Gefangene der Finsternis

Auf den orangeroten Skalen, die die vorhandenen Anamesonvorräte anzeigten, standen die breiten schwarzen Zeiger auf Null. Bis jetzt war das Sternschiff noch nicht von seinem bisherigen Kurs abgewichen, da seine Geschwindigkeit noch groß genug war. Unaufhaltsam näherte es sich der für Menschenaugen unsichtbaren, unheimlichen Sonne.

Zitternd vor Anstrengung und Schwäche, nahm Erg Noor, von Pel Lin gestützt, an der Rechenmaschine Platz. Die planetarischen Triebwerke waren verstummt, der Steuerautomat hatte sie abgeschaltet.

„Ingrid, was ist ein Eisenstern?“ fragte leise Keh Ber, der die ganze Zeit unbeweglich hinter der Astronomin gestanden hatte.

„Ein für uns unsichtbarer Stern der Spektralklasse T, schon erloschen, aber noch nicht endgültig erkaltet. Er sendet langwellige Lichtstrahlen aus, die im Wärmebereich des Spektrums liegen — infrarote Strahlen —, und ist nur durch den Elektroneninvertor sichtbar. Eine Eule könnte den Stern wahrnehmen, da sie infrarote Strahlen sieht.“

„Weshalb heißt er aber Eisenstern?“

„Auf allen bisher erforschten Sternen ist Eisen in erheblich größerer Menge vorhanden als auf der Erde. Handelt es sich um einen großen Stern, sind Masse und Gravitationsfeld gewaltig. Ich fürchte, wir sind auf solch einen Stern gestoßen.“

„Und was nun?“

„Ich weiß nicht. Du siehst selbst, wir haben keinen Treibstoff mehr. Dabei fliegen wir weiter geradewegs auf den Stern zu. Wir müssen die ›Tantra‹ bis auf ein Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit abbremsen, so daß ein genügend großer Abweichungswinkel erreicht werden kann. Wenn uns dabei auch noch der planetarische Treibstoff ausgeht, nähert sich unser Schiff allmählich dem Stern, bis es abstürzt.“ Ingrid zuckte nervös mit dem Kopf, und Keh Ber streichelte beruhigend ihren von einer Gänsehaut bedeckten Arm.

Der Expeditionsleiter trat ans Steuerpult und konzentrierte sich auf die Instrumente. Alle warteten atemlos und schwiegen. Auch Nisa Krit, die eben erst erwacht war und instinktiv das Gefährliche der Situation begriffen hatte. Der Treibstoff reichte wahrscheinlich nur zum Abbremsen des Sternschiffs, je mehr es aber an Geschwindigkeit verlor, desto schwerer würde es ohne die Anamesontriebwerke der gewaltigen Anziehungskraft des Eisensterns entkommen. Wenn die „Tantra“ nicht schon so nahe wäre und Pel Lin rechtzeitig begriffen hätte… Doch was half jetzt noch ein Wenn und Aber!

Drei Stunden mochten vergangen sein, da hatte Erg Noor einen Entschluß gefaßt. Das heftige Vibrieren der Ionentriebwerke ließ die „Tantra“ erzittern. Vier Stunden lang verringerte das Sternschiff seine Geschwindigkeit. Kaum merklich bewegte Erg Noor die Hebel, und alle verspürten sogleich ein schreckliches Unwohlsein. Der furchterregende braune Himmelskörper verschwand vom vorderen Bildschirm und tauchte auf dem Seitenbildschirm auf. Wie die Instrumente anzeigten, hielten noch immer die unsichtbaren Ketten der Gravitation das Schiff fest. Erg Noor riß die Hebel zu sich heran — die Triebwerke standen still.

„Entkommen!“ flüsterte Pel Lin erleichtert. Der Leiter wandte sich langsam zu ihm und sagte: „Nein! Der Treibstoff reicht nur für Umkreisung und Landung.“

„Was jetzt?“

„Abwarten! Ich habe den Kurs ein wenig ändern können. Aber wir kommen immer noch zu dicht heran. Wer wird den Sieg davontragen: die Schwerkraft des Sterns oder die Geschwindigkeit der ›Tantra‹? Wir haben jetzt das Tempo einer Mondrakete. Wenn es uns gelingt, von diesem Stern freizukommen, fliegen wir in Richtung der Sonne. Die Reisezeit wird dann allerdings beträchtlich länger. In dreißig Jahren werden wir ein Notsignal senden, und acht Jahre darauf wird Hilfe eintreffen…“

„Achtunddreißig Jahre!“ flüsterte Keh Ber Ingrid kaum hörbar zu. Sie zog ihn heftig am Ärmel und wandte sich ab.

Erg Noor lehnte sich im Sessel zurück und ließ die Hände sinken. Die Menschen schwiegen, nur die Geräte summten leise. Ein disharmonischer, drohend anmutender Ton mischte sich in das Summen der Steuerungsapparate. Die Drohung des Eisensterns, seine Kraft, die das sich verlangsamende Schiff festhielt, waren beinahe körperlich zu spüren.

Nisa Krits Wangen brannten, und ihr Herz schlug schneller. Das Warten wurde unerträglich.

Langsam verrannen die Stunden. Die Expeditionsmitglieder, aus dem Schlaf erwacht, fanden sich einer nach dem anderen in der Steuerzentrale ein, bis alle vierzehn versammelt waren.

Die „Tantra“ flog jetzt mit weniger als der Entweichgeschwindigkeit, so daß sie vom Eisenstern nicht mehr wegkam. Niemand dachte an Essen und Schlafen. Alle harrten aus in der Zentrale, viele bange Stunden lang, in denen sich der Kurs der „Tantra“ immer mehr krümmte, bis sie auf einer verhängnisvollen Ellipse dahinjagte. Damit war das Schicksal des Sternschiffs entschieden.

Ein plötzlich Stöhnen ließ alle zusammenfahren. Der Astronom Pur Hiss sprang auf und fuchtelte mit den Armen. Er war nicht wiederzuerkennen, nichts hatte er mehr mit einem Menschen der Ära des Großen Rings gemein. Furcht, Todesangst und Rachgier verzerrten das Gesicht des Wissenschaftlers.

„Er, er ist schuld!“ schrie Pur Hiss und zeigte auf Pel Lin. „Idiot, Holzkopf, hirnloser Wurm…“ Der Astronom schluckte und suchte nach längst vergessenen Flüchen der Urahnen. Nisa, die neben ihm stand, wandte sich angewidert ab. Da erhob sich Erg Noor.

„Was beschimpfen Sie den Navigator! Die Zeiten sind vorbei, wo Fehler absichtlich gemacht wurden. Und in diesem Falle“ — Noor drehte an den Schaltern der Rechenmaschine — „beträgt, wie Sie sehen, die Wahrscheinlichkeit für einen Fehler dreißig Prozent. Berücksichtigt man noch die Ermüdung, die stets am Schluß einer Schicht eintritt, und die Erschütterungen durch das Schaukeln des Sternschiffs, so hätten Sie, Pur Hiss, dessen bin ich sicher, den gleichen Fehler begangen!“

„Und Sie?“ schrie der Astronom wütend.

„Ich — keinesfalls. Während der sechsunddreißigsten Sternenexpedition habe ich etwas Ähnliches erlebt. Doch ich trage in diesem Fall die größte Schuld: Ich wollte das Sternschiff in dem noch unerforschten Raum selbst steuern, dabei habe ich nicht alles vorher bedacht, sondern mich auf eine einfache Instruktion beschränkt.“

„Woher konnten Sie wissen, daß wir ohne Sie in diesen Bereich geraten!“ rief Nisa.

„Ich hätte es wissen müssen“, antwortete Erg Noor fest, „aber darüber werden wir noch auf der Erde sprechen.“

„Auf der Erde!“ rief Pur Hiss, und selbst Pel Lin machte ein betretenes Gesicht. „Wie können Sie so reden, wo alles verloren ist und uns nichts als der Tod erwartet.“

„Nicht der Tod erwartet uns, sondern ein schwieriger Kampf“, antwortete Erg Noor fest und nahm in dem Sessel am Tisch Platz. „Setzen Sie sich! Wir haben Zeit, bis die ›Tantra‹ anderthalb Umläufe gemacht hat.“

Alle gehorchten schweigend, und Nisa lächelte dem Biologen trotz der Hoffnungslosigkeit des Augenblicks triumphierend zu.

„Zweifellos hat der Stern einen Planeten, vermutlich sogar zwei, nach der Krümmung seiner Isograven zu urteilen. Wie Sie sehen, müssen die Planeten recht groß sein.“ Der Expeditionsleiter entwarf rasch eine genaue Skizze. „Folglich sind sie auch von einer Atmosphäre umgeben. Vorläufig sind wir noch nicht gezwungen zu landen, da wir noch einen großen Vorrat an festem atomarem Sauerstoff haben.“ Erg Noor verstummte, um sich zu sammeln. „Wir umkreisen den Planeten und werden zu seinem Satelliten. Wenn sich seine Atmosphäre als geeignet erweist und wir unsere Luft nahezu verbraucht haben, reicht unser planetarischer Treibstoff noch zur Landung aus“, fuhr er fort. „Im Laufe eines halben Jahres werden wir die Richtung berechnen, unsere Forschungsergebnisse von der Sirda durchgeben, ein Hilfsschiff herbeirufen und uns und unser Schiff retten.“

„Wenn die Rettung gelingt!“ warf Pur Hiss ein.

„Ja, wenn!“ bestätigte Erg Noor. „Aber es ist unser Ziel, und wir werden es unter allen Umständen zu erreichen suchen. Pur Hiss und Ingrid, Sie führen die Beobachtungen durch und berechnen die Ausmaße der Planeten. Keh Ber und Nisa, Sie errechnen aus der Masse der Planeten die Entweichgeschwindigkeit und daraus die Umlaufgeschwindigkeit und den optimalen Radianten für unsere Umlaufbahn.“

Für alle Fälle trafen die Forscher auch Vorbereitungen zur Landung. Der Biologe, die Geologin und die Ärztin bereiteten eine automatische Erkundungsstation zum Abwurf vor. Die Mechaniker überprüften die Landeradargeräte und die Scheinwerfer und montierten einen kleinen Satelliten für die Nachrichtenübermittlung zur Erde.

Nach dem ausgestandenen Schrecken und der Hoffnungslosigkeit ging die Arbeit besonders schnell voran. Sie wurde nur dann unterbrochen; wenn das Sternschiff durch Gravitationswirbel ins Schaukeln geriet. Doch die „Tantra“ flog so langsam, daß die Erschütterungen die Besatzung nicht mehr gefährdeten.

Pur Hiss und Ingrid bestätigten durch ihre Berechnungen das Vorhandensein zweier Planeten. Der äußere war ein riesiger kalter Planet, umgeben von einer mächtigen, wahrscheinlich giftigen atmosphärischen Hülle, die der Expedition den Tod bringen konnte. Solche furchtbaren Riesenplaneten gab es auch im Sonnensystem — Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.

