Simon R. Green Das dunkle Fort

»Es ist das Biest. Es weiß, was uns Angst macht.«

Im Hag gibt es eine Gegend, in der es nie hell wird. Die hohen Bäume greifen ineinander und schirmen das Tagesicht ab, und nichts, was dort lebt, hat je die Sonne gesehen. Kartographen nennen diese Gegend Finsterholz und warnen: Hier gibt es Dämonen.

Vor zehn Jahren dehnte sich das Finsterholz weiter aus, und zum ersten Mal seit ungezählten Jahrhunderten herrschte die lange Nacht über immer weitere Teile des Hags. Aus der Dunkelheit schwärmten Dämonen und entsetzlich verwachsene Gestalten, die alles niedermetzelten, was sich ihnen in den Weg stellte. Sie konnten dann zwar aufgehalten und zurückgeschlagen werden, dies kam aber dem Hag und seinen Einwohnern teuer zu stehen. Die lange Nacht zog sich mit ihren Vasallen hinter die ursprünglichen Grenzen des Finsterholzes zurück.

In das verwüstete Land kehrte langsam Frieden ein, und man machte sich an den Wiederaufbau.

Seit dem Dämonenkrieg sind zehn Jahre vergangen. Allmählich heilen die Wunden im Hag. Im Finsterholz ist es still und leise, und nur wenige Dämonen wagen sich aus der ewigen Nacht hervor. Doch unweit der Grenze liegt in einem Dickicht, das keinen Sonnen- oder Mondenstrahl passieren lässt, ein uraltes Übel, schlafend und in faulen Träumen.

In Stein gekratztes Schweigen

Duncan MacNeil zügelte sein Pferd und schaute hinter sich. Dünne goldene Sonnenstrahlen drangen durch die Baumkronen und das Halbdunkel des Waldes. Dicht an dicht ragten zu beiden Seiten des ausgetrampelten Pfades hohe Bäume auf, deren Zweige voll von üppigem Sommerlaub waren. Die schwüle, warme Luft roch nach Erde, Blättern und Borke. Ein paar Vögel sangen in den Wipfeln und warnten das Wild vor dem Reiter.

MacNeil rutschte ungeduldig im Sattel hin und her. Zwei Wochen schon war er unterwegs. Der Wald hatte für ihn an Reiz verloren, ja, er glaubte, für den Rest seines Lebens auf Bäume durchaus verzichten zu können. Er blickte über den Pfad zurück, doch von seiner Begleitung war noch immer nichts zu sehen. MacNeil senkte die Brauen. Er konnte es nicht leiden, warten zu müssen. Er schaute nach vorn, doch das dichte Gehölz versperrte ihm schon bald die Sicht. Er gab dem Pferd ein Zeichen, im langsamen Schritttempo weiterzugehen. Das Fort an der Grenze konnte nicht mehr weit sein, und es drängte ihn, endlich einen Blick darauf zu werfen.

Das dumpfe, gleichmäßige Schlagen der Hufe tönte in der Stille des Waldes laut und vernehmlich. Die Vögel hörten zu singen auf und das Wild hielt sich in den Schatten ringsum zurück. MacNeil führte die Hand ans Schwert, das an seiner Seite hing, und löste die Klinge in der Scheide. Er traute dem scheinbaren Frieden nicht und wollte kein Risiko eingehen. Sein Blick fiel auf eine Gruppe toter Bäume zur Linken. Sie waren verdreht und hohl, von innen heraus verfault. Über das knorrige, kahle Geäst wucherten Flechten. Auch nach zehn Jahren gab es weiterhin Stellen im Hag, die sich von der langen Nacht immer noch nicht erholt hatten.

Plötzlich gelangte MacNeil an den Rand einer Lichtung. Er hielt das Pferd an und beugte sich vor. Das Licht war so hell, dass er die Augen mit der Hand abschirmen musste. Er schaute und lächelte. Genau in der Mitte der weiten Lichtung stand die Grenzfeste, ein gewaltiges steinernes Bauwerk mit zwei massiven, eisenbeschlagenen Toren. An Stelle von Fenstern wies es nur eine Reihe von schmalen Schießscharten auf. MacNeil sah sich das Fort genauer an. Die zwei Tore waren fest verschlossen und es schien sich dahinter nichts zu rühren. Unter der späten Nachmittagssonne brüteten die dicken Mauern still und rätselhaft vor sich hin.

MacNeil richtete sich im Sattel wieder auf und krauste argwöhnisch die Stirn. Weder an den Toren noch auf der hohen Brustwehr waren Wachposten zu sehen. Da flatterten nirgends Fahnen oder Wimpel und aus keinem der vielen Schornsteine stieg Rauch empor. Falls das Fort besetzt war, machte man sich doch alle Mühe, unbemerkt zu bleiben. MacNeil warf einen Blick über die Schulter zurück. Von den anderen war immer noch nichts zu sehen. Er schaute wieder nach vorn auf das Fort und kniff die Brauen zusammen. Dass er so unvernünftig war und sich so weit von seinen Leuten entfernte, kam nicht häufig vor. Doch vor lauter Neugier erfahren zu wollen, was es mit dem Fort auf sich hatte, konnte er sich nicht länger zurückhalten.

Ein Gewitter zog auf. Er spürte es. Am Horizont quellten dunkle Wolken, und es war schon den ganzen Tag über drückend schwül. MacNeil schaute zum Himmel empor und fluchte leise. Er hatte vorgehabt, das Fort von außen in Augenschein zu nehmen und dann die Nacht im Wald zu verbringen. Nun aber deutete alles darauf hin, dass es draußen sehr ungemütlich werden würde, und er hatte keine Lust, im Nassen zu liegen, wenn es ganz in der Nähe trockene Betten gab. Er und seine Leute hatten schon allzu lange bei schlechtem Wetter im Freien campiert.

Er reckte sich und straffte die Schultern. Nach all der Aufregung bei Hofe, die um die Grenzfeste entstanden war, hatte er sich diesen Außenposten eigentlich beeindruckender vorgestellt. Grund dieser Aufregung war, dass das Fort schon einen Monat lang nichts mehr von sich hatte hören lassen, weder durch Boten noch Brieftauben. Und von den Boten, die der König ausgeschickt hatte, war keiner zurückgekehrt. Alchimisten und Zauberer versuchten, über Gedanken mit dem Fort Kontakt aufzunehmen, doch irgendetwas verhinderte ihren Zugriff. Die Berichte, die ihm vorgetragen wurden, machten dem König immer größere Sorgen, denn das Fort lag an der Grenze zwischen Hagreich und dem benachbarten Herzogtum von Grundland. Der Grenzverlauf war immer schon strittig gewesen, und in dem Wirrwarr, das auf die lange Nacht folgte, hatte Grundland einige Versuche unternommen, den Streit ein für allemal zu seinen Gunsten zu entscheiden. Daraufhin hatte der König von Hagreich das neue Grenzfort bauen lassen, um den Nachbarn vor Übergriffen abzuschrecken, und tatsächlich war dieser Grenzabschnitt plötzlich wieder friedlich geworden. Der Herzog von Grundland hatte mehrere Drohbriefe geschrieben, aber dann doch die Waffen gestreckt. Bis vor einem Monat. Die Hand auf dem Knauf des Schwertes, beobachtete MacNeil das stille Fort. Nichts deutete auf einen Missstand hin; an den dicken Mauern waren keinerlei Schäden zu erkennen, und auch die Lichtung machte einen ungestörten Eindruck.

