ZWEITER TEIL EINE ANSTECKENDE KRANKHEIT

Chefarzt Conway wand sich in einem Möbelstück, das eigentlich für das körperliche Wohlbefinden eines sechsbeinigen Melfaners mit Ektoskelett konstruiert worden war, in eine nicht ganz so unbequeme Sitzposition und sagte in gekränktem Ton: „Nach zwölf Jahren medizinischer und chirurgischer Erfahrung im größten Hospital der Föderation verspricht man sich von der nächstfolgenden logischen Stufe auf der Beförderungsleiter doch wohl etwas mehr als. als zum Fahrer eines Ambulanzschiffs ernannt zu werden!“

Die andere vier Wesen, die zusammen mit ihm im Büro des Chefpsychologen warteten, zeigten zunächst keinerlei Reaktion. Dr. Prilicla klammerte sich schweigend an die Decke — seine bevorzugte Position, wenn er sich in der Gesellschaft von Lebewesen befand, die größer und muskulöser waren als er. Zusammen auf einer illensanischen Bank saßen die ungewöhnlich hübsche Pathologin Murchison und eine raupenähnliche kelgianische Oberschwester mit silbernem Fell namens Naydrad. Auch sie schwiegen. Major Fletcher, dem man als erst kürzlich eingetroffenen Besucher des Hospitals aus Höflichkeit den einzigen physiologisch passenden Stuhl angeboten hatte, war der erste, der das Schweigen brach. „Man wird Ihnen aber nicht gestatten, das Ambulanzschiff zu fliegen, Doktor“, sagte er ernst.

Es war offensichtlich, daß Major Fletcher immer noch stolz auf die funkelnden Abzeichen eines Schiffskommandanten war, die seit neuestem die Ärmel seiner Monitoruniform schmückten, und sich bereits jetzt um das Wohlergehen des Schiffs sorgte, auf dem er in Kürze das Kommando haben würde. Conway erinnerte sich daran, bei Erhalt seines ersten Taschenscanners genauso empfunden zu haben.

„Also wirst du nicht einmal zum Fahrer eines Ambulanzschiffs befördert“, bemerkte Murchison lachend.

Naydrad beteiligte sich am Gespräch mit einer Reihe wimmernder und pfeifender Geräusche, die übersetzt lauteten: „Erwarten Sie etwa in einer Einrichtung wie dem Orbit Hospital so etwas wie Logik, Doktor?“

Conway antwortete nicht. Er dachte daran, daß über die Gerüchteküche des Hospitals, die einen normalerweise zuverlässigen Herd hatte, bereits seit Tagen die Neuigkeit verbreitet worden war, ein Chefarzt, nämlich Conway selbst, würde bald dauerhaft einem Ambulanzschiff zugeteilt.

An der Decke begann Dr. Prilicla als Reaktion auf Conways emotionale Ausstrahlung zu zittern. Deshalb versuchte dieser, seine Gefühle der Verwirrung und Enttäuschung unter Kontrolle zu bekommen.

„Bitte regen Sie sich wegen dieser Geschichte doch nicht unnötig auf, mein Freund“, bat der kleine Empath, und die rollenden Schnalzlaute der fast musikalischen Sprache des Cinrusskers überlagerten die emotionslos klingende Übersetzung aus dem Translator. „Zunächst einmal muß man uns noch von offizieller Seite über diese neue Aufgabe informieren, und ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß Sie dann angenehm überrascht sein werden, Doktor.“

Wie Conway wußte, war Prilicla jedoch nicht abgeneigt zu lügen, wenn er dadurch die emotionale Atmosphäre einer Situation verbessern konnte. Er tat das allerdings nicht, wenn eine solche Besserung nur kurzfristig anhielt, und daraufhin sogar noch stärkere Gefühle des Ärgers und der Enttäuschung folgten.

„Und wie kommen Sie darauf, Doktor?“ fragte Conway. „Sie haben das Wort „wahrscheinlich“ und nicht „möglich“ verwandt. Haben Sie irgendwelche Insiderinformationen?“

„Das stimmt allerdings, mein Freund“, antwortete der Cinrussker. „Ich hab eine emotionale Strahlungsquelle geortet, die vor einigen Minuten das Vorzimmer betreten hat. Sie entspringt den Gefühlen unseres Chefpsychologen und strahlt Entschlossenheit mit einer Art gedämpfter Besorgnis aus, wie sie bei Wesen typisch ist, auf denen Verantwortung lastet. Ich kann aber keine Gefühle entdecken, die vorhanden sein müßten, wenn man vorhat, jemandem eine unangenehme Neuigkeit beizubringen. Im Moment spricht Major O'Mara mit einem seiner Assistenten, der sich ebenfalls keines latenten unangenehmen Gefühls bewußt ist.“

Conway lächelte und entgegnete: „Danke, Doktor. Jetzt fühle ich mich schon wesentlich besser.“

„Ich weiß“, antwortete Prilicla.

„Und ich hab das Gefühl, daß eine solche Debatte über die Gefühle des Wesens O'Mara an eine Verletzung des medizinischen Berufsethos grenzt“, sagte Schwester Naydrad. „Emotionale Ausstrahlung ist zweifellos so etwas wie eine vertrauliche Mitteilung und sollte nicht auf diese Weise verbreitet werden.“

„Vielleicht haben Sie die Tatsache nicht berücksichtigt, daß es sich bei dem Wesen, über dessen emotionale Ausstrahlung wir sprechen, um keinen Patienten handelt, Freundin Naydrad“, entgegnete Prilicla, wobei er sich so ausdrückte, daß es ihm als Empathen gerade noch möglich war, einem anderen Wesen mitzuteilen, es sei im Unrecht. „Und in diesem Fall stellt Doktor Conway das einem Patienten am meisten ähnelnde Wesen dar, da er sich um seine Zukunft sorgt und zu seiner Beruhigung eine Information über die emotionale Ausstrahlung Doktor O'Maras benötigt.“

Naydrads silbriges Fell sträubte sich und wogte; es zeigte somit an, daß die kelgianische Oberschwester antworten wollte. Doch in diesem Augenblick kam Dr. O'Mara aus dem Vorzimmer herein, und das Gespräch, das sich zu einer interessanten Diskussion über ethische Grundsätze hätte entwickeln können, fand ein vorzeitiges Ende.

Der Chefpsychologe nickte jedem der Reihe nach kurz zu und setzte sich in den einzigen weiteren physiologisch passenden Stuhl im Raum, nämlich in seinen eigenen.

In seiner typisch höhnischen Art sagte er: „Bevor ich Ihnen mitteile, warum ich gerade Sie vier gebeten hab, Major Fletcher zu begleiten, und Ihnen nähere Einzelheiten Ihres Auftrags mitteile, von denen Sie ohne Zweifel schon in ihren Grundzügen erfahren haben, muß ich Ihnen noch einige Hmtergoindinformationen nichtmedizinischer Natur geben.

Das Problem, Leute wie Sie in dieses Thema einzuführen, besteht darin, daß ich es mir nicht leisten kann, Vermutungen über den Grad Ihrer Unkenntnis in Bereichen außerhalb Ihrer Spezialgebiete anzustellen. Falls Ihnen einige dieser Informationen zu elementar sein sollten, dann können Sie natürlich Ihren Gedanken freien Lauf lassen, jedenfalls solange ich Sie dabei nicht erwische.“

„Sie haben unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, Freund O'Mara“, versicherte ihm Prilicla, der natürlich wußte, daß das eine Tatsache war.

„Jedenfalls vorläufig“, fügte Naydrad hinzu.

„Oberschwester Naydrad!“ platzte Major Fletcher heraus, dessen rot angelaufenes Gesicht in einem ausgesprochen unharmonischen Gegensatz zum Dunkelgrün seiner Uniform stand. „Sie sind einem ranghöheren Offizier gegenüber alles andere als respektvoll. Solch ein beleidigendes Benehmen werde ich auf meinem Schiff nicht dulden, und ich werde auch solch ein.“

O'Mara hob beschwichtigend die Hand. „Ich fühle mich nicht beleidigt, Major, und das sollten Sie sich auch nicht fühlen“, sagte er in ruhigem Ton. „Bis jetzt haben Sie während Ihrer Laufbahn noch nie einen engen persönlichen Kontakt mit Extraterrestriern gehabt, und deshalb ist Ihr Irrtum verständlich. Er wird sich wahrscheinlich auch nicht wiederholen, sobald Sie erst einmal gelernt haben, die Gedankengänge und Verhaltensweisen der Wesen zu verstehen, mit denen Sie an diesem Projekt zusammenarbeiten werden.

Oberschwester Naydrad ist eine Kelgianerin“, fuhr O'Mara in einem für seine Verhältnisse recht freundlichen Ton fort, „eine raupenähnliche Lebensform, deren hervorstechendstes Merkmal ein den ganzen Körper überziehendes silbergraues Fell ist. Sie werden bereits bemerkt haben, daß Naydrads Fell in ständiger Bewegung ist, als ob es durch einen stetigen Wind zu Büscheln und kleinen Wellen geblasen würde. Das sind vollkommen unwillkürliche Bewegungen, die von ihren Gefühlsreaktionen auf äußere Reize gesteuert werden. Die evolutionären Gründe für diesen Mechanismus sind nicht ganz klar, nicht einmal den Kelgianern selbst, doch es wird allgemein angenommen, daß der emotional ausdrucksfähige Pelz den kelgianischen Sprechapparat ergänzt, dem eine gewisse Flexibilität des Tonfalls fehlt. Sie müssen jedenfalls begreifen, daß die Bewegungen des Fells einem zweiten Kelgianer vollkommen klarmachen, was der erste bei dem Gesprächsthema empfindet. Deshalb sagen die Kelgianer immer genau das, was sie meinen; denn was sie denken, ist ganz offensichtlich — wenigstens für einen anderen Artgenossen. Sie können einfach nicht anders handeln. Im Gegensatz zu Doktor Prilicla, der immer freundlich ist und manchmal die Wahrheit zurechtstutzt und die unangenehmeren Fakten für sich behält, wird Schwester Naydrad ohne Rücksicht auf Ihren Rang und Ihre Gefühle stets die Wahrheit sagen. Sie werden sich bald daran gewöhnen, Major.

Aber eigentlich hatte ich nicht vor, einen Vortrag über Kelgianer zu halten. Vielmehr hatte ich vor, kurz über die Entstehung dessen zu sprechen, was jetzt die galaktische Föderation genannt wird.“

Auf dem Instruktionsschirm hinter ihm erschien plötzlich eine dreidimensionale Darstellung der galaktischen Doppelspirale mit ihren wichtigsten stellaren Eigenschaften und die Ausläufer einer benachbarten Galaxis, deren Entfernung man nicht einmal schätzen konnte. Während sie den Erläuterungen O'Maras zuhörten, erschien nah am Rand der Milchstraße eine kurze, helle Linie aus gelbem Licht, dann eine weitere, schließlich noch eine — die Verbindungen zwischen der Erde und den frühen Erdkolonien und den Systemen von Orligia und Nidia, den ersten extraterrestrischen Kulturen, mit denen man in Kontakt getreten war. Ein weiteres Bündel gelber Linien erschien und bezeichnete die Welten, die vom Planeten Traltha aus kolonialisiert oder kontaktiert worden waren.

Mehrere Jahrzehnte hatten vergehen müssen, bevor sich Orligianer, Nidianer, Tralthaner und Menschen ihre Planeten gegenseitig zugänglich gemacht hatten — zu jener Zeit neigten nämlich sämtliche beteiligten Wesen zu Mißtrauen, was in einem Fall sogar zu einem Krieg führte —, doch in diesem Bild wurde die verstrichene Zeit genauso wie die Entfernung komprimiert dargestellt.

Das Flechtwerk goldener Linien wurde rasch dichter, als zuerst Kontakte und dann Handelsbeziehungen mit den hochentwickelten und stabilen Kulturen von Kelgia, Illensa, Hudlar, Melf und deren eventuell vorhandenen angeschlossenen Kolonien aufgenommen wurden. Optisch gesehen handelte es sich dabei um keine geordnete Entwicklung. Die Linien schossen nach innen zum galaktischen Zentrum, kehrten wieder an den Rand zurück, bewegten sich zwischen Zenit und Nadir, und sprangen sogar mitten durch den intergalaktischen Raum, um sich mit den Planeten der Ianer zu verbinden, obwohl es in diesem Fall die Ianer gewesen waren, die mit den Reisen angefangen hatten. Als die Linien die Planeten der galaktischen Föderation verbanden, also die Planeten, von denen bekannt war, daß sie intelligentes und auf ihre eigene, manchmal recht eigentümliche Weise technisch und philosophisch hochentwickeltes Leben beheimateten, resultierte daraus ein unordentliches gelbes Gekritzel, das einer Kreuzung zwischen einem DNS-Molekül und einem Brombeerstrauch ähnelte.

„.nur ein winziger Bruchteil der Galaxis ist von uns oder einer der anderen Spezies der Föderation erforscht worden“, fuhr O'Mara fort. „Und wir befinden uns in der Lage eines Menschen, der zwar Freunde in entfernten Ländern hat, aber keine Ahnung davon, wer bei ihm um die Ecke wohnt. Der Grund dafür ist, daß sich Reisende öfter treffen als Leute, die zu Hause bleiben, besonders dann, wenn diese Reisenden ihre Adressen austauschen und sich regelmäßig treffen.“

Vorausgesetzt, es traten unterwegs keine störenden Einflüsse auf, und die genauen Zielkoordinaten waren bekannt, dann war es wirklich genauso einfach, durch den Subraum zu einem benachbarten Sonnensystem zu reisen wie zu einem Planeten am anderen Ende der Galaxis. Aber man mußte erst einmal ein bewohntes Sonnensystem entdecken, bevor man dessen Koordinaten ins Logbuch eintragen konnte, und das erwies sich als eine nicht ganz leichte Aufgabe.

Es dauerte sehr lange, bis man wenigsten ein paar der kleineren weißen Flecken auf den Sternkarten eingetragen und erkundet hatte, allerdings mit nur wenig Erfolg. Wenn die Aufklärungsschiffe einen Stern mit Planeten fanden, war das schon an sich eine seltene Entdeckung — und eine noch seltenere, wenn auf dem Planeten Leben existierte. Und falls sogar eine der einheimischen Lebensformen intelligent war, dann fegte eine Welle des Jubels über die Planeten der Föderation hinweg, allerdings stets verbunden mit der Sorge, ob der Pax Galactica durch diese Aliens nicht möglicherweise bedroht sein könnte. Man sandte Spezialisten des Monitorkorps aus, um die knifflige, zeitraubende und oft gefährliche Arbeit zu verrichten, um erste Kontakte zu knüpfen und diese später zu vertiefen.

Die Fachleute für Erstkontakte stellten die Elite des Monitorkorps dar, eine kleine Gruppe von Spezialisten für extraterrestrische Kommunikation, Philosophie und Psychologie. Obwohl diese Gruppe nur relativ klein war, war sie bedauerlicherweise nicht gerade mit Arbeit überlastet.

„.im Verlauf der letzten zwanzig Jahre“, fuhr O'Mara fort, „hat sie in nur drei Fällen das Erstkontaktverfahren eingeleitet, und jedesmal trat die betreffende Spezies der Föderation bei. Ich will Sie jetzt nicht mit Einzelheiten langweilen, was die Anzahl der dazu erforderlichen Erkundungsflüge angeht oder wie viele Schiffe und Personen daran beteiligt waren und wieviel Material benötigt wurde. Erst recht werde ich Sie nicht mit den Gesamtkosten für diese Unternehmungen schockieren. Ich erwähne die drei Erfolge der Kontaktgruppe nur, um zu verdeutlichen, daß dieses Hospital im selben Zeitraum nicht nur voll einsatzfähig gemacht wurde, sondern auch Erstkontakte eingeleitet hat, die zum Eintritt von sieben neuen Spezies in die Föderation geführt haben. Und das wurde nicht etwa durch einen allmählichen, beharrlichen Aufbau und eine Ausweitung der Kommunikation bewirkt, bis ein Austausch komplexer philosophischer und soziologischer Auffassungen möglich geworden wäre, sondern indem einem kranken Alien medizinische Hilfe geleistet wurde.“

Der Chefpsychologe musterte sie alle der Reihe nach, und Prilicla brauchte ihm nicht extra zu sagen, daß er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit besaß, denn das war an ihren Mienen abzulesen. „Natürlich stelle ich alles bewußt sehr vereinfacht dar“, fuhr er fort. „Nun gut, Sie mußten sich jedenfalls in solchen Fällen jeweils mit den medizinischen und/oder chirurgischen Problemen auseinandersetzen, die auftreten, wenn man eine bislang unbekannte Lebensform zu behandeln hat. Dabei standen Ihnen sowohl der Übersetzungscomputer des Hospitals, der zweitgrößte in der Galaxis überhaupt, als auch Kommunikationsspezialisten des Monitorkorps zur Verfügung, wobei das Korps auch für die Bergung vieler extraterrestrischer Opfer verantwortlich war. Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß Sie, indem Sie medizinische Hilfe geleistet haben, den guten Willen der Föderation fremden Spezies gegenüber viel einfacher und direkter demonstriert haben, als es jeder langatmige Gedankenaustausch hätte tun können.

Als Folge davon hat es eine deutliche Verschiebung des Schwerpunkts der Erstkontaktpolitik gegeben.“

So, wie man nur eine Methode kannte, durch den Hyperraum zu reisen, gab es auch nur ein Verfahren, ein Notsignal zu senden, wenn ein Unfall oder eine Fehlfunktion auftrat und ein Schiff im Normalraum zwischen den Sternen gestrandet war. Der mit festem Leitstrahl arbeitende SubreumM: war keine zuverlässige interstellare Kommunikationsmethode, da er durch dazwischenliegende Sternkörper Störungen und Verzerrungen ausgesetzt war und überdies Unmengen von Schilfsenergie benötigte — Energie, die ein in Not geratenes Schiff zumeist gar nicht mehr aufbringen konnte. Doch eine relativ simple „Notsignalbake“ brauchte keine Nachrichten zu übermitteln — sie war einfach ein nuklearbetriebenes Gerät, das ein Peilsignal sendete, einen Hilferuf im Subreum, der immer wieder sämtliche verwendbaren Funkfrequenzen durchlief, bis er einige Minuten oder Stunden später verstummte.

Da sämtliche Schiffe der Föderation vor dem Abflug Einzelheiten über Kurs und Passagiere einreichen mußten, war die Position des Notsignals normalerweise ein guter Hinweis auf die physiologische Klassifikation einer Spezies, die in Schwierigkeiten geraten war. Dann wurde ein Ambulanzschiff mit der entsprechenden Mannschaft und Ausrüstung zur Lebenserhaltung an Bord vom Orbit Hospital oder von seinem Heimatplaneten geschickt. Aber es gab Fälle, und zwar viel mehr als allgemein angenommen, in denen für die Föderation unbekannte Wesen in ein Unglück verwickelt waren und dringend Hilfe benötigten — Hilfe, die die Ambulanzschiffe mitsamt ihren Besatzungen kaum zu leisten vermochten.

Nur wenn beim betreffenden Bergungsschiff die Hyperraumantriebshülle zu vergrößern war, um das verunglückte Schiff darin einzuschließen, oder aber die Wesen unversehrt befreit werden und in eine für sie passende Umweltbedingung auf dem Föderationsschiff geschafft werden konnten, transportierte man sie ins Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwölf. Folge davon war, daß viele bislang unbekannte Lebensformen, die über eine hohe Intelligenz und eine fortgeschrittene Technologie verfügten, starben und allenfalls noch als interessante Studienobjekte für die Pathologie dienten. Doch hatte man bereits seit langem nach einer Lösung dieses Problems gesucht und die Antwort darauf vielleicht sogar gefunden.

Man hatte entschieden, ein ganz spezielles Ambulanzschiff auszurüsten, das nur auf diejenigen Notsignale reagieren sollte, deren Positionen sich nicht mit den von den Föderationsschiffen eingereichten Flugplänen deckten.

„…wann immer es möglich ist“, fuhr O'Mara fort, „ziehen wir es vor, mit raumreisenden Lebensformen in Kontakt zu treten. Spezies, die zwar intelligent, aber keine Raumreisenden sind, werfen zumeist nur Probleme auf. Wir können bei denen nie sicher sein, ob wir ihre natürliche Entwicklung fördern oder nur behindern, ob wir ihnen technologisch unter die Arme greifen oder einen vernichtenden Minderwertigkeitskomplex bereiten, wenn wir von ihrem Himmel herabfallen.“

„Und wenn das Raumschiff keine Notsignalbake besitzt, was dann?“ unterbrach ihn Naydrad.

„Wenn eine Spezies technologisch so weit fortgeschritten ist, daß sie über Raumschiffe verfügt, und dann eine solche Sicherheitsvorkehrung für die Insassen nicht trifft“, antwortete O'Mara, „dann möchte ich sie lieber erst gar nicht kennenlernen.“

„Ich verstehe“, sagte die Kelgianerin.

