VIERTER TEIL DAS AMBULANZSCHIFF

Wenige Stunden später trafen die beiden dwerlanischen DBPK-Ärzte ein, um die Patientin abzuholen. Doch entschieden sie nach kurzer Beratung, daß sie im Orbit Hospital die optimale Behandlung erfuhr. Deshalb baten sie darum, der Patientin den Aufenthalt bis zur vollständigen Genesung in zwei bis drei Wochen zu gestatten. In der Zwischenzeit nahmen die beiden Ärzte, deren Muttersprache man bereits in den Übersetzungscomputer eingegeben hatte, das gesamte Orbit Hospital unter die Lupe, dieses technische und medizinische Wunderwerk. Während dieser Rundgänge standen ihre pelzigen Schwänze wie Fragezeichen in der Luft — es sei denn, diese großen und ausdrucksfähigen Körperglieder mußten aus Gründen des Schutzes vor fremdartigen Umweltbedingungen in Anzüge gezwängt werden.

Sie besuchten auch mehrere Male das Ambulanzschiff. Anfangs, um den Offizieren und dem medizinischen Team der Rhabwar für die Rettung der jungen Dwerlanerin zu danken, die als einzige die Schiffskatastrophe überlebt hatte, und später, um ihre Eindrücke vom Hospital zu schildern oder über ihren Heimatplaneten Dwerla und dessen vier blühende Kolonien zu berichten. Diese Besuche waren für die Besatzung der Rhabwar stets eine willkommene Unterbrechung des eintönigen Aufenthalts an Bord, der sich für sie zu einem schier endlosen autodidaktischen Unterrichtszyklus entwickelt hatte.

Zumindest hatte der Chefpsychologe diese Reihe von Vorträgen, Drillübungen und technischen Demonstrationen so bezeichnet, mit der die Besatzung in den nächsten paar Monaten beschäftigt sein würde — falls vorher kein Notruf einging.

„Da das Schiff im Dock liegt, werden Sie Ihre Dienstzeit an Bord verbringen“, hatte O'Mara Conway im Verlauf eines kurzen und nicht sehr erfreulichen Gesprächs mitgeteilt. „Und zwar so lange, bis Sie sich selbst — und natürlich auch mich — davon überzeugt haben, mit jedem einzelnen Aspekt Ihres neuen Aufgabenbereichs vollkommen vertraut zu sein, also mit dem Schiff und seinen Systemen und Anlagen. Außerdem sollten sie sich auf den verschiedenen Spezialgebieten der Offiziere wenigstens ebenso viele Kenntnisse erwerben wie umgekehrt die Offiziere auf Ihrem Fachgebiet. Denn obwohl Sie innerhalb von zwei Wochen bereits zwei Notrufeinsätze hatten, sind Sie noch immer nicht hinreichend eingearbeitet an Bord.

Ihr erster Einsatz war für Sie selbst mit beachtlichen Unannehmlichkeiten verbunden“, fuhr der Chefpsychologe griesgrämig fort, „und der zweite führte im Hospital fast zu einer allgemeinen Panik. Doch keine der beiden Aufgaben kann man als eine wirkliche Herausforderung bezeichnen — weder an Ihre Fähigkeiten in extraterrestrischer Medizin noch an Fletchers Sachkenntnis auf dem Gebiet der ET-Technik. Der nächste Einsatz wird vielleicht nicht mehr so einfach sein, Conway. Deshalb schlage ich vor, als Vorbereitung dafür lernen Sie erst einmal alle, wie man als ein Team zusammenarbeitet, anstatt sich ständig wie zwei gegnerische Mannschaften auf Punktejagd zu bekämpfen. Und knallen Sie bitte beim Hinausgehen die Tür nicht so laut zu.“

Und so kam es, daß die Rhabwar zu einem Klassenzimmer und Labor in Schiffsgestalt wurde, in dem die Offiziere Vorträge über ihr jeweiliges Spezialgebiet hielten, und zwar in ihrer Meinung nach für ausschließlich medizinische Köpfe noch nachvollziehbarer Ausführlichkeit, während sich das medizinische Team seinerseits um die Vermittlung der Grundlagen in extraterrestrischer Physiologie bemühte. Da die Dozenten eher einen allgemeinen als einen stark spezialisierten Einblick in das Thema zu geben hatten, übernahmen normalerweise Conway oder Fletcher diese Aufgabe. Mit Ausnahme des wachhabenden Offiziers im Kontrollraum, der den Unterricht aber trotzdem am Bildschirm mitverfolgen und Zwischenfragen stellen konnte, waren bei den medizinischen Vorträgen sämtliche Schiffsoffiziere anwesend.

Bei einer dieser Gelegenheiten sprach Conway über vergleichende extraterrestrische Physiologie.

„Wenn man nicht in einem Hospital mit vielfältigen Umweltbedingungen wie diesem hier arbeitet, kommt man normalerweise immer nur mit Extraterrestriern einer Spezies zur gleichen Zeit zusammen und bezeichnet sie nach ihrem Herkunftsplaneten. Aber hier im Hospital und auf den Schiffswracks, auf die wir noch stoßen werden, ist die schnelle und genaue Identifizierung eintreffender Patienten und geretteter Katastrophenopfer lebenswichtig, weil sich die Verletzten allzuoft nicht in dem Zustand befinden, physiologische Informationen über sich selbst geben zu können. Aus diesem Grund haben wir das aus vier Buchstaben bestehende Klassifikationssystem entwickelt, das folgendermaßen funktioniert.

Der erste Buchstabe zeigt den Stand der physikalischen Evolution an, der zweite die Art und Verteilung der Gliedmaßen und Sinnesorgane, die uns wiederum Auskunft über die Lage des Gehirns und der anderen Hauptorgane geben. Die restlichen zwei Buchstaben bezeichnen die Kombination aus dem Metabolismus und den erforderlichen Schwerkraft- und/oder Druckverhältnissen des Wesens, was zugleich ein Hinweis auf die durch den entsprechenden Buchstaben symbolisierte physische Masse und auf die Beschaffenheit der schützenden Epidermis — der Haut, des Fells, der Schuppen, des Knochenpanzers und so weiter — ist.

An diesem Punkt der Vorträge müssen wir im Hospital unsere Studenten normalerweise darauf hinweisen, daß sie wegen des ersten Buchstabens der für sie zutreffenden Klassifikation keine Minderwertigkeitskomplexe bekommen müssen, da der Stand der physikalischen Evolution keinerlei Rückschlüsse auf den Intelligenzgrad zuläßt.“, fügte Conway lächelnd hinzu.

Weiterhin erklärte er, daß alle Wesen mit A, B oder C als erstem Buchstaben Wasseratmer seien. Auf den meisten Planeten war das Leben im Wasser entstanden, und diese Wesen hatten eine hohe Intelligenz entwickelt, ohne das nasse Element verlassen zu müssen. Die Buchstaben D bis F bezeichneten warmblütige Sauerstoffatmer — unter diese Klassifikation fielen die meisten intelligenten Wesen der Galaxis. G bis K waren auch Sauerstoffatmer, aber insektenartige Wesen von Planeten mit geringer Schwerkraft, ebenso wie die vogelartigen Wesen der Kategorie L und M. Die Chloratmer waren in die Gruppen O und P eingeteilt, darauf folgten die eher exotischen, physikalisch hochentwickelten und völlig absonderlich anmutenden Spezies — Strahlungsverwerter; starrblütige oder kristalline Wesen; Kreaturen, die ihre physische Gestalt beliebig verändern konnten. Diejenigen, die verschiedene Arten übersinnlicher Kräfte besaßen und bereits so weit entwickelt waren, daß sie nicht einmal mehr Fortbewegungs- oder Greiforgane benötigten, hatten unabhängig von ihrer Form oder Größe als ersten Buchstaben das V.

„Zwar ist dieses System nicht ganz fehlerfrei“, räumte Conway ein, „aber schuld daran ist einfach die mangelnde Vorstellungskraft der Urheber gewesen, und man hat es deshalb auch hin und wieder ändern müssen. AACPs sind zum Beispiel eine Spezies mit vegetarischem Metabolismus. Normalerweise weist das A als deren erster Buchstabe auf Wasseratmer hin. Da das System mit seiner Klassifikation jedoch erst bei den fischähnlichen Lebensformen beginnt und die AACPs als pflanzliche Wesen noch vor den Fischen eingestuft werden müßten, hat man sie einfach dieser Gruppe zugeordnet.“

„Hier Kontrollraum. Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Doktor.“

„Haben Sie eine Frage, Captain?“, erkundigte sich Conway.

„Nein, Doktor. Nur Anweisungen. Lieutenant Haslam und Dodds sofort zum Kontrollraum und Lieutenant Chen unverzüglich in den Maschinenraum. Unfalldeck, wir haben einen Notruf unbekannter physiologischer Klassifikation empfangen. Halten Sie sich bitte in höchster Bereitschaft.“

„Wir sind immer bereit“, antwortete Naydrad verärgert, wobei sich ihr Fell sträubte.

„…Pathologin Murchison und Doktor Conway, kommen Sie bitte so schnell wie möglich in den Kontrollraum.“

Während die drei Offiziere des Monitorkorps blitzschnell über die Leiter nach oben in den Hauptverbindungsschacht verschwanden, sagte Murchison: „Hoffentlich ist allen medizinischen Mitarbeitern klar, daß der zweite Vortrag des Captains über den Aufbau und die Erkennung von Steuerungssystemen auf Raumschiffen von Extraterrestriern mit mehr als zwei Beinen heute nachmittag wahrscheinlich leider ausfallen wird.“ Auf einmal lachte sie und fügte hinzu: „Ich bin zwar kein Empath wie Prilicla, aber ich verspüre trotzdem ein allgemeines Gefühl großer Erleichterung in meiner unmittelbaren Umgebung.“

Naydrad gab einen unübersetzbaren Laut von sich — wahrscheinlich eine unterdrückte Beifallskundgebung auf Kelgianisch.

„Außerdem habe ich während der Durchsage unseres Captains bei ihm eine gewisse Ungeduld gespürt“, fuhr Murchison fort. „Ich glaube, der will uns da oben so schnell wie möglich sehen.“

„Manchmal staune ich über die empathischen Fähigkeiten nichtempathischer Wesen, Freundin Murchison“, sagte Prilicla, während er verschiedene Instrumentenkoffer überprüfte.

Nach der Klettertour durch den schwerelosen Schacht und die fünf dazwischenliegenden Decks trafen sie ein wenig außer Atem im Kontrollraum ein, wobei Murchison jedoch noch über wesentlich mehr Luft als Conway verfügte, obwohl sie eine Menge davon für Vorhaltungen über seine zunehmende Fettleibigkeit und die allmähliche Verlagerung seines körperlichen Schwerpunkts unterhalb der Taille verbraucht hatte. Etwas Derartiges war mit der Pathologin, deren hübscher Schwerpunkt sichtlich oberhalb der Taille lag, im Laufe der Jahre natürlich nicht vorgegangen. Als sie sich in dem kleinen, verdunkelten Raum umsahen und die nur von Kontrollampen und Displays beleuchteten angespannten Gesichter musterten, wies Captain Fletcher ihnen die zwei zusätzlichen Plätze an und wartete mit den Erklärungen, bis sie sich in den Sitzen angeschnallt hatten.

„Wegen der in diesem Gebiet durch Sternaktivitäten hervorgerufenen Störungen konnten wir die Notsignalbake nicht genau orten“, begann er ohne Einleitung. „Dabei handelt es sich um einen kleinen Sternhaufen, in dem sich die Sterne in einer frühen und äußerst aktiven Entstehungsphase befinden. Aber ich nehme an, das Signal ist auch von anderen und viel näher gelegenen Funkstationen des Monitorkorps empfangen worden, die sicherlich eine genauere Positionsbestimmung vornehmen können und diese vor unserem ersten Sprung dem Orbit Hospital übermitteln werden. Deshalb beabsichtige ich, bis zum Erreichen der Sprungdistanz nur mit einem statt mit vier Ge Schub weiterzufliegen, weil ich auf eine genauere Ortung hoffe, durch die wir auf dem Flug zur Unglücksstelle Zeit sparen würden — und zwar eine ganze Menge Zeit. Verstehen Sie?“

Conway nickte. Er hatte schon häufig auf eine Nachricht über Subraumfunk warten müssen, meistens um eine Antwort auf eine Anfrage nach den Umweltbedingungen eines Patienten zu erhalten, dessen physiologischer Typ dem Orbit Hospital unbekannt war, und dieser Funkspruch war dann wegen der Störungen dazwischenliegender Sternkörper nahezu unverständlich gewesen. Das Orbit Hospital war mit Empfangsanlagen ausgerüstet, die denen der Hauptstützpunkte des Monitorkorps ebenbürtig und um ein Vielfaches empfindlicher als die irgendeines Schiffs waren. Sollte das Orbit Hospital eine Nachricht mit den Positionskoordinaten des in Not geratenen Schiffs empfangen, dann würde diese innerhalb von Sekunden ausgewertet, von Störgeräuschen befreit und an das Ambulanzschiff weitergeleitet werden.

Natürlich immer vorausgesetzt, die Rhabwar hatte den Normalraum noch nicht verlassen.

„Ist über das Unglücksgebiet irgendwas bekannt?“ fragte Conway, wobei er seine Verärgerung zu verbergen versuchte, daß er bei allem, was außerhalb seines medizinischen Fachgebiets lag, wie ein völliger Anfänger behandelt wurde. „Gibt es vielleicht nahe gelegene Planetensysteme, deren Bewohner Kenntnisse von der Physiologie der möglichen Überlebenden haben?“

„Bei so einem Einsatz hatte ich eigentlich nicht erwartet, daß uns für die Suche nach Freunden der Überlebenden überhaupt noch Zeit bleibt“, antwortete Fletcher.

Conway schüttelte den Kopf. „Dann lassen Sie sich eines Besseren belehren, Captain“, entgegnete er. „Nach den Erfahrungen des Hospitals mit Rettungsaktionen können die Sicherheitsvorrichtungen eines Schiffs die Überlebenden mehrere Stunden oder sogar Tage am Leben erhalten, falls die Besatzung nicht schon innerhalb der ersten paar Minuten nach Eintreten der Katastrophe umgekommen ist. Außerdem ist es besser und sicherer, bei einer vollkommen fremden Lebensform eine Behandlung mit schmerzlindernden Mitteln einzuleiten, wenn nicht gerade ein chirurgischer Notfall vorliegt und falls man ihn finden kann, einen Arzt der Spezies des Verletzten zu rufen. Im Fall der dwerlanischen Patientin hätten wir das auch getan, wenn die Verletzungen nicht so schlimm gewesen wären. Manchmal kann es sogar noch besser sein, überhaupt nichts für den Patienten zu tun und dem natürlichen Heilungsprozeß ungestört freien Lauf zu lassen.“

Fletcher begann zu lachen, besann sich aber eines Besseren, als er Conways Ernst bemerkte, und tippte verlegen auf den Knöpfen des Steuerpults herum. Im riesigen Astronavigationswürfel in der Mitte des Kontrollraums erschien eine dreidimensionale Sternkarte mit einem verschwommenen roten Punkt im Zentrum. In dem durch die Projektion dargestellten Rauminhalt befanden sich ungefähr zwanzig Sterne, von denen drei in bewegungslosen Spiralen und Kringeln aus leuchtender Materie lagen.

„Dieser verschwommene Fleck sollte eigentlich ein scharfer Lichtpunkt sein, der die Position des in Not geratenen Schiffs genau bezeichnet“, erklärte der Captain entschuldigend. „Bisher kennen wir alle Positionen nur im Umkreis der nächsten einhundertsechzig Millionen Kilometer. Diese Gegend ist bis jetzt von den Föderationsschiffen noch nicht vermessen, ja noch nicht einmal angeflogen worden, weil niemand erwarten würde, in einem Sternhaufen, der sich noch in einer solch frühen Entstehungsphase befindet, bewohnte Planeten vorzufinden. Jedenfalls deutet die gegenwärtige Position des in Not geratenen Schiffs nicht automatisch darauf hin, daß es aus diesem Gebiet stammt, es sei denn, daß bereits kurz nach dem Sprung in den Hyperraum eine Funktionsstörung aufgetreten ist. Doch bei eingehenderer Untersuchung der wahrscheinlichen.“

„Was mir Kopfzerbrechen bereitet, ist, warum verunglückte Aliens nicht häufiger von den Angehörigen ihrer eigenen Spezies gerettet werden“, fragte Murchison schnell, als sie spürte, wie ein erneuter hochspezialisierter Vortrag über sie hereinzubrechen drohte. „Das kommt doch sehr selten vor, oder?“

„Das stimmt“, antwortete Fletcher. „Es gibt aber Aufzeichnungen über ein paar Fälle, wo wir auf technisch interessante Wracks gestoßen sind, auf denen wir zwar noch ein paar Gegenstände wie extraterrestrische Pin-up-Fotos, Zeitschriften und solche Sachen gefunden haben, aber keine toten Aliens mehr an Bord waren. Die Leichname und auch eventuell überlebende Schiffbrüchige hatte man bereits geborgen und abtransportiert. Es ist schon merkwürdig, aber bislang sind wir noch nie auf eine Spezies gestoßen, die keine Achtung vor ihren Toten gehabt hätte. Sie dürfen auch nicht vergessen, daß ein Unglück im All für eine einzelne raumreisende Spezies ein ziemlich seltenes Ereignis darstellt und jeder von ihr organisierte Rettungseinsatz wahrscheinlich nicht umfangreich genug sein würde und womöglich zu spät käme. Für die Föderation hingegen, die sich über die gesamte Galaxis erstreckt und viele Spezies umfaßt, sind Raumunfälle alles andere als selten. Im Gegenteil. Man rechnet sogar mit ihnen, und unsere Reaktionszeit auf jedes beliebige Unglück ist deshalb äußerst gering, weil sich Schiffe wie dieses ständig in Bereitschaft halten und wir es uns zum Ziel gesetzt haben, als erste am Unglücksort einzutreffen.

Aber wir haben vorhin über die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der ursprünglichen Kurskonstanten des zerstörten Schiffs gesprochen“, fuhr Fletcher fort, ohne sich von seinem eigentlichen Vortragsthema ablenken zu lassen. „Zunächst ist da einmal die Tatsache, daß zum Erreichen des Zielsystems häufig ein Umweg erforderlich ist. Diesen Umweg muß ein Schiff in Gegenden mit ungewöhnlicher Sternendichte, Schwarzen Löchern und ähnlichen Hindernissen im Normalraum nehmen, die außerdem stellenweise gefährliche Störungen im Hyperraum verursachen. Aus diesem Grund ist kaum ein Schiff in der Lage, sein Ziel in weniger als fünf Sprüngen zu erreichen. Außerdem gibt es dabei noch die mit der Größe des Unglücksschiffs und der Anzahl seiner Hyperantriebsgeneratoren zusammenhängenden Faktoren zu bedenken. Am wenigsten Schwierigkeiten wirft ein kleines Schiff mit einem Generator auf. Aber wenn ein Schiff die gleiche Masse wie die Rhabwar hat und zwei gekoppelte Generatoren besitzt oder wegen seiner ungeheuren Größe vier oder gar sechs Antriebsgeneratoren benötigt. also, dann hängt alles davon ab, ob die Generatoren gleichzeitig oder nacheinander ausgefallen sind.

Unser eigenes und vermutlich auch das Schiff, nach dem wir im Moment suchen, ist mit Sicherheitsschaltungen ausgestattet, die alle Generatoren deaktivieren, sobald einer ausfällt“, fuhr Fletcher fort. „Aber auch diese Sicherheitsvorrichtungen sind nicht immer narrensicher, weil bei der Abschaltung des Generators schon eine Verzögerung um den Bruchteil einer Sekunde ausreicht, daß der mit ihm über die Konstruktion verbundene Schiffsabschnitt in den Normalraum schießt und sich losreißt. Durch die dabei auftretende unkontrollierte Bremsbewegung gerät das Wrackteil ins Trudeln und kommt vom ursprünglichen Kurs ab. Die ungeheure Erschütterung der Schiffskonstruktion führt zumeist auch bei dem oder den restlichen Generatoren zum Ausfall, und durch die Wiederholung dieses Vorgangs kann solch eine Ereignisfolge, die sich innerhalb von Sekunden im Hyperraum abgespielt hat, zu einer Verteilung der Schiffswrackteile über eine Distanz von mehreren Lichtjahren führen. Das ist auch der Grund, warum wir.“

Er unterbrach seinen belehrenden Vortrag, weil auf dem Steuerpult ein Lämpchen aufleuchtete und Lieutenant Dodds in forschem Ton meldete: „Hier Astronavigation, Sir. Noch fünf Minuten bis zum Sprung.“

„Entschuldigen Sie, Murchison“, sagte Fletcher. „Wir setzen die Besprechung ein andermal fort. Maschinenraum, bitte den Lagebericht.“

„Beide Hyperantriebsgeneratoren in optimalem Zustand, Sir. Leistungsanpassung innerhalb des Sicherheitslimits“, entgegnete die Stimme von Chen.

„Lebenserhaltungssysteme?“

„Ebenfalls optimal“, erwiderte Chen. „Künstliche Schwerkraft auf allen Deckebenen auf ein Ge eingestellt. Im Hauptverbindungsschacht, den Generatorgehäusen und der Unterkunft des cinrusskischen Arztes auf null Ge.“

„Kommunikationsraum?“

„Immer noch nichts vom Hospital, Sir“, meldete Haslam.

„Na gut“, entgegnete Fletcher. „Maschinenraum, schalten Sie die Triebwerke ab, und halten Sie sich für den Abbruch des Sprungs bis minus eine Minute bereit.“ Zur Seite gewandt, erklärte er Murchison und Conway: „Sobald nämlich die letzte Minute läuft, können wir den Sprung nicht mehr abbrechen, ob nun ein Funkspruch vom Hospital kommt oder nicht.“

„Triebwerke abgeschaltet“, meldete Chen. „Beschleunigung null, alles in Bereitschaft.“

Als die Schifffsbeschleunigung zurückging und die künstlichen Schwerkraftgitter des Decks die Aufrechterhaltung der Gravitation von einem Ge übernahmen, war ein kaum merkliches Schaukeln zu spüren. Ein Display auf dem Steuerpult des Captains zeigte die verbleibenden Minuten und Sekunden an. Die Stille wurde nur durch einen leisen Seufzer von Captain Fletcher unterbrochen, während die Zahlen auf dem Display zur letzten Minute vorrückten. Und dann brachen die letzten dreißig Sekunden an.

