis zu einigen Metern. Leoh stand auf einer erhöhten, kreisrunden Plattform und hielt eine Kontrollbox in der Hand.
Lal Ponte stand am anderen Ende des Saals, mit dem Rücken zur Wand, und betrachtete ratlos das fremdartige Gewirr von Geräten.
»Das ist eine Art Labor für elementare Physik«, rief ihm Leoh zu. »Keiner der Gegenstände ist zwar im direkten Sinn eine Waffe, sie können jedoch sehr gefährlich sein, wenn man richtig damit umzugehen weiß. Oder auch, wenn man es nicht weiß.«
»Das ist unfair…«, protestierte Ponte.
»Durchaus nicht«, erwiderte Leoh freundlich. »Sie werden feststellen, daß diese Geräte eine Art Irrgarten bilden. Sie müssen durch diesen Irrgarten zur Plattform gelangen und sich etwas suchen, womit Sie mir zuleibe rücken können. In dem Irrgarten gibt es Fallen. Die müssen Sie umgehen. Und diese Plattform ist eigentlich eine Drehscheibe… aber darüber unterhalten wir uns später.«
Ponte blickte sich um. »Das ist albern.«
»Möglich.«
Der Acquitainier ging ein Stück nach rechts und hob eine dünne Metallstange auf. Er wog sie prüfend in der Hand und machte sich dann auf den Weg zu Leoh.
»Das ist ein Hebel«, erklärte der Professor. »Natürlich können Sie ihn auch als Knüppel benutzen.«
Ponte kam zu einem Gewirr von herabhängenden Seilen. Statt sie zu umgehen, zwängte er sich mitten hindurch.
Leoh schüttelte den Kopf und drückte eine Taste an seiner Kontrollbox. »Das war ein Fehler, fürchte ich.«
Die Seile — in Wahrheit ein Raschenzug — spannten sich und lupften das Bodenstück, auf dem Ponte stand, in die Höhe. Der Acquatainier fiel auf alle viere und fand sich plötzlich auf seiner Plattform wieder, zehn Meter über dem Boden. Er ließ den Hebel fallen und griff nach den Seilen. Eines löste sich, und er umklammerte es mit Armen und Beinen.
»Ein Pendel!« rief Leoh. »Passen Sie auf…«
Das Seil, an dem Ponte hing, schwang ein Stück nach außen und pendelte dann zurück zu der freischwebenden Plattform. Ponte knallte mit dem Kopf gegen die Plattformkante, ließ das Seil fahren und plumpste zu Boden.
»Der Fußboden ist elastisch«, sagte Leoh, »aber ich habe vergessen, den Rand der Plattform zu polstern. Hoffentlich haben Sie sich nicht verletzt.«
Benommen richtete Ponte sich auf. Er brauchte drei Anläufe, um wieder auf die Beine zu kommen. Wutentbrannt stolperte er weiter.
»Rechts von Ihnen befindet sich eine schiefe Ebene von der Art, wie sie einst Galilei benutzte, nur viel größer. Wenn Sie sich nicht beeilen, werden Sie plattgewalzt…«
Leoh drückte eine andere Taste, und am höchsten Punkt der meterlangen schiefen Ebene, die wie eine mittelgroße Gangway aussah, setzte sich eine mannshohe Metallkugel in Bewegung. Ponte hörte das donnernde Rumpeln, fuhr herum und starrte wie vom Schlag getroffen die Kugel an. Im letzten Moment brachte er sich mit knapper Not in Sicherheit. Die Metallkugel walzte über den Fußboden und zermalmte alles, was ihr in den Weg kam, bis sie mit einem dumpfen Schlag an der gegenüberliegenden Wand zur Ruhe kam.
»Vielleicht sollten Sie einen Moment verschnaufen«, regte Leoh an.
Ponte keuchte heftig. »Sie… Sie sind ein Teufel… ein grinsender Teufel!«
Er bückte sich nach einer kleinen Metallkugel. Als er zum Wurf ausholte, betätigte Leoh erneut seine Kontrollbox, und die Plattform begann langsam zu rotieren. Pontes Wurfgeschoß verfehlte ihn um einen guten Meter.
»Ich kann die Drehgeschwindigkeit variieren«, erklärte Leoh, als Ponte zwei weitere Metallkugeln schleuderte. Alle verfehlten ihr Ziel.
Der Acquatainier, dessen sonst so sanftes Gesicht jetzt puterrot war, stürzte zu der Drehscheibe und schwang sich gegenüber von Leoh hinauf. Er hielt noch zwei kleine Kugeln in der Hand.
»Vorsicht«, warnte Leoh, als Ponte taumelte und fast von der Plattform gestürzt wäre. »Mit der Fliehkraft ist nicht zu spaßen…« Einen Moment lang rührte sich keiner. Leoh beobachtete gespannt seinen Gegner; Ponte starrte wutfunkelnd zurück. Der Saal schien um sie zu kreisen.
Mit aller Kraft warf Ponte die eine Metallkugel. Sie schien von Leoh wegzukurven.
»Die Corioliskraft«, dozierte Lech, »ist ein Naturphänomen auf sich drehenden Bezugssystemen. Es ist die Trägheitskraft, durch die Winde auf der Oberfläche eines rotierenden Planeten zur Seite abgelenkt werden.«
Die zweite Kugel flog vorbei, genausoweit vom Ziel wie die erste.
»Außerdem muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Plattform abwechselnd in magnetische und antimagnetische Sektoren eingeteilt ist.« Leoh deutete auf das Mosaikmuster des Bodens. »Ihre Schuhe haben Metalleinlagen. Solange Sie auf den roten magnetisierten Flächen bleiben, müßten Sie sich ohne große Schwierigkeiten fortbewegen können.«
Erneut bediente er seine Kontrollbox, und die Drehscheibe wurde erheblich schneller. Der Raum schien wild um sie zu kreisen. Leoh lehnte sich schräg nach innen.
»Wenn Sie natürlich«, fuhr er fort, »bei dieser Geschwindigkeit auf einen antimagnetischen Sektor geraten…«
Verbissen machte sich Ponte auf den Weg, am Rand der Drehscheibe entlang, die Augen auf den Mosaikboden geheftet. Leoh bewegte sich vorsichtig in der gleichen Richtung und hielt den Abstand zu Ponte einigermaßen konstant. Ponte lief jetzt schneller und versuchte mit einem Auge auf den Boden zu achten und mit dem anderen auf Leoh. Unvermittelt blieb er stehen und ging dann direkt auf Leoh zu, in Richtung Kreismittelpunkt.
»Vorsicht!«
Pontes Schuhe verloren die Haftung. Er fiel auf den Rücken, rutschte spiralförmig quer über die Drehscheibe, wurde von der Zentrifugalkraft über den Rand hinausgeschleudert, segelte durch die Luft und krachte mit den Füßen gegen einen großen Metallblock.
»Mein Bein…« stöhnte er. »Ich habe mir das Bein gebrochen…«
Leoh stoppte die Plattform und lief zu dem Acquatainier, der mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden lag.
»Ich könnte Sie jetzt leicht töten«, sagte er sanft. »Aber das will ich nicht. Sie haben auch so genug, glaube ich.«
Der Raum begann zu verschwimmen. Leoh saß wieder in der Kabine der Duellmaschine und betrachtete blinzelnd den leeren Bildschirm vor sich.
Die Tür flog auf, und Hectors grinsendes Gesicht erschien. »Sie haben ihn geschlagen!«
»Ja«, bestätigte Leoh und fühlte sich plötzlich müde. »Aber ich habe ihn nicht getötet. Er kann es noch einmal mit seinen eigenen Waffen versuchen, wenn er will.«
Ponte zitterte am ganzen Körper und war leichenblaß, als sie zu ihm gingen. Seine Begleiter drängten sich aufgeregt um ihn und überschütteten ihn mit Fragen. Der leitende Meditechniker sagte gerade zu ihm:
»Sie können weitermachen, wenn Sie wollen, oder die zweite Runde auf morgen verschieben.«
Ponte warf Leoh einen Blick zu und schüttelte den Kopf.
»Nein… nein. Ich gebe mich geschlagen. Ich kann nicht… nicht weiterkämpfen.«
Der leitende Meditechniker nickte. »Damit ist das Duell beendet. Professor Leoh hat gesiegt.«
Leoh streckte dem Acquatainier die Hand hin. Pontes Druck war schlaff und schweißnaß.
»Ich hoffe, wir können jetzt Freunde sein«, sagte Leoh.
»Ja, natürlich, danke«, murmelte Ponte kläglich.
Lange nachdem alle anderen gegangen waren, schlenderten Leoh, Spencer und Hector noch in der riesigen Halle umher und unterhielten sich gedämpft.
»Ich muß jetzt gehen, Albert«, sagte Spencer. »Mein Schiff sollte schon vor einer halben Stunde starten. Mein Adjutant draußen frißt jetzt sicher schon pfundweise Beruhigungspillen. Ein patenter Bursche, nur ein bißchen nervös.«
»Und du siehst keine Möglichkeit, Martine doch noch zu überzeugen?« fragte Leoh.
»Nein. Aber wenn du in der Gegend bleibst, kannst du es vielleicht versuchen.«
Leoh nickte. »Ich werde mit den Wissenschaftlern hier an der Universität sprechen. Sie müßten eigentlich einen gewissen Einfluß auf die Regierung haben.«
Spencer zog ein skeptisches Gesicht. »Und woran willst du sonst noch herumpusseln? Wie ich dich kenne, bist du doch nicht glücklich, wenn du dich nicht mit irgendeinem wissenschaftlichen Problem herumschlagen kannst.«
»Ich suche nach einem Weg, Raumschiffe zu vervollkommnen. Wir müssen interstellaren Verkehr einfacher machen.«
»Die Raumschiffe sind aber bereits technisch bis ins letzte ausgefeilt.«
»Ich weiß. Ich denke auch mehr an eine grundlegende Weiterentwicklung. Vielleicht ein völlig neues Konzept… ein Schritt wie von den alten Raketen zu unseren heutigen Raumschiffen.«
Spencer hob abwehrend eine massive Hand. »Das reicht! Gleich bombardierst du mich mit metadimensionaler Physik. Wo ich doch mit Politik schon genug Schwierigkeiten habe.«
Leoh lachte auf.
Zu Hector gewandt, sagte Sir Harold: »Lieutenant, lassen Sie ihn nicht aus den Augen, solange er auf Acquatainia ist. Professor Leoh ist ein unersetzlicher Mann — und mein Freund. Verstanden?«
»Yessir!«
Militärisch stramm stand Odal vor Kor. Der Informationsminister saß zurückgelehnt in seinem gepolsterten Schreibtischsessel und spielte mit einem verzierten Dolch, den er gewöhnlich als Zeigestock benutzte.
»Macht Ihnen die Arbeit hier Spaß?« Kor lächelte kalt.
»Ich bin Offizier«, erwiderte Odal vorsichtig. »Verhöre und Vernehmungen halte ich für eine… unangenehme Pflicht.«
Kor klopfte mit dem Dolch gegen die Fingernägel. »Aber Sie gehören zu den wenigen, die die Duellmaschine für Verhöre benutzen können. Und Sie sind mit Abstand unser bester Mann. Die anderen wirken wie Amateure, verglichen mit Ihnen. Sie haben Talent!«
»Es fällt mir nicht leicht, Offizierskameraden zu verhören.«
»Kann ich Ihnen nachfühlen«, räumte Kor ein. »Aber Sie haben gute Arbeit geleistet. Wir wissen jetzt genau, welchen Offizieren wir trauen können und welche gegen den Führer intrigieren.«
»Dann ist meine Arbeit hier beendet.«
»Das Komplott beschränkt sich nicht nur auf die Streitkräfte, Major. Es reicht viel tiefer. Die Feinde des Führers sitzen überall in der Verwaltung. Marschall Lugal ist garantiert beteiligt…«
»Aber dafür gibt es keine Beweise…«
»Ich bin überzeugt, daß er dazugehört«, bellte Kor. »Und Romis auch!«
Kanus möchte die Streitkräfte unter seine Kontrolle bringen, dachte Odal, und du möchtest jeden ausschalten, der dir Kanus’ Gunst streitig machen könnte.
»Ziehen Sie nicht so ein saueres Gesicht, Major«, sagte Kor, und sein Lächeln wurde breiter und womöglich noch kälter. »Sie haben Ihrem Führer — und mir — in den letzten Wochen ausgezeichnete Dienste geleistet. Und nun… was halten Sie davon, nach Acquatainia zurückzukehren?«
Odal wurde es heiß und kalt.
»Spencer ist aus Acquatainia abgereist«, erklärte Kor, »und unsere Pläne entwickeln sich wie vorgesehen. Aber Leoh ist noch dort. Er ist nach wie vor gefährlich. Sie werden ihn vernichten.«
»Und den Watchman auch«, warf Odal ein.
Kor zielte mit dem Dolch auf Odal. »Langsam, langsam. Leoh wird durch seine eigene Duellmaschine vernichtet werden, aber auf eine ganz spezielle Weise. Er hat bereits den ersten Schritt zu seinem Untergang getan, in einem Duell mit einem Hintertreppenpolitiker, der sich Hoffnungen darauf macht, Premierminister von Acquatainia zu werden, sobald Kerak den Cluster unterworfen hat.«
»Das verstehe ich nicht ganz«, sagte Odal stirnrunzelnd.