Der Chefpsychologe nickte und fuhr dann rasch fort: „Nun verstehen Sie wohl auch, warum vier ranghöhere oder spezialisierte Mitglieder des medizinischen und chirurgischen Mitarbeiterstabs unseres Hospitals zu Ambulanzschiflbegleitern degradiert werden.“ — O'Mara drückte einige Knöpfe auf seinem Schreibtisch, und die Sternkarte der Föderation wurde durch eine große und detaillierte grafische Darstellung eines Schiffs ersetzt —, „…und zwar zu Begleitern eines ganz besonderen Ambulanzschiffs, wie Sie sehen können. Captain Fletcher, fahren Sie bitte fort.“

Wie Conway auffiel, hatte O'Mara gerade zum erstenmal Fletchers Titel als Schiffskommandant benutzt und nicht seinen Monitorkorpsrang als Major. Wahrscheinlich war das die Methode des Chefpsychologen, alle daran zu erinnern, daß Fletcher auf dem Ambulanzschiff das Sagen haben würde, egal, ob es ihnen nun paßte oder nicht.

Conway hörte dem Captain nur halb zu, als sich Fletcher in überschwenglichem Ton über die Ausmaße, Leistungsfähigkeit und Suchmöglichkeiten seines neuen Schiffs ausließ, wobei er an einen stolzen Vater erinnerte, der die Vorzüge seines Lieblingssprößlings anpreist.

Das Bild auf dem Instruktionsschirm war Conway durchaus vertraut, denn er hatte das Schiff bereits zuvor in den Dockanlagen des Monitorkorps hängen sehen, wo es auf ihn wie ein riesiger, weißer Dartpfeil gewirkt hatte. Seine Umrisse wurden durch ein schier undurchdringliches Dickicht ausgestreckter Sensoren und geöffneter Inspektionsluken verwischt, und es war von einem Schwarm kleinerer Schiffe in der gelbbraunen Dienstfarbe des Monitorkorps umgeben. Das Schiff hatte Form und Größe eines leichten Föderationskreuzers, des größten Korpsschiffstyps, der in der Lage war, innerhalb einer Planetenatmosphäre Luftmanöver durchzuführen. Conway stellte sich die strahlend weiße Schiffshülle und die deltaförmigen Flügel mit dem roten Kreuz, der orangefarbenen Sonne, dem gelben Blatt und den vielfältigen anderen Symbolen vor, die den Grundgedanken der überall in der Föderation uneingeschränkt gewährten Hilfe repräsentierten.

„…die Besatzung wird fast ausschließlich aus Mitgliedern der physiologischen Klassifikation DBDG bestehen“, sagte Captain Fletcher gerade, „und das bedeutet, sie wird sich genauso wie die Mehrheit des Monitorkorpspersonals aus Terrestriern oder Bewohnern von der Erde besiedelter Planeten zusammensetzen.

Doch dieses Schiff hier wurde auf Traltha gebaut, wie die typische Form und alle sich daraus ergebenden Konstruktionsvorteile schon verraten“, ftihr er begeistert fort. „Deshalb haben wir es auch nach einer der großen Persönlichkeiten in der medizinischen Geschichte Tralthas benannt, nämlich Rhabwar. Die Unterkünfte für das extraterrestrische medizinische Personal sind bezüglich Gravitation, Druck, Zusammensetzung der Atmosphäre, Nahrung, Mobiliar und Ausstattung anpassungsfähig, vorausgesetzt, es handelt sich dabei um warmblütige Sauerstoffatmer. Weder die Kelgianerin mit der physiologischen Klassifikation DBLF.“ — er sah Naydrad an und dann nach oben zu Prilicla — „noch der Cinrussker als GLNO werden in dieser Hinsicht irgendwelche Probleme aufwerfen.

Der einzige physiologisch nicht spezialisierte Schiffsabschnitt ist das Unfalldeck und die dazugehörige Station, die groß genug ist, um ein Unfallopfer bis zur Größe eines ausgewachsenen Chalders aufzunehmen. Dieser Abschnitt ist mit Gravitationsgittern ausgerüstet, die in halben Ge-Schritten von null bis fünf Ge reguliert werden können, und besitzt zudem die Vorrichtung für die Bereitstellung einer Vielzahl gasförmiger und flüssiger Atmosphären. Wenn das Unfallopfer verwirrt oder aggressiv sein sollte und der Patient für eine medizinische Untersuchung oder chirurgische Behandlung ruhiggestellt werden muß, stehen dafür sowohl materielle als auch nichtmaterielle Hilfsmittel zur Bändigung des Wesens zur Verfügung, nämlich Riemen und Pressorstrahlen. Dieser Abschnitt wird der alleinigen Verantwortung des medizinischen Personals unterstellt sein, das für die Verunglückten, die ich ihm bringen werde, die geeigneten Umweltbedingungen schafft und deren umgehende Behandlung einleiten wird.

Diesen Punkt möchte ich ausdrücklich unterstreichen“, fuhr der Captain fort, und seine Stimme klang jetzt härter. „Die Verantwortung für die allgemeine Schiffsführung, sowie für das Auffinden des verunglückten Alienschiffs und dessen Bergung selbst trage allein ich. Die Rettung eines Extraterrestriers aus einem vollkommen fremden und zudem noch beschädigten Schiff ist alles andere als einfach. So besteht jederzeit die Möglichkeit, versehentlich fremdartige Mechanismen mit eventuell zerstörerischen Auswirkungen auszulösen, die auch Verwundungen der Retter nach sich ziehen könnten, oder daß giftige oder explosive Atmosphären und atomare Strahlung vorhanden sind. Hinzu kommen die oftmals umfangreichen Probleme, die schon mit dem bloßen Betreten eines Alienschiffs verbunden sind, und die heikle Aufgabe, das extraterrestrische Unfallopfer zu finden und herauszuholen, ohne es zu töten oder seine Verletzungen zu verschlimmern.“

Fletcher hielt inne und sah alle der Reihe nach an. Prilicla begann in dem von Naydrad ausgehenden unsichtbaren Wind emotionaler Ausstrahlung zu beben, deren silbriges Fell sich ihrerseits wie zu sich sträubenden Stacheln aufstellte. Murchison versuchte ohne großen Erfolg, eine unbeteiligte Miene aufzusetzen, und Conway glaubte ebenfalls nicht, besonders gelassen zu wirken.

O'Mara schüttelte bedächtig den Kopf und sagte: „Captain, Sie haben den medizinischen Mitarbeitern nicht nur gesagt, daß sie sich ausschließlich um ihre eigenen Aufgaben zu kümmern haben, sondern haben ihnen auch noch zu erklären versucht, worin diese Aufgaben bestehen. Neben seiner chirurgischen und medizinischen Erfahrung mit ETs war Chefarzt Conway bereits an einer Anzahl von Schiffsbergungseinsätzen beteiligt, ebenso wie Pathologin Murchison und Doktor Prilicla. Und Oberschwester Naydrad ist in den letzten sechs Jahren sogar zur Spezialistin für schwere Rettungseinsätze geworden. Dieses Projekt erfordert eine enge Zusammenarbeit. Sie werden die Mithilfe Ihrer Ärzte benötigen, und ich nehme stark an, diese werden Sie auch erhalten, ob Sie sie nun darum bitten oder nicht.“ Er wandte seine Aufmerksamkeit Conway zu, dann fuhr er mit leicht spöttischem Unterton fort: „Sie, Doktor, wurden von mir für dieses Projekt ausgewählt, weil Sie die Fähigkeit besitzen, mit ETs zusammenzuarbeiten und diese auch zu verstehen, egal, ob es sich dabei um Kollegen oder Patienten handelt. Also sollten Sie auch auf keine unüberwindlichen Schwierigkeiten stoßen, wenn Sie lernen müssen, wie man am besten mit einem frisch ernannten Schiffskommandanten auskommen und zusammenarbeiten kann, der verständlicherweise noch sehr.“

Die Signallampe auf O'Maras Schreibtisch begann zu blinken, und die Stimme eines seiner Assistenten meldete: „Diagnostiker Thornnastor ist eben eingetroffen, Sir.“

„Noch drei Minuten“, entgegnete O'Mara. Seine Augen ruhten immer noch auf Conway, als er fortfahr: „Ich werde mich kurzfassen. Normalerweise würde ich keinem von Ihnen die Entscheidung überlassen, einen Auftrag abzulehnen, aber hierbei handelt es sich eher um eine Art Probefahrt für die Rhabwar als um einen Einsatz, der Ihre berufliche Sachkenntnis erfordert. Wir haben Notsignale vom Aufklärungsschiff Tenelphi empfangen, deren Besatzung sich ausschließlich aus DBDGs von der Erde zusammensetzt, also wird es nicht einmal Verständigungsschwierigkeiten geben. Es handelt sich also um einen simplen Such- und Rettungseinsatz. Sollten den Überlebenden später Vorwürfe hinsichtlich ihrer eventuellen Inkompetenz gemacht werden, dann ist das eine disziplinarische Angelegenheit des Monitorkorps und nicht Ihre Sache. Die Rhabwar wird in weniger als einer Stunde abfugbereit sein. Die vorhandenen Informationen zu diesem Vorfall sind auf diesem Band. Legen Sie es ein, sobald Sie an Bord sind.

Das ist eigentlich schon alles“, schloß er, „allerdings besteht für Prilicla und Naydrad keine Notwendigkeit mitzufliegen, nur um ein paar DBDG-Frakturen oder Dekompressionskrankheiten zu behandeln. Auf dieser Fahrt wird es jedenfalls keine interessanten extraterrestrischen Fälle geben.“

O'Mara brach ab, weil Prilicla zu zittern begann und sich Naydrads Fell heftig sträubte. Der Empath meldete sich als erster zu Wort.

„Natürlich werde ich im Orbit Hospital bleiben, wenn man mich darum bittet“, sagte Prilicla schüchtern, „aber wenn man mir die Wahl überließe, dann würde ich es vorziehen, mit den anderen.“

„Für uns“, unterbrach ihn Naydrad lautstark, „sind gerade die DBDGs von der Erde sehr interessante Aliens.“

O'Mara seufzte. „Eigentlich hätte ich auch keine andere Reaktion von Ihnen erwartet. Also gut, meinetwegen können Sie alle zusammen fliegen. Bitten Sie Thornnastor hereinzukommen, wenn Sie rausgehen.“

Als sie auf dem Korridor waren, blieb Conway einen Augenblick lang stehen und dachte über den schnellsten, aber nicht unbedingt bequemsten Weg zum Anlegeplatz des Ambulanzschiffs auf Ebene dreiundachtzig nach, dann ging er rasch weiter. Prilicla hielt an der Decke entlang Schritt, Naydrad kam in wellenförmigen Bewegungen am Boden hinterher, und Murchison bildete zusammen mit dem Captain die Nachhut — Fletcher war die Angst förmlich anzusehen, den Anschluß an seine medizinischen Mitarbeiter zu verlieren, weil er sich ohne sie heillos verirren würde.

Conways Armbinde, die ihn als Chefarzt auswies, gewährte ihm automatisch den Vortritt, jedenfalls was Schwestern, Pfleger und Assistenzärzte betraf. Doch gab es unaufhörlich Zusammenstöße mit den etwas blasierten und häufig geistig abwesenden Diagnostikern, die sich unbekümmert ihren Weg durch alles und jeden bahnten, der ihnen entgegenkam, aber auch mit rangniedrigeren Personalangehörigen, die zufällig einer kräftiger gebauten Spezies angehörten. Tralthaner der physiologischen Klassifikation FGLI, warmblütige Sauerstoffatmer, die eine gewisse Ähnlichkeit zu sechsbeinigen Elefanten mit Tentakeln und langgestrecktem Oberkörper aufwiesen, stürzten auf sie zu und fegten mit der Masse und der Wucht von organischen Bodenfahrzeugen über sie hinweg. Schließlich wurden Conway und sein Gefolge von einem Paar ELNTs von Melf IV angerempelt, das sie vorwurfsvoll anzischte, obwohl es drei Grade tiefer stand. Und zu guter Letzt hatte Conway überhaupt keine Lust, gegenüber einem TLTU-Assistenzarzt den Vorgesetzten herauszukehren, zumal dieses Wesen überhitzten Dampf atmete und einen Schutzpanzer hatte, der wie ein großer, scheppernder Lastwagen wirkte, dessen Bremsen ununterbrochen zischten, als würden sie jeden Augenblick zerbersten.

In der nächsten Verbindungsschleuse mußten sie leichte Schutzanzüge anlegen, bevor sie sich in die neblige, gelbe Welt der chloratmenden Illensaner begaben.

Hier wimmelte es auf den Korridoren von stacheligen, membranartigen und ungeschützten Bewohnern des Planeten Illensa, und diesmal waren es die sauerstoffatmenden Tralthaner, Kelgianer oder Terrestrier wie er selbst, die in Schutzkleidung steckten oder sich sogar in Spezialfahrzeugen fortbewegen mußten.

Der nächste Abschnitt ihres Wegs führte sie durch das gewaltige Becken der AUGL-Station, wo die bis zu zwölf Meter langen wasseratmenden Wesen von Chalderescol II schwerfällig durch ihre warme, grüne Welt schwammen. Die Schutzanzüge brauchten sie nicht abzulegen, doch die Notwendigkeit zu schwimmen verringerte ihre Geschwindigkeit ein wenig, obwohl der Publikumsverkehr hier nicht sonderlich dicht war. Trotz dieser Unwägbarkeiten waren erst fünfunddreißig Minuten vergangen, seit sie O'Maras Büro verlassen hatten, und von ihren Anzügen tröpfelte noch immer chalderisches Wasser, als sie das Ambulanzdock schließlich erreichten.

Kaum hatten sie sich an Bord der Rhabwar begeben, schloß sich auch schon die Personenschleuse hinter ihnen. Der Captain hastete zum gravitationsfreien Hauptverbindungsschacht des Schiffs und zog sich in Richtung Kontrollraum. Das medizinische Team bewegte sich in etwas gemächlicherer Manier auf das Unfalldeck zu, das sich mittschiffs befand. Im Stationsabschnitt verbrachten Conway und die anderen einige Zeit damit, die hervorragende Ausstattung und die höchst vielseitigen Geräte zu den relativ einfachen Betten und Lebenserhaltungssystemen umzubauen, die man für die gewöhnliche Behandlung von Frakturen und/oder Dekompressionskrankheiten bei Terrestriern benötigte — diese Gerätschaften waren in der Lage, den Operations- und Nachbehandlungsbedarf von allen Opfern zu decken, die zu irgendeiner der über sechzig verschiedenen intelligenten Lebensformen gehörten, die der galaktischen Föderation bekannt waren.

Obwohl der Aufenthalt der Unfallopfer im Ambulanzschiff eher eine Sache von Stunden als von Tagen sein würde, konnte die in den ersten paar Minuten angewandte Behandlung allein darüber entscheiden, ob ein Opfer überlebte oder noch vor der eigentlichen Einlieferung starb. Nicht einmal das Orbit Hospital konnte etwas gegen den zweiten Fall tun, dachte Conway, und er fragte sich gleichzeitig, ob nicht noch weitere Vorkehrungen getroffen werden konnten, falls Verunglückte aufgenommen werden mußten, deren Anzahl und Zustand bis zum Zeitpunkt ihrer Einlieferung auf dem Ambulanzschiff unbekannt waren.

Er mußte sich diese Frage laut gestellt haben, denn Naydrad sagte plötzlich: „Wir sind auf zwölf Unfallopfer vorbereitet, Doktor. Dabei sind wir davon ausgegangen, daß jedes Mitglied der zehnköpfigen Crew des Aufklärungsschiffs verletzt ist und zusätzlich zwei unserer Crewmitglieder während der Bergung Verletzungen davontragen, wofür allerdings nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht. Acht der Betten sind für Fälle mit mehrfachen Frakturen hergerichtet worden, die anderen vier für Schädel- und Unterkieferbrüche mit eventuell verbundener Beeinträchtigung der Gehirnfunktionen, was eine Unterstützung von Herz und Atmung erforderlich machen könnte. Selbstformende Schienen, Hilfsmittel zur Ruhigstellung der Patienten und Medikamente, die allesamt für die DBDG-Klassifikation geeignet sind, stehen jederzeit bereit. Aber wann können wir eigentlich den Inhalt von O'Maras Band erfahren, Doktor?“

„Ich hoffe bald“, antwortete Conway. „Zwar besitze ich nicht die empathischen Fähigkeiten von Doktor Prilicla, aber auch so bin ich mir sicher, daß unser Captain nicht gerade erfreut wäre, wenn wir die genaueren Einzelheiten unseres Einsatzes ohne ihn erfahren und besprechen würden.“

„Das stimmt allerdings, mein Freund“, sagte Prilicla. „Trotzdem kann die Verbindung aus Beobachtung, Schlußfolgerung und Erfahrung auch einer nichtempathischen Spezies in vielen Fällen die Fähigkeit verleihen, emotionale Ausstrahlung wahrzunehmen oder richtig zu deuten.“

„Offensichtlich“, stimmte Naydrad ihm zu. „Aber wenn niemand mehr etwas Wichtiges zu sagen hat, werde ich mich jetzt schlafen legen.“

„Und ich werde mein Gesicht an eine Sichtluke pressen und hinausschauen“, sagte Murchison. „Es muß schon wenigstens drei Jahre her sein, seit ich das letzte mal die Möglichkeit hatte, das Hospital von außen zu sehen.“

Während sich die kelgianische Oberschwester zu einem pelzigen Fragezeichen auf einem der Betten zusammenrollte, gingen Murchison, Prilicla und Conway zu einer Sichtluke, die im Augenblick allerdings nur den Blick auf völlig konturlose Metallverkleidungen und den perspektivisch verkürzten Zylinder von einem der hydraulischen Dockauslegern freigab. Doch während sie hinausblickten, nahmen sie eine Reihe leichter Erschütterungen wahr, die durch die Schiffsstruktür übertragen wurden. Die Außenwand des Hospitals begann sich jetzt von ihnen zu entfernen, und der Dockausleger verkürzte sich perspektivisch noch mehr, als er stoßfrei zu voller Länge ausfuhr und das Schiff ausklinkte und gleichzeitig sanft abstieß.

Die Entfernung wuchs und ließ immer mehr Einzelheiten in das Gesichtsfeld der Luke treten: die Besatzungsschleusen und Ausrüstungsverladeröhren, die bereits wieder in ihre Gehäuse eingezogen waren; die blinkenden oder ständig brennenden Lande- und Dockbaken; eine Reihe von Luken, die von der typisch grüngelben Beleuchtung der illensanischen Chloratmer erhellt waren, und eine große Versorgungsfähre, die sich einem Dockausleger näherte.

Als die Rhabwar Schub gab, entfaltete und drehte sich das gesamte Bild in der Sichtluke plötzlich von oben nach unten. Es war ein sanftes, behutsames Manöver, das das Schiff auf einen Spiralkurs brachte, der es durch den Nahverkehr des Hospitals zu einer Entfernung führen sollte, in der man vollen Schub geben konnte, ohne andere Schiffe im Gebiet zu gefährden oder die Temperatur der Außenwand des Hospitals zu erhöhen — ein Vorfall, der weit mehr als eine Gefährdung darstellen würde, wenn sich hinter solch einer zeitweilig heißen Stelle eine Station befand, die mit zerbrechlichen, kristallinen und extrem kalten Methanatmern belegt war. Das Bild schrumpfte weiter zusammen, bis das ganze gigantische Hospitalgebäude von der Luke umrahmt war, und drehte sich langsam, während das Schiff sich auf seinem Spiralkurs entfernte. Dann gab Fletcher Schub, und das Hospital verschwand achtern außer Sichtweite.

Mit dem Verschwinden des hellerleuchteten Hospitals kehrte allmählich ihr Nachtsehvermögen zurück, und sie blickten schweigend hinaus. Die Stille wurde nur von den zischenden Geräuschen der schlafenden Kelgianerin unterbrochen, während außerhalb der Luke in der schier undurchdringlichen Dunkelheit die ersten Sterne auftauchten.

Der Lautsprecher auf dem Unfalldeck knackte und brummte, dann räusperte sich eine Stimme und sagte: „Hier Kontrollraum. Wir setzen den Schub mit einem Ge fort, bis wir die Sprungdistanz erreicht haben, was in exakt sechsundvierzig Minuten der Fall sein wird. Während dieser Zeitspanne werden die künstlichen Schwerkraftgitter auf allen Decks wegen eines allgemeinen Systemchecks und zu Inspektionszwecken deaktiviert. Jeder ET an Bord, der spezielle Gravitationswerte benötigt, überprüft und aktiviert bitte seine persönliche Ausrüstung.“

Conway fragte sich, warum der Captain die Sprungdistanz nicht mit vollem Schub zurücklegte und statt dessen mit einem Ge herumbummelte. Zweifellos durfte er nicht zu nahe am Hospital in den Hyperraum eintauchen, weil die Erzeugung schon eines kleinen künstlichen Universums, das erst das Fliegen mit Überlichtgeschwindigkeit ermöglichte und die Masse eines Schiffs umschließen konnte, weit mehr als nur eine geringfügige Belästigung oder Störung des Orbit Hospitals darstellen würde. Ein solches künstliches Universum konnte hier sämtliche Kommunikations- und Kontrolleinrichtungen zerstören, was sowohl für die Patienten als auch für das Personal fatale Folgen gehabt hätte. Doch andererseits schien es Fletcher auch nicht sonderlich eilig zu haben, obwohl es sich immerhin um einen Notruf handelte.

War Fletcher mit seinem neuen Schiff vielleicht übervorsichtig, fragte sich Conway, oder flog er nur vorsichtig, weil der Notruf gekommen war, noch ehe das Schiff auf einen solchen Einsatz gänzlich vorbereitet war?