Die „Tantra“ näherte sich unaufhaltsam dem Stern. Nach neunzehn Tagen hatten Pur Hiss und Ingrid die Ausmaße des zweiten Planeten bestimmt; er war größer als die Erde. Da sich der Planet sehr nahe seiner eisernen Sonne befand, umkreiste er sie mit rasender Geschwindigkeit; sein Jahr dauerte kaum länger als zwei bis drei Erdmonate. Der unsichtbare Stern T erwärmte den Planeten mit seinen infraroten Strahlen wahrscheinlich stark genug, so daß bei Vorhandensein einer Atmosphäre dort Lebewesen existieren konnten. In diesem Fall würde eine Landung besonders gefährlich sein, denn das fremde Leben, das sich unter den Bedingungen anderer Planeten und in anderer Evolution, wenn auch in der für den ganzen Kosmos gemeinsamen Form von Eiweißkörpern, entwickelte, war für die Erdenbewohner außerordentlich schädlich. Die Schutzstoffe, welche die Organismen auf der Erde in Millionen von Jahrhunderten herausgebildet hatten, waren gegen anders geartetes Leben wirkungslos. Den gleichen Gefahren waren Lebewesen anderer Planeten auf der Erde ausgesetzt.

Der Haupttrieb des tierischen Lebens — zu töten, um fressen zu können, und zu fressen, um töten zu können — hatte beim Zusammentreffen von Lebewesen verschiedener Welten besonders schreckliche Auswirkungen. Furchtbare Krankheiten und Epidemien traten bei den ersten Erforschungen bewohnbarer, aber unbesiedelter Planeten auf. Deshalb trafen auch die von denkenden Wesen besiedelten Welten verschiedene Vorkehrungen, bevor sie die direkte Sternschiffverbindung zu anderen Gestirnen aufnahmen. Auf die Erde, die weit entfernt ist von den zentralen bewohnten Zonen der Galaxis, waren bisher noch keine Gäste von anderen Sternsystemen, noch keine Vertreter anderer Zivilisationen gekommen. Der Rat für Astronautik war erst seit kurzem vorbereitet für die Aufnahme von Freunden nahe gelegener Sterne aus dem Sternbild des Schlangenträgers, des Schwans, des Großen Bären und des Paradiesvogels.

Erg Noor war über ein eventuelles Zusammentreffen mit Lebewesen besorgt und ordnete an, biologische Schutzmittel bereitzuhalten. In der Hoffnung, zur Wega zu gelangen, hatte er die Expedition damit ausreichend versorgt.

Endlich war der entscheidende Augenblick gekommen: Die „Tantra“ hatte ihre Fluggeschwindigkeit der des Planeten angeglichen und umkreiste ihn. Die verschwommene graubraune Oberfläche des Planeten, richtiger gesagt, seiner Atmosphäre, war nur im Elektroneninvertor sichtbar. Alle Expeditionsmitglieder hatten ihre Plätze an den Geräten eingenommen.

„Die Temperatur der oberen Schichten auf der beleuchteten Seite beträgt dreihundertzwanzig Grad Kelvin!“

„Die Umdrehung um die Achse dauert annähernd zwanzig Tage!“

„Die Radargeräte bestätigen das Vorhandensein von Wasser und Festland.“

„Die Mächtigkeit der Atmosphäre beträgt tausendsiebenhundert Kilometer.“

„Genaue Masse: das 43,2fache der Erdmasse.“

Die Angaben erfolgten schnell hintereinander. Erg Noor faßte die Zahlen zusammen, er brauchte das Material für die Berechnung der Umlaufbahn. Der Planet war sehr groß. Seine Schwerkraft würde das Schiff an den Boden heften. Die Menschen würden sich nur wie hilflose Kriechtiere bewegen können.

Dem Expeditionsleiter fielen schauerliche Erzählungen über Sternschiffe ein, die aus verschiedenen Gründen auf Riesenplaneten gelandet waren. Die damaligen Sternschiffe mit ihrer geringen Geschwindigkeit und ihrem schwachen Treibstoff waren meist verloren. Die Triebwerke heulten, und das Schiff erbebte wie im Krampf; es klebte an der Planetenoberfläche, unfähig, sich vom Boden abzuheben. Das Schiff blieb zwar unversehrt, doch den Menschen wurden die Knochen gebrochen. Unbeschreiblich war das Grauen, das aus dem abgerissenen Stöhnen der letzten Meldungen und der Abschiedssendungen sprach.

Der Besatzung der „Tantra“ drohte dieses Schicksal nicht, solange das Schiff den Planeten umkreiste. Müßte es aber landen, dann würden nur sehr kräftige Menschen die Last ihres eigenen Gewichts auf dieser künftigen Zufluchtsstätte schleppen können, einer Zufluchtsstätte, an der sie vielleicht Jahrzehnte bleiben müßten. Würden sie unter diesen Bedingungen durchhalten? Unter der Last der erdrückenden Schwere, im ewigen Dunkel der infraroten Sonne, in der dichten Atmosphäre? Doch wie schlimm es auch sein mochte, noch bestand Hoffnung auf Rettung, und außerdem blieb keine andere Wahl!

Die „Tantra“ zog ihre Bahn dicht über der Atmosphäre. Die Mitarbeiter der Expedition durften die Gelegenheit nicht versäumen, diesen völlig unbekannten Planeten zu untersuchen, der sich verhältnismäßig nahe der Erde befand. Die beleuchtete, besser gesagt, erwärmte Seite des Planeten unterschied sich von der Schattenseite nicht allein durch eine bedeutend höhere Temperatur, sondern auch durch größere Elektrizität, die sogar die starken Radargeräte störte, so daß die Angaben völlig verzerrt wurden. Erg Noor beschloß, den Planeten zuerst mit Hilfe einer physikalischen Station zu erforschen. Bald kam das verblüffende Resultat. Der Automat meldete das Vorhandensein von freiem Sauerstoff in der Neon-Stickstoff-Atmosphäre, das Vorhandensein von Wasserdampf und eine Temperatur von zwölf Grad Wärme. Diese Bedingungen ähnelten im allgemeinen denen der Erde. Lediglich der Druck der dichten Atmosphäre überstieg den normalen Druck auf der Erde um das 1,4fache, und die Schwerkraft war um mehr als das Zweieinhalbfache größer als die irdische.

„Hier kann man leben!“ meinte der Biologe mit einem flüchtigen Lächeln, als er dem Expeditionsleiter die Meldungen der Station übergab.

„Wenn wir auf einem so dunklen und schweren Planeten leben können, existieren dort bestimmt schon Lebewesen — kleine und gefährliche.“

Als das Sternschiff zur fünfzehnten Umkreisung des Planeten ansetzte, wurde eine Abwurfstation mit einem leistungsfähigen Fernsehsender vorbereitet. Doch die zweite physikalische Station, die nach der Drehung des Planeten um hundertzwanzig Grad auf der Schattenseite abgeworfen worden war, gab kein einziges Signal.

„Sie ist im Ozean versunken!“ konstatierte die Geologin ärgerlich.

„Dann müssen wir die Oberfläche mit dem Hauptradargerät abtasten, bevor wir eine Fernsehstation abwerfen. Wir haben nur zwei.“

Die Umrisse einer riesigen Ebene wurden registriert, die entweder in einen Ozean hineinragte oder zwei Ozeane fast am Äquator des Planeten voneinander trennte. Das Sternschiff führte den Radarstrahl in einer Zickzacklinie und erfaßte damit einen Streifen von zweihundert Kilometer Breite. Plötzlich flammte der Bildschirm des Radargerätes für den Bruchteil einer Sekunde hell auf. Ein Pfeifen, das an den überreizten Nerven zerrte, bestätigte, daß es keine Halluzination war.

„Metall!“ rief die Geologin. „Über Tage!“

Erg Noor schüttelte den Kopf.

„Obwohl es nur ganz kurz aufleuchtete, konnte ich doch festumrissene Konturen erkennen. Das ist entweder ein riesiges Metallstück, ein Meteorit — oder…“

„Ein Raumschiff?“ sagten Nisa und der Biologe gleichzeitig.

„Hirngespinste!“ schnitt Pur Hiss das Gespräch ab.

„Vielleicht ist es wirklich so“, entgegnete Erg Noor.

„Es ist sinnlos, sich zu ereifern“, sagte Pur Hiss. „Wir können es ohnehin nicht nachprüfen, denn wir werden ja nicht landen.“

„Wir werden es in drei Stunden überprüfen, wenn wir wieder zu der großen Ebene kommen. Geben Sie Obacht, der Metallkörper befindet sich auf einer Ebene, die auch ich als Landeplatz wählen würde. Wir werfen die Fernsehstation genau dort ab. Stellen Sie den Strahl des Radargeräts auf sechs Sekunden Vorhalt!“

Der vom Expeditionsleiter vorgeschlagene Plan gelang, und nach dem Abwurf wiederholte die „Tantra“ den dreistündigen Flug um den Planeten. Als sie sich der Ausgangsposition wieder näherte, empfing sie die Sendungen der Fernsehstation. Gespannt blickten alle auf den Bildschirm. Wie das menschliche Auge nahm der Sehstrahl die Konturen der Gegenstände dort unten in dem bodenlosen Dunkel auf. In dem vom Strahl des Automaten beleuchteten Sektor traten die Umrisse niedriger Schluchten, Hügel und schwarze gewundene Bodenrisse hervor. Plötzlich huschte gespensterhaft ein fischförmiger Körper vorüber.

„Ein Sternschiff!“ riefen mehrere zugleich.

Nisa blickte Pur Hiss triumphierend an. Der Bildschirm wurde dunkel — die „Tantra“ entfernte sich wieder von der Fernsehstation. Eon Tal, der Biologe, fixierte bereits den Streifen der Elektronenaufnahmen. Mit vor Ungeduld zitternden Fingern legte er ihn in den Projektor. Die innere Wandung des Hemisphärenbildschirms gab die Aufnahmen vergrößert wieder: die vertrauten spitz zulaufenden Konturen des Bugteils, das sich verbreiternde Heck, den hohen Kamm des Stabilisators. Wie unwahrscheinlich dieser Anblick, dieses plötzliche, überraschende Treffen auf dem Planeten der Finsternis auch sein mochte — es war ein Sternschiff der Erde! Unversehrt stand es in normaler, horizontaler Landestellung, als habe es eben erst auf dem Planeten des Eisensterns aufgesetzt.

