ERSTER TEIL RAUMVOGEL

Das Aufklärungsschiff des Monitorkorps Torrance befand sich in einem Einsatz, der zwar äußerst wichtig, aber dennoch todlangweilig war. Genau wie den anderen Schiffen ihrer Flottille hatte man auch der Torrance einen relativ kleinen Bereich des Alls in Sektor neun zugeteilt — einen der vielen dreidimensionalen weißen Flecken, die immer noch auf den Weltraumkarten der Föderation auftauchten —, um Typ und Position der darin enthaltenen Sterne und die Anzahl der sie umkreisenden Planeten zu ergänzen.

Da ein mit zehn Mann besetztes Aufklärungsschiff nicht die Ausrüstung besaß, um eine Erstkontaktsituation zu meistern, hatte man der Besatzung strikt verboten, auf einem dieser Planeten zu landen oder sich ihm auch nur zu nähern. Falls sich unter den Planeten technologisch fortgeschrittene Welten befanden, würde man sie später anhand der Analyse der von ihnen ausgehenden Radiofrequenzstrahlung und anderen Strahlungsformen erkennen. Wie Major Madden, der Captain des Schiffs, der Besatzung gleich zu Beginn des Einsatzes erklärt hatte, würden sie lediglich Lichter am Himmel zählen — das wäre auch schon alles.

Natürlich konnte das Schicksal einer solchen Verlockung nicht widerstehen…

„Hier Radar, Sir“, sagte eine Stimme aus dem Lautsprecher des Kontrollraums. „Wir empfangen ein Echosignal auf dem Nahbildschirm. Entfernung zehn Kilometer, kommt langsam näher, nicht auf Kollisionskurs.“

„Erfassen und verfolgen Sie es mit dem Teleskop, und lassen Sie es uns bitte sehen“, erwiderte der Captain.

„Ja, Sir. Repeaterschirm zwei.“

Auf den Aufklärungsschiffen des Monitorkorps herrschte nur dann strenge Disziplin, wenn es die Umstände erforderten. Solche Umstände traten jedoch normalerweise nicht während eines simplen Kartographieeinsatzes auf, und deshalb erinnerten die. Stimmen, die aus dem Lautsprecher kamen, eher an eine lockere Diskussion als an eine Folge militärischer Meldungen.

„Es sieht aus wie ein. wie ein Vogel, Sir, und zwar mit gespreizten Flügeln.“

„Ein gerupfter Vogel.“

„Hat schon jemand berechnet, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß sich so etwas im interstellaren Raum plötzlich materialisiert?“

„Ich glaube, das ist ein Asteroid oder irgendeine flüssige Substanz, die zufällig zu dieser Form erstarrt ist.“

„Zwei Lichtjahre von der nächsten Sonne entfernt?“

„Ruhe bitte“, sagte der Captain. „Erfassen Sie es mit einem Analysator, und machen Sie dann Meldung.“

Es gab eine kurze Pause, und dann teilte eine Stimme mit: „Geschätzte Größe ungefähr ein Drittel dieses Schiffs. Es ist nichtreflektierend, nichtmetallisch, nichtmineralisch und.“

„Das ist ja wirklich ganz hervorragend, daß Sie mir erzählen, was es alles nicht ist“, unterbrach ihn der Captain trocken.

„Es ist organisch, Sir, und.“

„Ja?“

„Und es lebt.“

Einige Sekunden lang hielten die Stimmen im Lautsprecher des Kontrollraums und der Captain den Atem an, dann befahl Madden entschlossen: „Maschinenraum, Manövrierschub in fünf Minuten. Astronavigation, bestimmen Sie den Kurs, und gehen Sie bis auf fünfhundert Meter heran. Geschütze, halten Sie sich bereit. Schiffsarzt Brenner soll sich auf einen Außeneinsatz vorbereiten.“

Die kurze Debatte war vorbei.

Während der darauffolgenden vier Stunden untersuchte Schiffsarzt Brenner das Wesen, zuerst aus sicherer Entfernung und später aus so unmittelbarer Nähe wie es sein Raumanzug nur zuließ. Er war sich sicher, daß der Analysator eine etwas zu optimistische Auffassung von dem gehabt hatte, was höchstwahrscheinlich ein noch nicht völlig erkalteter Leichnam war. Sicherlich stellte das merkwürdige Wesen keine Gefahr dar, denn es konnte sich nicht bewegen, selbst wenn es gewollt hätte; dafür sorgten der Überzug — der sich aus etwas zusammensetzte, das wie breite, flache Rankenfüßer aussah — und das steinharte Bindemittel, das diese zusammenhielt.

Später, als er gerade seinen Bericht an den Captain beendete, sagte Brenner: „Um zusammenzufassen, Sir: Das Wesen leidet an einer recht sonderbaren Hautkrankheit, die außer Kontrolle geraten ist und dazu führte, daß man es ausgesetzt hat — denn sicherlich ist es nicht aus eigener Kraft bis hierher geflogen. Alles deutet auf eine weltraumreisende Spezies hin, die Opfer eines Leidens ist, vor dem sie eine solche Angst hat, daß sie die Kranken noch lebend ins All aussetzt.

Wie Sie wissen, besitze ich nicht die Qualifikation, extraterrestrische Krankheiten zu behandeln, und das Lebewesen ist zu groß, um es an Bord zu nehmen. Wir könnten allerdings unsere Hyperraumhülle ausdehnen und es bis zum Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwölf ins Schlepptau nehmen.

Das wäre doch mal eine angenehme Abwechslung von diesem alltäglichen Kartographieren. Außerdem bin ich da noch nie gewesen“, fügte Brenner hoffnungsvoll hinzu. „Wie ich gehört hab, sollen dort nicht alle Schwestern sechs Beine haben.“

Der Captain schwieg für einen Augenblick und nickte dann. „Aber ich war schon mal da“, bemerkte er grinsend. „Manche Schwestern haben sogar noch mehr als sechs.“

Eingerahmt im Heckbildschirm des Rettungsschiffs, hing im galaktischen Sektor zwölf die gewaltige Konstruktion des Orbit Hospitals wie ein riesiger, zylindrischer Weihnachtsbaum frei im Raum. Die meisten der zigtausend Fenster waren fast durchgehend hell erleuchtet, wobei die Beleuchtung in den verrücktesten Farbkombinationen und unterschiedlichsten Stärken ausfiel, um den jeweiligen Ansprüchen der Sehorgane der Patienten und Mitarbeiter gerecht zu werden. Auf den dreihundertvierundachtzig Ebenen dieser einmaligen Einrichtung konnten die Umweltbedingungen sämtlicher der galaktischen Föderation bekannten Spezies reproduziert werden — ein biologisches Spektrum, das bei den unter extremen Kältebedingungen lebenden Methanarten begann und über die eher normalen Sauerstoff- und Chloratmer bis hin zu den Exoten reichte, die von der direkten Umwandlung harter Strahlung lebten.

Zusätzlich zu den Patienten, deren Anzahl und physiologische Klassifikationen sich ständig veränderten, gab es medizinisches sowie Wartungspersonal, das sich aus mehr als sechzig verschiedenen Lebensformen mit ebenso vielen unterschiedlichen Verhaltensweisen, Körpergerüchen und Lebensanschauungen zusammensetzte.

Die Mitarbeiter des Hospitals konnten sich rühmen, daß für sie kein Fall zu groß, zu klein oder zu hoffnungslos war, und ihr fachliches Können und ihre tatkräftige Unterstützung stand in der gesamten Galaxis hoch im Kurs. Das hochqualifizierte Personal des Orbit Hospitals erledigte seine Arbeit zwar mit viel Engagement, war aber nicht immer ganz ernsthaft bei der Sache, und Chefarzt Doktor Conway konnte sich nicht von dem Gedanken befreien, daß ihm jemand bei dieser Gelegenheit einen heimtückischen Streich spielen wollte.

„Selbst jetzt, wo ich es sehe, kann ich es noch nicht recht glauben“, sagte er.

Pathologin Murchison, die neben ihm stand, starrte kommentarlos auf das Bild der Torrance und ihres Schleppguts.

Leicht zitternd haftete Dr. Prilicla mit seinen sechs zerbrechlichen Beinen, die an der Spitze mit Saugnäpfen versehen waren, an der Decke des Kontrollraums und sagte: „Immerhin könnte sich das als eine interessante berufliche Herausforderung erweisen, mein Freund.“

Die rollenden Schnalzlaute seiner melodischen cinrusskischen Sprache wurden zunächst von Conways Translator empfangen, dann zum gewaltigen Übersetzungscomputer im Zentrum des Hospitals übertragen und schließlich ohne merkbare Verzögerung als klang- und emotionsloses Terranisch wieder zu seinem Kopfhörer zurückgesendet. Wie nicht anders zu erwarten war, fiel seine Entgegnung freundlich, höflich und jeden Streit vermeidend aus.