Conways Unruhe verursachte beim Cinrussker zwar leichtes Zittern, aber Prilicla sagte bloß: „Ich überprüfe meine Schwerkraftneutralisatoren sowieso jede Stunde, weil ich sonst schon seit langem nicht mehr als lebendes und denkendes Wesen existieren würde. Aber es ist wirklich nett vom Captain, sich um meine Sicherheit zu sorgen. Er scheint ein tüchtiger Offizier zu sein und ein Wesen, dem wir vollkommen vertrauen können, was die Arbeiten auf dem Schiff betrifft.“

„Einen Moment lang war ich wirklich ein wenig beunruhigt“, gab Conway zu und lachte über den ungeschickten Beruhigungsversuch des Empathen. „Aber woher wußten Sie, daß ich mir um das Schiff Sorgen gemacht hab? Sind Sie jetzt zusätzlich auch noch zum Telepathen geworden?“

„Nein, mein Freund“, antwortete Prilicla. „Zu dem Zeitpunkt als ich Ihr Gefühl wahrgenommen hab, war bereits auch mir unser irgendwie recht gemächlicher Abflug aufgefallen, und ich hab mich gefragt, ob der Captain oder das Schiff selbst so langsam Fahrt machen.“

„Genies haben eben häufig nicht nur dieselben Gedanken, sondern auch dieselben Sorgen“, sagte Murchison und wandte sich lächelnd von der Sichtluke ab. „Ich hab so einen Hunger, daß ich ein ganzes Pferd verschlingen könnte“, fügte sie voller Inbrunst hinzu.

„Ich hab ebenfalls ein dringendes Bedürfnis nach Nahrung“, stimmte ihr Prilicla zu. „Aber was ist ein Pferd, Freundin Murchison? Würde es auch meinem Stoffwechsel bekommen?“

„Essen“, meldete sich Naydrad zu Wort, die gerade aufwachte.

Niemand brauchte extra zu erwähnen, daß sie, falls die Unfallopfer auf der Tenelphi ernsthaft verletzt sein sollten, nicht mehr allzuviel Zeit zum Essen haben würden. Außerdem war es sowieso immer eine gute Idee, etwas zu essen, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot. Wie Conway darüber hinaus meinte, wurde man durch eine gute Mahlzeit auf andere Gedanken gebracht, wenigstens für eine Weile.

„Also gut, lassen Sie uns etwas essen“, stimmte er zu. Dann stand er auf und ging den anderen zum Hauptschacht voran, der die acht bewohnbaren Ebenen des Schiffs miteinander verband.

Als er auf der Verbindungsleiter gegen den Beschleunigungsdruck von einem Ge nach achtern kletterte, erinnerte sich Conway an die grafische Darstellung des Schiffsdeckgrundrisses, wie sie zuvor auf O'Maras Bildschirm projiziert worden war. Auf Ebene eins befand sich der Kontrollraum, auf den Ebenen zwei und drei die Unterkünfte der Crew und der Ärzte, die weder sonderlich geräumig noch übermäßig großzügig mit Freizeiteinrichtungen ausgestattet waren, weil man damit rechnete, daß die Einsätze eines Ambulanzschiffs nur von kurzer Dauer waren. Auf Ebene vier befanden sich die Speise- und Aufenthaltsräume, und auf Ebene fünf wurden die nichtmedizinischen Gebrauchsgüter gelagert. Sechs und sieben stellten das Unfalldeck beziehungsweise die Station, und Ebene acht beherbergte die Geräte für die technische Versorgung. Zudem befand sich hinter Ebene acht ein massives Abschirmungsschott, weil dort die beiden Ebenen folgten, die man nicht ohne besonderen Schutzpanzer betreten konnte: Ebene neun mit dem Hyperraumantriebsgenerator und zehn mit den Treibstofftanks und den nukleargetriebenen Triebwerken.

Diese Triebwerke, die für den derzeitigen Antriebsschub sorgten, veranlaßten Conway, sehr vorsichtig zu klettern und die Sprossen sehr fest zu umklammern; denn den normalerweise schwerelosen Schacht jetzt hinunterzufallen konnte ihn sehr schnell vom Arzt zum Patienten machen oder, schlimmer noch, vom Leben zum Tod befördern. Murchison verhielt sich ebenfalls umsichtig, aber Naydrad, der es an Beinen nicht mangelte, mit denen sie die Sprossen umgreifen konnte, sträubte vor lauter Ungeduld ihr Fell. Prilicla, der den G-Gürtel benutzte, war schon vorausgeflogen, um das Essensangebot zu überprüfen.

„Die Auswahl scheint ziemlich begrenzt zu sein“, sagte er, als die anderen endlich angekommen waren, „aber ich glaube, die Qualität ist besser, als wir es vom Hospital her gewohnt sind.“

„Schlechter als dort kann es ja auch gar nicht mehr sein“, entgegnete Naydrad schnippisch.

Conway nahm eine größere Operation an einem Steak vor, und auch seine Tischgenossen hatten mit ihren Mündern alles andere im Sinn, als zu reden. Plötzlich tauchten vom darüberliegenden Deck zwei grünuniformierte Beine auf, Ihnen folgte der dazugehörige Rumpf und schließlich waren die Gesichtszüge von Captain Fletcher zu erkennen.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“ fragte er etwas steif. „Ich denke, wir sollten uns das Material der Tenelphi so bald wie möglich anhören.“

„Überhaupt nichts“, antwortete Conway in demselben formalen Ton. „Nehmen Sie bitte Platz, Captain.“

Wie Conway wußte, aß ein Schiffskommandant des Monitorkorps normalerweise in der Abgeschiedenheit seiner Kabine; das war eins der ungeschriebenen Gesetze an Bord. Die Rhabwar war Fletchers erstes Schiff als Captain, und es war zugleich sein erster Arbeitseinsatz als Kommandant, und schon brach er eine dieser eisernen Regeln, indem er zusammen mit Besatzungsmitgliedern eine Mahlzeit einnahm, die noch nicht einmal dem Monitorkorps angehörten. Doch als der Captain sein Essen aus dem Spender zog, war es offensichtlich, daß er sich äußerste Mühe geben mußte, um entspannt und freundlich zu wirken — tatsächlich kostete es ihn sogar derart viel Anstrengung, daß Priliclas zuvor konstantes Schweben am Tisch zunehmend unruhiger wurde.

Murchison lächelte den Captain an und sagte: „Doktor Prilicla weist uns immer wieder gern darauf hin, daß das Essen während des Flugs nicht nur die cinrusskische Verdauung fördert, sondern zudem noch die Suppen aller Umsitzenden angenehm kühlt.“

„Falls Sie sich durch meine Methode der Nahrungsaufnahme belästigt fühlen sollten, Freund Fletcher“, sagte Prilicla schüchtern, „so bin ich durchaus in der Lage, auch in ruhender Stellung zu essen.“

„Das. ehm. stört mich überhaupt nicht, Doktor“, antwortete Fletcher mit einem leicht verkniffenen Lächeln. „Ich glaube, man könnte meine Empfindungen, die ich bei Ihrem Anblick hege, eher als ein Gefühl der Faszination beschreiben. Aber würde es sich vielleicht negativ auf die Verdauung von einem der hier Anwesenden auswirken, wenn wir uns das Band schon jetzt anhören? Das Abspielen kann natürlich auch warten, bis Sie alle zu Ende gegessen haben.“

„Fachsimpeln regt ebenfalls die Verdauung an“, merkte Conway in seiner typisch sachlichen Ausdrucksweise an. Dann legte er das Band ein, woraufhin O'Maras trockene, strenge Stimme den Raum erfüllte.

Das Aufklärungsschiff des Monitorkorps Tenelphi, das zur Zeit mit vorläufigen Erkundungs- und Vermessungsarbeiten im galaktischen Sektor neun beschäftigt war, hatte es gleich dreimal hintereinander versäumt, die letzten Positionsberichte durchzugeben. Allerdings waren dem Monitorkorps sowohl die Koordinaten der Sternsysteme bekannt, die der Tenelphi zur Erforschung des Sektors zugewiesen worden waren, als auch die Reihenfolge, in der diese aufgesucht werden sollten. Und da das Schiff keine Notsignalbake ausgesetzt hatte, gab es keinen unmittelbaren Grund, sich über das Schicksal der Tenelphi Sorgen zu machen. Man nahm an, daß sich die Schwierigkeiten — wie schon in vielen anderen Fällen auch — lediglich als ein simpler Fehler im Kommunikationssystem herausstellen würden und nichts Dramatisches dahintersteckte.

Die Sternenaktivität in dieser Region lag weit über dem Durchschnitt, wodurch die Verständigung über Subraumftnk extrem erschwert wurde. Als wichtig erachtete Funksprüche — und sie mußten tatsächlich sehr wichtig sein, da sie das höchst eigenartige Medium, das der Hyperraum darstellte, nur unter sehr hohem Energieaufwand durchdringen konnten — wurden aufgezeichnet und so lange wiederholt gesendet, wie man es für notwendig und mit der Sicherheit vereinbar hielt; denn der Sendevorgang setzte schädliche Strahlung frei, die nicht wirksam abgeschirmt werden konnte, wenn man den Funkspruch über einen längeren Zeitraum ausstrahlte, besonders dann, wenn es sich um leicht gebaute Aufklärungsschiffe handelte. Die Folge war, daß man einen knappen, stark zusammengefaßten Funkspruch sendete. Da er allerdings durch stellare Interferenzen zerstückelt wurde, strahlte man ihn in Form von fünfzig oder mehr identischen, aber einzeln jeweils unlesbaren Mitteilungen aus, weil man hoffte, daß er so wieder zu einem Ganzen zusammengesetzt werden konnte. Einfache Positionsberichte hingegen waren kurz und deshalb sicher, und der Energieverbrauch war selbst für ein Aufklärungsschiff relativ gering.

Doch die Tenelphi hatte keinen Positionsbericht gesendet. Statt dessen war von ihr wiederholt eine Nachricht ausgestrahlt worden, deren Inhalt besagte, man habe ein großes Wrack entdeckt und sich ihm später genähert, da es sehr schnell auf die Sonne des Sternsystems zustürzte und in weniger als achtundzwanzig Tagen dort auf treffen würde. Keiner der Planeten des Systems bot die notwendigen Voraussetzungen für eventuell vorhandenes Leben, es sei denn, die betroffene Spezies gehörte einer exotischen Art an, die auf dickflüssigem Gestein unter einer kleinen, äußerst heißen Sonne gedeihen konnte. Deshalb war man zu der Annahme gekommen, daß es sich bei dem Eindringen des Schiffs in das Sternsystem eher um einen Zufall als um ein geplantes Vorhaben gehandelt haben mußte. Zwar waren auf dem Wrack noch geringe Energiereserven und mehrere Atmosphäreblasen verschiedener Dichte nachzuweisen, doch gab es keinerlei Anzeichen von Leben. Die Besatzung der Tenelphi wollte an Bord gehen, um vor Ort Nachforschungen anstellen zu können.

Trotz der mangelhaften Qualität des Funkspruchs konnte es keinen Zweifel darüber geben, welche Freude der Funkoffizier der Tenelphi beim Übermitteln dieser Nachricht empfunden haben mußte, da es sich für die Besatzung um eine höchst willkommene Unterbrechung der ansonsten so eintönigen Vermessungsarbeiten handelte.

„…vielleicht haben die in ihrer Aufregung ganz einfach nur vergessen, einen Positionsbericht mitzusenden“, fuhr O'Maras Stimme fort, „oder man glaubte, der Zeitpunkt des Funkspruchs würde uns bei einem Vergleich mit dem Flugplan ihres Schiffs sowieso verraten, wo sie sich befanden. Jedenfalls war das die einzige Nachricht, die wir zusammenhängend empfangen haben. Drei Tage später gab es einen zweiten Funkspruch, diesmal nicht aufgezeichnet, sondern jedesmal in leicht veränderter Form vom Übersender direkt ins Mikrofon gesprochen. Er besagte, es habe eine schwere Kollision gegeben, das Schiff würde Druck verlieren und die Besatzung wäre außer Gefecht gesetzt worden. Er enthielt auch eine Art Warnung. Meiner fachmännischen Beurteilung nach wurde die Stimme allerdings nicht nur durch eintretende Funkstörungen im Subreum verzerrt, aber das können Sie ja später selbst entscheiden. Jedenfalls wurde zwei Stunden danach eine Notsignalbake ausgesetzt.

Ich hab eine Kopie des zweiten Funkspruchs auf dieses Band überspielen lassen, die Ihnen möglicherweise mehr Klarheit verschafft. oder Sie nur noch mehr verwirrt“, fügte der Chefpsychologe trocken hinzu.

Im Gegensatz zum ersten Funkspruch war der zweite tatsächlich weitgehend unverständlich. Es war, als würde man einem gewaltigen Sturm zuhören, durch den sich eine Stimme im Flüsterton verständlich machen wollte, die zudem noch stark verzerrt war. Sie konzentrierten sich angespannt auf die im Hintergrund zu vernehmenden Wörter, während sie sich noch stärker anstrengten, die rasselnden Explosionen der interstellaren statischen Störungen zu überhören. Naydrads Fell geriet dabei vor Anstrengung in starre, wellenförmige Bewegungen, und Prilicla, der sowohl auf die Gefühle von jedem einzelnen als auch auf die Geräusche reagierte, gab seinen Versuch zu schweben auf und ließ sich zitternd auf den Tisch nieder.

„…Ahnung, ob dies. hier herauskommen oder. Besatzung nicht in der La. Kollision mit dem Wrack und. kann nicht. Notsignalba. sie von innen anschalten. manuell. wir können aber nicht annehmen. Unsinn der Spezialisierung, wenn man. wenn der Funkspruch gesendet wird. Warnung für den Fall. auf Kollisionskurs. Innendruckabfall. kann nichts dagegen tun, weder. wie man die Bake von hier drinnen bedient. setze sie manuell vom. eile Warnung für den Fall. schuhe zu steif, um. durcheinander und hab nicht viel Zeit. einzige Chance ist. neikasten. Wrack ist nah. extra Satz Behälter. mein Spezialgebiet. schiff Tenelphi hatte Kollision mit. Besatzung wegen Druckabfall außer Gefecht.“

Die Stimme sprach noch einige Minuten weiter, doch die Wörter gingen in einem explosionsartigen Ausbruch statischer Störungen völlig unter, und kurz danach war das Band zu Ende. Für eine Weile herrschte eine angenehme Ruhe, während der sich Naydrads Fell wieder beruhigte und Prilicla an die Decke flog. Schließlich unterbrach Conway die Stille.

„Das Wesentliche der Nachricht scheint mir zu sein, daß sich der Übersender nicht sicher war, ob der Funkspruch überhaupt übertragen wurde“, sagte er nachdenklich. „Was möglicherweise daran lag, daß er nicht der Funkoffizier war und nichts von dem Gerät verstand, das er benutzte. Vielleicht hat er aber auch geglaubt, die Sübraumfünkantenne wäre bei der Kollision beschädigt worden, die anscheinend den Rest der Besatzung außer Gefecht gesetzt hatte. Er selbst schien nicht in der Lage, den anderen helfen zu können, der Druck fiel ab, und wegen der Konstruktionsschäden konnte er die Notsignalbake auch nicht vom Innern des Schiffs aussetzen. Er mußte deren Zeitschalter einstellen und sie mit den Händen vom Schiff abstoßen.

Sein Zweifel, ob der Funkspruch auch ausgestrahlt wurde, und seine Bemerkung bezüglich des Unsinns der Spezialisierung deuten darauf hin, daß er nicht der Funkoffizier ist und auch nicht der Captain, der ausreichende Kenntnisse über die Funktionsweise der wichtigsten Geräte auf dem Schiff haben müßte. Das Satzbruchstück „. schuhe zu steif“ könnte bedeuten „die Handschuhe sind zu steif“, nämlich um bestimmte Bedienungselemente zu betätigen oder Anzugverschlüsse zu öffnen. Und wegen des Innendruckabfalls im Schiff fürchtete er sich vielleicht, seinen schweren Raumanzug gegen einen leichten mit dünneren Handschuhen zu wechseln. Was eine „. eile Warnung“ oder ein „. neikasten“ sind, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Zudem war die Verzerrung sowieso so stark, daß diese Wortfetzen möglicherweise nur Annäherungen an die Wörter darstellen, die er wirklich benutzt hat.“ Conway blickte in die Runde und fügte hinzu: „Vielleicht finden Sie ja noch etwas heraus, das ich übersehen hab. Soll ich es noch einmal vorspielen?“

Sie hörten sich das Band immer wieder von vorn an, bis Naydrad Conway in ihrer direkten Art sagte, er verschwende nur ihre Zeit.

„Wir würden wissen, wieviel Glauben wir der grundsätzlichen Aussage des Funkspruchs schenken können“, entgegnete Conway unbeeindruckt, „wenn uns bekannt wäre, welcher Offizier ihn gesendet hat, und warum er als einziges Mitglied der Crew während der Kollision einer ernsthaften Verletzung entgangen ist. Und es gibt noch einen zweiten Punkt: Einmal sagt er, die Besatzung sei nicht in der Lage, etwas zu tun, und später beschreibt er sie als außer Gefecht gesetzt, also nicht nur als verwundet oder verletzt. Wegen dieser Wortwahl frage ich mich, ob er der medizinische Offizier an Bord ist. Dagegen spricht allerdings, daß er weder das Ausmaß ihrer Verletzungen beschrieben, noch viel getan hat, um den anderen zu helfen, außer den Funkspruch zu senden.“

Naydrad, die Hospitalexpertin für das Vorgehen bei Schiffsbergungen, erzeugte Töne wie ein gedämpftes Nebelhorn, die in der Übersetzung lauteten: „Ungeachtet seiner Funktion auf dem Schiff gibt es nicht viel, was irgendein Offizier für Unfallopfer mit Frakturen und Dekompressionskrankheiten tun kann, erst recht nicht, wenn alle in geschlossenen Anzügen stecken oder der Offizier selbst leicht verletzt ist. Und was den für mich nur geringen Unterschied zwischen den Ausdrücken „außer Gefecht gesetzt“ und „verletzt“ betrifft, so finde ich, wir verschwenden nur Zeit, wenn wir darüber diskutieren. Es sei denn, der Translationscomputer des Schiffs weist bezüglich der Programmierung der kelgianischen Sprache gravierende Mängel auf…“

Aufgrund der nicht ganz ernst gemeinten Unterstellung Naydrads, daß auch nur irgend etwas mit seinem Schiff oder dessen Ausrüstung nicht stimmen könnte, war der Captain sichtlich beleidigt, und er entgegnete in frostigem Ton: „Werte Oberschwester! Das hier ist zwar nicht das Hospital im Sektor zwölf, wo der Translationscomputer drei komplette Ebenen einnimmt und für mehr als sechstausend Individuen gleichzeitig Übersetzungen vornehmen kann. Der Computer der Rhabwar ist so programmiert, daß er nur die Sprachen des Schiffspersonals und die der anderen drei am weitesten verbreiteten Sprachen in der Föderation abdeckt — nämlich Tralthanisch, Illensanisch und Melfanisch. Er ist gründlich getestet worden und führt seine Aufgaben ohne Doppeldeutigkeiten aus, so daß jede falsche Auslegung.“

„.zweifellos am Funkspruch selbst und nicht an der Übersetzung liegt“, warf Conway rasch ein. „Trotzdem würde mich immer noch interessieren, wer den Funkspruch eigentlich gesendet hat. Wer ist dieses Besatzungsmitglied, das die Ausdrücke „nicht in der Lage“ und „außer Gefecht“ an Stelle von „verwundet“ oder „verletzt“ gebraucht hat? Warum konnte dieser Offizier nichts tun? Weil er verwirrt war oder keine Zeit hatte und durch seine Handschuhe behindert wurde.? Ach, Mist! Er hätte uns doch wenigstens irgend etwas über den physischen Zustand der Verunglückten erzählen können, damit wir wissen, was wir zu erwarten haben!“

Fletcher entspannte sich wieder und sagte nachdenklich: „Ich frage mich, warum er von vornherein einen Raumanzug anhatte. Wenn das Schiff dicht am Wrack manövrierte und aus welchem Grund auch immer mit ihm kollidierte, dann würde man so etwas nicht erwarten. Was ich damit sagen will, ist, daß die Besatzung normalerweise während eines solchen Manövers keine Raumanzüge tragen würde. Aber wenn welche getragen wurden, dann hat man offensichtlich mit Problemen gerechnet.“

„Sie meinen, Probleme mit dem Wrack?“ fragte Murchison leise.

Es trat ein langes Schweigen ein, das erst vom Captain unterbrochen wurde. „Das ist ziemlich unwahrscheinlich, falls es sich wirklich um ein Wrack handelte. Zudem gibt es keinen Grund, den ursprünglichen Lagebericht der Tenelphi anzuzweifeln. Wenn die Besatzung tatsächlich mit keinerlei Problemen gerechnet hat, dann landen wir wieder bei diesem Offizier. Dabei muß es sich zwar nicht unbedingt um den Schiffsarzt handeln, aber zumindest scheint er in der Lage gewesen zu sein, sich selbst einen Raumanzug anzulegen und den anderen vielleicht in ihre zu helfen.“

„Ohne aber dabei die Verletzungen der anderen Besatzungsmitglieder noch zu verschlimmern?“ fragte Naydrad.

„Ich kann Ihnen versichern, daß die Mannschaften des Monitorkorps dafür ausgebildet sind, in solchen Situationen richtig zu reagieren“, entgegnete Fletcher leicht aufgebracht.