Während die „Tantra“ ihre schnellen Kreise zog, schickte sie Signale hinunter, die jedoch unbeantwortet blieben. Mehrere Stunden vergingen. In der Steuerzentrale hatten sich wieder alle vierzehn Expeditionsteilnehmer eingefunden. Erg Noor, noch mit seinen Gedanken beschäftigt, erhob sich und sagte: „Ich schlage vor zu landen. Vielleicht brauchen unsere Brüder Hilfe; vielleicht ist ihr Schiff beschädigt und kann nicht zur Erde zurückkehren. Dann könnten wir von ihnen Anameson übernehmen und dadurch sie und uns retten. Eine Rettungsrakete hinunterzuschicken hat keinen Sinn. Treibstoff könnte sie uns auch nicht beschaffen, würde aber so viel Energie verbrauchen, daß uns nicht mehr genug für ein Signal zur Erde bliebe.“

„Und wenn auch sie wegen Mangels an Anameson hier landen mußten?“ gab Pel Lin zu bedenken.

„Dann müssen sie auf alle Fälle noch Ionenladungen haben, denn das Schiff ist normal gelandet. Die könnten wir für den Start verwenden. Wenn wir dann unsere Flugbahn wieder erreicht haben, können wir die Erde rufen und auf Hilfe warten. Acht Jahre würde das ganze Unternehmen dauern; Und wenn sogar noch Anameson vorhanden ist, sind wir aus allen Schwierigkeiten heraus.“

„Vielleicht besteht ihr planetarischer Treibstoff gar nicht aus Ionenladungen, sondern aus Photonen?“ meinte einer der Ingenieure.

„Wir können ihn in den Haupttriebwerken verwenden, wenn wir die Schalenreflektoren aus den Hilfstriebwerken einbauen.“

„Ich sehe, Sie haben schon alles durchdacht“, kapitulierte der Ingenieur.

„Trotzdem bleibt bleibt die Landung auf dem schweren Planeten ein Risiko, und es kann sein, daß wir dort bleiben müssen“, brummte Pur Hiss. „Der Gedanke an diese finstere Welt ist furchtbar.“

„Ein Risiko bleibt es natürlich, aber unsere Situation läßt uns keinen anderen Ausweg, und schlimmer wird sie dadurch kaum. So übel ist der Planet ja nun auch wieder nicht. Hauptsache, unser Schiff bleibt unversehrt!“

Erg Noor warf einen Blick auf die Skala des Geschwindigkeitsreglers und trat dann rasch ans Pult. Er blieb einen Augenblick vor den Hebeln und Schaltern stehen. Die Finger seiner großen Hände zuckten, das Gesicht war wie aus Stein.

Nisa trat neben ihn, nahm seine rechte Hand und legte sie an ihre glühende Wange. Erg Noor nickte dankbar, strich dem Mädchen über das dichte Haar und richtete sich auf.

„Wir begeben uns in die unteren Schichten der Atmosphäre und bereiten die Landung vor!“ sagte er laut, während er das Signal einschaltete.

Ein Heulen durchdrang das Schiff, die Menschen eilten zu ihren Plätzen und schnallten sich in den hydraulischen Sitzen fest.

Erg Noor ließ sich in die weichen Polster des Landungssessels sinken, der aus einer Luke vor dem Pult hervorgekommen war. Die Ionentriebwerke begannen zu dröhnen, und das Sternschiff jagte den Felsen und Ozeanen des unbekannten Planeten entgegen. Die Radargeräte und infraroten Reflektoren tasteten sich durch das Dunkel, die roten Lämpchen auf dem Höhenmesser zeigten eine Höhe von fünfzehntausend Metern an. Über zehn Kilometer hohe Berge waren auf dem Planeten nicht zu erwarten. Ebenso wie auf der Erde bewirkten das Wasser und die Wärme der schwarzen Sonne die Einebnung der Oberfläche.

Bei der ersten Umkreisung konnten auf dem größten Teil des Planeten nur unbedeutende Erhebungen festgestellt werden, sie waren ein wenig höher als auf dem Mars.

Offenbar waren die gebirgsbildenden Kräfte im Innern des Planeten längst zur Ruhe gekommen oder nur noch sporadisch tätig.

Erg Noor stellte den Flughöhenregler auf zweitausend Meter und schaltete die starken Scheinwerfer ein. Tief unten erstreckte sich ein riesiger Ozean. Schwarze Wellen brandeten auf und stürzten über unbekannten Tiefen wieder zusammen.

Der Biologe, vor Anstrengung schwitzend, bemühte sich, das von den Wellen reflektierte Licht mit einem Gerät einzufangen, das die geringsten Veränderungen des Reflexionsvermögens, die Albedo, registrierte, um den Salzgehalt oder die Mineralisation dieses Meeres festzustellen.

Kurz darauf nahm das glänzende Schwarz des Wassers eine matte Tönung an — das Festland begann. Die Strahlen der Scheinwerfer pflügten eine schmale Bahn in die Finsternis. Unvermutet leuchteten Farbflecke auf: bald gelblicher Sand, bald graugrünes Felsgestein.

Die „Tantra“ raste über dem Kontinent dahin.

Endlich fand Erg Noor die Ebene wieder. Sie war so niedrig gelegen, daß man sie nicht als Hochplateau bezeichnen konnte. Fluten und Stürme des dunklen Meeres aber erreichten sie offensichtlich nicht, da sie ungefähr hundert Meter über dem Festland lag.

Das vordere Backbord-Radargerät gab einen Pfeifton von sich. Die „Tantra“ bahnte sich mit den Scheinwerfern ihren Weg. Jetzt war das andere Sternschiff deutlich zu erkennen. Die Verkleidung seines Bugteiles aus kristallisch umgebildetem Anisotrop-Iridium funkelte im Schweinwerferlicht wie neu. Weder provisorische Unterkünfte noch Lichter sah man in der Nähe des Schiffes; dunkel und leblos stand es da, ohne auf das Näherkommen seines Zwillingsbruders zu reagieren. Die Scheinwerferstrahlen glitten weiter. Plötzlich wurden sie von der glitzernden blauen Fläche einer hochkant stehenden riesigen Scheibe zurückgeworfen; sie stand etwas geneigt und war zu einem Teil in den schwarzen Boden gesunken. Für einen Augenblick schien es den Beobachtern, als ragten hinter der Scheibe Felsen empor, doch wenige Meter weiter verdichtete sich die undurchdringliche Finsternis; dort fand sich wahrscheinlich eine Schlucht oder ein Abhang.

Die „Tantra“ heulte ohrenbetäubend auf. Erg Noor wollte möglichst nah am Sternschiff landen. Deshalb warnte er mit diesem Signal die Menschen, die sich gegebenenfalls in der Todeszone, ungefähr tausend Meter im Umkreis des Landeplatzes, befinden konnten. Sogar im Schiff war das laute Donnern der Ionentriebwerke zu hören. Die Bildschirme zeigten eine Wolke glühender Staubteilchen.

Der Bug des Schiffes hob sich in die Höhe. Lautlos glitten die Sessel in den hydraulischen Scharnieren lotrecht nach hinten. Die gigantischen Landestützen sprangen aus dem Rumpf und fingen den ersten Aufprall auf den Boden der fremden Welt ab. Die Triebwerke verstummten. Einige Stöße noch, ein leichtes Schwanken der Bugspitze, und die „Tantra“ stand. Erg Noor mußte den Arm heben, um die Stützen abzuschalten — das Pult befand sich jetzt über ihm. Ruckartig kippte das Sternschiff nach vorn, bis es seine frühere, horizontale Lage wieder eingenommen hatte. Das Landemanöver war beendet. Wie immer rief es im menschlichen Organismus einen starken Schock hervor, so daß die Astronauten eine Weile in ihren Sesseln liegenbleiben mußten, um sich wieder zu erholen.

Die ungeheure Schwerkraft lastete auf jedem. Wie nach einer schweren Krankheit konnten sich die Menschen kaum erheben. Der unermüdliche Biologie jedoch hatte bereits der Atmosphäre eine Probe entnommen. „Zum Atmen geeignet“, teilte er mit. „Gleich nehme ich die mikroskopische Untersuchung vor.“

„Nicht nötig“, widersprach Erg Noor, während er die Gurte des Landesessels löste. „Ohne Skaphander dürfen wir das Schiff nicht verlassen. Hier können gefährliche Sporen und Viren existieren.“

In der Luftschleuse am Ausgang lagen leichte biologische Skaphander und sogenannte Sprungskelette bereit — stählerne Gestelle mit einem Elektromotor, Sprungfedern und Stoßdämpfern für die Fortbewegung bei allzu großer Schwerkraft. Diese Skelette wurden über die Skaphander gezogen.

Alle Expeditionsteilnehmer konnten es kaum erwarten, nach sechs Jahren Irrfahrt im kosmischen Raum wieder Boden unter den Füßen zu fühlen, wenn auch fremden. Keh Ber, Pur Hiss, Ingrid, die Ärztin Luma und zwei Mechaniker jedoch mußten im Sternschiff bleiben, um den Dienst in der Funkstation, an den Scheinwerfern und Geräten zu versehen.

Den Helm in der Hand, stand Nisa abwartend da.

„Warum denn so unentschlossen. Nisa?“ fragte Erg Noor, während er die Sprechfunkanlage in seinem Helm überprüfte. „Es geht zum anderen Sternschiff!“

„Ich…“, druckste das Mädchen herum. „Ich glaube, es ist ausgestorben und steht schon lange hier. Noch eine Katastrophe, noch ein Opfer des gnadenlosen Kosmos — gewiß, das ist nicht zu vermeiden, aber mir wird immer schwer ums Herz. Besonders nach der Sirda und der ›Algrab‹.“

„Vielleicht rettet der Tod dieses Sternschiffes unser Leben“, warf Pur Hiss ein, während er ein Fernrohr mit kleiner Brennweite auf das andere Sternschiff richtete, das nach wie vor dunkel blieb.

Acht der Expeditionsteilnehmer versammelten sich in der Luftschleuse und warteten.

„Luft einschalten!“ Erg Noor gab seinen Befehl an die im Schiff Verbliebenen, von denen sie bereits durch eine undurchdringliche Wand getrennt waren.

Erst nachdem der Druck in der Kajüte zehn Atmosphären erreicht hatte, vermochten die hydraulischen Winden die fest angepreßte Tür zu öffnen. Der Überdruck in dem Raum schleuderte die acht Forscher beinah hinaus, ließ aber auch nichts Schädliches aus der Außenwelt eindringen. Hinter ihnen schlug die Tür heftig zu. Der Scheinwerferstrahl markierte einen hellen Weg, auf dem sich die Forscher mit ihren „federnden Beinen“ bewegten, wobei sie kaum ihre schweren Körper aufrecht halten konnten. Am Ende der Lichtbahn ragte das Riesenschiff auf. Die Ungeduld der Forscher war groß, doch bei den ungelenken Sprüngen auf dem unebenen, mit kleinen Steinchen besäten Boden wurden sie so durchgerüttelt, daß die anderthalb Kilometer kein Ende zu nehmen schienen.

Durch die dichte, mit Feuchtigkeit gesättigte Atmosphäre schimmerten die Sterne als blasse, verschwommene Flecke. Von der glitzernden Pracht des Kosmos vermittelte der Himmel des Planeten nur einen schwachen Eindruck. Das rötlichtrübe Licht der Sterne führte einen vergeblichen Kampf gegen die Finsternis auf der Planetenoberfläche.

