7. Der Hügel der seltsamen Gräben

Es lässt sich nicht leugnen – es war ein schrecklicher Tag. Über ihnen hing ein trüber Himmel, die Sonne war eingehüllt in Wolken, die schwer waren von Schnee; unter ihren Füßen lag schwarzer Frost und über allem blies ein Wind, der sich so anfühlte, als wollte er einem die Haut abziehen. Als sie auf die Ebene hinunterkamen, stellten sie fest, dass dieser Teil der alten Straße viel zerfallener war als das, was sie bisher gesehen hatten. Sie mussten sich ihren Weg über große zerbrochene Steine, zwischen Felsen und über Geröll suchen, was für ihre wunden Füße sehr beschwerlich war. Und so müde sie auch sein mochten, es war zu kalt um zu rasten.

Etwa um zehn Uhr fielen die ersten winzigen Schneeflocken auf Jills Arm. Zehn Minuten später fielen sie schon recht dicht. Nach zwanzig Minuten war der Boden schon merklich weiß. Und nach einer halben Stunde trieb ihnen ein gleichmäßiger Schneesturm, der sich gebärdete, als wolle er den ganzen Tag so weiterblasen, ins Gesicht, dass sie kaum noch etwas sehen konnten.

Um zu verstehen, was nun folgte, darf man nicht vergessen, wie schlecht ihre Sicht war. Während sie sich dem niedrigen Hügel näherten, der sie von den erleuchteten Fenstern trennte, sahen sie das, was vor ihnen lag, nicht in seiner Gesamtheit. Sie mussten froh sein, ein paar Schritte weit zu sehen, und selbst dafür mussten sie die Augen zusammenkneifen. Es versteht sich von selbst, dass sie nicht redeten.

Als sie am Fuß des Hügels ankamen, erhaschten sie einen Blick auf die Felsen, die zu beiden Seiten lagen – viereckige Felsen, wenn man sie genau betrachtete, aber das tat keiner von ihnen. Sie waren mehr mit dem Felsensims beschäftigt, der ihnen den Weg versperrte. Dem Moorwackler mit seinen langen Beinen gelang es ohne Schwierigkeiten, hinaufzuspringen. Dann half er den anderen nach oben. Es war eine unangenehme und feuchte Angelegenheit für die beiden Kinder, denn inzwischen lag der Schnee auf dem Felsensims schon recht hoch. Dann mussten sie auf einem sehr schwierigen Gelände etwa hundert Meter weit klettern – Jill fiel einmal hin – und dann kamen sie zu einem zweiten Sims. Insgesamt gab es mit ganz unterschiedlichen Zwischenräumen vier von diesen Felsensimsen.

Als sie sich auf den vierten hinaufgekämpft hatten, gab es keinen Zweifel mehr: Sie befanden sich oben auf dem flachen Hügel. Bis jetzt hatte sie der Abhang ein wenig geschützt, doch hier waren sie ganz und gar dem wütenden Wind ausgesetzt, denn seltsamerweise war der Hügel hier oben tatsächlich so eben, wie es aus der Ferne ausgesehen hatte: Es war eine große flache Hochebene, über die ungehindert der Sturm fegte. An den meisten Stellen lag noch kaum Schnee, denn der Wind wirbelte ihn immer wieder in einer Wolke auf und trieb ihn gegen ihre Gesichter. Und um ihre Füße zogen kleine Schneewirbel, wie man das manchmal auf dem Eis sieht. Und tatsächlich war der Boden an vielen Stellen fast so glatt wie Eis. Aber was alles noch schlimmer machte, der Boden war kreuz und quer von eigenartigen Schutzwällen oder Dämmen durchzogen, die ihn in Quadrate oder Rechtecke aufteilten. Die Wanderer mussten natürlich über all diese Dämme hinüberklettern, die zwischen einem halben und anderthalb Meter hoch und mehrere Meter dick waren. Auf der Nordseite jeder Erhebung lagen schon tiefe Schneewehen; und nach jeder Klettertour landete man in einer solchen Schneewehe und wurde nass.

