2. TEIL — DIE HEXE VON NIEDRIGEM STAND


Inmitten von halbgemähten Wiesen, wo die Sonne sich noch auf Tautropfen spiegelte, hielt Rod an. „Tom!“ rief er. „Wir frühstücken hier!“ Bis Tom sein Pferd versorgt hatte, brannte bereits ein Lagerfeuer. Tom sah Rod staunend an, als er eine Bratpfanne und eine Kaffeekanne zum Vorschein brachte, dann setzte er sich weiter entfernt auf einen gefällten Baum am Ufer eines Baches. Er sog den köstlichen Duft des brutzelnden Schinkens ein und holte seufzend ein paar Stücke Zwieback und einen Beutel Bier hervor.

Stirnrunzelnd blickte Rod von seiner Kocherei hoch und brüllte: „Heh! Mein Essen ist dir wohl nicht genug?“

Tom starrte ihn mit offenem Mund an.

„Komm schon!“ Rod winkte ungeduldig mit beiden Armen.

„Und bring den Zwieback mit. Im Schinkenfett geröstet schmeckt er nicht schlecht.“

Tom öffnete sprachlos den Mund, dann nickte er stumm und stapfte herbei.

Das Wasser kochte. Rod warf eine Handvoll gemahlenen Kaffee in die Kanne und schüttelte bei Toms ungläubiger Miene den Kopf. „Du hast wohl noch nie ein Lagerfeuer gesehen?“ brummte er.

„Ihr ladet mich wahrhaftig ein, mit Euch zu essen, Herr?“

Rod runzelte die Stirn. „Ist das wirklich so unverständlich?

Komm, gönn mir einen Schluck von deinem Bier.“

Tom streckte ihm den Lederbeutel entgegen, und Rod nahm einen tiefen Schluck. „Was ist denn los mit dir? Hältst du mich für ein fremdartiges Ungeheuer?“

Tom schloß die Lippen und zog die Brauen zusammen. Dann verzog sein Gesicht sich zu einem breiten Grinsen. „Nein, Herr, nein. Ihr seid ein selten guter Mensch, das ist es.“

Verwirrt fragte Rod: „Was ist so selten oder gut an mir?“

Tom warf mehrere Zwiebackscheiben in das heiße Fett und schaute grinsend auf. „In diesem Land ißt ein Herr nicht mit seinem Diener.“

„Oh, das!“ Rod lachte. „Wir sind ja beide allein, Tom, und ich brauche mich nicht um solchen Unsinn zu kümmern.“

„Ja“, brummte Tom. „Ein wahrhaft wundersam seltener Mann!“

„Und ein Narr, hm?“ Rod legte je zwei Stück Schinken auf bereitgestellte Holzteller und gab den Zwieback dazu. „Laß es dir schmecken, Tom.“

Der Riese aß schweigend, dann schaute er sich die Gegend an.

„Hier gibt es viele schöne Mädchen, Herr. Könnten wir uns nicht ein wenig umsehen?“ Noch ehe Rod protestieren konnte, fuhr Tom fort: „Aber ich muß Euch warnen, Meister, Ihr dürft diese Bauernmädchen nur einmal lieben und sie dann schnell, ohne noch einmal zurückzublicken, verlassen.“ „Warum?

Würde ich sonst zur Salzsäule erstarren?“ „Nein, aber zum Ehemann werden! Denn wenn Ihr diesen Bauernmädchen auch nur ein Fünkchen Hoffnung gebt, sind sie schlimmer als Blutegel und lassen Euch nie wieder los.“

Rod schnaubte verächtlich. „In diese Gefahr komme ich bestimmt nicht. So, aber jetzt wollen wir aufbrechen.“

Sie waren jedoch kaum dreihundert Meter weit gekommen, als eine gedehnte Altstimme ihnen zurief. Zwei kräftige, gutgewachsene Bauernmädchen, mit Heugabeln in der Hand, winkten ihnen lachend zu.

„O Herr, sind wir denn wirklich in so großer Eile?“ fragte Tom fast flehend.

„Na, meinetwegen. Ich möchte nicht, daß irgend jemand an Frustration leidet. Verschwinde!“

Mit einem Juchzer drückte Tom seinem Pferd die Fersen in die Weichen, sprang vor den Mädchen aus dem Sattel und schloß eine in jeden Arm. Rod schüttelte den Kopf, winkte Tom und seinen Gespielinnen zu und suchte sich einen Heuhaufen, wo er sich ausruhen konnte, bis Tom seinen Spaß gehabt hatte. Von Gekabs Rücken sprang er auf den Heuhaufen und machte es sich bequem. Weiße Wölkchen zogen über den strahlend blauen Himmel, und schließlich mußte er wohl eingenickt sein. Plötzlich wachte er auf. Er spürte, daß jemand in seiner Nähe war. Verschlafen hob er die Lider und schaute geradewegs in ein sehr, sehr tief geschnittenes Mieder. Es fiel ihm gar nicht so leicht, den Blick davon loszureißen und höher zu richten. Zwei große, seegrüne Augen sahen ihn offensichtlich besorgt unter langen Wimpern an. Erst nach einer Weile wurde ihm auch der Rest des Gesichts bewußt: feingeschwungene Brauen, eine Stupsnase mit Sommersprossen, volle Lippen, und wallendes, rotes Haar um ein rundliches Gesicht.

Rod lächelte, gähnte und streckte sich. „Guten Morgen.“ Der besorgte Blick wich einem schwachen Lächeln. „Guten Morgen, guter Herr. Weshalb schlaft Ihr hier allein, wenn eine Frau nur Eures Rufes harrt?“

Es war Rod, als hätte er einen kalten Guß über den Rücken bekommen. Er bemühte sich um ein freundliches Lächeln. „Ich danke dir, Mädchen, aber ich bin heute nicht in der richtigen Stimmung für dergleichen Zeitvertreib.“ „Das kann ich mir schlecht vorstellen, nicht bei einem Bauern und schon gar nicht bei einem Lord.“ „Ich bin kein Lord!“

„Nun, jedenfalls ein feiner Herr, und gerade er hat doch nichts zu befürchten.“

„Wie meinst du das?“ fragte Rod und hob eine Braue. Sie lächelte traurig. „Nun, Mylord, ein Bauer müßte vielleicht Angst vor einer erzwungenen Ehe haben, aber doch ein feiner Herr nicht!“

Rod runzelte die Stirn und betrachtete das Mädchen näher. Er schätzte, daß sie ein wenig jünger war als er, vielleicht neunundzwanzig oder dreißig. Und daß ein Bauernmädchen in dieser Gesellschaftsform mit dreißig nicht verheiratet war… Er streckte die Arme aus. „Komm her zu mir, Hübsche.“ Einen flüchtigen Moment leuchtete Hoffnung in ihren Augen auf, der jedoch schnell Resignation folgte. Sie ließ sich seufzend neben ihm im Heu nieder, rollte sich auf eine Seite und legte ihren Kopf auf seine Schulter.

Hoffnung, grübelte Rod, der sich ihres Busens und der Hüften an seiner Seite nur allzusehr bewußt war, Hoffnung, daß man sie nahm und schnell wieder von sich warf. Er schauderte. Das Mädchen hob den Kopf und fragte besorgt: „Ist Euch kalt, Mylord?“

Er drehte sich ihr zu. Eine plötzliche Welle von Dankbarkeit und Zärtlichkeit verschnürte ihm die Kehle. Er drückte sie fest an sich und schloß die Augen. Ein Schmerz löste sich in ihm. Ein Schmerz, dessen er sich erst jetzt bewußt geworden war, als er ihn verließ.

Sie preßte ihren Kopf in seine Halsgrube und ihre Hände verkrampften sich in sein Wams.

Allmählich entspannte er sich wieder und lockerte seine Umarmung. Er lag ganz still und öffnete sich weit der Welt um ihn. Auch das Mädchen hatte ihn losgelassen, und nun lagen ihre Arme und ihr Kopf wie Blei auf ihm. Er hielt die Lider geschlossen im Licht der herabbrennenden Sonne und „sah“ die Welt mit den Ohren. Das Heu raschelte, das Mädchen bewegte sich. Sie mußte sich aufgesetzt haben und schaute nun zweifellos mit Trauer in den Augen auf ihn herab, vielleicht mit einer Träne auf den Wangen und zitternden Lippen. Mitleid stieg in ihm auf, Mitleid mit ihr und Ärger über sich selbst. Es war ja nicht ihre Schuld, daß er momentan nichts als Frieden ersehnte und keine Liebelei. Er rollte sich auf die Seite und schaute stirnrunzelnd zu ihr hoch.