»Das kommt noch, Major. Was Sie zu tun haben, wird Ihnen vermutlich keinen Spaß machen, sowenig wie es Lal Ponte Spaß gemacht hat. Aber Sie werden für Kerak und den Führer Ihre Pflicht tun, so wie auch Ponte getan hat, was wir von ihm verlangten. Natürlich machen wir Sie nicht zum Premierminister von Acquatainia — Lal Ponte allerdings auch nicht.«
Kors Lachen klang wie ein Skalpell, das auf einen Knochen trifft.
Der Nachthimmel von Acquatainia war ein funkelndes Meer von Sternen, die so hell strahlten, daß es keine wirkliche Dunkelheit in der Stadt gab, nur ein silbriges Zwielicht, heller als bei Vollmond auf Terra.
Hector saß am Ruder eines Skimmers und steuerte ihn flußabwärts zum Hafen und in Richtung auf die offene See. Er konnte die salzige Luft bereits schmecken. Mit einem raschen Seitenblick streifte er Geri, die neben ihm auf dem Drehstuhl im winzigen Cockpit saß und den Kopf eingezogen hatte, um nicht von der fliegenden Gischt getroffen zu werden. Ihr Anblick machte es ihm fast unmöglich, das superschnelle Gleitboot unter Kontrolle zu halten.
Er flitzte zwischen den Sportbooten auf dem Fluß hindurch und zog einen Schweif luminiszenter Gischt hinter sich her. Draußen im Hafen ankerten riesige Frachter in der Hauptfahrrinne. Hector steuerte den Skimmer in flacheres Wasser zwischen der Fahrrinne und den Docks, damit Geri einen guten Blick auf die gigantischen Hochseeschiffe werfen konnte.
Schließlich erreichten sie die langgestreckte Dünung der offenen See. Hector stellte die Maschine ab, und der Skimmer verlor an Fahrt, bohrte sich mit dem Bug in eine heranrollende Welle und sackte mit dem Rumpf tiefer ins Wasser.
»Ist dir die Schaukelei, äh, unangenehm, Geri?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »O nein, mir gefällt’s hier draußen.«
Nachdem das Boot jetzt ruhig im Wasser lag, löste sie ihre festgesteckten Haare. Sie fielen ihr mit einer derart weichen Anmut über die Schultern, daß Hector einen ganz trockenen Mund bekam.
»Der Roboherd müßte soweit sein«, sagte sie. »Hast du Hunger?«
Er nickte. Sie standen gleichzeitig auf, stießen zusammen, als sie sich zwischen den beiden Drehstühlen durchzwängen wollten, um zu der Sitzbank am achteren Ende des Cockpits zu gelangen. Geri lächelte ihm zu, und Hector ließ sich wieder auf den Rudersitz fallen. Es genügte ihm, ihr Parfüm zu riechen und sie anzuschauen. Geri setzte sich auf die Heckbank und öffnete die Klappe des Roboherds. Handliche Tabletts mit appetitlich dampfenden Speisen glitten heraus. Hector kam angestolpert und setzte sich neben sie auf die Bank.
»Die Getränke sind im Cooler«, sagte sie und deutete auf das andere Ende der Bank.
Nach dem Essen saßen sie zurückgelehnt auf der Bank und schauten empor zum Sternhimmel, während der Autopilot den Skimmer in der Nähe des Hafens hielt.
»Diese, äh… Sache mit Odal«, begann Hector zögernd. »Das ist eigentlich… ich meine, normalerweise…«
»Ich weiß. Es ist etwas Schreckliches, was ich da von dir verlange.« Sie legte ihre Hand in die seine. »Aber was kann ich sonst tun? Ich bin nur ein Mädchen; ich kann ihn nicht selbst töten. Ich brauche einen Beschützer, einen edlen Ritter, der den Tod meines Vaters rächt. Du bist der einzige, an den ich mich wenden kann, Hector.«
»Ja, aber… hmmm… ihn zu töten, das ist…«
»Das ist nicht ungefährlich, ganz klar. Aber du bist ja so tapfer. Du hast doch keine Angst vor Odal, oder?«
»Nein, aber…«
»Und er bekommt lediglich seine gerechte Strafe. Er ist ein Mörder. Du wirst das Schwert der Gerechtigkeit sein. Mein Schwert der Gerechtigkeit.«
»Ja, aber…«
Sie rutschte ein Stück weg. »Natürlich wird Odal kaum je nach Acquatainia zurückkommen. Aber wenn, dann nur aus einem einzigen Grund.«
Hector blinzelte unsicher. »Und der wäre?«
»Um Professor Leoh zu ermorden«, erklärte sie.
Der Star Watchman schrak zurück. »Du hast recht. Und ich muß ihn daran hindern.«
Geri wandte sich ihm zu, packte ihn bei den Ohren und küßte ihn. Hector verlor den Boden unter den Füßen. Er hielt sich an ihr fest und erwiderte den Kuß. Dann entschlüpfte sie ihm. Er griff nach ihr, aber sie hielt seine Hände fest.
»Laß mich zu Atem kommen«, murmelte sie.
Er rutschte näher zu ihr, und sein Herzklopfen kam ihm lauter vor als das rhythmische Klatschen der Wellen gegen den Rumpf des Skimmers.
»Natürlich«, sagte Geri kühl, »wie es scheint, kann Professor Leoh in der Duellmaschine selbst seinen Mann stehen.«
»Hm, ja.« Hector rückte dichter auf.
»Mich hat es sehr überrascht, daß Lal Ponte den Professor forderte«, sagte sie und rutschte ganz in die Ecke der Sitzbank. »Ponte ist solch ein… Nichts. Den Mut zu einem Duell hätte ich ihm nie zugetraut.«
Hector drückte sich eng an Geri, legte ihr den Arm um die Schulter und schwieg.
»Ich erinnere mich an eine Bemerkung meines Vaters: ›Wenn einer im Parlament heimlich für Kerak arbeitet, dann kann es nur Ponte sein!‹«
»Was?«
Geri runzelte die Stirn. »Ja, Vater hatte Ponte im Verdacht, ein Parteigänger von Kanus zu sein. ›Wenn Kerak uns je unterwerfen sollte‹ sagte Vater einmal zu mir, ›dann wird dieser Schlappschwanz unser neuer Premierminister.‹«
Hector richtete sich auf. »Aber jetzt arbeitet er für Martine… und Martine ist bestimmt nicht pro-kerakisch.«
»Ich weiß«, räumte Geri ein. »Vielleicht hat Vater sich geirrt. Oder Ponte hat die Seiten gewechselt. Oder…«
»Oder er arbeitet nach wie vor für Kerak.«
Geri lächelte. »Und wenn schon. Professor Leoh jedenfalls hat es ihm gezeigt.«
»Hmmmm.« Hector lehnte sich zurück und stellte fest, daß er und Geri irgendwie auseinandergerückt waren. Er rutschte zu ihr hin.
»Mein Fuß!« Geri sprang auf.
»Oh, Entschuldigung. Bin ich dir draufgetreten…?« Hector sprang ebenfalls auf.
Geri hüpfte auf einem Bein in dem winzigen Cockpit herum. Der Skimmer begann zu schaukeln. Hector wollte sie festhalten, aber Geri stieß ihn weg. Durch den Schwung taumelte sie rückwärts, stolperte gegen die Reling — und stürzte kreischend und mit einem lauten Klatschen ins Wasser.
Der entsetzte Hector zögerte keine Sekunde. Kopfüber sprang er über Bord und verfehlte Geri nur um Zentimeter.
Hustend und spuckend tauchte er wieder auf. Geri neben ihm trat Wasser.
»Ich… ich… ich…«
Sie lachte. »Alles in Ordnung, Hector. Meine Schuld. Ich habe mich nur aufgeregt, weil du mir auf den Fuß getreten bist.«
»Aber… ich… bist du…?«
»Es ist eine herrlich warme Nacht. Da wir sowieso schon im Wasser sind, warum schwimmen wir nicht ein Stück?«
»Äh… gute Idee, nur… ja also, ich kann nicht schwimmen…« Und damit versank Hector.
Als Odal von der Raumschifframpe zum Gleitband ging, das in den Terminal führte, verspürte er eine freudige Erregung.
Er war wieder in Acquatainia! Die warme Sonne, die geschäftige Menschenmenge, die funkelnden Türme der Stadt — er empfand fast die gleiche Freude wie damals Dulaq bei Beginn seines Duells. Vielleicht ist es nur die Reaktion darauf, endlich frei zu sein von Kors bedrückendem Informationsministerium, sagte sich Odal. Aber als er sich, eskortiert von vier Männern aus Kors Brigade, dem Terminal näherte, gestand er sich ein, daß Acquatainia einen Rhythmus hatte, eine fröhliche und freiheitliche Atmosphäre, die er auf Kerak nie gefunden hatte.
Im Terminal mußte er eine fünfzig Meter lange Schleuse mit automatischen Zoll-Scannern passieren, bevor er in den Roadster einsteigen konnte, der ihn zur Kerakischen Botschaft bringen würde. Wenn es Scherereien gab, dann würde es hier passieren.
Zwei seiner Leibwächter betraten vor ihm die Inspektionsschleuse, zwei folgten dicht hinter ihm.
Odal schritt langsam zwischen den beiden mannshohen Röntgenschirmen hindurch und blieb dann vor dem Strahlungsdetektor stehen. Er schob seinen Paß und seine Botschaftsausweise in die entsprechenden Schlitze des Identifizierungsrobots.
Dann hörte er in der Nachbarschlange eine Frauenstimme: »Das ist er. Ich kenne doch seine Uniform aus den Tri-Di-Nachrichten.«
»Ausgeschlossen«, antwortete eine Männerstimme. »Die würden nicht wagen, ihn hierherzuschicken.«
Odal drehte sich zu den Sprechern um und lächelte unergründlich. »Was hab ich dir gesagt, er ist’s!« flüsterte die Frau vernehmlich. Der Mann funkelte Odal böse an.
Kor hatte für ein paar Reporter gesorgt. Als Odal am Ende der Inspektionsschleuse seine Ausweiskarten und seine Reisetasche einsammelte, richtete ein Schwarm von wartenden Kameraleuten die Tapers auf ihn. Rasch lief er auf den nächsten Ausgang zu, vor dem der Botschafts-Roadster wartete. Seine vier Begleiter drängten die Reporter zurück.
»Major Odal, halten Sie es nicht für riskant, nach Acquatainia zurückzukommen?«
»Glauben Sie, daß diplomatische Immunität auch einen Politkiller schützt?«
»Haben Sie keine Angst vor einem Mordanschlag?«
Die Reporter kläfften hinter ihm her wie ein Pack junger Hunde. Aber Odal konnte jetzt den Haß fühlen. Nicht so sehr von den Reportern ausgehend als vielmehr von der Menschenmenge in der Ankunftshalle. Haßerfüllt starrten sie ihn an. Als Keraks unüberwindlichen Krieger hatten sie ihn gefürchtet, ja sogar beneidet. Aber jetzt brachten sie ihm nur noch Haß entgegen.
Odal schlüpfte in den Roadster und ließ sich auf den Rücksitz fallen. Kors Wachen stiegen ebenfalls ein. Die Türen glitten zu und sperrten den Lärm und die feindselige Atmosphäre aus. Zum ersten Mal dachte Odal daran, warum er nach Acquatainia zurückgekommen war. Bei dem Gedanken, was er zu tun gezwungen war, bewölkte sich seine Miene. Aber als er an Hector dachte, an die Rache, die er für diesen absurden Duellsieg nehmen würde, erlaubte er sich ein Lächeln.
Leoh lungerte in seinem Schreibtischsessel in dem kleinen Arbeitszimmer hinter der Duellmaschine. Er mußte nachdenken, und sein Apartment war zu einlullend komfortabel für kreative Kopfarbeit. Durch die geschlossene Tür seines Büros hörte er eine andere Tür zuschlagen, dann rasche Schritte und schrilles, unmelodisches Pfeifen. Mit einem resignierten Lächeln befahl er dem Türcomputer, die Tür freizugeben. Draußen stand Hector mit erhobener, klopfbereiter Hand.
»Woher wußten Sie denn…?«
»Ich habe auch telepathische Fähigkeiten«, grinste Leoh.
»Tatsächlich? Das wußte ich gar nicht. Meinen Sie, das hat Ihnen geholfen bei dem Duell mit… ach ja, darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.«
Leoh stoppte seinen Redefluß mit einer Handbewegung. »Komm rein, mein Junge, und setz dich. Hast du die Tri-Di-Nachrichten heute morgen gesehen?«
Hector pflanzte sich auf einen Stuhl. »Nein, Sir. Ich bin gestern abend ziemlich, äh, spät ins Bett gekommen und habe heute morgen verschlafen… Habe Wasser im linken Ohr… es gurgelt jedesmal, wenn ich den Kopf bewege…«
Nur mit Mühe blieb Leoh beim Thema. »In den Nachrichten wurde Odal bei seiner Ankunft auf dem Raumhafen gezeigt. Er ist zurückgekommen.«
Hector schoß aus dem Stuhl hoch wie von einem Laser getroffen. »Er… er ist hier?«
»Jetzt bleib mal auf dem Teppich«, sagte Leoh gelassen. »Kein Mensch steht mit schußbereiten Strahlern vor der Tür und will mich ermorden.«
»Möglich… aber, ich meine… es ist durchaus möglich, daß Odal irgendwas plant.«
»Unsinn«, knurrte Leoh.
Hector antwortete nicht. Er schien mit sich zu ringen; sein Gesicht drückte eine Folge rasch wechselnder Empfindungen aus: Sorge, Verwirrung, Entschlossenheit.
»Was ist los?« fragte Leoh.