„Hier Kommunikationsraum, Sir!“, meldete sich Haslam schnell. „Funkspruch vom Orbit Hospital mit den korrigierten Koordinaten der Notsignalbake. Keine weiteren Mitteilungen.“

„Für einen liebevollen Abschied hatten die wohl keine Zeit mehr“, bemerkte Fletcher mit einem nervösem Lachen. Bevor er jedoch weitersprechen konnte, erklang bereits der Gongton, der den Sprung ankündigte, und das Ambulanzschiff tauchte mitsamt der Besatzung in ein selbst erschaffenes Universum ein, in dem Wirkung und Gegenwirkung ungleich und die Geschwindigkeiten nicht durch die des Lichts begrenzt waren.

Instinktiv wanderten Conways Augen zum Sichtfenster und betrachteten durch die Scheibe hindurch die Innenfläche der das Schiff umgebenden, flimmernden grauen Kugel. Zuerst erschien ihm die Oberfläche als ein spiegelglattes, graues Hindernis ohne besondere Merkmale, aber nach und nach bekam er deutlich den Eindruck von Tiefe — viel zu großer Tiefe. Als er der sich verdrehenden und ständig wechselnden grauen Perspektive mit den Pupillen zu folgen versuchte, wurden die Schmerzen in den Augenhöhlen immer größer.

Ein Wartungsingenieur vom Hospital hatte ihm einmal erklärt, daß Materie unabhängig von der durch die Zusammensetzung atomarer oder molekularer Bausteine entstehenden Form belebter oder unbelebter Körper im Hyperraum physikalisch überhaupt nicht existierte. Den Physikern wäre immer noch nicht ganz klar, warum sich das Schiff am Ende eines Sprungs nicht zusammen mit der Ausstattung und den Insassen als eine einzige homogene Molekularwolke materialisierte. Daß so ein Vorfall nach Wissen des Ingenieurs bisher noch nie vorgekommen war, schloß allerdings die Möglichkeit eines derartigen Ereignisses keineswegs aus. Der Ingenieur fragte Conway damals, ob er ihm nicht für seinen nächsten Heimaturlaub ein wirklich starkes Beruhigungsmittel empfehlen könnte, das ihn während dieser Nichtexistenz auf dem Sprung vom Hospital nach Hause in tiefen Schlaf versetzen würde.

Bei der Erinnerung an dieses Gespräch mußte Conway lächeln, und er wandte den Blick von dem sich windenden Grau ab. Im Kontrollraum konzentrierten sich die „nicht“-existierenden Offiziere voll und ganz auf Schalttafeln und Displays, die keine philosophischen Exkurse zuließen, wobei sie die geheimnisvollen Litaneien ihres Berufsstands vortrugen. Conway blickte Murchison an, und die Pathologin nickte. Beide lösten sie die Gurte und standen auf.

Fletcher starrte sie an, als ob er ihre Anwesenheit vollkommen vergessen hätte. „Sie haben natürlich beide viel zu tun“, sagte er. „Der Sprung dauert etwas weniger als zwei Stunden. Falls irgend etwas Interessantes passieren sollte, werde ich es Ihnen auf den Schirm des Unfalldecks übertragen.“

Murchison und Conway zogen sich die Leiter des schwerelosen Schachts entlang nach achtern und betraten ein paar Sekunden später leicht schwankend das Unfalldeck, dessen künstliche Schwerkraft von einem Ge sie wieder an die Existenz solcher Dinge wie oben und unten erinnerte. Auf dem Deck war zwar niemand, aber durch die Sichtluke der Luftschleuse konnten sie die in einem Raumanzug steckende Gestalt von Naydrad erkennen, die auf einem der Deltaflügel stand, und zwar dort, wo die Vorderkante der Tragfläche auf den Schiffsrumpf traf.

Dieser spezielle Teil des Flügels war zur Erleichterung des Transports von sperriger Ladung durch die Luftschleuse mit künstlichen Schwerkraftgittern ausgestattet. Aus diesem Grund schien die kelgianische Oberschwester waagerecht auf der für Conway und Murchison senkrecht verlaufenden Tragfläche zu stehen. Jetzt entdeckte Naydrad sie, winkte ihnen zu und setzte die Überprüfung der Luftschleuse und der Außenbeleuchtung der Tragfläche fort.

Außer der sie auf die Oberfläche des Flügel ziehenden künstlichen Schwerkraft war Naydrad noch durch zwei am Anzug befestigte Sicherheitsleinen mit dem Schiff verbunden. Denn wer im Hyperraum über Bord ging, war verloren — und zwar viel unwiederbringlicher und endgültiger, als man es sich überhaupt vorstellen kann.

Die Geräte und Medikamente des Unfalldecks waren zwar bereits von Naydrad und Prilicla überprüft worden, aber Conway mußte alles noch einmal einer abschließenden Kontrolle unterziehen. Prilicla, der mehr Ruhe als seine weit weniger empfindlichen und zerbrechlichen Kollegen brauchte, hielt sich in seiner Kabine auf, und da Naydrad draußen war, konnte Conway deren Arbeit ohne den Nichtbeachtung vortäuschenden Empathen und die mißbilligend ihr Fell kräuselnde Kelgianerin wiederholen.

„Zuerst werde ich die Drucktragbahre überprüfen“, sagte er.

„Ich helfe dir“, entgegnete Murchison. „Auch bei den Medikamentenvorräten unten. Ich bin nämlich überhaupt nicht müde.“

„Wie du mittlerweile wissen solltest, lautet der richtige Ausdruck „auf dem Unterdeck“ und nicht einfach nur „unten““, belehrte Conway sie, als er die Schiebetür zum Aufbewahrungsraum der Drucktrage öffnete. „Willst du beim Captain etwa den Eindruck erwecken, daß du dich ausschließlich für dein eigenes Spezialgebiet interessierst?“

Murchison lachte leise und antwortete: „Nach der unerträglich herablassenden Art, in der er mit mir redet oder vielmehr mich belehrt, scheint er von mir sowieso einen solchen Eindruck zu haben.“ Sie half ihm beim Herausrollen der Trage und fügte lebhaft hinzu: „Laß uns die Hülle mit einem Edelgas auf dreifachen Normaldruck füllen, nur falls wir diesmal einen bei hoher Schwerkraft lebenden Patienten bekommen. Danach können wir ja noch ein paar eventuell benötigte Atmosphären herstellen.“

Conway nickte zustimmend und trat einen Schritt zurück, als sich die dünne, aber äußerst strapazierfähige Hülle nach außen wölbte. Innerhalb weniger Sekunden war sie so straff geworden, daß sie wie eine längliche Glaskuppel aussah, die die gesamte Oberseite der Trage umschloß. Der Innendruckmesser zeigte einen konstanten Wert an.

„Keine Lecks“, stellte Conway fest und schaltete die Pumpe an, die das Edelgas aus der Hülle wieder absaugte und erneut verdichtete. „Als nächstes versuchen wir es mal mit der illensanischen Atmosphäre. Setz bitte die Maske auf, nur für alle Fälle.“

Im Boden der Trage befand sich ein Staufach, auf dessen Regalen die wichtigsten chirurgischen Instrumente lagen. Außerdem befanden sich dort Handschuhverlängerungen, die dem Arzt eine Behandlung des Patienten ohne Öffnung der Hülle ermöglichten, und Gasmasken mit Mehrzweckfiltern für verschiedene physiologische Spezies. Conway reichte Murchison eine Maske, legte selbst eine an und sagte: „Ich finde trotzdem, du solltest dich stärker darum bemühen, den Eindruck zu vermitteln, daß du genauso intelligent wie schön bist.“

„Oh, vielen Dank, mein Schatz“, antwortete Murchison mit durch die Maske gedämpfter Stimme. Sie beobachtete Conway einen Augenblick lang beim Ablesen der Kontrollinstrumente für das Mischungsverhältnis, durch die er nachprüfen konnte, ob der ätzende gelbe Dunst, der langsam in die Hülle strömte, auch tatsächlich mit der Atmosphäre der chloratmenden Bewohner von Illensa identisch war. Dann führ sie fort: „Vor zehn oder vielleicht sogar noch vor fünf Jahren mag das ja der Fall gewesen sein. Damals hieß es, ich würde jedesmal, wenn ich einem leichten Anzug trage, Blutdruck, Puls und Atemfrequenz von jedem noch nicht völlig vergreisten männlichen DBDG im Hospital mühelos in die Höhe treibe. Soweit ich mich erinnern kann, hast vor allem du das immer wieder behauptet.“

„Also, diese Wirkung übst du auf terrestrische DBDGs noch immer aus, das kannst dü mir glauben“, entgegnete Conway und hielt ihr kurz zum Pulsmessen das Handgelenk hin. „Aber du solltest dich lieber darauf konzentrieren, die Schiffsoffiziere mit deinem Intellekt zu beeindrucken. Erstens hab ich sonst viel zuviel Konkurrenz, und zweitens betrachtet dich der Captain womöglich noch als Gefahr für die Disziplin an Bord. Aber vielleicht tun wir Fletcher auch ein wenig unrecht. Ich hab nämlich einen Offizier über ihn reden hören. Anscheinend war der Captain auf dem Gebiet der extraterrestrischen Technik einer der besten Lehrer und Forscher des Monitorkorps. Als das Ambulanzschifprojekt noch in den Kinderschuhen steckte, galt er bereits als Wunschkandidat der Fachleute vom Erstkontakt und als aussichtsreichster Anwärter für die Schiffskommandantur.

In gewisser Weise erinnert er mich an unsere Diagnostiker“, fuhr Conway fort. „Sein Kopf ist derart mit Daten und Fakten vollgestopft, daß er sich nur noch in der Form kurzer Vorträge ausdrücken kann. Aufgrund der Korpsdisziplin, aber auch wegen des seinem Rang gebührenden Respekts und seiner beruflichen Fähigkeiten konnte er seine Arbeit bisher erfolgreich erledigen, auch ohne tiefschürfende Gespräche führen zu müssen. Aber jetzt muß er allmählich lernen, auch mit ganz gewöhnlichen Leuten zu reden, das heißt mit Leuten, die keine Untergebenen oder Offizierskameraden sind — und dabei macht er bislang noch keine besonders gute Figur. Aber er bemüht sich wenigstens, und wir müssen eben etwas.“

„Es kommt mir ganz so vor, als hätte es da schon mal einen gewissen jungen und frischgebackenen Assistenzarzt gegeben, der viel mit Captain Fletcher gemeinsam hatte“, unterbrach ihn Murchison. „O'Mara ist sogar noch heute felsenfest davon überzeugt, dieser betreffende Mensch wäre lieber mit seinen extraterrestrischen Kollegen als mit denen seiner eigenen Spezies zusammen.“

„Mit einer großen Ausnahme“, berichtigte Conway sie mit einem süffisanten Lächeln.

Murchison drückte zärtlich seinen Arm und entgegnete, daß sie auf diese Bemerkung leider nicht so reagieren könne, wie sie es ohne Maske und Overall gerne getan hätte. Und mit der Zeit fiel es den beiden immer schwerer, sich auf Conways Checkliste zu konzentrieren. Aber der hohe Grad emotionaler Ausstrahlung in dem Raum reduzierte sich plötzlich wieder auf das Normalmaß, als der Gong den Wiedereintritt des Schiffs in den Normalraum ankündigte.

Der Bildschirm auf dem Unfalldeck blieb zwar dunkel, doch wenige Sekunden später war Fletchers Stimme über sämtliche Bordlautsprecher zu hören.

„Hier Kontrollraum. Wir sind nahe der durch die Bake angegebenen Position wieder in den Normalraum eingetreten, aber bisher gibt es keine Spur von einem in Not geratenen Schiff oder von Wrackteilen. Da bei einem Sprung durch den Hyperraum unmöglich absolute Punktgenauigkeit zu erreichen ist, kann das Unglücksschiff natürlich auch viele Millionen Kilometer entfernt sein.“

„Der hält schon wieder einen Vortrag“, seufzte Murchison.

„…aber die Impulse unserer Sensoren werden mit Lichtgeschwindigkeit ausgesandt und ebenso schnell wieder zurückgeworfen. Wenn also bis zur Registrierung eines Kontakts zehn Minuten verstreichen, würde die Entfernung des georteten Objekts demzufolge die Hälfte dieser Zeit in Sekunden multipliziert mit der.“

„Kontakt, Sir!“

„Ich nehme alles zurück, es sind also nicht allzu viele Millionen Kilometer. Astronavigation, geben Sie mir bitte die Entfernungs- und Kurskonstanten. Maschinenraum, halten Sie sich für Maximalschüb in zehn Minuten bereit. Oberschwester Naydrad, brechen Sie den Außeneinsatz unverzüglich ab. Unfalldeck, ich halte Sie auf dem laufenden. Kontrollraum Ende.“

Conway wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Drucktrage zu, saugte die Chloratmosphäre ab und ersetzte sie durch den unter hohem Druck stehenden und extrem heißen Dampf der TLTU-Lebensform. Er hatte gerade mit der Überprüfung der Antriebsaggregate der Trage und der Instrumente zur Lagesteuerung begonnen, als Naydrad durch die Luke der Innenschleuse hereinkam, wobei ihr Anzug mit Kondenswasser beschlagen war und noch immer die Kälte des Alls ausstrahlte.

Die Oberschwester musterte Murchison und Conway einige Augenblicke lang und teilte ihnen dann mit, daß man sie, falls man sie brauchen sollte, in angenehme Gedanken versunken in ihrer Kabine finden würde.

Conway und Murchison überprüften auch die Haltegurte auf dem Unfalldeck mit großer Sorgfalt. Conway wußte aus Erfahrung, daß extraterrestrische Unfallopfer nicht immer zur Zusammenarbeit bereit waren und manchmal ausgesprochen aggressiv sein konnten, wenn sich für sie merkwürdige Wesen mit ebenso merkwürdigen Gerätschaften, deren Verwendungszweck ihnen nicht bekannt war, an ihnen zu schaffen machten. Deshalb war das Unfalldeck mit verschiedensten materiellen und immateriellen Mitteln zur Ruhigstellung in Form von Riemen, Gurten und Traktor- und Pressorstrahlenprojektoren ausgestattet. Die Leistung der Projektoren reichte aus, um jedes Lebewesen bis zur Körpermasse und Muskelkraft eines im Endstadium seines Werbungstanzes befindlichen Tralthaners ruhigzustellen. Conway hoffte zwar sehnlichst, daß diese Mittel nie eingesetzt zu werden brauchten, aber sie standen nun einmal zur Verfügung und mußten deshalb auch überprüft werden.

Zwei Stunden vergingen, bevor der Captain wieder Neuigkeiten melden konnte, doch diesmal formulierte er sie knapp und brachte sie auf den Punkt.

„Hier Kontrollraum. Nach unserer Feststellung handelt es sich bei dem Kontakt nicht um einen natürlich vorkommenden interstellaren Körper. Wir werden uns ihm in dreiundsiebzig Minuten nähern.“

„Da bleibt uns noch genügend Zeit, um die Medikamente auf der Station durchzusehen“, stellte Conway fest.

Ein Teil des Bodens auf dem Unfalldeck ließ sich nach unten zum darunterliegenden Deck öffnen, das in eine Station und eine Kombination aus Labor und Apotheke eingeteilt war. Die Station bot Platz für zehn Unfallopfer mit relativ normalen Körpermaßen — also bis zur Größe eines Terrestriers —, und in ihr konnten zur Lebenserhaltung eine große Bandbreite an Umweltbedingungen reproduziert werden. Im Laborabschnitt, der von der Station durch eine doppelte Luftschleuse getrennt war, lagerten die von sämtlichen, der Föderation bekannten Lebensformen benötigten gasförmigen und flüssigen Grundbestandteile, die — so hoffte man — auch zur Reproduktion von Atmosphären bislang unbekannter Spezies zu verwenden waren. Außerdem enthielt das Labor noch chirurgische Spezialinstrumente, mit denen man bei einem Großteil der physiologischen Arten der Föderation die Haut durchtrennen und eine heilende Operation durchführen konnte.

Der Apothekenteil war mit den bekannten — wegen des Raummangels natürlich nur in geringen Mengen vorhandenen — Heilmitteln gegen häufiger auftretende ET-Krankheiten und abnorme Zustände gefüllt. Darüber hinaus standen in der Apotheke auch noch grundlegende Analysegeräte, wie man sie in jedem Pathologielabor antraf. Da blieb natürlich für zwei Menschen nur sehr wenig Platz zum Arbeiten übrig. Aber schließlich hatte sich Conway noch nie über die enge Zusammenarbeit mit Murchison beschwert, und auch von Seiten der Pathologin gab es keine Klagen.

Kaum waren sie mit der Überprüfung der ET-Instrumente fertig, erklang erneut Fletchers Stimme, und noch vor dem Ende seiner Ausführungen gesellten sich Prilicla und Naydrad zu ihnen.

„Hier Kontrollraum. Wir haben das verunglückte Schiff optisch erfaßt, und das Teleskop ist mit voller Vergrößerung darauf eingestellt. Sie können also dasselbe sehen wie wir. Wir setzen die Geschwindigkeit herab und werden in zwölf Minuten ungefähr fünfzig Meter vor dem Schiff zum Stillstand kommen. In den letzten Minuten unseres Anflugs beabsichtige ich den Einsatz der auf geringe Stärke eingestellten Traktorstrahlen, um die Drehung des havarierten Schiffs abzubremsen. Was meinen Sie dazu, Doktor?“

Die auf dem Bildschirm sichtbare Schiffssilhouette schien vor dem hellen Hintergrund des nahen Sternhaufens zunächst nur ein kreisrunder, verschwommener Fleck zu sein. Erst nach einer eingehenderen Überprüfung des Bilds wurde klar, daß es sich bei dem verschwommenen Kreis in Wirklichkeit um eine dicke, metallicgraue Scheibe handelte, die sich wie eine ausrollende Münze drehte. Mit Ausnahme von drei leicht vorspringenden Ausbuchtungen, die sich in gleichen Abständen am äußeren Rand befanden, wies die Scheibe keine augenfälligen Besonderheiten auf. Während Conway, Murchison, Naydrad und Prilicla auf den Bildschirm starrten, wurde das rotierende Schiff immer größer und wuchs über den Bildschirmrand hinaus, bis man die Vergrößerung verringerte, und die Betrachter das Schiff wieder als Ganzes sehen konnten.

Conway räusperte sich und sagte: „Ich wäre beim Abbremsen der Drehung vorsichtig, Captain. Uns ist nämlich zumindest eine Spezies bekannt, in deren Raumschiffen und anderen Fahrzeugen das Lebenserhaltungssystem ständig rotieren muß, um zu funktionieren.“

„Ich bin mit der Technik der rollenden Wesen vom Drambo vertraut, Doktor. Das ist eine Spezies, die zur Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Körperfunktionen ständig rollen muß — entweder auf natürliche Weise durch die Fortbewegung über die Oberfläche ihres Planeten oder künstlich beim Bedienen von ansonsten feststehenden Maschinen. Diese Lebewesen besitzen kein Herz im eigentlichen Sinn, sondern halten die Blutzirkulation unter Ausnutzung der Gravitation in Gang. Ein Stillstand von nur wenigen Sekunden bedeutet für sie deshalb den sicheren Tod.

Aber dieses Schiff hier dreht sich nicht um die Quer-, Seiten- oder Längsachse. Meiner Meinung nach trudelt es vollkommen unkontrolliert, und die Drehung sollte dringend abgebremst werden. Wenn wir uns einen schnellen Zugang zum Schiff und den möglicherweise vorhandenen Überlebenden verschaffen wollen, muß man die Drehung sogar stoppen. Aber schließlich sind Sie der Arzt, Doktor.“

Prilicla zuliebe bemühte sich Conway mit aller Kraft, seine Wüt zu zähmen. „Na gut“, antwortete er gefaßt. „Bremsen Sie die Drehung ab, Captain — aber vorsichtig! Sie wollen doch bestimmt nicht die Schiffskonstruktion, die sowieso schon beschädigt und instabil geworden ist, zusätzlicher und unnötiger Belastung aussetzen oder mögliche Überlebende durch Trümmerstücke verschütten. Genausowenig werden Sie das Platzen einer Schweißnaht riskieren wollen, da es so zu einem lebensbedrohlichen Druckabfall in der Schiffsatmosphäre kommen kann.“

„Kontrollraum Ende.“

„Weißt du, wenn ihr beiden endlich mal mit dem Versuch aufhören würdet, euch gegenseitig mit euren immensen Kenntnissen über die Arbeit des anderen zu beeindrucken, dann müßte Doktor Prilicla auch nicht dauernd dieses Geschüttel durchmachen“, ermahnte ihn Murchison mit ernster Stimme.

Die Vergrößerung des Bilds auf dem Schirm wurde erneut verringert, da das Ambulanzschiff dem verunglückten Schiff immer näher kam, während es dessen Drehung durch den Kontakt mit Traktorstrahlen verlangsamte, bis sich die fünfzig Meter voneinander entfernten Schiffe im Verhältnis zueinander nicht mehr bewegten. Durch die günstige Lage des Alienschiffs hatte man dessen Ober- und Unterseite schon mit den Augen und mit Kameras ausführlich inspizieren können. Unter den vielen festgestellten Tatsachen sprang eine jedoch besonders ins Auge. Aber bevor Conway diesen Punkt ansprechen konnte, meldete sich schon der Kontrollraum. #„Die Konstruktion des Schiffsrumpfs scheint noch in Ordnung zu sein, Doktor. Es gibt keinerlei Anzeichen für äußere Schäden oder Defekte und keine Spur von abgerissenen oder abrasierten Außenaufbauten und Antennensystemen. Die vorläufige Sensorenanalyse der Rumpfoberfäche ergibt recht starke Temperaturunterschiede, und die höchsten Werte sind im Umkreis der Ausbuchtungen an der Schiffskante zu finden. Von diesen drei Stellen geht auch Reststrahlung aus, wie sie beim Erzeugen eines Hyperantriebsfelds entstehen. Außerdem gibt es Anhaltspunkte für eine größere Energiekonzentration um den Mittelpunkt des Schiffs herum sowie mehrere kleinere Ansammlungen, die allesamt über ein noch aktives Leitungsnetz miteinander verbunden sind. Die Einzelheiten können Sie der schematischen Darstellung entnehmen.“

Das Bild vom Alienschiff wurde durch eine schematische Darstellung ersetzt, auf der die Positionen und Intensitäten der Energiekonzentrationen in verschiedenen Rottönen und die Verbindungsleitungen als gelbe, gepunktete Linien eingetragen waren. Dann erschien wieder das ursprüngliche Bild.