Prilicla war ein sechsbeiniges, insektenartiges Wesen mit einem Ektoskelett und zwei schillernden, nicht ganz verkümmerten Flügelpaaren. Diese Wesen besaßen hochentwickelte empathische Fähigkeiten. Nur auf seinem Heimatplaneten Cinruss, auf dem weniger als ein Achtel der Erdanziehungskraft herrschte, hatte eine Insektenspezies zu solcher Größe heranwachsen und mit der Zeit Intelligenz und eine fortschrittliche Zivilisation entwickeln können. Im Orbit Hospital allerdings befand sich Prilicla den größten Teil seines Arbeitstags in echter Todesgefahr. Außerhalb seiner Unterkunft mußte er überall Schwerkraftneutralisatoren, sogenannte G-Gürtel, tragen, weil er unter dem Druck der Anziehungskraft, den die Mehrheit seiner Kollegen für normal hielt, regelrecht zermalmt worden wäre. Und wenn sich Prilicla mit irgend jemandem unterhielt, begab er sich sofort außer Reichweite seines Gegenübers, denn schon durch eine einzige gedankenlose Bewegung eines Arms oder Tentakels seines Gesprächspartners hätte ihm ein Bein abgerissen oder gar sein ganzer zerbrechlicher Körper zerstört werden können.

Natürlich wollte niemand im Krankenhaus Prilicla auf irgendeine Weise mutwillig verletzen, denn dazu war er bei allen viel zu beliebt. Durch seine empathischen Fähigkeiten war der kleine Cinrussker dazu gezwungen, zu allen freundlich zu sein und stets die passenden Worte zu finden, um die emotionale Ausstrahlung der Wesen in seiner näheren Umgebung für sich selbst so angenehm wie möglich zu gestalten.

Ganz anders verhielt es sich, wenn ihn seine dienstlichen Pflichten dazu zwangen, sich Schmerzempffndungen und heftigen Emotionen eines Patienten auszusetzen, und eine solche Situation konnte innerhalb der nächsten Minuten auftreten.

Conway drehte sich plötzlich zu Prilicla um und sagte: „Sie können Ihren leichten Schutzanzug tragen, aber halten Sie sich so lange von dem Wesen fern, bis wir Ihnen sagen, daß von ihm keine Gefahr ausgeht, sei es durch eine bewußte oder unbewußte Bewegung dieser Kreatur. Wir selbst sollten die schweren Anzüge anlegen, und zwar in erster Linie, weil sie einfach mehr Haken haben, an die wir unsere Diagnoseausrüstung hängen können. Ich werde den Arzt der Torrance bitten, das gleiche zu tun.“

Eine halbe Stunde später schwebten Schiffsarzt Brenner, Murchison und Conway neben der Gestalt des gewaltigen Vogels, während Prilicla, der eine transparente Plastikblase trug, durch die allein sein knöcherner Unterkiefer und seine Beine hervorragten, neben der Schleuse ihres Rettungsschiffs trieb.

„Keine feststellbare emotionale Ausstrahlung, mein Freund“, berichtete der Empath.

„Das wundert mich nicht“, warf Murchison ein.

„Das Wesen könnte tot sein. Aber als wir es gefunden haben, lag die Körpertemperatur noch weit meßbar über dem durchschnittlichen Wert eines Körpers, der lebendig ist, es sei denn, sie waren zufällig von der schwarzen Substanz überzogen.

Die schwarze Substanz hielt auch chemischen Einwirkungen stand, allerdings nicht die Schalenstücke. Wenn man diese Splitter verschiedenen atmosphärischen Bedingungen aussetzte, schienen die Ergebnisse darauf hinzudeuten, daß sie nicht unter exotischen Lebensbedingungen entstanden sind — also nicht in Atmosphären, die auf Methan, Ammoniak oder gar Chlor basieren. Die chemische Zusammensetzung der Stücke weist als Hauptbestandteil Kohlenwasserstoff aus, und sie reagieren auch nicht, wenn sie kurzzeitig einem sauerstofffreichen Gemisch ausgesetzt werden.“

„Erzählen Sie mir bitte die genauen Einzelheiten der Tests, die Sie durchgeführt haben“, bat Murchison, die plötzlich sehr sachlich und ungemein höffich klang, obwohl der Lieutenant das gar nicht bemerkte. Conway gab Prilicla ein Zeichen näherzukommen, um die hauptberufliche Pathologin und den Amateurpathologen ihr Gespräch allein weiterführen zu lassen.

„Ich glaube nicht, daß sich der Patient bewegen kann“, sagte er zu Prilicla. „Ich weiß nicht einmal, ob er lebt. Lebt er?“

Priliclas Glieder zitterten, als er sich wappnete, eine verneinende Antwort zu geben, wobei er sogar ein ganz klein wenig unangenehm wurde. „Das ist eine irreführende Frage, mein Freund“, entgegnete er. „Alles, was ich sagen kann, ist, daß er nicht ganz tot zu sein scheint.“

„Aber Sie können doch auch die emotionale Ausstrahlung eines schlafenden oder in tiefer Bewußtlosigkeit befindlichen Gehirns wahrnehmen“, erwiderte Conway ungläubig. „Strahlt der Patient denn überhaupt keine Emotionen aus?“

„Nur in sehr geringen Maßen, mein Freund“, antwortete der noch immer zitternde Cinrussker, „aber sie sind zu schwach, als daß ich sie identifizieren könnte.

Der Patient ist sich seiner selbst nicht bewußt, und die kaum wahrzunehmenden Ausstrahlungen stammen nicht aus dem Schädelraum, sondern scheinen vielmehr vom gesamten Körper auszugehen. Einen solchen Eindruck hab ich noch nie gehabt, deshalb kann ich nicht einmal Vermutungen anstellen, da mir ausreichende Informationen oder Erfahrungen fehlen.“

„Wie ich Sie kenne, werden Sie selbstverständlich trotzdem Mutmaßungen anstellen“, bemerkte Conway lächelnd.

„Natürlich“, entgegnete Prilicla. „Es wäre möglich, die emotionale Ausstrahlung, die ich von der Hautoberfläche her bis in einigem Abstand darunter wahrnehmen kann, vielleicht damit zu erklären, daß sich das Wesen in tiefer Bewußtlosigkeit befindet, während gleichzeitig seine Nervenenden unaufhörlich von heftigen Schmerzen stimuliert werden.“

„Aber das würde bedeuten, Sie nehmen nur das an der Peripherie befindliche Nervengeflecht wahr, nicht aber das Gehirn“, sagte Conway. „Das wäre ungewöhnlich.“

„Höchst ungewöhnlich sogar, mein Freund“, erwiderte der Empath. „Das fragliche Gehirn müßte von wichtigen Nervensträngen abgetrennt worden sein oder einen schwerwiegenden strukturellen Schaden erlitten haben.“

Kurz gesagt, dachte Conway, haben wir es wahrscheinlich mit einem Patienten zu tun, den irgendjemand längst aufgegeben hat.

Murchison und Brenner entnahmen nicht nur Proben aus dem Innern des Körpers, wobei sie einen sterilen Bohrer benutzten, sondern sammelten und kennzeichneten auch Späne von der Schale und der schwarzen Substanz, von denen der Patient überzogen war — richtiger gesagt, Murchison entnahm die Proben, während der Lieutenant die winzigen Öffnungen, die der Bohrer hinterließ, wieder verschloß. Conway kehrte mit Prilicla zum Rettungsschiff zurück, um die Unterkunft für den Patienten herzurichten, soweit dies aufgrund ihres begrenzten Wissens über dessen Erfordernisse möglich war — ein leergeräumtes Zimmer, groß genug, daß das Wesen hineinpaßte, mit Vorkehrungen, um es notfalls bändigen zu können, und mit einer auf Sauerstoff basierenden Atmosphäre. Kurz darauf kamen auch Murchison und Brenner wieder an Bord.

Brenner bekam nun zum erstenmal den leibhaftigen Inhalt des Raumanzugs der Pathologin zu sehen, und Prilicla begann sichtlich zu zittern.

Wenn sie nicht gerade von einem schweren Anzug mit einem eingepaßten, undurchsichtigen Sonnenfilter im Visier verdeckt war, dann wies die Pathologin Murchison eine Kombination physiologischer Merkmale auf, die es jedem männlichen terrestrischen Mitglied des Personals unmöglich machte, bei ihrem Anblick eine Haltung zu bewahren, die auch nur entfernt an kühle Gelassenheit erinnerte. Schließlich gelang es dem Lieutenant, seinen Blick von ihr abzuwenden, und er bemerkte Priliclas Zittern.