»Wie? Ach nichts… ich denke nur nach.«
»Die Sache mit Odal beunruhigt dich mehr als erwartet.«
»Nein… nein… ich bin nicht beunruhigt… ich, äh, ich muß nur nachdenken…« Hector schüttelte heftig den Kopf. Leoh vermeinte, das Gurgeln von Wasser zu hören.
»Es ist meine Pflicht«, erklärte Hector, »Sie, äh, zu beschützen. Ich werde ab sofort ständig in Ihrer Nähe bleiben. Am besten ziehe ich in Ihr Apartment und begleite sie überallhin.«
Das beunruhigte jetzt Leoh mehr als erwartet. Aber wenn er nicht freiwillig Hector in seiner Nähe bleiben ließe, würde er es heimlich tun, und das wäre noch nervenaufreibender für beide Seiten.
»Also gut, mein Junge, wenn du darauf bestehst. Trotzdem glaube ich, du dramatisierst die Sache ein bißchen.«
»Nein«, widersprach Hector. »Ich muß in Reichweite sein, wenn Odal auftaucht… Und außerdem glaube ich, daß der terranische Botschafter mich gerne loswerden möchte. Er, äh, geht mir etwas zu betont aus dem Wege.«
Leoh verbiß sich ein Lächeln. »Na gut. Pack deine Sachen und zieh bei mir ein.«
»In Ordnung«, strahlte Hector. Und im stillen fügte er hinzu: Ich werde ihn keine Sekunde aus den Augen lassen. Wenn Odal dann auftaucht, kann ich ihn beschützen… und das tun, was Geri von nur verlangt.
Hector war wie eine Klette. Er zog in Leohs Wohnung und entfernte sich nie weiter als zehn Schritte von dem alten Wissenschaftler, weder tagsüber noch bei Nacht. Wenn Leoh aufwachte, pfiff Hector schon schrill und falsch in der Roboküche, wo es ihm trotz aller Automatisierung regelmäßig gelang, irgendeine Frühstückszutat anbrennen zu lassen. Hector chauffierte ihn und wich nicht von seiner Seite. Leoh ging zu Bett mit Hectors fröhlichem Geschnatter im Ohr.
Häufig waren sie jetzt zum Abendessen in Geri Dulaqs Luxusvilla am Stadtrand eingeladen. Hector scharwenzelte um sie herum wie ein Hündchen. Und Leoh sah, wie sie ihn kühl und mühelos auf Distanz hielt. Sie wollte irgend etwas von Hector, dämmerte es dem alten Mann, etwas, worüber Hector nicht sprechen mochte. Was höchst ungewöhnlich bei ihm war.
Eine Woche verging, und Odal hatte sich noch nicht außerhalb des Botschaftsgeländes sehen lassen. Aber ein unternehmungslustiger Reporter, der auf neue Duelle hoffte, bat Leoh um ein Interview. Der Professor traf sich mit ihm vor der Duellmaschine, wie immer begleitet von Hector.
Der Journalist hatte Hectors Alter und Leohs Statur, war pausbäckig, nachlässig gekleidet und unsympathisch.
»Das Funktionsprinzip ist mir bekannt«, behauptete er herablassend, als ihm Leoh die Arbeitsweise der Duellmaschine erklären wollte.
»Ach ja? Haben Sie Psychonik studiert?«
Der Reporter lachte. »Nein, aber ich weiß alles über diese sogenannte Traummaschine.«
Er schlenderte an der unbesetzten Kommandokonsole entlang und spähte hinauf zu den unförmigen Energieaggregaten. »Woher wissen Sie«, fragte er, »daß in dieser Kiste niemand mehr umgebracht werden kann? Immerhin hat Major Odal damit Menschen getötet…«
»Eine berechtigte Frage«, erwiderte Leoh. »Ich habe drei neue Schaltkreise installiert. Der erste isoliert die beiden Duellanten psychonisch in der Maschine; während eines Duells kann jetzt niemand mehr mit der Außenwelt in Kontakt treten.«
Der Reporter steuerte seinen Armbandrecorder höher aus. »Fahren Sie fort.«
»Die zweite Vorrichtung zeichnet das gesamte Duell auf. Wenn eine Partei hinterher Protest anmeldet, kann der leitende Meditechniker das Tri-Di-Band abspielen und feststellen, ob irgendwelche Regelverstöße begangen wurden. Auf diese Art kommen wir einem Schwindel immer auf die Spur.«
»Hinterher«, bemerkte der Journalist.
»Ja.«
»Das hätte weder Dulaq noch Massan etwas genutzt, noch all den anderen Ermordeten.«
Leoh fühlte Unmut in sich aufsteigen. »Nach einem einzigen Duell wären wir Odals Trick auf die Spur gekommen und hätten ihn stoppen können.«
Der Journalist schwieg.
»Als drittes haben wir die medizinischen Überwachungsgeräte mit einem Schutzrelais gekoppelt. Bei der geringsten Gefahr für einen der Duellanten schaltet die Maschine vollautomatisch ab.«
Der Reporter ließ sich das einen Moment durch den Kopf gehen. »Und was ist, wenn der Mann einen plötzlichen Herzinfarkt bekommt? Der Mann kann schon tot sein, bevor Sie seine Kabine aufbekommen, selbst wenn das Duell sofort gestoppt wird.«
Leoh lief rot an. »Und wenn ein Vulkan unter uns ausbricht, kracht die Stadt samt Duellmaschine zusammen! Junger Mann, auf dieser Welt gibt es keine absolute Sicherheit.«
»Schon möglich.« Aber sein rundes, aufgedunsenes Gesicht brachte deutlich zum Ausdruck, daß er nicht absolut davon überzeugt war.
Sie unterhielten sich noch eine Viertelstunde. Leoh zeigte ihm die drei neuen Sicherheitsschaltungen und versuchte ihm die Arbeitsweise zu erklären. Der Reporter machte ein professionell skeptisches und unbeeindrucktes Gesicht. Leohs Gereiztheit wuchs.
»Ganz ehrlich, Professor, was Sie mir bis jetzt erzählt haben, ist eine Menge wissenschaftliches Blabla. Es gibt keine Garantie, daß die Maschine nicht doch wieder Menschen umbringt.«
»Die Maschine hat niemand umgebracht!« brauste Leoh auf. »Ein Mann hat seine Gegner ermordet, vorsätzlich und kaltschnäuzig.«
»In der Maschine.«
»Ja, aber das kann nicht mehr vorkommen!«
»Dafür habe ich nichts weiter als Ihr Wort«, meinte der Journalist achselzuckend.
»Ich würde doch meinen, daß mein Ruf als Wissenschaftler einiges Gewicht hat.«
Hector mischte sich ein. »Wenn sogar die acquatainische Regierung von der Sicherheit der Maschine überzeugt ist…«
Der Reporter lachte. »Die Regierung und auch der Professor haben schon bei der Aufstellung behauptet, daß die Maschine absolut sicher sei. Inzwischen sind zwei Menschen in dieser Teufelskiste gestorben und Gott weiß wie viele auf Szarno oder sonstwo!«
»Aber das ist…«
Er wandte sich wieder an Leoh. »Wie viele Leute sind von Duellmaschinen im Commonwealth getötet worden?«
»Niemand!«
»Sind Sie sicher? Sie wissen, ich kann das nachprüfen.«
»Heißen Sie mich einen Lügner?«
»Schauen Sie, es läuft doch auf folgendes hinaus: Sie haben behauptet, die Maschine sei sicher, und zwei hochgestellte Persönlichkeiten kamen darin um. Jetzt sagen Sie erneut, die Maschine sei sicher…« Er ließ die Schlußfolgerung im Raum stehen.
»Raus!« schnauzte Leoh. »Verschwinden Sie, oder bei den archaischen Göttern, so alt wie ich bin…!«
Der Reporter wich einen Schritt zurück. Dann: »Nehmen wir an, ich hege tatsächlich Zweifel. Nicht an Ihrer Aufrichtigkeit, aber an Ihrem Optimismus, daß die Maschine sicher sei. Nehmen wir an, ich würde sagen, Sie wissen gar nicht genau, ob die Maschine sicher ist — Sie hoffen es nur.«
Hector trat dazwischen. »Jetzt mal langsam… wenn Sie nicht…«
»Nehmen wir an«, fuhr der Reporter fort und schlüpfte an Hector vorbei, »nehmen wir an, ich forderte Sie zu einem Duell.«
»Ich habe ziemlich häufig mit der Maschine gearbeitet«, warnte Leoh.
»Okay, ich fordere Sie trotzdem.«
Leoh war plötzlich ganz ruhig. »Na schön. Ich nehme Ihre Herausforderung an. Und ich gebe Ihnen während des Duells jede Chance, Ihre Behauptungen zu beweisen. Unter einer Bedingung: Die Kontrollaufzeichnung des Duells wird sofort nach Beendigung veröffentlicht.«
Der Journalist grinste. »Einverstanden.«
Leoh dämmerte es, daß er genau darauf hinausgewollt hatte.
Odal saß in seinem spartanischen Zimmer in der Kerakischen Botschaft und wartete auf den Anruf. Der Raum war klein und unpersönlich, rein funktional eingerichtet — Bett, Schreibtisch, Stuhl, Bildschirm. Kein Schmuck, militärisch graue Wände, keine Fenster.
Vor Odals Abflug nach Acquatainia hatte ihm Kor den Plan für Leohs Vernichtung erläutert. Odal gefiel der Plan nicht, aber er schien durchführbar und würde Leoh auf jeden Fall neutralisieren.
Das Tri-Di summte.
Odal beugte sich über den Schreibtisch und schaltete ein. Das pausbäckige Gesicht des Journalisten erschien auf dem kleinen Schirm.
»Also?« fragte Odal.
»Er hat die Herausforderung angenommen. Wir duellieren uns in drei Tagen. Und er will das Band öffentlich zeigen, wie Sie vorausgesagt haben.«
Odal lächelte verkniffen. »Ausgezeichnet.«
»Hören Sie, wenn ich auf diesem Band eine lächerliche Figur abgebe, dann sollte ich eigentlich mehr Geld dafür bekommen«, meinte der Journalist.
»Mit der finanziellen Abwicklung habe ich nichts zu tun«, wehrte Odal ab. »Da müssen Sie sich an die Buchhaltung wenden… nachdem wir sehen, wie gut Sie Ihre Rolle gespielt haben.«
»Na gut«, maulte der Journalist. »Aber ich bin ein für allemal erledigt, wenn dieses Band gezeigt wird.«
»Wir kümmern uns um Sie«, versprach Odal. In der Tat werden wir uns darum kümmern, daß du ein für allemal erledigt wirst.
Mit raschen Schritten lief Geri Dulaq durch den sonnenüberfluteteten Campus und betrat den hohen, halbdunklen Raum, in dem die Duellmaschine stand. »Hector, du hast so besorgt am Telefon geklungen…«
Er nahm ihre Hände. »Ich bin es auch. Deshalb wollte ich mit dir sprechen. Es… es ist wieder passiert. Zuerst stachelt Ponte den Professor zu einem Duell auf, und jetzt dieser Zeitungsschmierer. Du meinst, daß Ponte vielleicht für Kerak arbeitet, da dachte ich… nach ja…«
»Daß der Journalist ebenfalls ein kerakischer Agent ist«, ergänzte Geri.
Hector nickte. »Und nachdem Odal zurückgekommen ist… ich glaube, da braut sich was zusammen.«
»Wo ist der Professor jetzt?« fragte Geri.
Hector deutete zum Bürotrakt hinter der Duellmaschine. »Dort drin. Er will nicht gestört werden… arbeitet an Formeln oder so was… hat was mit Raumschiffen zu tun, glaube ich…«
Geri machte ein überraschtes Gesicht.
»Ach, der macht sich keine Sorgen wegen des Duells«, erklärte Hector. »Ich habe ihm von Ponte erzählt… was du mir gesagt hast, meine ich. Aber er glaubt nicht, daß die Maschine jetzt noch sabotiert werden kann, und deshalb macht er sich, äh, keine Sorgen. Und Ponte hat er ja mühelos geschlagen.«
Geri drehte sich zu der massigen, hochaufragenden Maschine um. »Ich bin noch nie hiergewesen. Das Ding sieht richtig beängstigend aus.«
Hector lächelte beruhigend. »Du brauchst keine Angst zu haben… ich meine, es ist nur eine Maschine. Sie kann dir nichts tun.«
»Ich weiß. Es waren Odal und seine gedungenen Monster, die Vater umgebracht haben, nicht die Maschine selbst.«
Sie ging die lange, geschwungene Kommandokonsole entlang, betrachtete die unzähligen Instrumente und Displays und Schalter, fuhr mit dem Finger über die Plastistahlkante.
»Kannst du mir zeigen, wie es ist?«
Hector blinzelte verdutzt. »Was?«
»Wie es in der Maschine ist«, sagte sie. »Kann man sie noch für etwas anderes benutzen als nur für Duelle? Ich möchte mal sehen, wie das ist, wenn meine Phantasie Wirklichkeit wird.«
»Ach so… ja, an sich darfst du nicht… ich meine, niemand darf die Maschine ohne… das heißt…«
»Du kennst dich doch mit der Maschine aus, stimmt’s?« Sie blickte ihm tief in die Augen.
»Klar… natürlich…« stammelte Hector.
»Dann können wir sie gemeinsam benutzen? Vielleicht können wir zusammen einen Traum träumen?«
Hector, dessen Hände sich plötzlich ganz klamm anfühlten, blickte sich verstohlen um und murmelte: »Ja, eigentlich muß jemand an der Kontrollkonsole sitzen, um das, äh, Duell zu überwachen… ich meine…«
»Nur ein paar Minuten, ja?« Geri knipste ihr unwiderstehlichstes Lächeln an.