In der ringsum herrschenden Dunkelheit trat das Schiff äußerst plastisch hervor. Die dicke Bor-Zirkonium-Lackschicht auf der Wandung war stellenweise stark abgeschrammt. Wahrscheinlich war das Sternschiff lange unterwegs gewesen.

Eon Tal stieß einen Ruf aus, der sich auf alle Helmtelefone übertrug. Er wies mit der Hand auf eine offene Tür, die wie ein dunkle Öffnung gähnte, und auf einen kleinen Lift. Neben dem Lift und unter dem Schiff wuchsen Pflanzen. Die dicken Stengel trugen schwarze parabolische Schalen, die Blüten oder auch Blätter sein konnten und deren Ränder wie Zahnräder gezackt waren; sie waren ungefähr einen Meter hoch. Das Pflanzendickicht und die offene Tür ließen darauf schließen, daß Menschen seit langem diesen Weg nicht mehr benutzt hatten, daß die kleine irdische Welt ohne Schutz war.

Erg Noor, Eon Tal und Nisa Krit stiegen in den Lift, und der Expeditionsleiter bediente den Schalthebel. Mit leisem Knirschen schaltete sich der Mechanismus ein, und der Lift beförderte die drei Forscher in die weit offenstehende Luftschleuse. Dann folgten die anderen. Erg Noor bat die „Tantra“, den Scheinwerfer auszuschalten. Augenblicklich verlor sich die kleine Menschengruppe in der bodenlosen Finsternis. Die Welt der schwarzen Sonne nahm sie gefangen, als wolle sie das schwache Fünkchen irdischen Lebens ersticken, das auf dem riesigen dunklen Planeten aufgetaucht war.

Die Forscher schalteten die an den Helmen befestigten Scheinwerfer ein. Die Tür von der Luftschleuse zum Schiffsinneren war zu, jedoch nicht verschlossen und gab leicht nach. Die Expeditionsteilnehmer betraten den mittleren Korridor, wo sie sich leicht orientieren konnten, denn die Konstruktion dieses Sternschiffes unterschied sich kaum von der der „Tantra“.

„Das Schiff wurde vor einigen Jahrzehnten gebaut“, sagte Erg Noor zu Nisa.

Das Mädchen drehte sich zu ihm um. Durch die Silikollscheibe des Helms wirkte das nur matt beleuchtete Gesicht des Expeditionsleiters geheimnisvoll.

„Ein absurder Gedanke“, fuhr Erg Noor fort, „aber vielleicht ist dies…“

„… die ›Parus‹!“ vollendete Nisa so laut, daß sich alle nach ihr umsahen — sie hatte nicht daran gedacht, daß die Helmtelefone eingeschaltet waren.

Der Erkundungstrupp drang in den Hauptraum des Schiffes vor, in die Laborbibliothek — und von dort zur Steuerzentrale. Der Expeditionsleiter bewegte sich schwankend in seinem skelettartigen Panzer, stieß gegen die Wände und erreichte schließlich den Hauptschalter. Die Schiffsbeleuchtung war eingeschaltet, doch sie war ohne Strom. In den dunklen Räumen leuchteten lediglich die phosphoreszierenden Zeiger und Zeichen. Erg Noor fand den Schalter für die Notbeleuchtung, und mattes Licht flammte auf. Über die Helmtelefone erkundigte sich Pur Hiss nach dem Verlauf der Besichtigung. Die Geologin antwortete ihm, da Erg Noor wie gebannt an der Schwelle der Steuerzentrale stehengeblieben war. Nisa folgte seinem Blick und entdeckte oben zwischen den vorderen Bildschirmen in der Sprache der Erde und dem Code des Großen Rings das Wort „Parus“. Darunter standen die galaktischen Rufzeichen der Erde und die Koordinaten des Sonnensystems.

Somit war das vor achtzig Jahren spurlos verschwundene Sternschiff in dem bisher unbekannten System der schwarzen Sonne, das man lange Zeit nur für einen Dunkelnebel gehalten hatte, wiedergefunden worden.

Die Besichtigung des Sternschiffes ergab nichts über den Verbleib seiner Insassen. Sauerstoff war in den Behältern noch vorhanden, und die Vorräte an Wasser und Verpflegung hätten noch für einige Jahre gereicht. Aber nirgends war eine Spur von der „Parus“-Besatzung zu finden.

In den Korridoren, in der Zentrale und der Bibliothek waren an mehreren Stellen seltsame dunkle Schleimspuren zu sehen. Auf dem Fußboden der Bibliothek war ein Fleck. Es sah aus, als wäre hier eine vergossene Flüssigkeit eingetrocknet. Im Heckmaschinenraum hingen vor der aufgestoßenen Tür des hinteren Schotts abgerissene Leitungen herab, und die massiven Ständer der Kühlanlage aus phosporhaltiger Bronze waren stark verbogen. Da sonst alles unversehrt war, blieben diese Beschädigungen, die von einer großen Zerstörungskraft zeugten, unverständlich. Die Forscher fanden nichts, was das Verschwinden der Besatzung hätte erklären können.

Nebenbei entdeckten sie aber etwas sehr Wichtiges: Die Vorräte an Anameson und Ionenladungen im Schiff waren groß genug, um den Start der „Tantra“ vom schweren Planeten und die Reise zur Erde durchzuführen.

Diese Neuigkeit gaben sie sofort an die „Tantra“ weiter und nahmen so auch den anderen das Gefühl des Verlorenseins, das die ganze Expedition nach dem Zusammentreffen mit dem Eisenstern befallen hatte. Die Nachricht zur Erde war nun nicht mehr notwendig. Dafür mußten sie jetzt überlegen, wie sie die Behälter mit Anameson umladen konnten. Das war schon an und für sich nicht leicht, aber hier, auf dem Planeten mit der fast dreifachen irdischen Schwerkraft, mußten die Ingenieure alle ihre Erfindungsgabe aufwenden. Doch die Menschen in der Ära des Großen Rings schrecken nicht vor schwierigen geistigen Aufgaben zurück, im Gegenteil, sie lösten sie mit Freuden.

In der Zentrale entnahm der Biologe dem Magnotophon eine halbbesprochene Spule des Bordjournals. Erg Noor und die Geologin öffneten den festverschlossenen Hauptsafe, in dem die Expeditionsergebnisse der „Parus“ aufbewahrt wurden. Die Forscher nahmen die vielen Rollen Photon-Magnet-Film an sich, die Bänder des Journals, die astronomischen Beobachtungen und Berechnungen. Als Forscher brachten sie es nicht übers Herz, diesen so wertvollen Fund auch nur für kurze Zeit liegenzulassen.

Übermüdet trafen die Kundschafter wieder in der „Tantra“ ein, wo sie von ihren Gefährten mit Ungeduld erwartet wurden. Hier, in der gewohnten Atmosphäre, an den bequemen Tischen, in dem hellen Licht, waren die grabesähnliche Finsternis des Planeten und das tote verlassene Sternschiff nur noch ein Alptraum. Der Druck der Schwerkraft jedoch lastete auf jedem einzelnen und wich nicht. Bei der kleinsten Bewegung schmerzten die Gelenke. Ohne Training war es schwer, seinen Körper dem Mechanismus des „Sprungskeletts“ anzupassen, so daß man beim Laufen arg gestoßen und durchgerüttelt wurde. Selbst nach einem kurzen Marsch waren die Menschen wie zerschlagen. Die Geologin Bina Led hatte sich offensichtlich eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen, sie weigerte sich jedoch, in ihre Kajüte zu gehen, bevor sie das letzte Band des Bordjournals abgehört hatte. Nisa erwartete von diesen Aufzeichnungen, die seit achtzig Jahren in dem ausgestorbenen Schiff lagen, irgend etwas Aufregendes. Sie stellte sich heisere Hilferufe, qualvolle Schreie und tragische Abschiedsworte vor. Das Mädchen zuckte zusammen, als aus dem Apparat eine ruhige, wohlklingende Stimme ertönte. Selbst Erg Noor, der über alles, was interstellare Flüge betraf, sehr gut informiert war, kannte niemand von der Besatzung der „Parus“. Ausnahmslos mit jungen Menschen besetzt, hatte dieses Sternschiff seinen äußerst gewagten Flug zur Wega angetreten, ohne dem Rat für Astronautik den üblichen Film von den Expeditionsmitgliedern zurückzulassen.

Die unbekannte Stimme berichtete von den Ereignissen, die sich sieben Monate nach der letzten Informationssendung an die Erde abgespielt hatten. Bereits ein Vierteljahrhundert vorher war die „Parus“ beschädigt worden, als sie einen Gürtel kosmischen Eises am Rande des Systems der Wega passierte. Das Leck im Heckteil konnte beseitigt und die Reise fortgesetzt werden. Gleichzeitig war aber auch der hochempfindliche Regler für das Magnetschutzfeld der Triebwerke beschädigt worden. Nach zwanzig Jahren verzweifelten Bemühens mußten die Triebwerke abgeschaltet werden. Noch fünf Jahre flog die „Parus“ infolge ihres Beharrungsvermögens weiter und kam immer mehr von dem ursprünglich berechneten Kurs ab. Damals wurde die erste Nachricht gesendet. Das Sternschiff wollte noch eine zweite Nachricht senden, doch da geriet es in das Gravitationsfeld des Eisensterns. Es erging ihm wie der „Tantra“, nur daß es keinen Widerstand mehr leisten konnte. So landete die „Parus“ wohlbehalten auf dem niedrigen Plateau. Drei Aufgaben waren für die Besatzung jetzt vorrangig: die Triebwerke mußten repariert, ein Signal zur Erde gesendet und der unbekannte Planet erforscht werden. Sie hatten noch nicht einmal die Startvorrichtung für die Senderakete montiert, als einige Besatzungsmitglieder auf völlig unerklärliche Weise verschwanden. Auch jene, die auf Suche geschickt wurden, kamen nicht zurück. Man hörte auf mit der Erforschung des Planeten. Zur Montage der Startvorrichtung verließen sie das Schiff nur gemeinsam. Wenn sie die Arbeit des öfteren unterbrechen mußten, da die größere Schwerkraft an ihren Kräften zehrte, saßen sie die ganze Zeit über in dem hermetisch abgeschlossenen Schiff. Da sie die Senderakete schnellstens abschießen wollten, kümmerten sie sich vorerst nicht um das fremde Sternschiff in der Nähe ihres Schiffes, das offensichtlich seit langem hier stand.

Die Scheibe! schoß es Nisa durch den Kopf. Ihr Blick traf sich mit dem des Expeditionsleiters. Erg Noor erriet ihre Gedanken und nickte bestätigend.

Von den vierzehn Besatzungsmitgliedern der „Parus“ waren noch acht am Leben.

Ungefähr drei Tage war nichts im Bordjournal aufgezeichnet worden, dann setzte eine hohe Frauenstimme die Information fort.