Als Reaktion auf die wachsende Verärgerung des Captains über die durchscheinende Kritik an einem seiner Offizierskameraden mischte sich nun Prilicla in das Gespräch ein. „In der unvollständigen Meldung, die wir empfangen haben, wurden keinerlei Verletzungen erwähnt. Folglich scheint es durchaus möglich, daß der Konstruktion und der technischen Ausrüstung des Aufklärungsschiffs weit größerer Schaden zugefügt worden ist als der Besatzung selbst. „Außer Gefecht gesetzt“ ist kein besonders drastischer Ausdruck. Vielleicht werden wir sogar feststellen müssen, daß es für uns dort gar nichts zu tun gibt.“

Obwohl Conway den Versuch des kleinen Empathen, den Zank zwischen Naydrad und dem überempfindlichen Captain zu beenden, zu schätzen wußte, hielt er Priliclas Einschätzung der Lage doch für viel zu optimistisch. Bevor allerdings irgend jemand etwas dazu sagen konnte, gab es eine Unterbrechung.

„Kontrollraum an Captain. Sprung in sieben Minuten, Sir.“

Fletcher betrachtete einen Moment lang seine nur halb beendete Mahlzeit. Dann stand er auf und sagte verlegen: „Wissen Sie, eigentlich besteht keine wirkliche Notwendigkeit für mich, nach oben zu gehen. Wir haben uns reichlich Zeit genommen, die Sprungdistanz zu erreichen, um sicherzustellen, daß das Schiff voll einsatzfähig ist. Nun, das ist es, und zwar in jeder Hinsicht.“ Er stieß ein kurzes, gezwungenes Lachen aus und fügte dann hinzu: „Aber das Problem mit einer guten Mannschaft ist, daß sie einem Vorgesetzten manchmal das Gefühl gibt, überflüssig zu sein.“

Als Fletchers Beine nach oben im Schacht verschwanden, dachte Conway, daß sich der Captain wirklich sehr bemühte, menschlich zu erscheinen.

Kurze Zeit später vollzog das Schiff den Übergang in den Hyperraum, aus dem es nach etwas weniger als sechs Stunden wieder auftauchte. Da die Rhabwar das Orbit Hospital am Ende der Arbeitsschicht des medizinischen Personals verlassen hatte, war die Zwischenzeit von allen dazu genutzt worden, den dringend erforderlichen Schlaf nachzuholen. Allerdings war dieser etliche Male unterbrochen worden, sobald der Captain einige von ihm für wichtig gehaltene Bruchstücke der Unterhaltung aus dem Kontrollraum über die Lautsprecheranlage des Schiffs übertragen hatte. Offensichtlich versuchte er auf diese Weise lediglich, das medizinische Personal über jeden Abschnitt des Vorgehens vollständig zu informieren. Hätte er allerdings die Reaktion der medizinischen Mitarbeiter auf das wiederholte Aufwecken ahnen können, wäre er von dieser Idee sicherlich schnell abgekommen — schließlich handelte es sich um Informationen, die für sie entweder technisch zu spezialisiert oder einfach zu elementar waren. Dann kam plötzlich eine Durchsage aus dem Kontrollraum, die alle weiteren Hoffnungen auf Schlaf für längere Zeit begrub.

„Wir haben Kontakt, Sir! Zwei Echobilder, ein großes und ein kleines. Entfernung zwei Komma sechs Millionen Kilometer. Das kleine Echobild entspricht der Masse und den Dimensionen der Tenelphi.“

„Astronavigation?“

„Sir. Bei maximalem Schub können wir Kurs, Geschwindigkeit und Position in zwei Stunden siebzehn Minuten angleichen.“

„Sehr gut, das werden wir machen. Maschinenraum?“

„In Bereitschaft, Sir.“

„Vier Ge Schub in dreißig Sekunden, Mister Chen Dodds, geben Sie Haslam ihre Kurswerte. Und Chefarzt Conway möge sich bitte so bald wie möglich im Kontrollraum melden.“

Da die physiologische Klassifikation der Verunglückten und die ungefähre Art ihrer Verletzungen bereits bekannt war, hatte man sich dafür entschieden, daß Captain Fletcher auf der Rhabwar blieb, während Conway und die anderen Korpsoffiziere an Bord der Tenelphi gingen, um die Lage zu sondieren. Murchison, Prilicla und Naydrad hielten sich auf dem Unfalldeck bereit, um die Verwundeten zu behandeln, sobald man welche einliefern würde. Da die Unfallopfer und das Ärzteteam dieselben atmosphärischen Bedingungen benötigten, erwartete man, daß die Untersuchungen und vorläufigen Behandlungen nur von kurzer Dauer sein würden und die Rhabwar noch zur selben Stunde zum Hospital zurückfliegen könnte.

Den Raumanzug bis auf das geöffnete Helmvisier versiegelt, saß Conway im Kontrollraum auf dem Platz für außerplanmäßige Besucher und sah, wie die Darstellung der Tenelphi auf dem Bildschirm des Captain größer wurde. Zu beiden Seiten von Fletcher saßen Haslam und Dodds auf den Plätzen des Funkers beziehungsweise des Astronavigators und steckten ebenfalls in Raumanzügen. Sie hatten sich lediglich die Handschuhe ausgezogen, um sich so die Bedienung der Steuerpulte zu erleichtern. Die drei Offiziere murmelten miteinander in unverständlichem Fachchinesisch und wechselten gelegentlich ein paar Worte mit Chen, der sich achtern im Maschinenraum befand.

Die Darstellung des verunglückten Schiffs wurde stetig größer, bis sie über den Bildschirmrand hinausging. Dann wurde die Vergrößerung schrittweise verringert, und plötzlich war das Schiff wieder klein: es wirkte wie die glänzende, silberne Gestalt einer Zigarre, die in der Dunkelheit hin- und herrollte, und drei Kilometer dahinter befand sich der riesige, runde Körper des Wracks, das sich langsam wie ein verbeulter Metallmond drehte.

Im Augenblick schenkte dem Wrack allerdings niemand Beachtung, genausowenig wie Conway, der, nur um die anderen auf seine Gegenwart aufmerksam zu machen, sagte: „Die Tenelphi scheint nicht sonderlich beschädigt worden zu sein, nicht wahr?“

Zwar wurde er noch immer von niemandem beachtet, doch wurde seine Frage trotzdem beantwortet, indem sich die anderen miteinander unterhielten.

„Offensichtlich kein Frontalzusammenstoß“, stellte Fletcher fest. „Am Bug sind schwere Schäden entstanden, aber ich glaube, am meisten sind die Antennen und Sensoren in Mitleidenschaft gezogen worden, als die Tenelphi erst gegen das Wrack gestoßen und dann an ihm entlanggeschlittert ist. Wegen des vorherrschenden Dunstes kann ich allerdings nicht das gesamte Ausmaß der Schäden erkennen. Sie verliert immer noch eine Menge Luft.“

„Was aber durchaus bedeuten könnte, daß sie noch immer eine beträchtliche Menge Luft zu verlieren hat, Sir“, sagte Dodds. „Fronttraktor- und — pressorstrahlen sind bereit.“

„Gut, drosseln Sie die Rotation und das Trudeln des Schiffs“, befahl der Captain. „Aber sanft. Der Rumpf wird an Stabilität verloren haben, und wir wollen ihn nicht auseinanderbrechen. Vielleicht tragen die an Bord keine Anzüge.“

Er ließ den Satz unbeendet, während sich Dodds starr über sein Pult beugte. Der Astronavigator konzentrierte sich mit aller Anstrengung auf seine Fingerspitzen, als er die immateriellen kegelförmigen Felder der Pressor- und Traktorstrahlen auf den Rumpf des havarierten Schiffs richtete und die Tenelphi neben der Rhabwar sanft und langsam zum Stillstand brachte. Auch in der Ruhelage waren Bug und Heck der Tenelphi noch immer von einem Dunstschleier entweichender Luft verhüllt, doch mittschiffs schien die Rumpfkonstruktion unversehrt geblieben zu sein.

„Sir“, meldete Haslam aufgeregt. „Die Mittschilfsschleüse ist unbeschädigt. Ich glaube, wir können andocken und. und an Bord gehen!“

… und die Verletzten in einem Bruchteil der Zeit evakuieren, die wir für einen Transport durch den freien Raum benötigt hätten, dachte Conway erleichtert. Für diejenigen, die bis jetzt hatten überleben können, war die medizinische Behandlung nun nur noch wenige Minuten entfernt. Während er aufstand, verschloß und versiegelte er das Visier an seinem Helm.

„Ich werde das Andocken selbst durchführen“, sagte Fletcher nachdrücklich. „Sie beide gehen mit dem Doktor. Chen, Sie rühren sich nicht vom Fleck, bis Sie gerufen werden.“

Während sie in ihrer eigenen Mittschiffsschleuse standen, deren Innenluke hinter ihnen bereits geschlossen war, spürten sie die leichte Erschütterung der Rhabwar, als das Schiff Kontakt mit der Tenelphi herstellte. Dodds aktivierte die Außenluke, die zunächst langsam nach innen aufschwang und dann die nur wenige Zentimeter entfernte Außenfläche eines identischen Schotts enthüllte. In der Mitte der Luke der Tenelphi befand sich ein großer unregelmäßiger Fleck, anscheinend aus Farbe oder Öl, der schwarz und braun gesprenkelt war. Die Masse sah zerfurcht und blasig aus.

„Was ist das für ein Zeug?“ fragte Conway.

„Ich hab keine Ahnung.“, antwortete Haslam und streckte die Hand aus, um es zu berühren. Seine Finger hinterließen gelbliche Flecke, und an seinen Handschuhen blieb etwas von der Masse kleben. Schnell fügte er hinzu: „Es ist Schmiermittel, Doktor. Ich hab mich zuerst von der dunklen Farbe täuschen lassen. Meiner Meinung nach hat die Hitze der Bake das meiste weggeschmolzen und abgebrannt, und deshalb sieht der Rest so aus.“

„Schmiermittel also“, sagte Conway nachdenklich. „Und wie kommt es, daß irgendein Schmiermittel über die Außenhaut verteilt wird?“

Haslam klang ungeduldig, als er antwortete: „Wahrscheinlich hat sich während des Zusammenstoßes einer der Vorratskanister losgerissen und ist gegen die Luke geschleudert worden. An dem einen Ende eines solchen Kanisters ist ein Druckventil angebracht, das automatisch mehrere Gramm Schmiermittel ausgibt, wenn der Kanister mit ausreichender Kraft zusammengedrückt wird. Falls Sie sich dafür interessieren, Doktor, kann ich Ihnen später einen zeigen. Treten Sie bitte zurück, ich werde jetzt öffnen.“

Die Luke schwang auf, und Haslam, Conway und Dodds betraten die Schleusenkammer der Tenelphi. Haslam überprüfte die Kontrollinstrumente, während Dodds die Außenluke schloß. Der Innendruck des Schiffs war zwar gefährlich niedrig, für eine gesunde Person in guter körperlicher Verfassung jedoch keinesfalls tödlich. Was er allerdings bei einem ungeschützten Unfallopfer bewirken konnte, das sich womöglich in einem Schockzustand befand und an Auswirkungen der Dekompressionskrankheit litt, die den Blutverlust selbst bei nur oberflächlichen Schnitt- und Rißwunden beschleunigte, war eine ganz andere Sache. Plötzlich öffnete sich die Innenluke, wegen des Druckunterschieds blähten sich ihre Anzüge knirschend auf, und sie begaben sich schnell in das Schiffsinnere.

„Das glaube ich einfach nicht!“ rief Haslam entsetzt.

Die Schleusenvorkammer war mit Gestalten in Raumanzügen überfüllt, die frei an den Enden von Seilen oder Gurten umhertrieben, die an Ausrüstungshalterungen oder an anderen geeigneten Befestigungspunkten festgebunden waren. Das Notbeleuchtungssystem funktionierte noch, und es war ausreichend hell, um alle Einzelheiten der Gestalten erkennen zu können. So waren jedem Mann die Beine zusammengebunden und die Arme fest an den Seiten gefesselt worden. Zudem trug jeder zusätzliche Sauerstoffbehälter auf dem Rücken. Da alle ausschließlich schwere Raumanzüge aus sehr strapazierfähigem Material trugen, konnten die festen Gurte die darunterliegenden Gliedmaßen und Körperteile weder einschnüren, noch auf eventuell erlittene Wunden drücken. Überall wurden die Helmvisiere durch die fast undurchsichtigen Sonnenfflter verdeckt.

Conway drängte sich vorsichtig zwischen zwei der schwebenden Gestalten, und hielt einen der Körper fest. Vorsichtig schob er den Sonnenfilter am Helm des Schiffbrüchigen zurück. Zwar war die Innenseite des Visiers stark beschlagen, doch konnte er ein Gesicht erkennen, das übermäßig rot angelaufen war. Die Augen wurden bei den ersten eindringenden Lichtstrahlen sofort krampfartig zusammengekniffen. Er schob den Filter weiterer Unfallopfer zurück, stets mit demselben Resultat.

„Losbinden und sofort aufs Unfalldeck bringen!“ befahl Conway. „Lassen Sie die Arm- und Beinfesseln erst einmal dran. So sind sie einfacher zu bewegen, und zudem stützen die Riemen eventuell gebrochene Gliedmaßen. Das ist doch nicht die komplette Crew, oder?“

Natürlich war das keine wirkliche Frage, denn irgend jemand mußte die Opfer ja zusammengebunden und für eine schnelle Evakuierung zur Luftschleuse der Tenelphi gebracht haben.

„Hier sind neun, Doktor“, antwortete Haslam nach einer schnellen Zählung. „Ein Besatzungsmitglied fehlt. Soll ich nach ihm suchen?“

„Jetzt nicht“, entgegnete Conway und dachte, daß sich der noch fehlende Offizier sehr umsichtig verhalten hatte: So hatte er zunächst eine Nachricht per Sübraumfünk gesendet, dann eine Notsignalbake ausgesetzt, als der automatische Auslösungsmechanismus versagt hatte oder er ihn nicht hatte bedienen können, und schließlich hatte er seine Kameraden von ihren Posten aus den verschiedenen Teilen des Schiffs bis hierher zur Schleusenvorkammer gebracht. Es war nicht auszuschließen, daß er sich während dieser Aktionen seinen Raumanzug beschädigt hatte und notgedrungen irgendwo einen luftdichten Abschnitt aufsuchen mußte, um dort auf seine Rettung zu warten.

Conway schwor sich, daß der Mann, der all diese Dinge vollbracht hatte, auch gerettet werden mußte! Während er Haslam und Dodds half, die ersten Verletzten zur Rhabwar hinüberzubringen, beschrieb Conway per Funk dem medizinischen Personal auf dem Unfalldeck und dem Captain die Lage. Dann fragte er noch: „Prilicla, sind Sie dort drüben ein paar Minuten lang zu entbehren?“

„Ohne weiteres, mein Freund“, antwortete der kleine Empath. „Meine Muskulatur ist sowieso nicht kräftig genug, um bei der Behandlung von DBDG-Verletzten direkt zur Hand zu gehen, und meine Hilfe ist von daher eher moralischer als medizinischer Art.“

„Sehr gut“, entgegnete Conway. „Unser Problem ist ein fehlendes Besatzungsmitglied, das vielleicht verletzt ist, möglicherweise eben aber auch nicht. Wahrscheinlich hat die betreffende Person in einer luftdichten Kammer Schütz gesucht. Würden Sie ihren Aufenthaltsort bestimmen, damit wir keine Zeit mit der Durchsuchung des havarierten Schiffs vergeuden? Tragen Sie eine Druckhülle?“

„Ja, mein Freund“, erwiderte Prilicla. „Ich komme sofort.“

Es dauerte beinahe fünfzehn Minuten, bis die Unfallopfer von der Tenelphi in das Ambulanzschiff überführt waren. Zu diesem Zeitpunkt schwebte Prilicla entlang der Außenhaut des Schiffsrumpfs hin und her, um zu versuchen, die emotionale Ausstrahlung des fehlenden Besatzungsmitglieds aufzuspüren. Conway blieb im Innern des havarierten Schiffs und bemühte sich, seine Ungeduld und Sorge unter Kontrolle zu halten, um den Cinrussker nicht abzulenken.

Falls sich noch irgend etwas Lebendiges an Bord der Tenelphi befand, dann würde es Prilicla mit seinen empathischen Fähigkeiten entdecken, selbst wenn es tief bewußtlos war oder bereits im Sterben lag.

„Nichts, mein Freund“, berichtete Prilicla nach zwanzig schier endlos dauernden Minuten. „Die einzige emotionale Strahlungsquelle im havarierten Schiff sind Sie selbst.“

Conways unwillkürliche Reaktion äußerte sich in einer Art Mischung aus Zorn und Zweifel, woraufhin Prilicla antwortete: „Es tut mir leid, mein Freund. Wenn das Lebewesen immer noch in dem Schiff ist, dann ist es. ist es tot.“

Doch Conway gehörte nicht zu den Ärzten, die einen Patienten ohne triftigen Grund einfach aufgaben. „Captain, hier Conway“, sagte er ins Anzugmikrofon. „Es könnte doch sein, daß der Vermißte irgendwo hilflos im Raum treibt. Vielleicht hat er sich verletzt, oder sein Funkgerät im Anzug ist beim Aussetzen der Bake beschädigt worden.“

„Bedaure, Doktor“, antwortete Fletcher. „Wir haben gleich nach unserer Ankunft hier ein Radarscanning des gesamten Gebiets gemacht, für den Fall, daß sich der Mann aus Versehen selbst mit der Bake ausgesetzt hat. Es gibt da ein paar einzelne Wrackteile, von denen jedoch keins so groß wie ein Mensch ist. Aber ich werde ein weiteres Scanning vornehmen lassen, um absolut sicher zu sein.“ Der Captain hielt kurz inne und führ dann fort: „Haslam, Dodds! Überprüfen Sie doch bitte die Erkennungsmarken und die Uniformabzeichen der Verletzten, sofern Sie dadurch nicht die ärztliche Behandlung dort unten behindern, und bringen Sie mir eine Liste. Schnell!

Chen, Sie werden die nächste Zeit im Maschinenraum nicht gebraucht werden. Versiegeln Sie das havarierte Schiff, und suchen Sie es so gründlich ab, wie es in der noch verbleibenden Zeit möglich ist. Denn erstens sollten die Verwundeten so schnell wie möglich ins Hospital gebracht werden, und zweitens könnten wir zusätzliche Probleme bekommen, weil wir uns der Sonne des Systems so sehr nähern, daß unsere eigene Sicherheit bald ernstlich gefährdet ist. Sie werden nach dem Körper des vermißten Offiziers suchen, nach Schiffspapieren, Bändern und nach allem, das vielleicht erklären könnte, was dort passiert ist. Am Schwarzen Brett auf dem Freizeitdeck müßten Sie einen Dienstplan für die einzelnen Besatzungsmitglieder finden. Wenn wir diesen Plan mit der Verletztenliste vergleichen, werden wir sowohl die Identität des Vermißten als auch dessen Spezialgebiet feststellen können.“

„Ich kenne sein Spezialgebiet“, mischte sich Conway plötzlich ein. Er dachte dabei an die höchst professionelle Art und Weise, auf welche der Vermißte die Verletzten zunächst bewegt hatte, sie dann wegen der Möglichkeit weiterer oder später womöglich selbst zugefügter Wunden ruhiggestellt hatte, um schließlich ihre Sauerstoffversorgung zu verlängern. Er dachte aber auch an sein amateurhaftes Vorgehen bei allen anderen Dingen.

„Ich bin mir sicher, es handelt sich dabei um den Schiffsarzt“, fügte er hinzu.

Fletcher gab keine Antwort, und Conway begann, langsam in der Schleusenvorkammer der Tenelphi auf- und abzugehen. Er hatte das unbehagliche Gefühl, daß irgend etwas getan werden mußte, und zwar schnell. Was dieses „Irgend etwas“ sein sollte, war ihm allerdings selbst nicht klar. Es gab nichts Ungewöhnliches zu sehen, außer vielleicht eine Wandhalterung, die dafür vorgesehen war, drei zylindrische Kanister von ungefähr sechzig Zentimeter Länge zu tragen, in der jetzt allerdings nur noch zwei hingen. Durch eine nähere Untersuchung entdeckte Conway auf den Zylindern je ein Etikett mit der Angabe, daß die Kanister das Schmiermittel der Sorte GP10/5B enthielten, das für wichtige Auslösungsmechanismen und Steuerungsgestänge geeignet war, die regelmäßig oder ständig niedriger Temperatur und/oder Vakuumbedingungen ausgesetzt waren. Ein wenig ratlos und unzufrieden mit sich selbst — seine Arbeit wartete auf dem Unfalldeck und bestand nicht darin, hier seine Zeit zu verschwenden — kehrte er an Bord der Rhabwar zurück.

Dort wartete Lieutenant Chen darauf, die Schleuse zu betreten, die Conway gerade frei gemacht hatte. Er öffnete sein Visier, um mit dem Arzt sprechen zu können, ohne die Frequenz des Anzugfunks anpassen zu müssen, und fragte Conway, ob er auch vorne im beschädigten Bereich des havarierten Schiffs gewesen sei. Conway schüttelte den Kopf und ließ sein Visier geschlossen, was eine andere Möglichkeit der Kommunikation darstellte, ohne das Funkgerät im Anzug zu benutzen. Als er auf den Verbindungsschacht zuging, sah er kurz Haslam, der ein gefaltetes Blatt Papier zwischen den Zähnen trug, damit er beide Hände zum Klettern frei hatte, während er sich in Richtung Kontrollraum zog. Conway wartete, bis er vorbei war, dann stieg er selbst in den schwerelosen Schacht und zog sich nach hinten zum Unfalldeck.