Hectors Widerstand zerschmolz. »Okay… das müßte eigentlich gehen. Aber nur für ein paar Minuten!«
Er brachte sie zu der einen Kabine und half ihr, die Neurokontakte anzulegen. Dann ging er zur Kommandokonsole zurück und aktivierte mit zittrigen Händen die Maschine. Jedes Instrument kontrollierte er doppelt, drückte dann eine Reihe von Tasten und sprintete zu der anderen Kabine, wo er prompt stolperte und mit ziemlichem Getöse gegen den Sitz prallte. Er setzte sich hastig, legte mit fliegenden Fingern die Neurokontakte an und starrte dann auf den Bildschirm.
Nichts geschah.
Einen Moment überfiel ihn Panik. Dann glomm der Schirm auf, Farben changierten, vorwiegend Grüntöne, ein sattes, kühles Grün mit einer Spur Blau…
Und plötzlich schwebte er neben Geri in einer Welt von Grün; von hoch über ihm fiel helleres, ebenfalls grünliches Licht ein.
»Hallo«, sagte Geri.
Er grinste ihr zu›»Hallo, Geri.«
»Ich wollte schon immer gerne wissen, wie das wäre, so ganz ohne technische Hilfsmittel unter Wasser zu leben, wie eine Meerjungfrau.«
Hector bemerkte Hunderte von Fischen, die träge um sie herumschwammen. Als seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten, entdeckte er bizarre Korallengebilde in Farben, wie er sie noch nie im Leben gesehen hatte.
»Unser Schloß«, sagte Geri, schwamm langsam auf einen Korallenturm zu und verschwand dahinter.
Hector stellte fest, daß er ihr mühelos folgen konnte. Das Wasser schien keinen Widerstand zu bieten. Er fühlte sich völlig entspannt, völlig zu Hause. Jetzt sah er sie wieder graziös vor sich schweben und schwamm an ihre Seite. Ein großer silberner Fisch kreuzte ihre Bahn, und leuchtend getönte Wasserpflanzen wiegten sich sanft in der Strömung.
»Ist das nicht wunderschön?« murmelte Geri. »Unsere eigene kleine Welt, ohne Sorgen, ohne Gefahren.«
Hector nickte. Es fiel ihm schwer zu glauben, daß sie in Wirklichkeit in zwei dreißig Meter voneinander entfernten Kabinen saßen. Schwer zu glauben, daß es noch eine andere Welt gab, in der ein Krieg drohte, in der Odal auf der Lauer lag, um einen weiteren Mord zu begehen.
Ein dunkler Schatten glitt hinter den Korallenriffen hervor. Geri schrie auf.
Es war Odal. Schlank, ganz in Schwarz gekleidet, sein hageres Gesicht eine tödliche Maske.
»Hector, er ist hinter mir her! Hector, hilf mir!«
Alles wurde schwarz.
Hector riß die Augen auf. Er saß neben Geri in der Kabine und hielt sie schützend in den Armen. Sie zitterte am ganzen Leib.
»Wie…«
»Meine Schuld«, keuchte sie. »Ich habe an Odal gedacht…«
Die Kabinentür wurde aufgerissen. Leoh starrte sie entgeistert an. »Was habt ihr denn angestellt? Der gesamte Strom im Haus ist ausgefallen!«
»Tut mir leid…«, setzte Hector an.
»Es war meine Schuld«, fiel ihm Geri ins Wort. Sie erklärte Leoh, was passiert war.
Leohs Miene war noch immer verwirrt. »Aber wieso seid ihr denn in der gleichen Kabine?«
Hector setzte zu einer Antwort an, dann kam es ihm mit einem Mal. »Ich… ich war in der anderen Kabine!«
»Die ist leer«, erklärte Leoh. »Dort habe ich zuerst nachgesehen, als der Strom ausfiel. Die Tür war geschlossen.«
Hector blickte Geri an, dann wieder den Professor. »Ich muß aus der Kabine gesprungen und hierhergerannt sein… aber… ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern!«
Der leitende Meditechniker kam aufgebracht in den Saal gestürzt. »Was geh hier vor? Wer hat die Hauptsicherungen durchgehauen?«
Leoh drehte sich zu ihm um. »Kein Grund zu Aufregung. Nur ein kleines Experiment, das leider nicht geklappt hat.«
Im verblassenden Abendlicht inspizierte der Meditechniker die Kommandokonsole, während Hector und Geri aus der Kabine traten. Er fluchte verhalten und warf ihnen giftige Blicke zu.
»Hat sicher keine bleibenden Schäden hinterlassen«, sagte Leoh beruhigend.
Die Kontrollampen flammten wieder auf, desgleichen die Saalbeleuchtung. »Hmm«, brummte der Meditechniker. »Scheint alles okay zu sein. Power ist wieder da.«
»Ich begreife das nicht«, sagte Hector.
»Ich auch nicht«, gab Leoh zu. »Aber ich werde mir den Kopf darüber zerbrechen.«
»Worüber?«
»Wie Hector von der einen Kabine in die andere geraten ist.«
Dem leitenden Meditechniker rief er zu: »Ich nehme mir die Kontrollaufzeichnungen dieses, äh, Experiments. Sie haben doch nichts dagegen?«
Mit der aggressiven Überängstlichkeit eines besorgten Vaters wieselte der Meditechniker um seine geliebte Maschine herum. Er nickte ungnädig in Leohs Richtung. »Ich glaube, Sie sollten sich diese Experimente verkneifen, bis wir eine stärkere Energieversorgung und ein Notstromaggregat installiert haben. Die halbe Universität war ohne Saft.«
Leoh saß in seinem Arbeitszimmer hinter der Duellmaschine und starrte auf den jetzt leeren Bildschirm. In drei Tagen hatte er das Band mindestens hundertmal ablaufen lassen. Bis auf die Picosekunde hatte er den Handlungsablauf nachgemessen. Er hatte Hector und Geri zugesehen, wie sie wie zwei menschliche Delphine träge und glücklich durch das Wasser geglitten waren. Dann kam Odals raubfischhafte Gestalt ins Bild. Geri schrie auf. Die Szene endete abrupt.
Genau in diesem Moment — plus oder minus zwei Picosekunden, wie Leoh ausgemessen hatte — fiel der gesamte Strom aus.
Wie lange brauchte Hector von seiner Kabine zu Geri? Dreißig Sekunden? Leoh hatte ungefähr dreißig Sekunden nach dem Stromausfall die Tür von Hectors Kabine aufgerissen. Also weniger. Zehn Sekunden? Unmöglich. Niemand konnte in zehn Sekunden die Neurokontakte abstreifen und zu der anderen Kabine laufen. Und beide Türen waren auch noch geschlossen gewesen.
»In Anbetracht von Hectors körperlicher Gewandtheit«, murmelte Leoh vernehmlich, »würde es mich wundern, wenn er die Strecke in weniger als zehn Minuten schafft.«
Also, fragte er sich, wie ist er in Geris Kabine gekommen? Präkognition? Hat er vorausgeahnt, daß Odal auftauchen und Geri erschrecken würde? Aber warum erinnert er sich dann nicht daran, erinnert sich nicht einmal, von der einen Kabine zur anderen gelaufen zu sein? Und warum dieser enorme Stromverbrauch? Was ist in der Maschine vorgegangen und hat solch eine extreme Belastung verursacht?
Leoh fiel nur eine Erklärung ein, aber die war so abwegig, daß er lieber nach einer anderen suchte. Diese eine Erklärung war Teleportation.
Die Duellmaschine verstärkte die Fähigkeiten eines natürlichen Telepathen. Einige Telepathen konnten angeblich kleine Gegenstände ohne jede physische Krafteinwirkung bewegen. War es möglich, daß die Maschine auch solche Fähigkeiten verstärkte? Und so viel Energie dazu brauchte, daß die gesamte Stromversorgung zusammengebrochen war?
Leoh schüttelte den Kopf. Zu viele Hypothesen, zu wenige Fakten. Er wünschte sich, sie hätten Kameras in den Kabinen installiert; dann könnte er Hectors Ankunft genau einmessen. Hatte er den Trip in vier Picosekunden gemacht. Oder waren es vier Billionstel einer Sekunde?
Die Tür glitt auf, und Hector stand linkisch im Rahmen.
Leoh blickte hoch. »Ja?«
»Es ist Zeit… der, äh, Journalist und seine Sekundanten sind da.«
Ungehalten über die Störung schwang sich Leoh aus dem Stuhl und machte sich auf den Weg zur Duellmaschine. »Alles dummes Zeugs«, brummelte er. »Ein reiner Publicity-Gag.«
Der leitende Meditechniker, der jetzt in seinem offiziellen weißen Overall steckte, stellte die Duellanten und Sekundanten einander vor. Leoh hatte nur Hector benannt. Für den Journalisten gab es zwei Sekundanten: seinen Redakteur, ein mageres, kahlköpfiges, nervöses Männchen, und einen Network-Vizepräsidenten, der zufrieden und wohlgenährt aussah. Beschäftigt wahrscheinlich drei Diätspezialisten und einen Biochemiker, um sein Gewicht unter Kontrolle zu halten, dachte Leoh ungnädig.
Sie erledigten die Formalitäten und gingen zu ihren Kabinen. Hector setzte sich an das eine Ende der halbrunden Polsterbank vor der Maschine. Der Redakteur und der V. P. setzten sich ans andere Ende. Bis auf die Meditechniker, die jetzt ihre Posten an den Kontrollpulten einnahmen, befand sich niemand im Saal. Die Pressetribüne war leer. Die Lämpchen an den Konsolen blinkten auf. Der große Saal vibrierte leise unter dem kaum hörbaren Summen der riesigen Transformatoren.
Nach zehn Minuten wechselten alle Lämpchen auf der Kommandokonsole von Grün auf Gelb. Das Duell war zu Ende.
Hector stürzte zu Leohs Kabine. Lächelnd trat der Professor aus der Tür.
»Sind Sie… haben Sie… ist alles gutgegangen?« fragte Hector aufgeregt.
Aus der anderen Kabine kam der Reporter. Sein Redakteur mußte ihn stützen. Der Vizepräsident blieb auf der Bank sitzen und machte ein halb enttäuschtes, halb belustigtes Gesicht. Der Journalist sah aus wie ein kraftloser Teigklumpen, käseweiß im Gesicht und weich in den Knien.
»Er hat überhaupt kein Reaktionsvermögen«, erklärte Leoh, »und nicht die geringste Ahnung von den einfachsten physikalischen Gesetzen.«
Der V. P. stand auf und kam mit ausgestreckter Hand und einem Zahnpastalächeln auf Leoh zu. »Herzlichen Glückwunsch, Professor«, sagte er mit seinem jovialen Bariton.
Leoh ergriff die Hand, erwiderte aber: »Das war nichts als eine idiotische Zeitverschwendung. Ich bin überrascht, daß ein Mann in Ihrer Position sich so etwas überhaupt anschaut.«
Der V. P. neigte schuldbewußt das Haupt. »Für die Sache bin ich eigentlich verantwortlich. Meine Mitarbeiter haben mich überzeugt, daß es eine gute Idee sein würde, die Duellmaschine zu testen und dann das Ergebnis des Tests zu veröffentlichen. Sie haben doch nichts dagegen, daß wir die Aufzeichnung über unser Tri-Di-Sendernetz ausstrahlen?«
Achselzuckend meinte Leoh: »Ihr Mann gibt keine besonders gute Figur ab. Er wurde von einer Bowling-Kugel überrollt und hat dann seine Kraft etwas überschätzt und sich das Rückgrat verrenkt, als er etwas Schweres heben wollte… «
Der V. P. unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Mir egal, was auf dem Band ist. Ich habe mich entschlossen, es zu senden, wenn Sie keine Einwände haben.«
»Nein, ich habe keine Einwände.«
»Sie werden auf dem ganzen Planeten berühmt«, strahlte der V. P. »Ihr Name wird in aller Munde sein. Der neue Tri-Di-Star von Acquatainia!«
»Wenn das Band die Acquatainier überzeugt, daß die Duellmaschine jetzt sicher ist, soll mir’s recht sein«, meinte Leoh. »Was Berühmtheit anbetrifft… ich bin auch jetzt schon recht bekannt.«
»Ja, aber nicht in der Öffentlichkeit. Gewiß sind Sie berühmt und angesehen unter Ihren akademischen Kollegen und bei der Elite von Acquatainia und dem Commonwealth. Aber der Normalbürger kennt Sie höchstens aus ein paar Nachrichtenspots. Jetzt werden Sie jedoch wirklich berühmt.«
»Wegen so eines blöden Duells? Das bezweifle ich sehr.«
»Warten Sie’s ab«, schmunzelte der Vizepräsident.
Der V. P. hatte nicht übertrieben. Seine Voraussage war eher noch zurückhaltend gewesen.
Leohs Duell wurde am gleichen Abend von allen Tri-Di-Stationen des Planeten ausgestrahlt. Innerhalb einer Woche war die Aufzeichnung im gesamten Acquataine Cluster gezeigt worden, und die Commonwealth-Stationen rissen sich darum.