„…es gibt keine Hinweise auf ein Leck, aus dem gasförmige oder flüssige Bestandteile der Schiffsatmosphäre entweichen. Bis jetzt konnte ich auch noch keine Einstiegsmöglichkeit ins Schiff entdecken. Es gibt keine Luftschleusen, weder zum Verladen von Gütern noch für die Besatzung, auch keine Markierungen, die meistens in Verbindung mit Ein- und Ausstiegsöffnungen, Inspektions- und Wartungsklappen oder Luken zum Auffüllen der Verbrauchsartikel stehen. Es sind überhaupt keine Markierungen, Kennzeichen, Hinweis- oder Warnsymbole zu erkennen. Soweit wir feststellen konnten, hat das Schiff eine Oberfläche aus blankem, poliertem Metall, dessen Farbe nur deshalb nicht einheitlich ist, weil an gewissen Stellen verschiedene Legierungen verwendet wurden.“

„Keine Farben oder Kennzeichen“, sagte Naydrad und schob sich näher an den Bildschirm heran. „Sollten wir nach all den Jahren tatsächlich eine Spezies entdeckt haben, die nicht eitel ist?“

„Das ist wahrscheinlich eine Frage der Sehorgane dieser Spezies“, fügte Prilicla hinzu. „Vielleicht sind diese Wesen ganz einfach farbenblind.“

„Das hat wohl eher einen aerodynamischen als einen physiologischen Grund“, warf Fletcher ein.

„Wenn die Besatzung eines anscheinend völlig unbeschädigten Schiffs eine Notsignalbake aussetzt, wird der Grund dafür aller Wahrscheinlichkeit nach im medizinischen Bereich liegen“, gab Conway zu bedenken. „Und egal, wie dieser Grund im einzelnen aussehen mag, der Zustand der Schiffsinsassen ist bestimmt bedenklich. Wir müssen sofort auf dieses Schiff, Captain.“

„Der Meinung bin ich auch“, entgegnete Fletcher. „Lieutenant Dodds bleibt im Kontrollraum. Haslam und Chen begleiten mich zum Schiff. Wegen der größeren Luftreserven schlage ich vor, die schweren Anzüge anzuziehen. Unser primäres Ziel ist es, einen Weg ins Schiffsinnere ausfindig zu machen, und das könnte einige Zeit dauern. Wie sind Ihre Pläne, Doktor?“

„Pathologin Murchison bleibt hier“, antwortete Conway. „Naydrad wird Ihrem Vorschlag gemäß einen schweren Anzug tragen und sich draußen vor der Luftschleuse mit der Drucktrage bereithalten. Prilicla und ich selbst begleiten Sie zum Schiff. Aber ich sollte besser einen leichten Anzug mit zusätzlichen Sauerstoffflaschen anziehen. Der hat nämlich dünnere Handschuhe — vielleicht muß ich ja Verletzte behandeln.“

„Ich verstehe. Wir treffen uns in fünfzehn Minuten an der Schleuse“, entgegnete Fletcher.

Die Gespräche der Gruppe, die vorhatte, das Alienschiff zu untersuchen, sollten auf das Unfalldeck übertragen und im Kontrollraum von Dodds mitgeschnitten werden, der auch die räumliche Darstellung des Schiffs nach jedem Neueingang von Daten auf den aktuellen Stand bringen würde. Aber als sich das Untersuchungsteam in der Schleuse der Rhabwar befand und gerade mit Hilfe der Anzugdüsen zum Alienschiff hinüberfliegen wollte, drückte Fletcher seinen Helm an den von Conway und gab damit den Wunsch nach einem nicht über Anzugfrequenz belauschten Gespräch zu verstehen.

„Ich hab noch mal über die Anzahl der Teammitglieder bei diesem ersten Betreten und vorläufigen Untersuchen des Schiffs nachgedacht“, erklärte der Captain, wobei seine Stimme durch das Material der beiden Helme gedämpft und etwas verzerrt klang. „Bei dieser Sache ist ein gewisses Maß an Vorsicht angebracht. Das Schiff scheint unbeschädigt und funktionstüchtig zu sein. Meinem Eindruck nach befindet sich eher die Besatzung als das Schiff in desolatem Zustand. Außerdem haben die Insassen möglicherweise keine gesundheitlichen, sondern psychologische Probleme und sind in geistig gestörter Verfassung und nicht mehr bei klarem Verstand. Womöglich sind die so verwirrt, daß sie heftig reagieren und vielleicht sogar einen Sprung in den Hyperraum durchführen, wenn zu viele seltsame Wesen auf ihrem Schiffsrumpf herumkraxeln.“

Jetzt leidet er auch noch an der Wahnvorstellung, ein Xenopsychologe zu sein! dachte Conway und entgegnete: „Da ist sicherlich etwas dran, Captain. Aber Prilicla und ich werden nicht herumkraxeln, sondern uns vielmehr vorsichtig umsehen und keinen einzigen Fund berühren, ohne Ihnen zuvor Bericht erstattet zu haben.“

Sie begannen mit der Untersuchung der Unterseite des scheibenförmigen Schiffs. Jedenfalls handelte es sich nach Fletchers fester Überzeugung um die Unterseite, denn rings um den Teilkreisdurchmesser des Zentrums befanden sich dicht hintereinander vier Öffnungen, und wegen der sie umgebenden Hitzeverfärbung und leichten Korrosionsschäden hegte er keinen Zweifel, daß es sich bei diesen Löchern um die Mündungen von Antriebsdüsen handelte. Nach Lage und Richtung der Triebwerke verlief die Flugrichtung des Schiffs ganz deutlich entlang der Vertikalachse, obwohl es der Captain auch für denkbar hielt, daß das Schiff zum aerodynamischen Manövrieren mit der Kante voran in eine Atmosphäre eintreten konnte.

Neben den verbrannten Stellen an den Düsenöfffnungen befand sich in der Mitte der Unterseite eine große, runde Stelle aus rauhem Metall, die sich fast bis zu einem Viertel des Schiffsradius' erstreckte. Darüber hinaus gab es zahlreiche andere rauhe Stellen unterschiedlicher Formen und Größen, die über die Unterseite und am Rand entlang verstreut waren und fast alle nur wenige Zentimeter Durchmesser hatten. Diese rauhen Stellen verwunderten Fletcher außerordentlich, denn sie waren wirklich rauh — sie schürften seine Handschuhe auf und stellten für jeden, der nur einen leichten Raumanzug trug, eine ernsthafte Gefahr dar. Was ihn aber am meisten verwirrte, war, daß der Rest des Schiffs so aussah, als sei es Stück für Stück von Uhrmachern zusammengesetzt worden.

Es gab drei rauhe Stellen, die mit den drei Ausbuchtungen am Schiffsrand übereinstimmten, die höchstwahrscheinlich als Gehäuse für die Hyperantriebsgeneratoren dienten.

Als die Mitglieder des Rettungsteams die Schiffsoberseite in Augenschein nahmen, entdeckten sie weitere kleine Verunstaltungen, die leicht über die sie umgebende Oberfläche vorstanden und die eine Art Materialfehler in der Metallverkleidung zu sein schienen. Fletcher sagte, sie erinnerten ihn an Korrosionsschäden, wenn man davon absehen würde, daß es zwischen diesen „Roststellen“ und dem unangegriffenen Metall keinen farblichen Unterschied gab.

Nirgendwo waren Anzeichen für den Einsatz von transparenten Materialien bei der Schiffskonstruktion zu sehen. Die Funkantennen oder Sensorfühler waren nicht ausgefahren — folglich hatte man sie vermutlich vor dem Aussetzen der Notsignalbake eingeholt und unter einigen der unglaublich gut schließenden Luken oder Klappen des Schiffs versteckt. Von diesen Luken konnte man nämlich nur ein paar erkennen, und das auch nur wegen des leichten Farbunterschieds zwischen Metalldeckel und Außenhaut. Nachdem sie sich auf der Suche beinahe zwei Stunden lang die Augen aus dem Kopf geguckt hatten, gab es noch immer keinen Anhaltspunkt, daß irgend etwas einem äußeren Öffnungsmechanismüs für eine dieser Luken auch nur ansatzweise geähnelt hätte. Das Schiff war und blieb fest verschlossen, und Fletcher konnte nicht einmal schätzen, wie lange es dauern würde, eine Einstiegsmöglichkeit zu finden.

„Das hier sollte eigentlich ein Rettungsversuch und keine langfristige wissenschaftliche Untersuchung werden“, sagte Conway verzweifelt. „Können wir nicht irgendwie mit Gewalt reinkommen?“

„Nur wenn alle Stricke reißen“, entgegnete Fletcher. „Wir sollten es nicht riskieren, die Insassen auf diese Weise womöglich zu beleidigen, bevor wir uns über die Hoffnungslosigkeit ihres Zustands nicht ganz sicher sind. Wir sollten uns jetzt bei der Suche nach einer Einlaßschleuse mehr auf den Rand konzentrieren. Schließlich liegt es bei der flachen, scheibenartigen Schiffsform und der beim Flug nach vorn gewandten Oberseite nahe, daß die Besatzung irgendwo am Rand an Bord geht. Unter der Schiffsoberseite müßten sich der Kontrollraum und die Kabinen befinden, da bin ich mir ganz sicher — und hoffentlich auch die Überlebenden.“

„Gut“, erwiderte Conway. „Prilicla, Sie begeben sich auf die Oberseite und konzentrieren sich allein auf emotionale Ausstrahlungen aus dem Schiffsinnern, während wir am Rand weitersuchen. Also, auf ein neues!“

Die Minuten flogen dahin, doch niemand meldete etwas anderes als negative Ergebnisse. Voller Ungeduld flog Conway mit seinen Anzugdüsen um den Rand des Schiffs herum, bis er nur ein paar Meter von Priliclas Position auf der Oberseite entfernt schwebte. Aus einem Impuls heraus aktivierte er die Fuß- und Handgelenkmagneten. Nachdem sie ihn sanft auf den Rumpf gezogen hatten, hob er einen Fuß und trat damit dreimal fest gegen die Metallhaut.

Sofort kam über die Frequenz des Anzugfunks nur noch ein einziges Pfeifen, weil alle Teammitglieder gleichzeitig melden wollten, daß ihre tragbaren Sensoren Geräusche und Schwingungen registriert hatten. Conway wartete, bis wieder Ruhe eingekehrt war.

„Tut mir aufrichtig leid, ich hätte Ihnen vorher Bescheid sagen sollen“, sagte er mit nur scheinbarem Bedauern. Hätte er nämlich vorher Bescheid gegeben, wäre eine endlose Diskussion mit dem Captain entstanden, an deren Ende Fletcher ihm sowieso verboten hätte, was er gerade getan hatte. „Aber wir brauchen viel zuviel Zeit. Das hier ist eine Rettungsaktion, verdammt noch mal, und wir haben nicht die leiseste Ahnung, ob es überhaupt jemanden zu retten gibt. Wir brauchen einfach irgendeine Reaktion aus dem Schiffsinnern. Prilicla, haben wir schon eine ausgelöst?“

„Nein, mein Freund“, antwortete der Empath. „Es gibt weder eine Reaktion auf Ihre Tritte gegen den Rumpf noch irgendwelche Anzeichen von bewußten Gedanken oder Emotionen. Aber ich kann im Moment trotzdem nicht mit Sicherheit sagen, ob deshalb keine Überlebenden im Schiff sind. Es kommt mir nämlich fast so vor, als würde die emotionale Gesamtausstrahlung in der Nähe des Schiffs nicht nur von den vier anwesenden Terrestriern und mir selbst herrühren.“

„Aha“, entgegnete Conway. „Sie wollen uns also in Ihrer gewohnt höflichen und zurückhaltenden Art mitteilen, daß wir emotional zu viel Staub aufwirbeln und aus der Gegend verschwinden sollen, damit sie ohne Störungen arbeiten können. Welche Entfernung brauchen Sie denn, Doktor?“

„Wenn Sie sich alle bis zu unserem Schiff zurückziehen würden, wäre das mehr als ausreichend, mein Freund“, erwiderte Prilicla. „Mir würde es außerdem sehr helfen, wenn die anwesenden Terrestrier eher mit dem Gehirn als emotional denken und die Funkgeräte abschalten könnten.“

Kurz darauf standen sie eine ganze Weile zusammen auf einer Tragfläche der Rhabwar, wobei sie Prilicla und dem Alienschiff den Rücken zugewandt hatten. Nach Conways Befürchtungen hätten sie nämlich beim Beobachten des arbeitenden Empathen eventuell Unruhe, Ungeduld oder Enttäuschung empfunden, wenn dieser nicht schnell auf einen Überlebenden stieß, und jedes starke Gefühl würde Prilicla bei der Suche nach emotionaler Ausstrahlung stören. Conway wußte zwar nicht, welche Gehirnübungen seine Kollegen durchführten, um ihre Gedanken von störenden emotionalen Ausstrahlungen freizuhalten, entschied sich aber selbst dafür, die Sternhaufen ringsum zu betrachten, die in Schwaden und Schleiern aus glühender Materie eingebettet waren. Dann durchfuhr ihn jedoch der Gedanke, daß er seine Augen und seinen Verstand einer schier unendlichen Pracht aussetzte und ein Gefühl des Staunens einen Empathen ebenfalls stören könnte.

Plötzlich zeigte Fletcher, der gelegentlich verstohlen zu Prilicla hinübergeschielt hatte, auf das Alienschiff Conway schaltete das Funkgerät gerade noch rechtzeitig ein, um den Captain sagen zu hören: „Ich glaube, wir können unseren Gefühlen wieder freien Lauf lassen.“

Conway fuhr herum und sah die im Raumanzug steckende Gestalt Priliclas wie einen kleinen Mond über der Metallandschaft des Schiffs schweben, während der Empath einen genau zwischen Mitte und Rand liegenden Punkt mit Leuchtfarbe besprühte. Der Durchmesser der markierten Stelle betrug bereits ungefähr drei Meter, und der Empath vergrößerte sie immer noch.

„Prilicla?“ fragte Conway.

„Zwei Ausstrahlungsquellen, mein Freund“, berichtete der Cinrussker. „Aber die sind beide so schwach, daß ich die Position nicht genau feststellen kann. Sie müssen irgendwo unter dem markierten Rumpfbereich sein. Die emotionale Ausstrahlung ist in beiden Fällen ganz charakteristisch für bewußtlose und stark geschwächte Lebewesen. Ich würde sagen, die beiden Wesen befinden sich in schlechterer Verfassung als die vor kurzem von uns gerettete Dwerlanerin — sie sind beinahe tot.“

Bevor Conway antworten konnte, befahl der Captain in barschem Ton: „Gut, also los! Haslam, Chen, holen Sie die transportable Luftschleuse und die Schneidbrennerausrüstung raus. Diesmal suchen wir, mit Ausnahme von Doktor Prilicla, den Rand jeweils in Zweiergruppen ab. Der eine sucht ganz ohne Licht, und der andere richtet zur Hervorhebung von irgendwelchen Nähten den Scheinwerfer von der Seite auf die Außenhaut. Versuchen Sie irgend etwas zu finden, das wie eine Einstiegsluke aussieht. Und wenn wir die Luke nicht aufbekommen, dann schweißen Sie ein Loch hinein. Suchen Sie schnell, aber sorgfältig. Wenn wir in einer halben Stunde keinen Weg nach innen gefunden haben, schneiden wir die Oberseite in der Mitte der markierten Stelle auf und können nur hoffen, dabei keine Steuerungsgestänge oder Energieversorgungsleitungen zu treffen. Haben Sie noch was hinzuzufügen, Doktor?“

„Ja“, antwortete Conway. „Prilicla, können Sie mir noch irgend etwas Näheres über den Zustand der Überlebenden mitteilen?“

Conway befand sich bereits dicht hinter Fletcher auf dem Weg zurück zum Alienschiff, und der kleine Empath klebte mit den Magneten auf dem markierten Bereich des Rumpfs.

„Meine Erkenntnisse sind größtenteils negativ und beruhen eher auf Annahmen als auf Tatsachen“, erwiderte Prilicla. „Ich kann zwar bei keinem der beiden Wesen Schmerzen feststellen, dafür aber Hunger, Erstickungsgefühle und das dringende Bedürfnis nach irgend etwas, das für das Überleben unabdingbar ist. Eins der Wesen kämpft verzweifelt um sein Leben, während das zweite lediglich wütend zu sein scheint. Aber wegen der schwachen emotionalen Ausstrahlung kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich bei den beiden Wesen überhaupt um intelligente Lebensformen handelt. Allen Anzeichen nach ist das wütende wahrscheinlich ein nichtintelligentes Versuchs- oder Haustier. Aber wie gesagt, sind das alles nur reine Vermutungen, mein Freund, und ich kann mich auch völlig irren.“

„Das bezweifle ich“, entgegnete Conway. „Diese Hunger- und Erstickungsgefühle machen mich allerdings stutzig. Das Schiff ist doch überhaupt nicht beschädigt, und die Luft- und Nahrungsversorgung müßte noch intakt sein.“

„Vielleicht haben die beiden gar keine schweren körperlichen Verletzungen, sondern befinden sich im Endstadium einer Erkrankung der Atemwege, mein Freund“, antwortete Prilicla zaghaft.

„In diesem Fall muß ich wohl mal wieder einen wirksamen Zaubertrank gegen extraterrestrische Lungenentzündung zusammenbrauen“, merkte Murchison von der Rhabwar aus an. „Ich danke Ihnen, Doktor Prilicla!“

Die transportable Luftschleuse — ein dicker, leichtgewichtiger Metallzylinder, über den eine durchsichtige Kunststoffhülle gestülpt war, die später im ausgefalteten Zustand die Vorkammer bildete — wurde in der Nähe des Alienschiffs plaziert. Während Prilicla so nah wie physikalisch möglich bei den Überlebenden blieb, schlössen sich Chen und Haslam dem Captain und Conway an, um eine letzte Suche nach einer feinen Naht auf der Schifffshaut aufzunehmen, die möglicherweise auf eine Einstiegsluke hinwies.

Sie bemühten sich dabei, trotz aller gebotenen Gründlichkeit schnell vorzugehen, weil man nach Priliclas Meinung in bezug auf die Überlebenden keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Immerhin betrug der Schiffsdurchmesser fast achtzig Meter, und sie mußten in der vom Captain vorgegebenen halben Stunde eine enorm lange Strecke absuchen. Trotzdem, es mußte einfach einen Weg nach innen geben — ihr Hauptproblem war nur, daß die Schiffskonstruktion trotz der vielen rauhen und verkrusteten Stellen auf der Oberfläche ein Meisterwerk an technischer Präzision war.

„Wäre es nicht möglich, daß diese rauhen Stellen der Grund für die Notlage des Schiffs sind?“ fragte Conway plötzlich. Er hielt eine Seite seines Helms dicht über den Rumpf und beleuchtete mit dem Scheinwerfer im spitzen Winkel die gerade von Fletcher nach Nähten abgetastete Stelle. „Vielleicht sind die Schwierigkeiten der Überlebenden nur eine Nebenerscheinung“, fuhr er fort. „Der schon fast unnatürlich gute Anschluß zwischen der Außenhaut und den Luken könnte als Schutz gegen eine Art von galoppierender Korrosion auf dem Heimatplaneten dieser Wesen dienen.“

Lange Zeit herrschte Schweigen, dann entgegnete Fletcher: „Das ist allerdings eine äußerst beunruhigende Vorstellung, Doktor, erst recht, weil Ihre galoppierende Korrosion auch unser eigenes Schiff befallen könnte. Aber das glaube ich nicht. Die verkrusteten Flecken scheinen nämlich aus dem gleichen Material zu bestehen wie das Metall darunter — das sind keine Rostschichten. Außerdem befällt die Korrosion anscheinend gerade nicht die Nähte.“

Conway entgegnete darauf nichts. Tief im Innern seines Gehirns regte sich langsam eine Idee und nahm Gestalt an. Doch als die aufgeregte Stimme Chens in seinem Kopfhörer erklang, zerplatzte sie wieder wie eine Seifenblase.

„Hier drüben, Sir!“

Chen und Haslam hatten etwas gefunden, das wie eine große, runde Luke oder ein einzelner Teil der Außenverkleidung von ungefähr einem Meter Durchmesser aussah, und besprühten den Umriß bereits mit Markierungsfarbe, als Fletcher, Prilicla und Conway bei ihnen ankamen. Innerhalb und außerhalb des Kreisumfangs befanden sich keine rauhen Flecken, mit Ausnahme von zwei winzig kleinen Punkten, die direkt am unteren Rand nebeneinanderlagen. Bei näherer Untersuchung zeigte sich darüber hinaus ein etwa zehn Zentimeter großer Kreis, der die beiden rauhen Punkte umschloß.

„Das könnte eine Art Schalter zum Öffnen der Luke sein“, sagte Chen, der angestrengt seine Aufregung unter Kontrolle zu halten versuchte.

„Da haben Sie wahrscheinlich recht“, pflichtete ihm Fletcher bei. „Sie haben beide gute Arbeit geleistet. Stellen Sie jetzt die transportable Schleuse über der Luke auf. Schnell.“ Er legte seine Sensorplatte auf das Metall und führ dann fort: „Unter der Luke befindet sich ein großer, leerer Raum, es handelt sich also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um eine Einlaßschleuse. Falls wir die nicht manuell öffnen können, schneiden wir sie eben auf.“

„Prilicla?“ fragte Conway.

„Nichts, mein Freund“, erwiderte der Empath. „Die Ausstrahlung der Überlebenden ist viel zu schwach, um sie zwischen den anderen Strahlungsquellen in dieser Gegend überhaupt entdecken zu können.“

„Unfalldeck“, sagte Conway. Als sich Murchison meldete, fragte er schnell: „Würde es dir angesichts des Zustands der Überlebenden etwas ausmachen, mit dem transportablen Analysator herüberzukommen? Bald stehen die Atmosphäreproben zur Verfügung, und es würde einiges an Zeit sparen, wenn wir sie nicht erst zu dir zur Analyse rüberbringen müßten. Außerdem wäre auch die Vorbereitungszeit für die Einrichtung der Trage für die Patienten kürzer.“

„Ich hab damit gerechnet, daß du so etwas vorschlägst“, antwortete Murchison knapp. „Zehn Minuten.“

Haslam und Chen brachten die Vorkammer der transportablen Luftschleuse um die Einstiegsluke herum in die richtige Position und befestigten den Plastikstoff mit einer schnell trocknenden Dichtungsmasse am Rumpf. Conway und Fletcher ließen sich dabei von den losen Falten des transparenten Gewebes und der Luke aus Leichtmetall, die ohne Gewicht gegen ihren Rücken schlugen, nicht stören. Der Captain konzentrierte sich ganz und gar auf den Mechanismus, der seiner felsenfesten Überzeugung nach zur Öffnung der Luke diente, und beschrieb dabei sämtliche Eindrücke und Handgriffe für den auf der Rhabwar mitschneidenden Dodds.