Aber ihre Augen verrieten keine Trauer, kein Gekränktsein — nur Verständnis, und Besorgnis — um ihn. Er griff nach ihrer Hand und wunderte sich, wie klein sie war. Er drückte ihre schlanken Finger auf sein Gesicht und schloß die Augen. Ihre Stimme klang weich und sanft. „Mylord, nehmt mich, wie Ihr wollt. Um mehr bitte ich nicht.“

Um mehr bitte ich nicht… Sie brauchte Liebe, und wenn auch nur für wenige Minuten, und auch wenn sie danach einsam und verlassen sein würde und sie wissen mußte, daß es nicht wirklich Liebe war, sondern nur Verlangen sein konnte. Ja selbst wenn es ihr nur Kummer und Schmerzen brachte, brauchte sie Liebe.

Er schaute ihr in die Augen. Tränen glitzerten darin. Schnell schloß er die Lider und sah Catherines Gesicht vor sich, und Tuans an ihres geschmiegt. Ein Teil seines Ichs betrachtete die beiden, ohne daß es schmerzte, und er staunte, wie gut sie zusammenpaßten. Und dann schob sich sein eigenes Gesicht daneben, und eine Stimme befahl ihm: Sieh dich doch an und vergleiche! Vergleiche! Seine Hand verkrampfte sich, da schrie das Bauernmädchen vor Schmerz auf. Schnell löste er die Hand und schaute das Mädchen an, und jetzt schob sich Catherines Gesicht neben ihres.

Er musterte die beiden, die eine, die ihn benutzte, und die andere, die von ihm benutzt werden wollte. Brennender Ärger erfüllte ihn plötzlich. Ärger auf Catherine, ihrer Selbstgerechtigkeit wegen und ihrer Entschlossenheit, die Welt nach ihrem Willen zu beugen. Und Ärger auf das Bauernmädchen, ihrer stummen Duldsamkeit und ihrer Resignation, ihrer tiefen Wärme und Sanftheit wegen. Heißer brannte der Ärger, über sich selbst, über das Tier in ihm, als er die Finger in ihre Schultern grub und das Mädchen ins Heu drückte. Sie wimmerte vor Schmerz, bis seine Lippen sich heftig auf ihre preßten. Und dann bohrten ihre Nägel sich in seinen Rücken, und ihr

Körper verkrampfte sich, ehe sie erschlaffte und ihre Brust sich in einem tiefen Schluchzen unter ihm hob.

Die Hälfte seines Ärgers löste sich in Nichts auf, die andere stach tief in ihn und löste eine Welle der Reue aus. Er rollte sich von dem Mädchen, um sie von seinem Gewicht zu befreien, und dann waren seine Lippen plötzlich warm und bittend, seine Hände sanft, zärtlich und beruhigend.

Sie sog die Luft ein, und wieder verkrampfte sich ihr Körper.

Narr, sagte eine Stimme in ihm. Narr, jetzt hast du ihr nur noch weher getan!

Er war schon bereit, sich von ihr abzuwenden, als er ihr in die Augen blickte — und das Verlangen sah, das in ihr brannte. Und schon preßten ihre Lippen sich auf seine, und sie zog ihn zu sich herab.

Rod stützte sich auf einen Ellbogen und schaute hinab auf das Mädchen, das nackt, mit nur seinem Umhang als ungenügendem Schutz, neben ihm lag. Er liebkoste sie sanft und zärtlich. Müde, doch ungemein zufrieden schlang sie die Arme um seinen Hals und zog ihn erneut zu sich herunter. Rod blickte in ihre wunderschönen smaragdgrünen Augen und fühlte sich so wohl wie nie zuvor. Er schaute sich um, dann wieder sie an, und es gab nichts mehr auf der Welt außer ihr, und er staunte, daß es ihm gefiel und er so zufrieden war mit der Welt, dem Leben, Gott — und hauptsächlich mit ihr.

Sie schaute zu ihm hoch. Ihr Lächeln schwand und machte Besorgnis Platz. „Fühlt Ihr Euch wohl, Mylord?“ fragte sie leise.

Er beugte sich erneut über sie, um sie noch einmal sanft zu küssen. „Ja, ich fühle mich wohl, ungewöhnlich wohl.“

Flüchtig leuchtete ihr Gesicht auf, dann blickte sie auf sich hinab, und schließlich wieder zu ihm hoch, und ihre Augen verrieten Angst. Er legte die Arme um sie und rollte sich, mit ihr auf ihm, auf den Rücken. Ihr Körper spannte sich kurz, dann stieß sie einen Seufzer aus und vergrub ihr Gesicht in seiner Achselhöhle.

Er bewunderte die Pracht ihres Haares auf seiner Brust und lächelte.

„Rod!“ Gekabs Stimme flüsterte hinter seinem Ohr und die Welt flutete zurück. „Tom hat sich wieder angezogen und kommt auf deinen Heuhaufen zu.“

Rod richtete sich abrupt auf und blinzelte in die Sonne. Sie stand fast im Zenit. „Zurück zum grauen Alltag“, brummte er und griff nach seiner Kleidung.

„Mylord?“ Sie lächelte, aber aus ihren Augen sprach Schmerz, der zur Resignation wurde. „Die Erinnerung an die Stunden mit Euch, mein Lord, wird mir teuer und unvergessen bleiben“, wisperte sie, während sie seinen Umhang an sich drückte und ihre Augen sich weiteten.

Es war eine hoffnungslose Bitte um ein paar gute Worte, um Trost vielleicht, den er ihr nicht ehrlichen Herzens geben konnte, denn er würde sie nie wieder sehen. Doch dann wurde ihm klar, daß sie gar nicht wirklich darauf wartete, sondern eher auf seinen Spott, weil sie auch nur flüchtig die Unverschämtheit besessen hatte, sich für von so großem Wert zu halten, daß er sie seines Dankes versichern würde. Und sie wußte, daß ihre stumme Bitte ihr nur Leid bringen würde, und trotzdem flehten ihre Augen, denn eine Frau lebt von der Liebe, und sie war eine Frau von nahe dreißig in einem Land, wo Mädchen bereits mit fünfzehn heirateten. Sie hatte sich bereits damit abgefunden, daß es in ihrem Leben keine dauerhafte Liebe geben würde, daß sie sich mit den paar Krumen zufrieden geben mußte, die man ihr bot.

Sein Herz schlug ihr entgegen, vielleicht ein wenig durch seine Selbstvorwürfe angetrieben. Und so sagte er natürlich eine der Lügen, wie Männer sie verwenden, um Frauen zu trösten, und die sie später erst als Wahrheit erkennen.

Er küßte sie und murmelte: „Das war nicht das Leben, Mädchen, nur wozu das Leben gut ist.“

Später, als er sich in den Sattel schwang und sich noch einmal zu ihr umdrehte, während Tom seinem Mädchen ein vergnügtes Lebewohl zuwinkte, sah er die Verzweiflung, ja fast Panik in ihren Augen und die Bitte um nur ein Fünkchen Hoffnung. Und da erinnerte er sich, daß Tom gesagt hatte, selbst ein Fünkchen wäre bereits zuviel. Aber er würde das Mädchen ja nie wiedersehen.

„Sag mir deinen Namen, Mädchen“, bat er.

Aber schon dieser Schimmer ließ ihr Gesicht zu einem Strahlen aufleuchten. „Ich heiße Gwendylon, Mylord!“ rief sie.

Als sie um eine Straßenbiegung gekommen und die Mädchen nicht mehr zu sehen waren, seufzte Tom und brummte: „Ihr seid zu weit gegangen, Herr. Jetzt könnt Ihr sie nie wieder loswerden.“ Er gab seinem Pferd die Fersen und ritt voraus.

Rod folgte ihm schweigend, doch er sah weder ihn, noch die friedliche Landschaft, nur das Bild des Mädchens mit dem flammendroten Haar und den smaragdgrünen Augen. Es beunruhigte ihn. „Gekab“, murmelte er. Und als der Roboter sich hinter seinem Ohr meldete: „Gekab, ich fühle mich nicht, wie ich sollte.“

Gekab antwortete erst nach einer Weile: „Wie fühlen Sie sich denn, Rod?“ Es klang irgendwie, als mache der Roboter sich über ihn lustig. Rod schaute auf den Pferdeschädel hinunter.

„Gekab, lachst du mich vielleicht aus?“

„Rod, muß ich Sie daran erinnern, daß ich nur eine Maschine bin, die keiner Gefühle mächtig ist? Mir fielen lediglich Unvereinbarkeiten auf.“

„Oh, und welcher Art?“ fragte Rod scharf.