„Stimmt irgend etwas nicht, Doktor?“ fragte er mit besorgtem Blick.

„Ganz im Gegenteil, Freund Brenner“, antwortete der Empath, der immer noch heftig zitterte. „Eine solche unfreiwillige Körperaktivität meinerseits ist lediglich die Reaktion meiner Spezies auf die große Nähe einer starken, aber nicht unangenehmen emotionalen Strahlungsquelle, die normalerweise mit dem biologischen Drang sich zu paaren in Verbindung gebracht wird.“

Der Cinrussker brach ab und hörte auf zu zittern, denn das plötzlich rot leuchtende Gesicht des Schiffsarztes stand in einem ausgesprochen unharmonischen Gegensatz zu seiner grünen Uniform, und Prilicla spürte seine Verlegenheit.

Murchison lächelte mitfühlend und sagte: „Vielleicht sind ja auch meine emotionalen Ausstrahlungen der Grund für Priliclas Zittern, Lieutenant Brenner. Ich empfinde nämlich große Freude darüber, daß mir Ihre vorausgegangenen Tests und Schlußfolgerungen fast vier Stunden Arbeit in einem sehr lästigen Raumanzug erspart haben. Oder stimmt das etwa nicht, Doktor Prilicla?“

„Aber sicher doch“, antwortete der Empath, dem das Lügen im Blut lag, solange es irgend jemanden, besonders ihn selbst, glücklich machte. „Wissen Sie, Empathie ist nicht annähernd so exakt wie Telepathie, und Fehler dieser Art treten recht häufig auf.“

Conway räusperte sich und sagte: „Sobald wir den Patienten in einem luftleeren Schleusen- und Lagerraum auf Ebene einhundertdrei untergebracht haben, werden wir uns mit O'Mara zusammensetzen. Ich hab ihn bereits informiert. Wir werden den Traktorstrahl des Rettungsschiffs benutzen, um den Patienten in das Hospital zu überführen. Wenn Sie also an Bord der Torrance gebraucht werden, Lieutenant, dann können Sie jetzt.“

Brenner schüttelte den Kopf. „Der Captain würde hier gerne noch einige Zeit verbringen, und mir geht es genauso, wenn ich Ihnen nicht im Weg bin. Es ist das erstemal, daß ich das Orbit Hospital besuche. Sind unter dem medizinischen Personal eigentlich noch. ehm. einige andere Menschen?“

Wenn Sie solche Menschen wie Murchison meinen, lautet die Antwort nein, dachte Conway etwas selbstgefällig. Laut sagte er: „Wir würden Ihre Hilfe natürlich begrüßen. Aber Sie wissen ja gar nicht, worauf Sie sich da einlassen, Lieutenant. Außerdem fragen Sie andauernd nach Menschen im Mitarbeiterstab. Sind Sie vielleicht fremdenfeindlich eingestellt, wenn auch nur ein wenig? Fühlen Sie sich in der Nähe von Extraterrestriern unwohl?“

„Bestimmt nicht“, antwortete Brenner mit Nachdruck und fügte dann hinzu: „Natürlich würde ich keinen davon heiraten wollen.“

Prilicla begann wieder mit dem leichten Zittern. Die rollenden Schnalzlaute in der melodischen Sprache des Cinrusskers bildeten eine angenehm klingende Hintergrundmelodie zu seiner übersetzten Stimme, als er sagte: „Aus der plötzlichen Flut angenehmer emotionaler Ausstrahlungen, für die ich in der gegenwärtigen Situation und der eben erfolgten Unterhaltung keinen ersichtlichen Grund entdecken kann, entnehme ich, daß jemand von Ihnen das gemacht hat, was Menschen einen Witz nennen.“

Auf Ebene einhundertdrei verabschiedete sich Prilicla, um auf seinen Stationen nach dem Rechten zu sehen, während die anderen den Transport des großen Vogels mit den steifen Flügeln in den Lagerraum überwachten. Die pfeilförmigen, teilweise angewinkelten Flügel und der starr gereckte Hals erinnerten Conway an eins der altertümlichen Spaceshuttles. Seine Gedanken schweiften plötzlich ab; er hatte einen interessanten, aber etwas lächerlich anmutenden Geistesblitz, und er mußte sich daran erinnern, daß Vögel im All nicht fliegen können.

Obwohl Murchison den Patienten unter einem Ge künstlicher Schwerkraft bereits ruhiggestellt hatte, brauchte sie weitere drei Stunden, bevor sie alle benötigten Proben und Röntgenaufnahmen beisammen hatte. Ein Teil der Verzögerung entstand, weil alle Beteiligten in Druckanzügen arbeiten mußten — wie Murchison es ausgedrückt hatte, würde nur ein geringes Risiko darin bestehen, den Patienten noch einige weitere Stunden unter luftleeren Bedingungen zu beobachten, bis sie seine atmosphärischen Bedürfnisse exakt bestimmt hätten, andernfalls würde es nämlich unter Umständen darauf hinauslaufen, nur noch seinen Verwesungsprozeß beobachten zu können.

Doch mit jeder verstreichenden Minute wuchsen ihre Kenntnisse über den Patienten, und die Testresultate, die direkt aus der Pathologie zu dem portablen Kommunikator neben ihnen übermittelt wurden, waren nicht nur aufschlußreich, sondern auch äußerst verblüffend. Conway hatte bereits jegliches Zeitgefühl verloren, als der fest installierte Kommunikator ertönte und um ihre Aufmerksamkeit bat. Gleich darauf wurden sie von Major O'Maras Gesicht aus dem Bildschirm heraus finster angeblickt.

„Conway, Sie hatten mit mir vereinbart, vor siebeneinhalb Minuten bei mir zu sein“, sagte der Chefpsychologe. „Zweifellos wollten Sie sich gerade auf den Weg machen, nicht wahr?“

„Tut mir leid, Sir“, entgegnete Conway, „aber die Voruntersuchung dauert länger, als ich vermutet hab, und ich möchte etwas Greifbares zu berichten haben, bevor ich mich mit Ihnen treffe.“

Ein schwaches Rauschen war zu vernehmen, als O'Mara schwer durch die Nase atmete. Im Gesicht des Chefpsychologen konnte man ungefähr so gut lesen wie in einem verwitterten Stück Basalt — mit dem es sogar in mancherlei Hinsicht eine gewisse Ähnlichkeit aufwies —, doch seine Augen enthüllten einen so scharf analytischen Verstand, daß der Major das besaß, was man fast als telepathische Fähigkeiten bezeichnen konnte.

Als Chefpsychologe eines Hospitals mit vielfältigen Umweltbedingungen war er für das geistige Wohlbefinden eines Mitarbeiterstabs verantwortlich, der sich aus mehreren tausend Wesen zusammensetzte, die wiederum mehr als sechzig verschiedenen Spezies angehörten. Obwohl er innerhalb des Monitorkorps nur den Rang eines Majors bekleidete, waren seine Machtbefugnisse innerhalb des Hospitals nur schwer einzugrenzen. Für ihn waren die Mitarbeiter die eigentlichen Patienten, und eine seiner Aufgaben war es, sicherzustellen, daß jedem einzelnen Patienten der für ihn geeignete Arzt zugeteilt wurde, sei er nun Terrestrier oder Extraterrestrier.

Selbst wenn man äußerste Toleranz und gegenseitigen Respekt beim Personal voraussetzte, gab es doch noch Anlässe genug zu Reibereien. Potentiell gefährliche Situationen entstanden in erster Linie durch Unwissenheit und Mißverständnisse, aber auch wenn ein Wesen eine neurotische Xenophobie entwickelte, die seine geistige Stabilität oder Leistungsfähigkeit oder beides zusammen beeinträchtigte. Ein Arzt von der Erde zum Beispiel, der eine unbewußte Angst vor Spinnen hatte, würde einem cinrusskischen Patienten niemals eine angemessene klinische Versorgung zuteil werden lassen können, die zu seiner Behandlung notwendig wäre. Und wenn jemand wie Prilicla solch einen terrestrischen Patienten zu behandeln hätte, dann.

Ein großer Teil seiner Arbeit bestand darin, solche Streitigkeiten innerhalb des medizinischen Stabs rechtzeitig zu entdecken und auszuräumen, während andere Mitglieder seiner Abteilung dafür sorgten, daß sich das Problem nicht so weit auswuchs, daß Patienten davon betroffen wurden. Nach O'Maras eigenen Angaben war das hohe Niveau der psychischen Stabilität innerhalb des bunten Haufens der häufig hochsensiblen Mitarbeiter allein darauf zurückzuführen, daß sie schlichtweg viel zuviel Angst vor ihm hatten, um durchzudrehen.