„Die zwei rauhen Bereiche im Kreisinnern scheinen keine Rostschichten zu sein“, berichtete er, „sondern sind meiner Meinung nach künstlich aufgerauhte Metallflächen, die den mit Raumhandschuhen versehenen Mundwerkzeugen oder Greiforganen der Schiffsbesatzung bei der Bedienung des Öffhungsmechanismus — das heißt: dieser Scheibe — bessere Haftung geben sollen.“

„Da bin ich mir gar nicht so sicher“, widersprach Conway. Die bei ihm schon einmal kurz aufgeflackerte Idee nahm wieder Gestalt an.

Fletcher überhörte seinen Einwand und fuhr fort: „Also, man könnte die Scheibe im oder gegen den Uhrzeigersinn drehen, in ein Links- oder Rechtsgewinde rein- oder rausschrauben, nach innen drücken oder zusätzlich bis zum Einrasten in die eine oder andere Richtung drehen.“

Während dieser Beschreibung führte der Captain die verschiedenen Druck- und Drehbewegungen durch — allerdings ohne Erfolg. Er erhöhte die Leistung der Fuß- und Handgelenkmagneten für einen festeren Halt am Rumpf, drückte den im Handschuh steckenden Daumen beziehungsweise Zeigefinger auf je einen rauhen Punkt und drehte die Scheibe noch stärker. Seine Hand rutschte plötzlich ab, so daß sich einen Moment lang der gesamte Druck auf den Daumen und den darunterliegenden Punkt konzentrierte. Daraufhin kippte die eine Hälfte der Scheibe, in der dieser Punkt lag, nach unten, und die andere nach oben. Hinter Fletchers Visier war ein hochrotes Gesicht zu sehen.

„.es könnte sich natürlich auch als ein simpler Kippschalter herausstellen“, fügte er rasch hinzu.

Plötzlich schwang die große, runde Luke nach innen, und die Schiffsatmosphäre zischte durch die Öffnung heraus. Das am Rumpf befestigte Gewebe der Schleusenvorkammer blähte sich auf, und der Metallzylinder mit den beiden Luken wurde durch die einströmende Atmosphäre nach oben gedrückt. Dadurch konnten sich Fletcher und Conway nun in einer großen, aufgeblasenen Hemisphäre aus durchsichtigem Kunststoff aufrichten. Während sie zusahen, wie die Einstiegsluke nach innen und schließlich an die Decke der Schleusenkammer des Schiffs klappte, wurde langsam eine kurze Laderampe ausgefahren. Die Rampe wölbte sich nach unten und stoppte an der Position, die nach einer Landung des Schiffs dem Boden entsprochen hätte.

Inzwischen war auch Murchison eingetroffen und beobachtete sie durch den Stoff der transportablen Luftschleuse. „Die aus der Einstiegsluke entwichene Atmosphäre muß ausschließlich aus der Schleusenkammer des Schiffs stammen, da jetzt keine mehr ausströmt“, stellte sie fest. „Wenn ich das Volumen der Schleusenkammer und das unserer eigenen transportablen Schleuse messe, könnte ich den von den Aliens benötigten atmosphärischen Druck berechnen und außerdem die in der Atmosphäre enthaltenen Gase analysieren. ich komme rein.“

„Offensichtlich eine Verpflegungsluke“, folgerte Fletcher. „Eigentlich müßten die noch eine kleinere, weniger komplizierte Luke für Außeneinsätze im All haben und.“

„Nein“, widersprach ihm Conway in ruhigem, aber sehr bestimmtem Ton. „Diese Wesen würden ihr Schiff auf keinen Fall zu Außeneinsätzen verlassen. Die hätten viel zuviel Angst, vom Schiff abzutreiben und verlorenzugehen.“

Murchison blickte ihn sprachlos an, und Fletcher entgegnete ungeduldig: „Ich verstehe kein Wort, Doktor. Prilicla, hat es von den Überlebenden irgendeine emotionale Reaktion gegeben, als wir die Schleuse geöffnet haben?“

„Nein, Freund Fletcher“, antwortete der Empath. „Freund Conway strahlt so starke Emotionen aus, daß ich nicht mehr in der Lage bin, irgendwelche Gefühle der Überlebenden festzustellen.“

Der Captain starrte Conway einen Moment lang an und sagte dann verlegen: „Doktor, mein Spezialgebiet ist das Studium extraterrestrischer Mechanismen, Steuerungssysteme und Kommunikationsgeräte gewesen, und meine große Erfahrung auf diesem Gebiet hat zu meiner Berufung zum Captain dieses Ambulanzschiffs geführt. Der Grund, warum ich diesen Verschlußmechanismus so schnell bedienen konnte, ist zum Teil meiner Sachkenntnis und zum Teil purem Glück zuzuschreiben. Für Sie, Doktor, dessen Sachkenntnis auf einem vollkommen anderen Gebiet liegt, besteht also überhaupt kein Anlaß zur Verärgerung, nur weil ich.“

„Entschuldigen Sie die Unterbrechung, mein Freund“, warf Prilicla schüchtern ein, „aber er ist ja gar nicht verärgert. Freund Conway ist vielmehr erstaunt, und zwar aufs äußerste erstaunt.“

Sowohl Murchison als auch Fletcher starrten Conway an. Zwar stellte keiner der beiden die naheliegende Frage, aber er beantwortete sie trotzdem und sagte sehr ernst: „Warum greift wohl eine blinde Spezies nach den Sternen?“

Es dauerte mehrere Minuten, dem Captain begreiflich zu machen, daß Conways Theorie mit allen bekannten Fakten zusammenpaßte. Doch selbst dann war Fletcher von der Blindheit der Besatzung immer noch nicht vollkommen überzeugt. Ohne Zweifel stellten die rauhen Bereiche an der Schiffsunterseite, besonders die in der Nähe der Düsen, für ein nur über den Tastsinn verfügendes Lebewesen eine deutliche, sozusagen spürbare Warnung vor Gefahr dar. Und bei den in regelmäßigen Abständen am Rand verteilten kleineren Stellen handelte es sich wahrscheinlich um Abdeckhauben der weniger gefährlichen Lagesteuerungsdüsen. Die zahlreicheren und kleinsten Flecken aus der Substanz, die vom Untersuchungsteam zunächst für Rost gehalten worden waren, konnten durchaus in einer Art extraterrestrischer Blindenschrift geschriebene Öffnungs- oder Wartungshinweise für Einstiegsluken sein.

Conways Theorie wurde außerdem durch das völlige Fehlen durchsichtiger Materialien und besonders von Sichtfenstern gestützt, obwohl nicht auszuschließen war, daß Fenster vorhanden und nur mit abnehmbaren Metallplatten abgedeckt worden waren. Es war eine ausgezeichnete Theorie, das mußte Fletcher zugeben, aber er selbst wollte lieber an eine Schiffsbesatzung glauben, die in einem anderen Bereich des Wellenspektrums „sehen“ konnte, als an vollkommen blinde Wesen glauben.

„Aber warum dann die Blindenschrift?“ fragte Conway. Hierauf gab Fletcher jedoch keine Antwort, weil sich bei näherer Untersuchung ganz klar herausstellte, daß die rauhen Punkte auf den Platten und Schaltern nicht einfach nur besserem Halt dienten — denn jeder war so einzigartig wie ein Fingerabdruck.

Genau wie die Außenhaut des Schiffs bestand das Innere der Schleuse aus unlackiertem, blankem Metall. Die Schleusenkammer selbst war zwar zum aufrechten Stehen groß genug, aber die beiden unter der Innen- und Außenluke sichtbaren Öffnungsschalter befanden sich nur wenige Zentimeter über dem Boden. Man konnte auch eine ganze Anzahl kurzer, breiter Kratzer und ein paar flache Beulen sehen, als ob erst vor ziemlich kurzer Zeit irgend etwas Schweres und Scharfkantiges ein- oder ausgeladen worden wäre.

„Physiologisch gesehen könnte diese Lebensform ziemlich ausgefallen sein“, sagte Murchison. „Vielleicht ein großes Wesen mit Greiforganen auf Bodenhöhe oder aber eine körperlich kleine Spezies, deren Schiff so konstruiert wurde, daß es auch von größeren Lebewesen besucht oder benutzt werden kann. Im letzteren Fall dürfte die Bergung nicht durch xenophobische Reaktionen der Überlebenden erschwert werden, da sie ja bereits von der Existenz anderer intelligenter Lebensformen und der möglichen Rettung durch eine Gruppe von Angehörigen einer fremden Spezies wissen.“

„Das hier ist wohl eher eine Frachtschleuse, Murchison“, bedauerte Fletcher. „Und es war auch eher die Fracht, die ein so großes Gewicht hatte, als einer Ihrer extraterrestrischen Freunde — falls es die überhaupt gibt. Sind Sie bereit hineinzugehen?“

Statt einer Antwort schaltete Murchison den Helmscheinwerfer auf einen breitgefächerten Lichtstrahl um. Conway und der Captain folgten ihrem Beispiel.

Fletcher hatte bereits mit Erfolg ausprobiert, ob er mit Haslam und Chen draußen vor dem Schiff und mit Dodds auf der Rhabwar den Funkverkehr in beide Richtungen aufrechterhalten konnte, indem er den Metallrumpf mit der Helmantenne berührte — denn auf diese Weise diente der Schiffsrumpf sozusagen als verlängerte Antenne. Jetzt kniete er sich hin und drückte auf den unter der Außenluke knapp über dem Boden angebrachten Schalter. Die Luke schloß sich, und der Captain verfuhr ebenso mit dem gleichermaßen plazierten Schalter unter der Innenluke.

Ein paar Sekunden lang geschah gar nichts, doch dann hörten sie das Zischen der in die Schleusenkammer einströmenden Atmosphäre, und sie spürten, wie ihre aufgeblähten Anzüge durch den entstehenden Außendruck ein wenig eingedrückt wurden. Als sich die Innenluke schließlich öffnete und den Blick in einen langgestreckten, dunklen und anscheinend leeren Gang freigab, drückte Murchison geschäftig auf den Knöpfen ihres Analysators herum. „Was atmen die denn?“ fragte Conway. „Einen kleinen Moment noch, ich überprüfe das lieber zweimal“, antwortete Murchison. Auf einmal öffnete sie das Visier, lächelte und sagte: „Beantwortet das deine Frage?“

Als er das eigene Helmvisier hob, knackten Conway wegen des leichten Luftdruckunterschieds die Ohren. „Die Überlebenden sind also warmblütige Sauerstoffatmer und benötigen ungefähr den auf der Erde herrschenden atmosphärischen Druck. Das erleichtert natürlich die Vorbereitungen zur Unterbringung auf der Station enorm.“

Fletcher zögerte kurz, dann öffnete auch er das Visier. „Zunächst müssen wir sie erst einmal finden“, gab er zu bedenken.

Sie betraten einen Korridor, der rundherum mit vollkommen glattem Metall ausgekleidet war — bis auf eine große Anzahl Beulen und Kratzer, die sich über eine Entfernung von ungefähr dreißig Metern bis in die Schiffsmitte erstreckten. Auf dem Boden am Ende des Gangs lag ein unidentifizierbares Etwas, das wie ein Gewirr von Metallstangen aussah, die aus einer dunkleren Substanz herausragten. Murchisons Füßmagneten verursachten laute, scharrende Geräusche, als sie darauf zurannte.

„Vorsichtig, Murchison“, rief Fletcher. „Falls Conways Theorie stimmt, haben sämtliche Schalter, Knöpfe und Hinweis- oder Warnschilder irgendwelche Sensor- oder Tastmechanismen. Und schließlich ist hier im Schiff immer noch Energie vorhanden, sonst hätte eben der Schleusenmechanismus nicht funktioniert. Wenn die Besatzungsmitglieder in vollkommener Dunkelheit leben und arbeiten, müssen wir mit den Fingern und Füßen denken lernen und dürfen nichts anfassen, was wie ein Rostfleck aussieht.“

„Ich werde schon vorsichtig sein, Captain“, antwortete Murchison.

An Conway gewandt sagte Fletcher: „Unter der Innenluke sitzt genau so ein Schalter wie bei den anderen.“ Er richtete den Helmscheinwerfer auf die fragliche Stelle und deutete dann auf einen kleineren Kreis, der sich ein paar Zentimeter rechts vom Schalter befand. „Bevor wir weitergehen, würde ich gerne den Zweck dieses Schalters herausfinden.“

„Na ja“, entgegnete Conway, „das einzige, was wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen können, ist, daß es sich bestimmt nicht um einen Lichtschalter handelt.“

Er lachte noch, als Fletcher auf die eine Hälfte des runden Betätigungsfelds drückte.

Murchison entfuhr vor Überraschung ein nicht eben vornehmes Grunzen, als der Korridor plötzlich von hellgelbem Licht aus einer unsichtbaren Quelle am anderen Ende des Gangs überflutet wurde.

„Kein Kommentar“, meinte der Captain nur.

Conway spürte, wie er vor Verlegenheit einen hochroten Kopf bekam, und murmelte irgend etwas wie, daß das Licht bestimmt dazu bestimmt sei, Besuchern das Leben an Bord problemloser zu gestalten.

„Falls diese hier Besucher gewesen sind, haben die aber sehr ernsthafte Probleme gehabt“, folgerte die am anderen Ende des Gangs angelangte Murchison. „Seht euch das mal an.“

Der Gang knickte am anderen Ende im rechten Winkel ab, aber der Zugang zum nächsten Schifffsabschnitt wurde durch ein massives Gitter versperrt, das aus seinen Verankerungen in Wand und Decke gerissen worden war. Hinter dem beschädigten Gitter ragten aus Decke und Wänden Dutzende von Metallstäben und — stangen in den Gang hinein. Aber Murchison, Fletcher und Conway schenkten dieser seltsamen Metallwucherung kaum Beachtung, weil sie auf die drei Extraterrestrier starrten, die in großen, getrockneten Lachen ihrer eigenen Körperflüssigkeit lagen.

Es handelte sich um zwei völlig verschiedene physiologische Typen, das sah Conway sofort. Der große Leichnam ähnelte einem Tralthaner, besaß aber weniger Masse. Außerdem waren die Beine unter dem halbkugelförmigen, am Rand leicht nach oben gewölbten Panzer kürzer. Aus weiter oben im Panzer gelegenen Öffnungen wuchsen vier lange und nicht besonders dünne Tentakel, die in flachen, speerartigen Spitzen mit gezackten Knochenkanten endeten. In der Mitte zwischen zwei Tentakelöfffnungen befand sich ein größerer Spalt im Panzer, aus dem ein Kopf heraushing, der fast nur aus Maul und Zähnen zu bestehen schien und gerade noch Platz genug für zwei Augen bot, die auf dem Bodden tiefer, knöcherner Krater lagen. Nach Conways erstem Eindruck handelte es sich bei diesem Geschöpf um nur wenig mehr als eine organische Tötungsmaschine.

Er mußte sich daran erinnern, daß auch dem Personal des Orbit Hospitals mehrere Wesen angehörten, die Mitglieder hochintelligenter und — sensibler Spezies waren und trotzdem immer noch die körperlichen Eigenschaften besaßen, die ihnen erst den Kampf an die Spitze der Evolutionsleiter ihres Heimatplaneten ermöglicht hatten.

Die beiden anderen Wesen gehörten zu einer viel kleineren Spezies mit weit geringerer organischer Bewaffnung. Ihr Körper war ziemlich rund, hatte einen Durchmesser von knapp über einem Meter und bildete im Querschnitt ein an der Unterseite leicht abgeflachtes, schmales Oval. Von der Form her ähnelten diese Wesen sehr stark ihrem Schiff — das hatte aber natürlich kein langes, dünnes, nach hinten stehendes Horn oder einen Stachel und auf der anderen Seite auch keinen langen, schmalen Schlitz, der offensichtlich der Mund war. Die Oberlippe dieses Mauls war breiter und dicker als die Unterlippe. Bei einem der Wesen hing sie über der unteren und verschloß auf diese Weise anscheinend den Mund. Beide Leichen waren oben und unten sowie an der Seite mit einer Art Stoppeln bedeckt, deren Dicke von der Stärke einer Nadel bis zum Umfang eines kleinen Fingers reichte. Die Stoppeln an der Unterseite des Körpers waren viel gröber als die auf der Oberseite. Offensichtlich dienten sie teilweise zur Fortbewegung.

„Es ist ganz klar, was hier passiert ist“, sagte Fletcher. „Als sich das große Wesen aufgrund ungenügender Sicherheitsvorkehrungen losgerissen hat, sind zwei Mitglieder der Spezies, die hier auf dem Schiff die Besatzung stellt, gestorben. Und die von Prilicla entdeckten Überlebenden sind mit der Situation vermutlich nicht fertig geworden und haben deshalb die Notsignalbake ausgesetzt.“

Eins der beiden kleineren Wesen hatte mehrere Schnitt- und Stichwunden erlitten und lag wie ein zerrissenes und zerknülltes Stück Teppich unter den Hinterfüßen seines Mörders. Sein weit weniger Wunden aufweisender, nichtsdestoweniger aber genauso toter Begleiter hatte fast die Flucht durch eine niedrige Wandöffnung über dem Boden geschafft, war vorher jedoch außer Gefecht gesetzt und von einem der Vorderfüße des Angreifers zu Tode gequetscht worden. Dieses Besatzungsmitglied war vor dem Tod aber noch in der Lage gewesen, dem größeren Allen an der Körperunterseite mehrere tiefe Stichwunden zuzufügen, und in einer dieser Wunden steckte noch das kaum mehr sichtbare abgebrochene Horn beziehungsweise der Stachel.

„Das sehe ich auch so“, pflichtete Conway dem Captain bei. „Aber eine Sache bereitet mir noch Kopfzerbrechen. Die blinden Aliens scheinen ihr Schiff zur Unterbringung der größeren Lebensform umgebaut zu haben. Warum sollten sie sich mit dem Fangen einer so gefährlichen Spezies solche Mühe machen? Entweder haben sie die größeren ETs dringend gebraucht oder es aus irgendeinem Grund für äußerst nützlich gehalten, als blinde Besatzung das Risiko einer gemeinsamen Gefangenschaft mit diesen ETs auf einem Schiff einzugehen.“

„Vielleicht haben Sie Waffen zur Reduzierung des Risikos“, entgegnete Fletcher. „Weitreichendere und wirkungsvollere Waffen als das Horn oder den Stachel, den die beiden da aus welchem Grund auch immer zu tragen versäumt haben, und wofür sie mit dem Leben bezahlen mußten.“

„Was für eine weitreichende Waffe könnte denn ein Wesen entwickeln, das einzig und allein über den Tastsinn verfügt?“ fragte Conway.

Murchison bemühte sich, den drohenden Streit abzuwenden. „Trotz der Blindheit der Aliens wissen wir nicht mit Sicherheit, daß sie nur über den Tastsinn verfügen“, stellte sie fest. „Und was den Wert der großen Lebensform für sie angeht — vielleicht stellt diese eine sich schnell vermehrende Nahrungsquelle dar oder möglicherweise enthalten das Zellgewebe oder die Organe der großen ETs wertvolle Bestandteile für Medikamente. Es kann sich aber auch um einen für unsere Begriffe völlig exotischen Grund handeln. Entschuldigen Sie mich.“

Sie schaltete den Anzugfünk ein und meldete knapp: „Naydrad! Wir haben hier drei Leichen zum Transport ins Labor. Legen Sie sie zur Vermeidung zusätzlicher Schäden durch Dekompression bitte in die Trage.“ An Conway und Fletcher gewandt führ sie fort: „Ich glaube nicht, daß mir die restlichen Besatzungsmitglieder die Obduktion ihrer Freunde übelnehmen würden, zumal der große ET ja schon mit dem Öffnen der Leichen begonnen hat.“

Conway nickte. Schließlich wußten sie beide: je mehr sie über die Physiologie und den Stoffwechsel der beiden toten Aliens herausfinden konnte, desto größer waren die Chancen, den blinden Überlebenden zu helfen.

Mit Fletchers Hilfe befreiten sie den großen Leichnam aus dem Käfig und dem seltsamen Dickicht aus Metallstäben und — stangen, von dem er auf den Boden gepreßt wurde. Dazu mußten Sie das von dem ET in den Käfig gerissene Loch vergrößern. Das erforderte die vereinten Kräfte von Fletcher, Conway und Murchison und vermittelte einen Eindruck von der Kraft des Wesens, das die Gitterstäbe verbogen hatte. Als sie den Alien befreit hatten, öffneten sich die Tentakel und blockierten beim freien Schweben des Leichnams in dem beschränkten Raum praktisch den gesamten Gang.

Während sie den Körper zur Luftschleuse schoben, sagte Murchison: „Die Verteilung der Beine und Tentakel ist zwar ähnlich wie bei der FROB-Lebensform vom Planeten Hüdlar, aber der Panzer gleicht einem melfanischen ELNT-Ektoskelett ohne Zeichnung, und das Wesen ist auf jeden Fall kein Pflanzenfresser. Da es sich um einen warmblütigen Sauerstoffatmer handelt und die Gliedmaßen keinerlei Anzeichen für die Fähigkeit zum Gebrauch von Werkzeugen oder anderen Gegenständen aufweisen, würde ich den ET vorläufig als FSOJ und wahrscheinlich nichtintelligent klassifizieren.“

„Unter Berücksichtigung der Umstände ist er ganz sicher nichtintelligent“, stimmte ihr Fletcher auf dem Rückweg zum vergitterten Teil des Gangs zu. „Es handelt sich bestimmt um ein ausgebrochenes Tier, Murchison.“

„Wir Ärzte legen uns nie fest“, entgegnete Murchison höflich lächelnd, „gerade, wenn es um eine brandneue Lebensform geht. Im Moment würde ich mir nicht einmal den Versuch einer Klassifikation der blinden Aliens zutrauen.“

Da sie die kleinste in der Gruppe war, zwängte sich Murchison vorsichtig durch das beschädigte Gitter und zwischen den aus Wand und Decke ragenden Stäben und Stangen hindurch. Wären nicht schon viele Stangen von dem großen ET verbogen worden, hätte sie nie im Leben zu dem blinden Alien gelangen können.

„Das hier ist ja ein äußerst merkwürdiger Käfig“, sagte sie völlig außer Atem, nachdem sie bei der Leiche angekommen war.

Trotz der hellen Beleuchtung des Korridors konnten sie das andere Ende des mit Gittern zum Käfig umfunktionierten Abschnitts nicht sehen, weil die vom Gang verfolgte Schiffskrümmung bei dieser relativ geringen Entfernung vom Mittelpunkt so scharf war, daß der Blick nicht weiter als zehn Meter reichte. Die aus den jedoch sichtbaren Korridorwänden und auch aus der Decke ragenden Metallstangen und — stäbe hatten teils scharfe, teils spatelförmige Spitzen, und ein paar wenige wiesen Enden auf, die kleinen und mit stumpfen Dornen besetzten Metallkugeln ähnelten. Die Wandschlitze, aus denen diese Stangen herausragten, waren so lang, daß die jeweilige Stange sowohl nach oben und unten als auch zu beiden Seiten große Bewegungsfreiheit hatte. Die Gitterstäbe hingegen, die aus mit Ringen eingefaßten, runden Löchern heraushingen, waren nur zum Hinein- und Herausstoßen gedacht.