Seltsam nur, dass sich nirgends irgendwelche Lebenszeichen zeigten. MacNeil wurde nervös. Auch sein Pferd wirkte gereizt.

Beruhigend tätschelte er den Hals des Tieres. Das Fort behielt er unverwandt im Blick.

Duncan MacNeil war ein groß gewachsener, muskulöser Mann Ende zwanzig. Die zerzausten blonden Haare reichten bis zu den Schultern; ein einfaches Stirnband aus Leder sorgte dafür, dass sie nicht ins Gesicht fielen.

Daraus stachen unter einer breiten Stirn zwei blaugraue, aufmerksame Augen hervor. An dem kräftigen Körper war kein Gramm Fett zu viel. Er trainierte fleißig, damit sich daran nichts änderte. Seine Kleidung war schlicht und zweckmäßig und seine lässige Haltung auf dem Rücken des Pferdes ließ erkennen, dass er viel Zeit im Sattel zubrachte. In einer ramponierten Scheide steckte sein Schwert, immer griffbereit.


Schon mit fünfzehn war er unter falscher Altersangabe der Garde beigetreten, vor allem aus Lust am Abenteuer.

Der Dämonenkrieg hatte ihm zwar den Kopf zurecht gerückt, doch tief im Innern konnte er sich nicht damit begnügen, einfach nur seinen Dienst zu tun und Sold dafür zu kassieren. Er brauchte den Nervenkitzel wie die Suppe das Salz, und dass er ständig darauf aus war, brachte ihn immer wieder in Schwierigkeiten und hatte schon einige Male dafür gesorgt, dass er, kaum befördert, wieder degradiert worden war. Nach einem besonders unglücklichen Vorfall und der Verwüstung einer Schankstube — vorausgegangen war seine Beschwerde über verwässertes Bier, die den Wirt zu heftigen Protesten gereizt hatte —, war er von seinen Vorgesetzten vor die Wahl gestellt worden, sich entweder den Rangern anzuschließen oder für den Rest seines Lebens im Steinbruch des Strafgefangenenlagers zu schuften.

Ranger versahen ihren Dienst in kleinen beweglichen Trupps, die als Vorhut größerer Verbände operierten und gefährliches Terrain zu erkunden hatten. Diese kleinen Trupps bestanden aus mutigen, tüchtigen Kämpen, waren aber letztlich entbehrlich. Der Sold war gut, aber MacNeil hätte auch umsonst gedient, was er natürlich nicht laut sagte, weil man ihn womöglich beim Wort genommen hätte. Unter den Rangern fand er so viel Nervenkitzel, wie er brauchte, und noch mehr. Jetzt studierte er das Fort und schmunzelte vor sich hin. Er spürte, vor einer großen Herausforderung zu stehen. Und MacNeil liebte es, herausgefordert zu sein.

Das Schmunzeln verschwand allmählich aus seinem Gesicht. Das Problem mit Herausforderungen bestand häufig darin, dass sie viel Zeit in Anspruch nahmen. Die aber war in seinem Fall begrenzt. Er und seine Gefährten mussten in spätestens drei Tagen herausgefunden haben, was es mit dem Fort auf sich hatte. Danach würde ein Bataillon schwer bewaffneter Gardisten anrücken - mit dem Auftrag, das Fort neu zu besetzen. Wenn sie denen bis dahin nicht den Weg geebnet hätten, würden sie — er und die Gefährten - ernste Konsequenzen zu tragen haben. Womöglich würden Köpfe rollen. Und das nicht nur im übertragenen Sinne.

Aus dem Hintergrund tönte Hufgetrappel - und wenig später tauchte die Hexe namens Constance aus dem Dunkel des Waldes auf. Sie schloss zu MacNeil auf, warf ihm einen kurzen, lächelnden Blick zu und spähte wachen Auges auf die Lichtung und das Fort hinaus. Constance war eine große, hübsche Brünette, die weniger elegant als stolz und entschlossen im Sattel saß. Sie war um die zwanzig, trug über der schicken Bluse und der schwarzen Hose einen wallenden, hellroten Umhang mit goldener Borte. In dieser Aufmachung gab sie, wie MacNeil fand, eine gute Zielscheibe ab, weshalb es ihn ganz flatterig machte, an ihrer Seite zu reiten. Ihr Gesicht wirkte mager, aber sinnlich; den strahlenden Augen entging nichts. Zwei Kämme aus Elfenbein zähmten ihre lange, nachtschwarze Mähne. Sie war für MacNeils Geschmack ein wenig zu dünn, bewegte sich aber mit großer Anmut, und ihr Lächeln war hinreißend.

MacNeil wusste immer noch nicht so recht, was er von Constance halten sollte. Sie war dem Trupp erst vor zwei Wochen zugeteilt worden und hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich auszuzeichnen. Wenn sie nur halb so tüchtig wäre, wie sie zu sein behauptete, würde sie es verdienen, beachtet zu werden. MacNeil zweifelte daran. Constance war für die Hexe Salamander, die fast auf den Tag genau vor drei Monaten das Zeitliche gesegnet hatte, in die Gruppe gekommen.

Salamander war - auf ihre Art - eine ziemlich gute Hexe gewesen, hatte sich aber nicht nur auf ihre Zauberkünste verlassen, sondern immer auch als Schwertkämpferin behaupten wollen, was ihr am Ende zum Verhängnis geworden war. Sie hatte ihr Schwert gezogen, obwohl sie besser einen Bannstrahl von sich geschleudert hätte, und so war ihr der Bandit mit seiner Axt um einen Wimpernschlag zuvorgekommen. Sie hatte eine tiefe Wunde davongetragen, die sich bald entzündete. Fiebernd und nach ihrem Mann rufend, der schon fünf Jahre lang tot war, starb sie in" einer verlausten Dorfschänke.

MacNeil brachte den Banditen wenig später zur Strecke, was ihn aber auch nicht trösten konnte. Er hatte seinen Trupp in das Dorf geführt und behauptet, dass es sicher sei.

Es war gar nicht so leicht gewesen, einen Ersatz für Salamander zu finden. Jeder Rangertrupp musste ein Mitglied in seinen Reihen führen, das über Zauberkräfte verfügte. Denn im Wald lauerten noch allzu viele magische Wesen und Umstände, zurückgeblieben aus der Zeit des Dämonenkrieges. Diesem Krieg waren unglücklicherweise auch die meisten Zauberer des Königreiches zum Opfer gefallen, sodass MacNeil mit Hexen vorlieb nehmen musste - zuerst mit Salamander, dann mit Constance.

Dass er Constance gewählt hätte, ließ sich allerdings so nicht sagen. In Wahrheit war er dermaßen lange unschlüssig gewesen, dass seine Vorgesetzten die Geduld verloren und ihm die Wahl abgenommen hatten.

Constance war sehr viel jünger, als er angenommen hatte, aber da sie in der Akademie der Mondschwestern ausgebildet worden war, hatte er keinerlei Zweifel an ihren Zauberkräften. Aus der Schwesternschaft waren bislang nur überaus tüchtige Hexen hervorgegangen. Entweder schaffte eine Schülerin die Abschlussprüfung mit Bravour, oder aber sie endete in einem anonymen Grab, nachdem man ihren Namen aus allen Listen getilgt hatte.