Die Raumanzüge von zwei der neun Unfallopfer waren in kleinen Stücken abgeschnitten worden, um eventuell darunterliegende Verletzungen nicht zu verschlimmern. Murchison und Dodds zogen einen dritten Verletzten aus, ohne den Anzug zu zerschneiden, und Naydrad befreite gerade — ebenfalls auf normale Weise — einen vierten von seinem Anzug.

Ohne Conway Gelegenheit zu geben, die unausweichliche Frage zu stellen, sagte Murchison: „Laut Lieutenant Dodds sprechen alle Anzeichen dafür, daß diese Männer bereits luftdicht in ihren Raumanzügen eingeschlossen und fest an ihre Liegen geschnallt waren, bevor die Kollision stattfand. Anfangs hab ich diese Ansicht nicht geteilt. Aber dann haben wir die ersten beiden ausgezogen und keine Verletzungen gefunden, nicht einmal Prellungen.! Und am Anzugstoff haben wir an den Stellen, die dem Sitz der Sicherheitsgurte entsprechen, Scheuerspuren entdeckt.

Dem Röntgenscanner fehlt zwar die Bildschärfe, wenn er einen Raumanzug durchdringen muß“, fuhr sie fort und hielt den Verletzten unter den Armen, um ihn zu stützen, während Dodds vorsichtig an den Beinen des Anzugs zog, „doch ist das Bild allemal deutlich genug, um Frakturen oder schwere innere Verletzungen zu erkennen, aber es gibt keine. Deshalb bin ich zu der Überzeugung gekommen, die Anzüge wegzuschneiden ist nur unnötige Zeitverschwendung.“

„.und Verschwendung von wertvollem Diensteigentum“, fügte Dodds mit Nachdruck hinzu. Für einen raumfahrenden Offizier des Monitorkorps war ein Raumanzug weit mehr als nur ein Teil der Ausrüstung; er entsprach einem warmen, enganliegenden und schützenden Mütterleib. Mit ansehen zu müssen, wie sie absichtlich in kleine Stücke zerschnitten wurden, mußte für ihn so etwas wie ein traumatisches Erlebnis sein.

„Aber wenn niemand verletzt ist“, fragte Conway, „was, zum Teufel, stimmt dann nicht mit denen?“

Murchison war gerade mit dem Halsverschluß am Anzug des Manns beschäftigt und antwortete, ohne aufzublicken: „Ich weiß es nicht.“

„Nicht einmal eine vorläufige Diagno…?“ begann Conway seine Frage.

„Nein“, unterbrach sie ihn scharf und fuhr dann in etwas ruhigerem Ton fort: „Als Doktor Priliclas empathische Fähigkeiten die Tatsache bewiesen hatten, daß niemand in akuter Todesgefahr schwebt, haben wir beschlossen, daß Diagnose und Behandlung warten können, bis sie alle aus ihren Anzügen heraus sind. Deshalb war unsere Voruntersuchung, vorsichtig ausgedrückt, nur sehr oberflächlich. Alles, was ich weiß, ist, daß die Nachricht über Sübraumfünk korrekt war — die Besatzung ist außer Gefecht gesetzt, aber nicht verletzt.“

Prilicla, der die ganze Zeit still über den zwei ausgezogenen Patienten geschwebt hatte, beteiligte sich jetzt zaghaft am Gespräch, indem er sagte: „Das stimmt, mein Freund. Ich bin über den Zustand dieser Lebewesen genauso verwirrt wie die anderen. Ich hatte mit schweren Verletzungen gerechnet, finde statt dessen aber etwas vor, das Ähnlichkeit mit einer Infektionskrankheit hat. Vielleicht werden Sie, mein Freund, als Mitglied derselben Spezies, die Symptome erkennen.“

„Tut mir leid, ich wollte niemanden kritisieren“, entschuldigte sich Conway unbeholfen und fügte dann hinzu: „Ich werde Ihnen bei dem da helfen, Naydrad.“

Kaum hatte er dem Mann den Helm abgenommen, konnte er sehen, daß dessen Gesicht rot angelaufen und schweißüberströmt war. Er hatte erhöhte Temperatur und eine ausgeprägte Photophobie — eine Lichtscheu also, die erklärte, warum der Lichtschutz am Visier angebracht worden war. Das Haar war naß und klebte an Stirn und Schädel des Mannes, als würde er gerade aus dem Wasser kommen. Das Trockenmittel im Anzug konnte die übermäßige Feuchtigkeit nicht mehr absorbieren, so daß die Gesichtsschutzscheibe durch die Kondensation undurchsichtig geworden war. Aus diesem Grund hatte Conway auch den am Kragenteil befestigten Medikamentenspender erst bemerkt, als der Helm abgenommen wurde. Die Verabreichung des Medikaments erfolgte in der üblichen Form mittels eines durchsichtigen, eßbaren Plastikschlauchs, der in bestimmten Zeitabständen abgebissen wurde und in jedem Abschnitt eine einzelne, mit einem Farbcode versehene Kapsel enthielt.

„Hat irgendeiner der anderen Helme auch dieses Medikament gegen Übelkeit enthalten?“ fragte Conway.

„Bisher alle, Doktor“, antwortete Naydrad, deren vier Greiforgane unabhängig voneinander mit den Anzugverschlüssen beschäftigt waren, während ihre Augen nach oben rollten, um Conway anzusehen. Sie fuhr fort: „Der Verletzte, den wir zuerst ausgezogen haben, wies Symptome von Übelkeit auf, als ich Druck auf den Bauchbereich ausübte. Zu diesem Zeitpunkt war der Patient allerdings nicht bei vollem Bewußtsein, und das, was er sagte, war für eine Übersetzung nicht zusammenhängend genug.“

Prilicla pflichtete ihr bei, indem er sagte: „Die emotionale Ausstrahlung ist typisch für ein Wesen im Delirium, das wahrscheinlich durch die erhöhte Temperatur verursacht wird, mein Freund. Ich hab auch unregelmäßige und unkoordinierte Bewegungen beobachtet, die ebenfalls symptomatisch für ein Delirium sind.“

„Das sehe ich auch so“, entgegnete Conway. Aber wodurch wurde es verursacht? Die letzte Frage stellte er nicht laut, weil er die Antwort darauf nicht kannte. Und er hatte die düstere Vorahnung, daß selbst eine wirklich gründliche Untersuchung zu keinem Ergebnis führen würde. Schließlich half er der Oberschwester, die schweißgetränkte Kleidung des Patienten auszuziehen.

Alles deutete auf einen Hitzschlag und einen damit verbundenen Wasserentzug hin, was auch in Anbetracht der hohen Temperatur des Patienten und des damit verbundenen Verlusts an Körperflüssigkeit zu erwarten war. Sanftes Abtasten des Bauchbereichs erzeugte bei dem Patienten ein unwillkürliches Würgen, obwohl der Magen, soweit Conway erkennen konnte, keine Fremdstoffe enthielt, und der Mann seit mehr als vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatte.

Der Pulsschlag war ein wenig erhöht, aber regelmäßig, die Atmung hingegen war ungleichmäßig und mit der Tendenz zu stoßweise auftretendem Husten. Als Conway den Rachen untersuchte, entdeckte er eine schwere Entzündung, und der Scanner zeigte an, daß sie sich über die Bronchien hinweg bis in die Brusthöhle hinein erstreckte. Er überprüfte Zunge und Lippen auf Schadspuren von giftigen oder ätzenden Substanzen. Dabei stellte er fest, daß das Gesicht des Mannes entgegen seiner ersten Annahme nicht nur vom Schwitzen naß war; die Tränendrüsen sonderten ständig Flüssigkeit ab, und auch aus der Nase kam ein schleimiger Ausfluß. Schließlich suchte Conway nach Anzeichen von Strahlenschäden oder nach Hinweisen auf die Inhalation radioaktiver Substanzen, aber erneut fiel das Ergebnis negativ aus.

„Captain! Hier Conway“, sagte er plötzlich. „Würden Sie Lieutenant Chen bitte sagen, er möchte während seiner Suche nach dem vermißten Offizier, von der Luft, den Nahrungsmitteln und den flüssigen Verbrauchsartikeln auf der Tenelphi Proben nehmen? Könnte er des weiteren nach Anhaltspunkten für ein Leck im Lebenserhaltungssystem Ausschau halten, aus dem ein fester oder flüssiger Giftstoff entweicht? Die luftdicht verschlossenen Proben möchte er dann so schnell wie möglich Pathologin Murchison zur Analyse bringen. Geht das?“

„Wird erledigt“, antwortete Fletcher. „Chen, haben Sie mitgehört?“

„Ja, Sir“, erwiderte der technische Offizier und fügte hinzu: „Ich hab das fehlende Unfallopfer noch nicht finden können, Doktor. Ich werde jetzt auch an allen unmöglichen Stellen nach ihm suchen.“

Da Conways Helm noch immer geschlossen war, hatte Murchison das Gespräch zum einen über die Lautsprecher auf dem Unfalldeck sowie Conways Äußerungen über das Außenübertragungssystem seines Anzugs mitgehört. Gereizt sagte sie: „Zwei Fragen, mein Lieber: Weißt du, was dem Patienten fehlt? Und hat das irgend etwas damit zu tun, daß du diesen ohrenbetäubenden Anzuglautsprecher benutzt, anstatt dein Helmvisier zu öffnen und normal mit uns zu sprechen?“

„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Conway.

„Vielleicht mag er mein Parfüm nicht“, wandte sie sich verärgert an Dodds.

Conway überhörte ihre schnippische Bemerkung und blickte sich in der Station um. Während er mit Naydrad den Patienten untersucht hatte, hatten Murchison und Dodds die restlichen ausgezogen und warteten nun offensichtlich auf neue Anweisungen. Prilicla führte bereits den Auftrag aus, den Conway schon bezüglich der ersten beiden Verletzten erteilt hatte. Aber letztendlich sagte und tat Prilicla immer das Richtige, denn er war nicht nur ein Empath, sondern auch ein außergewöhnlich guter Arzt.

Schließlich sagte Conway: „Wenn da nicht die sehr hohe Temperatur und die Krankheitssymptome bei allen gleich stark ausgeprägt wären, würde ich sagen, es handelt sich um eine mit Übelkeit verbundene Infektion der Atemwege, verursacht wahrscheinlich durch das Schlucken von infiziertem Schleim. Aber das plötzliche Auftreten dieser Symptome, wodurch die Patienten völlig außer Gefecht gesetzt worden sind, läßt mich an dieser Diagnose zweifeln.

Doch ist das nicht der Grund, weshalb ich Anzug und Helm versiegelt gelassen hab, anfangs gab es nämlich gar keinen. Mittlerweile halte ich es allerdings für eine gute Idee, wenn Lieutenant Dodds und alle anderen ihre Anzüge und Helme wieder anlegen würden, selbst wenn es sich dabei möglicherweise nur um eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme handeln sollte.“

„Wenn es nicht bereits zu spät dafür ist“, bemerkte Murchison und nahm einen der leichtgewichtigen Helme aus seiner Halterung. Zusammen mit einem Verbindungsschlauch, einem Sauerstofffbehälter und einer Gewebehülle verwandelte er den Overall, den sie trug, in einen Schützanzug, der mit Ausnahme extrem ätzender Atmosphären gegen alles beständig war. Dodds hatte sein Visier bereits in bemerkenswerter Eile geschlossen.

„Bis wir die Patienten zum Hospital bringen können“, sagte Conway, „müssen wir uns wohl darauf beschränken, daß sich ihr Zustand wenigstens nicht verschlechtert, eine Heilung werden wir hier kaum erzielen können. Das heißt, wir müssen die verlorene Körperflüssigkeit ersetzen, gegen die Übelkeit angehen und die Körpertemperatur möglichst niedrig halten. Vielleicht müssen wir sie festschnallen, um die Verletzten davon abzuhalten,

Infusionsschläuche oder Kontrolleitungen abzureißen. Wir werden sie in Druckzelten isolieren und die Sauerstofffzufuhr erhöhen. Ich fürchte nämlich, daß sich ihr Zustand weiter verschlechtern wird und wir sie deshalb mit künstlicher Atmung unterstützen müssen.“

Conway hielt einen Moment lang inne. Als er Murchison anblickte, wußte er, daß die Sorge, die sich auf seinem Gesicht und in seiner Stimme ausdrückte, durch das spiegelnde Visier beziehungsweise durch die Verzerrung des Anzuglautsprechers kaschiert wurde.

„Die Isolierung könnte sich als unnötig erweisen“, führ er schließlich fort, „aber die Symptome können vom Einatmen und Verschlucken eines bislang unbekannten Gifts herrühren. Wir können uns nicht sicher sein und haben zudem nicht die geeignete Ausrüstung, um in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht, die Antwort darauf zu finden. Sobald wir herausgefunden haben, was mit dem fehlenden Besatzungsmitglied passiert ist, bringen wir die Patienten schnellstens zum Orbit Hospital und unterziehen uns selbst einer gründlichen…“

„Während wir warten“, unterbrach ihn Murchison, deren Stimme und Gesichtszüge nun ebenfalls durch ihren Helm unkenntlich gemacht wurden, „möchte ich gern herausfinden, wovon die Patienten befallen worden sind, und wovon wir alle mit Ausnahme von dir demnächst befallen werden könnten.“

„Dafür bleibt wahrscheinlich keine Zeit mehr“, begann Conway, aber die Stimme des technischen Offiziers, der dem Captain Bericht erstattete, ließ ihn abbrechen.

„Captain, hier Chen. Ich hab einen Dienstplan gefunden und ihn mit den persönlichen Daten der Verunglückten verglichen. Der Vermißte ist demnach der Schiffsarzt Doktor Sutherland. Die Vermutung von Doktor Conway war also richtig. Ich hab alles gründlich durchsucht, aber Sutherland ist nicht mehr auf dem Schiff. Außerdem fehlen einige Ausrüstungsgegenstände: die tragbaren Aufzeichnungsgeräte, die persönlichen Aufzeichnungsgeräte der Besatzung, Kameras,

Gepäckbehälter, alles ist verschwunden. Kleidungsstücke und persönliche Habseligkeiten treiben in den Besatzungsunterkünften umher, als hätte man sie während eines hastigen Auspackens überall verstreut.

Praktisch sämtliche Sauerstoffreservetanks sind verschwunden, und das Ausrüstungsverzeichnis beweist, daß alle Raumanzüge der Besatzung in einem Zeitraum zwischen zwei und drei Tagen ausgegeben worden sind, außer dem Anzug des Schiffsarztes, der nicht ausgegeben wurde und trotzdem fehlt. Die transportable Luftschleuse des Schiffs ist ebenfalls verschwunden.

Der Bereich in und um den Kontrollraum ist stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Deshalb kann ich auch nicht absolut sicher sein, aber es sieht ganz so aus, als wenn versucht worden wäre, einen automatischen Sprung in den Hyperraum vorzubereiten. Die Einstellung der Instrumente im Maschinenraum bestätigt das. Ich würde sagen, die haben versucht, sich vom Wrack zu entfernen. Ein solch gewaltiger Metallklumpen in der Nähe des eigenen Schiffs würde nämlich leicht zu Störeinfüssen bei Sprungberechnungen führen. Statt dessen sind sie aber mit dem Wrack kollidiert.

Die Proben für die Pathologin Murchison hab ich auch genommen. Soll ich jetzt zurückkommen, Sir?“

„Warten Sie“, antwortete der Captain. „Haben Sie das mitgehört, Doktor Conway? Und haben Sie vielleicht noch weitere Anweisungen für den Lieutenant, bevor er die Tenelphi verläßt?“

„Ja“, erwiderte Conway. „Bitten Sie ihn darum, Helm und Anzug geschlossen zu lassen, wenn er zurückkommt — nur als reine Vorsichtsmaßnahme.“

Während des Gesprächs zwischen Lieutenant Chen und dem Captain hatte Conway versucht, sich auf das sonderbare Verhalten des Schiffsarztes der Tenelphi einen Reim zu machen. Bei der Behandlung der Verletzten hatte Sütherland ein sehr hohes Maß an Fachkompetenz bewiesen. Aufgrund seiner fehlenden Sachkenntnis war es ihm zwar trotz redlicher Mühe nicht gelungen, einen ordnungsgemäßen Subraumfunkspruch abzugeben, doch hatte er es immerhin fertiggebracht, die höchst knifflige Aufgabe des manuellen Aussetzens und Aktivierens einer Notsignalbake zu bewältigen. Für Conway schien Sutherland einer jener vernünftigen und einfallsreichen Offiziere zu sein, die nicht so leicht in Panik gerieten. Ebensowenig gehörte er zu denjenigen, die sich selbst durch Unachtsamkeit in Todesgefahr begaben oder einfach verschwinden, ohne irgendeine Nachricht zu hinterlassen.

„Wenn er nicht im Raum umhertreibt und nicht auf der Tenelphi ist“, sagte Conway plötzlich, „gibt es nur noch einen Ort, wo er sein kann. Können Sie mich auf dem Wrack absetzen, Captain?“

Da er Fletchers Besorgnis um sein eigenes Schiff kannte, erwartete Conway alles von einem glatten Nein bis zu einer verbalen Explosion bei der bloßen Erwähnung seines Vorschlags. Doch statt dessen erhielt er eine Antwort, wie sie ein Lehrer einem Schüler von mittelmäßiger Intelligenz zu geben pflegt — einen Vortrag, der in einer solch einfachen Sprache formuliert wurde, daß Conway es riskiert hätte, sein Visier zu öffnen, um Fletcher ins Gesicht zu spucken, wenn der Captain nicht fünf Ebenen weiter vorne im Kontrollraum gewesen wäre.

„Ich kann mir keinen Grund vorstellen, Doktor, warum der fehlende Offizier die Tenelphi verlassen haben sollte, wo es doch naheliegend ist, bei den anderen Verletzten zu bleiben, um mit ihnen gemeinsam auf die ersehnte Rettung zu warten“, begann der Captain seine Rede. Dann fuhr er damit fort, Conway daran zu erinnern, daß sie nicht viel Zeit zu verlieren hätten. Zum einen sollten die Verletzten schleunigst in das Hospital eingeliefert werden, zum anderen näherten sich das Wrack, die Tenelphi und ihr eigenes Schiff mit zunehmender Geschwindigkeit der Sonne des Sternsystems, die es für alle Beteiligten innerhalb von zwei Tagen unangenehm warm werden und ihren Rumpf binnen weiterer achtundvierzig Stunden schmelzen lassen würde. Darüber hinaus sei es eine unumwindliche Tatsache, daß es umso schwieriger werden würde, einen Sprung zu schaffen, je mehr sie sich der Sonne näherten. Eine zusätzliche Komplikation sei, daß die Tenelphi und die Rhabwar jetzt aneinander gedockt und vorn und achtern zusammengekoppelt waren, damit das Ambulanzschiff seine Hyperraumhülle erweitern konnte, um das havarierte Schiff darin einzuschließen und als Beweismittel für die bevorstehende Untersuchung der Kollision mit sich zurückzubringen. Mit zwei zusammengekoppelten Schiffen, von denen nur eins kontrollierten Schub geben konnte, sei ein solch unglaublich gewagtes Manöver, das erforderlich wäre, um auf dem Wrack zu landen, allerdings unmöglich. Wenn man eine solch halsbrecherische Aktion versuchen würde, könnte die Rhabwar womöglich sehr schnell in dem gleichen Zustand enden wie die Tenelphi. Außerdem gäbe es noch die schier unendliche Größe des Wracks zu bedenken.

„… das Schiff ist oder war in seinem ursprünglichen Zustand kugelförmig“, führ der Captain fort, und das Bild vom Teleskop der Rhabwar erschien auf dem Repeaterschirm des Unfalldecks. „Es hat einen Durchmesser von vierhundert Metern und verfügt in einigen Kammern tief im Innern zwar noch über Restenergie und Druck, aber uns ist ja bereits von der Tenelphi berichtet worden, daß sich an Bord kein Leben mehr befindet.“

„Sutherland könnte jetzt aber an Bord sein, Captain.“

Fletchers Seufzer verursachte im Lautsprecher ein Rauschen, dann führ er mit seiner beharrlichen, fast rasend machenden Vortragsstimme fort: „Die Erkenntnisse der Tenelphi sind zuverlässiger als unsere eigenen, Doktor Conway. Der Nachweis für Leben ist das Resultat einer großen Anzahl von Sensorabtastungen, die Aufschluß geben über Art und Verteilung der Energiequellen, sowie über die von den mechanischen Teilen der Lebenserhaltungssystemen herrührenden Vibrationen und die Druck- und Temperaturschwankungen im Schiffskörper. Weiterhin spüren Sensoren Kommunikations- und Beleuchtungssysteme auf und entdecken weitere, noch sehr viel subtilere Anzeichen. Wir beide sind uns darüber im klaren, daß viele Extraterrestrier extrem niedrige Temperaturen benötigen oder nur außerhalb unseres visuellen Frequenzbereichs sehen können. Deshalb ist es häufig einfacher, sie zu entdecken, wenn man sich bei der Suche nach ihnen auf ihre Erfordernisse zur Lebenserhaltung konzentriert.