„Nun, daß Sie sich einzureden versuchen, Sie seien emotional nicht von diesem Bauernmädchen abhängig.“

„Sie heißt Gwendylon!“

„Mit ihr oder sonst einer Frau. Sie möchten von sich glauben, daß es Ihnen keinen Spaß mehr macht, verliebt zu sein.“

„Oh, ich halte sehr viel von der Liebe!“

„Das ist etwas anderes“, murmelte der Roboter, „als verliebt zu sein.“

„Verdammt, ich meine damit nicht das Körperliche.“

„Ich auch nicht.“

Rods Lippen wurden schmal. „Du denkst dabei also an Gefühlsrausch? Und wenn es das ist, woran du denkst — nein, dann bin ich nicht verliebt und habe auch kein Verlangen danach, es zu sein! Und wenn ich auch nur ein Wörtchen in dieser Sache mitzureden habe, werde ich mich auch nie mehr wie ein Dummkopf verlieben!“

„Genau, was ich sagte, daß Sie sich einreden wollen.“

Rod knirschte mit den Zähnen und wartete, bis sein Ärger abklang. „Und wie sieht es in Wirklichkeit aus?“

„Sie sind verliebt!“

„Verdammt!“ Rod brüllte nun fast. „Ich war schließlich schon öfter verliebt und weiß, wie es ist.“

„Und wie ist es?“ Der Roboter ließ nicht locker.

„Nun…“ Rod ließ den Blick über die Gegend schweifen. „Man weiß, daß es die Welt gibt, daß sie echt ist, aber das ist einem völlig egal. Wichtig ist nur, daß man sich selbst als ihr Mittelpunkt fühlt.“

„Und hatten Sie vor kurzem diese Gefühle?“

„Nun — ja, verdammt!“ Rod verzog die Lippen.

„Bei Catherine?“

Rod starrte wütend auf den Nacken des Pferdes. „Woher, zum Teufel, weißt du das?“

„Logik, Rod. Und wie fühlten Sie sich bei Gwendylon?“

„Oh…“ Rod warf die Schultern zurück und reckte sich.

„Großartig, Gekab. Besser denn je. Die Welt ist schöner, der Tag heller. Ich fühle mich so gesund und von so klarem Kopf, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. Es ist genau das Gegenteil von dem Gefühl, das ich empfinde, wenn ich verliebt bin.“

Gekab schwieg. Rod runzelte die Stirn. „Na?“

Es dauerte eine Weile, ehe der Roboter endlich antwortete. „Ich habe mich getäuscht, Rod. Sie sind nicht verliebt — Sie lieben!“

„Aber weshalb bin ich dann nicht verliebt?“

Etwas wie ein Seufzen erklang hinter Rods Ohr. „Nennen Sie mir den Unterschied zwischen den beiden Frauen, Rod.“

„Nun…“ Rod kaute an seiner Wange. „Gwendylon ist menschlich. Ich meine, sie ist eine ganz normale, alltägliche Frau, so wie ich ein ganz normaler, alltäglicher Mann bin.“

„Und Catherine ist mehr?“

„Oh, sie ist eine Art von Frau, die ich auf ein Piedestal hebe -

eine, die man anbetet, nicht hofiert…“

„Und nicht liebt?“ fragte der Roboter. „Rod, welche von den beiden Frauen ist menschlich wertvoller?“

„Uh-Gwendylon.“

„Damit ist das Verhör beendet“, erklärte das Robotpferd.

Die Domäne der Loguires war eine gewaltige Ebene zwischen den Bergen und dem Meer. Die Hügelkette befand sich im Norden und Osten, sanfter Strand in einem Halbkreis im Süden, und Steilküste im Nordwesten, von ihr rauschte auf der anderen Seite ein Wasserfall ins Tal. Ein Fluß schlängelte sich durch die Ebene dem Meer entgegen. Die Ebene selbst wirkte von den Bergen oben wie zusammengenähte Flicken mit ihren Feldern und hier und da einer Ansammlung von Bauernkaten — Loguires Leibeigene.

Rod und Tom ritten am Rand eines der Bergwälder, wo die Straße aus dem Norden sich ins Tal hinabwand. Rod blickte sich um. „Wo ist denn die Burg?“ fragte er.

„Hinter dem Wasserfall, Herr.“

Rod blinzelte ungläubig, dann folgte er Toms Blick. Wo die Klippen zur Ebene abfielen, war ein gewaltiges Tor mit Fallgitter in den Fels gehauen und davor führte eine Zugbrücke über einen natürlichen Burggraben, den ein Bogen des Flusses bildete. Die Loguires hatten den Fels zu ihrer Behausung ausgehöhlt.

Rod zog die Brauen zusammen. „Ist das wirklich ein Damm zu beiden Seiten der Zugbrücke, Tom?“

„Ja, Meister, und man sagt, er sei mit Schießpulverladungen gespickt.“

Rod blickte nachdenklich. „Und das Land vor dem Fallgattertor fällt ab. Nähern sich unliebsame Besucher, wird der Damm in die Luft gejagt, und die Haustür steht zehn Meter unter Wasser. Sehr schlau! So kann man eine Belagerung schon aushalten. Der Wasserfall bietet mehr als genügend frisches Wasser, bleibt nur noch das Nahrungsproblem.“

„Es soll innerhalb des Burgkomplexes Gärten geben.“

Rod nickte in stummem Respekt. „Wurde die Burg je eingenommen, Tom?“

Der Riese schüttelte den Kopf. „Nie Herr“ Er grinste.

„Glaubst du, man hat darin Platz für zwei müde Wanderer?“

Tom zuckte eine Schulter. „Bestimmt, wenn wir Edelleute wären, Herr. Die Gastfreundschaft der Loguires ist sprichwörtlich. Aber für meinesgleichen, und selbst für Euch, den man höchstens als Junker anerkennen wird, liegt die Gastfreundschaft in den Katen.“

Rod blinzelte in den Himmel. „Da ist dieser verdammte Vogel schon wieder! Sieht er denn nicht allmählich ein, daß wir viel zu groß für eine Mahlzeit für ihn sind?“ Er griff nach seiner Armbrust und legte einen Bolzen ein.

„Nein, Herr.“ Tom hielt ihn zurück. „Ihr habt schon vier Bolzen vergeblich auf ihn abgeschossen.“

„Ich habe es gar nicht gern, wenn etwas mich in der Luft verfolgt, Tom. Diese fliegenden Dinger sind nicht immer, was sie zu sein scheinen.“ Toms Brauen zogen sich bei dieser rätselhaften Bemerkung zusammen. „Außerdem habe ich jeden Tag, während der letzten vier, jeweils nur einmal auf ihn geschossen.“ Die Armbrust summte, und das Geschoß pfiff durch die Luft, doch dann segelte der Vogel um gut fünfzehn Meter höher und schaute dem Bolzen nach, als er wieder zur

Erde zurückfiel.

„Ihr werdet ihn nie treffen, Herr. Er kennt sich mit Armbrüsten aus.“

„Das sieht ganz so aus!“ Rod schlang sich die Armbrust wieder über den Rücken. „Was ist das für ein Land, wo man unter jedem Baum Elfen findet, und einen die Habichte am Himmel verfolgen?“

„Es ist kein Habicht, Meister, es ist ein Fischadler.“ Rod schüttelte den Kopf. „Er verfolgt uns schon seit dem zweiten Tag unserer Reise. Was hätte ein Fischadler so weit landeinwärts zu suchen?“ „Das müßtet Ihr wohl ihn selbst fragen, Meister.“ „Und es würde mich absolut nicht wundern, wenn er antwortete“, brummte Rod. „Aber er tut uns ja nichts, und im Augenblick haben wir größere Probleme. Wir sind hier, um in die Burg zu gelangen. Kannst du singen, Tom?“

Der Riese sperrte verwirrt den Mund auf. „Singen, Herr?“

„Ja, oder Dudelsack blasen, oder sonst was?“

Tom zupfte an der Lippe. „Ich kann einer Hirtenflöte ein paar Töne entlocken, die die Halbtauben mit gutem Willen vielleicht für eine Melodie halten würden. Aber wozu das, Meister?“

Rod holte eine irische Harfe aus einer Satteltasche. „Wir sind jetzt Minnesänger“, erklärte er. „Das Volk hier ist sicher an ein bißchen Musik und Neuigkeiten aus der Hauptstadt interessiert.

Hier, versuch mal das, es ähnelt in etwa einer Flöte.“ Er brachte einen stabförmigen Recorder zum Vorschein.