Jill, die sich mit aufgesetzter Kapuze, gesenktem Kopf, die gefühllosen Hände unter den Umhang gesteckt, vorwärts kämpfte, erhaschte ab und zu einen Blick auf weitere komische Dinge auf dieser schrecklichen Hochebene – eigenartige Gebilde zu ihrer Rechten, die ganz entfernt Fabrikschornsteinen ähnelten, und ein riesiger Felsen zu ihrer Linken, so kerzengerade, wie man das selten sieht. Aber Jill war an diesen Dingen nicht interessiert und verschwendete keinen Gedanken daran. Das Einzige, woran sie dachte, waren ihre kalten Hände (und die Nase, das Kinn und die Ohren) und ein heißes Bad und ein weiches Bett in Harfang.

Plötzlich stolperte sie, rutschte ein Stück und spürte zu ihrem Entsetzen, wie sie in eine enge, dunkle Spalte glitt, die genau in diesem Augenblick vor ihr aufgetaucht zu sein schien. Eine halbe Sekunde später war sie unten angekommen. Offensichtlich befand sie sich in einer Art Graben oder Rinne, nur einen knappen Meter breit. Und obwohl der Sturz sie erschreckt hatte, merkte sie fast sofort, wie schön es war, nicht mehr im Wind zu stehen; denn die Wände des Grabens ragten neben ihr hoch auf. Als Nächstes bemerkte sie natürlich die besorgten Gesichter von Eustachius und Trauerpfützler, die von oben zu ihr hinunterstarrten.

»Hast du dir wehgetan, Jill?«, rief Eustachius.

»Würde mich nicht wundern, wenn du beide Beine gebrochen hättest«, rief Trauerpfützler.

Jill stand auf und erklärte, ihr sei nichts passiert, aber sie müssten ihr hinaushelfen.

»Was ist denn das für ein Ding, in das du gefallen bist?«, fragte Eustachius.

»Es ist eine Art Graben oder ein versenkter Weg oder so etwas«, antwortete Jill. »Er verläuft ganz gerade.«

»Bei Gott, so ist es«, meinte Eustachius. »Und er führt genau nach Norden! Ist es vielleicht eine Art Straße? Dann wären wir da unten vor dem grausamen Wind geschützt. Liegt viel Schnee auf dem Boden?«

»Fast gar keiner. Er wird vermutlich darüber hinweggeblasen.«

»Wie sieht es ein Stück weiter vorne aus?«

»Sekunde. Ich muss mal nachsehen«, sagte Jill. Sie ging den Graben entlang, der aber schon bald scharf nach rechts abknickte. Jill schrie den anderen diese Entdeckung zu.

»Wie sieht es dahinter aus?«, fragte Eustachius.

Nun empfand Jill vor verschlungenen Gängen und dunklen, unterirdischen – oder zumindest fast unterirdischen – Plätzen das gleiche Grauen wie Eustachius am Rand von Abgründen. Sie hatte nicht vor allein um die Ecke zu biegen. Schon gar nicht, als Trauerpfützler zu ihr herunterrief:

»Sei vorsichtig, Jill. Der Graben sieht mir ganz so aus, als könnte er zu einer Drachenhöhle führen. Und hier im Land der Riesen gibt es vielleicht riesige Erdwürmer oder Riesenkäfer.«

»Ich glaube nicht, dass der Weg hinter der Ecke irgendwo Besonderes hinführt«, sagte Jill und kam rasch zurück.

»Also, ich werde mir das auf jeden Fall einmal anschauen«, meinte Eustachius. Er setzte sich auf den Rand des Grabens (alle waren inzwischen so durchnässt, dass es ihnen nichts ausmachte, noch ein wenig nasser zu werden) und ließ sich hinunterfallen. Er zwängte sich an Jill vorbei, und obwohl er es nicht sagte, war ihr klar, dass er wusste, dass sie zu feige gewesen war. Sie folgte ihm dicht auf den Fersen.