MacNeil nickte der Hexe höflich zu und sagte: »Wir sind angekommen, Constance. Das ist die Feste, die für so viel Unruhe gesorgt hat.«

»Sieht ziemlich schäbig aus«, meinte sie. »Hat sich schon jemand blicken lassen?«

»Noch nicht. Sobald die anderen nachgekommen sind, schauen wir uns die Anlage aus der Nähe an. Mal sehen, ob sie überhaupt noch bewohnbar ist.«

Constance warf ihm einen Blick zu. »Willst du etwa da die Nacht verbringen?«

MacNeil zuckte mit den Achseln. »Es zieht ein Gewitter auf, und wenn mich nicht alles täuscht, wird's mächtig stürmen. Du kannst ja draußen schlafen, wenn's dir lieber ist. Ich hätte allerdings zur Abwechslung gern mal ein festes Dach überm Kopf. Du bist noch nicht lange im Einsatz, Constance. Als Erstes solltest du lernen, Annehmlichkeiten dankbar in Anspruch zu nehmen, wo immer sie sich bieten. Denn unsereins kommt nur selten in ihren Genuss. Bis es dunkel wird, bleibt uns noch genügend Zeit, das Fort gründlich zu inspizieren.«

Constance schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Sergeant, ich glaube…«

»Constance«, sagte MacNeil in freundlichem Ton, »unser Trupp hat nur einen Anführer, und das bin ich. Ich habe mir für dich Zeit genommen und dir meine Gründe dargelegt, weil du neu bei uns und zum ersten Mal im Einsatz bist. Immer werde ich das nicht tun. Wenn ich etwas befehle, erwarte ich, dass entsprechend gehandelt wird, und zwar widerspruchslos. Ist das klar?«

»Vollkommen«, antwortete Constance kühl. Sie wandte sich von ihm ab und musterte das Fort mit großer Aufmerksamkeit. »Ich nehme an, du wirst schon bemerkt haben, dass auf der Brustwehr keine Wachposten stehen.«

»Ja.«

»Ob sie alle fahnenflüchtig sind?«

MacNeil zuckte mit den Schultern. »Möglich. Aber was könnte dann mit den vielen Boten passiert sein, die der König ausgeschickt hat?«

Constance schürzte die Lippen und tat nachdenklich. Sie wollte MacNeil beeindrucken, konnte aber auf die große Distanz zu dem anscheinend verlassenen Fort nichts erkennen, was ihnen weitergeholfen hätte. Sie musste noch lernen, ihr Zweites Gesicht zu gebrauchen, jene magische Mischung aus Voraussicht und Einsicht, was ihr jedoch Schwierigkeiten bereitete. Die ließen sich leider nur durch Erfahrung überwinden, weshalb man sie in einen Rangertrupp gesteckt hatte. Dort würde sie am schnellsten von einer Hexe zur Zaubermeisterin aufsteigen können. Wenn sie denn überlebte.

Sie hörte Geräusche im Rücken, drehte sich um und sah die anderen aus den Schatten des Waldes auftauchen.

Flint und der Tänzer lenkten ihre Pferde über den krummen Pfad. Beide waren sehr gewandt und zeigten sich völlig entspannt.

Jessica Flint war eine gut aussehende Brünette Ende zwanzig. Sie trug ihr Haar kurz geschnitten wie ein Mann und hätte eine rundliche Figur gehabt, wenn sie weniger muskulös gewesen wäre. Sie war eine tüchtige Schwertkämpferin und sah auch so aus. Das lange ramponierte Kettenhemd ließ die Arme ungeschützt. Bluse und Leggins waren alt, aber gepflegt. Immer zeigte sie ein offenes, heiteres Gesicht, selbst wenn sie kämpfte, was nicht selten der Fall war. Sie zählte zu den wenigen, die die letzte große Schlacht des Dämonenkrieges vor den Mauern der Hagburg überlebt hatten. Davon zeugten noch etliche Narben und der Umstand, dass ihrer linken Hand zwei Finger fehlten. Ihr Schwert steckte in einer langen, geschwungenen Scheide, die mit feinem Silberschmuck beschlagen und kostbarer war als Schwert und Pferd zusammengenommen. Flint konnte mit Recht sehr stolz darauf sein.

Giles der Tänzer ritt an ihrer Seite — wie immer. Unauffällig gekleidet und ohne Harnisch, war er schlank von Gestalt und mittelgroß. Sein ebenmäßiges Gesicht hatte kaum markante, individuelle Züge. In einer größeren Menschenmenge bliebe er unbemerkt. Er war ein Schwertmeister, ein Mann, der so vollkommen zu fechten gelernt hatte, dass er mit einem Schwert in der Hand kaum zu bezwingen war. Schwertmeister hatte es auch schon vor dem Dämonenkrieg nur wenige gegeben; inzwischen, so hieß es, gab es im ganzen Hag nur zwei von ihnen, und der Tänzer war einer der beiden. Er verhielt sich immer sehr still und höflich, und sein Blick war flüchtig und scheu. Keiner wusste genau, wie viele Männer er schon getötet hatte; man munkelte, dass er sich selbst nicht mehr erinnerte. Er und Flint waren Partner seit sie dem Trupp von MacNeil angehörten. Sie standen in dem Ruf, jeden Job zu Ende zu bringen, koste es, was es wolle. Die beiden waren nicht durchweg beliebt, aber Respekt wurde ihnen überall entgegengebracht. Sie waren nunmehr schon fast sieben Jahre mit MacNeil zusammen, nicht zuletzt deshalb, weil er der Einzige war, der sie halbwegs unter Kontrolle halten konnte. Sie respektierten ihn. Meistens.

An Flint gewandt, sagte der Tänzer, als sie auf die beiden anderen zuritten: »Wir müssten bald da sein, oder, Jessica?«

»Ja«, antwortete Flint geduldig. »Weshalb hast du es so eilig? Bislang sind alle, die sich dem Fort genähert haben, spurlos von der Bildoberfläche verschwunden.«

»Das waren Stümper«, sagte der Tänzer. »Wir sind besser.«

»Du wirst immer selbstgefälliger«, entgegnete Flint. »Eines Tages gerätst du noch an jemanden, der tatsächlich so gut mit dem Schwert umgehen kann, wie du's zu können meinst, und dann bin ich womöglich nicht zur Stelle, um den anderen hinterrücks abzustechen und dich zu retten.«

»Dazu wird's nie und nimmer kommen«, sagte der Tänzer.

Flint schnaubte verächtlich.

»Ich kann kaum erwarten, mich im Fort umzusehen«, begann der Tänzer. »Ein Geheimnis zu lüften kommt mir als Abwechslung sehr gelegen. Ein verlassenes Fort, entlegen, den Elementen preisgegeben… Da läuft's einem doch kalt den Rücken runter. Was meinst du?«

»Du hast wieder diesen albernen Bänkelsängern zu lange zugehört«, schimpfte Flint.