Es war das erste Mal, daß ein Duell öffentlich gezeigt wurde, und die Tatsache, daß der Erfinder der Duellmaschine einer der Duellanten war, erhöhte noch das Interesse. Der Anblick des korpulenten Reporters, wie er in offensichtliche Fallen tappte und sich in den Seilen von Flaschenzügen verhedderte oder von schiefen Ebenen mit herabrollenden Kugeln gehetzt wurde, während Leoh ihn bei jedem Schritt fürsorglich zur Vorsicht mahnte, kam den meisten Leuten äußerst spaßig vor. Die Acquatainier, die seit Monaten in ständiger Furcht vor einem Kriegsausbruch lebten, fanden ein plötzliches und wirkungsvolles Ventil für ihre Ängste in Leohs Duell. Hier war der Erfinder der Duellmaschine, der Mann, der den kerakischen Killer bezwungen hatte, zeigte im Tri-Di, wie clever er war, und bewies, daß Kerak gegen solch einen genialen Kopf keine Chance hatte.
Die wahren Fakten — daß Leoh in Martines Kabinett keinen Einfluß besaß, daß Odal wieder auf Acquatainia war, daß sich kerakische Kriegsflotten unauffällig an der acquatainischen Grenze sammelten —, diese Fakten traten bei dem Mann auf der Straße zurück hinter seinem Triumph über Leohs Duell. Über Nacht wurde Leoh zum Publikumsliebling. Die Universitäten im ganzen Cluster rissen sich darum, ihn zu Vorträgen und Gastvorlesungen einzuladen. Tri-Di-Shows boten ihm Unsummen für Auftritte, und Reporter folgten ihm auf Schritt und Tritt.
Zuerst versuchte sich der alte Wissenschaftler der Flut entgegenzustemmen. Eine Woche lang nach der ersten Ausstrahlung seines Duells weigerte er sich, eine öffentliche Erklärung abzugeben.
»Sag ihnen, ich sei beschäftigt«, instruierte er Hector und verschanzte sich in seinem kleinen Arbeitszimmer hinter Formeln und Gleichungen.
Als sich dann aber die Universitäten bei ihm meldeten, gab er nach. Bevor er sich versah, wurde er von einer Woge persönlicher Auftritte, Tri-Di-Shows und Partys weggeschwemmt.
»Vielleicht«, sagte er zu Hector, »lerne ich auf diese Art Leute mit Einfluß auf Martines Regierung kennen. Möglicherweise kann ich sie von den Vorteilen einer Allianz mit dem Commonwealth überzeugen, so daß sie entsprechenden Druck auf Martine ausüben.«
Auf Partys, bei privaten Treffen, bei Pressekonferenzen schnitt Leoh dieses Thema an. Aber die Wirkung war gleich Null. Die Studenten, die Professoren, die Journalisten, die Vertreter der Wirtschaft, das Tri-Di-Publikum — sie alle wollten Unterhaltung, keine Politik. Sie wollten eine Bestätigung, daß alles in bester Ordnung war, wollten sich nicht mit so unangenehmen Themen befassen wie Krieg und Verteidigung und Kampf.
Die Vorträge an den Universitäten waren ein umwerfender Erfolg — als Vorträge. Leoh hatte erwartet, vorwiegend vor Psychonikstudenten zu sprechen, aber jedes Audimax war vollgepackt mit Studenten und Dozenten aller Fachrichtungen, von der Politologie über Physik, Mathematik bis zur Soziologie und Psychiatrie… Tausende auf jedem Campus.
Und bei jedem Universitätsbesuch gab es die unvermeidlichen Lokalreporter, die Tri-Di-Auftritte, die Podiumsdiskussionen. Und die Fakultätspartys an den Abenden. Und die zwanglosen studentischen Seminare am späten Nachmittag. Und die Journalisten, die beim Frühstück »nur auf ein Wort« vorbeikamen.
Die Universitätstournee dauerte über zwei Monate. Am Anfang versuchte Leoh jeden Tag noch ein paar Minuten abzuzweigen für das Problem von Hectors »Sprung«. Aber jeden Morgen wachte er unausgeschlafener aus, jeder Tag brachte mehr Menschen, die respektvoll und bewundernd lauschten. Jeden Abend ging er später zu Bett; glücklich, erschöpft, mit einem leise bohrenden Gefühl, daß er eigentlich mit diesem Showbusineß aufhören und sich wieder der Wissenschaft widmen sollte.
Hectors langes Gesicht wurde immer länger, als er Leoh von Campus zu Campus nachtrottete. Dem alten Mann machte es ganz offensichtlich großen Spaß, aber ebenso offensichtlich verausgabte er sich durch das Reisen und die Auftritte und die Partys. Dazu kam, daß Geri in der Hauptstadt zurückgeblieben war, und all die einladend lächelnden Studentinnen sie in seinen Augen nicht ersetzen konnten.
Und zwischendurch fand Leoh sogar noch Zeit, zwei weitere Duelle auszutragen.
Das erste war mit einem Physikstudenten, der mit seinen Freunden gewettet hatte, daß er den Professor schlagen könnte. Gutmütig willigte Leoh ein, unter der Bedingung, daß die Bandaufzeichnung im Tri-Di gezeigt wurde. Der Student war einverstanden.
Statt der einfachen Physikarena wählte Leoh diesmal eine schwierigere Umgebung: den unnatürlich gekrümmten Raum innerhalb des starken Gravitationsfelds eines Neutronensterns. Die Duellanten kämpften in Ein-Mann-Raumjägern und benutzten als Waffen konventionelle Laserkanonen. Das Problem war, den Jäger in einem derart starken Gravitationsfeld unter Kontrolle zu halten, wo ein winziger Navigationsfehler den unweigerlichen Absturz auf die brodelnde Oberfläche des Sterns bedeutete, und mit dem Laser zu treffen, wo die relativistische Raumkrümmung jede gerade Linie zur Farce machte.
Der Junge hielt sich tapfer, als die beiden Raumschiffe den sterbenden Stern umkreisten. Das Band zeigte abwechselnd Aufzeichnungen aus beiden Schiffen. Jetzt konnte der Zuschauer die schwarzen Tiefen des Raums sehen, leer bis auf ein paar ferne, stecknadelgroße Lichtpünktchen, und die gekurvte Flugbahn des gegnerischen Jägers, aus dem ein bleistiftdünner Laserstrahl aufzuckte und in absurden Krümmungen ein Ziel suchte. Dann kam das bläuliche Inferno des Neutronensterns ins Bild und überdeckte mit seiner grellen Strahlung alles andere.
Der Junge kämpfte nicht ungeschickt, kam am Ende aber der sterbenden Sonne zu nahe. Er hätte sich retten können, wenn er seinen Jäger besser unter Kontrolle gehabt hätte. Statt dessen stürzte er mit Höchstbeschleunigung direkt in die glühende Hölle. Die zuständigen Tri-Di-Redakteure schnitten seine verzweifelten Schreie vorsichtshalber heraus, bevor sie das Band sendeten.
Die zweite Herausforderung kam von einem acquatainischen Kaufmann, einem der reichsten des Clusters, der auf einer Party zuviel getrunken hatte und mit Leoh in Streit geriet. Der Professor benutzte wieder seine bewährte Physikarena und bezwang seinen Gegner ohne jede Mühe.
Als Leoh schließlich in dei Hauptstadt zurückkehrte, war er zum Liebling der besseren acquatainischen Gesellschaft geworden. Sie gaben ihm zu Ehren Bankette, ertränkten ihn in Alkohol, führten ihn ins Ballett und in die Oper, lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab — nur arbeiten ließen sie ihn nicht. Geri gehörte zu Acquatainias Führungsschicht, und so bekam Hector sie wenigstens zu sehen — wenn auch nur auf lauten und überfüllten Geselligkeiten.
Kerzengerade saß Odal auf dem einzigen Stuhl seines Zimmers und musterte Kors haarlosen Schädel auf dem Bildschirm.
»Bis jetzt ist alles nach Plan gelaufen«, sagte der Informationsminister. »Leoh war nicht nur selbst vollauf beschäftigt, er hat auch viele dieser schwachköpfigen Acquatainier in Atem gehalten. Zwischenzeitlich gehen unsere Vorbereitungen weiter.«
»Die Invasion«, murmelte Odal.
Kor lächelte. »Wir haben die Regierung des Etra Dominiums — sagen wir mal: überredet, uns die Erlaubnis für die Stationierung eines Flottenverbands auf ihrem Territorium zu geben. Etra liegt zwischen dem Acquataine Cluster und der nächsten Star-Watch-Basis. Wenn das Commonwealth zu intervenieren versucht, können wir seine Streitkräfte lange genug aufhalten, um Acquatainia zu unterwerfen.«
Odal nickte knapp; er kannte den Plan bereits.
»Jetzt ist die Zeit gekommen«, fuhr Kor fort, »daß Sie den letzten Schritt tun. Die Ausschaltung von Leoh und ein völliges Einlullen der Acquatainier.«
Odal schwieg.
»Die Rolle, die Sie spielen müssen, gefällt Ihnen immer noch nicht«, sagte Kor. »Nein, geben Sie sich keine Mühe, ich sehe es Ihrem Gesicht an. Darf ich Sie daran erinnern, daß Ihre Pflicht nicht immer angenehm sein mag, daß Ihr Lohn im Erfolgsfall aber sehr hoch sein wird.«
»Ich werde meine Pflicht tun, ob sie mir unangenehm ist oder nicht«, erwiderte Odal steif. Und ich kenne die Strafe für Versagen, fügte er im stillen hinzu.
Hector fand, daß Leoh ziemlich angegriffen aussah, als sie von der Party zurückkehrten. An diesem Morgen war ein neues Gebäude auf dem Gelände der Universität eingeweiht worden. Es bekam den offiziellen Namen Albert Robertos Leoh Center für Psychonische Studien.
Am Vormittag hatten die obligatorischen Festansprachen auf einer Plattform im Freien stattgefunden, am Nachmittag eine Besichtigungstour des neuen Gebäudes und ein Bankett mit dem Rektor und den Kuratoren der Universität, und abends die unvermeidliche Party.
»Ich muß mir einfach die Zeit nehmen«, sagte Leoh, als sie aus der Liftröhre traten, »um ein paar Experimente im Zusammenhang mit deinem ›Sprung‹ durchzuführen. Wir können die Bandaufzeichnung benutzen und… «
Doch Hector starrte nur wortlos auf Leohs Wohnungstür. Sie stand offen, und die Lichter im Apartment brannten.
»Bestimmt wieder so ein Reporter«, stöhnte Leoh.
»Ich setze ihn vor die Tür«, sagte Hector grimmig und ging voraus.
Auf der Aerocouch mitten im Wohnzimmer saß Odal.
»Sie!«
Der kerakische Major erhob sich gemächlich, ein frostiges Lächeln auf dem Gesicht. Leoh trat durch die Tür und blieb wie angewurzelt stehen.
»Guten Abend«, sagte Odal. »Kommen Sie nur rein. Es ist schließlich Ihre Wohnung.«
»Wie sind Sie denn hereingekommen?«
»Das ist doch unwichtig. Ich bin gekommen, um eine offene Rechnung zu begleichen. Professor Leoh, Sie haben mir vor einiger Zeit Betrug bei meinen Duellen vorgeworfen. Ich war dabei, Sie zu fordern, als der Watchman sich einmischte. Ich fordere Sie jetzt.«
»Mal langsam!« fuhr Hector dazwischen. »Sie können doch nicht…«
»Ich habe bereits. Professor, nehmen Sie die Herausforderung an?«
Leoh stand drei Schritte von der Tür, reglos und schweigend.
»Ich möchte Sie daran erinnern«, sagte Odal beiläufig, »daß Sie sich die größte Mühe gegeben haben, die Acquatainier zu überzeugen, daß Ihre Duellmaschine sicher und harmlos ist. Vielleicht darf ich aus Ihren zahllosen Tri-Di-Reden zitieren: ›Eine Manipulation der Maschine gehört der Vergangenheit an.‹ Wenn Sie mir ein Duell ausschlagen, wird es so aussehen, als hätten Sie doch Befürchtungen, die Maschine sei nicht sicher — wenn ich der Gegner bin.«
»Und Sie würden«, murmelte Leoh, »natürlich dafür sorgen, daß meine Ablehnung öffentlich bekannt würde.«
Odal nickte lächelnd.
»Sie sind eine Berühmtheit. Auf die eine oder andere Weise werden die Medien davon erfahren.«
»Tun Sie es nicht«, sagte Hector zu Leoh. »Es ist gewiß eine Falle. Lassen Sie sich nicht auf ein Duell mit ihm ein. Ich…«
»Sie, Watchman, haben mich bereits in einem Duell geschlagen«, unterbrach ihn Odal, und sein Lächeln war wie weggewischt. »Sie können mich jetzt nicht mehr fordern. Es wäre unfair.«
»Ich bin mit einem Duell einverstanden«, sagte Leoh, »wenn Sie damit einverstanden sind, daß die Aufzeichnung veröffentlicht wird.«
»Einverstanden«, versetzte Odal. »Wir treffen uns in drei Tagen, wie üblich?«
»Sagen wir eine Woche«, drängte Hector. »Geben Sie uns Zeit, die Maschine, äh, zu überprüfen und uns zu überzeugen, daß… äh…«
»Daß die Monster aus Kerak nicht daran herumgespielt haben?« Odal lachte. »Also gut, bis dann, heute in einer Woche.«
Odal schritt an Leoh und Hector vorbei zur Tür und verschwand. Klickend schloß sich die Tür hinter ihm.
Hector ließ seinen Blick von der geschlossenen Tür zu Leoh wandern. »Sie hätten nicht annehmen sollen… ich meine, da steckt garantiert irgendein Trick dahinter…«
Der Professor zog ein nachdenkliches Gesicht. »Wirklich? Oder ist es vielleicht ein letzter verzweifelter Versuch von Odal und seinen Hintermännern? Ich konnte den Acquatainiern beweisen, daß sie von der Duellmaschine nichts zu befürchten haben, vergiß das nicht. Vielleicht will man versuchen, die Duellmaschine wieder zu einem Symbol des Terrors zu machen.«
Hector schüttelte den Kopf.