„Heute, am Zwölften des siebenten Monats im dreihundertdreiundzwanzigsten Jahr des Großen Rings, haben wir die Vorbereitungen für den Abschuß der Senderakete abgeschlossen! Morgen um diese Zeit“ — Keh Ber sah automatisch auf die Uhrskala längs des aufgespulten Bandes: fünf Uhr nach der Zeit der „Parus“; wer weiß, welche Zeit es auf diesem Planeten war — „schicken wir die genau berechnete…“ Die Stimme erstarb, war dann wieder zu hören, aber leiser und schwächer, als hätte sich die Sprecherin vom Aufnahmegerät abgewandt: „Ich schalte ein! Noch…“ Das Gerät verstummte, doch das Band spulte sich weiter ab. Die Zuhörer wechselten beunruhigte Blicke.

„Da ist etwas passiert!“ begann Ingrid Ditra.

Abgerissene, mühsam hervorgepreßte Sätze entrangen sich dem Gerät: „Zwei konnten sich retten… Laik schaffte es nicht mehr… Der Lift… Sie konnten die Außentür nicht schließen… Der Mechaniker Sah Kton ist zu den Triebwerken gekrochen… Wir wehren uns mit den planetarischen… Sie kennen weder Wut noch Furcht, sind das Nichts, das Nichts… “

Tonlos lief das Band eine geraume Zeit, dann fuhr die gleiche Stimme fort: „Kton scheint es nicht geschafft zu haben. Ich bin allein, habe aber einen Weg gefunden. Bevor ich beginne…“ Die Stimme wurde fester, Willenskraft und Überzeugung sprachen aus ihr: „Brüder, solltet ihr hierherkommen, verlaßt nie das Schiff! Ich warne euch!“ Die Sprecherin seufzte und fuhr leise, wie zu sich selber fort: „Ich muß erfahren, was mit Kton los ist. Wenn ich zurückkehre, werde ich alles ausführlich erklären.“

Ein Knacken — und das Band spulte sich noch etwa zwanzig Minuten lang bis zu Ende ab. Vergeblich warteten die Lauschenden. Die Unbekannte erklärte nichts mehr, wahrscheinlich war es ihr nicht mehr gelungen zurückzukehren.

Erg Noor schaltete das Gerät ab und wandte sich an seine Gefährten.

„Unsere toten Schwestern und Brüder retten uns. Spürt ihr nicht noch jetzt ihre Stärke? Wir haben in dem Schiff Anameson gefunden. Wir sind vor einer tödlichen Gefahr gewarnt worden, die hier auf uns lauert. Ich weiß noch nicht, was für eine es ist, wahrscheinlich aber sind es fremde Lebewesen. Wären es kosmische Elementarkräfte, hätten sie nicht nur die Menschen getötet, sondern auch das Schiff beschädigt. Nachdem wir eine so wertvolle Hilfe erhalten haben, wäre es beschämend, vermochten wir uns nicht zu retten und unsere Entdeckungen und die der ›Parus‹ nicht der Erde zu überbringen. Die Heldentat der ums Leben Gekommenen, ihr fünfzig Jahre währender Kampf mit dem Kosmos dürfen nicht umsonst gewesen sein!“

„Wie sollen wir den Treibstoff übernehmen, ohne das Schiff zu verlassen?“ fragte Keh Ber.

„Warum sollen wir das Schiff nicht verlassen? Wir müssen es sogar verlassen und draußen arbeiten. Aber wir sind gewarnt und werden Maßnahmen treffen.“

„Ich hab’s“, sagte der Biologe Eon Tal. „Wir errichten eine Absperrung um den Arbeitsplatz.“

„Und nicht nur dort, sondern auch auf dem Weg zwischen den Schiffen!“ fügte Pur Hiss hinzu.

„Natürlich. Und da wir nicht wissen, wer uns auflauert, werden wir uns durch Strahlungen und Strom doppelt sichern. Wir legen Leitungen und schaffen auf dem ganzen Weg einen Lichtkorridor. Hinter der ›Parus‹ steht noch die Rakete, die nicht starten konnte; ihre Energie reicht für die Dauer der Arbeiten.“

Plötzlich schlug Bina Leds Kopf hart auf den Tisch. Die Ärztin und der zweite Astronom schleppten sich zu der bewußtlosen Geologin.

„Es ist nichts weiter“, erklärte Luma Laswi. „Überanstrengung und die Erschütterung. Helfen Sie mir, Bina aufs Bett zu legen.“

Diese einfache Arbeit hätte viel Zeit gekostet, wäre nicht der Mechaniker Taron auf die Idee gekommen, einen automatischen Elektrokarren zu benutzen. Damit wurden alle acht Kundschafter zu ihren Betten transportiert; es war Zeit für sie, sich auszuruhen, sonst bestand die Gefahr einer Erkrankung infolge der Überanstrengung, denn der Organismus hatte sich den neuen Umweltbedingungen noch nicht angepaßt. Und gerade jetzt war jeder einzelne unentbehrlich.

Bald darauf begannen zwei aneinandergekoppelte automatische Fahrzeuge für Universaltransporte und Straßenarbeiten den Weg zwischen den Sternschiffen zu ebnen. Zu beiden Seiten des abgesteckten Weges liefen starke Kabel. Neben beiden Sternschiffen wurden Beobachtungstürme mit dicken Verschlußglocken aus Silikobor errichtet. In den Türmen saßen Beobachter, die von Zeit zu Zeit Bündel tödlicher harter Strahlungen aus Pulsationskammern ausschickten. Während der Arbeit leuchteten ununterbrochen die starken Scheinwerfer. Im Kiel der „Parus“ wurde die Hauptluke geöffnet, die Schotten wurden auseinandergenommen, und vier Behälter mit Anameson sowie dreißig Zylinder mit Ionenladungen wurden zum Ausladen vorbereitet. Ihr Verladen in die „Tantra“ war bedeutend komplizierter, denn sie durfte nicht, wie die verlassene „Parus“, geöffnet werden, da sonst tödliche Keime fremden Lebens eindringen konnten. Deshalb wurde erst alles sorgfältig vorbereitet. Als die Innenschotten geöffnet waren, holte man von der „Parus“ Reserveballons mit flüssiger Luft. Vom Öffnen der Luke an bis zum Abschluß des Verladens sollte ständig unter hohem Druck Preßluft durch den Ladeschacht nach außen gejagt werden. Außerdem wurde an der Schiffswand eine Sperrstrahlung eingerichtet.

Allmählich gewöhnten sich die Menschen an die Arbeit in den „Sprungskeletten“ und an die fast dreifache Schwerkraft; die unerträglichen Gliederschmerzen ließen allmählich nach.

Einige Erdentage waren vergangen. Noch hatten sich die geheimnisvollen Feinde der Menschen nicht gezeigt. Plötzlich begann die Außentemperatur schlagartig zu sinken. Ein orkanartiger Wind kam auf, der von Stunde zu Stunde zunahm. Die schwarze Sonne ging unter. Durch die Drehung des Planeten gelangte das Festland, wo sich die Sternschiffe befanden, auf die „Nachtseite“. Dank den Luftströmungen, der Wärmeabgabe des Ozeans und der dichten Atmosphäre war die Abkühlung nicht allzu stark. Dennoch setzte gegen Mitte der Planetennacht kräftiger Frost ein. Die Arbeiten wurden mit eingeschalteter Skaphanderheizung fortgesetzt. Der erste Behälter wurde aus der „Parus“ geholt und zur „Tantra“ transportiert, als ein neuer Orkan im „Osten“ zu wüten begann, bedeutend stärker als der erste. Die Temperatur stieg rasch über Null, die dichten Luftströme führten viel Feuchtigkeit heran. Blitze zuckten über den Himmel. Der Orkan wurde derart stark, daß das Sternschiff unter seinem Anprall erbebte. Alle Anstrengungen der Forscher konzentrierten sich auf die Befestigung des Behälters unter dem Kiel der „Tantra“. Das furchterweckende Heulen des Orkans wuchs an. Über die Hochebene jagten gefährliche Wirbelwinde, die den Tornados der Erde glichen. Im Lichtkegel des Scheinwerfers schoß eine riesige Windhose aus Regen, Schnee und Staub empor. Unter ihrem Anprall rissen die Hochspannungsleitungen, und bläuliche Funken zuckten auf.

Das gelbliche Scheinwerferlicht an der „Parus“ erlosch, wie vom Wind ausgeblasen.

Erg Noor ordnete an, die Arbeit zu unterbrechen und ins Schiff zurückzugehen.

„Aber der Beobachter ist ja noch dort!“ rief Bina Led und zeigte auf den schwachen Lichtschein im Silikoborturm.

„Ich weiß, Nisa ist noch da, ich werde gleich hingehen“, antwortete der Expeditionsleiter.

„Der Strom ist ausgeschaltet, und nun herrschen die Gesetze des ›Nichts‹“, gab Bina zu bedenken.

„Wenn der Orkan unsere Kräfte hemmt, wird er zweifellos auch auf die des ›Nichts‹ einwirken. Ich bin überzeugt, solange der Sturm anhält, besteht keinerlei Gefahr. Und ich bin hier so schwer, daß ich nicht weggeblasen werde, wenn ich auf dem Boden dorthin krieche. Schon lange wollte ich vom Turm aus diesen Wesen des ›Nichts‹ auflauern!“

„Lassen Sie mich mitgehen!“ bat der Biologe und hüpfte in seinem „Sprungskelett“ zu dem Expeditionsleiter.

„Einverstanden. Aber weiter niemand.“

Die beiden Männer krochen am Boden entlang, suchten Halt an Unebenheiten und Gesteinsritzen und waren bestrebt, dem Wirbelwind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Immer wieder versuchte sie der Orkan vom Boden hochzuheben und fortzutragen. Einmal gelang es ihm, aber Erg Noor bekam den davonrollenden Eon Tal noch zu fassen, warf sich auf ihn und klammerte sich mit seinen Krallenhandschuhen an einem großen Stein fest.

Nisa öffnete die Turmluke, und die beiden zwängten sich nacheinander hindurch. Hier im Turm war es warm und ruhig; er stand fest und sicher, da er in Voraussicht eventueller Stürme gut verankert war. Das Mädchen freute sich, als sie ihre Gefährten sah. Sie sagte ehrlich, es sei für sie furchtbar gewesen, einen Tag allein im Sturm auf dem fremden Planeten zu verbringen.

Erg Noor meldete der „Tantra“ die Ankunft, und der Scheinwerfer des Schiffes erlosch. Nun leuchtete in der tiefen Finsternis lediglich das schwache Licht im Innern des Turms. Der Boden erzitterte unter den Sturmböen und den darüber hinwegrasenden Windhosen. Nisa saß auf dem Drehstuhl, mit dem Rücken gegen einen Rheostat gelehnt. Der Expeditionsleiter und der Biologe setzten sich ihr zu Füßen auf den ringförmigen Vorsprung des Turmfundaments. In ihren dicken Skaphandern nahmen sie fast den ganzen Raum ein.