»Was kann ich dafür, dass ich tief im Innern so romantisch bin?«

»Du bist krank, wenn du mich fragst. Aber jammere mir nichts vor, wenn du wieder mal Albträume hast. Du weißt selbst, wie sehr dir diese Schauergeschichten nachhängen.« Flint blickte nach vorn auf Constance, die neben MacNeil am Ende des Pfades geduldig wartete. »Giles«, fragte sie, »was hältst du eigentlich von unserer neuen Hexe?«

»Sie macht einen ganz tüchtigen Eindruck.«

»Ist aber noch grün hinter den Ohren. Sie hat noch nie bei einer richtigen Mission mitgemacht. Wer weiß, wie sie unter Druck reagiert.«

»Sie wird sich schon eingewöhnen. Gib ihr Zeit.«

»Ein echter Ersatz für Salamander ist sie jedenfalls nicht. Die kannte sich aus.«

Der Tänzer schaute Flint schmunzelnd an. »Du konntest Salamander doch nicht ausstehen. Gib's zu.«

»Ich hab sie nicht besonders gut leiden mögen, zugegeben, aber sie hatte ihre Stärken. Wir haben hier eine gefährliche Mission zu erfüllen. Da stört eine neue, unerfahrene Hexe doch nur. Wenn sie Mist macht, geht's uns womöglich allen an den Kragen.«

»Wenn's heute Nacht gewittert, wird sie vielleicht vom Blitz erschlagen«, antwortete der Tänzer. »Du machst dir viel zu viele Gedanken, Jessica.«

»Und du machst dir zu wenige.«

»Du denkst ja für mich mit.«

»Das muss ich wohl«, sagte Flint.

Schweigend ritten sie auf MacNeil zu. »Gibt's was Besonderes zu melden?«, fragte der.

»Nein«, antwortete Flint. »Wir sind noch mal ein kurzes Stück zurückgeritten, für den Fall, dass uns jemand folgt, aber dem ist nicht so. Tatsächlich sind wir schon seit Tagen keiner Menschenseele mehr begegnet. Der Wald scheint hier in dieser Gegend ganz und gar verlassen zu sein. Da ist nirgends eine Siedlung oder ein Gehöft.«

»Kein Wunder. Wir sind ja auch ganz in der Nähe der Grenze zum Finsterholz«, erklärte MacNeil.

»Aber da rührt sich so bald nichts mehr«, meinte der Tänzer. »Nicht zu unseren Lebzeiten.«

»Das ist nicht gesagt«, entgegnete Flint.

»Nein«, bestätigte Constance.

MacNeil schaute die Hexe an. Sie starrte mit düsterem Blick auf die Lichtung hinaus.

»Was ist los?«, fragte MacNeil leise. »Siehst du was?«

»Ich bin nicht sicher«, antwortete Constance. »Aber mir scheint, das Fort…«

»Was ist damit?«

»Tief in der Erde hat es früher Riesen gegeben«, flüsterte sie. Dann erschauerte sie merklich, schaute weg und schlang den Umhang fester um sich. »Mir gefällt's hier nicht.«

MacNeil runzelte die Stirn. »Siehst du was… Bestimmtes?«

»Nein. Meine Sicht ist hier verschwommen. Aber ich habe in den vergangenen drei Nächten von diesem Fort geträumt. Es waren schreckliche Träume, und jetzt, da ich vor Ort bin… Diese Lichtung ist kalt, Duncan. Kalt wie ein Grab. Und das Fort ist finster. Es fühlt sich alt an, uralt.«

MacNeil schüttelte den Kopf. »Mir scheint, dir geraten Gefühle und magische Eingebungen durcheinander.

Dieses Fort ist nicht alt. Es wurde vor nicht mehr als vier oder fünf Jahren gebaut. Und etwas anderes hat's hier vorher nicht gegeben.«

»Aber da ist etwas«, sagte Constance. »Und das schon seit langem…« Ihre Stimme wurde immer dünner.

Flint und der Tänzer sahen einander an. Sie sagten nichts, verstanden sich auch ohne Worte. MacNeil wusste, was ihnen durch den Kopf ging. Eine solche Aussage aus dem Munde Salamanders wäre ernst genommen worden. Sie hatte das Zweite Gesicht, und wenn sie einen Ort für gefährlich hielt, dann war er es auch. Punkt.

Doch diese neue Hexe… ihre Fähigkeiten waren noch nicht wirklich auf die Probe gestellt worden, und bevor sie sich nicht bewährt hatte, würde keine ihre Warnungen ernst nehmen. Constance schaute MacNeil an und erwartete eine Antwort.

»Indem wir hier stehen bleiben und Maulaffen feilhalten, werden wir über das Fort nichts in Erfahrung bringen«, sagte er in gewollt ruhigem Tonfall. »Sehen wir uns innerhalb der Mauern um, und wir werden bald wissen, ob es möglich ist, die Nacht dort zu verbringen.«

Er gab seinem Pferd die Sporen und lenkte es auf die Lichtung hinaus. Flint und der Tänzer folgten; ganz zum Schluss setzte sich auch Constance in Bewegung. Sie hatte die Lippen fest aufeinander gepresst. Ihr Blick wirkte sehr kalt.

Als er aus der Deckung der Bäume heraustrat, spannte MacNeil unwillkürlich die Muskeln an. Es hatte sich zwar noch keine Gefahr gezeigt, doch nach so langer Zeit im Wald fühlte er sich auf freier Flur entblößt und verwundbar. Die Lichtung hatte einen Durchmesser von gut einer halben Meile, war kreisrund und wie mit Axt und Säge aus dem Wald herausgeschnitten worden. MacNeil schaute sich argwöhnisch nach allen Seiten hin um.

Nirgends bewegte sich etwas, und es war verdächtig still auf der Lichtung. Da sang kein einziger Vögel, und es summten nicht einmal Insekten. Erst jetzt gewahrte er, dass schon den ganzen Tag über eine ungewöhnliche Stille im Wald geherrscht hatte. Es war kein Wild und kein Vögel zu entdecken gewesen. Vielleicht hatten sich alle Tiere vor dem heraufziehenden Gewittersturm ins Unterholz verzogen. Jetzt war nur das Getrappel der Pferdehufe zu hören; es tönte laut in der Stille, und MacNeil drängte sich zunehmend der Verdacht auf, beobachtet zu werden.

Sie näherten sich dem Fort. Die hohen Mauern schimmerten gelblich und fahl; das natürliche Weiß der Bruchsteine war durch Sonne, Wind und Regen verfärbt worden. Die Schießscharten waren leer, die Wehrgänge verlassen und das große Doppeltor fest verschlossen, gerade so, als würde das Fort belagert. MacNeil blickte suchend über das Gras der Lichtung. Es gab keine Spuren, die darauf hingewiesen hätten, dass jemand vor kurzem hier gewesen war. Anscheinend war von den ausgeschickten Boten keiner so weit gekommen. Dieser Waldabschnitt war berühmt und berüchtigt für seine vielen Wegelagerer und Banditen.

Zwar wurden die wichtigen Verbindungswege streng bewacht, doch auf den Nebenstrecken gingen einzelne Reisende ein hohes Risiko ein. Räuber, Meuchler und Gauner aller Art hatten in den Nach-kriegswirren diese Gegend zu ihrer Domäne gemacht. Etliche gefürchtete Banden wie die von Jimmy Klumpfuß oder Ketten-Kaal hatte man gejagt und zur Strecke gebracht, doch nun trieben deren Nachfolger ihr Unwesen. Der Wald zog aber beileibe nicht nur böse Menschen an; es gab auch solche wie Tom von der Heide, der sich verirrter Wanderer annahm, oder Vogelscheuchen-Jack, den verrückten Kauz, der sich selbst als Baumbeschützer bezeichnete und an arme Leute verteilte, was er den Reichen und Fetten, die sein Revier passierten, abgenommen hatte. Dennoch war der Wald sehr gefährlich und die Boten des Königs hatten ebenso viel zu befürchten wie jeder andere, der allein unterwegs war.