Mit leicht sarkastischem Unterton erwiderte er nun: „Doktor Conway, ich gebe uneingeschränkt zu, daß dieser Patient selbst für Ihre Maßstäbe ungewöhnlich ist, aber Sie müssen doch wenigstens ein paar simple Tatsachen über ihn und seinen Zustand herausgefunden haben. Lebt er? Ist er krank oder verletzt? Besitzt er Intelligenz? Oder verplempern Sie Ihre Zeit nur an einem etwas zu groß geratenen Truthahn, der im All tiefgefroren wurde?“

Conway überhörte O'Maras bissige Randbemerkungen und versuchte, nur die ernst gemeinten Fragen zu beantworten, als er erwiderte: „Der Patient lebt zwar noch, allerdings nur noch sehr schwach. Aber allen Anzeichen nach ist er nicht nur krank — die genaue Natur der Erkrankung ist uns bislang noch unbekannt —, sondern leidet auch an einer schweren Verletzung. Nämlich an einem Durchschuß durch den unteren Halsabschnitt und den oberen Brustbereich, der durch ein großes Hochgeschwindigkeitsprojektil oder einen stark gebündelten Hitzestrahl hervorgerufen worden sein könnte. Der Ein- und der Ausschuß sind durch die schwarze Bespannung oder den Überwuchs um den Körper — wir wissen noch nicht, was von beidem zutrifft — verschlossen. Was die Möglichkeit eventuell vorhandener Intelligenz angeht, so ist sie wegen der Größe des Gehirnvolumens nicht auszuschließen. Aber das Gehirn befindet sich in zu tiefer Bewußtlosigkeit, als daß es Emotionen ausstrahlen könnte. Die Greiforgane, deren hoher oder niedriger Spezialisierungsgrad uns einen wertvollen Hinweis auf das Vorhandensein von Intelligenz hätten geben können, sind entfernt worden.

Übrigens nicht von uns“, fügte Conway rasch hinzu.

O'Mara war einen Augenblick lang still, dann sagte er: „Ich verstehe. Also handelt es sich wieder einmal um einen Ihrer trügerisch einfachen Fälle. Und zweifellos werden Sie wieder einmal trügerisch einfache Sonderwünsche äußern. Spezielle Unterbringung, diverse Physiologiebänder oder Informationen über seinen Herkunftsplaneten.“

Conway schüttelte den Kopf „Ich glaube nicht, daß Sie irgendein Physiologieband haben, das den Typus dieses Patienten auch nur annähernd abdeckt. Alle uns bekannten geflügelten Spezies sind Wesen, die unter geringer Schwerkraft leben, und unser Patient hier hat Muskeln, die auf eine Anziehungskraft von vier Ge schließen lassen. Die gegenwärtige Unterbringung ist ausgezeichnet, obwohl wir aufpassen müssen, falls es eine Verseuchung von oder in der Chlorebene über uns geben sollte — die Luken zu den Lagerräumen wie diesem hier sind im Gegensatz zu den Stationsschleusen nicht für regelmäßigen Verkehr gebaut.“

„Davon hatte ich natürlich bis heute keinerlei Ahnung.“, warf O'Mara ein.

„Entschuldigen Sie, Sir“, erwiderte Conway. „Ich hab lediglich laut gedacht, und das auch im Interesse von Schiffsarzt Brenner, der dieses Tollhaus zum erstenmal besucht. Bezüglich der Informationen über den Heimatplaneten des Patienten möchte ich Sie bitten, sich an Colonel Skempton zu wenden und ihn zu fragen, ob es möglich wäre, daß die Torrance zu diesem Gebiet zurückkehrt, um die beiden etwas näher gelegenen Sternsysteme nach Lebewesen mit der gleichen physiologischen Klassifikation abzusuchen.“

„Mit anderen Worten“, resümierte O'Mara trocken, „Sie haben ein schwieriges medizinisches Problem und glauben, die beste Lösung wäre, den Hausarzt des Patienten ausfindig zu machen, stimmt's?“

Conway lächelte und antwortete: „Wir brauchen mit den Bewohnern des Planeten nicht vollständig in Kontakt zu treten. Es reicht wahrscheinlich, einen kurzen Blick auf die Exemplare des dort existierenden pflanzlichen und tierischen Lebens zu werfen, Atmosphäreproben zu nehmen und, wenn es der Besatzung der Torrance nichts ausmachen würde, eine Sonde auszusetzen.“

An diesem Punkt unterbrach O'Mara die Verbindung mit einem unübersetzbaren Laut. Und jetzt, wo sie mit dem Patienten alles gemacht hatten, was sie aufgrund der wenigen Kenntnisse, die sie über ihn hatten, machen konnten, bemerkte Conway erst, wie hungrig er war.

Um die für warmblütige Sauerstoffatmer vorgesehene Kantine zu erreichen, mußten sie zwei Ebenen und ein Geflecht von Korridoren durchqueren, die keine Schutzanzüge erforderten. Die Gänge waren von flatternden, kriechenden und sich wellenförmig fortbewegenden Lebewesen bevölkert, die gelegentlich an ihnen vorbeikamen. Am Eingang wurden sie bereits von Dr. Prilicla empfangen, der eine grüne Mappe mit Pathologieberichten bei sich trug.

Als sie die Kantine betraten, wurde gerade der letzte Tisch für Terrestrier von einer Gruppe krabbenähnlicher Melfaner und einem Tralthaner in Beschlag genommen. Melfaner konnten sich den für sie niedrigen Stühlen anpassen, und die Tralthaner erledigten auf ihren sechs Elefantenbeinen sowieso fast alles, selbst das Schlafen. Prilicla erspähte einen freien Tisch im kelgianischen Bereich und flog sofort hinüber, um ihn zu besetzen, bevor ein Wartungstechnikertrupp des Monitorkorps ihn erreichen konnte. Glücklicherweise befand er sich noch außerhalb der Reichweite der emotionalen Ausstrahlungen dieser Monitore.

Conway begann, die Berichte eifrig durchzublättern, während Murchison dem Lieutenant zeigte, wie man auf der Kante eines kelgianischen Stuhls balancieren mußte, um in die Reichweite des von ihm bestellten Essens zu gelangen. Doch diesmal war Brenners Aufmerksamkeit ausnahmsweise einmal nicht auf die hübsche Pathologin gerichtet. Er starrte vielmehr verblüfft auf Prilicla, wobei sich seine Augenbrauen fast bis zum Haaransatz hoben.

„Cinrussker ziehen es vor, schwebend zu essen. Sie sagen, das fördert die Verdauung“, erklärte Murchison und fügte hinzu: „Außerdem trägt die von den Flügeln aufgewirbelte Luft zum Abkühlen der Suppe bei.“

Prilicla schwebte unverändert weiter, während sich die Tischrunde aufs Essen konzentrierte, das immer nur kurz unterbrochen wurde, um die Berichte weiterzureichen. Schließlich wandte sich Conway, der sich mittlerweile angenehm gesättigt fühlte, an den Cinrussker.

„Ich weiß nicht, wie Sie das fertiggebracht haben“, lobte er ihn freundlich. „Wenn ich mal einen schnellen Bericht von Thornnastor haben will, dann heißt es immer nur, daß noch etliche vor mir dran seien und alles immer hübsch der Reihe nach gehe.“

Prilicla mußte aufgrund des Kompliments unwillkürlich zittern und erwiderte: „Ich hab durchaus wahrheitsgemäß beteuert, daß unser Patient im Sterben liegt.“

„Aber bestimmt nicht, daß er sich in diesem Zustand bereits seit langer Zeit befindet“, bemerkte Murchison.

„Bist du dir da auch wirklich sicher?“ fragte Conway verdutzt.

„Inzwischen ja“, antwortete sie ernsthaft, wobei sie auf einen der Berichte tippte. „Allen Anzeichen nach wurde die große Durchschußwunde erst einige Zeit nach der Erkrankung durch einen Meteoriteneinschlag hervorgerufen, und das heißt, Rankenfüßer und Überzugsubstanz waren am rechten Platz, denn die Substanz floß in und um die Wunde und hat sie auf diese Weise wirkungsvoll wieder verschlossen.