Aber sie erlebten eine Enttäuschung. Sie bogen rechts um die Ecke und gingen dann ein paar Schritte geradeaus. Hier mussten sie sich entscheiden: entweder wieder geradeaus zu gehen oder scharf nach rechts abzubiegen. »Das führt uns wieder zurück – nach Süden.« Eustachius ging geradeaus, aber nach ein paar Schritten knickte die Rinne wieder nach rechts ab. Doch diesmal hatten sie keine Wahl, denn hier hörte der Graben auf, dem sie gefolgt waren.

»Zwecklos«, brummte Eustachius. Jill verlor keine Zeit, drehte sich um und ging voraus. Als sie an die Stelle zurückkamen, wo Jill hineingefallen war, zog der Moorwackler die beiden ohne Schwierigkeiten mit seinen langen Armen heraus.

Aber es war schrecklich, wieder oben zu sein. Unten in dem engen Graben hatten ihre Ohren fast angefangen aufzutauen. Dort hatte sie klar sehen, gut atmen und sich ohne zu schreien verständigen können. Es war furchtbar, wieder der schrecklichen Kälte ausgesetzt zu sein. Und grausamerweise suchte sich Trauerpfützler genau diesen Moment aus um zu fragen:

»Weißt du noch die Zeichen, Jill? Welches ist jetzt an der Reihe?«

»Ach was! Zum Teufel mit den Zeichen!«, sagte Jill. »Dass irgendjemand Aslans Namen erwähnt, glaube ich. Aber ich denke gar nicht daran, sie jetzt aufzusagen.«

Wie ihr seht, hatte sie die Reihenfolge verwechselt, weil sie es aufgegeben hatte, die Zeichen jeden Abend zu wiederholen. Sie wusste sie schon noch, hätte sie sich nur die Mühe gemacht, genau nachzudenken. Aber die Lektion saß nicht mehr so gut, dass sie die Zeichen sofort und ohne zu überlegen in der richtigen Reihenfolge herunterrasseln konnte. Trauerpfützlers Frage ärgerte sie, denn im Innersten ihres Herzens ärgerte sie sich schon über sich selbst, weil sie die Lektion des Löwen nicht mehr so gut beherrschte, wie sie das eigentlich hätte tun sollen. Weil sie sich ärgerte und weil sie so durchgefroren war, hatte sie gesagt: »Zum Teufel mit den Zeichen.« Sie meinte es vermutlich nicht so.

»Oh, also das mit Aslan kommt als Nächstes?«, meinte Trauerpfützler. »Ich frage mich, ob du Recht hast. Würde mich nicht wundern, wenn du die Zeichen verwechselt hättest. Mir scheint, dieser Hügel, diese Ebene, auf der wir uns befinden, wäre es wert, genauer untersucht zu werden. Habt ihr bemerkt

»Ach du lieber Gott!«, protestierte Eustachius. »Wollen wir ausgerechnet jetzt stehen bleiben und die Aussicht bewundern? Lasst uns um Himmels willen weitergehen!«

»Oh schaut, schaut, schaut!«, rief Jill. Alle wandten sich um und alle sahen es. Ein Stück weiter im Norden und ein ganzes Stück über der Ebene, auf der sie standen, war eine Reihe von Lichtern aufgetaucht. Diesmal war es viel offensichtlicher als am Tag zuvor: Es waren Fenster; kleinere Fenster, welche die süße Vorstellung von Schlafzimmern hervorriefen, und große Fenster, bei denen man an große Hallen denken musste, wo ein Feuer im Kamin prasselte und wo heiße Suppe oder ein saftiges Steak auf dem Tisch dampfte.

»Harfang!«, rief Eustachius.

