13. Unterland ohne die Königin

Alle waren der Meinung, sie hätten eine »Verschnaufpause« verdient, wie Eustachius es nannte. Die Hexe hatte die Tür verriegelt und den Erdmännern befohlen, sie nicht zu stören, deshalb bestand im Moment nicht die Gefahr einer Unterbrechung. Zuerst mussten sie sich natürlich um Trauerpfützlers verbrannten Fuß kümmern. Ein paar saubere Hemden aus dem Schlafzimmer des Prinzen, in Streifen gerissen und innen mit Butter und Salatöl vom Abendbrottisch gut eingefettet, gaben einen passablen Verband ab. Als dieser angelegt worden war, setzten sich alle hin und nahmen eine kleine Erfrischung ein. Gleichzeitig schmiedeten sie Pläne für ihre Flucht aus der Unterwelt.

Rilian erklärte, dass es viele Ausgänge zur Oberwelt gab; er war zu verschiedenen Zeiten einmal da und einmal dort hinaufgebracht worden. Aber er war nie allein gegangen, sondern immer mit der Hexe; und zu diesen Ausgängen gelangte man nur, indem man in einem Schiff über das sonnenlose Meer fuhr. Was die Erdmänner sagen würden, wenn er ohne die Hexe und mit drei Fremden zum Hafen kam und einfach ein Schiff verlangte, war nicht vorherzusehen. Aber wahrscheinlich würden sie unbequeme Fragen stellen. Allerdings befand sich der eine Ausgang, derjenige, der für die Invasion der Oberwelt bestimmt war, diesseits des Meeres und nur ein paar Kilometer entfernt. Der Prinz wusste, dass er fast fertig gestellt war und der ausgegrabene Gang bis knapp unter die Erdoberfläche führte. Es war sogar möglich, dass er inzwischen ganz fertig war. Vielleicht war die Hexe deshalb zurückgekommen, nämlich um ihm dies mitzuteilen und um mit der Invasion zu beginnen. Aber selbst wenn es noch nicht so weit war, konnten sie sich vermutlich in ein paar Stunden nach oben durchgraben – wenn sie es erst einmal bis dorthin geschafft hatten, ohne aufgehalten zu werden, und wenn der Gang nicht bewacht war. Doch hier lagen die Schwierigkeiten.

»Wenn ihr mich fragt ...«, setzte Trauerpfützler an, doch Eustachius unterbrach ihn.

»Hört mal«, sagte er. »Was ist denn das für ein Lärm?«

»Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit«, bemerkte Jill.

Sie alle hatten es gehört, aber es hatte ganz allmählich begonnen und war dann stärker geworden, sodass sie nicht mehr wussten, wann es ihnen zum ersten Mal aufgefallen war. Eine Zeit lang war es nur ein vages Geräusch gewesen, so wie ein sanfter Wind oder sehr weit entfernter Verkehrslärm. Dann war es zu einem Murmeln angeschwollen, das dem Rauschen des Meeres glich. Dann erklang ein Poltern und Brausen. Und jetzt hörte man auch Stimmen und gleichmäßiges Tosen.

»Beim Löwen«, rief Prinz Rilian. »Es scheint, als habe dieses stille Land endlich eine Zunge gefunden.« Er erhob sich, ging zum Fenster und zog die Vorhänge beiseite. Die anderen drängten sich dicht an ihn um ebenfalls hinauszuschauen.

Als Erstes bemerkten sie ein starkes rotes Glühen, dessen Widerschein einen roten Fleck auf das weit über ihnen liegende Dach der Unterwelt warf. So sahen sie eine felsige Decke über sich, die vielleicht seit der Erschaffung der Welt im Dunkeln gelegen hatte.

Das Glühen selbst kam von der anderen Seite der Stadt und viele grimmige und große Gebäude hoben sich schwarz davor ab. Doch es warf sein Licht auch über viele Straßen, die von der Stadt zum Schloss führten. Und in diesen Straßen gingen sehr seltsame Dinge vor sich. Die dichten, schweigenden Gruppen von Erdmännern waren verschwunden. Stattdessen rannten Gestalten einzeln, zu zweit oder zu dritt herum. Sie verhielten sich wie Leute, die nicht gesehen werden wollen: Sie lauerten im Schatten von Pfeilern oder Türeingängen und rannten dann rasch über freies Gelände zum nächsten Versteck. Aber für denjenigen, der die Gnome kannte, war das Eigenartigste von allem der Lärm. Aus allen Richtungen ertönten Schreie und Rufe. Und vom Hafen her kam ein tiefes rollendes Brausen, das fortwährend lauter wurde und schon jetzt die ganze Stadt zum Erbeben brachte.