Kopfschüttelnd blickte MacNeil auf die Grenzfeste. Er wollte endlich Bescheid wissen und war überzeugt davon, dass er hinter den Mauern seine Fragen beantwortet finden würde. Er blickte zur Sonne auf, die sich auf die Baumwipfel senkte. In spätestens zwei Stunden würde es dunkel sein. Zur Lösung der Rätsel um das Fort blieb ihm nicht allzu viel Zeit. In drei Tagen würde das Bataillon eintreffen. Bis dahin musste Klarheit geschaffen sein. MacNeil seufzte. Das hatte man davon, der Beste zu sein, dachte er. Es wurde von einem nicht nur Unmögliches verlangt, sondern das auch noch nach festgelegtem Zeitplan.

Vor dem Haupttor angekommen, zügelte er sein Pferd und wartete darauf, dass die anderen aufrückten. Still lag das Fort vor ihnen. Der gelbe Stein spiegelte die letzten Sonnenstrahlen. MacNeil starrte mit unguten Gefühlen auf das verrammelte Tor. Kein Lüftchen regte sich und die Stille zerrte an seinen Nerven. Es schien, als wartete das Fort ab, was er zu tun gedachte, um ihm sein Geheimnis abzuringen. Er richtete sich kerzengerade im Sattel auf, holte tief Luft und rief mit lauter Stimme: »Hallo! Hier ist der Ranger Sergeant Duncan MacNeil. Im Namen des Königs, öffnet das Tor!«

Eine Antwort blieb aus. Zu hören war nur das verhaltene Gewieher eines der Pferde.

»Du hast doch nicht erwartet, dass sich jemand meldet, oder?«, fragte Constance.

»Nein, nicht wirklich«, antwortete er. »Aber es gehört sich wohl, dass man erst einmal anfragt. Manchmal hat man sogar Erfolg damit.«

»Diesmal aber nicht.«

»So sieht's aus. Flint…«

»Ja, was ist?«

»Versuch doch mal, das Tor zu öffnen.«

»Zu Befehl.« Flint stieg aus dem Sattel und reichte dem Tänzer die Zügel ihres Pferdes, der sie lose um den linken Arm wickelte. Langsam ging Flint auf das Tor zu, um es sich aus der Nähe anzusehen, und zog die Waffe, einen Krummsäbel mit blitzblank polierter Klinge. Groß und unheimlich ragte das Tor vor ihr auf. Sie musterte das dunkle, mit Eisenbeschlägen verstärkte Holz genau, streckte die Linke aus und rüttelte kräftig an beiden Flügeln, die aber keinen Deut nachgaben. Daraufhin hämmerte sie mit der Faust dagegen, wuchtig und laut. Als das Pochen verhallt war, sah sie sich nach MacNeil um.

»Fest verrammelt, wie's scheint.«

»Wer hätte das gedacht«, sagte Constance. »Lasst mich mal.«

Plötzlich umwirbelte die vier ein scharfer Windschwall, und es wurde merklich kühler. Die Pferde warfen unruhig die Köpfe auf und ab. MacNeil flüsterte seinem Hengst ein paar beruhigende Worte ins Ohr und fasste die Zügel enger. Wie mit unsichtbaren Schwingen wühlte Zauberei die Luft auf und die schweren Holzflügel knarrten und quietschten. Sie zitterten sichtlich, als würde sich jemand von hinten dagegenwerfen. Und dann war zu hören, wie Metall über Metall kratzte; die schweren Riegel rutschten in der Führung zurück, worauf sich mit scharfen Klicklauten die Zuhaltungen im Schloss bewegten. Während Constance ein zitterndes Seufzen vernehmen ließ, öffneten sich die beiden Torflügel vor einem offenen, leeren Innenhof. Die Hexe schmunzelte triumphierend. Sofort legte sich der Wind wieder, doch es blieb unnatürlich kalt, trotz der hellen Sonnenstrahlen.

Constance bedachte MacNeil mit herausforderndem Blick und verbeugte sich höflich.

»Nicht schlecht, Constance. Aber Salamander hätte nur halb so lange dafür gebraucht.«

»Ihr drei tut so, als wäre diese Salamander die größte Hexe gewesen, die es je gegeben hat.«

»Sie war sehr gut in ihrem Job«, sagte MacNeil.

»Und warum ist sie dann jetzt tot?«

»Sie hatte Pech«, antwortete Flint. »Davor ist niemand gefeit.« Sie ging zu ihrem Pferd zurück und ließ sich von Giles die Zügel geben.

Danke, Jessica, dachte MacNeil. Nur gut, dass du so geschickt vermitteln kannst.

Flint sah ihn ruhig an. »Fertig zur Inspektion?« »Na klar«, antwortete MacNeil. »Reite du voraus.« Sie nickte und führte ihr Pferd in den Innenhof. MacNeil und der Tänzer gaben ihr Flankenschutz; Constance folgte zum Schluss. Die weite gepflasterte Fläche war vollkommen leer. Die dunklen Fenster in den Mauern ringsum sahen aus wie die Höhlen geblendeter Augen. Der Tänzer griff zum Schwert. MacNeil tat es ihm gleich, und das raue Flüstern der aus der Scheide gezogenen Klinge verhieß Blut, Schrecken und plötzlichen Tod. Das Geräusch hallte scheinbar unaufhörlich durch den leeren Innenhof, als weigerte es sich zu verstummen. MacNeil schaute auf das Schwert des Tänzers und nicht zum ersten Mal sträubten sich ihm dabei die Nackenhaare. Dessen Klinge war lang, breit und zweischneidig. So völlig ohne Schmuck oder Verzierung war es das einfache, brutale Mordwerkzeug, als das es von Giles auch gehandhabt wurde. MacNeil dagegen trug ein langes schlankes Schwert und er brachte sowohl Schneide als auch Spitze zum Einsatz - nach den Regeln der Fechtkunst und nicht wie ein Schlächter, worauf er Wert legte.

Er sah sich um und betrat den Hof. Das Gefühl, beobachtet zu werden, wurde noch stärker. MacNeil kniff die Brauen zusammen. Die Szenerie gefiel ihm ganz und gar nicht. Wo zum Teufel steckten die Soldaten? Die Tore waren von innen verriegelt und zugesperrt; es musste jemand hier sein… irgendwo… MacNeil erschauerte plötzlich. Da ging wohl gerade ein Gespenst über mein Grab, dachte er, doch zum Scherzen war ihm eigentlich ganz und gar nicht zumute. Auf einer Ebene, die so tief war, dass er sie nicht auszuloten wusste, überschattete eine uralte Angst seine Gedanken. Er blickte zu den dunklen Fenstern auf und empfand ein Zittern in der Seele, ein nacktes Entsetzen wie seit Jahren nicht mehr, nicht mehr, seit er sich damals in der langen Nacht einer Horde von Dämonen gegenüber gesehen und gewusst hatte, dass er ihnen nicht widerstehen konnte…

MacNeil schüttelte den Kopf, um ihn frei zu bekommen. Es galt einen Auftrag zu erfüllen. Er lenkte sein Pferd an den Rand, stieg aus dem Sattel und wickelte die Zügel um eine Holzstange. Die anderen ließen nicht lange auf sich warten. MacNeil schaute auf die verschiedenen Tore, um sich zu orientieren. Ein Fort ist wie jedes andere -

und bald hatte er den Haupteingang ausgemacht. Die Pforte lag dem Tor zum Innenhof genau gegenüber und stand einen Spaltbreit offen. Dahinter war nichts als undurchdringliche Dunkelheit zu erkennen. MacNeil ging auf den Eingang zu, blieb aber auf halbem Weg stehen und schaute sich um. Ihm war, als hätte er etwas gehört. Er lauschte angestrengt, doch da war nur das Sausen des auffrischenden Windes vor den Außenmauern.