»Das ist ja alles schön und gut«, entgegnete Trauerpfützler. »Aber ich wollte sagen, dass ...«

»Ach, sei ruhig«, rief Jill ungehalten. »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wisst ihr nicht mehr, dass die Dame gesagt hat, sie schließen die Tore schon sehr früh? Wir müssen rechtzeitig dort ankommen, wir müssen, wir müssen! Wir werden sterben, wenn wir eine solche Nacht draußen verbringen müssen.«

»Nun, es ist ja nicht gerade Nacht, zumindest noch nicht«, begann Trauerpfützler. Aber die beiden Kinder sagten: »Los!«, und begannen auf dem schlüpfrigen Tafelland vorwärts zu stolpern, so schnell ihre Beine sie trugen. Der Moorwackler folgte ihnen; er redete noch immer, aber jetzt, wo sie wieder gegen den Wind ankämpften, hätten sie ihn auch dann nicht gehört, wenn sie es gewollt hätten. Und sie wollten nicht. Sie dachten an Bäder und Betten und heiße Getränke; und der Gedanke, sie könnten zu spät in Harfang ankommen und ausgeschlossen werden, war fast unerträglich.

Trotz ihrer Hast brauchten sie lange, um die flache Kuppe des Hügels zu überqueren. Und als sie ihn überquert hatten, mussten sie auf der anderen Seite noch über mehrere Felsensimse hinunterklettern. Aber schließlich waren sie unten angekommen und konnten sehen, wie Harfang aussah.

Es stand auf einem hohen Felsen und trotz seiner vielen Türme war es eher ein riesiges Haus als ein Schloss. Offensichtlich hatten die sanften Riesen keine Angst vor einem Angriff. In der äußeren Mauer waren dicht über dem Boden Fenster – etwas, was in einer richtigen Festung undenkbar gewesen wäre. Es gab da und dort sogar komische kleine Türen, sodass es recht einfach war, in das Schloss hinein- und wieder herauszugelangen ohne über den Schlosshof zu gehen. Das gab Eustachius und Jill neuen Mut. Dadurch sah das Ganze freundlicher und nicht so gefährlich aus.

Zuerst hatten sie Angst vor dem hohen und steilen Felsen, doch dann sahen sie, dass links ein bequemerer Weg hinaufführte, und genau auf den schlängelte sich die Straße zu. Aber es war trotzdem eine schreckliche Kletterei nach der weiten Strecke, die sie schon zurückgelegt hatten, und Jill hätte fast aufgegeben. Eustachius und Trauerpfützler mussten ihr die letzten hundert Meter hinaufhelfen. Aber schließlich und endlich standen sie vor dem Schlosstor. Das Fallgitter war hochgezogen und das Tor stand offen.

Wie müde man auch sein mag, es gehört schon etwas dazu, auf die Haustür eines Riesen zuzugehen. Trotz all seiner vorherigen Warnungen war es Trauerpfützler, der am meisten Mut bewies.

»Geht jetzt ganz ruhig und gleichmäßig«, sagte er. »Lasst euch nicht anmerken, dass ihr Angst habt. Es war ganz und gar töricht, überhaupt hierher zu kommen; aber jetzt, wo wir hier sind, müssen wir so tun, als hätten wir keine Angst.«

Mit diesen Worten trat er in den Toreingang, blieb unter der Wölbung stehen, wo der Hall seine Stimme unterstützte, und rief, so laut er konnte, hinein.

»Hallo! Wärter! Hier sind Gäste und suchen Unterkunft!«

Und während er darauf wartete, dass etwas geschah, nahm er den Hut ab und klopfte den Schnee ab, der sich auf der breiten Krempe angesammelt hatte.