»Aber ich kann Odal in einem offenen und ehrlichen Duell schlagen«, argumentierte Leoh. »Schließlich habe ich bis jetzt jedes meiner Duelle gewonnen, stimmt’s? Und du hast Odal geschlagen. Odal gewann nur, solange er Unterstützung von draußen hatte. Ich glaube, ich kann ihn schlagen, ehrlich.«
Hector antwortete nicht. Er sah den alten Mann nur skeptisch an.
Menschentrauben umlagerten das Gebäude, in dem die Duellmaschine stand. Das aufgeregte Gemurmel drang sogar ins Innere des sonst so stillen Saals. Auf der Pressetribüne, hoch über der Maschine, drängten sich die Reporter.
Die ganze Woche hatten die Tri-Di-Stationen im Acquataine Cluster kein anderes Thema gehabt als das bevorstehende Duell zwischen Leoh und Odal. Das Gute gegen das Böse; und den Ausgang wagte niemand vorauszusagen. Der alte, übergewichtige, unsportliche Professor gegen den schlanken, tödlichen Killer.
Hector und Leoh standen vor der Maschine. Die Meditechniker führten letzte Checks durch. Am anderen Ende des Saals hatte man tribünenförmige Sitzreihen aufgebaut. Politiker und Honoratioren saßen dort, Militärs, Polizisten und eine kleine Abordnung der Kerakischen Botschaft. Geri Dulaq saß in der ersten Reihe; der freie Platz neben ihr war für Hector reserviert.
»Ich habe nach wie vor ein schlechtes Gefühl«, flüsterte Hector, zu Leoh gewandt.
Leoh überflog den Saal, die erwartungsvollen Zuschauer, die geschäftigen Meditechniker. »Nur keine Aufregung, mein Junge. Wir haben die Maschine auf Herz und Nieren geprüft. Das schlimmste, was mir passieren kann, ist eine Niederlage. Beim leisesten Anzeichen einer medizinischen Unregelmäßigkeit stoppt die Maschine automatisch. Und außerdem glaube ich immer noch, daß ich ihn schlagen kann. Ich werde wieder diesen Neutronenstern wählen, die gleiche Umgebung, die ich auch schon gegen diesen Studenten benutzt habe. Dort ist Odal mir gegenüber nicht im Vorteil.«
Von der Menge draußen stieg ein tosender Schrei auf.
»Er kommt«, sagte Hector.
Das Hauptportal öffnete sich. Flankiert von zwei Reihen uniformierter Polizisten marschierten Odal und seine beiden Sekundanten in den Saal, alle drei in hellblauen kerakischen Uniformen. Mit einer ärgerlichen Geste wischte sich Odal etwas von der Uniformjacke.
»Diplomatische Immunität«, meinte Leoh, »hilft offenbar nichts gegen eine aufgebrachte Menschenmenge.«
Die Begrüßung, die medizinischen Tests, die Instruktionen, die Wahl der Waffen und der Umgebung — all das schien Stunden zu dauern. Bis plötzlich alles vorüber war und Hector allein auf seinen Platz zurückkehrte.
Er setzte sich neben Geri und sah zu, wie Leoh und Odal ihre Kabinen betraten, wie die Meditechniker ihre Stationen an den Kontrollkonsolen einnahmen, wie die Lämpchen von Gelb auf Grün wechselten. Das Duell hatte begonnen.
Die Zuschauer zeigten Anzeichen von Ungeduld. Gemurmel erfüllte den Saal. Es gab nichts zu tun als zu warten.
Geri beugte sich zu Hector hinüber und fragte honigsüß: »Hast du eine Pistole mitgebracht?«
»Wie? Was? Wozu eine…ich meine…«
»Für Odal«, flüsterte sie. »Ich habe einen kleinen Strahler in meiner Handtasche.«
»Aber… aber…«
»Du hast es mir versprochen!« Noch immer flüsternd, aber in sehr entschiedenem Ton.
»Ich weiß, aber doch nicht hier. Es sind… es sind zu viele Leute hier… Unbeteiligte könnten getroffen werden, wenn… wenn es zu einer Schießerei kommt…«
Geri überlegte einen Augenblick. »Vielleicht hast du recht. Wenn er natürlich Professor Leoh dort drin umbringt, geht er von hier aus schnurstracks an Bord eines kerakischen Raumschiffs, und wir sehen ihn nie wieder.«
Hector fiel keine passende Antwort ein, und so schwieg er und fühlte sich hundeelend.
In der nächsten halben Stunde hatten sie sich nichts zu sagen. Als die erste Runde des Duells zu Ende war, blinkten alle Kontrollämpchen gelb. Die Menge stieß einen kollektiven Seufzer der Enttäuschung aus, vermischt mit Erleichterung. Hector sprintete zu Leohs Kabine, während Odals Sekundanten in militärischem Gleichschritt losmarschierten.
Leoh trat aus der Kabine und machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Alles in Ordnung?« fragte Hector.
»Was? Ach so, ja, natürlich. Er hat sich genau an die Regeln gehalten.« Leoh blickte zu Odal hinüber. Der kerakische Major lächelte kalt, erschien gelassen und selbstsicher. »Er hat sich gut geschlagen… außerordentlich gut. Ein paarmal war er drauf und dran, mir den Garaus zu machen. Und ich habe ihn eigentlich nie wirklich in Bedrängnis gebracht.«
Der leitende Meditechniker winkte die beiden Duellanten zur Kommandokonsole. Hector begleitete Leoh.
»Die erste Runde des Duells ist unentschieden ausgegangen«, erklärte der Meditechniker. »Sie beide haben jetzt die Option, für heute aufzuhören oder das Duell unmittelbar fortzusetzen.«
»Ich mache weiter«, sagte Odal ohne zu zögern.
Leoh nickte. »Ich auch.«
»Sehr wohl.« Der Meditechniker wandte sich Odal zu. »Sie haben jetzt die Wahl der Waffen und der Umgebung. Sind besondere Instruktionen erforderlich?«
Odal schüttelte den Kopf. »Der Professor weiß, wie man mit einem Roadster umgeht?« Auf Leohs bestätigendes Nicken fuhr er fort: »Mehr wird nicht von ihm verlangt.«
Leoh fand sich am Steuer eines schnittigen blauen Roasters wieder: durchsichtiges Kuppeldach, zwei sportliche Schalensitze, kraftvoll schnurrende Maschine unter der aerodynamischen Motorhaube. Vor ihm erstreckte sich eine Landstraße schnurgerade bis zum Horizont, wo sich zerklüftete blauschimmernde Berge gegen den grellgelben Himmel abzeichneten. Das Fahrzeug stand am Straßenrand und lief im Leerlauf. Rechts und links der Straße erstreckte sich eine öde Wüstenlandschaft — flach, ohne Konturen, wolkenlos und heiß.
Odals Stimme drang aus dem Funkgerät am Armaturenbrett. »Ich stehe ungefähr fünf Kilometer hinter Ihnen, Professor. Sie fahren jetzt los, und ich werde Ihnen folgen. Diese Roadster haben Räder, keine Luftkissen; es gibt keine magnetischen Stoßfänger, keine elektronische Gleitpfadsteuerung, die den Wagen auf der Straße hält. Nach ein paar Kilometern, wenn wir die Berge erreichen, wird die Streckenführung ziemlich interessant. Das Ziel ist natürlich, den gegnerischen Wagen von der Straße zu drängen und in einen möglichst schweren Unfall zu verwickeln. Aber Sie können auch einfach Gas geben. Wenn ich Sie in einer halben Stunde nicht eingeholt habe, gebe ich mich ebenfalls geschlagen.«
Leoh studierte die Kontrollen, drückte auf die Fahrtaste und trat behutsam aufs Gas. Die Turbine surrte gleichmäßig und vertrauenerweckend. Langsam steigerte Leoh die Geschwindigkeit auf hundert Stundenkilometer. Im Rückspiegelschirm sah er einen blutroten Roadster, das gleiche Modell wie der seine, der genau zehn Fahrzeuglängen Abstand hielt.
»Auf dem geraden Stück haben Sie Gelegenheit, sich mit dem Fahrzeug vertraut zu machen«, drang Odals Stimme aus dem Radio. »Ernst wird es erst, wenn wir in die Berge kommen.«
Die Straße stieg jetzt an, stellte Leoh fest. Eine sehr mäßige Steigung, aber bei ihrer Geschwindigkeit waren sie sehr bald über das Niveau der Wüstenlandschaft hinausgeklettert. Die Berge erschienen nicht länger als ferne blaue Runzeln; sie ragten immer höher, immer gezackter und felsiger auf; nur vereinzelte Büsche und Sträucher hatten an den steilen Flanken Wurzeln schlagen können.
Die erste Kurve kam so unerwartet, daß sie Leoh fast zum Verhängnis geworden wäre. Er riß das Steuer herum, stieg auf die Bremse und rutschte schleudernd um die Kurve.
»Das war keine Meisterleistung«, lachte Odal.
Der rote Wagen berührte jetzt beinahe seinen linken hinteren Kotflügel und drängte ihn zum rechten Straßenrand, wo eine steile Böschung aufragte. Leoh hörte lose Steine von unten gegen das Chassis klappern, ein Geräusch, das das Heulen der Turbinen übertönte. Auf der anderen Straßenseite fiel das felsige Gelände steil zur Wüste ab. Und die Straße stieg noch immer an.
Leoh hielt sich am rechten Straßenrand, links neben sich Odal, der fast gleichgezogen hatte. Unvermittelt wichen die Berge zurück; eine Brücke spannte sich schwindelerregend zwischen zwei Felsklippen. Leoh schien es, als raste die Brücke in atemberaubendem Tempo auf ihn zu. Er versuchte in die Fahrbahnmitte zurückzukehren, doch Odal rammte ihn seitlich. Leoh wurde das Steuer aus der Hand gerissen. Der Roadster schleuderte auf das Bankett zu. Leoh packte das Steuerrad, lenkte gegen und war plötzlich auf der Brücke, deren Spannkabel verschwommen an ihm vorbeiflogen. Er schwitzte heftig und saß mit verkrampften Händen über das Lenkrad gebeugt.
Odal war jetzt vor ihm. Er muß mich überholt haben, als ich ins Schleudern geraten bin, sagte sich Leoh. Der rote Wagen wurde souverän und mühelos gesteuert; Odal salutierte ironisch seinem Gegner.
Am anderen Ende der Brücke begann eine nicht enden wollende Serie von Kurven, Steigungen und Gefällstrecken. Die Steigungen waren extrem steil, die Serpentinen mörderisch, und manchmal verengte sich die Straße so sehr, daß zwei Fahrzeuge kaum aneinander vorbeigekommen wären. Gelegentlich ragten zu beiden Seiten der Straße himmelhohe Felswände auf. Meistens jedoch war auf einer Seite ein Steilabfall von tausend Metern oder mehr.
Odal bremste, schleuderte, fuhr neben Leoh her und ließ die beiden Fahrzeuge mit einem markerschütternden Krachen zusammenprallen. Er versuchte Leoh von der Straße in den Abgrund zu drängen. Leoh hielt das Lenkrad umklammert und kämpfte verbissen. Seine einzige Verteidigungsmöglichkeit bestand darin, daß er das Tempo bestimmen konnte; zu seinem Entsetzen mußte er jedoch feststellen, daß er nicht einmal darüber volle Kontrolle hatte. Sein Wagen weigerte sich hartnäckig, langsamer als fünfundsiebzig zu fahren.
»Möchten Sie anhalten und die Aussicht genießen?« meldete sich Odal. Er ließ die beiden Fahrzeuge erneut aneinander-prallen und drängte Leoh bedenklich nahe an den Abgrund.
In seiner Verzweiflung trat Leoh aufs Gas. Der Roadster schoß davon und ließ Odal für einen Moment in einer Staubwolke zurück.
»Aha, die Schnecke verwandelt sich in einen Hasen!« Der rote Wagen nahm die Verfolgung auf.
Vor ihnen tauchte ein Straßentunnel auf. Leoh raste auf die dunkle Öffnung zu und hoffte inständig, daß der Tunnel lang genug war und so schmal, daß Odal nicht überholen konnte. Die Zeit muß fast abgelaufen sein! Leohs schweißnasse Hände konnten kaum noch das Lenkrad halten. Rücken und Nacken schmerzten ihm, sein Puls war beängstigend hoch.
Der Tunnel war lang und gerade — und schmal! Mit frischem Mut hielt sich Leoh genau in der Fahrbahnmitte und verringerte das Tempo, soweit es nur ging. Trotzdem huschten die Tunnelwände wie ein verschwommener Film vorbei. Schrill heulte die Turbine in der engen Röhre.
Der rote Wagen kam dicht auf und versuchte jetzt zu überholen. Leoh steuerte nach links, um den Versuch zu vereiteln. Der rote Wagen probierte es auf der rechten Seite. Leoh riß seinen Roadster nach rechts. Odal zog wieder nach links.
Ich muß vor ihm bleiben. Die Zeit muß fast abgelaufen sein. Odal bedrängte ihn von links. Leoh zog noch weiter nach links und ließ ihn nicht vorbei. Aber Odal schob sich immer näher heran, verließ jetzt mit den linken Rädern die Fahrbahn und wanderte die gekurvte, glatte Tunnelwand empor. Leoh blieb auf der linken Seite, und Odal schob sich immer dichter an die Tunnelwand, direkt hinter Leohs Stoßfänger.