MacNeil runzelte die Stirn, als ihm auffiel, dass viele der Fenster, die zum Innenhof hinauswiesen, die Schlagläden vorgezogen hatten. Verrückt, dachte er; es wird dahinter heiß sein wie in einem Ofen. Das Wort verrückt ging ihm wie ein Echo durch den Kopf. Um davon loszukommen, konzentrierte er sich auf das, was er sah. Die Ställe lagen zur Rechten, die Mannschaftsquartiere zur Linken. Auch deren Eingangstore standen ein Stück offen. Er bemerkte, dass Constance neben ihn getreten war und nervöse Blicke um sich warf, als suchte sie nach einer sicheren Zuflucht.

»Du hast gesagt, das Fort sei neu«, sagte sie plötzlich, ohne ihn anzusehen. »Weißt du, warum man es an dieser Stelle erbaut hat? Hat diese Lage eine Besonderheit, von der ich etwas wissen sollte?«

»Du weißt das meiste schon«, antwortete MacNeil. »Die Grenze zwischen unserem Königreich und Grundland verläuft genau durch die Mitte dieser Lichtung. Das Fort soll diesen Abschnitt sichern, was ihm ja bislang auch gelungen ist.«

Constance krauste die Stirn. »Soviel ich weiß, hat Grundland an Zauberkunst nicht viel zu bieten. Ein Fort dieser Größe auszuschalten liegt jenseits seiner Möglichkeiten.«

MacNeil betrachtete sie mit nachdenklicher Miene. »Spürst du was? Irgendeinen Zauber oder unmittelbare Gefahr?«

Constance schloss die Augen und zog sich auf ihr Zweites Gesicht zurück. Durch das geöffnete innere Auge kamen ihr nun Bilder und Empfindungen zu. Das Fort war kalt und leer wie ein verlassener Sarg, und doch schien es etwas zu behausen… etwas Schreckliches. Sie sammelte sich, versuchte, Einzelheiten aufzuspüren, konnte aber Genaues nicht erkennen. Fest stand nur, dass in nächster Nähe Gefahr lauerte. Constance fühlte eine große Macht wirken, und sie spürte Unheil. Ein klopfender Schmerz machte sich in ihrer Stirn bemerkbar; die Eindrücke verwischten. Seufzend schlug sie die Augen wieder auf. Wie immer nach solchen Gesichten fühlte sie sich ausgelaugt und müde. Trotzdem gab sie mit ruhiger, sicherer Stimme Auskunft. Sie wollte nicht für schwächlich gehalten werden und MacNeil eines Besseren belehren, der offenbar meinte, dass sie kein angemessener Ersatz für Salamander sei.

»Sergeant, da ist was, aber ich kann mir kein genaues Bild davon machen. Es hat auf jeden Fall magische Wirkung, ist sehr mächtig und sehr alt. Mehr weiß ich darüber noch nicht zu sagen.«

Etwas Altes, dachte MacNeil; es ist nun schon das zweite Mal, dass sie in diesem Zusammenhang das Wort alt gebraucht, obwohl sie weiß, dass das Fort erst vor wenigen Jahren gebaut wurde.

»Also gut«, sagte er. »Wenn wir hier die Nacht verbringen wollen, müssen wir einen möglichst geschützten Winkel finden. Flint, Giles, seht euch in den Ställen um und kümmert euch um die Pferde. Constance, du kommst mit mir. Wir schauen uns die Quartiere an.«

Flint und der Tänzer nickten und zogen in Richtung Ställe ab. MacNeil wandte sich dem gegenüberliegenden Gebäude zu. Constance eilte ihm nach. Sie wollte keinen Augenblick allein sein. Die Stille machte ihr zu schaffen, und das Bild, das sie im Geiste erschaut hatte, verunsicherte sie zutiefst, zumal sich ihr das Gefühl aufdrängte, dass sie auf diesem Bild sehr viel mehr hätte erkennen müssen.

MacNeil bemerkte, wie eilig sie es hatte, zu ihm aufzuschließen. Auch er war froh, in Begleitung zu sein. Vor der Tür zu den Unterkünften hielt er an. Wie all die anderen Türen, die er vom Hof aus gesehen hatte, war auch diese ein Stück geöffnet. MacNeil spitzte die Lippen und dachte nach, konnte sich aber auf seine Beobachtung keinen Reim machen. Vorsichtig stieß er mit der Stiefelspitze gegen die Tür, die widerstandslos aufschwang.

Das Schwert gepackt, trat er ins dunkle Innere.

Durch den Ausschnitt der Tür und die zugezogenen Schlagläden sickerte Licht. Schnell bewegte sich MacNeil von der Tür weg. Seine Silhouette vor dem hellen Hintergrund hätte eine allzu gute Zielscheibe abgegeben. Er zog Constance an seine Seite und wartete, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Dann sah er auf allen Oberflächen eine dicke Staubschicht liegen. Staubflocken schwebten in den dünnen Lichtstrahlen. Die Luft war feucht und roch muffig. Wie in einem Mausoleum, dachte er und fragte sich, wie er wohl auf diesen Vergleich gekommen war. In der Mitte des Raumes zwischen zwei Reihen von Pritschen lag umgekippt ein Stuhl, auf dem dunkle Flecken zu sehen waren. MacNeil hörte Constance zischend Luft holen und plötzlich ging ein strahlendes Leuchten durch den Raum, als die Hexe den rechten Arm über den Kopf hob.

MacNeil fluchte vor Schreck und schirmte mit der freien Hand die Augen ab.

»Das nächste Mal will ich vorgewarnt sein.«

»Entschuldige«, sagte Constance atemlos. »Aber sieh dir den Stuhl an, Duncan, sieh nur…«

Die dunklen Flecken waren Blut - altes, vertrocknetes Blut. MacNeil senkte die Hand und sah sich schnell um.

Es gab insgesamt fünfzig Pritschen, die in zwei exakt ausgerichteten Reihen an den Wänden standen. Auf jeder Matratze lag eine zerwühlte, blutverschmierte Decke.

»Mein Gott«, flüsterte Constance. »Was um alles in der Welt ist hier geschehen?«

MacNeil schüttelte den Kopf. Er brachte kein Wort über die Lippen. Im silbernen Licht, das aus der erhobenen Hand der Hexe leuchtete, waren dunkelrote Spritzer an den Wänden, dem Fußoden und der Decke zu sehen. Man hätte meinen können, in einen verlassenen Schlachthof geraten zu sein. Die Laken auf den Matratzen waren ausnahmslos zerfetzt, anscheinend von Schwertern oder Äxten. Zwei Pritschen waren regelrecht zu Kleinholz verarbeitet worden. Überall lagen Splitter; in den Wänden staken dicke Späne, als wären sie dort hineingehämmert worden.