»Also ich muss schon sagen«, flüsterte Eustachius Jill zu. »Er mag ja vielleicht ein Miesmacher sein, aber er ist ganz schön mutig – und frech.«

Eine Tür öffnete sich, durch die von drinnen der wunderschöne Schimmer eines Feuers fiel. Ein Wärter trat heraus. Jill biss sich auf die Lippen, um einen Schrei zu unterdrücken. Es war kein wirklich riesiger Riese; das heißt, er war größer als ein Apfelbaum, aber nicht ganz so groß wie ein Telegrafenmast. Er hatte struppiges rotes Haar, trug ein Lederwams, auf dem überall Metallplättchen befestigt waren, was das Ganze zu einer Art Kettenhemd machte, hatte nackte Knie (die furchtbar haarig waren) und so etwas wie Wickelgamaschen an den Beinen. Er beugte sich herunter und glotzte Trauerpfützler an.

»Was für ein Geschöpf magst du wohl sein?«, fragte er.

Jill nahm das Herz in beide Hände. »Bitte«, rief sie zu dem Riesen empor, »die grün gewandete Dame lässt den König der sanften Riesen grüßen und schickt zwei Kinder aus dem Süden und diesen Moorwackler – er heißt Trauerpfützler – für euer Herbstfest. Natürlich nur, wenn es euch genehm ist«, fügte sie hinzu.

»O-ho!«, meinte der Wärter. »Das ist etwas anderes. Kommt herein, ihr kleinen Leute, kommt herein. Ihr kommt am besten ins Wärterhaus, während ich Seine Majestät benachrichtige.« Er schaute die Kinder neugierig an. »Blaue Gesichter«, sagte er. »Ich wusste nicht, dass sie diese Farbe haben. Mir gefallen sie jedenfalls nicht. Aber ich nehme an, dass ihr euch untereinander gefallt. Käfer mögen Käfer, wie man sagt.«

»Unsere Gesichter sind blau vor Kälte«, erklärte Jill. »Wir haben nicht wirklich diese Farbe.«

»Dann kommt herein und wärmt euch auf. Kommt herein, ihr kleinen Krabben«, sagte der Wärter. Sie folgten ihm ins Wärterhaus. Und obwohl es ziemlich schrecklich war, so eine große Tür hinter sich zuschlagen zu hören, vergaßen sie es, sobald sie sahen, wonach sie sich seit gestern Abend gesehnt hatten – ein Feuer. Und was für ein Feuer! Es sah so aus, als loderten vier oder fünf ganze Bäume darin, und es war so heiß, dass sie ein paar Meter Abstand halten mussten. Aber sie ließen sich alle auf den Steinfußboden fallen, so nah beim Feuer, wie sie es ertragen konnten, und seufzten tief vor Erleichterung.

»So, Kleiner«, sagte der Wärter zu einem anderen jüngeren Riesen, der hinten im Raum gesessen und die Besucher so lange angestarrt hatte, bis es aussah, als müssten ihm gleich die Augen herausfallen. »Renn mit der Nachricht hinüber zum Königshaus.« Und er wiederholte, was Jill ihm gesagt hatte. Nachdem der junge Riese die Fremden noch ein letztes Mal angestarrt und dann schallend gelacht hatte, verließ er den Raum.

»So, Fröschchen«, sagte der Wärter zu Trauerpfützler, »du siehst so aus, als könntest du eine Aufmunterung vertragen.« Er holte eine schwarze Flasche hervor, die auffällig Trauerpfützlers Flasche glich, nur war sie etwa zwanzigmal größer. »Lass mich mal sehen, lass mich mal sehen«, sagte der Wärter. »Ich kann dir keinen Becher geben, sonst ertränkst du dich. Lass mich mal sehen. Dieses Salzfässchen ist genau das Richtige. Aber sagt im Königshaus drüben nichts davon. Das Silber taucht immer wieder hier auf und meine Schuld ist es nicht.«

Das Salzfässchen gab einen recht guten Becher für Trauerpfützler ab, als der Riese es neben ihm auf den Boden stellte.