Im Rückspiegelschirm konnte Leoh Odals verbissenes Gesicht sehen. Er schien zum Überholen entschlossen. Der rote Wagen kletterte halb die Tunnelwand empor und…
Und dann kippte er plötzlich, flog durch die Luft, krachte mit dem Dach auf die Fahrbahn und explodierte in einem Feuerwerk aus Funken und brennendem Treibstoff mit einem Donnerschlag, der Leoh so sehr durchschüttelte, daß er fast die Gewalt über den Roadster verloren hätte.
Dann saß er wieder in der Kabine der Duellmaschine, und der Bildschirm vor ihm zeigte nur noch ein gleichmäßiges Grau. Er war klatschnaß geschwitzt; die Hände hatte er zu Fäusten verkrampft, als umklammerte er noch das Steuer des Roadsters.
Die Tür flog auf, und Hector kam in die Kabine gestolpert. Seine Miene war beklommen.
»Ist alles in Ordnung?«
Leoh ließ die Arme sinken. Sein ganzer Körper schien zusammenzusacken.
»Ich habe ihn geschlagen«, ächzte er. »Ich habe Odal geschlagen!«
Sie traten aus der Kabine, Leoh jetzt mit einem strahlenden Lächeln. Drüben stand Odal, sein schmales Gesicht eine Maske tödlichen Grimms. Die Zuschauer waren mucksmäuschenstill und wollten ihren Augen nicht trauen.
Der leitende Meditechniker räusperte sich und verkündete mit lauter Stimme: »Sieger ist Professor Leoh!«
Der ganze Saal erzitterte unter dem plötzlichen Jubel. Die Zuschauer sprangen von ihren Sitzen, drängten zur Maschine und hoben Leoh auf die Schultern. Am lautesten von allen schrie der leitende Meditechniker und tanzte wie ein Verrückter auf der Kommandokonsole herum. Die draußen versammelte Menge grölte begeistert.
Ein paar Minuten später war niemand mehr im Saal bis auf ein paar uniformierte Polizisten, Odal und seine Sekundanten.
»Können wir jetzt gehen?« fragte der eine Sekundant, ebenfalls ein Major.
Odals starre Miene entspannte sich ein wenig. »Selbstverständlich.«
Die drei Männer liefen zu einem wartenden Roadster.
Der andere Sekundant, ein Colonel, sagte zu Odal: »Sie haben Ihren Tod recht gut überstanden.«
»Besten Dank.« Odal rang sich ein dünnes Lächeln ab. »Aber es war schließlich nicht so, als sei ich von einem Feind getötet worden. Ich habe einen selbstmörderischen Auftrag bekommen, und der Auftrag ist ausgeführt.«
»Ich… du hast ja gesehen, wie es abgelaufen ist«, sagte Hector zu Geri. »Wie hätte ich bei diesem Gedränge etwas unternehmen können?«
Sie saßen in einem Restaurant in der Nähe des Tri-Di-Studios, wo Leoh vor einem erlesenen Kreis acquatainischer Honoratioren als Held gefeiert wurde.
Geri stocherte lustlos in ihrem Essen. »Die Chance kommt vielleicht nie wieder. Kann gut sein, daß er bereits auf dem Rückweg nach Kerak ist.«
»Na ja, vielleicht ist das… ich meine… ein Mord geht mir einfach gegen den Strich…«
»Es wäre kein Mord«, versetzte Geri kalt und starrte auf ihren Teller. »Es wäre eine Exekution. Odal hat den Tod verdient! Und wenn du es nicht tust, finde ich einen anderen, der nicht solche lächerlichen Skrupel hat!«
»Geri… ich…«
»Wenn du mich wirklich liebst, hättest du es schon längst getan!« Sie schien den Tränen nah.
»Aber es ist doch…«
»Du hast es mir versprochen!«
Geschlagen sank Hector in sich zusammen. »Okay, wein’ doch nicht. Ich… ich laß mir was einfallen.«
Odal saß im Amtszimmer des kerakischen Botschafters. Der Diplomat hatte diskret den Raum verlassen, als Kors Anruf kam.
Der kerakische Major saß an dem riesigen Schreibtisch und lehnte sich lässig in dem gepolsterten Ledersessel zurück. Der wandgroße Bildschirm ihm gegenüber schien sich in ein zweites Zimmer zu verwandeln: Kors dürftig erhelltes Büro. Der Informationsminister musterte Odal einen langen Moment, bevor er sprach.
»Sie sehen erleichtert aus.«
»Ich habe eine unangenehme Pflicht erfüllt, und zwar mit Erfolg«, erwiderte Odal.
»Ja, ich weiß. Leoh ist jetzt zu unserem treuesten Verbündeten geworden. Die Acquatainier betrachten ihn als ihren Retter. Die Angst, die sie vor Major Per Odal empfanden, ist jetzt verschwunden, und ebenso verschwunden ist ihre Angst vor Kerak. Sie betrachten Leoh als ein Symbol für Sieg und Sicherheit. Und während sie ihm zuprosten und seinen großspurigen Reden lauschen, schlagen wir zu!«
Obwohl Kor nur als elektronisches Bild in diesem Raum gegenwärtig war, konnte Odal seine Gedanken deutlich lesen: größere Gefängnisse, mehr Gefangene, zusätzliche Vernehmungszimmer voll verängstigter, hilfloser Menschen, die sich bei der Erwähnung von Kors Namen zusammenkrümmten.
»Und jetzt«, sagte Kor, »warten neue Aufgaben auf Sie, Major. Nicht ganz so unangenehme wie ein befohlener Selbstmord. Und diese Aufgaben sind hier auf Kerak durchzuführen.«
»Offiziere möchte ich nicht mehr verhören«, bemerkte Odal.
»Das ist mir bekannt«, erwiderte Kor mit einem leichten Stirnrunzeln. »Diese Untersuchungsphase ist abgeschlossen. Aber es gibt noch andere Gruppen, die durchleuchtet werden müssen. Sie haben doch sicher nichts dagegen, Diplomaten zu verhören… Angehörige des Außenministeriums?«
Romis’ Leute? überlegte Odal. Kor muß übergeschnappt sein. Romis würde es nie hinnehmen, daß man seine Mitarbeiter verhaftet.
»Ja, Romis«, beantwortete Kor die unausgesprochene Frage des Majors. »Wer sonst hätte die Stirn, die Verschwörung gegen den Führer anzuführen?«
Oder die Intelligenz, dachte Odal. Laut fragte er: »Wann kehre ich nach Kerak zurück?«
»Morgen früh steht ein Schiff für Sie bereit.«
Odal nickte. Dann bleibt mir nur noch dieser Abend, um mit dem Watchman abzurechnen.
Nervös wanderte Hector in dem engen Regieraum des Tri-Di-Studios umher. Techniker und Regieassistenten saßen über Monitore und Mischpulte gebeugt. Hinter ihnen, nur schattenhaft wahrnehmbar in dem abgedunkelten Raum, drängte sich eine große Schar von Besuchern, mit denen Hector ständig zusammenstieß bei seinen ziellosen Wanderungen.
Hinter dem Regiefenster befand sich das hellerleuchtete Studio, in dem Leoh saß, umringt von einem guten Dutzend von Acquatainias führenden Journalisten und politischen Kommentatoren.
Der alte Mann sah erschöpft aus, aber auch sehr zufrieden. Die Sendung hatte mit der Bandaufzeichnung des Duells gegen Odal begonnen. Jetzt bestürmten die Journalisten Leoh mit Fragen über das Duell, die Maschine, seine wissenschaftliche Laufbahn, sein Privatleben.
Hector drehte sich um und musterte die Besucher in dem dunklen Regieraum. Dort drüben in der Ecke stand Geri, eingeklemmt zwischen einem alten Politiker und einer mondän gekleideten Promotion-Agentin. Geri schmollte noch immer. Hector wandte sich ab, bevor sie seinen Blick bemerkte.
»Es dürfte klar sein«, sagte gerade einer der Kommentatoren, »daß Kanus uns mit der Duellmaschine keine Angst mehr einjagen kann. Und damit ist Kanus längst nicht mehr so eine Bedrohung.«
»Ich bin nicht Ihrer Ansicht«, erwiderte Leoh. »Kerak hat ziemliche Fortschritte gemacht mit seinen Bemühungen, Acquatainia außenpolitisch zu isolieren.«
»Aber bei unserer Verteidigung haben wir uns nie auf unsere Nachbarn verlassen«, warf ein Journalist ein. »Unsere sogenannten Verbündeten kämpften vor allem um hohe Zuwendungen durch unser Schatzamt, weniger gegen den gemeinsamen Feind.«
»Aber Kerak verfügt jetzt über die Schwerindustrie auf Szarno und über Vorposten an den Flanken von Premierminister Martines neuer Verteidigungslinie.«
»Kerak würde nie einen Angriff wagen, und selbst wenn, würden wir sie schlagen wie beim letzten Mal.«
»Aber ein Freundschaftspakt mit dem Commonwealth?«
»Brauchen wir nicht. Kanus ist ein Papiertiger, glauben Sie mir. Alles Bluff, raffinierte Tricks mit der Duellmaschine, nichts dahinter, in ein oder zwei Jahren ist er wahrscheinlich schon von seinen eigenen Leuten davongejagt.«
Irgend etwas bewog Hector, seinen Blick von dem Halbkreis politischer Gurus zu den Kamera- und Lasertechnikern schweifen zu lassen, zu einer dunklen Ecke zwischen zwei Scheinwerfern an der Rückwand des Studios, wo ein großer schlanker Mann stand. Hector konnte weder sein Gesicht noch seine Kleidung, noch seine Haarfarbe erkennen. Nur die messerscharfe Silhouette einer Gestalt, die Gefahr signalisierte: Odal.
Ohne lange nachzudenken, drängte sich Hector durch die dichtgepackten Besucher zur Tür. In seiner Hast, den Regieraum zu verlassen, trat er auf zahlreiche Zehen, stieß sitzenden Technikern die Ellbogen gegen Köpfe und Hälse und hinterließ eine Kielwelle schimpfender und blaue Flecke reibender Personen. Er kam direkt an Geri vorbei, die ihm Platz machte, aber kein Wort sagte und ihn nicht einmal ansah.
Vom Regieraum gelangte er in einen kurzen Flur, von dem zwei weitere Türen abzweigten: eine in den Hauptkorridor und eine ins Studio. Vor der Studiotür stand ein Uniformierter.
»Tut mir leid, Sir, Sie können nicht hinein, solange die Sendung läuft.«
»Aber… ich habe jemand durch die hintere Tür reinkommen sehen… ins Studio…«
Achselzuckend meinte der Uniformierte: »Muß ein Kameramann gewesen sein. Sonst darf niemand ins Studio.«
Hector blinzelte irritiert und ging zu der anderen Tür. Der Hauptkorridor führte halbkreisförmig um das Studie herum. Nahm Hector jedenfalls an. Er folgte dem Korridor. Und tatsächlich kam er zu einer weiteren Tür mit der Aufschrift STUDIO C und einer blinkenden roten Lampe darüber. Hector stieß die Tür auf. In Scheinwerferlicht getaucht und von Kameras umrahmt standen ein Mann und eine Frau, die sich gerade heiß umarmten.
»He, wer hat die Tür aufgemacht?«
»SCHNITT! SCHNITT! Schmeißt dieses Rindvieh raus! Nicht mal eine Szene kriegt man mit Ruhe in den Kasten, ohne daß so ein Idiot von einem hergelaufenen Touristen ins Studio schneit! Da soll doch gleich…«
Hastig schlug Hector die Tür zu und entging dadurch einer Flut von Obszönitäten, die seinem alten Ausbilder in der Star-Watch-Akademie noch Hochachtung abgenötigt hätten.
In welchem Studio sind sie?
Wie als Antwort öffnete sich weiter unten im Korridor eine Tür, und Odal trat heraus. Er war nicht in Uniform, statt dessen trug er eine einfache schwarze Tunika und dunkle Hosen. Aber es war unverkennbar Odal. Er blickte direkt in Hectors Richtung, ein ironisches Lächeln um die Lippen, und marschierte dann in die entgegengesetzte Richtung. Hector rannte hinter ihm her, doch Odal verschwand um eine Biegung.
Eine Tür schlug zu. Hector trat ein.
Im schwachen Licht der Korridorbeleuchtung sah Hector Reihen um Reihen von mannshohen Tri-Di-Bildschirmen, jeder flankiert von einem Kontroll- und Monitorpult. Ein Vorführatelier, dachte er. Oder vielleicht ein Schneideraum.
Zögernd ging er tiefer in den Raum hinein. Er war weitläufig, vollgepackt mit großen Bildschirmen und Kontrollpulten. Viele Versteckmöglichkeiten. Die Tür hinter ihm klappte zu und tauchte den Raum in totale Finsternis.
Hector erstarrte. Odal war hier drinnen. Er konnte es fühlen. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Er drehte sich um und schlich in Richtung Tür, kollidierte aber mit einem Stuhl und stieß ihn klappernd gegen das dazugehörige Pult.
»Du hast mich in der Duellmaschine geschlagen«, hallte Odals kalte Stimme durch den Raum. »Jetzt wollen wir mal sehen, ob du mich auch im wirklichen Leben besiegen kannst. Dieser Raum ist schallisoliert. Wir sind allein. Niemand wird uns stören.«
»Äh… ich bin unbewaffnet«, sagte Hector. Es war schwierig festzustellen, woher Odals Stimme kam. Die Echos machten jede Orientierung in der Dunkelheit unmöglich.