Vorsichtig bewegte sich MacNeil durch den Raum. Constance blieb bei der Tür und leuchtete mit silbrig strahlender Hand. MacNeil stocherte mit der Schwertspitze in einer der Pritschen. Er fühlte sich seltsam benommen, konnte nicht fassen, was er da sah. Blut, Gewalt und Tod waren ihm gewiss nicht fremd, doch der Anblick dieser leeren, blutdurchtränkten Betten hatte etwas Entsetzliches. Was war das bloß für ein Ungeheuer, das fünfzig Soldaten massakriert und deren Leichen dann weggeschafft hatte, ohne eine eigene Spur zu hinterlassen? Eine solche Gräueltat hatte er seit dem Dämonenkrieg nicht gesehen. Und es gab im Hag keine Dämonen mehr. MacNeil ging neben einer der Pritschen in die Hocke und warf einen Blick auf den Boden darunter, sah aber nichts als Staub und noch mehr eingetrocknetes Blut.

So viel Blut…

Er richtete sich auf und blickte zurück auf die Hexe neben dem Eingang. »Constance.«

»Ja?«

»Was siehst du hier?«

Die Hexe schloss die Augen und öffnete ihr Zweites Gesicht. Schlagartig verschwand das Licht aus ihrer Hand.

Überrascht von plötzlicher Dunkelheit, klammerte MacNeil die Hand noch fester um den Schwertgriff. Er starrte vor sich hin und lauschte angestrengt, gefasst darauf, dass sich jemand heranschleichen würde. Doch es blieb still. Allmählich stellten sich seine Augen auf die spärlichen Lichtverhältnisse um und er konnte Constances Umrisse neben der offenen Tür ausmachen. Er sah, wie sie den Blick auf ihn richtete, und hörte sie seufzen.

»Tut mir Leid«, sagte sie. »Aber ich kann nichts erkennen. Da müsste was zu sehen sein, aber es bleibt mir verborgen. Irgendetwas hier im Fort verstellt mir die magische Sicht.«

MacNeil legte die Stirn in Falten. »Vielleicht ist's ein ganz natürlicher blinder Fleck.«

»Ich weiß nicht. Hast du noch nicht bemerkt, wie kalt es hier ist?«

»Kein Wunder hinter so dicken Mauern, wo kein Sonnenstrahl nach innen dringt.«

»Daran liegt's nicht allein«, entgegnete die Hexe.

Erst jetzt fiel MacNeil auf, dass die ausgestoßene Atemluft vor den Lippen dampfte, und die Finger waren so durchfroren, dass er das in der Hand gehaltene Schwert nicht mehr spürte. So langsam war ihm die Kälte in die Glieder gefahren, dass er davon nichts gemerkt hatte.

»Vielleicht sollten wir lieber wieder nach draußen gehen«, sagte er. Mit erhobenem Schwert wich er zur Tür zurück und wagte es nicht, den besudelten Pritschen den Rücken zu kehren. Als er den Ausgang erreichte, war Constance schon in den Hof hinausgetreten. Einen Augenblick lang blieb er in der Tür stehen. Fünfzig Betten.

So viel Blut… Er trat nach draußen, zog die Tür hinter sich zu und wandte sich der Hexe zu.

»Was nun?«, fragte sie.

Mit einer Kopfbewegung deutete MacNeil auf das Hauptportal. »Mal sehen, ob sich da drüben eine Antwort findet.«

Gefolgt von Constance, überquerte er mit schnellen Schritten den Hof, auf dem es nach der Kälte im Schlafquartier fast unerträglich warm war. Er stieß die Pforte auf und betrat einen Vorraum, der so aussah wie in jedem anderen Fort. Es war eine einfache, schmucklose Kammer mit einem Schreibtisch und einem halben Dutzend unbequemer Stühle. Auffällig waren nur die vier dicken Seile, die von einem Deckenbalken herabhingen und in Schlingen endeten. Die Henkersknoten sahen dilettantisch geknüpft aus, schienen aber ihren Zweck durchaus erfüllen zu können. Unter jedem Seil lag umgekippt ein Stuhl am Boden. MacNeil stand neben der Tür und schluckte. Es war nicht schwer, sich vier Gefangene vorzustellen, die auf die Stühle steigen und die Köpfe durch die Schlinge stecken mussten, worauf man dann die Stühle unter ihnen wegtreten würde, einen nach dem anderen…

»Vielleicht sind von der Belegschaft einige verrückt geworden«, sagte Constance.

»Mag sein«, antwortete MacNeil. »Lagerkoller, so was soll's ja geben. Pferch eine Gruppe bewaffneter Männer auf engem Raum und über längere Zeit zusammen, und es wird früher oder später mächtig krachen. Es sei denn, da ist ein halbwegs erfahrener Kommandant, der solche Entwicklungen früh genug erkennt und umzubiegen versteht. Meldungen von Meutereien hat es aus diesem Fort nie gegeben. Soweit ich weiß, gab es nie irgendwelche Probleme. Das ergibt alles keinen Sinn. Wenn vier Männer gehängt wurden, wo sind dann ihre Leichen? Warum hätte man sie wegschaffen, die Schlingen aber hängen lassen sollen? Ich versteh das nicht. Auf jeden Fall scheint hier Schreckliches passiert zu sein.«

»Ja«, sagte Constance. »Und ich fürchte, es ist noch nicht vorbei damit.«

MacNeil warf ihr einen irritierten Blick zu. Die Hexe starrte vor sich hin; ihre Miene ließ Angst erkennen.

Flint und der Tänzer sahen sich im Stall um. Das durch die offenen Türen fallende Licht drängte die Schatten zurück. Die hölzernen Pferdeboxen waren zerschlagen, die Wände wie von Klauen zerkratzt, und überall klebte getrocknetes Blut.

»Ekelhaft«, bemerkte Flint.

Der Tänzer nickte. »Allerdings.«

»Dämonen?«

»Unwahrscheinlich.«

»Aber es ist deren Handschrift.«

»Der Krieg ist seit zehn Jahren vorbei. Seitdem hat sich kein Dämon mehr aus dem Finsterholz hervorgewagt.«

Flint verzog das Gesicht. »Das heißt nichts. Vielleicht regen sie sich wieder.«

Der Tänzer ging in die Knie und untersuchte das blutverschmierte Stroh am Boden. »Interessant.«

»Was?« Flint kauerte sich neben ihn.

»Sieh mal, Jessica. Überall Blut, aber nirgends Schleifspuren oder sonstige Hinweise darauf, wie die Pferde, nachdem man sie abgestochen hat, hier herausgeschafft worden sind.«

»Stimmt«, staunte Flint. »Das ist wirklich interessant.«

Wie auf Kommando sprangen beide auf und gingen unwillkürlich in Kampfposition - Rücken an Rücken und mit ausgestrecktem Schwert. Die Schatten ringsum schienen sich noch weiter verfinstert zu haben. Die Luft war trocken, still und seltsam kalt. Darin hing der Geruch von Tod und Verwesung. Flint scharrte beunruhigt mit den Füßen und bewegte die drei Finger ihrer linken Hand. Das vernarbte Gewebe, dem offenbar die Kälte zusetzte, fing unangenehm zu jucken an. Flint zitterte plötzlich. Da lauerte eine Gefahr. Sie spürte es ganz deutlich und konnte sich auf ihre Instinkte voll verlassen.