„Ich finde den Käfig auch merkwürdig, Murchison“, pflichtete ihr Fletcher bei. „Obwohl ich ET-Technik studiert hab, kann ich damit überhaupt nichts anfangen. Es ist auf jeden Fall ein äußerst großer Käfig — wenn er sich sogar ganz ums Schiff erstreckt, sollte ich ihn vielleicht besser als sehr lang bezeichnen. Möglicherweise mußte er mehr als ein Tier beherbergen, oder das einzelne Tier hat viel Auslauf gebraucht. Das ist zwar nur eine Vermutung, aber ich würde sagen, die in den Gang ragenden Stangen und Stäbe stellen eine Art Hindernis dar, wodurch das Tier in jedem beliebigen Teil des Käfigs zur Fütterung oder zur körperlichen Untersuchung festgehalten werden konnte.“

„Das halte ich für eine höchstwahrscheinlich zutreffende Vermutung“, entgegnete Conway. „Und beim Ausfall der beweglichen Hindernisse ist das Metallgitter eine zusätzliche Sicherung, die in diesem Fall aber dem Angriff des Tiers nicht standhalten konnte. Ich frage mich bloß, wie weit dieser Gang dem Schiffsumfang folgt. Verlängert man nämlich diesen Bogen bis auf die andere Schiffsseite, dann gelangt man genau an der Stelle an, wo Prilicla die zwei Überlebenden entdeckt hat. Nach Prilicla hat einer der Überlebenden auf einer sehr niedrigen, womöglich tierischen Stufe Zorn ausgestrahlt, während die emotionale Ausstrahlung des zweiten Wesens weit differenzierter war.

Nehmen wir einmal an, am anderen Ende dieses Käfiggangs oder sogar außerhalb davon befindet sich zusammen mit einem weiteren großen ET ein schwer verletzter Alien, der mit dem Töten des Tiers nicht so erfolgreich war wie sein Besatzungskollege…“

Er brach ab, als Naydrad über Kopfhörer ihre Ankunft mit der Drucktragbahre vor dem Schiff meldete. Murchison schob den ersten Alien zur Schleuse und sagte: „Wenn Sie noch ein paar Minuten warten, Naydrad, können Sie alle drei Wesen in die Bahre legen.“

Fletcher hatte Conway, während der seine Vermutungen angestellt hatte, die ganze Zeit angestarrt. Dem Captain war die Abneigung gegen den Gedanken an einen weiteren großen FSOJ auf dem Schiff ganz deutlich anzusehen. Er deutete auf den Leichnam des zweiten blinden Aliens und sagte in besorgtem Ton: „Dieser hier wäre beinahe entkommen, nachdem er den FSOJ mit seinem Horn getötet hatte. Wenn wir wüßten, wohin er zu fliehen versuchte, müßten wir auch den Aufenthaltsort seines entkommenen Besatzungskollegen kennen.“

„Also lassen Sie uns danach suchen“, schlug Conway vor.

Die Zeit für die Überlebenden, egal, welcher Spezies sie auch angehörten, lief allmählich ab.

Auf Bodenhöhe befand sich eine flache, rechteckige Öffnung, die breit und hoch genug war, um einem blinden Alien das Passieren zu ermöglichen. In dieser Öffnung steckte fast ein Drittel des flachen, runden Körpers des zweiten Aliens. Beim Versuch, ihn herauszuholen, stießen Fletcher und Conway auf Widerstand und mußten deshalb vorsichtig am Körper ziehen, um ihn freizubekommen. Dann schoben sie den Leichnam zu Murchison, die bereits darauf wartete, ihn zusammen mit den beiden anderen Leichen in die Luftschleuse zu bringen. Plötzlich wurden sie durch eine Meldung über den Anzugfunk in ihrer Tätigkeit unterbrochen.

„Sir! Auf der oberen Schiffsseite geht gerade eine Luke auf. Das sieht ganz aus, als ob. da fährt eine Antenne aus!“

„Prilicla, die Überlebenden!“ rief Conway schnell. „Ist davon einer bei Bewußtsein?“

„Nein, mein Freund“, antwortete der Empath. „Die beiden liegen immer noch in tiefer Bewußtlosigkeit.“

Fletcher starrte Conway einen Moment lang an. „Wenn die Überlebenden die Antenne nicht ausgefahren haben, dann haben wir das getan“, sagte er nachdenklich, „vielleicht beim Herausziehen des blinden Aliens aus der Öffnung.“ Auf einmal beugte er sich nach vorn und setzte die Hände auf den Boden. Dann schob er die Füße auf den Magneten nach hinten, bis er flach auf dem Boden des Gangs lag. Er drückte den Kopf dicht an die Öffnung, durch die der blinde Alien zu fliehen versucht hatte, und richtete den Lichtkegel des Helmscheinwerfers hinein. „Jetzt sehen Sie sich das mal an, Doktor!“ sagte er triumphierend. „Ich glaube, wir haben die Kommandozentrale gefunden.“

Sie blickten in einen breiten, niedrigen Tunnel, dessen Abmessungen nur wenig größer als die der Alienkörper waren. Auch hier war die Sichtweite eingeschränkt, weil der Tunnel genauso wie der hinter ihnen liegende Gang der Krümmung des Schiffs folgte. Der Tunnelboden war von der Öffnung aus ungefähr vierzig Zentimeter weit vollkommen glatt, an der Decke hingegen befanden sich genau die gleichen, mit Blindenschrift gekennzeichneten Schalter wie in der Luftschleuse. Kontrollampen oder optische Displays fehlten natürlich völlig. Kurz hinter diesem Bereich verschwand die Tunneldecke, und dort konnte man deutlich das erste Steuerpult sehen.

Von der Form her ähnelte es einem runden, elliptisch unterteilten Sandwich. Die dadurch um den Rand herum entstehende Öffnung ermöglichte der blinden Besatzung den Zugang. Conway und Fletcher konnten an den Innenseiten des Sandwiches Hunderte von Schaltern und auf den Außenflächen Kabelstränge und Leitungen sehen, die die Schalter mit den von ihnen gesteuerten Mechanismen verbanden. Der Großteil dieser Kabelstränge führte zur Schiffsmitte, während sich die restlichen zur Ober- und Unterseite des Rumpfs schlängelten. Ein paar wenige verliefen zum Schiffsrand. Eine farbliche Kennzeichnung der Kabel war nicht auszumachen, aber in die Kabelmäntel waren verschiedene Muster eingeprägt und eingestanzt, die für blinde, auf den Tastsinn angewiesene Techniker dieselbe Funktion wie Farbcodierungen erfüllten. Hinter dem ersten Steuerpult war noch ein zweites zu sehen.

„Ich kann zwar nur zwei Steuerpulte deutlich erkennen, aber wie wir wissen, besteht die Besatzung aus mindestens drei Mitgliedern“, sagte Fletcher. „Der Überlebende befindet sich wahrscheinlich hinter dieser Kurve und ist deshalb nicht zu sehen. Wenn wir uns bloß durch den Tunnel quetschen könnten.“

„Das ist physikalisch unmöglich“, warf Conway ein.

„… ohne bei jedem Schritt an Schalter zu kommen und sämtliche Schiffssysteme anzuschalten“, fuhr Fletcher unbeirrt fort. „Ich frage mich, warum diese trotz ihrer Blindheit anscheinend nicht dummen Wesen so dicht am Käfig eines gefährlichen, gefangenen Tiers ein Steuerpult aufgestellt haben. Damit sind die doch ein großes Risiko eingegangen.“

„Wenn die Aliens das Tier schon nicht im Auge behalten konnten, dann mußten sie wenigstens nahe mit ihm in Verbindung bleiben“, entgegnete Conway trocken.

„Sollte das etwa ein Witz sein?“ entgegnete Fletcher mißbilligend, während er einen der Handschuhe auszog und den Arm in die Öffnung steckte. Ein paar Sekunden später berichtete er: „Ich glaube, ich kann den Schalter fühlen, den wir beim Herausziehen des blinden Aliens ausgelöst haben. Ich drücke jetzt mal drauf.“

Sofort meldete Chens Stimme auf der Anzugfrequenz: „Dicht neben der ersten fährt jetzt eine zweite Antenne aus, Sir.“

„Oh, Entschuldigung“, antwortete Fletcher. Während er mit den Fingern über die extraterrestrischen Schalter und Knöpfe tastete, nahm sein Gesicht einen Moment lang einen äußerst konzentrierten Ausdruck an, und kurz darauf meldete Chen das Verschwinden beider Antennen. Der Captain lächelte und fuhr fort: „Angenommen, die Bedienungselemente sind zweckmäßig in Gruppen angeordnet, und die Schalter für Energie, die Lagesteuerung, das Lebenserhaltungssystem, die Kommunikation und so weiter liegen an ihren eigenen, ganz bestimmten Stellen des Steuerpults, dann würde ich sagen, der blinde Alien hat im Sterben die Kommunikationsschalttafel berührt. Er hat es noch geschafft, die Notsignalbake auszusetzen, und das war wahrscheinlich auch das letzte, was er in seinem Leben noch tun konnte.

Ach, Doktor, könnten Sie mir wohl mal bitte die Hand reichen?“ fragte er Conway.

Conway streckte dem Captain die Hand hin, um ihm Halt zu geben und wieder auf die Beine zu helfen, während Fletcher die andere Hand vorsichtig aus der Öffnung zog. Plötzlich rutschte einer seiner Fußmagneten über den Boden. Instinktiv warf er zur Vermeidung eines Sturzes den freien Arm nach hinten — obwohl er in der Schwerelosigkeit gar nicht fallen konnte — und stieß dabei die Hand in den Bereich der Schalter zurück.

„Ich hab irgendwas berührt“, meldete er besorgt.

„Das kann man wohl sagen“, bestätigte Conway und deutete auf den vergitterten Gangabschnitt.

„Sir!“ rief Haslam über Funk. „Wir registrieren starke, periodisch auftretende Vibrationen in der gesamten Schiffskonstruktion, auch metallische Geräusche!“

Murchison kam von der Luftschleuse durch den Gang herbeigeeilt und bremste sich geschickt an der Wand ab. „Was ist denn los?“ fragte sie. Dann sah auch sie in den Käfiggang und fragte noch mal: „Was passiert denn da?“

Bis in den letzten noch einsehbaren Winkel hatte in dem gekrümmten Gang eine heftige und lautstarke mechanische Tätigkeit eingesetzt. Die aus den Wandschlitzen ragenden Metallstangen schlugen bis an die Grenzen ihrer Bewegungsfreiheit vor und zurück oder auf und nieder, während die Stäbe mit den spitzen oder morgensternartigen Enden von der Decke wie Kolben hoch- und herunterstießen. Mehrere der Stangen und Kolben waren stark verbogen und schlugen gegeneinander, und das war auch der Grund für den Höllenlärm. Während sie noch diesem Spektakel zusahen, öffnete sich ein paar Meter hinter dem Gitter in der Innenbordwand des Gangs eine kleine Klappe, aus der eine dickem Porridge ähnelnde Masse herausgepreßt wurde, die wie ein mißgebildeter Fußball der nächsten, wild hin- und herschwingenden Stange in den Weg rollte.

Die Substanz spritzte in alle Richtungen, und die kleineren Stückchen wurden von den restlichen Stangen und Kolben zerstampft, bis die Masse wie ein dichter Hagelschauer über dem Gang umherwirbelte. Murchison füllte etwas davon in einen Probenbeutel ab.

„Das ist offenbar eine Art Fütterspender“, sagte sie. „Aus einer Analyse dieser Substanz werden wir eine Menge über den Stoffwechsel der großen ETs erfahren. Meiner Ansicht nach sind diese Stangen und Kolben kein Mittel zum Aufhalten des FSOJs — es sei denn, zum Aufhalten gehört das Knüppeln bis zur Bewußtlosigkeit.“

„Wenn man keinen leistungsstarken Pressorstrahl einsetzen kann, ist das bei so einer Klassifikation wie FSOJ vielleicht die einzige Möglichkeit“, erwiderte Conway nachdenklich.

„Trotzdem, meine Sympathie für die blinden Aliens hat merklich nachgelassen“, fuhr Murchison fort. „Der Gang hier sieht schon mehr nach einer Folterkammer als nach einem Käfig aus.“

Conway hatte bereits den gleichen Eindruck gehabt, und auch dem Captain mußte, seinem erschütterten und bestürzten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, dieser Gedanke durch den Kopf gegangen sein. Sie alle hatten gelernt und waren überzeugt, daß es so etwas wie eine von Grund auf böse und feindselige intelligente Spezies überhaupt nicht gab. Schon die bloße Andeutung, etwas Derartiges für möglich zu halten, würde zur Entlassung aus dem Monitorkorps oder dem größten Hospital der Föderation mit vielfältigen Umweltbedingungen führen. Extraterrestrier waren anders, manchmal sogar vollkommen und auf direkt unheimliche Weise anders. Im Anfangsstadium eines Kontakts war bis zum vollen Verständnis der physiologischen, psychologischen und kulturellen Zusammenhänge ein großes Maß an Vorsicht erforderlich. Doch so etwas wie eine böse Spezies gab es nicht. Vielleicht böse und asoziale Individuen, doch niemals eine böse Spezies als Ganzes.

Jede Spezies, die sich bis zu dem Punkt sozialer und technologischer Zusammenarbeit entwickelt hatte, daß ihr interstellare Raumreisen möglich waren, mußte zivilisiert sein. Das war die feste und ernsthafte Überzeugung der fortschrittlichsten, auf den Körpern von ungefähr sechzig verschiedenen Lebensformen sitzenden Köpfen der Föderation. Conway war zwar nie im Leben auch nur im geringsten fremdenfeindlich eingestellt gewesen, aber er war auch nicht völlig davon überzeugt, daß es nicht doch irgendwo die berühmte Ausnahme gab, die die Regel bestätigte.

„Ich kehre jetzt mit den Proben wieder auf die Rhabwar zurück“, sagte Murchison in sehr ernstem Ton. „Vielleicht gelingt es mir, ein paar Antworten zu finden — obwohl die eigentliche Schwierigkeit offenbar im Finden der richtigen Frage besteht.“

Fletcher lag erneut mit einer Hand im Bereich der Schalter ausgestreckt auf dem Boden. „Ich muß dieses. was auch immer das ist, ausschalten. Aber ich weiß leider die genaue Position meiner Hand beim Anschalten nicht mehr oder ob ich gleichzeitig noch was anderes angeschaltet hab“, sagte er und betätigte den Schalter für den Anzugfunk. „Haslam, Chen. Würden Sie bitte die räumliche Ausdehnung der Geräusche und Vibrationen erfassen und nach Anzeichen für weitere unübliche mechanische Vorgänge im Schiff suchen?“ An Conway gewandt führ er fort: „Doktor, würden Sie mir einen Gefallen tun, während ich den richtigen Schalter suche? Bearbeiten Sie mit meinem Schneidbrenner die Korridorwand genau in der Mitte zwischen der L-förmigen Verstärkung und der Luftschleuse.“

Er brach ab, als sie plötzlich in absolute Dunkelheit getaucht waren, die das Dröhnen und metallische Kreischen zu solchem Ausmaß verstärkte, daß Conway schon beinahe panisch nach dem Schalter für den Helmscheinwerfer tastete. Doch bevor er ihn noch gefunden hatte, ging schon wieder die Schiffsbeleuchtung an.

„…der Schalter war es offensichtlich nicht“, sagte Fletcher. „Der Grund, warum Sie das tun sollen, Doktor, ist die Suche nach einem einfacheren Weg zu den Überlebenden als der durch den Korridor. Sie werden wahrscheinlich schon bemerkt haben, daß der Großteil der Kabelstränge von den Steuerpulten nach innen zum Bereich der Energiegeneratoren des Schiffs führen, und nur sehr wenige nach außen zum Rand verlaufen. Daraus schließe ich, daß der ganze Bereich außerhalb des Käfiggangs und der Kommandozentrale aus den Lager- oder Frachtabschnitten besteht, die sich eigentlich, wenn die blinden Aliens bei ihren Raumschiffen der elementaren Konstruktionsphilosophie folgen, aus großen Räumen zusammensetzen müßten, die durch simple Türen und nicht durch unter Druck stehende Schotts und Luftschleusen miteinander verbunden sind. Wenn das so ist — und die Sensoranzeigen scheinen das zu bestätigen —, dann müßten wir zur Überbrückung der Steuerpulte nur ein bißchen Ladung oder ein paar Vorräte beiseite räumen und könnten ziemlich schnell zu den Überlebenden vordringen. Außerdem würden wir dem Risiko einer Durchquerung dieses Gangs ausweichen und brauchten uns auch keine Sorgen zu machen, beim Aufschweißen der Oberseite aus Versehen das Schiff zu dekomprimieren.“

Noch bevor Fletcher seine Ausführungen beendet hatte, schnitt Conway schon ein schmales, hochkant stehendes Rechteck in die Wandverkleidung. Diese Form ermöglichte es ihm, gleichzeitig mit dem Helmscheinwerfer durch die Öffnung zu leuchten und in den dahinterliegenden Raum zu blicken. Doch als er die Wand aufgeschweißt hatte, war nichts zu sehen als eine schwarze, pulverige Substanz, die aus der Öffnung herausrieselte und als schwerelose Wolke im Raum schwebte, bis die Bewegung der Schneidbrennerfamme sie zu kleinen, dreidimensionalen Strudeln zerstäubte.

Er schob vorsichtig die Hände in das Loch, wobei er durch die dünnen Anzughandschuhe die immer noch heißen Ränder spürte, und holte zur näheren Untersuchung eine kleine Handvoll der Substanz heraus. Dann begab er sich zu einem anderen Abschnitt der Wand und versuchte es noch einmal. Und noch einmal.

Fletcher beobachtete ihn zwar dabei, sagte aber nichts, denn der Captain konzentrierte sich wiederum voll und ganz auf die Fingerspitzen. Conway machte sich jetzt an der gegenüberliegenden Korridorwand an die Arbeit und reduzierte zur Erhöhung der Geschwindigkeit die Größe der Versuchslöcher. Als er vier weit auseinanderliegende faustgroße Öffnungen geschweißt hatte, ohne auf etwas anderes als die pulverige Substanz zu stoßen, funkte er Murchison an.

„Wir finden hier große Mengen eines groben schwarzen Pulvers, dessen schwacher Geruch auf eine organische oder wenigstens zum Teil organische Zusammensetzung schließen läßt“, berichtete er ihr. „Es könnte sich um eine Nährbodenart handeln. Paßt das zum physiologischen Profil der Besatzung?“

„Und ob das paßt“, bestätigte Murchison prompt. „Von meiner Voruntersuchung der beiden kleinen Leichen her würde ich sagen, daß die Schiffsatmosphäre überhaupt nur für die größere FSOJ-Lebensform gedacht ist. Die blinden Aliens besitzen nämlich an sich gar keine Lungen, sondern sind sogenannte Wühler, die die organischen Bestandteile ihrer Erde und jede zufällig vorhandene Pflanze oder tierisches Gewebe umwandeln. Sie nehmen den Boden durch die große, vorn liegende Mundöffnung auf. Die größere Oberlippe kann jedoch zum Verschließen des Munds bei einem eventuell erforderlichen Graben ohne Nahrungsaufnahme über die Unterlippe geschoben werden. Die Glieder oder, genauer gesagt, die beweglichen Ballen zur Fortbewegung an der Unterseite des Körpers sind verkümmert. Dagegen sind die Fühler an der Körperoberseite überempfindlich. Demnach ist die Zivilisation dieser Wesen wahrscheinlich so weit entwickelt, daß sie in künstlich gebauten Tunnelsystemen mit leicht zugänglichen Nahrungsvorräten leben, nach denen sie also nicht erst graben müssen. Die von dir beschriebene Substanz könnte besonders locker verstauter Nährboden sein, der gleichzeitig zur körperlichen Bewegung und zur Nahrungsversorgung des Schiffs dient.“

„Aha“, antwortete Conway.

Also ein blinder, grabender Wurm, der es irgendwie geschafft hat, nach den Sternen zu greifen, dachte er. Doch die folgenden Ausführungen von Murchison erinnerten ihn daran, daß die blinden Aliens nicht nur große und ruhmreiche, sondern auch scheinbar unbedeutende und grausame Taten vollbringen konnten.

„Und was die Überlebenden betrifft“, fuhr sie fort, „Sollte sich das FSOJ-Versuchstier, oder was es auch immer ist, zu nah beim überlebenden Besatzungsmitglied befinden, so daß wir ohne Gefahr für uns selbst oder den blinden Alien nicht beide retten können, dann würde eine starke Reduzierung des atmosphärischen Drucks den FSOJ außer Gefecht setzen oder, noch wahrscheinlicher, sogar töten. Der Druck muß dann allerdings langsam und gleichmäßig reduziert werden, um Dekompressionsschäden am Zellgewebe des blinden Aliens zu vermeiden.“

„Das wäre das letzte, was wir versuchen würden“, entgegnete Conway fest. Für Erstkontaktsituationen wie diese gab es äußerst strenge Regeln. Schließlich konnte man sich nie absolut sicher sein, ob ein scheinbar unvernünftiges und wildes Tier auch wirklich ein zu keiner Empfindung fähiges Geschöpf war.