»Was ist nur mit den Erdmännern los?«, fragte Eustachius. »Sind sie es, die da so schreien?«

»Das ist kaum möglich«, erwiderte der Prinz. »Ich habe während all der beschwerlichen Jahre meiner Gefangenschaft nicht erlebt, dass einer dieser Halunken die Stimme erhoben hätte. Es ist zweifellos eine neue Teufelei.«

»Und was ist das rote Licht da drüben?«, fragte Jill. »Brennt dort etwas?«

»Wenn ihr mich fragt«, meinte Trauerpfützler, »dann würde ich sagen, es sei das Feuer aus dem Erdinnern, das hervorbricht, um einen neuen Vulkan zu bilden. Es sollte mich nicht wundern, wenn wir uns genau in seiner Mitte befänden.«

»Schaut euch dieses Schiff an!«, sagte Eustachius. »Warum nähert es sich so schnell? Die Ruder sind nicht besetzt!«

»Seht! Seht!«, rief der Prinz. »Das Schiff ist schon weit vom Hafen entfernt und kommt immer näher auf uns zu – es fährt auf der Straße! Seht! Alle Schiffe fahren in die Stadt herein! Bei meinem Kopf – das Meer steigt! Die Flut kommt über uns! Dem Löwen sei gedankt, dass dieses Schloss erhöht steht. Aber das Wasser steigt schrecklich schnell!«

»Oh, was mag da nur los sein?«, rief Jill. »Feuer, Wasser und all die Leute, die in den Straßen herumrennen!«

»Ich sage dir, was da los ist«, erklärte Trauerpfützler. »Die Hexe hat einen Zauber über das Land gelegt, damit ihr ganzes Königreich zusammenbricht, falls sie getötet wird. Sie gehört zu denen, welchen es nichts ausmacht, zu sterben, sofern sie sicher sind, dass derjenige, der sie umbringt, fünf Minuten später verbrannt, verschüttet oder ertränkt wird.«

»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, mein lieber Wackler«, sagte der Prinz. »Als unser Schwert den Kopf der Hexe abtrennte, war es mit ihrer Zauberkraft zu Ende und jetzt zerbricht das Land der Tiefe in Stücke. Wir sehen das Ende von Unterland vor uns.«

»Ganz recht, Herr«, erwiderte Trauerpfützler. »Wenn es nicht zufällig das Ende der ganzen Welt ist.«

»Aber wollen wir denn einfach hier bleiben und abwarten?«, keuchte Jill.

»Das würde ich nicht raten«, entgegnete der Prinz. »Ich möchte mein Pferd Kohlschwarz retten und auch das der Hexe, Schneeflocke – ein edles Tier, das eine bessere Herrin verdient hat –, die beide in ihrem Stall im Schlosshof stehen. Danach sollten wir uns in Eile höher hinaufbegeben und einen Ausgang finden. Die Pferde können zur Not jeweils zwei Personen tragen, und wenn wir sie anspornen, gelingt es ihnen vielleicht, das Wasser hinter sich zu lassen.«

»Wollt ihr keine Rüstung anlegen, Hoheit?«, fragte Trauerpfützler. »Die da gefallen mir gar nicht« – und er zeigte hinunter zur Straße. Dutzende Gestalten kamen vom Hafen herauf, und jetzt, wo sie sich näherten, sah man, dass es offensichtlich Erdmänner waren. Sie bewegten sich nicht wie eine Gruppe von Leuten, die kein bestimmtes Ziel hat. Sie benahmen sich wie Soldaten beim Angriff, stießen vor und nahmen dann wieder Deckung, vorsichtig darauf bedacht, von den Fenstern des Schlosses aus nicht gesehen zu werden.

»Ich wage es nicht, diese Rüstung noch einmal anzulegen«, erklärte der Prinz. »Ich bin darin geritten wie in einem transportablen Kerker und sie trägt den Gestank von Zauberei und Sklaverei in sich. Aber ich werde meinen Schild nehmen.«

Er verließ den Raum und kehrte einen Augenblick später wieder zurück, mit einem eigenartigen Leuchten in den Augen.

»Seht, Freunde«, rief er und streckte ihnen den Schild entgegen. »Vor einer Stunde war er noch über und über schwarz; schaut, wie er jetzt aussieht.« Der Schild war strahlend hell wie Silber und in leuchtendem Rot, rot wie Kirschen oder Blut, trug er das Abbild des Löwen.