»Was auch immer hier geschehen sein mag«, sagte der Tänzer, »ich bin sicher, es lässt sich nicht auf natürliche Weise erklären.«

»Unsere Pferde werden wir hier wohl nicht unterbringen können«, meinte Flint. »Ich wette, sie würden Reißaus nehmen. Komm, schauen wir uns das Hauptgebäude an. Vielleicht finden wir da einen Platz zum Übernachten.«

»Gute Idee.«

»Dann lass uns gehen. Mir ist es hier nicht geheuer.«

»Du bist nicht allein«, beruhigte der Tänzer.

»Wie gesagt, du solltest dir diese Bänkelsänger nicht so oft anhören. Du wirst noch schlimm träumen heute Nacht.«

»Würde mich nicht überraschen. Hier lässt sich bestimmt nicht gut schlafen.«

Flint schmunzelte. »Mag sein. Aber hast du einen anderen Vorschlag, wie wir herausfinden können, was hier passiert ist?«

Sie traten nach draußen. Flint zog das Tor hinter sich zu und überquerte an der Seite des Tänzers den Hof, die Hand am Säbel und mit wachen, aufmerksamen Blicken. Ihre Schritte hallten hohl von den hohen Mauern wider.

Das Licht nahm ab, und die Schatten wurden länger.

Flint und der Tänzer hatten die Pferde schließlich im Vorraum hinter dem Haupteingang untergebracht. Hier zu verweilen war auch nicht viel angenehmer als anderenorts im Fort. Die Tiere verdrehten die Augen, als sie zur Tür hereinkamen, und musterten den kahlen Holzboden voller Argwohn, ließen sich aber dann doch darauf nieder. Flint zündete eine Laterne an und drang, vom Tänzer gefolgt, tiefer ins Haus ein. MacNeil und Constance zu finden war nicht schwer. Sie brauchten nur den Spuren auf den dick mit Staub bedeckten Dielen zu folgen.

MacNeil erwartete sie mit erhobenem Schwert.

»Ich dachte, da verfolgt uns jemand«, sagte er und senkte die Waffe.

»Was Interessantes entdeckt?«, fragte der Tänzer.

»Nein. Nur leere Räume, Staub und Blut.«

Spuren von Blut waren tatsächlich überall zu sehen, als Spritzer unter den Decken, Rinnsale an den Wänden und Lachen auf den Böden. So viel Blut…

»Hoffst du noch darauf, eine lebende Seele zu finden?«, fragte Constance.

»Nicht wirklich«, antwortete MacNeil. »Aber wer weiß ?«

Zu viert streiften sie langsam durchs Fort, Korridor um Korridor, Kammer für Kammer. Die Flure waren ausnahmslos kahl und schmucklos; kein einziger Wandbehang oder Teppich belebte das triste Gemäuer. In den Räumen, die samt und sonders leer standen, lag allenthalben eine dicke, unberührte Staubschicht. Als Hinweise auf das Massaker, das sich hier ereignet hatte, fanden sie einzig und immer wieder eingetrocknetes Blut, zerschlagenes Mobiliar und jene rätselhaften Kratzspuren an den Wänden.

Schließlich blieb nur noch der Keller zu durchsuchen. Er bestand im Wesentlichen aus einem einzigen Raum von rund zwanzig Schritt Seitenlänge und lag voller Gerumpel. Zwei geöffnete Türen führten in kleinere Lagerräume. Vorsichtig bahnte sich MacNeil einen Weg durch das Chaos. Da gab es Haufen von Feuerholz, Säcke voller Lumpen und stapelweise Altpapier neben unbrauchbaren Möbeln und Weinfässern. Dazwischen lag Abfall verstreut und alles starrte vor Dreck. MacNeil steuerte auf die Mitte des Raumes zu, gab Acht, wohin er trat, und schaute sich angewidert um.

»Ich habe schon Jauchegruben gesehen, die sauberer waren«, sagte er.

»Hast du auch schon einen Blick auf die Wände geworfen?«, fragte der Tänzer.

»Ja«, antwortete MacNeil. »Blutflecken gibt es hier unten jedenfalls nicht.«

»Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?«, fragte Flint.

»Keine Ahnung.«

»Lasst uns wieder nach oben gehen«, schlug Constance vor. »Hier stimmt etwas nicht.«

Die anderen sahen sie an. Die Hexe zitterte am ganzen Leib.

»Was ist los mit dir?«, fragte MacNeil. »Was hast du gesehen?«

»Hier stimmt etwas nicht«, wiederholte Constance und starrte vor sich hin, als hätte sie ihn nicht gehört.

MacNeil warf einen Blick in die Runde, schüttelte den Kopf und ging auf die Hexe zu. Er nahm ihren Arm und sagte: »Komm, wir gehen, Constance. Und beruhige dich.«

Sie nickte ihm dankbar zu und ließ sich nach oben fuhren. Flint und der Tänzer folgten.

Sie gelangten schließlich in den Speisesaal im hinteren Teil des Forts. Er war gut zwölf Schritt lang und sieben breit. Auf Böcken liegende Tischplatten standen in geraden Reihen ausgerichtet. Wie im Keller waren auch hier die Wände frei von Blut- und Kratzspuren. Die Tische waren noch gedeckt und auf manchen Tellern lagen Essensreste, eingetrocknet, voller Staub und verschimmelt. Da standen geöffnete wie auch ungeöffnete Weinflaschen herum. Es war, als hätten die Tischgenossen noch während der Mahlzeit ihre Plätze verlassen.

»Hier werden wir heute Nacht zu schlafen versuchen«, ordnete MacNeil an. »Der Raum ist offenbar weitgehend verschont geblieben. Außerdem hat er nur einen einzigen Zugang und lässt sich deshalb gut verteidigen.«

»Willst du wirklich die Nacht über hier bleiben?«, fragte Constance. »Nach allem, was wir gesehen haben?«

MacNeil musterte sie mit kühler Miene. »Es war nichts zu sehen, wovon wir uns unmittelbar bedroht fühlen müssten. Was hier so gewütet hat, ist allem Anschein nach längst abgezogen. Hier ist es sicherer und bequemer für uns als draußen im Wald, über den bald ein Gewitter hereinbrechen wird. Wir wechseln uns mit der Wache ab, und morgen stellen wir hier alles auf den Kopf. Irgendwo muss eine Antwort zu finden sein.«

»Ich denke, wir sollten uns hier möglichst zurückhalten«, meinte Constance. »Sonst vernichten wir aus Versehen noch Beweismaterial.«

»Sie hat Recht«, sagte der Tänzer.

MacNeil zuckte mit den Achseln. »Na schön, was wie ein Beweismittel aussieht, rühren wir nicht an. Aber darum kümmern wir uns erst morgen. Unser Sold ist nicht hoch genug, dass wir jetzt auch noch nachts über Dienst schieben.«

»Genau«, stimmte Flint zu. »So viel Geld gibt's auf der ganzen Welt nicht.«

»Also dann, richten wir uns hier unser Lager ein«, sagte MacNeil. »Es wird bald dunkel sein.«

»Dunkel«, flüsterte Constance. »Ja, es wird hier sehr dunkel werden.«

Die drei anderen sahen die Hexe an, was sie aber nicht bemerkte; so tief war sie in Gedanken versunken.

Draußen im Wald stand eine einsame Gestalt, schaute mit neugierigem Blick auf das Fort, zog sich dann in die Schatten der Bäume zurück und war im nächsten Augenblick verschwunden.

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