„Ich weiß, ich weiß“, erwiderte Murchison. „Es interessiert dich bestimmt auch, daß sich der FSOJ in einem fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadium befunden hat. Und das ist eine Zeit, in der die meisten Lebensformen, ganz unabhängig von ihrem Intelligenzgrad, schon bei der Annahme, ihr Ungeborenes könnte bedroht sein, übermäßig besorgt, emotional und aggressiv reagieren. Das ist vielleicht auch der Grund für den Ausbruch des FSOJs aus dem Käfig. Außerdem hätte ihn der blinde Alien gar nicht mit dem Horn töten können, wenn die Unterseite des FSOJ-Körpers nicht schon zur Vorbereitung auf die kurz bevorstehende Geburt stellenweise geschwächt gewesen wäre.“

„Wenn man an den Zustand der weiblichen FSOJ denkt“, unterbrach Conway sie, „und an die ganzen Schläge und Stöße, die sie in.“

„Ich hab nichts von einem Weibchen gesagt, obwohl das gut sein könnte“, unterbrach ihn Murchison. „Diese Lebensform ist in vieler Hinsicht viel interessanter als die blinden Aliens.“

„Spar dir deine geistige Energie lieber für die mit Sicherheit intelligenten Wesen auf“, raunzte Conway sie an. Einen Augenblick lang herrschte ein nur vom Hintergrundrauschen des Anzugfünks unterbrochenes Schweigen, dann bat er entschuldigend: „Beachte mich bitte einfach gar nicht, ich hab fürchtbare Kopfschmerzen.“

„Ich auch“, sagte der auf dem Boden liegende Captain. „Meiner Vermutung nach kommt das vom Lärm und den Auswirkungen der Unterschallvibrationen von diesen ganzen laufenden Mechanismen hier. Wenn er nur halb so schlimme Kopfschmerzen hat wie ich, dann können Sie ihm getrost verzeihen, Murchison. Und falls Sie für unsere Rückkehr zum Schiff irgendein wirksames Medikament bereithalten könnten, wäre ich Ihnen sehr.“

„Dann sind wir schon drei“, erwiderte Murchison. „Mein Kopf tut mir nämlich schon seit meiner Rückkehr weh, und ich war dem Lärm und den Vibrationen nur ein paar Minuten lang ausgesetzt. Außerdem hab ich eine schlechte Nachricht — gegen diese Kopfschmerzen hilft kein Medikament.“

Als sie den Funkkontakt unterbrach, sagte Fletcher beunruhigt: „Ist das nicht merkwürdig, daß drei Leute, die alle die Luft in diesem Schiff eingeatmet haben, an Kopfschmerzen.“

„Im Orbit Hospital gibt es die Redensart, daß psychosomatische Schmerzen ansteckend und unheilbar sind“, unterbrach ihn Conway. „Murchison hat schließlich mit dem Analysator die Schiffsatmosphäre auf giftige Substanzen überprüft. Und alle darin enthaltenen Alienbazillen sind an uns überhaupt nicht interessiert. Diese Kopfschmerzen könnten das Ergebnis von Besorgnis, Anspannung oder einem Zusammenspiel verschiedener psychologischer Faktoren sein. Aber da wir sie alle drei gleichzeitig bekommen und uns alle eine gewisse Zeit auf diesem Schiff aufgehalten haben, sind die Kopfschmerzen wahrscheinlich durch äußere Einflüsse verursacht worden, höchstwahrscheinlich durch den Lärm und die Vibrationen aus dem Korridor. Dann hatten sie vorhin natürlich recht. Tut mir leid, daß ich das alles überhaupt erwähnt hab.“

„Wenn Sie das nicht getan hätten, dann ganz bestimmt ich“, antwortete Fletcher. „Diese Kopfschmerzen sind ziemlich unangenehm und beeinträchtigen meine Konzentrationsfähigkeit auf diese.“

Diesmal kam die Unterbrechung außen vom Rumpf.

„Hier Haslam, Sir. Chen und ich haben die Erfassung der Ausdehnung der Geräusche und Vibrationen abgeschlossen. Dabei handelt es sich um einen schmalen, vielleicht zwei Meter breiten Streifen, der sich mit dem von Ihnen sogenannten Käfiggang deckt. Dieser Gang bildet einen offenen Kreis mit konstantem Radius, der von dem Bogen mit den Steuerpulten geschlossen wird. Aber das ist noch nicht alles, Sir. Der Gang führt nämlich auch zum Aufenthaltsort der beiden Überlebenden.“

Fletcher blickte Conway an und sagte mit bewegter Stimme: „Wenn ich doch bloß diese mechanische Folterkammer — oder was das sonst auch immer sein mag — wieder abschalten könnte, dann wären wir vielleicht in der Lage, uns durch den Gang zu den Überlebenden zu zwängen. ach, nein. Wenn diese Kolben und Stangen wieder losgehen, während sich jemand im Gang befindet, dann würde der ja zu Tode gestampft werden.“

Zu Haslam sagte er: „Na schön. Haben Sie sonst noch etwas zu berichten?“

„Na ja, Sir“, antwortete Haslam zögernd. „Wahrscheinlich hat das nichts zu besagen, aber wir haben ebenfalls Kopfschmerzen.“

Während Fletcher und Conway über die Kopfschmerzen der beiden Offiziere der Rhabwar nachdachten, herrschte ein langes Schweigen. Chen und Haslam waren die ganze Zeit über außerhalb des Schiffs geblieben, hatten die Außenhaut nur selten berührt und auch dann bloß mit den magnetischen Stiefeln und Handschuhen. Und die besaßen ein dickes, weiches und isolierendes Fütter, das mechanische Schwingungen absorbierte. Außerdem pflanzt sich in einem Vakuum kein Schall fort. Conway fiel keine einzige Erklärung für die Kopfschmerzen der beiden Männer ein, aber der Captain war erfolgreicher.

„Dodds“, wandte sich Fletcher plötzlich an den auf der Rhabwar zurückgelassenen Offizier. „Führen Sie noch einmal eine Sensorüberprüfung der vom Schiff ausgehenden Strahlung durch. Vielleicht existiert sie erst, seitdem ich die Knöpfe gedrückt hab. Suchen Sie auch nach möglicherweise schädlicher Strahlung vom nahen Sternhaufen.“

Conway nickte anerkennend, was Fletcher allerdings nicht bemerkte. Selbst flach auf dem Rücken liegend, mit hämmernden Kopfschmerzen, die das Denken fast unmöglich machten, und mit einem Arm, der unsichtbar in einem völlig unbekannten Steuerpult steckte und durch eine unbedachte Berührung alles vom Ausschalten des Lichts bis zu einem außerplanmäßigen Sprung in den Hyperraum auslösen konnte, leistete der Captain ausgezeichnete Arbeit. Aber laut Dodds zeigten die Meßwerte der Sensoren keine Spur von schädlicher Strahlung, weder von dem Alienschiff noch von dem Sternhaufen ausgehend. Conway und Fletcher dachten immer noch über diese Tatsache nach, als das Schweigen durch die schüchterne Stimme Priliclas unterbrochen wurde.

„Freund Conway“, meldete sich der Empath, „ich hab mit dieser Mitteilung gewartet, bis ich mir meiner Empfindungen absolut sicher war, aber jetzt kann es keinen Zweifel mehr geben. Der Zustand beider Überlebender verbessert sich zusehends.“

„Danke, Prilicla“, erwiderte Conway. „Das verschafft uns mehr Zeit, über eine Rettungsmöglichkeit nachzudenken.“ An Fletcher gewandt fügte er hinzu: „Aber warum diese plötzliche Besserung?“

Der Captain blickte in den Käfiggang und auf die wild stampfenden und fuchtelnden Metallwucherungen und antwortete: „Könnte das irgend etwas damit zu tun haben?“

„Keine Ahnung“, entgegnete Conway, wobei er wegen der gestiegenen Chancen für eine erfolgreiche Rettung erleichtert lächelte. „Aber allein dieses Geräusch kann sicherlich sogar Tote wieder zum Leben erwecken.“

Fletcher sah ihn mißbilligend an, da er ganz offensichtlich außerstande war, sowohl an der Bemerkung als auch an den Umständen irgend etwas komisch zu finden. Äußerst ernsthaft entgegnete er: „Ich hab sämtliche erreichbare flache Kippschalter zweimal überprüft. Diese Schalterform ist die einzige, die sich für die kurzen Fühler der blinden Aliens eignet, denn als Greiforgan können die Fühler nicht genügend Druck und Hebelkraft ausüben. Aber ich hab etwas gefunden, das sich wie ein mehrere Zentimeter langer Hebel mit einem auf der Spitze stehenden Kegel als Griff anfühlt. Der Kegel ist hohl, wahrscheinlich paßt die Stachel- oder Hornspitze der blinden Aliens genau hinein. Der Hebel steht im Fünfiindvierzig-Grad-Winkel zum Befestigungspunkt — das ist der obere Anschlag. Ich bin fest entschlossen, ihn nach unten zu legen.

Vorher sollten wir aber lieber die Helme schließen, falls etwas Unheilvolles passiert“, fügte Fletcher noch hinzu. Dann klappte er das Helmvisier herunter und zog den vorhin zum Tasten abgestreiften Handschuh wieder an. Dann griff er ohne zu zögern in die Öffnung. Offenbar wußte er genau, wohin er mit der Hand greifen mußte.

Urplötzlich erstarb im Käfiggang jegliche mechanische Tätigkeit. Es herrschte so vollkommene Stille, daß Conway schon beim Geräusch eines an der Außenhülle schabenden Fußmagneten zusammenfuhr. Als Fletcher wieder aufstand und das Visier öffnete, lächelte er.

„Die Überlebenden befinden sich am anderen Ende dieses Gangs, Doktor“, berichtete er und fügte noch hinzu: „Falls wir bis dorthin kommen können.“

Doch es stellte sich als vollkommen unmöglich heraus, sich durch das Dickicht aus vorspringenden Metallstangen und — stäben hindurchzuwinden. Selbst als es der Captain ohne Raumanzug versuchte, bestand der einzige Erfolg in einer Unmenge Schnittwunden und Hautabschürfungen. Enttäuscht zog Fletcher wieder den Anzug an und ging mit dem Schneidbrenner gegen die Metallstäbe vor. Aber das Metall war äußerst widerstandsfähig, und bei jeder einzelnen Metallstange waren zum Abtrennen mehrere Sekunden höchster Brennerleistung erforderlich. Es seien so viele Stangen, daß er sich wie beim Jäten eines Metallgartens vorkäme, bemerkte Fletcher verärgert, wobei er immer einen „Stengel“ nach dem anderen entfernte. Er hatte noch nicht einmal zwei Meter des Käfiggangs freigelegt, als sie wegen der großen Hitzeentwicklung zum Rückzug zur Luftschleuse gezwungen waren.

„Das bringt nichts“, stellte Fletcher fest. „Wir können uns zwar bis zu den Überlebenden durchschweißen, aber nur in kurzen Etappen, zwischen denen wir zur Ableitung der überschüssigen Hitze durch die Schiffskonstruktion und die anschließende Abstrahlung ins All lange Pausen einlegen müssen. Außerdem besteht die Gefahr, daß durch die Hitze möglicherweise die Isolierungen einiger Energiesteuerungsschaltkreise schmelzen, und das hätte unabsehbare Folgen.“

Er schlug mit der Faust so heftig gegen die Wand neben sich, daß es fast einem Wutausbruch gleichkam, und fuhr fort: „Den Nährboden aus den Lagerräumen zu schaffen wäre ebenfalls eine langwierige Arbeit, da man die Erde eimerweise von den Lagerräumen in den Gang, zur Schleuse und nach draußen bringen müßte. Und wir haben noch nicht einmal eine Vorstellung davon, welche Konstruktionsprobleme danach in den Lagerräumen entstehen. Ich glaube langsam, die einzige Möglichkeit ist das Hineinschweißen von außen. Aber da tauchen dann natürlich wieder neue Schwierigkeiten auf…“

Beim Schweißen durch den Doppelrumpf des Schiffs zu den Überlebenden würde nämlich ebenfalls eine Menge Hitze entstehen, besonders im Innern der transportablen Luftschleuse, die sie zur Verhütung eines versehentlich ausgelösten Druckverlusts im Schiff einsetzen müßten. Auch bei dieser Vorgehensweise müßten wiederum lange Pausen zum Abzug der Hitze eingelegt werden, obwohl die Abkühlungsphase kürzer sein würde, da man ja bereits auf der Außenhaut wäre. Es gab aber außerdem das Problem des Zerschneidens der mechanischen Gestänge zwischen den in den Gang ragenden Stangen und Kolben. Denn dadurch würde im Schiff selbst große Hitze entstehen, die auf die Überlebenden nachteilige Auswirkungen haben könnte. Der einzige Vorteil dieser Vorgehensweise bestand in der Vermeidung des Risikos, von den Metallstangen zu Tode gestampft zu werden, wenn sich das System durch die Schweißarbeiten von selbst anschaltete.

„…und übrigens, Doktor“, fügte Fletcher hinzu, wobei er seinen Vortragston abgelegt hatte, „meine Kopfschmerzen lassen langsam nach.“

Conway teilte ihm gerade mit, daß auch seine Kopfschmerzen allmählich verschwinden würden, als Prilicla das Gespräch unterbrach. „Freund Fletcher“, sagte er, „ich hab die emotionale Ausstrahlung der Überlebenden beobachtet, seit Sie den Mechanismus im Käfiggang abgeschaltet haben. Der Zustand der Überlebenden hat sich seitdem wieder ständig verschlechtert, und jetzt befinden sie sich in ähnlicher Verfassung wie bei unserer Ankunft, vielleicht hat sich ihr Zustand sogar noch mehr verschlechtert. Wir könnten sie leicht verlieren.“ „Das. das ergibt doch keinen Sinn!“ flüchte Fletcher und blickte Conway ratlos an.

Conway konnte sich lebhaft vorstellen, wie sehr Prilicla wegen Fletchers Wutausbruch und der damit einhergehenden emotionalen Ausstrahlung in seinem Raumanzug jetzt zittern mußte. Er konnte sich allerdings kaum einen Begriff von der Überwindung machen, die es den kleinen Empathen gekostet haben mußte, so zu sprechen, wie er es getan hatte, da Prilicla bei einer Meinungsverschiedenheit mit einem anderen Lebewesen intensive Schmerzen empfand.

„Vielleicht nicht“, sagte er deshalb schnell zu Fletcher, „aber es gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden.“

Fletcher musterte ihn zwar mit bösem und verdutztem Blick, ging aber doch zur Öffnung vor dem Steuerpult. Schon ein paar Sekunden später setzten die Geräusche und die mechanische Tätigkeit im Käfiggang wieder ein — ebenso Conways Kopfschmerzen.

„Der Zustand der Überlebenden bessert sich wieder“, berichtete Prilicla.

„Wie weit hatten die sich denn das letztemal erholt?“ fragte Conway besorgt. „Können Sie anhand der emotionalen Ausstrahlungen sagen, ob der eine Alien gerade den anderen angreifen wollte?“

„Beide Überlebende waren ein paar Minuten lang bei vollem Bewußtsein“, antwortete Prilicla. „Die Ausstrahlungen waren so stark, daß ich die Unklarheit über ihren Aufenthaltsort beseitigen konnte. Sie sind nicht mehr als zwei Meter voneinander entfernt, und keiner von beiden plant einen Angriff oder hat einen Angriff geplant.“

„Wollen Sie damit sagen, ein blinder Alien und ein FSOJ bei vollem Bewußtsein liegen so nahe beieinander, ohne daß das Tier an einen Angriff denkt?“ fragte Fletcher in verblüfftem Ton.

„Vielleicht hat der blinde Alien einen Spind oder etwas Ähnliches zum Verstecken gefunden“, schlug Conway als Erklärung vor. „Und für den FSOJ bedeutet das in diesem Fall, „aus den Augen, aus dem Sinn“.“

„Entschuldigen Sie“, schaltete sich Prilicla erneut ein. „Ich kann auf keinen Fall mit absoluter Sicherheit sagen, ob die beiden Wesen verschiedenen Spezies angehören. Lediglich die Art der emotionalen Ausstrahlung deutet klar darauf hin. Der eine Alien strahlt Wüt, Schmerzen und nur wenig andere Gefühle aus, während die Emotionen des zweiten Alien die Vielschichtigkeit eines vernunftbegabten Verstands aufweisen. Vielleicht würde Ihnen ja helfen, wenn sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß es sich bei beiden um blinde Aliens handelt, von denen der eine einen schweren Gehirnschaden davongetragen hat, der das von mir wahrgenommene wilde, geistlose Emotionsmuster verursacht.“

„Eine nette Theorie, Doktor Prilicla“, entgegnete Fletcher. Plötzlich zuckte er zusammen und fuhr mit den Händen instinktiv zum Kopf, wurde aber durch den Helm abrupt daran gehindert. „Damit erklären Sie zwar die unmittelbare gegenseitige Nähe der Aliens, aber nicht die Beeinflussung ihres Zustands durch den Mechanismus im Käfiggang. Es sei denn, ich hab auf irgendeine Weise die Steuerungssysteme beschädigt und aus Versehen eine Verbindung zwischen dem Kontrollhebel für den Korridor und irgendeinem wichtigen Lebenserhaltungssystem hergestellt — vielleicht mit einem medizinischen Behandlungsgerät oder einem. ach, ich bin vollkommen durcheinander!“

„Wir sind alle durcheinander, mein Freund“, erwiderte der Empath. „Daran besteht bei der allgemeinen emotionalen Ausstrahlung doch überhaupt kein Zweifel.“

„Lassen Sie uns an Bord der Rhabwar zurückkehren“, schlug Conway auf einmal vor. „Ich brauche ein bißchen Ruhe zum Nachdenken.“

Kurz darauf verließen sie das Schiff der blinden Aliens. Sie hatten Chen als Wache zurückgelassen und ihm eingebläut, Abstand zu halten und den Schiffsrumpf unter gar keinen Umständen zu berühren. Auch Prilicla kehrte mit ihnen zurück, da er nach eigener Aussage die Emotionen der Überlebenden wegen deren starken Ausstrahlung auch aus der Entfernung überwachen konnte. Der Grund dafür war der fortwährende Betrieb des Mechanismus im Käfiggang und die zunehmende Besserung des Gesundheitszustands der beiden Aliens.

Sie gingen durch die Schleuse des Unfalldecks an Bord und begaben sich direkt ins Labor, wo sie eine blutbespritzte Murchison und zahlreiche, über die Seziertische verstreute Leichenteile der FSOJs und des blinden Aliens vorfanden. Als Conway den Captain darum bat, den Grundriß des Alienschiffs mit den neuesten Daten und Informationen darzustellen, gesellte sich auch Naydrad zur Gruppe. Fletcher sah man die Erleichterung an, etwas zu tun zu haben, da er offensichtlich nicht das enge berufliche Interesse der anderen an den extraterrestrischen rohen Fleischstücken teilte, die über das ganze Labor verstreut waren.

Als der Grundriß auf dem Bildschirm des Labors erschien, bat Conway den Captain, ihn bei eventuellen Fehlern zu korrigieren, und gab dann einen Überblick über das vor ihnen stehende Problem.

Wie die meisten größeren Probleme setzte sich auch dieses aus vielen kleineren zusammen, von denen einige durchaus zu lösen waren. Da war zuerst einmal das Schiff der blinden Aliens, das nach vorläufiger technischer Untersuchung von der Konstruktion her einwandfrei war und noch über sämtliche Energiereserven verfügte. Seine Form glich einer zum Rand hin dünner werdenden Scheibe. In der Mitte dieser Scheibe befand sich ein Kreis, der ungefähr ein Drittel des Schiffsradius' einnahm und die Aggregate zur Energieerzeugung und damit in Verbindung stehende Geräte und Ausrüstungsgegenstände enthielt. Um diesen Bereich herum verlief ein kreisförmiger Gang, der mit der Luftschleuse durch einen kurzen, geraden Korridor verbunden war und in der Draufsicht wie eine Sichel mit einer runder Klinge aussah, deren Spitze beinahe an den Griff stieß. In dem kurzen Stück zwischen der Klingenspitze und dem Ende des Griffs befanden sich die Steuerpulte der blinden Aliens.

Hinter der Außenseite des kreisförmigen Gangs waren die zur Lebenserhaltung notwendigen Güter sowohl für die Besatzung als auch für deren Gefangene gelagert. Da der Schiffsumfang von den Proportionen her der FSOJ-Lebensform angepaßt war, konnte man von einem speziell für den Transport dieser Lebewesen gebauten Schiff ausgehen. Daran ließen auch die Beleuchtung, die Atmosphäre und der Futterspender für die FSOJs keinen Zweifel.

Conway hielt kurz inne und musterte Fletcher und die anderen. Aber niemand widersprach. „Mir machen nur noch die sich schnell bewegenden Stangen und Kolben Kopfzerbrechen, besonders die mit den spitzen und keulenartigen Enden, weil ich mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden kann, daß die FSOJs einzig und allein zum Foltern da sind“, fuhr er fort.

„Mir gefällt der Gedanke einer Dressur oder vielleicht einer Domestizierung für einen ganz bestimmten Zweck viel besser. Niemand konstruiert für eine nichtintelligente Lebensform extra ein interstellares Schiff, es sei denn, diese Lebewesen sind für die Erbauer des Schiffs außerordentlich wertvoll.

Deshalb müssen wir uns fragen: Was haben die FSOJs, was die blinden Aliens nicht haben? Was brauchen die Aliens am dringendsten?“

Alle starrten schweigend den FSOJ-Leichnam an. Plötzlich blickte Murchison zu Conway auf, aber Fletcher kam ihr zuvor.

„Die Augen?“

„Genau“, bestätigte Conway und führ fort: „Ich will natürlich nicht behaupten, die FSOJs wären sozusagen die Blindenhunde der Aliens. Aber wenn ihr Hang zur Gewalt erst einmal gebändigt ist, halte ich eine symbiotische oder parasitäre Verbindung für möglich, indem sich der blinde Allen durch die Stoppeln oder Fühler an der Unterseite mit dem zentralen Nervensystem des FSOJ und besonders mit dessen Sehnerven verbindet, um auf diese Weise.“

„Das ist unmöglich“, unterbrach ihn Murchison in bestimmtem Ton.

Prilicla zitterte wegen der von Conway ausgestrahlten Gefühle des Ärgers und der Enttäuschung. Das vorherrschende Gefühl war allerdings die Enttäuschung, weil Conway wußte, daß Murchison niemals so geradeheraus gesprochen hätte, wenn sie sich ihrer Sache nicht absolut sicher gewesen wäre.

„Dann vielleicht durch einen chirurgischen Eingriff und ein Dressurprogramm…“, schlug Conway hoffnungsvoll vor, aber Murchison schüttelte nur den Kopf.

„Tut mir leid“, entgegnete sie. „Wir haben inzwischen über beide Lebensformen Informationen genug, um eine symbiotische oder parasitäre Verbindung mit Sicherheit ausschließen zu können. Die blinden Aliens, die ich vorläufig als CPSD klassifiziert hab, sind Allesfresser und haben zwei Geschlechter. Einer der Leichname ist männlich, und der andere weiblich. Die einzige natürliche Waffe dieser Lebensform ist der Stachel, aber die damit verbundene Giftdrüse ist schon seit langem verkümmert. Ich hab an den knöchernen Spitzen beider Stachel Kratzer gefunden, wonach sie inzwischen also als Greiforgane eingesetzt werden. Diese Wesen sind hochintelligent und trotz körperlicher und sensorischer Handikaps technologisch weit fortgeschritten — letzteres ist uns ja bereits bekannt.