Des weiteren beweisen diese Tests, daß ein sehr kompliziertes chemisches Verfahren zum Hervorrufen eines Scheintods — nicht bloße Hypothermie — eingesetzt wurde. Ein Verfahren, bei dem ein Organ nach dem anderen, beinahe eine Zelle nach der anderen, mit einem geeigneten Mittel durch Mikroinjektionen behandelt wurde. In gewisser Weise könnte man es sich so vorstellen, daß das Wesen einbalsamiert wurde, bevor es ganz tot war, um sein Leben zu verlängern.“

„Und was ist mit den fehlenden Beinen oder Klauen und den Verbrennungsspuren unter dem Überzug im Bereich hinter den Flügeln?“ fragte Conway. „Und was ist mit den Rankenfüßern in diesem Bereich, die sich ja von den anderen zu unterscheiden scheinen?“

„Es ist möglich“, antwortete Murchison, „daß die Krankheit zuerst die Beine oder Klauen des Wesens befallen hat, vielleicht während seiner dem Nisten entsprechenden Tätigkeit. Das Entfernen der Gliedmaßen und die von dir erwähnten Verbrennungsspuren könnten von früheren vergeblichen Versuchen herrühren, den Patienten zu heilen. Du mußt bedenken, daß praktisch alle unbrauchbaren Körperteile des Wesens entfernt wurden, bevor man diesen Überzug angebracht hat. Das ist vor einem medikamentös herbeigeführten Dauerschlaf, einer Anästhesie oder schweren Operation ein durchaus normales Verfahren.“

Das nun folgende Schweigen wurde vom Lieutenant unterbrochen, der sagte: „Entschuldigen Sie, ich komme da nicht mehr ganz mit. Was genau wissen wir über diese Krankheit oder Wucherung?“

Wie Murchison ausführte, wußten sie bereits, daß die äußeren Symptome der Krankheit die rankenfüßerartigen Wucherungen waren, die die Haut des Patienten so vollständig bedeckten, daß sie einem Anzug aus Kettenpanzern gleichkamen. Offen war jedoch noch die Frage, ob diese Rankenfüßer ein Hautleiden darstellten, das Wurzelfasern getrieben hatte, oder ob es sich um eine subkutane Krankheit mit einem rankenfüßerähnlichen Ausschlag auf der Hautoberfläche handelte. In beiden Fällen jedoch wurden sie von einem dicken Bündel feiner Wurzelfasern festgehalten, die sich bis zu unbekannter Tiefe in den Patienten hinein erstreckten und verästelten. Diese Fasern durchdrangen nicht nur das subkutane Zellgewebe und die darunterliegende Muskulatur, sondern praktisch sämtliche lebenswichtigen Organe und das zentrale Nervensystem. Und die Wurzelfasern waren hungrig. Wegen des Zustands des unter den Rankenfüßern liegenden Zellgewebes konnte es keinen Zweifel daran geben, daß dies eine ernsthafte Erkrankung in einem bereits fortgeschrittenen Stadium war, die den Patienten von innen auszuzehren drohte.

„Hätte man Sie bloß schon früher zu diesem Fall hinzugezogen“, bemerkte Brenner bewundernd. „Der Patient ist also anscheinend erst hermetisch eingeschlossen worden, als er kurz vorm Tod stand, richtig?“

Conway nickte und sagte: „Aber der Fall ist nicht hoffnungslos. Ein paar unserer ETs wenden spezielle mikrochirurgische Techniken an, die es ihnen ermöglichen werden, diese Wurzelfasern herauszuschneiden, selbst die, die sich in den Nervensträngen verwickelt haben. Das ist allerdings ein sehr langwieriges Verfahren, und es besteht die Gefahr, daß wir nicht nur den Patienten, sondern gleichzeitig auch dessen Krankheit wiederbeleben, die dann womöglich schnellere Fortschritte als die mikrochirurgische Behandlung selbst macht. Ich glaube, die Lösung liegt darin, soviel wie möglich über die Krankheit herauszufinden, bevor wir irgend etwas anderes unternehmen.“

Als sie zum Patienten zurückkehrten, lag dort bereits eine Nachricht von O'Mara bereit, die besagte, daß die Torrance mit dem Versprechen gestartet sei, innerhalb von drei Tagen Vorberichte über die zwei der Fundstelle nächstgelegenen Sonnensysteme zu erstatten. Während dieser drei Tage rechnete Conway fest damit, Methoden entwickelt zu haben, um die Umhüllung und die Rankenfüßer vom Patienten zu entfernen, die Krankheit zum Stillstand zu bringen und einen heilenden chirurgischen Eingriff einzuleiten, so daß die Berichte des Aufklärungsschiffs nur noch benötigt würden, um eine geeignete Unterkunft für die Genesung des Patienten herzurichten.

Doch während dieser drei Tage erzielten sie so gut wie keinerlei Fortschritte.

Die Substanz, die den Patienten und die Rankenfüßer gleichermaßen umgab, konnte mit großer Schwierigkeit und enormem Zeitaufwand angebohrt und weggebrochen werden. Der Vorgang hatte Ähnlichkeit mit der Säuberung eines Fossils, ohne es zu beschädigen, und dieses besondere Fossil war fünfzehn Meter lang und maß über vierundzwanzig von der einen Spitze seiner teilweise gefalteten Flügel bis zur anderen. Als Conway betonte, die Pathologie würde eine schnellere Methode, den Patienten zu schälen, entwickeln können, erklärte man ihm, daß der Überzug eine komplizierte organische Substanz sei und die zu seiner Auflösung entwickelten Mittel eine große Menge giftiger Gase freisetzen würden — giftig sowohl für den Patienten als auch für die ihn behandelnden Ärzte. Außerdem würde die Schalensubstanz der Rankenfüßer von dem Lösungsmittel sofort zersetzt, und das wäre weder für die Haut des Patienten noch für das darunterliegende Zellgewebe gut. Also machte man sich wieder daran, zu bohren und die steinharte Masse abzuschlagen.

Murchison, die fortwährend Mikroproben der von den Wurzelfasern befallenen Stellen entnahm, gab zwar aufschlußreiche Informationen, die aber alles andere als ermutigend waren.

„Ich will dich ja nicht überreden, diesen Patienten aufzugeben“, sagte sie mitfühlend zu Conway, „aber du solltest dich allmählich an diesen Gedanken gewöhnen. Neben dem weit ausgebreiteten Gewebeverlust gibt es nämlich Anzeichen von strukturellen Schäden an der Flügelmuskulatur, Schäden, die der Vogel sich sehr gut selbst zugefügt haben kann. Und ich vermute, der Patient hat sogar einen Herzmuskelriß. Das bedeutet, sowohl einige große chirurgische Eingriffe vornehmen zu müssen, als auch.“

„Diese Herz- und Muskelschädigung“, unterbrach Conway sie scharf, „könnte die nicht von dem Patienten selbst verursacht worden sein, als er versucht hat, sich von seiner Hülle zu befreien?“

„Das ist zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich“, antwortete Murchison mit einer Stimme, die Conway daran erinnerte, daß er sich gerade nicht mit einer jungen und unerfahrenen Assistenzärztin unterhielt und sich vergangene und gegenwärtige Liebesverhältnisse ohne große Vorwarnung ändern konnten. „Dieser Überzug ist zwar hart, aber verhältnismäßig dünn, und die Hebelwirkung der Flügel des Patienten ist beträchtlich. Ich würde sagen, die Herz- und Muskelschädigung trat auf, noch bevor der Patient eingeschlossen wurde.“

„Es tut mir leid, wenn ich dich eben ein wenig.“, begann Conway.

„Außerdem ist es nun einmal eine Tatsache“, führ Murchison ungerührt fort, „daß die Rankenfüßer auf dem Kopf und am Rückgrat entlang dicht übereinander gewachsen sind. Selbst mit unseren Zellgewebe- und Nervenregenerationstechniken wird der Patient vielleicht nie wieder in der Lage sein, zu denken oder sich zu bewegen, auch wenn wir es schaffen sollten, ihn in einen eigentlich lebendigen Zustand zurückzuversetzen.“

„Ehrlich gesagt, war ich mir nicht im klaren darüber, daß es so ernst um ihn bestellt ist“, entgegnete Conway matt. „Aber es muß doch irgend etwas geben, das wir tun können.“ — er versuchte, seine Gesichtsmuskeln zu einem Lächeln zu verziehen — „…und sei es nur, um Brenners Illusionen von den Wunderheilern des Orbit Hospitals aufrechtzuerhalten.“

Brenner hatte die ganze Zeit vom einen zum anderen geschaut und sich offensichtlich gefragt, ob es sich hierbei um eine lebhafte Fachdiskussion oder um den Anfang eines Familienkrachs handelte. Doch der Lieutenant war ein ebenso taktvoller wie auch aufmerksamer Mensch, und er sagte nur: „Ich hätte den Patienten schon viel früher aufgegeben.“

Bevor jemand antworten konnte, ertönte der Kommunikator, und der Chef der Pathologie, Thornnastor, erschien auf dem Bildschirm.