»Dies bedeutet ohne Zweifel, dass Aslan unser Führer sein wird, möge er uns in den Tod oder ins Leben führen«, sagte der Prinz. »Und was das betrifft, so ist beides dasselbe. Nun – ich schlage vor, wie knien uns alle nieder und küssen sein Abbild. Dann schütteln wir uns die Hände wie treue Freunde, die sich bald trennen müssen. Und dann wollen wir in die Stadt hinabsteigen zu dem Abenteuer, das uns erwartet.«

Und alle taten, was der Prinz vorgeschlagen hatte. Doch als Eustachius Jills Hand schüttelte, sagte er: »Leb wohl, Jill. Tut mir Leid, dass ich so feige und so ekelhaft war. Ich hoffe, du kommst gut nach Hause«, und Jill sagte: »Leb wohl, Eustachius. Es tut mir Leid, dass ich so eine blöde Kuh war.«

Der Prinz schloss die Tür und sie gingen die Treppe hinunter: der Prinz, Trauerpfützler und Eustachius mit gezogenen Schwertern und Jill mit gezücktem Messer. Doch die Dienstboten waren verschwunden und das große Zimmer am Fuß der Treppe war verlassen. Die grauen, trübseligen Lampen brannten noch und in ihrem Licht gingen sie ohne Schwierigkeiten von einem Gang zum nächsten und stiegen eine Treppe nach der anderen hinab. Den Lärm von draußen hörte man hier nicht ganz so wie von dem Zimmer oben. Im Haus selbst war alles totenstill und verlassen. Erst als sie um eine Ecke bogen und die große Halle im Erdgeschoss betraten, trafen sie den ersten Erdmann – ein fettes, weißliches Geschöpf (mit einem Gesicht, das große Ähnlichkeit mit dem eines Schweinchens hatte), das gerade alle Speisereste auf den Tischen verschlang. Es quiekte (auch dieses Quieken war dem eines Schweinchens sehr ähnlich) und rannte unter eine Bank, wobei es blitzschnell seinen langen Schwanz aus der Reichweite Trauerpfützlers zog. Dann lief es so schnell durch die Tür an der gegenüberliegenden Seite, dass eine Verfolgung zwecklos war.

Von der Halle kamen sie hinaus auf den Schlosshof. Jill, die in den Ferien eine Reitschule besuchte, war gerade der Stallgeruch aufgefallen (und an einem Ort wie Unterland ist das ein sehr schöner, ehrlicher, heimeliger Geruch), als Eustachius sagte: »Großer Gott! Schaut euch das an!« Irgendwo hinter den Schlossmauern war ein prächtiger Feuerwerkskörper aufgestiegen und hatte sich in grüne Sternchen aufgelöst.

»Ein Feuerwerk!«, rief Jill verwirrt.

»Ja«, sagte Eustachius, »aber ihr meint doch wohl nicht, dass diese Erdmänner es aus Spaß abgeschossen haben? Es ist ein Signal!«

»Und bestimmt bedeutet es für uns nichts Gutes!«, meinte Trauerpfützler.

»Freunde«, sagte der Prinz, »wenn man an einem solchen Abenteuer teilnimmt, muss man alle Hoffnungen und Ängste aufgeben, noch bevor man umkommt oder gerettet wird. – He, meine Schönen!« (Er öffnete gerade die Stalltür.) »He, ihr beiden! Ruhig, Kohlschwarz! Sachte, Schneeflocke! Ihr seid nicht vergessen!«

Die beiden Pferde waren durch die seltsamen Lichter und die Geräusche sehr verschreckt. Jill, die bei dem Durchgang zwischen den beiden Höhlen so ängstlich gewesen war, ging ohne Furcht zu den stampfenden und schnaubenden Pferden hinein und sie und der Prinz hatten die beiden schon nach ein paar Minuten gezäumt und gesattelt. Sie sahen sehr schön aus, als sie mit zurückgeworfenem Kopf in den Schlosshof herauskamen. Jill bestieg Schneeflocke und Trauerpfützler saß hinter ihr auf. Eustachius schwang sich hinter dem Prinzen auf Kohlschwarz. Dann ritten sie mit lautem Hufgeklapper durch das Haupttor hinaus auf die Straße.

»Wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir verbrennen. Das ist das Schöne daran«, meinte Trauerpfützler und deutete nach rechts. Dort, kaum hundert Meter entfernt, schwappte Wasser gegen die Hauswände.