Die Aliens scheinen zwar einzig und allein über den Tastsinn zu verfügen, aber nach dem Spezialisierungsgrad der Fühler auf der Körperoberseite zu urteilen, ist dieser außerordentlich empfindlich“, fuhr sie fort. „Möglicherweise erfühlen diese Fühler Erschütterungen in festen oder gasförmigen Medien oder erfühlen den Geschmack von Stoffen, mit denen sie in Berührung kommen. Vielleicht können sie durch die Verfeinerung dieser Geschmacksfühler außer fühlen, hören und in gewisser Weise schmecken, auch durch Berührung riechen. Aber die Aliens können auf jeden Fall nicht sehen und hätten wahrscheinlich Schwierigkeiten mit dem Verständnis des Begriffs „Sehen“. Deshalb würden sie auch einen Sehnervenstrang beim Berühren nicht als solchen erkennen.“

Murchison deutete auf den geöffneten Körper des FSOJs und erklärte: „Aber das ist nicht der hauptsächliche Grund für die Unmöglichkeit einer Symbiose. Normalerweise muß sich nämlich ein intelligenter Parasit oder Symbiont nahe dem Gehirn plazieren oder an einer Stelle, wo die Hauptnervenstränge leicht zugänglich sind. Bei uns Terrestriern wäre das entweder im Nacken oder oben auf dem Kopf. Doch das Gehirn dieser Aliens sitzt nicht im Schädel, sondern befindet sich zusammen mit den anderen lebenswichtigen Organen tief im Körper, und zwar an einer ziemlich ungünstigen Stelle. Es liegt nämlich direkt unter der Gebärmutter und umgibt den Anfang des Geburtskanals. Deshalb wird das Gehirn während des Wachstums des Embryos zusammengedrückt und kann bei einer schwierigen Geburt sogar zerstört werden. Der Nachwuchs kommt kämpfend zur Welt und verfügt über einen bis zum jagdfähigen Alter ausreichenden Nahrungsvorrat.

Beim zwittrigen FSOJ hingegen bleiben die Jungen in der Gebärmutter, bis sie relativ groß und vollständig fürs Überleben ausgerüstet sind“, fügte sie noch hinzu. „Das Überleben ist in seinem Lebensraum bestimmt nicht einfach, und die blinden Aliens hätten eine viel geeignetere Lebensform als Symbionten finden können, wenn es ihnen darum gegangen wäre.“

Conway rieb sich den schmerzenden Kopf und dachte daran, daß schwierige Fälle normalerweise nicht solch eine Wirkung auf ihn hatten. Hin und wieder hatte er schon mal wegen eines Patienten eine schlaflose Nacht verbracht oder sich beunruhigt oder sogar ernsthaft besorgt und angespannt gefühlt, wenn die Zeit für eine äußerst wichtige Entscheidung heranrückte — aber Kopfschmerzen hatte er davon bisher noch nie bekommen. Wurde er langsam alt? Aber nein, diese Erklärung war viel zu einfach. Schließlich hatten sie an Bord des Alienschiffs alle Kopfschmerzen gehabt.

„Irgendwie müssen wir uns zu den Überlebenden durchschlagen“, sagte er entschlossen. „Und zwar bald. Aber es wäre dumm und geradezu kriminell, das Leben eines vernunftbegabten Wesens durch Zeitvergeudung mit einem Versuchstier zu gefährden, selbst dann, wenn es sich um ein von der Schiffsbesatzung für so wertvoll gehaltenes Tier wie den FSOJ handelt. Also, wenn wir alle einer Meinung sind und den FSOJ für ein nichtintelligentes Lebewesen halten.“

„…lassen wir den Druck aus dem Schiff heraus, warten, bis uns Prilicla den Tod des FSOJ meldet und schweißen uns so schnell wie möglich durch den Rumpf zu dem überlebenden Alien hindurch“, beendete Fletcher den Satz für Conway und fügte dann hinzu: „Verdammt, ich hab schon wieder K opfschmerzen.“

„Ich hätte einen Vorschlag, Freund Fletcher“, meldete sich Prilicla zaghaft zu Wort. „Der blinde Alien ist klein und könnte den Käfiggang wahrscheinlich passieren, ohne durch die FSOJ-Dressurmechanismen behelligt zu werden. Die Intensität der emotionalen Ausstrahlung beider Wesen hat mittlerweile bis zu dem Punkt zugenommen, an dem ich sie als völlig genesen bezeichnen möchte. Einer der beiden strahlt unmäßigen und unkontrollierten Zorn aus, während der andere in zunehmende Frustration verfällt und sich verzweifelt bemüht, irgend etwas zu unternehmen. Ich leide übrigens ebenfalls an Beschwerden im Schädelbereich, Freund Conway.“

Schon wieder diese ansteckenden Kopfschmerzen! dachte Conway. Das kann einfach kein Zufall…

Plötzlich erinnerte er sich an seine Anfangsjahre im Orbit Hospital. Damals war er noch unerträglich stolz gewesen, dem Personal eines Krankenhauses mit vielfältigen Umweltbedingungen anzugehören, obwohl er zu der Zeit nur wenig mehr als ein medizinischer Laufbursche gewesen war. Doch dann bekam er eines Tages den Auftrag zur Zusammenarbeit mit Dr. Arretapec, einem VUXG, der die Fähigkeiten zur Teleportation, Telekinese und Telepathie besaß und für ein Projekt, bei dem es um die Entwicklung von Intelligenz bei einer saurierähnlichen Spezies ging, praktische und finanzielle Unterstützung der Föderation erhalten hatte.

Und Arretapec hatte Conway nicht nur in einer Hinsicht Kopfschmerzen bereitet.

Er verfolgte Fletchers Vorkehrungen zur Dekompression des Alienschiffs nur mit einem Ohr. Zunächst wollte man die tragbare Luftschleuse genau über den Überlebenden aufstellen, falls es der blinde Alien nach dem Tod des FSOJ und dem Beginn der langwierigen Schweißarbeiten durch die Bergungsmannschaft nicht durch den Gang schaffen sollte. Doch der plötzlich skeptische und verärgerte Tonfall in Fletchers Stimme brachte Conways Gedanken schlagartig wieder in die Gegenwart zurück.

„…und warum können Sie das nicht?“ verlangte Fletcher gerade zu wissen. „Sie beginnen auf der Stelle mit dem Transport der Luftschleuse. Haslam und ich selbst kommen Ihnen auch in ein paar Minuten zu Hilfe. Was ist los mit Ihnen, Chen?“

„Ich fühle mich nicht besonders“, erwiderte Lieutenant Chen von seinem Posten neben dem Alienschiff „Können Sie mich nicht ablösen lassen, Sir?“

Bevor Fletcher antworten konnte, sagte Conway: „Fragen Sie ihn, ob er immer heftigere Kopfschmerzen hat und eine Art Juckreiz verspürt, der tief in den Ohren zu sitzen scheint. Wenn er das bestätigt, teilen Sie ihm mit, daß die Beschwerden mit zunehmender Entfernung vom Alienschiff nachlassen.“

Ein paar Sekunden später befand sich Chen nach der Bestätigung von Conways Beschreibung der Symptome auf dem Rückweg zur Rhabwar.

„Was geht hier bloß vor, Doktor?“ fragte Fletcher hilflos.

„Damit hätte ich eigentlich rechnen müssen“, antwortete Conway. „Aber es ist lange her, seit ich diese Erfahrung gemacht hab. Außerdem hätte ich mich daran erinnern müssen, daß Wesen, denen durch körperliche Schädigungen oder die Evolution lebenswichtige Sinnesorgane abhanden gekommen sind, diesen Verlust wieder ausgleichen. Ich glaube. nein, ich weiß, wir spüren gerade Telepathie.“

Fletcher schüttelte bestimmt den Kopf. „Da irren Sie sich, Doktor“, widersprach er. „In der Föderation gibt es zwar ein paar telepathische Spezies, aber die sind mehr an philosophischen als an technischen Dingen interessiert, und deshalb begegnen wir denen auch nicht oft. Und selbst mir ist bekannt, daß ihre Fähigkeit zur telepathischen Kommunikation immer nur auf die eigene Spezies begrenzt ist. Deren organischen Sender und Empfänger sind auf eine ganz bestimmte Frequenz eingestellt, und andere Spezies — selbst telepathische Spezies — können die Mitteilungen nicht empfangen.“

„Das stimmt“, bestätigte Conway. „Im allgemeinen kommunizieren Telepathen nur mit Telepathen. Aber es sind ein paar seltene Fälle dokumentiert, in denen Nichttelepathen die Gedanken eines Telepathen empfangen haben — wenn auch nur ein paar Sekunden oder Minuten lang. Viel häufiger haben diese mit Telepathie experimentierenden Wesen allerdings große Beschwerden gehabt, ohne den geringsten Kontakt herzustellen. Den ET-Neurologen zufolge liegen diese Teilerfolge an den verborgenen telepathischen Fähigkeiten vieler Spezies, die lediglich durch die Entwicklung gewöhnlicher Sinnesorgane verkümmert sind. Und während meines eigenen, äußerst kurzen Erlebnisses, das mir auch nur ein einziges Mal widerfahren ist, hab ich eng mit einem sehr starken Telepathen an demselben Problem zusammengearbeitet. Wir haben die gleichen geistigen Bilder vor Augen gehabt, über dieselben Symptome gesprochen und waren tagelang einer Meinung über den Patienten. Dabei müssen wir eine vorübergehende Brücke geschlagen haben, über die die Gedanken und Gefühle des Telepathen in meinen Kopf gelangen konnten.“

Prilicla zitterte heftig. „Wenn der vernunftbegabte Überlebende telepathischen Kontakt mit uns herzustellen versucht, dann bemüht er sich mit äußerster Anstrengung darum, mein Freund“, sagte er. „Er ist völlig verzweifelt.“

„Das kann ich verstehen, wenn ein FSOJ in seiner Nähe ist, dessen Zustand sich rasch verbessert“, bemerkte Fletcher. „Aber was sollen wir denn tun, Doktor?“

Conway bemühte sich verzweifelt, seinem schmerzenden Kopf eine Antwort abzuringen, bevor den überlebenden Alien das gleiche Schicksal wie seine Besatzungskollegen ereilen würde. „Wenn wir bloß konzentriert an irgendeine Gemeinsamkeit zwischen uns und dem Alien denken könnten“, sagte er. „Wir könnten selbst versuchen, an die blinden Aliens zu denken.“ Er wies mit der Hand auf die Seziertische. „Nur haben wir wahrscheinlich nicht genügend Kontrolle über die Gedanken, um sie uns lebendig und als Ganzes vorzustellen. Es ist für den Überlebenden nämlich nicht gerade eine Beruhigung, wenn wir sie uns — und sei es noch so kurz — als sezierte Leichen vorstellen. Am besten, wir betrachten den FSOJ und denken an ihn. Da es sich um ein Nutztier handelt, sollte es den Alien nicht stören, wenn wir den FSOJ in kleine Stückchen zerschnitten sehen, spüren, empfinden oder was auch immer.

Ich möchte, daß Sie sich alle in Gedanken auf den FSOJ konzentrieren“, führ er fort und blickte sie der Reihe nach an. „Konzentrieren Sie sich stark, und bemühen Sie sich gleichzeitig, ein Gefühl der Hilfsbereitschaft zu vermitteln. Dabei kann möglicherweise ein wenig körperliches Unbehagen auftreten, was aber auf keinen Fall schädliche Nachwirkungen haben wird. So, denken sie jetzt an den FSOJ, und zwar angestrengt…!“

Sie starrten schweigend auf den zum Teil zerstückelten FSOJ und dachten an ihn. Prilicla zitterte heftig, und mit dem die Gefühle widerspiegelnden Fell von Naydrad gingen wahrhaft seltsame Dinge vor. Murchisons Gesicht war kreideweiß, die Lippen hatte sie fest zusammengepreßt, Fletcher schwitzte vor Anstrengung.

„Ein wenig körperliches Unbehagen, hat er gesagt“, murmelte der Captain.

„Für einen Arzt kann körperliches Unbehagen alles bedeuten, Captain — vom verstauchten Fuß bis zum Gebratenwerden in siedendem Öl“, entgegnete Murchison mit nur kurzzeitig geöffneten Zähnen.

„Hört endlich auf zu reden!“ fuhr Conway die beiden an. „Konzentriert euch!“

Sein Kopf fühlte sich an, als könne er das schmerzende Gehirn nicht länger fassen, und im Schädel spürte er einen immer heftigeren Juckreiz — eine Empfindung, die er nur einmal vorher in seinem Leben gehabt hatte. Als der Captain gequält aufstöhnte und sich einen Finger aufs Ohr drückte, warf Conway ihm einen kurzen Blick zu. Und auf einmal hatten sie Kontakt. Es war eine schwache, nicht ausgesprochene, aus dem Nichts kommende Mitteilung, die aber trotzdem als leise zu vernehmende Wörter,

die sowohl eine Aussage als auch eine Frage formulierten, in ihren Gehirnen vorhanden war.

„Sie denken an meinen Beschützer.“

Jeder blickte den anderen an und fragte sich offensichtlich, ob sie alle die gleichen Worte gehört, gespürt und empfunden hatten. Fletcher stieß den Atem wie einen explosionsartigen Seufzer der Erleichterung aus und fragte: „Ein. ein Beschützer?“

„Mit solchen natürlichen Waffen“, entgegnete Murchison, wobei sie auf die mit Hornspitzen versehenen Tentakel und den Knochenpanzer des FSOJ deutete, „verfügt er für so eine Aufgabe auf jeden Fall über die passende Ausrüstung.“

„Ich verstehe nicht, warum die blinden Aliens Beschützer brauchen, wo sie doch für den Bau von Raumschiffen in technologischer Hinsicht fortgeschritten genug sind“, wunderte sich Naydrad.

„Vielleicht haben sie auf dem Heimatplaneten natürliche Feinde, mit denen sie nicht fertig werden.“, setzte Fletcher zu einer Erklärung an.

„Später, später“, unterbrach ihn Conway in scharfem Ton und beendete damit den Beginn einer Diskussion, die zwar interessant, aber zeitraubend zu werden versprach. „Wir können das später besprechen, wenn wir mehr Informationen besitzen. Jetzt müssen wir erst einmal zum Alienschiff zurück. Diese Entfernung ist nämlich für den gedanklichen Kontakt mit Nichttelepathen wie uns bestimmt die äußerste Reichweite, und deshalb müssen wir so nah wie möglich an den Alien heran. Und diesmal werden wir ihn retten.“

Mit Ausnahme des Captains blieb das nichtmedizinische Personal an Bord der Rhabwar. Denn man hielt Haslam, Chen oder Dodds für keine besondere Hilfe, jedenfalls so lange nicht, bis man sie zum Aufschweißen des Alienschiffs benötigte. Außerdem könnten drei zusätzliche, nicht vollständig über den Stand der Dinge aufgeklärte Gehirne durch konfuse Gedankengänge dem überlebenden Telepathen die Kommunikation mit den anderen nur erschweren. Obwohl diese nach Conways Dafürhalten auch nicht viel weniger verwirrt waren als die Besatzungsmitglieder.

Falls die Telepathie nicht funktionieren sollte, postierte sich Prilicla zur Überwachung der emotionalen Ausstrahlung wiederum nah am Rumpf Fletcher führte einen Hochleistungsschneidbrenner mit sich, um — wenn nötig — schnellstens den Druck aus dem Alienschiff abzulassen und den vermeintlichen Beschützer zu töten, und Naydrad bezog mit der Drucktragbahre außen vor der Luftschleuse Stellung. Denn trotz der allgemein vorherrschenden Überzeugung, der blinde Alien könne einen Druckverlust weit ungefährdeter als der FSOJ durchstehen, würden Conway und Murchison ihn für den Fall einer notwendigen medizinischen Behandlung in der Drucktragbahre aus dem Schiff bergen müssen.

Ihre Köpfe fühlten sich immer noch so an, als ob jemand einen neurochirurgischen Radikaleingriff vornähme, ohne die segensreiche Erfindung der Narkose anzuwenden. Seit der nur wenige Sekunden dauernden Kommunikation an Bord der Rhabwar hatte sich außer eigenen Gedanken und den unerträglichen, juckenden Kopfschmerzen nichts in ihren Gehirnen abgespielt, und das änderte sich auch nicht, als Murchison, Fletcher und Conway die Luftschleuse betraten. Der gleich nach dem Öffnen der Innenluke einsetzende Lärm des wie ein Alienschlagzeug stampfenden und quietschenden Mechanismus im Käfiggang trug auch nicht gerade zur Milderung der Kopfschmerzen bei.

„Versucht diesmal, an den Alien zu denken“, bat Conway, als sie durch den geraden Teil des Korridors ins Schiff vordrangen. „Denkt daran, ihm zu helfen. Fragt ihn, wer und was er ist, denn wenn wir dem Überlebenden helfen wollen, müssen wir über diese Spezies soviel wie möglich in Erfahrung bringen.“

Sogar beim Sprechen spürte Conway, daß irgend etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Er hatte zunehmend das starke Gefühl, es würde etwas Furchtbares passieren, wenn er nicht stehenblieb und sorgfältig nachdachte. Aber durch die immer heftigeren, juckenden Kopfschmerzen war es schwierig, überhaupt noch an etwas zu denken.

Meinen Beschützer hatte der Telepath auf dem Schiff den FSOJ genannt. Sie denken an meinen Beschützer. Irgend etwas hatte er übersehen. Aber was.?

„Freund Conway“, sagte Prilicla plötzlich. „Beide Überlebende kommen durch den Käfiggang auf Sie zu. Die beiden kommen sehr schnell voran.“

Murchison, Fletcher und Conway blickten den Käfiggang mit dem klappernden und kreischenden Wald aus umherfuchtelnden Metallkeulen entlang. Der Captain machte den Schneidbrenner bereit und fragte: „Prilicla, können Sie sagen, ob der FSOJ dem Alien folgt?“

„Tut mir leid, Freund Fletcher“, antwortete Prilicla. „Die beiden sind dicht zusammen. Das eine Wesen strahlt Wüt und Schmerz aus, und das zweite empfindet äußerste Besorgnis, Enttäuschung und die mit höchster Konzentration verbundene Emotion.“

„Das ist ja furchtbar!“ schrie Fletcher über den plötzlich zunehmenden Lärm des Mechanismus im Gang hinweg. „Wir müssen den FSOJ töten, um den Alien zu retten. Ich werde den Gang zum All hin öffnen.“

„Nein, warten Sie!“ rief Conway in eindringlichem Ton. „Wir haben das Ganze noch nicht genügend durchdacht. Über die FSOJs, die Beschützer, wissen wir noch überhaupt nichts. Denken wir nach. Konzentrieren wir uns zusammen. Wir müssen uns fragen: Wer sind diese Beschützer? Wen beschützen sie und warum? Was macht sie für die Aliens so wertvoll? Der Überlebende hat uns schon mal geantwortet und antwortet uns vielleicht noch einmal. Konzentrieren wir uns also mit aller Anstrengung!“

In diesem Augenblick tauchte der FSOJ hinter der Biegung des Gangs auf. Trotz der auf den Körper stoßenden und einschlagenden Metallstäbe und — keulen kam er schnell voran. Die vier Tentakel mit den Hornspitzen peitschten vor und zurück, hämmerten gegen die angreifenden Metallkolben und — stangen, verbogen sie und rissen einen Stab sogar aus der Verankerung. Der Lärm war unbeschreiblich. Der FSOJ meistert diesen Spießrutenlauf nicht unbedingt mit Bravour, dachte Conway grimmig, als er die zwischen den älteren Narben klaffenden Wunden in der Körperdecke und den aufgeblähten Bauch sah. Berücksichtigte man allerdings den Zustand des FSOJs, bewegte er sich ziemlich schnell vorwärts. Plötzlich spürte Conway, wie eine Hand an seinem Arm rüttelte.

„Conway, Murchison, sind Sie beide taub?“ brüllte Fletcher sie an. „Los, zurück zur Luftschleuse!“

„Einen Moment noch, Captain“, antwortete Murchison und schüttelte Fletchers Hand ab. Dann richtete sie ihre Kamera auf den heranstürmenden FSOJ. „Das muß ich unbedingt festhalten. Ich würde mir zwar zur Geburt meiner Kinder nicht so eine Umgebung aussuchen, aber andererseits nehme ich an, dem FSOJ hat man gar keine andere Wahl gelassen. paßt mal auf!“

Der FSOJ hatte inzwischen den Abschnitt des Gangs erreicht, der von Fletcher mit dem Schneidbrenner zum Teil von den Metallstäben bereinigt worden war. Ohne ein sich ihm entgegenstellendes Hindernis stürzte sich das Wesen durch das beschädigte Gitter und zappelte — jetzt, wo es durch den Mechanismus im Gang nicht mehr zu Boden geschlagen wurde — plötzlich schwerelos über ihnen und drehte sich hilflos um die eigene Achse, sobald einer der wild um sich schlagenden Tentakel die Wand traf.

Conway drückte sich mit den Handgelenk- und Füßmagneten flach zu Boden und kroch rückwärts auf die Luftschleuse zu. Murchison tat bereits das gleiche, nur Fletcher war noch immer auf den Beinen. Er zog sich langsam zurück und schwang dabei den voll aufgedrehten Schneidbrenner hin und her, den er wie ein Flammenschwert vor sich hielt. Einer der Tentakel des FSOJs hatte schwere Verbrennungen erlitten, aber für das Wesen schien das überhaupt kein Hemmnis zu sein. Fletcher stöhnte plötzlich laut auf, als ihn einer der Tentakel des FSOJ am Bein traf. Durch diesen Hieb wurden die Fußmagneten vom Boden gerissen, und der Captain schlug hilflos Räder durch die Luft.

Instinktiv griff Conway nach einem vorbeiwirbelnden Arm, brachte den Captain wieder ins Gleichgewicht und schob ihn in den geraden Abschnitt des Korridors. Ein paar Minuten später befanden sie sich alle drei in der Schleusenkammer und in so großer Sicherheit, wie man es in ein paar Metern Entfernung von einem herumwütenden FSOJ nur sein konnte.

Aber glücklicherweise handelte es sich um einen körperlich geschwächten FSOJ.

Während sie das Wesen durch die einen Spaltbreit geöffnete Innenluke beobachteten, überprüfte Fletcher den Auslöseknopf des Schneidbrenners und richtete das Gerät auf die Außenluke. „Ich glaube, diese verdammte Bestie hat mir das Bein gebrochen“, sagte er mit schmerzverzerrter Stimme. „Aber jetzt können wir die Innenluke offenhalten, ein Loch in die Außenluke schweißen und den Druck schnell aus dem Schiff ablassen. Dann ist das Biest geliefert. Aber wo ist der andere Überlebende? Wo ist der blinde Alien?“

Langsam und bedächtig schob Conway die Handfläche vor die Düse von Fletchers Schneidbrenner. „Es gibt keinen blinden Alien mehr. Die Schiffsbesatzung ist tot.“

Murchison und Fletcher starrten ihn an, als wäre aus dem Arzt mit einem Schlag ein geistesgestörter Patient geworden. Doch für Erklärungen blieb keine Zeit.