»Ich auch. Aber wir sind beide voll ausgebildete Soldaten. Du hast zweifellos den Star-Watch-Standardkurs für waffenlose Selbstverteidigung und Nahkampf absolviert.«
Schmerzhafte Erinnerungen an die Knochenbrecher-Kurse auf der Akademie zuckten Hector durch den Sinn. Am deutlichsten erinnerte er sich an ein Bild, wie er flach auf dem Rücken lag und sein Ausbilder ein verzweifeltes »Nein, nein, nein!« ausstieß.
Odal trat hinter einem mannshohen Bildschirm hervor. »Du scheinst nicht gerade begeistert zu sein, mit mir zu kämpfen. Vielleicht hast du Angst, mir weh zu tun? Ich will dir zeigen, daß ich mich zu verteidigen weiß.«
Odals Fuß zuckte vor und ließ einen Stuhl wie von einem Katapult abgeschossen gegen das Hartplastik eines Bildschirms krachen. Der Stuhl löste sich in seine Einzelteile auf. Dann ließ er die Handkante auf einen Schreibtisch niedersausen: die Metallplatte dröhnte dumpf und bekam einen Knick.
Hector wich zurück, bis ein weiterer Tisch seinen Rückzug stoppte. Er warf einen Blick über die Schulter und sah, daß es sich um eine Art Kommandopult handelte, langgestreckt und mit Hunderten von komplizierten Schaltern und Monitoren. Mehrere Drehstühle mit Rollen standen davor aufgereiht.
Odal kam näher. Eine Stimme in Hectors Kopf riet ihm dringend, Fersengeld zu geben und sich zu verstecken, aber dann hörte er seinen alten Ausbilder brüllen: »Männer, die beste Verteidigung ist ein blitzschneller, rücksichtsloser Angriff!« Hector holte tief Luft, winkelte die Knie an und stürzte sich auf Odal.
Nur um herumgewirbelt, hochgelupft und gegen das Kommandopult geschleudert zu werden, wo er schmerzhaft auf die Schalter prallte.
»SUCHEN SIE DAS IDEALE URLAUBSPARADIES?« dröhnte eine Stimme. Hinter Odal schlug ein Mädchen in einem völlig durchsichtigen Raumanzug einen graziösen Salto im freien Fall. Hector blinzelte verdutzt, und auch Odal, der einen Blick über die Schulter warf, war einen Moment sprachlos. Die Stimme plärrte weiter: »KOMMEN SIE ZU DEN URLAUBSEXPERTEN IM ORBIT HOUSE, ACQUATAINIAS NEUESTEM NULL-G-FERIENZENTRUM…«
Hector schoß eine weitere Maxime seines alten Instrukteurs durch den Sinn: »Wann immer du kannst, lenke deinen Gegner ab. Sorge für Verwirrung. Finten, Ablenkungsmanöver!«
Hector rollte sich von der Tischplatte und lief an dem Kommandopult entlang, wobei er jeden erreichbaren Schalter betätigte.
»HABEN SIE ES SATT, DASS MAN IMMER ›KLEINER‹ ZU IHNEN SAGT?« Ein griesgrämiger Jüngling, der auf Zehenspitzen neben einer atemberaubenden und hochgewachsenen Rothaarigen stand, erschien neben Odal. Der kerakische Major schrak unwillkürlich zurück.
»DAS UNWIDERSTEHLICHE PARFÜM…« Eine verführerische Blondine materialisierte vor seinen Augen.
»DIE MODERNE MEDIZIN KANN JEDE KRANKHEIT HEILEN, ABER WENN ES SICH UM EINE INTIME KÖRPERPARTIE HANDELT…« sagte ein Arzt und strahlte wohlwollende Anteilnahme aus.
Odal war umringt von lebensechten, lebensgroßen Tri-Di-Werbespots.
»WENN SIE MEHR GEGESSEN HABEN ALS SIE EIGENTLICH WOLLTEN…«
»DER STRESS DES MODERNEN LEBENS…«
»DAS NONPLUSULTRA FÜR DIE MODERNE FRAU…«
Mit hervorquellenden Augen sah sich Odal bedrängt von einem tanzenden Teenager, der Mutter einer »Durchschnittsfamilie«, einem besorgten jungen Ehemann, einem nervösen Manager, einem lächelnden Liebespärchen, einer Gruppe von Surfern, einem Chor animierter Kohlköpfe. Wutschnaubend tauchte Odal plötzlich zwischen den anpreisenden, schwatzenden, zum Kauf drängenden Gestalten hindurch und stürzte sich auf das Kommandopult.
»Du kannst dich nicht vor mir verstecken!« brüllte er und hämmerte auf Schalter und Tasten und Monitore.
»Wer versteckt sich denn?« rief hinter ihm Hector.
Odal wirbelte herum und schoß einen ungezielten Schwinger ab. Verdutzt sah er seine Faust ins Gesicht eines knackigen Minikini-Mädchens eintauchen. Es lächelte ihn betörend an und fuhr ungerührt mit ihrem Werbespruch fort. »… UND WENN SIE IN DER STIMMUNG FÜR EINE UNGEWÖHNLICHE ART VON AUFMUNTERUNG SIND…«
Hector hatte sich geduckt. Odal drehte sich um und jagte dem Watchman nach, versuchte ihn zu fassen, als er zwischen den Dutzenden von tanzenden, lachenden, trinkenden, essenden, pillenschluckenden, flirtenden Tri-Di-Bildern umhertänzelte.
»Feigling!« brüllte Odal durch das hektische Geplapper.
»Warum sollte ich mit dir kämpfen?« schrie Hector aus irgendeiner Ecke.
Odal kniff die Augen zusammen und versuchte durch die zappelnden Tri-Di-Gestalten hindurchzusehen. »Du hast mich in der Duellmaschine ausgetrickst, aber hier helfen dir keine Tricks! Ich finde dich, und dann bringe ich dich um!«
Eine schwarz-silberne Uniform blitzte zwischen den Mannequins, übergewichtigen Frauen, untergewichtigen Männern und brand-brand-brandheuen Produkten auf. Odal wandte sich in diese Richtung.
»Und was war mit Leoh?« drang Hectors Stimme durch den infernalischen Lärm. »Er hat dich ohne alle Tricks geschlagen. Aber an ihn wagst du dich wohl nicht heran, wie?«
Odal lachte höhnisch. »Du glaubst im Ernst, der alte Knacker hätte mich geschlagen? Ich hätte ihn jederzeit abservieren können.«
Er schlüpfte unter dem Arm einer guterhaltenen Matrone durch, die gerade theatralisch fragte: »WARUM MACHEN SIE SICH GEDANKEN UM DAS HERANNAHENDE ALTER, WENN ES DOCH HIER DIESE VERJÜNGUNGS…« Da war Hector, der sich langsam zur Tür schob.
»Du hast absichtlich gegen Leoh verloren?« Hectors Gesicht, bizarr beleuchtet von den Tri-Di-Bildern, sah eher verwirrt als ängstlich aus. »Um den Eindruck zu erwecken…«
»Um den Eindruck zu erwecken, daß Leoh ein großer Held ist, und daß es auf Kerak nur Schwächlinge und Feiglinge gibt. Alle seine Duelle dienten diesem Zweck. Und während er die Acquatainier mit seinen Siegesmärchen einlullt, treffen wir Angriffsvorbereitungen!«
Bei dem letzten Wort stürzte sich Odal auf Hector und rammte ihm mit aller Kraft die Schulter gegen die Brust. Beide gingen zu Boden.
Ein Gewirr von Armen und Beinen. Knien und Ellbogen, keuchende Atemzüge; zwei kräftige junge Körper in tödlichem Ringkampf. Irgendwie kollidierten sie mit einem Drehstuhl, der prompt auf sie fiel. Hector löste sich aus Odals Griff. Als der kerakische Major sich aufrichtete, kam ihm noch einmal der Stuhl in die Quere; er stolperte darüber und schlug der Länge nach hin.
Fluchend rappelte er sich auf. Aber Hector war bereits auf den Beinen. Und dann ging die Tür auf, und Licht vom Korridor fiel in den dunklen Raum, im Türrahmen stand ein Mädchen, eine Pistole in der zitternden Hand.
»Hector! Hier!« rief Geri und warf dem Watchman die Waffe zu.
Hector fing sie auf und richtete sie auf Odal. Der kerakische Major erstarrte in seiner halb aufgerichteten Stellung, und auf seinem wutverzerrten Gesicht spiegelte sich plötzlich Furcht. Auch Hector rührte sich nicht, hielt nur den Strahler mit ausgestrecktem Arm auf Odals Kopf gerichtet.
»Schieß doch!« flüsterte Geri. »Schnell, sie kommen schon!«
Hector ließ den Arm sinken. Die Strahlpistole zielte nur noch ungefähr in Odals Richtung. »Stehen Sie auf, Major«, sagte er tonlos. »Und… liefern Sie mir keinen Vorwand, dieses Ding abzufeuern.«
Langsam richtete sich Odal auf.
»Bring ihn um! Du hast es versprochen!« heulte Geri los.
»Ich kann nicht… kann ihn nicht einfach abknallen…«
»Du meinst, du willst nicht!«
Hector nickte, ohne Odal aus den Augen zu lassen. »Ganz recht. Ich will nicht. Nicht einmal für dich tue ich so etwas.«
Odals Stimme war wie ein Messer. »Sie sollten mich töten, Watchman, solange Sie noch die Gelegenheit dazu haben. Denn ich werde nicht ruhen, bis ich Sie erwischt habe!«
Drei atemlose Uniformierte tauchten an der Tür auf; hinter ihnen kam Leoh mit einem halben Dutzend Journalisten aus der Tri-Di-Show.
»Was geht hier vor? Wer ist das? Sind Sie…«
»Das ist Major Odal«, sagte Hector und deutete mit dem Strahler auf den Keraker. »Er… äh, genießt diplomatische Immunität. Begleiten Sie ihn bitte in die Kerakische Botschaft.«
Mit ausdrucksloser Miene nickte Odal dem Star Watchman zu und ging mit den Wachmännern.
»Sie meinen, es ist alles über den Tri-Di-Sender gegangen? Jedes Wort?« fragte Hector.
Er saß mit Leoh und Geri im Fond eines automatisierten Roadsters, der sich zielstrebig seinen Weg durch die dunkle Stadt zu Geris Villa suchte. Der Mitternachtsregen fiel seine programmierte halbe Stunde, und das Kuppeldach des Fahrzeugs hatte sich geschlossen.
Geri hatte kein einziges Wort gesagt, seit Odal aus dem Tri-Di-Studio geführt worden war.
Aber Leoh lachte vergnügt. »Als du all diese Tasten gedrückt und die Werbespots eingeschaltet hast, wurde auch die zentrale Lautsprecheranlage für die Studios aktiviert. Wir hörten das Tohuwabohu und dazu deine und Odals Stimme. Kam mitten in der Show über unsere Monitorlautsprecher. Du hättest die Gesichter der Leute sehen sollen! Und wie man mir sagte, hast du mindestens noch sechs weitere Studioaufnahmen ruiniert, die gerade liefen.«
»Wirklich?« Hector rutschte unbehaglich auf dem Polster herum. »Ich … also, das wollte ich nicht … ich meine… es tut mir leid, daß …«
Leoh unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Beruhige dich, mein Junge. Dein Kampf mit Odal — der akustische Teil davon — wurde in fast jedes Haus ausgestrahlt. Jedermann in Acquatainia weiß jetzt, was ich für ein Narr gewesen bin und daß Kerak nach wie vor eine tödliche Bedrohung darstellt.«
»Sie sind kein Narr«, protestierte Hector.
»Doch, doch«, beharrte Leoh. »Ich war ein Einfaltspinsel, der so von seinem Ruhm geblendet war, daß er nicht mehr klar denken konnte. Aber das ist vorbei. Mein Platz ist in der Wissenschaft, nicht in der Politik und ganz bestimmt nicht im Showbusineß! Ich werde mich auf deinen ›Sprung‹ in der Duellmaschine konzentrieren. Wenn das Teleportation war, dann kann die Maschine diese Fähigkeit verstärken, so wie sie Odals telepathische Begabung verstärkte. Wenn wir jetzt der Maschine genügend Power geben…«
Der Roadster kam unter der überdachten Auffahrt vor Geris Villa zum Halten. Leoh blieb im Wagen, während Hector Geri zur Haustür brachte. Hector konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht genau sehen. Sie blieben an der Tür stehen.
»Geri… ich… also ich konnte ihn einfach nicht töten. Nicht… nicht auf diese Art. So gern ich dir den Gefallen getan hätte, aber… also wenn du einen Meuchelmörder suchst, dann bin ich, glaube ich, nicht ganz der Richtige.«
Sie antwortete nicht. Eine schwache Brise wehte den Geruch feuchten Laubs herüber.
Hector trat von einem Fuß auf den anderen.
Schließlich sagte er: »Also dann, gute Nacht…«
»Adieu, Hector«, antwortete Geri kalt.
Leoh schaute geflissentlich weg und sah den letzten Regentropfen zu, wie sie auf den Statuen entlang der Auffahrt zerplatzten. Hector kam zurück. Der alte Wissenschaftler blickte den Watchman an, nachdem er in den Wagen geschlüpft und auf dem Sitz zusammengesunken war.
»Warum so finster, mein Junge? Was ist los?«
»Das ist eine lange Geschichte…« erwiderte Hector achselzuckend.
»Ach so, verstehe. Also, um auf meine Idee mit der Teleportation zurückzukommen, wenn wir die Leistung der Maschine entsprechend steigern können…«