Bis zu diesem Zeitpunkt kann ich jedenfalls nicht mit Bestimmtheit sagen, ob irgend etwas oder irgend jemand in diesem Ding lebt oder nicht. Die große Annäherung an die Sonne hat die Außenhaut so stark aufgeheizt, daß es nicht mehr möglich ist, feine Temperaturunterschiede im Innern des Wracks festzustellen. Wegen der Auswirkungen der Hitzeausbreitung über die gesamte Konstruktion sind die Meßwerte der restlichen Sensorabtastungen zudem nur ungenau und mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Abgesehen davon ist das Schiff groß. Sein Rumpf ist durch Meteoriteneinschläge derart zerrissen und durchlöchert, daß Sutherland überall einen Weg nach innen gefunden haben könnte. Wo wollen Sie ihn zuerst suchen, Doktor?“

„Wenn er wirklich dort ist“, antwortete Conway, „wird er uns bestimmt irgendwie wissen lassen, wo wir nach ihm suchen müssen.“

Der Captain schwieg einen Augenblick lang. Obwohl sich Conway über Fletchers Benehmen ihm gegenüber noch immer ärgerte, konnte er doch nachempfinden, in welchem Dilemma sich der Captain befinden mußte. Genauso wie Conway wollte auch Fletcher dieses Gebiet nicht verlassen, ohne den vermißten Schiffsarzt gefunden oder sich wenigstens Klarheit über dessen Schicksal verschafft zu haben. Doch galt es auch auf das Wohlergehen der restlichen Besatzung zu achten, das eigentlich in Conways Verantwortlichkeitsbereich fiel, und sich um die Sicherheit des Ambulanzschiffs zu kümmern, für die ganz klar Fletcher zuständig war.

Da alle drei Schiffe den imaginären Gravitationsschacht der Sonne hinunterrutschten, und zwar mit beängstigender und stetig wachsender Geschwindigkeit, war die für die Suche nach dem verschwundenen Schiffsarzt bestimmte Zeit stark begrenzt. Außerdem wollte sich der Captain bestimmt nicht gern in die Rolle drängen lassen, sowohl Chefarzt Doktor Conway vom Orbit Hospital als auch den Schiffsarzt Sutherland vom Monitorkorps auf dem Wrack zurückgelassen haben zu müssen. Ebensowenig konnte er es riskieren, zusammen mit Conway einen seiner Offizier loszuschicken; denn wenn dieser auch noch verlorenging, würde der Captain vor einem sehr ernsthaften Problem stehen — die Besatzung der Rhabwar war klein, und es gab keine Überschneidungen der Spezialgebiete. Zwar sollte es Fletcher auch so schaffen, schließlich zum Orbit Hospital zurückzukehren, doch wäre eine solche Reise durch den Hyperraum mit ernsthaften Risiken und Verzögerungen verbunden und könnte sich somit nachteilig auf den Zustand der Verletzten auswirken.

Im Wandlautsprecher war erneut ein Seufzer zu vernehmen, und Fletcher sagte: „Also gut, Doktor, Sie können nach dem Schiffsarzt suchen. Dodds, nehmen Sie das Teleskop. Sie suchen nach irgendwelchen Spuren, die auf ein kürzliches Betreten des Wracks schließen lassen. Lieutenant Chen, vergessen Sie im Moment die Proben für die Pathologin, und kommen Sie zum Maschinenraum zurück. Ich will in fünf Minuten Manövrierschüb haben. Doktor, ich werde das Wrack der Länge nach in einer Entfernung von einem Kilometer umkreisen. Da es sich alle zweiundfünfzig Minuten einmal um sich selbst dreht, werden wir seine Rumpfoberfläche innerhalb von vier Umkreisungen einmal scannen können. Haslam, stellen Sie mit den Sensoren alles an, was in Ihren Kräften steht, und geben Sie dem Doktor eine gewisse Vorstellung von der Geographie des Schiffsinnern.“

„Vielen Dank, Captain“, sagte Conway erleichtert.

Dodds hatte Murchison dabei geholfen, einen der Verletzten in ein Druckzelt zu bringen. Sobald er damit fertig war, entschuldigte er sich bei ihr und machte sich zum Kontrollraum auf Conway blickte auf den Repeaterschirm und das Bild des Wracks, dessen eine Hälfte in Dunkelheit getaucht war. Die andere Hälfte stellte sich als ein Durcheinander aus glitzernd reflektierenden Rumpfplatten und kreuz und quer darüber verteilten schwarzen Rissen und Kratern dar. Von Zeit zu Zeit warf er einen flüchtigen Blick auf das Wrack, während er half, Biosensoren an den Verletzten zu befestigen, und sah, wie es größer wurde und sich allmählich über den ganzen Bildschirm ausbreitete. Plötzlich verschwand das Bild und wurde durch eine schematische Darstellung des Wracks ersetzt.

Sie zeigte den Querschnitt des kugelförmigen Schiffs mitsamt der Deckebenen, die zum Innern hin konzentrische Kreise zogen. Nahe am Mittelpunkt lagen mehrere Kammern unterschiedlicher Größe, die sich durch verschiedene Grüntöne voneinander abhoben. Dicht an der Innenwand der Schiffshülle befand sich an einem Punkt eine große rechteckige, rot markierte Kammer. Feine rote Linien verbanden diesen Bereich mit den grün gekennzeichneten Kammern im Mittelpunkt.

„Doktor, hier Haslam. Ich projiziere jetzt ein Sensordiagramm vom Innern des Wracks. Es ist leider nicht sehr differenziert, und das meiste davon beruht auf reinen Vermutungen.“

Laut Haslam handelte es sich bei dem Wrack um einen uralten Generationentransporter in Kugelgestalt. Diese Form wurde zu einer Zeit vorgezogen, als ein Maximum an Lebens- und Kultivierungsraum noch eine zwingende Notwendigkeit gewesen war. Die Fortbewegungsrichtung verlief entlang der vertikalen Achse, wobei sich der Kontrollbereich vorn und der Reaktor und die Antriebsdüsen hinten befanden. Das Schiff konnte sich ziemlich schnell um die vertikale Achse drehen, um mittschiffs gelegene äußere Deckebenen mit künstlicher Schwerkraft zu versehen, selbst dann, wenn das Schiff Schub gab.

Haslam wußte zwar nicht, ob über das Schiff nur eine einzelne Katastrophe oder gleich mehrere Katastrophen hereingebrochen waren, aber das Unglück hatte den gesamten Kontrollbereich zusammen mit dem Rest der Außenhüllen- und Deckebenen zerstört und dabei die schnelle Rotation auf einen Bruchteil der eigentlich notwendigen Geschwindigkeit gedrosselt. Die Reaktoren waren von dicken Schutzschilden umgeben, die sie vor ernsten Schäden bewahrt hatten.

Das Schiff war praktisch entvölkert worden, doch einige Kammern tief im Innern hatten Druck und Energie behalten, und eine gewisse Anzahl Überlebender mußte in der Lage gewesen sein, eine Zeitlang in ihnen weiterzuleben. Dabei handelte es sich um die grün gekennzeichneten Abschnitte. Die Atmosphäre in einigen dieser Kammern stelle zwar nur wenig mehr als ein Vakuum dar, fügte Haslam hinzu, doch in anderen könnte sie wahrscheinlich noch heute von Mitgliedern der Spezies, die das Schiff einst gebaut hatte, geatmet werden, um wen oder was es sich dabei auch immer handelte.

„Besteht die Möglichkeit.?“ setzte Conway zu einer Frage an.

„Keine Überlebenden, Doktor“, entgegnete Haslam mit Bestimmtheit. „Die Tenelphi hatte bereits keinerlei Leben an Bord dieses altertümlichen Schiffs gemeldet. Wahrscheinlich geschah die Katastrophe schon vor einigen Jahrhunderten, und die Besatzung hat nur noch eine kurze Zeit überlebt.“

„Ja, natürlich“, erwiderte Conway. Aber warum wollte Sütherland dann dort hingehen?

„Captain, hier Dodds. Ich glaube, ich hab etwas gefunden, Sir. Kommt gerade ins Sonnenlicht. Jetzt können Sie es in voller Vergrößerung sehen.“

Auf dem Repeaterschirm wurde ein kleiner Bereich der verwüsteten Außenhaut des Wracks dargestellt. Dort befand sich eine schwarze, gezackte Öffnung, die in die Tiefen des Schiffs führte. Direkt daneben war ein Teil der gewölbten Verkleidung zu erkennen, auf der sich ein großer, bräunlich gelber Fettfleck befand.

„Das sieht aus wie Schmiere, Sir“, sagte Dodds.

„Stimmt“, antwortete der Captain und fragte dann plötzlich: „Aber warum hat er ein Schmiermittel statt einer fluoreszierenden Markierungsfarbe benutzt?“

„Vielleicht hatte er es gerade zur Hand, Sir.“

Fletcher nahm von Dodds Antwort keine Notiz — es war sowieso nur eine rhetorische Frage gewesen — und sagte energisch: „Chen, wir sollten uns dem Wrack bis auf hundert Meter nähern. Haslam, halten Sie sich bei den Pressorstrahlen bereit, für den Fall, daß ich mich verschätze und wir gegen dieses Ungetüm prallen. Doktor Conway, leider kann ich unter den derzeitigen Umständen keinen Offizier entbehren, den ich Ihnen mitgeben könnte, aber ein Hundert-Meter-Flug durch den Raum sollte keine ernsthaften Probleme aufwerten. Verbringen Sie in dem alten Wrack aber bitte nicht allzuviel Zeit, ja?“

„Ich verstehe“, entgegnete Conway.

„Sehr gut, Doktor. Halten Sie sich bereit, in fünfzehn Minuten aufzubrechen, und denken Sie bitte an zusätzliche Sauerstoffbehälter, an Wasser und allen möglichen medizinischen Bedarf, den Sie für notwendig halten. Ich hoffe, Sie finden ihn. Viel Glück!“

„Danke, Captain“, antwortete Conway knapp. Er fragte sich, welche Art von Medikamenten man wohl für einen Arzt brauchen würde, der sich in guter körperlicher Verfassung befand, aber geistesgestört genug war, um sich auf eine Expedition in ein solches Wrack zu begeben. Hinsichtlich seiner eigenen Bedürfnisse fiel ihm eine Entscheidung nicht schwer — er würde einfach für die Dauer von achtundvierzig Stunden Vorräte mitnehmen, nach deren Verlauf die Rhabwar abfliegen mußte, ob er Sutherland nun gefunden hatte oder nicht. Während er die zusätzlichen Sauerstoffbehälter überprüfte, flog Prilicla über ihn hinweg und landete auf der Wand neben ihm. Die Beine des kleinen Empathen zitterten, während sie an der weißen Plastikoberfläche hafteten, als wäre er starker emotionaler Ausstrahlung ausgesetzt. Als Prilicla sprach, war Conway erstaunt, daß die Emotionen vom Empathen selbst herrührten. Er hatte schlichtweg Angst.

„Wenn ich Ihnen vielleicht einen Vorschlag machen dürfte, mein Freund“, sagte Prilicla, „die Aufgabe, das Lebewesen Sutherland zu finden, würde viel leichter und schneller zu bewältigen sein, wenn ich Sie begleite.“

Conway dachte an das Gewirr von Metallplatten und Bauteilen, die unter der Wrackhülle lagen; auf ihrem Weg durch das Wrack würde praktisch bei jedem Fußtritt die Gefahr bestehen, sich die Raumanzüge zu zerreißen. Und er dachte an all die anderen Risiken, die man sich nicht einmal vorstellen konnte. Er fragte sich, was aus der berühmten Ängstlichkeit des Cinrusskers geworden war, die seine wichtigste Überlebenseigenschaft als Angehöriger dieser unglaublich feingliedrigen Spezies war.

„Sie würden also wirklich mit mir kommen?“ fragte Conway ungläubig. „Sie bieten mir tatsächlich an mitzukommen?“

Prilicla antwortete schüchtern: „Ihre emotionale Ausstrahlung zeugt zwar von leichter Verwirrung, mein Freund, ist aber im großen und ganzen schmeichelhaft für mich. Ja, ich werde Sie begleiten und meine empathischen Fähigkeiten benutzen, um Sütherland finden zu helfen, wenn er noch am Leben ist. Wie Sie wissen, bin ich alles andere als ein mutiges Wesen, und ich behalte mir das Recht vor, mich von der Suche zurückzuziehen, wenn ein gewisses Risiko eine für mich akzeptable Grenze überschreitet.“

„Jetzt fühle ich mich wieder erleichtert“, entgegnete Conway lächelnd. „Einen Augenblick lang hab ich an Ihrem Geisteszustand gezweifelt.“

„Ich weiß“, erwiderte Prilicla beiläufig, während er begann, seinen Raumanzug mit den notwendigen Ausrüstungsgegenständen zu versehen.

Da die Hauptschleuse mit der Tenelphi verbunden war, verließen Sie das Schiff durch die kleine Besatzungsschleuse im Büg, und mußten mehrere endlose Minuten mit anhören, wie sich Captain Fletcher laut um sein Schiff und die ganze Situation ängstigte. Dann waren sie endlich draußen, und der Rumpf des Wracks dehnte sich vor ihnen und überall um sie herum wie eine gigantische Wand aus. Er war durch Jahrhunderte' währende Meteoriteneinschläge mit der Zeit derart zerlöchert und zerrissen worden, daß die ursprüngliche Kügelform des riesigen Schiffs aus nächster Nähe nicht mehr zu erkennen war. Und als sie auf das Wrack zusteuerten, vollzog sich ein plötzlicher und um so verwirrender perspektivischer Wandel — das Wrack war jetzt keine senkrechte Mauer mehr, sondern eine gewaltige Metallandschaft, die sie gerade betreten wollten. Im Himmel darüber schwebten die beiden zusammengekoppelten Schiffe.

Conway fand es sehr viel unproblematischer, einfach auf den markierten Bereich zuzusteuern, als seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, die er bei dem Gedanken empfand, auf einem der sagenumwobenen Generationenschiffe zu landen. Doch wahrscheinlich würde seine emotionale Ausstrahlung Prilicla nicht allzu sehr belästigen, weil der Empath ziemlich ähnliche Empfindungen haben dürfte — obwohl es für einen Cinrussker physiologisch unmöglich war, eine Gänsehaut zu bekommen oder vor schierem Erstaunen ein Kribbeln in den nicht vorhandenen Nackenhaaren zu verspüren.

Denn dies war eins der Generationenschiffe, die vor der Entdeckung des Hyperraumantriebs Kolonisten von ihren Heimatwelten zu den Planeten anderer Sternsysteme transportiert hatten. Sämtliche technologisch fortgeschrittenen Spezies, die heute die galaktische Föderation bildeten, hatten ihre Generationenschiffphase durchlaufen. Die Bewohner der Planeten Melf, Illensa, Traltha, Kelgia und Erde gehörten der Gruppe jener Kulturen an, die in der Zeit zwischen der Entwicklung chemisch- oder nukleargetriebener interplanetarischer Raumschiffe und wirklich interstellarer Flüge durch den Hyperraum diese planetarischen Saatbehälter ins All geschossen hatten.

Nachdem diese Kulturen ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte später den Hyperraumantrieb perfektioniert oder ihn von einer der Spezies der entstehenden galaktischen Föderation erhalten hatten, machten sie sich damals auf die Suche nach diesen dahinkriechenden, unter Lichtgeschwindigkeit fliegenden Ungetümen. Die Mehrzahl davon wurde auch wenige Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach dem Start von ihrem Herkunftsplaneten geborgen.

Das hatte man bewerkstelligen können, weil man die Kurse der Generationenschiffe ganz genau kannte und ihre Positionen zu jedem Zeitpunkt ihrer jahrhundertelangen Reisen ohne Schwierigkeiten berechnen konnte.

Vorausgesetzt, daß sich in der Zwischenzeit keine physische oder psychologische Katastrophe auf einem dieser Schiffe ereignet hatte — und einiges von dem, was im seelischen Bereich auf den Generationsschiffen schiefgelaufen war, sollte den angehenden Rettern ein Leben lang Alpträume bereiten —, dann war der Transport der Kolonisten zu ihren Zielplaneten nur noch eine Frage von Tagen und nicht mehr von Jahrhunderten. Wie Conway wußte, hatte man die zuletzt kontaktierten Generationenschiffe bereits vor über sechshundert Jahren entdeckt. Wie bei allen anderen Schiffen dieser Bauart waren die Reaktoren und Metallteile ausgeschlachtet worden. Einige von ihnen hatte man aber auch als Unterkünfte für Personal umgebaut, die bei Bauprojekten im All eingesetzt waren.

Aber dieses Generationenschiff hier war eins der wenigen, mit dem man keinen Kontakt aufgenommen hatte, als der Hyperraumantrieb perfektioniert worden war. Entweder war es durch einen Unfall oder wegen eines Konstruktionsfehlers vom Kurs abgekommen und zu einem interstellaren Sämling geworden, der dazu bestimmt war, niemals einen brachliegenden Boden zu erreichen.

Geräuschlos landeten sie auf dem Rumpf des Wracks. Wegen der langsamen Drehung des Schiffs mußte Conway Hand- und Fußmagneten benutzen, um zu verhindern, wieder sanft ins All geschleudert zu werden, während Prilicla einen G-Gürtel und Magnetsohlen zu Hilfe nahm, die an den Spitzen seiner sechs bleistiftdünnen Beinchen befestigt waren. Vorsichtig kletterten sie durch das Loch in der Metallverkleidung und entfernten sich somit aus dem direkten Sonnenlicht. Conway wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und schaltete dann den Anzugscheinwerfer an.

Ein unregelmäßig geformter, fast natürlich wirkender Tunnel führte ungefähr dreißig Meter abschüssig in das Wrack hinein. Am unteren Ende ragte ein Metallstück hervor, das mit grüner Leuchtfarbe und einem Fleck Schmiermittel bestrichen worden war.

„Wenn die Offiziere der Tenelphi den Weg markiert haben, sollte das die Suche eigentlich beschleunigen“, sagte Fletcher, nachdem Conway dem Captain von der Entdeckung berichtet hatte. „Natürlich nur unter der Voraussetzung, daß Sutherland den gekennzeichneten Pfad auch nicht verlassen hat. Aber es gibt ein weiteres Problem, Doktor. Je weiter Sie in das Wrack eindringen, desto schwieriger wird es, Ihre Funksignale zu empfangen. Wir haben hier mehr Energie zur Verfügung als Sie für Ihr mobiles Funkgerät. Deshalb werden Sie uns auch dann noch hören können, wenn wir Sie hier schon lange nicht mehr empfangen. Ich rede natürlich von gesprochenen Nachrichten. Wenn sie jedoch tief im Innern des Schiffs Ihr Funkgerät einschalten, werden wir es immer noch als zischende oder knackende statische Störung hören können und umgekehrt. Also schalten Sie ihr Funkgerät alle fünfzehn Minuten ein, auch wenn wir uns nicht mehr hören können, damit wir wissen, daß sie noch immer leben. Wir werden dann bestätigen.

Es ist möglich, Nachrichten durch kurze und lange Knackgeräusche zu übermitteln. Das ist eine sehr alte Funkmethode, die auch heute noch in bestimmten Notsituationen benutzt wird. Kennen Sie das Morsealphabet?“

„Nein“, entgegnete Conway. „Es reicht gerade mal, um SOS funken zu können.“

„Ich hoffe nur, das wird nicht nötig sein, Doktor.“

Dem gekennzeichneten Pfad durch die Wrackteile zu folgen war eine langwierige und gefährliche Angelegenheit. Die Restdrehung des Wracks verursachte das Gefühl, nach oben zum Mittelpunkt des Schiffs hinaufzuklettern, während Conways Augen und sämtliche Instinkte beteuerten, er steige nach unten. Als sie den zweiten Farb- und Schmiermittelklecks erreichten, wurde tiefer im Innern des Schiffs bereits eine weitere Markierung sichtbar. Der Pfad fiel nun steil ab, um eine dichte Masse von Trümmerteilen zu umgehen, und der nächste Wegabschnitt bog aus dem gleichen Grund wiederum in eine neue Richtung. Zwar näherten sie sich dem Zentrum des Schiffs, allerdings in einer Reihe rasanter Zickzackbewegungen.

Prilicla hatte die Führung übernommen, um das Risiko zu vermeiden, daß Conway auf ihn fiel. Mit seinen sechs Beinen, die aus seiner kugelförmigen Druckhülle herausragten — Priliclas knöcherne Extremitäten wurden vom Vakuum nicht in Mitleidenschaft gezogen — sah er wie eine fette Metallspinne aus, die sich ihren Weg durch ein riesiges fremdartiges Netz bahnte. Nur einmal rutschte er mit seinen Magnetsohlen ab, und er fiel Conway entgegen. Automatisch streckte Conway eine Hand nach ihm aus, um den langsamen Fall Priliclas zu bremsen, als dieser an ihm vorbeiflog, zog sie dann jedoch schnell wieder zurück. Hätte er nach einem dieser feingliedrigen Beine gegriffen, wäre es wahrscheinlich abgerissen worden.

Aber Prilicla gelang es, den Fall mit den Antriebsdüsen seines Anzugs selbst abzubremsen, und sie konnten die lange und langsame Kletterpartie fortsetzen.