„Meine Abteilung hat lange und gewissenhaft daran gearbeitet, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem man die Überzugsubstanz auf chemischem Weg entfernen könnte, aber leider vergebens“, sagte der Tralthaner. „Allerdings wird die Substanz durch große Hitze angegriffen. Bei hohen Temperaturen zerbröckelt die Oberfläche, die Aschenablagerung kann man abkratzen oder wegblasen, um der Substanz dann erneut Hitze zuzuführen. Diesen Vorgang kann man gefahrlos wiederholen, bis der Überzug so dünn geworden ist, daß man ihn in großen Stücken und ohne Schaden für den Patienten entfernen können müßte.“

Conway erhielt die genauen Werte der Schmelztemperatur und der Dicke des Überzugs und dankte Thornnastor. Dann bat er über den Kommunikator die Versorgungsabteilung um Schneidbrenner und die Fachleute für deren Bedienung. Murchisons Zweifel bezüglich der Ratsamkeit eines Heilungsversuchs hatte er zwar nicht vergessen, aber er mußte weiterhin alles versuchen. Er verstand nicht, warum der große, kranke Vogel als geflügelte Leiche enden sollte, und er würde es allenfalls erst dann verstehen, wenn sie soviel wie möglich über die Krankheit des Patienten erfahren hatten.

Weil eine solch extreme Hitzebehandlung noch unerprobt war, begannen sie nahe am Schwanz, wo die lebenswichtigen Organe sehr tief lagen und eine Stelle bereits in Mitleidenschaft gezogen worden war — wahrscheinlich durch ihre medizinischen Vorgänger.

Nach nur einer halben Stunde unaufhörlicher Hitzebehandlung hatten sie ihr erstes Erfolgserlebnis seit drei Tagen: Sie entdeckten einen Rankenfüßer, der mit der Oberfläche nach unten im Patienten eingebettet war. Seine Wurzelfaserstränge breiteten sich fächerförmig aus, um sich mit den anderen Rankenfüßern zu verknüpfen, doch ein paar von ihnen bogen sich am Rande des Schalenpanzers entlang nach unten und drangen in den Patienten ein. Die Oberfläche des Wurzelfasergeflechts wurde deutlich sichtbar, als die Flamme des Brenners die Substanz zu einem feinen, glühenden Gewebe verbrannte. Eine der kurz aufglühenden Wurzelfasern verlief zu einem Rankenfüßer, der größer war und eine andere Form hatte.

Geduldig strichen sie mit den Schweißbrennern über beide Rankenfüßer und deren unmittelbare Umgebung und wischten die bröckeligen Schichten des Überzugs ab, bis er hauchdünn war. Dann zerbrachen sie ihn, schälten vorsichtig die Reste ab und konnten zwei perfekte Exemplare vom Vogel abnehmen.

„Sind die wirklich tot?“ fragte Conway. „Oder schlafen die nur?“

„Die sind tot“, antwortete Prilicla.

„Und der Patient?“

„Noch lebt er, mein Freund, aber die Ausstrahlungen sind äußerst schwach und diffus.“

Conway untersuchte die durch die Entfernung der zwei Exemplare freigelegten Stellen. An einer befand sich jetzt eine schmale, tiefe Mulde, die den Umrissen des umgedrehten Schalenpanzers entsprach. Das darunterliegende Zellgewebe wies Anzeichen eines starken Drucks auf, und die in geringer Anzahl vorhandenen Wurzelfasern waren viel zu schwach und zu dünn, als daß sie den Rankenfüßer so fest am Patienten hätten verankern können. Irgend etwas oder irgend jemand mußte den Rankenfüßer mit beachtlicher Kraft in diese Lage gedrückt haben.

Das zweite und etwas andersartige Exemplar war anscheinend nur von der Überzugsubstanz festgehalten worden; denn es besaß gar keine Wurzelfasern, dafür aber Flügel, die in lange Schlitze in seiner Schale eingeschlossen waren, und das war bei näherer Untersuchung auch beim ersten Typ der Fall.

Prilicla ließ sich neben ihnen nieder und zitterte leicht und unregelmäßig in jener Manier, die bei ihm Aufregung anzeigte. „Sie werden bemerkt haben, daß dies zwei vollkommen verschiedene Arten sind, mein Freund“, sagte er. „Bei beiden handelt es sich um relativ große, geflügelte Insekten von dem Typus, der einen Planeten mit geringer Schwerkraft und einer breiten Lufthülle benötigt, nicht unähnlich meinem Heimatplaneten Cinruss. Es ist möglich, daß die erste Art ein räuberischer Parasit und die zweite sein natürlicher Feind ist, der von dritter Seite als Versuch, den Patienten zu heilen, hinzugefügt wurde.“

Conway nickte. „Das würde erklären, warum sich Typ eins auf den Rücken drehte, als sich ihm Typ zwei näherte.“

„Ich hoffe, deine Theorie ist flexibel genug, um noch eine weitere Tatsache gelten zu lassen“, bemerkte Murchison fast entschuldigend. Sie hatte hartnäckig an einem Stück des Überzugs geschabt, das noch immer in einem kurzen Schlitz des Rankenfüßers haftete. „Die Überzugsubstanz wurde nicht von dritter Seite angebracht, es handelt sich um eine Körperabsonderung der ersten Rankenfüßerart.

Wenn du nichts dagegen hast, werde ich diese beiden Dinger mit in die Pathologie nehmen, um sie mir einmal etwas gründlicher anzusehen.“

Nachdem sie gegangen war, sagte mehrere Minuten lang niemand etwas. Prilicla fing erneut zu zittern an, und nach dem Ausdruck in Brenners Gesicht zu urteilen, lag es an etwas, das der Lieutenant gerade empfand.

„Wenn diese Parasiten für den Überzug verantwortlich sind“, sagte er etwas wehleidig, „dann hat es auch keinen früheren Versuch gegeben, den Patienten zu heilen. Unser Patient, der hohe Schwerkraft benötigt, ist wahrscheinlich auf dem Planeten dieser fliegenden Rankenfüßer, der nur geringe Schwerkraft besitzt, angegriffen worden. Die Ranken oder Wurzelfasern dieser parasitären Lebensformen sind in ihn eingedrungen, haben seine Muskeln und sein Nervensystem lahmgelegt und ihn in einer. in einer Art Schale aus langsam fressenden Maden eingeschlossen, als er noch nicht einmal tot war.“

„Als Arzt sollten Sie etwas mehr inneren Abstand bewahren, Lieutenant“, ermahnte ihn Conway. „Sie stören Prilicla. Selbst wenn so etwas Ähnliches möglicherweise passiert sein kann, gibt es immer noch einige unangenehme Randerscheinungen, die nicht dazu passen. Mich stört zum Beispiel nach wie vor das eingepreßte Gewebe unter dem umgedrehten Rankenfüßer.“

„Vielleicht hat der Patient darauf gesessen“, warf Brenner zornig ein, der offensichtlich hin und wieder auf Kosten seines guten Benehmens seine Gefühle abreagieren mußte. „Und ich kann verstehen, warum ihn seine Freunde ins All geworfen haben — etwas anderes blieb ihnen wahrscheinlich gar nicht übrig.“

Er hielt kurz inne und sagte dann: „Entschuldigung, Doktor. Aber gibt es noch irgend etwas anderes, das Sie für den Patienten tun können?“

„Zumindest gibt es etwas, das wir versuchen können.“, gab Conway grimmig zur Antwort.

Laut Prilicla gab ihr Patient kaum noch Lebenszeichen von sich, und da sie jetzt wußten, daß es sich bei den Rankenfüßern nicht nur um einen normalen Oberflächenausschlag, sondern um angreifende Organismen handelte, mußten diese Parasiten und der von ihnen abgesonderte Überzug so schnell wie möglich entfernt werden. Bei der Beseitigung der Ranken würde es sich zwar um eine heikle, zeitraubende Arbeit handeln, aber immerhin reagierte die Oberflächenbeschaffenheit auf die Hitze. Und wenn die Rankenfüßer erst einmal entfernt waren, müßte sich der Patient wieder soweit erholt haben, daß er Conway bei der Behandlung behilflich sein könnte. Zudem hatte die Pathologie bereits verschiedene Verfahrenstechniken vorgeschlagen, mit denen man seine lahmgelegten Lebensprozesse wieder in Gang bringen könnte.

Conway benötigte für sein Vorhaben wenigstens fünfzig Schneidbrenner, die mit Lufthochdruckschläuchen ausgestattet waren, um gleichzeitig die Asche wegzublasen. Er wollte mit dem Abfackeln der Substanz an Kopf, Hals, Brust und im Bereich der Flügelmuskulatur beginnen, um den Patienten zunächst vor dem Zugriff der Rankenfüßer an Gehirn, Lunge und Herz zu befreien. Falls sich das Herz in einem kritischen Zustand befinden sollte, wäre es zudem notwendig, im Rahmen einer Notoperation einen Bypass zu legen — Murchison hatte zu diesem Zweck bereits den Verlauf der Arterien und Venen in diesem Bereich genau aufgezeichnet. Und für den Fall, daß der Patient sich wehren oder mit den Flügeln um sich schlagen sollte, würden sie schwere Schutzanzüge benötigen.