„Am besten, wir schlafen jetzt“, erklang Erg Noors Stimme in den Helmtelefonen. „Bis zum Aufgang der schwarzen Sonne sind es noch reichlich zwölf Stunden, erst dann wird der Orkan abflauen und die Temperatur ansteigen.“

Nisa und Eon Tal stimmten bereitwillig zu. Trotz des dreifachen Gewichts und der ungefügen Skaphander schliefen die drei in dem sturmgeschüttelten Turm. Von Zeit zu Zeit erwachte Nisa und gab an den Diensthabenden der „Tantra“ die Durchsage „Alles wohlauf“. Der Orkan hatte inzwischen merklich nachgelassen, der Boden erzitterte nicht mehr. Jetzt konnte das „Nichts“ oder vielmehr das „Etwas“ erscheinen. Die Beobachter im Turm nahmen Wachhaltetabletten ein.

„Das fremde Sternschiff beschäftigt mich ununterbrochen“, gestand Nisa. „Ich möchte zu gern wissen, von wo und wie es hierhergeraten ist.“

„Ich auch“, antwortete Erg Noor. „Schon eine geraume Zeit werden über den Großen Ring Berichte von Eisensternen und ihren Fangplaneten gesendet. Auch in den dicht besiedelten Teilen unserer Galaxis, wo Sternschiffe häufig und seit langem fliegen, gibt es Planeten mit gestrandeten Sternschiffen. Viele Sternschiffe älteren Typs sind an diesen Planeten klebengeblieben. Wir haben erschütternde Berichte darüber, die heute fast schon legendär klingen, wie die Berichte von der mühsamen Eroberung des Kosmos. Vielleicht existieren auf diesem Planeten auch noch Sternschiffe aus älteren Zeiten, obwohl in so einer spärlich besiedelten Zone das Zusammentreffen von drei Schiffen eine ganz große Seltenheit ist. In der Umgebung unserer Sonne war bisher kein Eisenstern bekannt. Wir haben den ersten entdeckt.“

„Wollen Sie auch das Tellerschiff untersuchen?“ fragte der Biologe.

„Unbedingt! Welcher Wissenschaftler würde sich solch eine Gelegenheit entgehen lassen! Das wäre doch unverzeihlich! Tellerraumschiffe sind in den uns benachbarten besiedelten Gebieten unbekannt. Das hier ist sicher von weit her, vielleicht irrte es nach dem Tod der Besatzung oder nach einer starken Beschädigung mehrere Jahrtausende in der Galaxis umher. Vielleicht finden wir in dem Tellerschiff Materialien, mit deren Hilfe uns viele Sendungen des Großen Rings verständlicher werden. Eine merkwürdige Form hat das Schiff: eine scheibenförmige Spirale mit einer stark hervortretenden Erhebung auf der Oberfläche. Sobald wir die ›Parus‹ entladen haben, werden wir uns mit ihm befassen. Jetzt aber können wir niemand entbehren.“

„Die ›Parus‹ hatten wir doch in wenigen Stunden untersucht.“

„Ich habe mir das Tellerschiff im Stereoteleskop angesehen. Nirgends konnte ich eine Öffnung entdecken. Es ist äußerst schwierig, in ein kosmisches Schiff einzudringen, das zuverlässig gegen Kräfte gesichert ist, die um ein Vielfaches stärker sind als alle irdischen Naturgewalten. Versuchen Sie einmal, in die geschlossene ›Tantra‹ zu gelangen. Das ist schwieriger, als eine Festung zu erobern. Und noch schwieriger ist es bei einem völlig fremden Schiff, dessen Konstruktionsprinzipien man nicht kennt. Doch wir werden versuchen, das Rätsel zu lösen.“

„Und wann sichten wir das Material, das wir in der ›Parus‹ gefunden haben?“ erkundigte sich Nisa. „Darunter müssen sich doch die hochinteressanten Beobachtungen von jenen Welten befinden, die in der Nachricht erwähnt werden.“

Im Helmtelefon ertönte das gutmütige Lachen des Expeditionsleiters. „Mehr als jeder andere brenne ich vor Ungeduld, denn bereits als Kind habe ich von der Wega geträumt. Aber zum Sichten haben wir auf dem Rückflug noch reichlich Zeit. Jetzt heißt es erst mal aus dieser Finsternis herauskommen. Die Forscher der ›Parus‹ sind offensichtlich nirgends gelandet, sonst hätten wir in den Kollektionskammern des Schiffes viele Gegenstände von jenen Planeten finden müssen. Erinnern Sie sich: Trotz intensiven Suchens haben wir nur Filme, Meßergebnisse, Bildaufzeichnungen, Luftproben und Ballons mit Explosionsstaub gefunden…“

Erg Noor verstummte und lauschte. Der Sturm war vorüber. Doch plötzlich drang über die empfindlichen Mikrofone von außen ein knirschendes Geräusch herein.

Der Expeditionsleiter hob die Hand, und Nisa, die ihn ohne Worte verstand, schaltete die Beleuchtung aus. Das Dunkel in dem von infrarotem Licht erwärmten Turm breitete sich aus wie eine zähe schwarze Flüssigkeit; es war, als stehe dieser Bau von Menschenhand auf dem Grund des Ozeans. Durch die durchsichtige Silikoborglocke nahmen die Menschen deutlich bräunliche Lichtpunkte wahr, die in regelmäßigen Abständen für Sekunden dunkelrote oder — dunkelgrüne Sternchen bildeten. Die Sternketten krümmten sich zu Ringen und Achten, krochen lautlos über die glatte, diamantharte Oberfläche der Turmglocke. Die Forscher spürten ein seltsames, schneidendes Brennen in den Augen und einen starken Schmerz in den Hauptnervensträngen des Körpers.

„Nisa“, flüsterte Erg Noor, „stellen Sie den Regler auf volle Leistung, und schalten Sie sofort das Licht ein.“

Der Turm erstrahlte in grellbläulichem, irdischem Licht. Die Menschen waren im ersten Augenblick so geblendet, daß sie fast nichts sahen. Nisa und Eon glaubten bemerkt zu haben, daß das Dunkel an der rechten Turmseite nicht sofort verschwunden, sondern für einen Augenblick als riesiger schwarzer Klumpen, mit Fühlern versehen, liegengeblieben war. Blitzartig hatte dieses Etwas die Fühler eingezogen und war zurückgeschnellt, zugleich mit dieser Bewegung war die Finsternis gewichen. Erg Noor hatte nichts gesehen, zweifelte jedoch nicht an den Wahrnehmungen seiner reaktionsschnelleren jüngeren Gefährten.

„Vielleicht waren es Phantome?“ mutmaßte Nisa. „Schemenhafte dunkle Ballungen um irgendwelche Energieladungen, wie zum Beispiel unsere Kugelblitze, und überhaupt keine Formen von Leben? Wenn hier alles schwarz ist, können auch die Blitze schwarz sein.“

„Ihre Vermutung ist zwar äußerst poetisch“, widersprach Erg Noor, „aber kaum zutreffend. Erstens hat uns dieses Etwas offensichtlich angegriffen. Es oder seine Artgenossen haben die Besatzungsmitglieder der ›Parus‹ auf dem Gewissen. Wenn es organisiert und stabil ist, wenn es sich in der jeweils erforderlichen Richtung bewegen, Energie aufnehmen und wieder abgeben kann, dann haben wir es bestimmt nicht mit einem Phantom zu tun, sondern eindeutig mit einem Geschöpf aus lebender Materie, das uns verspeisen möchte.“

Der Biologe pflichtete dem Expeditionsleiter bei: „Mir scheint, daß hier auf dem Planeten der Finsternis — wobei es ja nur für uns dunkel ist, weil unsere Augen die infraroten Strahlen nicht wahrnehmen — andere Strahlen, zum Beispiel gelbe und blaue, auf dieses Wesen eine starke Wirkung ausüben. Es reagiert darauf so schnell, daß die Besatzungsmitglieder der ›Parus‹ nichts bemerkten, als sie den Ort des Überfalls mit Scheinwerfern ableuchteten. Und als sie etwas bemerkten, da war es zu spät, und die Sterbenden konnten nichts mehr erzählen.“

„Wir werden sofort den Versuch wiederholen, wie unangenehm das Näherkommen dieses Wesens auch ist.“

Nisa schaltete das Licht aus, und wieder warteten die drei Beobachter auf das rätselhafte Etwas aus der Welt der Finsternis.

„Womit mag es ausgerüstet sein? Weshalb spürt man sein Näherkommen durch Glocke und Skaphander?“ fragte sich laut der Biologe. „Ist das eine besondere Form von Energie?“

„Es gibt nur sehr wenige Formen von Energie, und hier handelt es sich zweifelsohne um elektromagnetische. Doch davon gibt es vielfältige Abwandlungen. Dieses Wesen verfügt über eine Waffe, die auf unser Nervensystem einwirkt. Wie muß es erst sein, wenn so ein Fühler einen ungeschützten Körper berührt!“

Erg Noor überlief ein Schauer. Nisa Krit fing an zu zittern, als sie die Ketten bräunlicher Lichtpunkte bemerkte, die sich schnell von drei Seiten näherten.

„Es ist nicht nur ein Wesen!“ flüsterte Eon. „Vielleicht sollten wir sie gar nicht erst bis an die Turmglocke heranlassen.“

„Sie haben recht. Jeder von uns wendet sich mit dem Rücken dem Licht zu und beobachtet ausschließlich seine Turmseite! Schalten Sie ein, Nisa!“

Diesmal konnte jeder der Forscher eine kleine Einzelheit ausmachen, aus denen sich ein Gesamteindruck von den Wesen ergab, die, flachen riesenhaften Medusen ähnlich, in geringer Höhe über dem Boden schwebten. Ihre untere Seite war mit dichten Fransen bewachsen. Einige Fühler waren im Verhältnis zu den Ausmaßen des Wesens kurz, nicht länger als zwei Meter. Aus den spitzen Winkeln des rhombischen Körpers züngelten je zwei Fühler, die bedeutend länger waren. Am Ansatz der Fühler hatte der Biologe große Blasen bemerkt, die von innen heraus matt leuchteten und aus denen sternenförmige Blitze zuckten.