„Wißt Ihr Neues aus dem Norden zu berichten?“ erkundigte sich der Wachtposten eifrig, und natürlich antwortete Rod, der wußte, daß die Minnesänger des Mittelalters wandelnde Zeitungen gewesen waren, mit einem Ja. Und nun standen er und Tom vor einer Versammlung, bestehend aus achtundzwanzig Edlen mit ihren Frauen, dem Gefolge und Gesinde. Alle starrten die beiden Minnesänger erwartungsvoll an, dabei wußte Rod absolut nichts Neues aus der Hauptstadt.

Aber es würde ihm schon etwas einfallen. Der knorrige alte Herzog Loguire saß in einem Eichensessel. Er schien Rod nicht zu erkennen, ganz im Gegenteil zu Durer, der jedoch den Mund hielt, denn Loguire liebte seine Nichte immer noch, und hätte Rod geehrt, weil er ihr das Leben gerettet hatte. Der Herzog stellte die erste Frage, und zwar erkundigte er sich, ob es Neues aus dem Hause Clovis gab. Rod versicherte ihm, daß es sich in letzter Zeit nicht unangenehm bemerkbar gemacht hatte, was allerdings nicht so bleiben mußte.

Und dann spielten und sangen er und Tom, während sie gleichzeitig im Takt mit den Füßen stampften, ein etwas freches altes Volkslied, das sie kurz zuvor einstudiert hatten. Einen Augenblick lauschten die Anwesenden erstaunt, dann begannen einige zu grinsen, und Hände klatschten im Rhythmus. Der alte Loguire versuchte streng und mißbilligend dreinzuschauen, aber es gelang ihm nicht so recht. Ein hochgewachsener junger Mann stand hinter des Herzogs rechter Schulter. Seine Augen leuchteten auf, während er zuhörte, und ein Grinsen, das Unzufriedenheit, Selbstmitleid und Bitterkeit ablöste, breitete sich über das Gesicht. Der ältere Sohn, schloß Rod.

Es fiel nicht schwer, Loguires Vasallen in der Menge zu erkennen, denn sie alle waren prächtig gekleidet, und jeder von ihnen war in der Begleitung eines noch prunkvoller gewandeten drahtigen Männleins: ihre Ratgeber — Durers Kumpane.

Rod war ziemlich sicher, daß alles, was Durer vorschlug, einstimmigen Rückhalt bei den Lords des Südens fände, und Loguire der einzige wäre, der sich dagegenstellte — und Loguire hatte natürlich mehr zu sagen als alle seine Lehnsmänner zusammen. Rod entsann sich Loguires Versprechen an Catherine: Solange ich lebe, habt Ihr die Soldaten Loguires nicht zu fürchten!

Die Vorstellung war zu einem großen Erfolg geworden. Rod hatte sie weniger politisch als humorvoll, gerade noch an der Grenze zum Schlüpfrigen gehalten. Die Zuhörer waren begeistert gewesen. Doch hin und wieder hatten die Ratgeber Fragen gestellt, die er nicht unerwidert lassen konnte, und als er mit den Gerüchten antwortete, daß das Haus Clovis sich wohl gegen die Krone erheben würde, hatte er häßliche Freude in ihren Augen glitzern sehen. Das hatte er verstanden. Wichtig an einer Revolution ist, daß sie überhaupt erst einmal ausbricht, später kann man sie sich immer noch zu Nutzen machen. Was er nicht verstand, waren die Blicke, die das jüngere weibliche Gesinde Tom und ihm zuwarfen. Das heißt, bei Tom war es ihm klar, doch bei ihm konnte es gewiß nicht das gleiche bedeuten — oder waren die Minnesänger hier dafür bekannt, daß sie… Jedenfalls war er nicht mehr allzu überrascht, als ihm eine Magd auf dem Weg zur Dachkammer, die ihm und Tom zugeteilt worden war, einen Becher Wein entgegenstreckte und sich erbot, ihm auch das Bett zu wärmen. Er starrte sie an. Sie sah Gwendylon sehr ähnlich, aber ihre Haare waren dunkelbraun statt rot, die Augen ein wenig schräg, und ihre Nase lang und schmal. Und auch sie war verführerisch schön.

„Danke dir, Mädchen“, sagte er. „Aber der Weg war lang und ich falle vor Müdigkeit schier um.“ Sollte sie doch von seiner Männlichkeit halten, was sie wollte, solange sie ihn in Ruhe ließ!

Die Magd senkte die Augen und biß sich auf die Lippe.

„Wie Ihr wollt, guter Herr.“ Sie drehte sich um, und Rod starrte ihr nach. Ein bißchen ärgerte er sich darüber, daß sie sich so schnell hatte abweisen lassen — aber hatten ihre Augen nicht eine Spur Triumph verraten, eine merkwürdige Freude? Rod ging weiter. Wie er es erwartet hatte, war die Tür zur Dachkammer geschlossen und eine weibliche Stimme neben Toms zu hören. Er zuckte philosophisch die Schulter und stieg die Wendeltreppe wieder hinunter. Er würde die Zeit nutzen und sich in der Burg umsehen. Sie erweckte den Eindruck, als wäre sie von einem Paranoiker erbaut worden, und er war deshalb überzeugt, daß es Geheimgänge geben mußte. Die Granitwände des Hauptkorridors waren ocker gestrichen und da und dort hingen Wandteppiche von der Decke bis zum Boden. Rod merkte sich wo, denn es war leicht möglich, daß sie Türen zu Nebengängen verbargen. Zwölf offene Seitenkorridore zweigten rechts vom Hauptgang ab. Als er zum siebten kam, hörte er verstohlene Schritte hinter sich. Er blieb stehen und tat, als betrachte er einen Wandteppich. Aus dem Augenwinkel sah er eine ausgemergelte Gestalt sich hastig in einen Nebengang zurückziehen. Es mußte Durer oder einer seiner Artgenossen sein. Mit einem von ihnen auf seinen Fersen konnte er hier jedoch nicht viel erfahren, also mußte er ihn abschütteln, was nicht leicht sein würde, denn Durer kannte die Burg bestimmt gut, er selbst dagegen überhaupt nicht. Der neunte Nebengang erwies sich als genau richtig für seine Zwecke — er war unbeleuchtet. Seltsam, dachte Rod, in allen anderen brannten Fackeln in geringen Abständen. Und hier lag auch Staub ganz dick auf dem Boden, Spinnweben hingen von der Decke, und Wassertropfen sickerten die Wände herab und befeuchteten vereinzelte Moosballen. Aber selbst wenn er Spuren in dem Staub hinterließ, konnte er doch in der Dunkelheit in einen abzweigenden Gang oder Raum schlüpfen. Also bog er zu diesem neunten Nebenkorridor ab, da legte sich eine Klaue auf seine Schulter. Rod wirbelte herum und sah sich Durer gegenüber.

„Was habt Ihr hier zu suchen?“ krächzte das dürre Männlein mißtrauisch.

„Oh, nichts Besonderes, mir ist nur langweilig. Soll ich dir ein Lied singen?“

„Ich habe genug von Eurem Gewimmere! Seht zu, daß Ihr Euch in Eure Kammer zurückzieht, außer Ihr habt hier irgend

etwas Bestimmtes vor.“

Rod kratzte sich die Nase. „Hm“, murmelte er. „Was die Kammer betrifft — mein Begleiter scheint es für andere Zwecke als Schlafen zu benötigen. Also bin ich quasi ausgesperrt, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Verderbtheit!“ zischte der Ratgeber.

„O nein, ich nehme an, daß Tom auf sehr natürliche, gesunde Weise vorgeht. Aber jedenfalls bin ich dort momentan nicht erwünscht, und ich dachte nicht, daß jemand etwas dagegen hätte, wenn ich ein bißchen herumspaziere.“

Durer blickte ihn durchdringend wie mit einem La serstrahl an, dann wich er zögernd ein paar Schritte zurück. „Das hat auch niemand“, brummte er. „Es gibt hier keine Geheimnisse, die wir vor Euch verbergen müßten. Aber was Ihr nicht wissen könnt, ist, daß sich hier der Teil befindet, in dem es spukt.“

„Wie interessant! Weißt du, daß ich noch nie einen echten Geist gesehen habe?“

„Das hat auch noch keiner, der am Leben blieb und davon hätte erzählen können. Es wäre Dummheit, diesen Gang zu betreten.“

„Aber eine Begegnung mit einem Geist ließe sich zu einer guten Ballade ausschlachten.“

Der Kleine starrte ihn verächtlich an. „Tut nicht so, als wärt Ihr wirklich ein Minnesänger. Ihr seid ein Spion, nichts weiter!“

Rods Hand tastete nach dem Dolchgriff.

„Ein Spion aus dem Hause Clovis!“ brüllte Durer.