»Mut!«, sagte der Prinz. »Die Straße dort führt steil nach unten. Das Wasser steht nur bis zur halben Höhe des höchsten Hügels der Stadt. Zwar dürfte es in der ersten halben Stunde schon so hoch gestiegen sein, wie es jetzt steht, doch vielleicht steigt es in den nächsten zwei Stunden auch nicht mehr höher. Vor denen da habe ich mehr Angst ...« Und er deutete mit seinem Schwert auf einen kräftigen, großen Erdmann mit Eberhauern, dem sechs weitere in den unterschiedlichsten Gestalten und Formen folgten. Sie alle waren gerade aus einer Seitenstraße herausgerannt und waren im nächsten Moment im Schatten der Häuser wieder verschwunden.

Der Prinz ritt voraus auf die rote Feuersglut zu, doch er hielt sich ein wenig links davon. Er hatte vor, um das Feuer herumzureiten und höher gelegenes Gelände zu erreichen, in der Hoffnung, den Weg zu dem neu gegrabenen Gang nach oben zu finden. Im Gegensatz zu den anderen schien ihm das Ganze fast Spaß zu machen. Er pfiff beim Reiten und er sang Bruchstücke eines alten Liedes über Corin Donnerfaust aus Archenland. Er war so froh, von seiner lang währenden Verzauberung erlöst zu sein, dass ihm im Vergleich dazu alle Gefahren wie ein Spiel vorkamen. Doch für die anderen war der Ritt recht unheimlich.

Hinter sich hörten sie das Aufeinanderprallen ineinander verkeilter Schiffe und das Poltern einstürzender Gebäude. Über sich an der Decke der Unterwelt sahen sie den mächtigen Fleck des gespenstischen Lichts. Vor ihnen war das geheimnisvolle Glühen, das nicht größer zu werden schien. Aus der gleichen Richtung erklangen unentwegt Rufe und Schreie, Katzengekreische, Gelächter, Gequieke und Gebell; und alle möglichen Feuerwerkskörper stiegen hinauf in die Dunkelheit. Keiner wusste, was diese Feuerwerkskörper zu bedeuten hatten. In der Nähe der vier Wanderer war die Stadt teilweise von dem roten Glühen und teilweise von dem völlig andersartigen Licht der trüben Gnomlampen beleuchtet. Aber es gab viele Stellen, wohin gar kein Licht fiel, und dort war es pechschwarz. Dort huschten ununterbrochen Erdmänner hin und her, die Augen immer auf die Reisenden gerichtet und immer bemüht nicht gesehen zu werden. Dort gab es große Gesichter und kleine Gesichter, riesige Augen wie die von Fischen und kleine Augen wie die von Bären. Da gab es Federn und Stacheln, Hörner und Stoßzähne, Nasen, die aussahen wie Peitschenschnüre, und Kinne, so lang, dass sie aussahen wie ein Bart. Immer wieder tauchte eine größere Gruppe von Erdmännern auf; kamen sie zu nah, zog der Prinz jedes Mal sein Schwert und tat so, als wollte er sich auf sie stürzen. Und dann rannten die Geschöpfe mit den verschiedensten Rufen, Quieksern und Gluckslauten in der Dunkelheit davon.

Aber als sie durch viele Straßen hinaufgestiegen waren, das Wasser weit zurückgelassen hatten und auch die Stadt schon fast hinter ihnen lag, begann es ernster zu werden. Sie waren jetzt ganz in der Nähe des roten Glühens und befanden sich fast auf gleicher Höhe mit ihm, doch sie konnten noch immer nicht erkennen, was es war. Aber in seinem Licht konnten sie ihre Feinde genauer betrachten. Hunderte – vielleicht auch Tausende – von Gnomen bewegten sich auf das Glühen zu. Aber sie rannten immer nur ein kurzes Stück. Und wenn sie dann anhielten, drehten sie sich um und sahen zu den Reisenden zurück.