Aber nein — in erster Linie brauchte Prilicla, der die emotionale Ausstrahlung während der Operation überwachen sollte, größtmöglichen Schutz. Die anderen müßten eben ausweichen, bis der Patient mit Pressorstrahlen bewegungsunfähig gemacht worden war — denn würde eine Notoperation erforderlich werden, wären schwere Anzüge sowieso nur hinderlich. Des weiteren mußte man den Kommunikator in eine Seitenkammer bringen, damit er nicht beschädigt werden konnte; denn eventuell würde man die angrenzenden Ebenen alarmieren müssen, wo verschiedene Spezialistenstäbe auf Abruf bereitzustehen hatten.

Während er die notwendigen Anweisungen gab, ging Conway geschäftig auf und ab, ohne dabei allerdings in Hektik zu verfallen, und seine Stimme klang ruhig und zuversichtlich. Trotzdem hatte er dabei die ganze Zeit das vage, aber dennoch nachhaltige Gefühl, daß er ständig nur die falschen Dinge sagte, tat und — vor allem — dachte.

O'Mara billigte die vorgesehene Behandlungsmethode zwar nicht, mischte sich aber auch nicht ein. Er stellte Conway lediglich die Frage, ob er den Patienten zu heilen oder zu grillen beabsichtige, und fügte hinzu, daß noch immer kein Bericht von der Torrance eingetroffen sei.

Schließlich waren sie soweit. Die Wartungstechniker wurden mit Schneidbrennern und zischenden Luftschläuchen, die vom Patienten weggerichtet waren, rings um den Kopf, den Hals und die Vorderkanten der Flügel des Riesenvogels postiert. Hinter ihnen standen die medizinischen Fachkräfte und Spezialtechniker in Warteposition, ausgerüstet mit Wiederbelebungsgeräten und — mitteln, einer universell einsetzbaren Herz-Lungen-Maschine und den glänzenden, sterilen Instrumenten ihrer ärztlichen Zunft. Für den Fall, daß der Patient allzu plötzlich wieder zum Leben erwachen sollte und sie in Deckung gehen mußten, waren die Türen zu den Seitenkammern geöffnet und festgeklemmt worden.

Eigentlich gab es keinen logischen Grund mehr, noch länger zu warten, und Conway gab das Startsignal. Nur wenige Sekunden später ertönte der Kommunikator, und Murchison, die ziemlich zerzaust und mürrisch aussah, erschien auf dem Bildschirm.

„Es hat hier einen leichten Unfall gegeben, eine Explosion“, berichtete sie. „Unser Typ zwei ist durch das Labor geflogen, hat ein paar Testgeräte beschädigt und mich fast zu Tode.“

„Aber er war doch tot“, unterbrach Conway sie mürrisch. „Die waren doch beide tot. hat Prilicla jedenfalls gesagt!“

„Das ist er auch immer noch“, antwortete Murchison, „und er ist auch nicht direkt geflogen. er ist von uns weggeschossen. Ich bin mir über den Mechanismus des Vorgangs noch nicht ganz sicher, aber anscheinend erzeugt das Ding in seinem Darmtrakt Gase, die als Gemisch explosiv reagieren und es nach vorn schnellen lassen. In Verbindung mit seinen Flügeln benutzt, könnten diese Gase dem Wesen helfen, sich schnell bewegenden natürlichen Feinden wie dem anderen Rankenfüßer zu entkommen. Als ich mit der Arbeit begonnen hab, mußten die Gase noch vorhanden gewesen sein.

Es gibt eine ähnliche Spezies, nur viel kleiner, die auf der Erde beheimatet ist. Als Vorbereitung auf die ET-Kurse haben wir die ausgefalleneren Tierarten der irdischen Fauna studiert. Diese Lebewesen wurden Bombardierkäfer genannt, und sie konnten.“

„Doktor Conway!“

Er wandte sich abrupt vom Bildschirm ab und rannte sofort in den Hauptsaal — man brauchte kein Empath zu sein, um auch so zu bemerken, daß irgend etwas Ernsthaftes passiert sein mußte.

Der Teamleiter der Wartungstechniker winkte Conway verzweifelt zu sich herüber, und Prilicla, eingeschlossen in seiner kugelförmigen Schutzhülle und getragen von einem künstlichen Schwerkraftneutralisator, dem sogenannten G-Gürtel, schwebte über dem Kopf des Mannes und zitterte am ganzen Körper.

„Zunehmende emotionale Ausstrahlung, mein Freund“, berichtete der Empath. „Das läßt auf rasch zurückkehrendes Bewußtsein schließen. Ich empfange Gefühle von Furcht und Bestürzung.“

Ein wenig von dieser Bestürzung kommt sicherlich von mir, dachte Conway.

Der Wartungsmonteur zeigte einfach mit dem Finger auf eine Stelle des Patienten.

Statt des harten Überzugs, den Conway zu sehen erwartet hatte, floß, kleckerte und tropfte dort langsam eine schwarze, zähflüssige Masse auf den Boden. Während er die Stelle beobachtete, auf die die Flamme gerichtet gewesen war, löste sich gerade diese Masse von einem der Rankenfüßer, der jetzt zuckte und seine Flügel ausbreitete. Er fing damit an zu schlagen, zuerst langsam, dann hob er vom Patienten ab, wobei er seine langen Ranken aus dem Vogel zog, bis er sich völlig befreit hatte und unbeholfen in der Luft flatterte.

„Sofort alle Schneidbrenner ausmachen!“ befahl Conway. „Aber kühlen Sie den Patienten mit den Luftschläuchen. Versuchen Sie, die schwarze Masse wieder zu erhärten!“

Aber die zähe, schwarze Flüssigkeit wollte nicht wieder hart werden. Erst einmal von der Hitze verflüssigt, setzte sich der Erweichungsprozeß selbständig fort. Der Hals des Patienten, der nun nicht mehr von der festen schwarzen Substanz gestützt wurde, fiel schwer zu Boden, und ein paar Sekunden später folgten die gewaltigen Flügel. Die schwarze Lache rings um den Patienten dehnte sich aus, und mehr und mehr von den Rankenfüßern kämpften sich frei, um mit breiten, membranartigen Flügeln durch die Halle zu flattern, wobei sie ihre Ranken wie lange, dünne Federn hinter sich herzogen.

„Alles zurück! In Deckung, schnell!“

Ihr Patient lag völlig reglos da und war mit ziemlicher Sicherheit tot, aber es gab nichts, was Conway tun konnte. Weder die Wartungstechniker noch das medizinische Personal waren gegen diese dünnen, eigentlich harmlos aussehenden Ranken dieser käfer- oder krebsartigen Tiere geschützt. Nur Prilicla befand sich in seiner durchsichtigen Kugel in Sicherheit, und jetzt schienen Hunderte von diesen Wesen den Raum zu füllen. Conway wußte, daß er eigentlich um das Wohl des Patienten hätte besorgt sein müssen, aber irgendwie war er es nicht. Handelte es sich dabei nur um eine verspätete Reaktion, oder gab es dafür noch einen anderen Grund?

„Mein Freund“, sagte Prilicla, wobei er ihn sanft mit seiner Kugel stieß,

„ich hoffe, Sie wissen, was Sie zu tun haben.“

Der Gedanke, daß dünne Rankenfüßerstränge in seine Kleidung, Haut und darunterliegendes Zellgewebe eindringen, seine Muskeln lähmen und in sein Gehirn kriechen könnten, ließ ihn zur Seitenkammer rennen, dicht gefolgt von Brenner und Prilicla. Kaum war der Cinrussker drinnen, schloß der Lieutenant die Tür.

Aber ein Rankenfüßer befand sich bereits in der Kammer.

Für den Bruchteil einer Sekunde funktionierte Conways Gehirn wie eine Kamera, die alles völlig emotionslos und deutlich wahrnahm: das Gesicht von O'Mara auf dem Bildschirm des Kommunikators, so ausdruckslos wie eine Steinplatte, nur die Augen verrieten Besorgnis; Prilicla, der in seiner Schutzkugel zitterte; der Rankenfüßer, der dicht unter der Decke schwebte, und dessen Ranken in dem von ihm selbst erzeugten Luftzug wehten; und Lieutenant Brenner, der ein Auge mit einem diabolischen Zwinkern geschlossen hielt, während er mit seiner Pistole, die mit Explosivgeschossen geladen war, auf den schwebenden Rankenfüßer zielte.

Irgend etwas stimmte nicht.