Kurz bevor die Verständigung mit dem Ambulanzschiff abriß, sagte Fletcher, daß sie bereits seit vier Stunden unterwegs seien und fragte, ob sich Conway sicher sei, dem vermißten Sütherland zu folgen und nicht nur dem vom Bergungstrupp der Tenelphi markierten Weg. Conway blickte auf den Leuchtfarbenklecks direkt über ihm und auf den Schmiermittelfleck daneben, und antwortete, er sei sich sicher.

Irgend etwas übersehe ich, sagte er sich selbst verärgert, irgend etwas, das direkt vor meiner dämlichen Nase liegt…!

Während sie tiefer in das Schiff eindrangen, wurde das Gewirr von Trümmerteilen allmählich durchlässiger. Doch wurde die durch die Rotation des Schiffs verursachte Gravitation zusehends schwächer, so daß immer größere Teile der Verkleidung, zertrümmertes Mobiliar und lose Ausrüstungsgegenstände schwerfällig nachgaben, wegrutschten oder absackten, sobald sie danach zu greifen versuchten. Im Lichtkegel der Anzugscheinwerfer traten auch noch andere Dinge zutage: zermalmte, zerfetzte und kaum zu identifizierende Gebilde aus ausgetrockneten, organischen Substanzen — Überreste der Besatzung oder der Haustiere, die vor vielen Jahrhunderten von der Katastrophe überrascht worden waren. Doch diese organischen Substanzen von den Metalltrümmern zu trennen, wäre einerseits höchst gefährlich und andererseits nichts als bloße Zeitverschwendung gewesen. Die Suche nach Sutherland war sehr viel wichtiger, als ihre Neugier zu befriedigen, welcher physiologischen Klassifikation die Spezies angehörte, die dieses Schiff einst erbaut hatte.

Inzwischen waren sie bereits seit fast sieben Stunden unterwegs und durchquerten mittlerweile Ebenen, die nicht mehr mit Trümmerteilen verstopft waren, obwohl auch ihre Konstruktion geborsten und verzogen war. Das war eine glückliche Fügung, denn Prilicla stieß hin und wieder aus purer Erschöpfung gegen Wände und Luken, und jeder zweite oder dritte Atemzug Conways ähnelte bereits eher einem Gähnen.

Er ordnete eine Pause an und fragte den Empathen, ob er irgendeine emotionale Ausstrahlung außer seiner empfangen könnte. Prilicla verneinte und war sogar zu müde, um einen entschuldigenden Unterton in seine Stimme zu legen. Als Conway kurz darauf das periodische Zischen in seinem Anzugkopfhörer vernahm, bestätigte er, indem er den Sendeschalter dreimal hintereinander schnell ein- und ausschaltete, eine Pause machte, und dann das Signal in kurzen Abständen mehrere Minuten lang wiederholte.

Er hoffte, dem Captain durch das mehrmalige „S“-Signal verständlich gemacht zu haben, daß er und Prilicla sich nun schlafen legen wollten.

Den nächsten Abschnitt ihres Wegs bewältigten sie in viel kürzerer Zeit, weil sie zum Mittelpunkt des Schiffs einfach über völlig unbeschädigte Decks gehen und auf breiten Rampen oder schmaleren Treppen emporsteigen konnten. Nur einmal kamen sie langsamer voran, als sie eine aus Wrackteilen bestehende Barriere überwinden mußten, die anscheinend durch einen großen und langsamen Meteoriten verursacht worden war, der sich tief ins Schiffsinnere hineingebohrt hatte. Ein paar Minuten später entdeckten sie die erste innere Luftschleuse.

Offensichtlich war diese Schleuse erst nach der Katastrophe von den Überlebenden gebaut worden, denn sie stellte nur wenig mehr als einen großen Metallwürfel dar, den man an die Einfassung einer luftdichten Tür geklebt hatte und der an der Außenluke einen sehr primitiven Verschlußmechanismus besaß. Beide Luken standen offen, und zwar schon seit langer Zeit, denn die Kammer dahinter war mit ausgetrockneten Pflanzen gefüllt, die praktisch zu Staub zerplatzten, sobald Conway und Prilicla sie streiften.

Conway bekam plötzlich eine Gänsehaut, als er sich dieses gewaltige Schiff vorstellte — schwer beschädigt durch zahlreiche Meteoriteneinschläge, aber nicht gänzlich zerstört; blindlings treibend, jedoch nicht ohne Restenergie; mit Gruppen von Überlebenden, die sich in kleinen Licht- und Wärmeoasen aufhielten, durch den ständig steigenden Druckabfall aber voneinander isoliert waren. Doch hatten sich diese Überlebenden etwas einfallen lassen. Sie bauten Luftschleusen, die es ihnen ermöglichten, von einer Insel zur anderen zu gelangen und in Fragen des Überlebens zusammenzuarbeiten, und sie konnten so eine Zeitlang weiterexistieren.

„Mein lieber Freund“, sagte Prilicla, „Ihre emotionale Ausstrahlung ist zur Zeit nur schwer zu analysieren.“

Conway lachte verlegen und entgegnete: „Ich sage mir immer und immer wieder, daß ich nicht an Gespenster glaube, aber anscheinend will ich mir einfach selbst nicht glauben.“

Sie umgingen den Hydrokulturraum, weil ihnen die Markierungen diesen Weg bezeichneten, und ungefähr zwei Stunden später betraten sie einen Korridor, der bis auf zwei große gezackte Löcher in Decke und Boden intakt war. Die sonst völlige Dunkelheit im Korridor war hier seltsam aufgehellt, und sie schalteten ihre Scheinwerfer aus.

Aus einer der Öffnungen drang ein schwaches Flimmern. Als sie an den Rand des Lochs traten, war es, als ob man in einen tiefen Brunnen blickte, dessen Grund ein winziger Lichtkreis war, der von der Sonne herrührte. Innerhalb weniger Sekunden war das Sonnenlicht verschwunden und für ein paar weitere Sekunden waren die Wrackteile am anderen Ende des Tunnels beleuchtet, bis wieder völlige Dunkelheit herrschte.

„Jetzt kennen wir wenigstens eine Abkürzung für den Rückweg zur Außenhaut“, sagte Conway erleichtert. „Aber wären wir nicht zufällig genau zum richtigen Zeitpunkt hiergewesen, als die Sonne hereingeschienen hat.“

Er brach ab und dachte darüber nach, daß sie sehr großes Glück gehabt hatten, und vielleicht auch weiterhin haben würden, denn am Ende des Korridors, in dem der neu entdeckte Ausgang war, befand sich eine weitere Luftschleuse. Sie war mit Leuchtfarbe und einem sehr großen Schmiermittelfleck markiert. Darüber hinaus war die äußere Luke geschlossen, ein deutliches Zeichen, daß der dahinterliegende Raum Druck enthielt.

Prilicla zitterte vor eigener wie auch wegen Conways Aufregung am ganzen Körper, als dieser den simplen Öffnungsmechanismüs zu betätigen begann. Conway mußte sein Vorhaben allerdings einen Moment lang unterbrechen und den Atem anhalten, weil das Funkgerät in seinem Anzug zischte und er bestätigen mußte. Als er das getan hatte, zischte es jedoch weiter.

„Der Captain ist kein besonders geduldiger Mensch“, sagte er gereizt. „Wir sind gerade mal etwas mehr als achtunddreißig Stunden unterwegs, und er hat gesagt, er gibt uns zwei Tage.“ Er machte eine kurze Pause, hielt die Luft an und lauschte auf das schwache, unregelmäßige Zischen, das mittlerweile leiser als sein eigener Atem war, denn sie waren schon weit ins Schiffsinnere vorgedrungen. Es war schwierig zu sagen, wann ein solches Zischen anfing und wann es aufhörte, doch allmählich entdeckte er ein Schema in den Signalen. Drei kurze Knackgeräusche. Pause. Drei lange Knackgeräusche. Pause. Drei kurze Knackgeräusche, gefolgt von einer längeren Pause, nach der die ganze Zeichenfolge immer wieder von vorn begann. Es war ein Notsignal, ein SOS.

„Mit der Rhabwar kann es doch gar keine Probleme geben“, sagte er. „Das wäre ja lächerlich! Also muß es Schwierigkeiten mit den Patienten geben. Jedenfalls wollen sie uns wieder auf dem Schiff haben, und ich würde sagen, die Sache ist dringend.“

Prilicla haftete neben der Luftschleuse an der Wand und antwortete mehrere Sekunden lang nicht. Schließlich sagte er: „Entschuldigen Sie bitte die scheinbare Unhöflichkeit, mein Freund, aber meine Aufmerksamkeit galt gerade etwas anderem. Es ist zwar an der Grenze der Reichweite meiner Wahrnehmungsfähigkeit, aber ich hab eine intelligente Lebensform entdeckt.“

„Sutherland!“ rief Conway erregt.

„Das nehme ich wohl an, mein Freund“, entgegnete Prilicla, und er begann im Einklang mit Conways Gewissenskonflikt zu zittern.

Irgendwo in einem Umkreis von vielleicht hundert Metern steckte der vermißte Arzt der Tenelphi. Zwar war seine körperliche Verfassung nicht bekannt, aber eindeutig war er am Leben. Selbst mit Priliclas Hilfe könnte es eine Stunde oder länger dauern, ihn zu finden. Conway wollte den Mann unbedingt bergen und retten, und das nicht nur aus den üblichen Gründen, sondern auch weil der Arzt garantiert die Antwort darauf wußte, was mit den übrigen Offizieren der Tenelphi geschehen war. Andererseits verlangte man dringend die Rückkehr von ihm und Prilicla zur Rhabwar, und ohne triftigen Grund würde Fletcher niemals ein SOS senden.

Eigentlich konnte sich das Schiff selbst nicht in Schwierigkeiten befinden, also mußte es sich um ein Problem handeln, das die Patienten betraf. Vielleicht hatte sich urplötzlich der Gesundheitszustand der Patienten so ernsthaft verschlechtert, daß selbst Murchison und Naydrad — zwei Wesen, die nicht ohne Grund in Panik gerieten — zugestimmt hatten, die beiden Ärzte auf diese Weise zur Rückkehr zu bewegen. Wie Conway plötzlich einfiel, könnten jedoch eine Ärztin und eine ebenso erfahrene Schwester vielleicht vorübergehend für die Versorgung der Patienten an Bord genügen, wenn schon wenig später zwei weitere Ärzte zu ihnen stoßen würden, von denen einer, nämlich Sutherland, größeres Wissen über die betreffende Krankheit besaß als das gesamte medizinische Personal auf dem Ambulanzschiff.

Kaum hatte Conway seine Entscheidung getroffen, hörte Prilicla zu zittern auf.

„Doktor, wir müssen uns trennen“, sagte Conway. „Offensichtlich werden wir dringend auf dem Schiff gebraucht, oder man will uns vielleicht auch nur dringend sprechen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Abkürzung zur Außenhaut zu nehmen? Finden Sie heraus, was es für ein Problem gibt, und helfen Sie den anderen, soweit es Ihnen möglich ist. Aber entfernen Sie sich vom anderen Ende des Tunnels frühestens nach einer Stunde, nachdem Sie dort angekommen sind. Während dieser Zeit werden Sie mit der Rhabwar und über den Tunnel mit mir hier unten in Sichtkontakt stehen. Auf diese Weise können Sie Nachrichten in beiden Richtungen weitergeben.

Sie müßten das andere Ende des Tunnels in ungefähr zwei Stunden erreichen können, da kein Zickzackkurs mehr notwendig ist und die Zentrifügalkraft der Eigendrehung des Schiffs Ihnen schneller hindurchhelfen wird. Dadurch sollte mir genügend Zeit bleiben, Sütherland zu finden und mit seiner Bergung zu beginnen. Diese Aufgabe kann ich sowieso nur alleine erledigen, denn um ihn durch diesen Tunnel zu bringen, werden eher DBDG-Muskeln erforderlich sein als die gefühlvolle Anteilnahme eines Cinrusskers.“

„Der Ansicht bin ich auch, mein Freund“, erwiderte Prilicla, der bereits den Korridor entlang auf die Öffnung zuschwebte. „Selten hab ich einem Ihrer Vorschläge mit größerer Begeisterung zugestimmt.“

Die erste Überraschung, die Conway erwartete, als er durch die Luftschleuse ging, war das Licht. Er fand sich plötzlich in einer weitläufigen Raumflucht wieder, die, nach den an Boden, Decke und Wänden befestigten Überbleibseln der Ausrüstungsgegenstände zu urteilen, einst den Aufenthalts- und Freizeitbereich des Schiffs dargestellt hatte. Die Geräte, die man zum Trainieren in der Schwerelosigkeit und vielleicht auch für Wettkampfsportarten benutzt hatte, waren rigoros modifiziert worden, um als Gestelle und Ständer für die zum Schlaf in der Schwerelosigkeit notwendigen Doppelhängematten zu dienen. Abgesehen von einigen Abschnitten, die mit durchsichtigem Plastik verkleidet waren und Pflanzen enthielten, von denen einige noch immer eine grüne Färbung hatten, war die Innenfläche des riesigen Saals mit Betten und Möbelstücken übersät, die man den Bedingungen der Schwerelosigkeit angepaßt hatte. Es sah aus, als seien hier nach den ersten Meteoriteneinschlägen einst bis zu zweihundert Überlebende zusammen mit ihren Nachkommen einquartiert worden. Den äußeren Anzeichen nach zu urteilen, hatten sie hier eine lange Zeit gelebt. Die zweite Überraschung war, daß es von ihnen keine anderen Spuren gab als die von ihnen benutzen Möbel und Ausrüstungsgegenstände. Wo aber waren die Leichname der Überlebenden der Katastrophe, die schon seit langem tot sein mußten?

Conway spürte, wie seine Kopfhaut vor Aufregung kribbelte. Er drehte seinen Anzuglautsprecher voll auf und schrie: „Sutherland!“

Es kam keine Antwort.

Er stieß sich quer durch den Saal zur gegenüberliegenden Wand ab, in der sich zwei Türen befanden. Eine davon stand einen Spaltbreit offen, und aus ihr drang Licht. Als er neben der Tür landete, wußte er, daß sich dahinter die Schiffsbibliothek befand.

Das lag nicht nur an den mit Büchern und Bandspulen ordentlich gefüllten Regalen, die sich an den Wänden und der Decke des leeren Raums entlangzogen, oder an den am Boden befestigten Lesegeräten und Scannern, und erst recht nicht an den modernen Bändern und tragbaren Aufzeichnungsgeräten, die die Offiziere der Tenelphi mit hierhergebracht hatten und die jetzt herren- und schwerelos durch den Raum trieben. Conway wußte auch so, daß es sich um die Bibliothek handelte, weil er sowohl den Schriftzug auf der Tür als auch den Namen unter dem Schiffswappen entziffern konnte, das an der gegenüberliegenden Wand in Augenhöhe angebracht war. Als er auf dieses berühmte Wappen starrte, wurde ihm augenblicklich alles klar.

Er begriff jetzt, warum die Tenelphi Schwierigkeiten bekommen hatte, und warum die Offiziere von ihrem Schiff zum Wrack aufgebrochen waren und nur den Arzt als wachhabenden Offizier zurückgelassen hatten. Er verstand auch, warum sie es so eilig gehabt hatten, an Bord ihres eigenen Schiffs zurückzukehren, warum sie krank geworden waren und warum es so wenig gab, was er oder irgend jemand anders für sie hätte tun können. Außerdem wußte er nun, warum Schiffsarzt Sutherland Schmiermittel statt Markierungsfarbe benutzt hatte, und er besaß eine ungefähre Vorstellung von der Situation, mit der sich der Arzt konfrontiert gesehen und die ihn zurück ins Wrack getrieben hatte. All das war ihm klargeworden, weil der Name und das Wappen des Schiffs in jedem Geschichtsbuch der Erde und auch in jedem der von Menschen besiedelten Planeten abgedruckt waren.

Conway schluckte und blinzelte den Schleier in den Augen weg, der vorübergehend seine Sicht beeinträchtigte hatte, und verließ langsam den Raum.

Der Schriftzug auf der anderen Tür hatte einst „Sportausrüstungslager“ gelautet, man hatte ihn jedoch durchgestrichen und darüber „Lazarett“ geschrieben. Als er die Tür aufschob, fand er den Raum dahinter ebenfalls erleuchtet vor, wenn auch nur schwach.

An den Wänden zu beiden Seiten der Tür waren die Borde der Ausrüstungsregale zu Kojen umfunktioniert worden, von denen zwei belegt waren. Die darin liegenden Leichen waren fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt und völlig deformiert, was zum einem an der Unterernährung und zum anderen daran lag, daß sie unter schwerelosen Bedingungen geboren worden waren und gelebt hatten. Anders als die ausgetrockneten Leichenteile, auf die Conway und Prilicla auf den äußeren Decks gestoßen waren, waren diese beiden der Atmosphäre ausgesetzt gewesen, und die Verwesung hatte eingesetzt. Doch war dieser Prozeß noch nicht weit genug fortgeschritten, um die Tatsache verschleiern zu können, daß die beiden Leichen der Klassifikation DBDG angehört hatten. Es handelte sich um einen alten Mann und ein kleines Mädchen, beide Terrestrier, die erst in den letzten paar Monaten gestorben sein mußten.

Conway dachte an die Reise, die fast sieben Jahrhunderte gedauert hatte, und an die letzten beiden Überlebenden, die es fast geschafft hätten, und er mußte erneut blinzeln. Verärgert bewegte er sich weiter in den Raum hinein, indem er sich an der Kante eines Behandlungstischs und eines Instrumentenschranks entlangzog. Sein Scheinwerfer beleuchtete in einer entfernten Ecke eine Gestalt im Raumanzug, die in der linken Hand einen fast quadratischen Gegenstand hielt, während sie sich mit der rechten gegen eine geöffnete Schranktür stützte.

„S. Sütherland?“ fragte Conway.

Die Gestalt zuckte zusammen und antwortete mit schwacher Stimme: „Nicht so verdammt laut.“

Conway stellte seinen Lautsprecher leiser und sagte schnell: „Ich bin froh, daß ich Sie gefunden habe, Doktor. Ich bin Doktor Conway aus dem Orbit Hospital. Wir müssen sie schnell zum Ambulanzschiff zurückbringen. Die haben da Schwierigkeiten und wir.“

Er brach den Satz ab, da Sütherland sich weigerte, die Schranktür loszulassen. Beruhigend führ Conway fort: „Ich weiß, warum Sie gelbes Schmiermittel statt Farbe benutzt haben, und ich hab meinen Helm nicht geöffnet. Uns ist bekannt, daß in anderen Teilen des Schiffs noch Druck herrscht. Gibt es irgendwelche Überlebende? Und haben Sie gefunden, wonach Sie gesucht haben, Doktor?“

Sütherland sagte nichts, bis sie das Schiffslazarett verlassen hatten und die Tür hinter ihnen geschlossen war. Er öffnete sein Visier, wischte die Feuchtigkeit ab, die sich als Perlen auf der Innenseite niedergeschlagen hatte, und sagte schwach: „Gott sei Dank erinnert sich noch jemand an die Geschichte. Nein, Doktor, es gibt keine Überlebenden. Ich hab sämtliche mit Luft gefüllten Kammern durchsucht. Eine davon ist eine Art Begräbnisstätte für nicht eßbare Überreste. Ich glaube, diese bedauernswerten Geschöpfe waren am Schluß zum Kannibalismus gezwungen und mußten ihre Toten irgendwo lagern, wo sie. na ja. griffbereit lagen. Und auch ihre zweite Frage muß ich mit einem Nein beantworten. Ich hab nicht gefunden, wonach ich gesucht hab, sondern nur ein Mittel entdeckt, womit man die Krankheit zwar erkennen, nicht aber heilen kann. Die Haltbarkeit aller angezeigten Medikamente ist bereits vor Hunderten von Jahren abgelaufen…“ Er fuchtelte mit einem Buch in der Hand herum und fuhr fort: „Ich mußte hier drinnen einige engbedruckte Seiten lesen, deshalb hab ich den Luftdruck in meinem Anzug erhöht, um so in der Luft vorhandene Krankheitserreger wegzublasen, wenn ich das Visier öffnen mußte, weil ich mir etwas genauer ansehen wollte. Theoretisch hätte es funktionieren müssen.“

Offensichtlich hatte es aber nicht funktioniert. Trotz des höheren Innendrucks im Anzug, der die Luft durch die Visieröffnung nach außen geblasen hatte, war der Schiffsarzt an derselben Krankheit erkrankt, die sich auch seine Offizierskameraden zugezogen hatten. Er schwitzte übermäßig, blinzelte im Licht und seine Augen tränten, aber im Gegensatz zu den übrigen Offizieren der Tenelphi war er weder im Delirium noch bewußtlos — jedenfalls bis jetzt nicht.

„Wir haben eine schnelle Abkürzung nach draußen entdeckt. Na ja, wenigstens ist sie relativ schnell. Glauben Sie, Sie könnten mit meiner Hilfe klettern, oder soll ich Ihnen Arme und Beine zusammenbinden und Sie vor mir hinunterlassen?“

Sutherland war in einem erbarmungswürdigen Zustand, doch er lehnte es ganz entschieden ab, gefesselt einen Tunnel hinuntergelassen zu werden, dessen Wände aus verbogenem Metall mit zackigen Kanten bestand — egal, wie vorsichtig das bewerkstelligt werden sollte. Die beiden schlossen einen Kompromiß, indem sie sich Rücken an Rücken aneinanderschnallten und Conway das Klettern übernahm, während Sutherland ihnen die Hindernisse vom Leib hielt, die der Chefarzt nicht sehen konnte. Sie kamen sehr gut voran, und zwar so gut, daß sie Prilicla langsam einzuholen begannen, noch bevor der Cinrussker die Hälfte des Tunnels zurückgelegt hatte. Bei jeder Umdrehung, bei der die Sonne in das andere Ende des Tunnels hineinschien, wirkte der Körper des Cinrusskers, der in seinem Raumanzug von weitem wie ein dunkler Kreis aussah, immer größer.