Rod seufzte unhörbar erleichtert auf. „Ob du dich da nicht täuschst, kleiner Mann?“

Durer runzelte die Stirn. „Nicht vom Haus Clovis? Aber dann… Nein, Ihr seid sehr wohl ihr Spion!“

Rod lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand.

„Welches Interesse hast du denn am Haus Clovis, teurer Ratgeber? Und weshalb sollte es das Haus Clovis interessieren, was du hier machst?“

„Ihr seid ein Narr, wenn Ihr glaubt, ich würde Euch eine solche Frage beantworten… Ah, daß ich nicht eher daran dachte! Ihr seid ein Spion der Königin!“

Rod trat näher an den Kleinen heran und lockerte den Dolch in der Scheide. Es war ihm egal, ob Durer wußte, daß Catherine ihn geschickt hatte, aber er wollte eine Antwort. „Ich stellte dir eine Frage!“ sagte er sanft.

Furcht sprach aus den Augen des Kleinen. Er sprang zur Wand zurück. „Ich warne Euch, bei meinem Ruf eilen zwei Dutzend Soldaten herbei!“

„Das wird dir nicht mehr viel helfen, wenn du bei ihrer Ankunft schon tot bist“, sagte Rod spöttisch. Er deutete auf den dunklen Korridor.

Grauenerfüllt starrte der Ratgeber ihn an und begann am ganzen Leib zu zittern. Bebend sagte er: „Vielleicht seid Ihr wirklich nicht von Clovis! Und wenn Ihr von der Königin kommt, seid Ihr uns hier willkommen. Ich werde Euch alles sagen, was Ihr zu wissen begehrt!“ In pathetischem Eifer hob er die Hände. Ein seltsames Licht flackerte in seinen Augen.

„Ja, ich werde Euch alles sagen, selbst den Tag, da wir zur Residenz der Königin marschieren. Ihr könnt sie darauf hinweisen, dann kann sie uns entgegenziehen. Alles werde ich Euch sagen, nur bitte, kommt heraus aus diesem Gang!“ Er rang verzweifelt die Hände. „Wenn Euch die Königin geschickt hat, möchte ich nicht, daß Ihr sterbt.“

Rods Gesicht wirkte steinern. „Ich werde mich in dem Gang umsehen. Ich bin überzeugt, daß ihr darin etwas verborgen habt, das wichtiger ist als das Datum eurer Rebellion.“ Er betrat den Korridor.

Durer rannte ihm händeringend ein paar Schritte nach.

„Kommt zurück! Ihr müßt den Norden warnen. Kommt heraus, Ihr Narr!“

Rod kümmerte sich nicht um ihn, sondern stapfte weiter.

Vor Ärger schrillte der Kleine hinter ihm: „So geht denn in

Euren Tod! Wir brauchen Euch nicht! Ich selbst werde das Wort in den Norden tragen. So sterbt als Narr, der Ihr seid!“ Rod bog um eine dunkle Krümmung. Offenbar war Durer von seinem Tod in diesem Teil der Burg überzeugt — es war sehr merkwürdig, daß er trotzdem versucht hatte, ihn am Betreten zu hindern. Das konnte nur bedeuten, er wollte tatsächlich, daß er, Rod, Catherine von der bevorstehenden Rebellion berichtete. Aber weshalb hatte er vor, die Rebellen zu verraten? Zweifellos war hier in diesem Teil etwas verborgen, das Rod nicht finden sollte, da es ihm vielleicht doch gelingen mochte, lebend wieder herauszukommen. Doch daran glaubte er offenbar nicht, was bedeutete, daß Durers großes Geheimnis von automatischen Verteidigungsmechanismen geschützt war… Außer natürlich… Rod hielt abrupt an. Ihm wurde bewußt, daß er den Rückweg gar nicht mehr finden würde. Um zu viele Ecken in alle Richtungen war er während seines Grübelns achtlos gebogen. Seine Stimme zitterte ein wenig, als er murmelte: „Gekab.“

„Ja, Rod?“ Die Stimme hinter seinem rechten Ohr war ungemein beruhigend.

„Gekab, ich befinde mich im Teil der Burg, wo es spuken soll.“ „Spuken? Rod, eine Analyse Ihrer Stimmenmuster deutete auf leichte Angst. Sie glauben doch nicht wirklich an Geister?“ „Nein, aber ich erinnerte mich gerade, daß ich früher auch nicht an Elfen glaubte. Und wenn es hier Elfen gibt, kann es auf diesem verrückten Planeten doch auch Geister geben, oder nicht?“

Nach kurzer Pause murmelte Gekab verlegen, wie es schien: „Es gibt nichts, was direkt gegen diese Hypothese spricht.“ Ein Ächzen so tief, daß Rod es kaum hören konnte, und so laut, daß es ihn körperlich schmerzte, erschütterte die Wände des Gewölbes, in dem er sich gerade befand. „Was war das? „keuchte Rod. „Ein komplexes Wellenmuster niedriger Frequenz und hoher Schwingungsweite“, antwortete Gekab zuvorkommend.

„Vielen Dank!“ schnaubte Rod. „Ich will wissen, wodurch es verursacht wurde!“

„Dazu reichen die Daten noch nicht aus…“

Das Ächzen wiederholte sich, und etwas wie spinnwebfeines Gespinst, aus dem sich schwarze Augenhöhlen und eine kreisrunde schwarze Mundöffnung abhoben, schwebte geradewegs auf Rod zu.

Ein weiteres Ächzen erklang, eine halbe Stufe höher als das vorherige. Rod riß den Kopf nach rechts. Ein zweiter Geist kauerte über ihm. Ein drittes Ächzen, und ein dritter Geist tauchte auf.

Drei Geister drängten ihn gegen die Steinwand. Ihre Münder formten große dunkle Os, und kalte Knochenfinger griffen nach ihm.

Rod kämpfte gegen seine Panik an. Gekab glaubt nicht an Geister, sagte er sich. Nichtsdestoweniger schrie er gellend: „Geister, Gekab! Geister!“

„Geister“, erklärte der Roboter hinter seinem Ohr, „sind unstofflich, selbst wenn es sie gibt. Sie können einem stofflichen Wesen keinen körperlichen Schaden zufügen.“

„Sag das ihnen!“ brüllte Rod verzweifelt.

Eine Hand verkrampfte sich um sein Herz. Er würgte und hustete. Etwas, ein Eisenband um seine Brust, zermalmte seine Lunge… Furcht konnte lahmen, konnte töten…

„Rod, stecken Sie die Finger in die Ohren!“

Er versuchte, den Rat des Roboters zu befolgen — und konnte es nicht. „Gekab!“ schrillte er. „Ich kann mich nicht bewegen!“

Ein lautes Brummen dröhnte in seinem Schädel und überlagerte das Ächzen. Es wurde zu den monotonen Worten: F-I-N-G-E-R I-N D-I-E O-H-R-E-N!

Die Angst schwand, oder zumindest fast. Rod konnte sich wieder genauso leicht wie zuvor bewegen. Er steckte die Finger in die Ohren. Das Brummen erstarb und das Ächzen der

Geister klang nun wie aus weiter Ferne. Zwar steckte ihm die Angst noch ein wenig in den Knochen, aber sie lahmte ihn nicht länger.

„Können Sie sie noch hören, Rod?“

„Ja, aber es ist nicht mehr so schlimm. Was hast du gemacht?“

„Nichts, Rod. Ihr Ächzen hat eine harmonische Frequenz im subsonischen Bereich, die Angst in Angehörigen Ihrer Spezies hervorruft. Dieser furchteinflößende Ton wird durch die gleichzeitige Emission der subsonischen Harmonien von drei Ächzlauten hervorgerufen.“

„Also gehören drei dazu, mir Angst einzujagen?“

„Richtig, Rod.“

„Und sie jagen mir im Grund genommen gar nicht wirklich Angst ein, sondern lediglich das Gefühl, Angst zu haben?“

„Wieder richtig.“

„Das ist eine Erleichterung. Ich hatte schon befürchtet, ich sei plötzlich zum Feigling geworden.“

„Es gibt keinen Menschen, der nicht hin und wieder Angst empfindet, Rod.“

„Ja, aber nur ein Feigling läßt sich davon beherrschen.“

Rod löste sich von der Wand und zwang sich dazu, einfach durch den Geist vor sich hindurchzugehen.

Plötzlich erstarb das Ächzen, und die Geister verschwanden mit einem verzweifelten Heulen.

„Sie sind fort!“ krächzte Rod.

„Natürlich. Sobald Sie ihnen bewiesen haben, daß sie Sie nicht beeinflussen können, fürchten sie sich vor Ihnen.“

Rod spreizte die Beine und stemmte die Fäuste an die Hüften.