„Schießen Sie nicht“, bat Conway ruhig, aber bestimmt und fragte dann: „Haben Sie Angst, Lieutenant?“

„Normalerweise benutze ich dieses Ding zwar nicht“, antwortete Brenner und blickte etwas verwundert drein, „aber ich kann durchaus damit umgehen. Nein, ich hab keine Angst.“

„Und ich hab auch keine Angst, weil Sie diese Pistole haben“, sagte Conway. „Prilicla ist bestens geschützt und hat nichts zu befürchten. Also wer“, er deutete auf die zitternden Fühler des Empathen, „hat dann hier Angst?“

„Das Wesen dort oben, mein Freund“, entgegnete Prilicla und wies auf den Rankenfüßer. „Es hat Angst, ist verwirrt und höchst neugierig.“

Conway nickte, und während er beobachten konnte, wie Prilicla auf seine starke Erleichterung zu reagieren begann, sagte er: „Schubsen Sie das Wesen nach draußen, sobald der Lieutenant die Tür geöffnet hat, Doktor Prilicla — nur damit nichts passiert. Aber sachte, bitte.“

Kaum war der Rankenfüßer nach draußen befördert worden, röhrte O'Maras Stimme aus dem Kommunikator.

„Was, zum Teufel, haben Sie da eben getan?“

Conway versuchte, auf eine anscheinend einfache Frage eine entsprechend einfach Antwort zu finden, und entgegnete: „Ich glaube, man könnte sagen, daß ich vorzeitig so etwas wie eine planetarische Wiedereintrittssequenz eingeleitet hab.“

Kurz bevor Conway O'Maras Büro erreichte, war der erste Bericht von der Torrance eingetroffen. Er besagte, daß einer der beiden Sterne einen Planeten mit geringer Schwerkraft hatte, auf dem es auch Leben gab, das jedoch keine Anzeichen einer fortgeschrittenen Technologie aufwies. Der andere Stern hatte einen großen, sich schnell drehenden Planeten, der an den Polen so abgeflacht war, daß er eine gewisse Ähnlichkeit mit zwei an den Rändern verbundenen Suppenschüsseln auf wies. Auf dem zuletzt genannten Planeten war die Atmosphäre sehr dicht und reichte hoch hinauf, die Schwerkraft variierte zwischen drei Ge an den Polen und einem achtel Ge am Äquator, und es gab keinerlei Hinweise auf das Vorhandensein von Oberflächenmetallen. Nach astronomischen Maßstäben näherte er sich erst seit geraumer Zeit auf einer spiralförmigen Bahn bedrohlich seiner Sonne. Zudem hatten eine planetenweite Vulkanaktivität und die dadurch hervorgerufenen Dämpfe und Gase die Atmosphäre völlig undurchsichtig gemacht. Die Torrance bezweifelte stark, daß es auf diesem Planeten noch Leben gab.

„Das stützt meine Theorie, daß der Vogel, die Rankenfüßer und die andere insektenartige Lebensform — die gar kein Rankenfüßer, sondern vielmehr eine Art Bombardierkäfer ist — vom selben Planeten stammen“, rief Conway aufgeregt, als O'Mara den Bericht an ihn weitergeleitet hatte. „Die Rankenfüßer sind natürlich Parasiten mit geringem Gehirnvolumen, aber intelligent, sobald sie miteinander verbunden sind und als eine geschlossene Einheit, als eine sogenannte Gestalt, zusammenarbeiten. Sie müssen schon seit Jahrhunderten gewußt haben, daß ihr Planet seiner Zerstörung entgegenging, und haben sich deshalb zur Flucht entschieden. Bedenken Sie nur einmal, was alles dazu gehört, ohne jeden Einsatz von Metallen die Fähigkeit zu interstellaren Raumreisen zu entwickeln.“

Irgendwie mußten sie gelernt haben, wie sie in den Polarregionen mit hoher Schwerkraft die riesigen Vögel fangen und mit ihren Ranken kontrollieren konnten. Denn die Rankenfüßer waren eine körperlich schwache Spezies, und ihre Fähigkeit, nichtintelligente Wirtstiere zu kontrollieren, war die einzige Stärke, die sie besaßen. Die Vögel, das wußte Conway jetzt, waren eine nichtintelligente Spezies, genauso wie die Bombardierkäfer. Die Rankenfüßer hatten die Kontrolle über die Vögel übernommen, waren mit ihnen hoch über den Äquator geflogen, und hatten dabei die höchstmögliche körperliche Leistung befohlen, um die benötigte Höhe und Geschwindigkeit für den Zusammenschluß mit der letzten „Antriebsstufe“ — den Käfern — zu erreichen. Diese waren ebenfalls von den Rankenfüßern kontrolliert worden, vielleicht je fünfzig von einem Parasiten, und sie hatten sich wie ein gigantischer, spitzwinkliger Kegel an den Bereich hinter den Flügeln geheftet.

In der Zwischenzeit hatten die Rankenfüßer den Vogel gelähmt und in die Form eines Überschallgleiters gebracht, seine Klauen entfernt, um ihn aerodynamisch zu verbessern, und ihm irgendwelche Absonderungen injiziert, um den Verwesungsprozeß zum Stillstand zu bringen. Die „Crew“ hatte dann den Vogel und sich selbst in der richtigen Position versiegelt und war für die Dauer des Flugs in Winterschlaf gefallen, wobei das Zellgewebe des Vogels zur Lebenserhaltung verwendet wurde.

Als der Antriebskegel, der aus Millionen von Insekten bestand, von denen mehrere hunderttausend die intelligenten Kontrolleure darstellten, erst einmal in Position gebracht worden war, setzte sofort die Zündung ein. Das war von den Rankenfüßern sehr gleichmäßig und sanft bewerkstelligt worden, um die sich verjüngende Kegelspitze nicht an der Stelle zu zerquetschen oder zu zerbrechen, wo sie am Vogel befestigt war. Die Bombardierkäfer konnten jederzeit von ihnen dazu gebracht werden, ihre geringe, fast winzige Menge Schubkraft auszustoßen, egal, ob sie tot oder lebendig waren. Aber die Antriebskontrolleure hatten sogar mit ihrer Fähigkeit, sich selbst in einem harten Überzug zu versiegeln, nicht sehr lange gelebt — zumal sie ebenfalls entbehrlich waren. Doch hatten sie noch im Sterben mitgeholfen, ein organisches Raumschiff, das ein paar Hundert ihrer Artgenossen mit sich trug, auf Entweichgeschwindigkeit von ihrem verlorenen Planeten und seiner Sonne zu bringen.

„…ich weiß nicht, wie sie den Vogel für den Wiedereintritt in die Atmosphäre eines anderen Planeten in die richtige Position bringen wollten“, fuhr Conway mit Bewunderung fort, „doch die atmosphärische Erhitzung war als Auslöser des organischen Schmelzvorgangs beabsichtigt, sobald der Gleiter genügend abgebremst worden war. Das hätte den Rankenfüßern nämlich ermöglicht, sich von dem Vogel zu befreien und mit eigener Flügelkraft auf die Oberfläche zu fliegen. In meiner Eile, den Überzug zu entfernen, hab ich einem großen Bereich des vorderen Teils Hitze zugeführt, was praktisch die Wiedereintrittsbedingungen simuliert hat, und deshalb.“

„Ja, ja“, unterbrach ihn O'Mara gereizt. „Eine meisterliche Anwendung medizinischer Schlußfolgerungen, und ansonsten hatten Sie nichts als verdammtes Glück! Und wie ich Sie kenne, wollen Sie es jetzt mir überlassen, die Sache in Ordnung zu bringen, indem ich eine Methode finde, wie man sich mit diesen Dingern am besten verständigen und den Transport zu ihrem geplanten Ziel in die Wege leiten kann, nicht wahr? Oder gibt es vielleicht noch etwas anderes, das Sie von mir wollen?“

Conway nickte. „Brenner hat mir erzählt, daß seine aus Aufklärungsschiffen bestehende Flottille das Raumvolumen zwischen den Heimat- und Zielsternen dieser Wesen abdecken und den Suchvorgang nach weiteren dieser organischen Schiffe ausweiten könnte. Wahrscheinlich gibt es noch andere Vögel, vielleicht sogar Hunderte von ihnen.“

O'Mara öffnete den Mund und sah so aus, als würde er einen Bombardierkäfer nachahmen wollen. Doch bevor der Chefpsychologe etwas sagen konnte, fügte Conway hastig hinzu: „Ich will ja gar nicht, daß diese Rankenfüßer mitsamt ihren Raumvögeln hierhergebracht werden, Sir. Das Monitorkorps kann sie zu ihrem Bestimmungsplaneten bringen, ihren Überzug erst auf der Oberfläche entfernen, um Opfer beim Wiedereintritt zu vermeiden, und ihnen dann die Situation erklären.

Schließlich handelt es sich bei diesen Wesen nicht um Patienten, sondern um Kolonisten.“

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