Die Kinder erwarteten, Trauerpfützler würde ablehnen, so misstrauisch, wie er nun mal war. Doch er brummte: »Es ist witzlos, jetzt, wo wir hier drin sind und die Tür hinter uns zu ist, noch Vorsicht walten zu lassen.« Dann roch er an dem Schnaps. »Riecht gut«, meinte er. »Aber danach kann man nicht gehen. Ich muss mich vergewissern« und er nahm ein kleines Schlückchen. »Schmeckt auch gut«, sagte er. »Aber vielleicht nur beim ersten Schluck. Wie mag wohl der nächste schmecken?« Er nahm einen größeren Schluck. »Ah!«, machte er. »Aber ob es wohl bis zum letzten Tropfen so gut schmeckt?« Und er trank weiter. »Es würde mich nicht wundern, wenn ganz unten noch etwas Übles käme«, sagte er und trank aus. Er schleckte sich die Lippen und bemerkte, zu den Kindern gewandt: »Das ist ein Test, versteht ihr? Wenn ich zusammenbreche oder platze, mich in eine Eidechse oder sonst irgendetwas verwandle, dann wisst ihr, dass ihr nichts annehmen dürft, was sie euch anbieten.«

Doch der Riese, der zu groß war um zu hören, was Trauerpfützler vor sich hin murmelte, brach in schallendes Gelächter aus und rief: »Ich muss schon sagen, Fröschlein, du bist ein richtiger Mann. Wie du das hinter die Binde gekippt hast!«

»Bin kein Mann ... bin ein Moorwackler«, entgegnete Trauerpfützler mit etwas undeutlicher Stimme. »Bin auch kein Frosch, bin ein Moorwackler.«

In diesem Moment öffnete sich hinter ihnen die Tür, der junge Riese kam herein und sagte: »Sie sollen sofort in den Thronsaal kommen.«

Die Kinder standen auf, doch Trauerpfützler blieb sitzen und sagte: »Moorwackler. Moorwackler. Sehr ehrbarer Moorwackler. Ehrenwackler.«

»Zeig ihnen den Weg, Junge«, sagte der Riesenwärter. »Das Fröschlein solltest du besser tragen. Es hat einen Schluck mehr getrunken, als ihm gut tut.«

»Mir fehlt nichts«, sagte Trauerpfützler. »Kein Frosch. Mir feh-fehlt kein Frosch. Ich bin ein Ehrenfackler.«

Aber der junge Riese packte ihn um die Taille und bedeutete den Kindern ihm zu folgen. Auf diese würdelose Art überquerten sie den Schlosshof. Trauerpfützler, der in der Faust des Riesen hing und kraftlos mit den Beinen zappelte, sah wirklich aus wie ein Frosch. Aber sie hatten wenig Zeit, darauf zu achten, denn schon bald traten sie durch die große Tür des Hauptschlosses. Sowohl Jill als auch Eustachius schlug das Herz schneller als gewöhnlich. Und nachdem sie im Laufschritt durch mehrere Gänge gerannt waren, um bei den Schritten des Riesen mitzuhalten, fanden sie sich im Licht eines riesigen Saales blinzelnd wieder, in dem Lampen leuchteten und ein Feuer loderte, beides reflektiert von den vergoldeten Verzierungen an der Decke und den Wänden. Zu ihrer Rechten und Linken standen unzählige Riesen in prächtigen Gewändern; und auf zwei Thronsesseln am anderen Ende saßen zwei riesige Gestalten – offensichtlich der König und die Königin.

Etwa fünf Meter davor hielten sie an. Eustachius und Jill unternahmen einen ungeschickten Versuch, sich zu verbeugen (in der Experimentalschule bringt man den Mädchen nicht bei, wie man einen Knicks macht), und der junge Riese stellte vorsichtig Trauerpfützler auf den Boden, wo dieser sofort in eine Art Sitzposition zusammenklappte. Mit seinen langen Armen und Beinen hatte er, ehrlich gesagt, große Ähnlichkeit mit einer riesigen Spinne.

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