Grinsend legte er den Kopf zurück. „He, ihr Geister! Ist euch jetzt klar, wer der Boß hier ist?“ Er lauschte den Echos seiner Stimme, die gewaltig von den leeren Wänden widerhallte.

Eine grabestiefe, betrübte Stimme antwortete ihm stöhnend aus der Luft. „Verlaßt uns, Sterblicher. Gönnt uns den Frieden unserer Gruft. Wir tun niemandem etwas in unseren kalten

alten Gewölben.“

„Niemanden, außer denen, die hierherkommen“, schnaubte Rod. „Und die tötet ihr, genau wie ihr mich getötet hättet -

durch die Furcht, die sie vor euch empfinden.“

„Nur Wahnsinnige und Toren kommen hierher. Und würdet nicht auch Ihr Euer Zuhause verteidigen?“

„Welches Recht habt ihr auf diese Gewölbe?“

Plötzlich zeigte sich einer der Geister über ihm. „Ich I war einst Horatio, der erste Herzog Loguire!“ donnerte er wütend. „Ich erbaute diese Burg! Habe ich da kein Recht auf ein armseliges, kaltes Plätzchen in ihren Mauern?“

„Doch, ich glaube schon. Aber wie viele habt Ihr getötet, bis man Euren Anspruch anerkannte?“

„Keinen.“ Es klang bedauernd. „Sie sind alle furcht erfüllt geflohen.“

„Ich beabsichtige nicht, Euch etwas anzutun, Horatio.“ Rod grinste sarkastisch. „Selbst wenn ich es wollte, wie könnte ich?“

„Das wißt Ihr nicht, Sterblicher?“

„Ein Geist“, erklärte Gekab hastig hinter Rods Ohr, „genau wie alle übernatürlichen Wesen, scheuen kaltes Eisen und Silber.

Selbst Gold erfüllt seinen Zweck, wird jedoch aufgrund seines Preises selten für eine Geisterjagd verwendet.“

Horatio richtete sich in voller Geistesgröße auf und kam näher.

Rod zog den Dolch. „Halt!“ rief er. „Kaltes Eisen, seht!“

„Außerdem kennen Sie das Geheimnis ihrer Macht. Sie könnten eine ganze Armee hierherbringen, solange jeder sich etwas in die Ohren stopft“, unterrichtete Gekab Rod.

„Ich kenne das Geheimnis eurer Macht“, sagte Rod laut, „und kann eine ganze Armee hierherbringen, solange jeder sich etwas in die Ohren stopft.“

Der Geist hielt enttäuscht an. „Aber Ihr sagtet doch, Ihr wüßtet nicht…“

„Ich weiß es jetzt. Also, zurück!“

Zögernd wich Horatio zurück. „Welches Phantom berät Euch?“

Rod grinste. „Ein schwarzes Pferd aus kaltem Eisen. Es steht im Stall der Burg, aber es kann von dort aus mit mir sprechen.“

„Ein Puka? Ein Geisterpferd! Ein Verräter der Welt der Geister!“

„Nein. Es ist kein Geist. Ich sagte doch, daß es aus Eisen ist!“

„So etwas gibt es nicht!“

„Es gibt es, das dürft Ihr mir glauben, Horatio. Aber das ist unwichtig. Euch sollte nur interessieren, daß ich nicht beabsichtige, gegen euch vorzugehen. Ich suche bloß nach etwas. Sobald ich es gefunden habe, verschwinde ich, einverstanden?“

„Ihr habt die Oberhand! Weshalb fragt Ihr?“ brummte der Geist.

„Reine Höflichkeit“, murmelte Rod. Plötzlich kam ihm eine Idee. „Oh, übrigens, ich bin Minnesänger…“

Der Geist riß den O-Mund noch weiter auf, dann kam er mit ausgestreckten Armen auf Rod zu. „Musik! Süße Musik! Spielt für uns, Mann, dann könnt Ihr über uns befehlen!“

„Einen Augenblick!“ Rod hob eine Hand, „Ihr habt die Burg erbaut, Horatio Loguire, deshalb ersuche ich Euch, mir zu gestatten, in Frieden durch all Eure Räume zu wandeln.

Gewährt Ihr es mir, werde ich für euch spielen.“

„Ihr dürft wandeln, wohin Ihr wollt!“ versprach der Geist vor Aufregung zitternd. „Nur spielt für uns, Mann!“

Sehr gut, dachte Rod. Er hatte sein Gesicht gerettet. Und schließlich hat es keinen Sinn, sich Feinde zu machen, wenn es sich verhindern ließ. Er schaute hoch und zuckte erschrocken zurück. Er war von einer dichten Mauer von Geistern umgeben, die ihn alle hungrig anstarrten. Er schluckte und holte die Harfe von seinem Rücken. Nur gut, daß er nicht dazu gekommen war, sie in der Dachkammer abzustellen.

Als er versuchshalber über die Saiten strich, erhob sich ein ekstatisches Stöhnen von den Geistern. Da wurde Rod erst richtig klar, daß er die Situation ausnutzen konnte. „Hört, Lord Horatio, würdet Ihr mir für zwei Lieder verraten, wo die Geheimgänge sind?“

„Gewiß! Gewiß!“ kreischte der Geist. „Die Burg ist Euer, meine ganze Domäne, alles, was ich besitze! Ja, das Königreich, wenn Ihr es wollt! Nur spielt für uns, Mann! Seit zehnhundert Jahren haben wir keine menschliche Musik mehr gehört!“

Rods Finger zupften die Saiten, und die Geister erschauderten wie ein Schulmädchen beim ersten Kuß. Er spielte und sang, was ihm gerade einfiel, Volksweisen, Märsche, Seemannslieder, sogar Beethovens Sechste, die auf einer Miniaturharfe gar nicht leicht wiederzugeben war. Als die letzten Echos verhallten, seufzten die Geister zufrieden, doch traurig, daß er schon aufhörte. „Das war eine reiche Auswahl, Mann“, sagte Lord Horatios Stimme zu Rods Linker. „Aber vielleicht noch eine kleine, ganz kurze Weise?“ Rod schüttelte bedauernd den Kopf. „Die Nacht schreitet voran, Mylord, und ich habe vor dem Morgengrauen noch viel zu tun. Ich werde in einer anderen Nacht wiederkommen.“ „Wir haben Euch sehr zu danken, Mann, und werden uns dafür erkenntlich zeigen. Kommt mit mir und ich zeige Euch alle Geheimgänge und — türme der Burg.“ Er schwebte Rod voran. Alle anderen Geister hatten sich inzwischen bereits zurückgezogen.

Rod zählte seine Schritte. Nach fünfzig bog der Geist um eine Ecke in einen riesigen Raum. „Das war unsere Banketthalle“, erklärte er seufzend. „Herrliche Feste feierten wir hier. Und nun sind sie alle tot, alle meine Freunde und die lieblichen Maiden, die uns bei fröhlicher Musik unterhielten. Und seither herrschten sechzig Söhne meines Blutes an meiner Stelle über die Marschen. Doch jetzt haben andere das Wort in meiner herrlichen Halle — Schakale, Hyänen, eine Schande für meine alten Kameraden und mich, daß sie in Menschengestalt wandeln.“

Rod spitzte die Ohren. „Wie meint Ihr das, Mylord? Jemand hat Euch Eure Halle gestohlen?“ „Verkümmerte, gemeine Niederlinge!“ knirschte der Lord. „Eine Brut verderbter, gemeiner Feiglinge — und ihr Führer ist Ratgeber eines Sprosses meines Geschlechts, des Herzogs Loguire.“ „Durer!“ hauchte Rod.