„Wir sind mit dem Telepathen schon einmal über eine größere Entfernung als jetzt in Kontakt getreten“, sagte Conway langsam, wobei er die Worte mit großer Sorgfalt wählte. „Jetzt befindet er sich in der Nähe, und wir müssen es noch einmal versuchen. Diesem Wesen bleibt nur noch so wenig Zeit.“

„Das Wesen Conway hat recht“, bestätigte eine lautlose Stimme in ihren Köpfen. „Ich hab nur noch sehr wenig Zeit.“

„Und die dürfen wir nicht vergeuden“, sagte Conway in eindringlichem Ton. Er blickte Murchison und Fletcher flehentlich an und fuhr fort: „Ich glaube, einige der Antworten zu kennen, aber wir müssen noch viel mehr herausbekommen, wenn wir wirklich in der Lage sein wollen zu helfen. Denkt mal scharf nach. Was sind die blinden Aliens? Wer und was sind die Beschützer? Warum sind sie so wertvoll für die.“

Und auf einmal wußten sie es.

Der Grund dafür war nicht das langsame, stete Rinnsal von Mitteilungen durch das gesprochene Wort, sondern ein großer, klarer Informationsfluß, der ihre Gehirne mit sämtlichen Kenntnissen über die Spezies von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart füllte.

Die blinden Aliens…

Die Vorfahren dieser Lebewesen waren kleine, im Urschlamm des Planeten wühlende Plattwürmer ohne Sehvermögen gewesen, die größtenteils von Aas gelebt, oftmals jedoch auch größere Lebensformen durch ihren Stachel erst gelähmt und dann stückweise gefressen hatten. Sie entwickelten sich zu blinden Jägern, deren Tastsinn sich so fein ausbildete, daß sie keinen anderen Sinneskanal mehr benötigten.

Durch spezialisierte Fühler besaßen sie die Fähigkeit, die Bewegungen ihrer Beute auf der Oberfläche zu erfühlen, ihre charakteristischen Schwingungen zu identifizieren und knapp unter dem Boden auf sie zu lauern, bis diese in Reichweite ihres Stachels kamen. Mit Hilfe anderer Fühler konnten sie aber auch Spuren auf der Oberfläche erkunden und identifizieren, folgten ihrem Opfer über weite Entfernungen zu dessen Lagerstätte und gruben sich dann entweder in die Erde ein, um ihre Beute von unten zu stechen, oder griffen ihr Opfer direkt an, wenn dessen Innenschwingungen verrieten, daß es schlief. Gegen einen sehenden Gegner bei vollem Bewußtsein konnten sie auf der Oberfläche natürlich nicht viel ausrichten, und deshalb waren sie häufig selbst vom Jäger zum Gejagten geworden. Aus diesem Grund konzentrierte sich ihre Jagdstrategie auf verschiedene taktische Varianten des Hinterhalts.

Auf der Oberfläche bildeten sie Spuren und andere Kennzeichen kleiner Tiere nach, und diese Nachahmungen lockten dann größere Beutetiere in ihre Fallen. Doch die Oberflächentiere waren immer größer und stärker geworden, weshalb ihnen der Stachel eines einzigen Verfahrens der blinden Aliens nicht mehr ernsthaft schaden konnte. Deshalb waren die blinden Wesen zum gemeinsamen Handeln gezwungen, um immer kompliziertere Hinterhalte zu legen, und diese Zusammenarbeit bei den ehrgeizigeren Unternehmungen zur Nahrungsbeschaffung führte wiederum zu sich ausweitenden Kontakten, dem Bau unterirdischer Nahrungslager, der Gründung von Gemeinden, Städten und Großstädten sowie der Einrichtung von sie miteinander verbindenden Kommunikationssystemen. Die Aliens „unterhielten“ sich bereits miteinander, unterrichteten ihre Jungen durch körperliche Kontaktaufnahme und ersannen Methoden, mit denen man Schwingungen verstärken und über weite Strecken erfühlen konnte.

Die blinden Aliens konnten Schwingungen im Boden und in der Atmosphäre fühlen und schließlich „spürten“ sie durch den Einsatz von Verstärkern und Transformatoren sogar Licht. Sie entdeckten das Feuer, erfanden das Rad und den Gebrauch von Funkfrequenzen durch die Umwandlung in ein ertastbares Medium, und schon bald war der Planet mit Funkbaken überzogen, die ihnen lange Reisen mit mechanisch betriebenen Transportmitteln ermöglichten. Obwohl sie die Vorteile des motorbetriebenen Fliegens kannten — sehr viele blinde Aliens waren bei Flugversuchen ums Leben gekommen —, blieben sie doch lieber mit dem Boden in Berührung, weil sie schließlich absolut nichts sehen konnten.

Das bedeutete jedoch nicht, daß sie sich ihres Mangels nicht bewußt waren. Praktisch jedes nichtintelligente Geschöpf auf dem Planeten besaß die ihnen unbekannte Fähigkeit zur genauen Navigation sowohl über kurze als auch über lange Entfernungen, ohne die Windrichtung oder die durch von entfernten Gegenständen abprallenden Schwingungen erzeugten Luftverwirbelungen erfühlen zu müssen. Aber die blinden Aliens wußten nicht genau, was dieses Sehvermögen überhaupt sein könnte. Gleichzeitig wurden sie sich jedoch durch die steigende Differenziertheit ihres weitreichenden Fühlungssystems vieler und komplizierter Schwingungen bewußt, die sie von außerhalb ihrer eigenen Welt erreichten. Es gab also vernunftbegabte Wesen mit wahrscheinlich viel größerem Wissen, von denen diese leichten Berührungen ausgingen. Diese Wesen könnten ihnen vielleicht beim Erlangen dieses Sinnes helfen, den anscheinend außer ihnen selbst alle Lebewesen besaßen.

Noch unendlich viele blinde Aliens bezahlten ihr Vortasten in die Luft und ins All zu den Schwesterplaneten mit dem Leben, doch schließlich lernten sie den Flug zu den Sternen, die sie nicht sehen konnten. Unter großen Schwierigkeiten und mit immer weniger Hoffnung suchten sie nach intelligentem Leben, spürten vergebens Planet um Planet auf, bis sie zuletzt den Planeten fanden, auf dem die Beschützer der Ungeborenen lebten.

Die Beschützer…

Diese Wesen hatten sich in einer Welt aus flachen, dampfenden Meeren, Sümpfen und Urwäldern entwickelt, in der es, was körperliche Beweglichkeit und Angriffslust anging, keine eindeutige Grenze zwischen tierischem und pflanzlichem Leben gab. Um überhaupt zu überleben, mußte sich eine Lebensform schnell fortbewegen, und die dominante Spezies auf diesem Planeten eroberte sich ihren Platz, indem sie sich mit größerem Überlebenspotential wehrte, fortbewegte und vermehrte als sämtliche anderen Lebensformen.

Schon auf einer sehr frühen Evolütionsstufe hatte sie die große Härte ihrer Umwelt in eine physiologische Form gezwungen, die den lebenswichtigen Organen größtmöglichen Schütz bot. Gehirn, Herz, Lunge, Gebärmutter — sie alle befanden sich tief im äußerst muskulösen, gepanzerten Körper und waren auf ein relativ geringes Volumen zusammengepreßt. Während der Schwangerschaft kam es zu einer beachtlichen Verschiebung der Organe, weil der Embryo vor der Geburt fast bis zur Reife heranwachsen mußte. Es kam nur selten vor, daß einer der Beschützer mehr als drei Geburten überlebte. Ein alternder Elternteil war normalerweise zu schwach, um sich gegen den Angriff des Letztgeborenen zu verteidigen.

Aber der Hauptgrund für den Aufstieg der Beschützer zur dominanten Lebensform des Planeten war, daß die Jungen schon vor der Geburt über Bildung und Erfahrungen mit den Überlebenstechniken verfügten. Am Anfang ihrer Evolution hatte diese Entwicklung auf genetischer Ebene als einfache Vererbung von vielen komplexen Überlebensinstinkten begonnen,

aber das enge Nebeneinander der Gehirne des Elternteils und des sich entwickelnden Embryos führte zu einer ähnlichen Wirkung wie bei der Auslösung der mit Gedanken in Verbindung gebrachten elektrochemischen Vorgänge. Die Embryos entwickelten die Fähigkeit zur Telepathie über kurze Strecken und empfingen alles, was das Elternteil sah oder spürte. Und noch vor dem Wachstumsende des Embryos entstand in diesem der nächste Embryo, der sich ebenfalls in zunehmendem Maße der Welt außerhalb seines selbstbefruchtenden Großelternteils bewußt war. Schließlich vergrößerte sich die telepathische Reichweite und ermöglichte die Kommunikation zwischen Embryos, deren Elternteile sich in Sichtweite zueinander befanden.

Um die Schäden an den inneren Organen des Elternteils auf ein Minimum zu reduzieren, war der heranwachsende Embryo in der Gebärmutter gelähmt. Durch die vor der Geburt stattfindende Aufhebung der Lähmung verlor der Embryo allerdings sowohl die Intelligenz als auch die Fähigkeit zur Telepathie. Denn ein durch die Fähigkeit zu denken gehandikapter neugeborener Beschützer hätte in seiner unglaublich grausamen Umwelt nicht lange überleben können.

Da sie es mit nichts anderem als dem Gewinnen von Eindrücken der Außenwelt, dem Gedankenaustausch und dem Ausweitungsversuch der telepathischen Reichweite durch den Kontakt mit verschiedenen nichtintelligenten Lebensformen in ihrer Umgebung zu tun hatten, entwickelten die Embryos einen Verstand von großer Kraft und Intelligenz. Sie konnten jedoch nichts Gegenständliches erschaffen, in irgendeiner Form technische Forschungen betreiben oder überhaupt etwas zur Beeinflussung der Betätigungen ihrer Elternteile oder Beschützer tun, die zur Versorgung der immer wachen Embryokörper und den in ihnen enthaltenen Ungeborenen unaufhörlich kämpfen, töten und fressen mußten.

Das waren die Umstände, als das erste Schiff der blinden Aliens auf dem Planeten der Beschützer landete, und die beiden Spezies gleichzeitig in einen angenehmen geistigen und brutalen körperlichen Kontakt traten.

Es war sofort klar, daß die beiden Lebensformen einander brauchten — die trotz des fehlenden Sinns technisch fortschrittlichen blinden Aliens und die hochintelligente, über die Fähigkeit zur Telepathie in beide Richtungen verfügende Spezies, die in den Körpern ihrer Elternteile eingeschlossen waren, die wiederum nichts anderes als organische Tötungsmaschinen ohne Verstand darstellten. Auf der einen Seite stand also eine Spezies, die lediglich über einen einzigen, wenn auch überentwickelten Sinneskanal verfügte und die Fähigkeit zu Flügen durchs All besaß. Und auf der anderen Seite gab es eine zu jedem Erlebnis und dessen Vermittlung fähige Lebensform, deren Erfahrungen bisher auf wenige Quadratkilometer der Planetenoberfläche beschränkt gewesen waren.

Nach der anfänglichen Euphorie und schweren Opfern unter den blinden Aliens erstellte man kurz- und langfristige Pläne zur Eingliederung der Beschützer in die Zivilisation der Aliens. Anfangs besaßen die blinden Wesen zwar nicht besonders viele Raumschiffe, doch schon bald nahmen sie ein Bauvorhaben für Schiffe mit Hyperraumantrieb in Angriff, mit denen die Beschützer zum Alienplaneten transportiert werden konnten. Obwohl dort nicht so rauhe Lebensbedingungen herrschten wie auf deren Heimatplaneten, war die Oberfläche noch vollkommen naturbelassen, weil die blinden Aliens lieber unter der Erde lebten. Die Beschützer sollten auf diesem Planeten also über den unterirdischen Städten der Aliens leben und die einheimischen Tiere jagen und töten, während ihre telepathischen Embryos das Wissen der unter ihnen wohnenden Stadtbewohner aufnehmen und diesen als Gegenleistung zeigen würden, was es hieß, zum erstenmal Tiere und Pflanzen und den Himmel mit der Sonne, den Sternen und den sich ständig ändernden Witterungsverhältnissen zu sehen.

Viel später, wenn sich die Beschützer auf dem Alienplaneten reinrassig fortpflanzen würden, wollte man auf den Hyperantriebsschiffen eine kleine Anzahl von ihnen zur räumlichen Ausweitung der Forschungsflüge und der Suche nach weiteren vernunftbegabten Lebewesen einsetzen. Aber erst einmal benötigten die blinden Aliens die Beschützer als Augen und brachten deshalb jeweils zwei von ihnen zur Zeit mit speziell gebauten Transportern auf ihren Planeten.

Das war ein außerordentlich gefährliches Unterfangen, bei dem dann auch viele Schiffe verlorengingen, was mit ziemlicher Sicherheit an Ausbrüchen der Beschützer aus den Käfigen und dem daraus resultierenden Tod der Alienbesatzung lag. Der größte Verlust waren bei so einem Vorfall jedoch die ausgebrochenen Beschützer und die wertvollen ungeborenen Telepathen.

Im von der Rhabwar untersuchten Fall war einer der Beschützer aus dem Käfiggang ausgebrochen und hatte trotz der fehlenden, weil lebensnotwendigen Schläge und Stöße des Lebenserhaltungssystems das Bewußtsein nicht verloren. Vorher tötete er noch ein Besatzungsmitglied und danach auch den zweiten, seinem Kollegen zu Hilfe eilenden Alien, mit dessen Stachel sich der FSOJ dann jedoch versehentlich selbst umbrachte. Aber dieser Alien konnte vor dem Tod noch die Notsignalbake aussetzen und den Mechanismus des Käfiggangs abschalten, damit der überlebende Beschützer bewußtlos wurde und für zukünftige Retter bis zu deren Aufklärung durch den telepathischen Embryo keine Gefahr bestand.

Doch leider waren dem blinden Alien zwei Fehler unterlaufen, die man ihm allerdings beide nicht vorwerfen konnte. Erstens hatte er vorausgesetzt alle Spezies könnten ebenso leicht telepathischen Kontakt mit dem Embryo aufnehmen wie seine eigene, und zweitens war er davon ausgegangen, der Embryo würde auch nach eingetretener Bewußtlosigkeit des Beschützers bei Bewußtsein bleiben.

Die große Informationsflut, die die ganze Zeit in die Gehirne der Rettungsmannschaft geströmt war, verringerte sich jetzt allmählich und wurde zu einem klaren, schmalen und mehr speziellen als allgemeinen Mitteilungsfluß.

„Die Lebensform der Beschützer ist von der Geburt bis zum Tod ständigen Angriffen ausgesetzt“, fuhr die lautlose Stimme in ihren Gehirnen fort. „Diese fortwährende Körperverletzung spielt eine wichtige Rolle, um das physiologische System in einem optimalen Zustand zu erhalten. Entzieht man diese heftige Stimulation, dann hat das ähnliche Auswirkungen wie das Ersticken, wenn ich die Gedanken des Wesens Conway richtig interpretiert habe. Außerdem kommen noch stark reduzierter Blutdruck, eingeschränkte Sinneswahrnehmungen und ein vollkommener Verlust der willkürlichen Muskeltätigkeit hinzu. Das Wesen Murchison vermutet ebenfalls ganz richtig, daß der betreffende Embryo auf gleiche Weise in Mitleidenschaft gezogen wird.

Als das Wesen Fletcher die Mechanismen im Käfiggang versehentlich wieder eingeschaltet hatte, begann bei meinem Beschützer und mir selbst die Wiedererlangung des Bewußtseins, die durch das erneute Abschalten erst aufgehalten und dann auf Drängen des Wesens, das Sie Prilicla nennen, wiederum in Gang gesetzt wurde. Mit dem Gehirn des Wesens Prilicla kann ich nicht in Verbindung treten, da es für meine Gefühle empfänglicher als für meine Gedanken ist. Und meine Gefühle waren eine Mischung aus großer Eile und Frustration, weil ich Ihnen vor meinem Tod unbedingt die Situation erklären mußte.

Solange noch Zeit ist, möchte ich Ihnen mit meiner ganzen verbliebenen Gedankenkraft für die Kontaktaufnahme danken und dafür, daß Sie mir durch Ihre Gedanken all die Wunder gezeigt haben, die es nicht nur auf meinem Heimatplaneten und dem der blinden Aliens gibt, sondern auch überall in Ihrer Föderation. Und ich möchte mich für die bei der Herstellung dieses Kontakts verursachten Schmerzen und die Verletzung der Gliedmaße des Wesens Fletcher entschuldigen. Wie Ihnen ja nun bekannt ist, hab ich über das Handeln meines Beschützers keinerlei Kontrolle.“

„Moment mal“, unterbrach Conway plötzlich. „Für Ihren Tod gibt es überhaupt keinen Grund. Das Lebenserhaltungssystem und die Mechanismen und Futterspender im Korridor sind und bleiben funktionstüchtig, bis wir Ihr Schiff zum Orbit Hospital bringen können. Wir sind auch in der Lage, Sie zu versorgen. Uns stehen viel mehr Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung als den blinden Aliens.“

Conway verstummte. Trotz des überzeugten Unterstützungsangebots fühlte er sich hilflos. Die Tentakel des schwerelos umhertreibenden und offensichtlich mitten im Gang sterbenden Beschützers schlugen nur noch schwach und planlos um sich, und jedesmal, wenn einer der Tentakel gegen die Wand oder Decke prallte, drehte sich der Körper langsam. Murchison, Fletcher und Conway konnten daher den gesamten Geburtsvorgang gut beobachten. Zuerst tauchte der Kopf, und dann die vier Tentakel des Jungen auf. Bis jetzt waren die Gliedmaßen des Ungeborenen noch schlaff und reglos, weil die Sekrete noch nicht wirkten, die die vor der Geburt bestehende Lähmung aufhoben und gleichzeitig sämtliche, nicht dem Überleben dienende Gehirntätigkeiten unterbanden. Dann zuckten die Tentakel plötzlich, schlugen um sich und zogen den vor kurzem noch Ungeborenen aus dem Geburtskanal des Elternteils heraus.

Noch einmal sprach die lautlose Stimme in ihren Gehirnen, doch diesmal war sie nicht mehr klar und deutlich. Schmerz, Verwirrung und tiefe Besorgnis trübten den verständlichen Mitteilungsfluß. Doch glücklicherweise handelte es sich um eine einfache Botschaft.

„Geboren zu werden bedeutet sterben, meine Freunde. Meine Gedanken und meine telepathische Fähigkeit werden nun zerstört. Ich werde jetzt selbst zum Beschützer eines eigenen Ungeborenen, das wachsen, denken und mit Ihnen in Kontakt treten wird. Bitte kümmern Sie sich um ihn…“

Mit Fletchers gebrochenem Schienbein hatte es einige Probleme gegeben, so daß Conway ihm für eine angenehmere Gestaltung des Rückflugs zum Ambulanzschiff ein starkes Schmerzmittel verabreichen mußte. Fletcher war bei vollem Bewußtsein und sprach wegen der hemmungslösenden Nebenwirkung des Medikaments unaufhörlich und voller Sorge von dem ungeborenen Telepathen und den blinden Aliens.

„Um den Telepathen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Captain“, beruhigte Murchison ihn. Sie hatten Fletcher aufs Unfalldeck gebracht, und Murchison half Naydrad, den Captain vom Raumanzug zu befreien. Conway und Prilicla stellten inzwischen die für eine kleinere chirurgische Behandlung nötigen Instrumente zusammen. „Keine Angst“, führ Murchison fort, „das Hospital wird ihn liebevoll und zärtlich umsorgen, obwohl ich mir O'Maras Gesicht sehr gut vorstellten kann, wenn er erfährt, daß der FSOJ in einer Art Folterkammer untergebracht werden muß. Und ganz ohne Zweifel werden auch Ihre Erstkontaktleute da sein, weil sie bestimmt hoffen, ein Wesen, dessen telepathische Kräfte noch über große Entfernungen wirken, zur Zusammenarbeit überreden zu können.“

„Aber die blinden Aliens brauchen die Beschützer am dringendsten“, gab Fletcher mit Besorgnis zu bedenken. „Stellen Sie sich das bloß mal vor, nach Millionen von Jahren in vollkommener Dunkelheit haben sie endlich eine Möglichkeit gefunden zu sehen, auch wenn sich ihre Augen gegen sie selbst wenden und sie buchstäblich umbringen können.“

„Mit der Zeit wird das Hospital auch dafür eine Lösung finden“, entgegnete Murchison beruhigend. „Thornnastor ist ganz versessen darauf, solche Nüsse zu knacken. Zum Beispiel die Sache mit der fortdauernden Empfängnis, dem Embryo im Embryo. Wenn wir die Wirkungen des Sekrets, das den intelligenten Teil des Gehirns kurz nach der Geburt zerstört, herausbekommen und aufheben könnten, dann hätten nicht nur die Ungeborenen telepathische Fähigkeiten, sondern auch die Beschützer. Und wenn man die von ihnen durch die Umweltbedingungen das ganze Leben lang bezogenen Prügel nach und nach abschwächen und schließlich ganz abschaffen würde, gewöhnen sie sich vielleicht sogar den Versuch ab, alles, was sie sehen, zu töten und zu fressen. Die blinden Aliens hätten dann die telepathischen Augen, die sie benötigen, ohne sich einer ständigen Gefahr auszusetzen, und könnten, wenn sie wollten, die gesamte Galaxis durchstreifen.“

Sie hielt inne, um Naydrad beim Abschneiden des Hosenbeins der Uniform des Captains zu helfen, und sagte dann an Conway gewandt: „Er ist jetzt bereit, Doktor.“

Murchison und Naydrad standen bereit. Prilicla schwebte über ihnen und strahlte beruhigende Emotionen aus.

„Entspannen Sie sich, Captain“, sagte Conway. „Denken Sie nicht mehr an die blinden Aliens und die Beschützer, mit denen wird schon alles in Ordnung gehen. Und mit Ihnen auch. Schließlich bin ich Chefarzt im fortschrittlichsten Hospital der Föderation mit vielfältigen Umweltbedingungen. Aber wenn Sie sich schon unbedingt über etwas Sorgen machen müssen, brauchen Sie nur an mein gegenwärtiges Problem zu denken.“ Er lächelte plötzlich und fügte hinzu: „Es muß mindestens zehn Jahre her sein, seit ich das letzte mal einen Schienbeinbruch bei einem DBDG gerichtet hab.“

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