„Beobachter, warum schalten Sie das Licht ein und aus?“ erklang plötzlich in den Helmtelefonen Ingrids Stimme. „Brauchen Sie Hilfe? Der Sturm ist zu Ende, und wir nehmen die Arbeit wieder auf. Wir werden sofort zu Ihnen kommen…“

„Unter keinen Umständen!“ unterbrach sie der Leiter streng. „Wir befinden uns in großer Gefahr. Rufen Sie alle zusammen!“

Erg Noor berichtete von den schrecklichen Medusen. Nach einer Beratung beschlossen die Astronauten, auf einem Karren einen Teil des Ionentriebwerks herbeizuschaffen. Feuerströme von dreihundert Meter Länge jagten über die steinige Ebene und fegten alles Sichtbare und Unsichtbare hinweg. Nach einer knappen halben Stunde zogen die Menschen in aller Ruhe neue Hochspannungskabel. Die Sperrzone war wiederhergestellt. Bis zum Anbruch der Planetennacht mußte unbedingt das Anameson umgeladen werden. Das gelang unter unglaublichen Anstrengungen. Dann verschanzten sich die entkräfteten Expeditionsteilnehmer hinter dem unbezwingbaren Panzer des Sternschiffes. Die Mikrofone trugen das Heulen und Krachen des Orkans herein. Doch dadurch fühlten sich die Astronauten in ihrer kleinen, hell erleuchteten Welt um so geborgener.

Ingrid und Luma suchten einen Stereofilm aus, und schon rauschte das blaue Wasser des Indischen Ozeans zu Füßen der in der Bibliothek Sitzenden.

Es war ein Film über die Poseidon-Spiele — friedliche Wettkämpfe in allen Disziplinen des Wassersports. In der Ära des Großen Rings waren alle Menschen mit dem Wasser so verbunden, wie das in der Vergangenheit nur die am Meer lebende Bevölkerung war. Springen, Schwimmen und Tauchen, Wasserski und Segeln. Tausende gutgebauter und braungebrannter junger Körper. Tönender Gesang, Lachen und die festliche Musik der Siegerehrungen.

Nisa neigte sich zu Eon Tal, der neben ihr saß. Er schien in Gedanken auf dem fernen ruhigen Heimatplaneten zu sein.

„Haben Sie an solchen Wettkämpfen teilgenommen, Eon?“

Der Biologe sah sie einen Augenblick verständnislos an.

„An diesen? Nein, kein einziges Mal. Entschuldigen Sie, ich war ganz in Gedanken und habe Sie nicht gleich verstanden.“

„Haben Sie denn nicht an unsere Erde gedacht?“ Das Mädchen zeigte auf den Bildschirm. „Sie ist doch wieder einzigartig schön nach der Finsternis und dem Sturm, nach diesen elektrischen schwarzen Medusen, nicht wahr?“

„Ja natürlich. Und deswegen möchte ich zu gern solch eine Meduse fangen. Ich habe mir gerade darüber den Kopf zerbrochen, wie man das am besten fertigbringt.“

Nisa Krit wandte sich von dem lachenden Biologen ab und sah in das lächelnde Gesicht Erg Noors. „Haben Sie sich ebenfalls Gedanken darüber gemacht, wie man eines dieser schwarzen Ungeheuer fangen könnte?“ fragte sie spöttisch.

„Das nicht, aber über die Untersuchung des Tellerschiffes.“

Das schalkhafte Blitzen in den Augen des Expeditionsleiters ärgerte Nisa ein wenig.

„Jetzt verstehe ich, warum die Männer in früheren Zeiten Krieg führten. Und ich habe immer gedacht, das sei nur eine Prahlerei des männlichen Geschlechts gewesen, das sich stark fühlte in einer unorganisierten Gesellschaft.“

„Ich kann Ihnen nicht ganz recht geben, obschon Sie ein wenig von unserer Psyche in der Vergangenheit erkannt haben. Aber mir geht es nun einmal so: Je schöner und liebenswerter ich meinen Planeten finde, desto mehr möchte ich ihm dienen. Ich möchte Gärten anlegen, Metalle, Energie und Nahrung gewinnen, komponieren; ich möchte etwas leisten und hinterlassen, was ich mit meinen Händen, mit meinem Kopf geschaffen habe. Ich kenne nur den Kosmos, beherrsche nur die Astronautik — damit allein kann ich der Menschheit dienen. Denn das Ziel ist schließlich nicht der Flug selbst, sondern neue Kenntnisse zu gewinnen, fremde Welten zu entdecken, die wir zu ebenso schönen Planeten wie unsere Erde machen. Und Sie, Nisa, was erstreben Sie? Warum reizt auch Sie das Geheimnis des Tellerschiffes? Ist es ausschließlich Neugier?“

In einer jähen Aufwallung überwand das Mädchen die bleierne Müdigkeit und streckte ihre Arme Erg Noor entgegen. Er streichelte sie mit seinen großen Händen. Nisas Wangen röteten sich. Wie seinerzeit vor der gefährlichen Landung schmiegte sie ihre Wange in Erg Noors Hand und verzieh mit dieser Geste gleichzeitig dem Biologen seinen scheinbaren Verrat an der Erde. Um ihre Übereinstimmung mit beiden zu bekräftigen, erzählte sie ihnen ihre Idee. Man solle in einen leeren Wassertank mit ferngesteuertem Deckel ein Gefäß mit frischem Blut (keine medizinische Blutkonserve) als Köder hineinstellen. Das Blut müsse eines der Expeditionsmitglieder spenden. Wenn das schwarze Etwas hineingekrochen und der Deckel zugeklappt sei, müsse in den Tank durch vorher angebrachte Hähne irdisches Gas gepumpt werden, das nur schwer chemische Verbindungen eingeht, und der Deckelrand müsse sicher abgedichtet werden.

Eon war von der Erfindungsgabe des Mädchens begeistert.

Erg Noor konstruierte einen menschenähnlichen Roboter und stellte einen starken elektrohydraulischen Schneidbrenner her, mit dessen Hilfe er in das Innere des unbekannten Tellerschiffes einzudringen hoffte.

In der bereits zur Gewohnheit gewordenen Finsternis flauten die Stürme wieder ab, der Frost wurde von Wärme abgelöst — der neuntägige „Tag“ brach an. Das Umladen der Ionenladungen, einiger Vorräte und wertvoller Instrumente nahm noch vier Erdentage in Anspruch. Erg Noor ließ noch verschiedene persönliche Dinge der umgekommenen Schiffsbesatzung in die „Tantra“ bringen, um sie nach sorgfältiger Desinfektion den Angehörigen auf der Erde zu übergeben. Da sich die Menschen in der Ära des Großen Rings nicht mit Gepäck belasteten, bereitete die Umladung keine Schwierigkeiten.

Am fünften Tage wurde der Hochspannungsstrom abgeschaltet, und der Biologe schloß sich zusammen mit zwei Freiwilligen — Keh Ber und Ingrid — im Beobachtungsturm an der „Parus“ ein. Die schwarzen Wesen tauchten alsbald wieder auf. Der Biologe saß am Infrarotschirm, von dort konnte er die mörderischen riesigen Medusen beobachten. Jetzt kroch eine von ihnen zum Fangbehälter. Sie zog die Fühler ein, rollte sich zu einem Klumpen zusammen und zwängte sich hinein. Plötzlich erschien eine zweite am Rand des Tanks. Die erste streckte die Fühler aus. Sternförmige Funken blitzten unwahrscheinlich schnell hintereinander auf, verwandelten sich in vibrierende dunkelrote Lichtstreifen, die auf dem Bildschirm für unsichtbare Strahlen als grüne Blitze aufzuckten. Die erste Meduse wich zurück, worauf sich die zweite augenblicklich zusammenrollte und auf den Boden des Tanks fallen ließ. Der Biologe griff zum Schalter, doch Keh Ber hielt ihn zurück. Auch das erste Ungeheuer hatte sich jetzt zusammengerollt und folgte dem zweiten in den Tank. Nun befanden sich zwei dieser furchtbaren Medusen im Tank. Wie hatten sie es nur fertiggebracht, ihren Umfang derart zu verringern! Ein Druck auf den Knopf — der Deckel klappte zu, und sofort klebten fünf oder sechs der schwarzen Scheusale rund um den riesigen zirkoniumwandigen Behälter. Der Biologe bat die „Tantra“, den Lichtkorridor einzuschalten. Sofort verschwanden die schwarzen Gespenster, doch zwei von ihnen lagen unter dem schwarzen Deckel des Tanks.

Der Biologe ging zu dem Wassertank, berührte den Deckel — und erhielt einen derart heftigen Schlag, daß er vor Schmerz aufschrie. Sein linker Arm hing gelähmt herunter.

Der Mechaniker Taron zog einen Hochtemperatur-Schutzskaphander an. Nun erst gelang es, den Deckel abzudichten und in den Tank reinen Erdstickstoff zu pressen. Auch die Hähne wurden zugeschweißt. Dann wurde um den Behälter ein Stück von der Reserveverkleidung des Sternschiffes gelegt, und man brachte ihn in die Kollektionskammer. Der Sieg war teuer erkämpft — die Lähmung im Arm des Biologen ging trotz aller Bemühungen der Ärztin nicht zurück. Eon Tal litt sehr, doch dachte er nicht daran, auf die Erkundung des Tellerschiffes zu verzichten.

Das Tellerschiff war von der „Parus“ doch weiter entfernt, als es zuerst den Anschein gehabt hatte. In dem diffusen Scheinwerferlicht hatten sie auch die Ausmaße des Schiffes nicht richtig abschätzen können. Erst beim Näherkommen zeigte sich, wie riesig das Raumschiff war. Mindestens vierhundertfünfzig Meter betrug sein Durchmesser. Von der „Parus“ mußten Kabel abmontiert werden, um den Schutzgürtel bis zum Tellerschiff zu verlängern. Das geheimnisvolle Raumschiff ragte vor den Menschen wie eine lotrechte Wand auf. Pechschwarze Wolken verbargen seinen oberen Teil. Eine malachitfarbene Schicht bedeckt den Rumpf. Sie war stark rissig und etwa einen Meter dick. Durch die Risse blinkte stahlblaues Metall. Auf der der „Parus“ zugewandten Seite des Tellers war eine spiralförmig gedrehte Welle von ungefähr zwanzig Meter Durchmesser und zehn Meter Höhe sichtbar. Die andere, leicht gewölbte Seite, die in tiefem Dunkel lag, bildete gewissermaßen einen mit dem Teller verbundenen Kugelabschnitt von dreißig Meter Dicke. Auch auf dieser Seite ragte eine hohe Spiralwelle aus dem Schiffsrumpf.

Der riesige Teller war tief in den Boden eingesunken. Am Fuße der steil aufragenden Metallwandung erblickten die Menschen einen geschmolzenen Felsblock, der wie zähflüssiges Pech auseinandergelaufen war.

Viele Stunden verbrachten die Forscher mit der Suche nach einem Eingang. Doch entweder war er unter der malachitfarbenen Oxidschicht verborgen oder so kunstvoll verschlossen, daß er von außen nicht erkennbar war. Sie fanden nicht einmal Öffnungen für optische Geräte oder Antriebsdüsen. Der Metallkoloß war wie aus einem Guß. Erg Noor beschloß, den Rumpf des Raumschiffes mit Hilfe des elektrohydraulischen Schneidbrenners zu öffnen, der selbst die härtesten und widerstandsfähigsten Wandungen irdischer Sternschiffe durchstieß. Nach kurzer Beratung kamen die Forscher überein, das Ende der Spiralwelle aufzuschweißen. Man konnte annehmen, daß die Welle ein hohler Gang sei, durch den man in das Schiff gelangen könne, ohne Gefahr zu laufen, auf eine Reihe hintereinanderliegender Schotten zu stoßen.