„Nennt er sich so? Hört mich an, Mann. Sein Herz ist hart und seine Seele spröde wie Eisen. Aber wie Ihr wißt, kann hartes, sprödes Eisen durch einen starken Hieb mit geschmiedetem Eisen zerschlagen werden. Und genauso können diese bösartigen Zerrbilder von Menschen durch einen Mann gebrochen werden, der wahrhaft ein Mann ist.“ Der Geist ließ die Schultern hängen und beugte den Kopf. „Wenn es in diesem dunklen Zeitalter noch wahre Männer gibt!“ Rods Blick löste sich von dem Geist und wanderte durch den gewaltigen Raum, aber es war zu dunkel, viel zu sehen. „Mein Lord Loguire“, sagte er. „Wenn ich der Mann sein soll, der die Ratgeber bricht, so muß ich soviel wie möglich über sie erfahren. Sagt mir deshalb, was sie in dieser Halle tun.“ „Hexerei üben sie aus!“ knurrte der Geist. „Schwärzeste Magie! Auf eine Weise, wie ich sie Euch kaum beschreiben kann…“ Er stöhnte. „Wisset, daß diese verkümmerten Wichte hier einen Altar aus glänzendem Metall errichteten — es ist weder Silber noch Gold, auch kein anderes Metall, wie ich es kenne —, genau hier in der Mitte der Halle, wo einst meine Höflinge tanzten.“

„Oh! Wen beten sie vor diesem Altar an?“ fragte Rod. „Anbeten?“ Der Geist hob den Kopf. „Mir dünkt, sie opfern sich selbst, denn sie steigen in diesen Altar des Bösen. Sie verschwinden darin, und dann plötzlich kehren sie zurück! Ich kann mir nur vorstellen, daß sie ihr Lebensblut dem Dämon in diesem glänzenden Altar darbringen, denn sie kommen hager und zitternd wieder heraus. Ja, wahrlich“, murmelte er überlegend, „weshalb wären sie sonst so ausgemergelt und klein?“ Rods Nacken prickelte. „Ich muß diesen Altar sehen, mein Lord.“ Er fummelte nach seinem Dolch. „Ich brauche Licht.“

„Nein!“ Der kreischende Schrei drohte Rods Trommelfell zu durchlöchern. Der Geist pulsierte schwankend. „Es würde mich zerstören, Mann, und mich schreiend in finsterere Gefilde als diese schicken.“

„Verzeiht, Lord Loguire, ich hatte nicht daran gedacht. Ich werde meine Fackel nicht entzünden, doch dann muß ich Euch bitten, mich zu diesem merkwürdigen Altar zu führen, damit ich ihn mit meinen Fingern betrachten kann.“ Er folgte dem Geist mit ausgestreckten Händen, bis sie etwas Hartes, Kaltes berührten.

„Vorsicht, Mann“, brummte der Geist. „Denn hier ruhen dunkle Mächte.“

Rod betastete das Metall, das im gespenstischen Schimmern des Geistes schwach leuchtete, bis er glaubte, die Umrisse einer Tür, oder vielmehr einer Türöffnung erreicht zu haben.

„Was liegt dahinter, Mylord?“ erkundigte er sich. „Ein Sarg“, stöhnte der Geist. „Ein metallener Sarg ohne Deckel, der aufrecht steht. Ihr müßt seine offene Seite betastet haben.“

Rod fragte sich, was geschehen würde, wenn er hineinträte, aber irgendwie mangelte es ihm am Forscherdrang eines echten Wissenschaftlers. Er tastete über die Öffnung. Etwas Kreisförmiges drückte in seine Handfläche, es ragte aus der Oberfläche des Metallblocks heraus. Als er mit den Fingern rechts davon weiter darüberstrich, berührte er eine Menge weiterer runder und ovaler Formen und Knöpfe. Zweifellos war er hier auf ein Armaturenbrett gestoßen.

„Mein Lord Loguire“, wisperte er. „Bitte kommt nahe zu mir, ich brauche Licht.“

Der Geist schwebte dicht neben ihn. In seinem Schimmern erkannte Rod eine Anzahl von Meßgeräten und anderen Anzeigern und verschiedenfarbige Knöpfe.

„Weshalb zittert Ihr, Mann?“ erkundigte sich Loguire mitfühlend.

„Es ist kalt“, murmelte Rod, „und ich fürchte, ich muß Eure Meinung über dieses — Ding teilen. Ich weiß nicht, was es ist, aber es gefällt mir nicht. Es wird das beste sein, ich spreche vorsichtshalber eine Beschwörung dagegen. Also, denkt Euch nichts dabei, wenn ich vor mich hinmurmle.“

Der Geist runzelte verwirrt die Stirn, als sich Rod im Dialekt des galaktischen Raummatrosen an seinen Roboter wandte.

„Gekab? Hast du mitgehört?“ „Natürlich, Rod.“

„Dann paß auf, ich beschreib dir das Aussehen dieses Metallkastens.“ Er tat es. Nach einer Weile erkundigte er sich: „Hast du schon ein Ergebnis?“ „Nein. Ich brauche eine noch nähere Beschreibung.“ Rod bemühte sich.

„Es ergibt keine exakte Analyse, die Vermutung liegt jedoch nah, daß es sich bei diesem Artefakt um einen Apparat für Zeitreisen handelt.“

„Eine Zeitmaschine!“ Rod pfiff durch die Zähne. „Dann kommen diese kleinen Bastarde aus der Zukunft!“

„Rod, ich mußte Sie schon des öfteren warnen, unbewiesenen Hypothesen zu großes Gewicht beizumessen.“

„Keine Angst, Gekab. Ich finde den Gedanken nur faszinierend.“

„Welche Art von Hexerei ist das, Mann?“ erkundigte sich Horatio.

Rod zuckte die Schultern. „Sie ist mir unbekannt, Mylord, obwohl ich in den verschiedensten — ah — Magien bewandert bin.“

„Was werdet Ihr dann machen?“

Mit einem schwachen Grinsen antwortete Rod: „Schlafen. Und nachdenken über das, was ich gesehen habe.“ „Und wann werdet Ihr dieses Spielzeug des Teufels vernichten?“

„Wenn ich mir sicher bin“, antwortete Rod nachdenklich und betrachtete erneut die Maschine, „daß es dieser schönen Welt schadet und ihr nicht im Gegenteil helfen kann.“

Loguire zog finster die kaum sichtbaren Brauen zusammen. Er schien um ein Vielfaches zu wachsen, und seine Stimme klang wie Donnergrollen. „Ich beauftrage Euch mit der Exorzierung dieses Teufelsaltars und der Unschädlichmachung seiner mißgestalten Priester.“ Das Schwert des Geistes glitt aus der Scheide und schwebte mit der Spitze voraus auf Rod zu.

„Schwört jetzt auf den Griff meines Schwertes, daß Ihr nicht ruhen werdet, bis dieses Land von Korruption befreit ist; daß Ihr diesen Altar des Bösen mit all seinen Anbetern exorzieren werdet, und mehr noch, daß Ihr diese Insel von Gramayre bis zu Eurem Tod in der Stunde seiner Gefahr nicht im Stich lassen werdet.“

Rods Kinn sackte hinab. Mit weiten Augen starrte er auf die plötzliche Kraft und die majestätische Erscheinung des Geistes.

Die Härchen stellten sich ihm am Nacken auf.

„Mein Lord, das ist nicht notwendig. Ich liebe diese Insel Gramayre und würde nie…“

„Legt Eure Hand auf den Griff des Schwertes schwört!“ Die Stimme klang streng und unerbittlich.

Rod erschrak und zuckte zurück, denn ein Eid wie dieser würde ihn sein Leben lang an diesen Planeten binden.

„Schwört!“ donnerte der Geist, als Rod immer noch zögerte.

Rod starrte auf den schimmernden Griff und das strenge Gesicht. Fast gegen seinen Willen trat er wieder heran und beobachtete wie seine Hand sich um den Griff legte, aber er spürte nichts, kein Eisen zwischen den Fingern, nur eisige Luft.

„Jetzt leistet Euren Eid auf mich und die Meinen!“

Na gut, dachte Rod. Es sind ja nur Worte, und schließlich bin ich Agnostiker. „Ich schwöre“, sagte er und mußte sich zu diesen Worten zwingen. Dann kam ihm ein Einfall und er fügte hinzu: „Weiterhin schwöre ich, daß ich nicht ruhen werde, bis die Königin und alle ihre Untertanen mit einer einzigen Stimme regieren werden.“

Der Geist runzelte die Stirn. „Ein sehr merkwürdiger Eid“, brummte er. „Aber tief in meinem Herzen zweifle ich nicht an Eurer Redlichkeit, und der Schwur ist bindend.“ Das unstoffliche Schwert glitt in seine Scheide zurück. Horatio drehte sich um. „Folgt mir jetzt und ich werde Euch zu den Räumen innerhalb dieser Gewölbe führen.“ An einer Wand hielt er an und deutete mit spitzen Fingern: „Tastet, bis Ihr einen Stein findet, der nachgibt.“

Rod drückte auf die Steine, bis der Geist nickte, dann warf er sein ganzes Gewicht dagegen. Der Stein ächzte und gab knarrend nach. Klamme Luft drang aus der Öffnung.