Das regelmäßige Knacken und Zischen des SOS-Signals wurde mit jeder Minute lauter, bis es auf einmal aufhörte.

Ein paar Minuten später wurde der kleine schwarze Kreis vor ihnen zu einer glänzenden Scheibe, als Prilicla aus der Öffnung des Tunnels ins Sonnenlicht trat. Der Empath berichtete ihnen, daß die Rhabwar und die Tenelphi jetzt in seiner Sichtweite waren, und es ihm keine Schwierigkeiten bereiten sollte, normalen Funkkontakt herzustellen. Conway und Sütherland hörten ihn die Rhabwar rufen und, wie es schien eine Ewigkeit später, die zischenden und knisternden Geräusche der Antwort vom Ambulanzschiff. Conway konnte durch das Rauschen hindurch im Hintergrund ein paar der Wörter ausmachen und war deshalb über die von Prilicla weitergegebene Nachricht nicht völlig erstaunt.

„Mein Freund“, sagte der Empath, und Conway konnte sich vorstellen, wie Prilicla versuchte, eine Möglichkeit zu finden, die Auswirkung seiner schlechten Nachricht zu mildern, „das war Oberschwester Naydrad. Auf dem Schiff weisen sämtliche DBDGs von der Erde, einschließlich der Pathologin Murchison, die gleichen Symptome wie die Offiziere der Tenelphi auf, wenn auch mit unterschiedlichen Auswirkungen auf ihre Einsatzfähigkeit. Der Captain und Lieutenant Chen sind davon bisher am wenigsten betroffen, aber sie befinden sich beide in einem Zustand, der sie bettlägerig macht. Naydrad benötigt dringend unsere Hilfe, und der Captain sagt, er wird ohne uns abfliegen, wenn wir uns nicht beeilen. Lieutenant Chen glaubt überhaupt nicht mehr an einen Abflug, selbst wenn sie die Hyperraumantriebshülle nicht hätten modifizieren müssen, um die Tenelphi aufzunehmen. Es scheint ein zusätzliches Problem durch die Nähe des Zentralgestirns dieses Systems zu geben, das offensichtlich nur durch einen erfahrenen Astronavigator gelöst werden.“

„Das genügt“, unterbrach ihn Conway ungeduldig. „Sagen Sie denen, sie sollen die Tenelphi abkoppeln und dann abdecken. Sämtliche Proben, die Chen von der Tenelphi zur Analyse an Bord gebracht hat, müssen sofort abgeworfen werden. Weder das Hospital noch das Monitorkorps wird sich darüber freuen, wenn wir irgend etwas mitbringen, das in Kontakt mit dem alten Wrack gekommen ist. Vielleicht wird man sogar noch nicht einmal sonderlich erfreut sein, uns zu sehen.“

Er brach ab, als er hörte, wie Naydrad seine Anweisungen an den Captain weitergab. Und als er den Anfang von Fletchers Antwort vernahm, fuhr er rasch fort: „Doktor Prilicla, ich empfange das Schiff jetzt direkt, deshalb brauche ich Sie nicht mehr als Zwischensender. Kehren Sie so schnell wie möglich zum Schiff zurück, und helfen Sie Naydrad bei der Versorgung der Patienten. In ungefähr fünfzehn Minuten werden wir aus dem Tunnel heraus sein. Captain Fletcher, können Sie mich hören?“

Eine belegte Stimme, die Conway nicht als die des Captains erkannte, murmelte leise: „Ich kann Sie hören.“

„Gut“, erwiderte Conway und erklärte in knappen Worten, was mit der Tenelphi und ihnen selbst geschehen war.

In einem Sternsystem, das gerade vermessen wurde, ein Wrack zu finden, war für die Besatzung eines Aufklärungsschiffs stets eine willkommene Abwechslung. So waren auch die nicht diensthabenden Offiziere der Tenelphi in ihrer Freizeit an Bord des Generationenschiffs gegangen, um es vor Ort zu untersuchen und möglichst zu identifizieren. Wie bei allen Aufklärungsschiffen im Vermessungseinsatz bestand die vollzählige Besatzung der Tenelphi aus einem Captain und den Offizieren für Astronavigation, Kommunikation, Technik und Medizin, während die restlichen fünf die Vermessungsspezialisten waren, deren Arbeit rund um die Uhr ging.

Nach Sutherlands Angaben hatten die ersten Offiziere, die an Bord des Generationenschiffs gegangen waren, das Schiff schnell identifizieren können, da sie das Glück gehabt hatten, eine mit Datum und Schiffswappen versehene Vorratsliste zu finden. Die Folge war, daß jedermann, selbst der Captain, sich sofort zum Wrack begaben. Lediglich der Schiffsarzt war an Bord der Tenelphi zurückgeblieben, weil man ihn aufgrund seiner beruflichen Funktion am ehesten bei der Erkundung des Wracks glaubte entbehren zu können — das Ganze war plötzlich zu einer Art Massenübung im Zusammentragen von Informationen geworden.

Denn bei dem Wrack handelte es sich um nichts anderes als die Einstein — also um das erste interstellare Raumschiff, das von der Erde gestartet war, und das einzige der frühen Generationenschiffe von diesem Planeten, das nicht von den späteren mit Hyperraumantrieb ausgestatteten Raumschiffen geborgen worden war. Im Laufe der Jahrhunderte hatte es viele Versuche gegeben, das Schiff zu bergen, doch die Einstein war nicht dem geplanten Kurs gefolgt. Man hatte vermutet, daß sie innerhalb kurzer Zeit nach dem Verlassen des Sonnensystems einer technischen Katastrophe zum Opfer gefallen war.

Und da war er also nun, der erste und unzweifelhaft mutigste Versuch der Menschheit, nach den Sternen zu greifen — und das auf die schwierigste Art und Weise, weil ihre Technologie zu dieser Zeit noch unerprobt war. Obwohl damals niemand mit absoluter Sicherheit wußte, ob das Zielsystem überhaupt bewohnbare Planeten enthielt, wollte die Schiffsbesatzung — die fähigsten Leute, die die Erde hervorbringen konnte — unbedingt diese Reise ins Ungewisse antreten. Darüber hinaus war die Einstein ein Stück technologischer und psychosoziologischer Geschichte, die Verkörperung einer der größten Legenden der Raumfahrt schlechthin. Und dieses Schiff stürzte mit seinen unschätzbaren Aufzeichnungen samt Logbuch in die Sonne und würde innerhalb einer Woche zerstört werden. Deshalb war es kein Wunder, daß man nur den medizinischen Offizier an Bord der Tenelphi zurückgelassen hatte. Aber selbst er hatte die Gefahr, die diese Situation barg, erst erkannt, als die Besatzung krank, schwitzend und dem Delirium nahe zurückkehrte. Von Beginn an hatte Sütherland Conways anfänglichen Vermutungen widersprochen, ihr Zustand rühre von radioaktiver Verseuchung, dem Einatmen giftiger Stoffe oder dem Verzehr infizierter Nahrungsmittel her. Die zurückkehrenden Offiziere hatten ihm nämlich davon berichtet, welche Verhältnisse an Bord des Wracks herrschten und wie lange spätere Nachkommen der ursprünglichen Besatzung hatten überleben können.

Auf dem Schiff gab es nicht nur unermeßlich wertvolle Aufzeichnungen über den ersten interstellaren Flugversuch der Menschheit; es enthielt auch eine unbekannte Anzahl verschiedenster Krankheitserreger, die durch die Wärme, die Atmosphäre und die bis vor kurzem lebenden menschlichen Organismen fortbestehen konnten und zu Arten gehörten, die vor siebenhundert Jahren existierten und gegen die die menschliche Spezies heute nicht mehr immun war.

Da Sutherland die sich rapide verschlechternde Verfassung seiner Offizierskameraden die ganze Zeit beobachtet hatte, wußte er, daß er nur sehr wenig für sie tun konnte. Er bestand allerdings darauf, daß sie alle ständig Raumanzüge trugen, um die Möglichkeit einer gegenseitigen Ansteckung zu vermeiden — schließlich konnte er ja nicht absolut sicher sein, ob sie alle an derselben Krankheit litten. Zudem sollten die Anzüge als Schutz im Falle eines eventuellen Unfalls dienen, während sich das Schiff vom Wrack der Einstein entfernte. Ihr Plan war, durch den Hyperraum zum Orbit Hospital zu springen, wo man sie medizinisch besser hätte versorgen können.

Als sich die Kollision ereignete — die laut Sutherland unvermeidlich war, wenn man den halbbewußtlosen und deliriumgleichen Zustand der Besatzung bedachte —, brachte er die Männer zur Schleusenvorkammer, um so eine schnelle Evakuierung vorzubereiten. Dann versuchte er eine Nachricht über Subraumfunk zu senden und, weil er nicht wußte, ob er es richtig gemacht hatte, die Notsignalbake auszusetzen. Aber die Kollision hatte den Auslösungsmechanismus beschädigt, und er mußte die Bake mit Händen und Füßen aus der Luftschleuse schieben. Der Zustand seiner Patienten verschlechterte sich, und er fragte sich wiederholt, ob es überhaupt etwas gab, das er für sie tun konnte.

Zu diesem Zeitpunkt faßte er den Entschluß, selbst an Bord des Wracks zu gehen, um dort, wo die Krankheit ihren Ursprung gehabt hatte, nach einem möglichen Heilverfahren zu suchen. Die Antwort konnte er vielleicht im Arzneischrank des Wracks finden — dem „… neikasten“ des zerstückelten Funkspruchs. Da der Druck an Bord der stark in Mitleidenschaft gezogenen Tenelphi stetig sank und alle Aufzeichnungsgeräte an Bord der Einstein zurückgelassen worden waren, konnte er für irgendwelche zukünftigen Retter keine eindeutige Warnung hinterlassen. Doch er tat sein Bestes.

So bestrich er die Außenluke der Luftschleuse der Tenelphi mit gelbem Schmiermittel, wobei er natürlich nicht ahnen konnte, daß es durch die Hitze der Notsignalbake braun werden würde, und markierte seinen Weg durch das Wrack auf die gleiche Weise. Heutzutage wußten nur noch wenige Leute, und selbst Conway hatte lange gebraucht, um sich daran zu erinnern, daß in den Zeiten vor den interstellaren Raumreisen ein Schiff mit einer ansteckenden Krankheit an Bord eine gelbe Flagge führte.

„…Sutherland hat dann entdeckt, daß die Medikamente im Lazarett der Einstein schon lange unbrauchbar waren“, fuhr Conway fort, „aber er stieß auf ein medizinisches Lehrbuch, in dem eine Anzahl von Krankheiten mit ähnlichen Symptomen aufgeführt waren, wie sie unsere Patienten aufweisen. Er glaubt, es handelt sich bei der Krankheit um eine der alten Grippearten. In unserem Fall bedeutet der Verlust natürlicher Immunität durch die Jahrhunderte hindurch allerdings, daß sich die Symptome weit heftiger auf uns auswirken. Deshalb möchte ich, daß Sie diese Informationen für eine ordnungsgemäße Übertragung per Subraumfonk zum Orbit Hospital aufzeichnen, damit man dort genau weiß, was man zu erwarten hat. Zudem schlage ich vor, Vorbereitungen für einen automatischen Sprung in den Hyperraum zu treffen, falls Sie sich nicht fit genug fühlen sollten, um einen.“

„Doktor“, unterbrach ihn der Captain mit schwacher Stimme, „genau das versuche ich ja gerade zu tun. Wie schnell können Sie hier sein?“

Conway war einen Moment lang still, während er und Sutherland aus dem Tunnelrand herauskamen, und antwortete dann: „Ich kann die Rhabwar jetzt sehen. Zehn Minuten noch.“

Auf dem Unfalldeck, das langsam überfüllt war, zog Conway fünfzehn Minuten später dem Schiffsarzt den Raumanzug und die Uniform aus. Dr. Prilicla schwebte der Reihe nach über den Patienten und überwachte ihren Zustand mit den Augen und seinen empathischen Fähigkeiten, während Naydrad Lieutenant Haslam hereinbrachte, der vor ein paar Minuten auf seinem Platz im Kontrollraum zusammengebrochen war.

Keiner der Extraterrestrier hatte irgend etwas von terrestrischen Krankheitserregern zu befürchten, selbst wenn diese siebenhundert Jahre alt waren. Und die Besatzungsmitglieder der Tenelphi und der Rhabwar und Murchison konnten nur daliegen und hoffen, wenn sie sich nicht bereits im Delirium oder im bewußtlosen Zustand befanden, daß ihre Körperabwehrkräfte irgendeine Möglichkeit fanden, diese Feinde aus der Vergangenheit zu bekämpfen. Lediglich Conway war von einer Infektion verschont geblieben, weil ihm ein Schmiermittelklecks oder irgendein Bruchstück eines verstümmelten Funkspruchs zumindest im Unterbewußtsein davor gewarnt hatte, sein Visier zu öffnen, als die Offiziere des Aufklärungsschiffs an Bord gebracht worden waren.

„Vier Ge Schub in fünf Sekunden“, meldete Chens matte Stimme aus dem Lautsprecher. „Künstliche Schwerkraftkompensatoren bereit.“

Als Conway das nächste Mal auf den Repeaterschirm blickte, zeigte dieser die Einstein und die Tenelphi auf die Größe eines kleinen Doppelsterns zusammengeschrumpft. Conway beendete seine gegenwärtigen Bemühungen, es Sütherland so bequem wie möglich zu machen, überprüfte den Sitz der Infüsionsschläuche, die intravenös die verlorene Flüssigkeit ersetzten, und ging dann zu Haslam und Dodds hinüber. Murchison sparte er sich bis zum Schluß auf, weil er mit ihr mehr Zeit verbringen wollte.

Trotz der verringerten Temperatur in der Drucktragbahre schwitzte sie erheblich, murmelte Fieberphantasien vor sich hin und warf ihren Kopf von einer Seite zur anderen. Zwar hatte sie ihre Augen halb geöffnet, war sich Conways Gegenwart jedoch nicht wirklich bewußt. Es war ein richtiger Schock für ihn, Murchison so vor sich liegen zu sehen und zu erkennen,

daß sie jetzt eine sehr schwer erkrankte Patientin war und nicht die Kollegin, die er seit der Zeit geliebt und respektiert hatte, als sie noch als Schwester in der Neugeborenenabteilung für FGLIs gearbeitet hatte, und er noch der Überzeugung gewesen war, sämtliche Krankheiten der Galaxis allein mit seinem Taschenröntgenscanner und der Hingabe zu seinem Beruf heilen zu können.

Doch im Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwölf — dessen rangniedrigster Angehöriger des ärztlichen Mitarbeiterstabs in jedem x-beliebigem planetarischen Hospital, das auf die Behandlung einer einzelnen Spezies spezialisiert war, noch als Führungskraft angesehen werden würde — war alles möglich. Eine hochqualifizierte Krankenschwester mit ausgeprägten Erfahrungen bei der Behandlung von Aliens konnte leicht in höhere Positionen aufsteigen und zu einer der besten Pathologinnen des Hospitals werden. Und ein Assistenzarzt, dem in seinem viel zu großen Kopf unkonventionelle Ideen herumspukten, konnte auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Conway seufzte und wollte Murchison streicheln und beruhigen, aber Naydrad hatte bereits alles für sie getan, was derzeit möglich war. Er konnte also nichts anderes machen, als sie zu beobachten und zu warten, wie sich ihr Zustand allmählich verschlechterte, bis er dem der Offiziere von der Tenelphi glich.

Mit etwas Glück sollten sie bald ins Orbit Hospital eingeliefert werden können, wo ihnen dank der vorhandenen technischen Einrichtungen und Forschungsmöglichkeiten eine angemessene medizinische Versorgung zuteil werden würde. Fletcher und Chen waren insofern glimpflich davongekommen, weil sich der Captain im Kontrollraum und der technische Offizier im Maschinenraum aufgehalten hatte, als die infizierten Offiziere der Tenelphi an Bord gebracht worden waren. Deshalb waren sie als letzte von der Krankheit befallen worden. Glücklicherweise war ihre körperliche Verfassung noch gut genug, um das Schiff führen zu können.

Oder etwa nicht.?

Auf dem Repeaterschirm breitete sich noch immer eine tiefe Schwärze aus, in der die Einstein und die Tenelphi zwischen den Sternen im Hintergrund nicht mehr zu erkennen waren. Doch mittlerweile sollte der Bildschirm eigentlich die unsichtbare Farbe der Hyperraumdimension zeigen. Plötzlich kam Conway der Gedanke, daß es für alle Beteiligten viel sinnvoller wäre, wenn er wenigstens versuchen würde, etwas für Chen und den Captain zu tun, anstatt seine Zeit bei Murchison mit Nichtstun zu verbringen.

„Würden Sie sich bitte einmal diesen Patienten ansehen, mein Freund“, sagte Prilicla, wobei er mit einem seiner Fühler auf einen der erkrankten Offiziere zeigte, „und den dort drüben? Ich spüre, daß sie bei Bewußtsein sind und beruhigender Worte von einem Mitglied ihrer eigenen Spezies bedürfen.“

Zehn Minuten später befand sich Conway im Hauptschlacht und zog sich in Richtung Kontrollraum. Als er ihn betrat, hörte er, wie sich der Captain und der technische Offizier gegenseitig Zahlen zuriefen, unterbrochen von häufigen Pausen für Wiederholungen und Nachprüfungen. Fletchers Gesicht war rot angelaufen und tropfte vor lauter Schweiß. Seine Augen tränten. Und so, wie er blinzelnd und zwinkernd auf die Displays seines Steuerpults blickte und die Ziffern ablas, schien sein deliriumähnlicher Zustand die Form einer unbeugsamen Berufsbesessenheit angenommen zu haben, während Chen, der nicht viel besser aussah, von dem für ihn ungewohnten Platz an der Instrumententafel des Astronavigators aus antwortete. Conway betrachtete die beiden mit fachmännischem Blick, und ihm gefiel gar nicht, was er sah.

„Sie brauchen Hilfe“, sagte er mit fester Stimme.

Fletcher sah ihn mit rotumrandeten und tränenden Augen an und entgegnete müde: „Ja, Doktor, aber bestimmt nicht Ihre. Sie haben ja gesehen, was mit der Tenelphi passiert ist, als der medizinische Offizier versucht hat, damit zu fliegen. Kümmern Sie sich einfach um Ihre Patienten, und lassen Sie uns in Ruhe.“

Chen wischte sich den Schweiß vom Gesicht und sagte entschuldigend:

„Was der Captain zu sagen versucht, Doktor, ist, daß er Ihnen nicht in fünf Minuten beibringen kann, wofür er fünf Jahre intensivster Ausbildung gebraucht hat. Und an der Verzögerung für den Sprung in den Hyperraum sind wir selbst schuld, weil es beim erstenmal gleich richtig klappen muß, falls wir für einen zweiten Versuch nicht fit genug sein sollten und in einem falschen galaktischen Sektor materialisieren. Dem Captain tut sein schlechtes Benehmen bestimmt leid, aber er fühlt sich furchtbar mies.“

Conway lachte und erwiderte: „Ich nehme seine Entschuldigung gern an. Ich hab mich übrigens gerade mit einem der Opfer von der Tenelphi über das unterhalten, was wir jetzt mit ziemlicher Sicherheit für eine der alten Grippearten halten. Zusammen mit den beiden anderen Mitgliedern eines Trupps, der zuerst an Bord des Wracks ging, gehört er zu den ersten, die an dem Virus erkrankt sind. Allmählich hat er jetzt wieder normale Temperatur, und die der anderen beiden fällt ebenfalls relativ schnell. Ich würde sagen, ein Ausbruch dieser siebenhundert Jahre alten Grippe kann mit unterstützenden Medikamenten durchaus erfolgreich verhindert werden, obwohl das Hospital wahrscheinlich darauf bestehen wird, uns alle eine Zeitlang unter Quarantäne zu stellen, sobald wir zurückgekehrt sind.

Jedenfalls ist der Offizier, mit dem ich gesprochen hab, der Astronavigator der Tenelphi“, fuhr er rasch fort, „und offen gesagt, ist er in weit besserer Verfassung als Sie beide. Sie brauchen doch Hilfe, oder?“

Fletcher und Chen sahen ihn an, als hätte er gerade ein Wunder vollbracht, als wäre auf irgendeine sonderbare Weise einzig und allein er für all die komplizierten Mechanismen verantwortlich, die die terrestrische Lebensform DBDG entwickelt hatte, um sich gegen Krankheiten zu schützen — was natürlich völlig lächerlich war. Er nickte ihnen zu und kehrte auf das Unfalldeck zurück, um den Astronavigator der Tenelphi in den Kontrollraum zu schicken. Seiner Ansicht nach würde jeder Kranke an Bord — natürlich mit Ausnahme der beiden immunen Lebewesen Prilicla und Naydrad — innerhalb von höchstens zwei Wochen vollständig wiederhergestellt und genesen sein. Vor allem aber würde er dann die Pathologin Murchison nicht mehr wie eine Patientin behandeln müssen.

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