»Wenn mich Eure Hoheit fragen sollte«, meinte Trauerpfützler, »so würde ich sagen, dass diese Kerle vorhaben uns den Weg abzuschneiden.«

»Das habe ich mir auch gedacht, Trauerpfützler«, erwiderte der Prinz. »Und wir können uns niemals durch so viele von ihnen einen Weg bahnen. Hör zu: Wir reiten eng an der Mauer jenes Hauses entlang. Und sofort, wenn wir dort ankommen, steigst du ab und versteckst dich im Schatten des Gebäudes. Die Dame und ich werden ein paar Schritte weiterreiten. Einige der Halunken werden uns zweifellos folgen: Sie sind dicht hinter uns. Du mit deinen langen Armen nimmst einen davon gefangen, während er an dir vorbeischleicht. Dann erfahren wir vielleicht, was sie gegen uns im Schilde führen.«

»Aber werden sich nicht alle anderen auf uns stürzen um den Gefangenen zu befreien?«, fragte Jill, deren Stimme nicht sehr fest war, obwohl sie dies zu verbergen versuchte.

»Dann, mein Fräulein«, antwortete der Prinz, »wirst du uns im Kampf sterben sehen und du musst dich dem Löwen anvertrauen. Los, guter Trauerpfützler.«

So flink wie eine Katze schlüpfte der Moorwackler in den Schatten. Die anderen ritten eine schreckliche Minute lang oder so im Schritt weiter. Dann ertönten von hinten plötzlich Schreie, die einem fast das Blut in den Adern gerinnen ließen. Dazwischen hörte man die vertraute Stimme Trauerpfützlers, der sagte: »So! Du brauchst nicht zu schreien, bevor man dir etwas tut, sonst tut man dir wirklich etwas! Man könnte meinen, ein Schwein wäre abgestochen worden!«

»Das war ein guter Fang«, rief der Prinz. Er wendete sofort sein Pferd Kohlschwarz und kam zur Ecke des Hauses zurück. »Eustachius, sei so gut und halte den Kopf meines Pferdes.« Dann stieg er ab und alle drei sahen schweigend zu, wie Trauerpfützler seinen Fang ans Licht zog. Es war ein absolut jämmerlicher Gnom, kaum einen Meter groß. Er hatte eine Art Wulst auf dem Kopf, so ähnlich wie ein Hahnenkamm (nur war er hart), kleine rötliche Augen und sein Mund und sein Kinn waren so rund und so groß, dass sein Gesicht aussah wie das von einem Miniaturwalross. Hätten die Wanderer sich nicht in einer derartigen Klemme befunden, wären sie bei seinem Anblick in Gelächter ausgebrochen.

»Nun, Erdmann«, sagte der Prinz. Er stand über dem Gefangenen und hielt die Schwertspitze auf dessen Hals gerichtet. »Sprich wie ein ehrlicher Gnom, dann erhältst du deine Freiheit zurück. Wenn du aber ein falsches Spiel mit uns spielst, ist dir der Tod gewiss! Guter Trauerpfützler, wie kann er reden, solange du ihm den Mund so fest zuhältst?«

»Nein, reden kann er so nicht – beißen aber auch nicht«, erklärte Trauerpfützler. »Wenn ich so lächerlich weiche Hände hätte wie ihr Menschen – ich bitte um Vergebung, Euer Gnaden –, wäre ich inzwischen blutüberströmt. Und selbst ein Moorwackler hat irgendwann einmal genug davon, dass man auf ihm herumkaut.«

»Bürschchen!«, sagte der Prinz zu dem Gnom. »Noch ein Biss und du bist des Todes. Nimm die Hand weg, Trauerpfützler!«

»Oh-ii-ii!«, quiekte der Erdmann. »Lasst mich gehen, lasst mich gehen! Ich war es nicht! Ich habe es nicht getan!«

»Was hast du nicht getan?«, fragte Trauerpfützler.

»Was immer ich Eurer Meinung nach getan haben soll«, antwortete das Geschöpf.

»Sag mir deinen Namen«, befahl der Prinz, »und was ihr Erdmänner heute im Schild führt.«

»O bitte, Hoheiten, bitte, liebe Herren«, winselte der Gnom. »Versprecht mir, Ihrer Hoheit der Königin nichts von dem zu verraten, was ich Euch sage.«

»Ihre Hoheit die Königin, wie du sie nennst, ist tot. Ich selbst habe sie getötet.«

»Was?«, rief der Gnom und riss seinen lächerlichen Mund vor Staunen weit und immer noch weiter auf. »Tot? Die Hexe ist tot? Und von der Hand Eurer Hoheit?« Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus und fügte hinzu: »Dann seid Ihr ja ein Freund!«

Der Prinz zog sein Schwert ein paar Zentimeter zurück. Trauerpfützler gestattete es dem Gnom, sich aufzusetzen. Der schaute die vier Reisenden mit seinen blinzelnden roten Augen an, lachte ein- oder zweimal vor sich hin und dann erzählte er.

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