Die gründliche Untersuchung des Tellerschiffes mußte einer Sonderexpedition vorbehalten bleiben. Bevor sie jedoch auf diesen gefährlichen Planeten entsandt werden konnte, galt es nachzuweisen, daß dieser Gast aus fernen Welten unversehrt Instrumente, Material und Gebrauchsgegenstände jener Wesen in sich barg, die das Raumschiff durch solche grenzenlosen Weiten geführt hatten. Im Vergleich dazu waren die Reisen der irdischen Sternschiffe nur zaghafte kleine Ausflüge in den kosmischen Raum.

Auf der einen Seite reichte die Spiralwelle bis zum Boden. Dorthin schleppten die Forscher einen Scheinwerfer und Hochspannungsleitungen. Das von dem Tellerschiff reflektierte bläuliche Licht zerfloß wie ein matter Nebel über der Ebene und ließ in der Ferne hohe dunkle Erhebungen erkennen, wahrscheinlich Felsen, zwischen denen bodenlose Finsternis herrschte.

Dumpf dröhnend kroch der Geländewagen heran und lud den Universalroboter des Sternschiffes ab. Unempfindlich gegen die dreifache Schwere, bewegte er sich rasch auf das Tellerschiff zu und machte vor der Metallwand halt. Er glich einem dicken Menschen mit kurzen Beinen, langem Rumpf und drohend vorwärtsgestrecktem riesigem Kopf.

Von Erg Noor gesteuert, hob der Roboter mit seinen vier oberen Extremitäten gehorsam den schweren Schneidbrenner und spreizte die Beine, bereit, das gefährliche Vorhaben auszuführen.

„Keh Ber und ich haben Höchstschutzskaphander an. Wir werden den Roboter steuern“, entschied der Expeditionsleiter. „Die anderen in den leichten biologischen Skaphandern gehen ein wenig zurück…“

Erg Noor stockte. Etwas, was seine Energie lähmte, drängte sich in sein Bewußtsein. Ihn erfüllte die stumpfe Ergebenheit eines kraftlos gewordenen Tieres. Völlig in Schweiß gebadet, schritt Erg Noor willenlos auf die schwarzen Felsen zu. Ein Schrei Nisas ließ ihn aufhorchen. Er blieb stehen, doch eine dunkle, unerklärliche Macht trieb ihn wieder vorwärts.

Keh Ber und Eon Tal, die sich am Rande des Lichtkreises befanden, folgten langsam dem Expeditionsleiter. In den Nebelschwaden bei den dunklen Felsen entstand eine Bewegung, die über jedes menschliche Vorstellungsvermögen hinausging und deshalb um so furchteinflößender wirkte. Das waren nicht die bereits bekannten Medusen. Aus dem aschgrauen Dunkel glitt ein schwarzes Kreuz mit breiten Schaufeln und einer konvexen Ellipse in der Mitte. An drei Enden des Kreuzes waren Linsen erkennbar, in denen sich das Schweinwerferlicht spiegelte. Der untere Teil des Kreuzes versank im Dunkel der Bodenvertiefungen.

Erg Noor, der schneller als die anderen ausschritt, stürzte plötzlich etwa hundert Schritt vor dem gespenstischen Kreuz leblos zu Boden. Ehe jemand begreifen konnte, daß es um Leben oder Tod des Expeditionsleiters ging, war das schwarze Kreuz über die Hochspannungsleitung hinausgewachsen und neigte sich wie ein Pflanzenstengel nach vorn, Erg Noor entgegen.

Nisa, der die Wut Riesenkräfte verlieh, stürzte zu dem Roboter und betätigte die Bedienungshebel auf seinem Rücken. Langsam und scheinbar unsicher hob der Roboter den Schneidbrenner. In der Annahme, es verstehe den komplizierten Mechanismus nicht zu bedienen, rannte das Mädchen auf Erg Noor zu, um ihn mit ihrem Körper zu decken. Aus den drei Enden des Kreuzes schossen schlangenförmige Blitze hervor. Mit ausgebreiteten Armen stürzte das Mädchen auf Erg Noor nieder. Zum Glück hatte der Roboter jedoch die trichterförmige Öffnung des Schneidbrenners bereits auf die Mitte des schwarzen Kreuzes gerichtet. Das Untier krümmte sich und verschwand in der undurchdringlichen Finsternis am Felsen, als wäre es rücklings hingestürzt. Erg Noor und seine beiden Gefährten kamen wieder zu sich. Sie hoben das Mädchen auf und trugen es zum Tellerschiff. Die übrigen, die sich inzwischen wieder gefaßt hatten, schleppten ein Ionentriebwerk herbei und improvisierten daraus eine Art Kanone. Mit einer bisher nie gekannten Wut richtete Erg Noor den vernichtenden Feuerstrahl auf die Felsen, wobei er besonders sorgfältig am Boden entlangstrich, bemüht, nicht einen einzigen Quadratmeter auszulassen. Eon Tal kniete bei der unbeweglich liegenden Nisa. Leise rief er sie durchs Helmtelefon an und versuchte ihr Gesicht hinter der Silikollscheibe zu erkennen. Mit geschlossenen Augen lag das Mädchen da wie tot. Durch das Helmtelefon konnte der Biologe keine Atemzüge wahrnehmen.

„Das Ungeheuer hat Nisa getötet!“ rief Eon Tal bitter, als Erg Noor näher trat.

Die Augen des Expeditionsleiters waren durch den schmalen Sehschlitz des Schutzhelmes nicht zu erkennen.

„Bringen Sie sie sofort zu Luma Laswi in die ›Tantra‹, und tun auch Sie Ihr möglichstes, die Art der Verletzung festzustellen!“ Erg Noors Stimme klang seltsam fremd. „Wir übrigen bleiben hier und führen die Untersuchung zu Ende. Die Geologin wird Sie begleiten und unterwegs Proben sämtlicher Gesteinsarten sammeln. Wir können uns nicht länger auf diesem Planeten aufhalten. Hier braucht man Schutzvorrichtungen, wie wir sie nicht haben. Wir setzen nur das Leben der Besatzung aufs Spiel. Nehmen Sie den dritten Wagen, und beeilen Sie sich bitte!“

Erg Noor drehte sich um und schritt auf das Tellerschiff zu. Alle zehn Minuten schaltete der Elektroingenieur den Feuerstrom ein und richtete ihn auf die Felsen. Der Roboter trug den Schneidbrenner zur Spiralwelle; eine ihrer Windungen lag in Brusthöhe vor ihm.

Das laute Krachen war selbst durch die dicken Schutzskaphander zu hören. In der Malachitschicht entstanden Risse. Stücke der festen Masse flogen klirrend gegen den Metallkörper des Roboters. Der Schneidstrahl löste eine Platte aus der Schicht und legte eine körnige, im Scheinwerferlicht glitzernde Fläche von hellblauer Farbe frei. Nachdem ein Quadrat ausgeschnittenwar, groß genug, einen Menschen im Skaphander durchzulassen, ließ Keh Ber den Roboter einen ersten Schnitt in das blaue Metall ziehen, der es aber nicht durchdrang. Der Roboter zog eine zweite Linie im rechten Winkel zur ersten und fuhr mit dem Schneidstrahl auf der Linie hin und her, wobei die Spannung ständig erhöht wurde. Der Einschnitt im Metall war schon über einen Meter tief. Als der mechanische Gehilfe die dritte Linie des Quadrats zog, wichen die Schnittflächen plötzlich auseinander.

„Vorsicht! Alles zurück! Hinlegen!“ schrie Erg Noor, schaltete den Roboter ab und sprang zurück. Das massive Metallstück klappte wie der Deckel einer Konservenbüchse auf, und aus der Öffnung schlug eine grelle regenbogenfarbige Stichflamme hervor, die an der Spiralwelle entlangschoß. Das rettete die Forscher. Das blaue Metall schmolz augenblicklich, und die Öffnung schloß sich wieder. Von dem mächtigen Roboter war nichts übriggeblieben als ein Klumpen zerschmolzenen Metalls, aus dem die kurzen Beine kläglich herausragten. Erg Noor und Keh Ber waren lediglich dank der dicken Skaphander unversehrt geblieben. Der Ausbruch hatte sie von dem seltsamen Raumschiff weit weggeschleudert, die übrigen beiseite gefegt, die „Kanone“ umgeworfen und die Hochspannungskabel zerrissen.

Von der Erschütterung wieder zu sich gekommen, begriffen alle, daß sie jetzt schutzlos waren. Zum Glück befanden sie sich im Lichtstrahl des ganz gebliebenen Scheinwerfers. Niemand war zu Schaden gekommen, doch Erg Noor entschied, die Erforschung abzubrechen. Die Forscher ließen Instrumente, Kabel und Scheinwerfer liegen, setzten sich auf den unbeschädigten Wagen und fuhren eilig zur „Tantra“.

Nur ein glückliches Zusammentreffen verschiedener Umstände hatte die Menschen beim unvorsichtigen Aufschweißen des fremden Raumschiffes gerettet. Ein zweiter Versuch hätte sie wahrscheinlich ins Verderben gestürzt. Was aber war mit Nisa? Erg Noor hoffte, der Skaphander werde die todbringende Kraft des schwarzen Kreuzes geschwächt haben. Den Biologen hatte die Berührung der Medusenfalle ja auch nicht getötet. Aber konnten sie hier, ohne die medizinischen Einrichtungen der Erde, mit den Wirkungen der unbekannten Waffe fertig werden?

In der Luftschleuse der „Tantra“ trat Keh Ber zu dem Expeditionsleiter und zeigte auf dessen linke Schulter. Erg Noor wendete sich zu den Spiegeln um, die in den Schleusen zur obligatorischen Selbstkontrolle bei der Rückkehr angebracht waren. Der dünne Zirkonium-Titan-Panzer des Skaphanders war an der Schulter aufgerissen. Daraus ragte ein Stück blaues Metall hervor, das in das Isolationsfutter gedrungen war, jedoch die innere Skaphanderschicht nicht durchschlagen hatte. Mit Mühe gelang es, den Splitter herauszuziehen. Auf Kosten einer großen Gefahr konnte so wenigstens eine Probe des rätselhaften Metalls vom Tellerschiff mit zur Erde genommen werden. Endlich konnte Erg Noor, von seinem Skaphander befreit, das Schiffsinnere betreten oder besser gesagt — unter der lastenden Schwere des schrecklichen Planeten hineinwanken.

Die Besatzung erwartete ihn mit großer Ungeduld. Die Katastrophe an der Spiralwelle war mit Stereoteleskopen beobachtet worden, jeder Bericht über das Resultat der Untersuchungen erübrigte sich.

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