„Geht jetzt Euren Pflichten nach. Und seid gewarnt: solltet Ihr je Euren Eid vergessen, so wird der Herzog von Loguire Euch jede Nacht im Bett erscheinen, bis die Furcht Euch übermannt.“

Jetzt stand die Tür zur Dachkammer offen, und Toms Schnarchen drang heraus. Rod nahm sich eine Fackel aus der Halterung vor der Tür und leuchtete vorsichtig hinein. Es war, wie er es erwartet hatte. An Toms mächtiger Brust ruhte ein blonder Kopf. Er betrachtete ihn näher. Nein, es war zweifellos nicht die Magd, die ihm den Trunk gereicht und sich erboten hatte, sein Bett zu wärmen. Erstaunlich, daß sie dann nicht bei dem Knappen ihr Glück versucht hatte, nachdem der Herr sie abgewiesen hatte. So wie er Tom kannte, hätte der gar nichts gegen ein zweites Mädchen gehabt.

Er steckte die Fackel in die Halterung zurück und ließ sich unzeremoniell auf den Heuhaufen fallen, der als Bett diente.

Und schon griff der Schlaf nach ihm.

„Mann Gallowglass!“ donnerte eine hohlklingende Stimme in der kleinen Kammer. Rod zuckte hoch, das Mädchen schrie, und Tom fluchte. Ein Geist schwebte eisigschimmernd vor ihnen in der Dunkelheit.

Rod stand auf und warf einen schnellen Blick auf Tom und die

junge Frau. Sie drückte sich mit vor Grauen verzerrtem Gesicht an Tom, der dem Geist herausfordernd (wenn auch zweifellos nicht ganz ohne Furcht) entgegenstarrte.

Erst dann betrachtete Rod den Geist in seiner Panzerausrüstung und dem Rapier an der Seite. Es war nicht Horatio. Rod erinnerte sich, daß er der Boß war, nicht der Geist. So hochmütig er nur konnte, schaute er ihn an. „In welchem Stall bist du aufgewachsen, daß du einem Herrn gegenüber ein so schlechtes Benehmen an die Nacht legst?“ Die Geisteraugen weiteten sich, das Kinn fiel hinab. Die durchschimmernde Gestalt starrte Rod erschrocken an. Der nutzte seinen Vorteil. „Sprich, doch höflich, sonst tanze ich auf deinen Gebeinen!“

Der Geist wand sich. Rod hatte ins Schwarze getroffen. Offenbar gab es eine ektoplasmische Verbindung zwischen einem Geist und seinen sterblichen Überresten. Rod nahm sich vor, die Grüfte oder Gräber aller hier Spukenden aufzusuchen. „Ver-verzeiht, My-mylord“, stammelte der Geist. „Ich wollte Rod unterbrach ihn. „Nun, da du mich aus dem Schlaf gerissen hast, könntest du mir endlich sagen, was du willst!“

„Ihr müßt sofort…“

Wieder unterbrach ihn Rod. „Ich muß überhaupt nichts!“

„Verzeiht, Eure Lordschaft.“ Der Geist verbeugte sich.

„Mylord Loguire ersucht Euch, in die Gewölbe zu kommen.“

„Horatio Loguire?“

„So ist es, Mylord.“

Die Magd ächzte. Rod zuckte zusammen. Er hatte vergessen, daß er nicht allein mit dem Geist war. Bald würde die ganze Burg von seiner Verbindung mit den Geistern wissen. Er wandte sich an den Geist. „Also gut, dann führe mich.“ Er griff nach seiner Harfe. Als der Geist sich zur Wand drehte und eine Hand ausstreckte, rief er: „Halt!“ Außer ihm brauchte niemand zu wissen, wo sich die Geheimgänge befanden. „Schweb zu

Mylord Loguire zurück und sag ihm, ich bin in Kürze bei ihm. Du scheinst zu vergessen, daß ich nicht durch die Wände gehen kann, wie du.“

„Aber, mein Lord“, protestierte der Geist. „Ihr…“ „Hast du nicht gehört!“ polterte Rod. Der Geist wich erschrocken zurück und verschwand.

In der jetzt wieder fast absoluten Dunkelheit stieß das Mädchen einen tiefen Seufzer aus, und Tom sagte mit ruhiger Stimme: „Verkehrt Ihr jetzt auch in Geisterkreisen, Meister?“ „Allerdings“, brummte Rod und schwang die Tür auf. „Wenn auch nur ein Wort über diesen Besuch aus der Kammer getragen wird, könnt ihr beide mit recht unruhigen Nächten rechnen.“

Wieder stöhnte das Mädchen. Gut, dachte Rod. Das wird ihr vielleicht den Mund verschließen.

Der Geist in der Panzerrüstung wartete in der Banketthalle, wo der metallene „Altar“ stand, auf Rod. „Wenn Ihr mir folgen würdet, Mylord?“

Sie kamen in einen Korridor. Voraus sah Rod das gespenstische Schimmern mehrerer Geister, die sich über etwas auf dem Boden beugten. Er hörte ein sehr menschliches, panikerfülltes Wimmern.

Horatio blickte bei Rods Näherkommen auf. Er löste sich vom Rest der Geister und schwebte auf Rod zu. Sein Gesicht war vor Grimm verzerrt. „Mann Gallowglass!“ polterte er. „Weshalb habt Ihr mir nicht gesagt, daß Ihr in Begleitung in unsere Gewölbe kamt?“

„In Begleitung?“ fragte Rod erstaunt. „Das wußte ich selbst nicht.“

„Nun, jemand folgte Euch dichtauf.“ „Excelsior!“ murmelte Rod.

„Gesundheit!“ sagte Loguire. „Ich fürchte, wenn wir weiterhin Sterbliche hier empfangen, müssen wir unsere Gewölbe beheizen. Aber wie ich sagte, ich fand Euren Dienstboten

direkt außerhalb der Banketthalle.“

„Dienstbote?“ Rod runzelte die Stirn.

„Es lauschte an der Tür. Und daß es zu Euch gehörte, wissen wir, weil es Euren Namen rief, als wir uns ihm näherten. Nur aus diesem Grund töteten wir es auch nicht, sondern schickten nach Euch.“

Loguire schwebte zur Seite und der Kreis der Geister öffnete sich. In ihrem kahlen Licht sah Rod langes dunkles Haar, eine weiße Bluse unter einem dunklen Mieder, und ein schreckverzerrtes Gesicht. Es war die Magd, die Gwendylon ähnlich sah.

„Mein Lord Loguire, diesen Dienstboten kann man doch wahrhaftig nicht mit,es' bezeichnen.“ Und dann sagte er mit sanftester Stimme: „Schau mich an, Mädchen.“

Sie hob den Kopf. Freude und Erleichterung überfluteten ihre Züge. „O mein Lord!“ wisperte sie. Sie warf die Arme um Rods Hals, und dicke Tränen perlten über ihre Wangen.

„Ruhig, ruhig, Mädchen.“ Rod bemühte sich, sich aus ihrer Umklammerung zu befreien, obgleich das Mädchen eine recht angenehme Last war.

Horatio Loguire verzog verächtlich das Gesicht. „Schafft sie aus meinen Gewölben, Mann. Es ist feucht genug hier, auch ohne ihren Wasserfall von Tränen.“

„Sofort, Mylord.“ Er holte ein Taschentuch aus seinem Ärmel und tupfte ihr das Gesicht ab. Er empfand eine unerklärliche Zärtlichkeit für sie und das Bedürfnis, sie zu beschützen.

„Ihr sitzt in der Falle, Mann!“ knurrte Horatio.

„Wer, ich? Das haben schon andere vergebens versucht.“

„Diesmal ist es gelungen. Und jetzt, hinaus mit ihr!“ Rod warf Horatio einen bösen Blick zu. Er hob das Mädchen, das sich offenbar nicht auf den Beinen halten konnte, auf die Arme, und wieder klammerte sie sich an seinen Hals. „Mein Lord“, wandte er sich noch einmal an den Obergeist. „Habt Ihr vielleicht die Güte, mich zu führen? Ich bin ein wenig

behindert…“

„Ja“, brummte Horatio und drehte sich um, doch zuvor war es Rod so, als husche die Spur eines Lächelns über das Geistergesicht.

Im bewohnten Burgteil stellte Rod das Mädchen wie der auf die Beine. Er mußte sich selbst eingestehen, daß er sie viel lieber noch länger auf den Armen getragen hätte. „Weshalb bist du mir gefolgt?“ fragte er.

Erschrocken blickte sie zu ihm hoch.

„Du mußt die Wahrheit sagen, Mädchen. Wer hat dich geschickt, mir nachzuspionieren?“

Sie hob den Kopf und schüttelte ihn heftig. „Niemand, Mylord!“

„Oh?“ Rod lächelte traurig. „Du willst doch nicht behaupten, daß du mir aus freiem Willen in die Spukgewölbe gefolgt bist!“

„Ich fürchte die Geister nicht, Mylord.“

Rod schaute sie überrascht an. Wenn das stimmte, hatte sie für eine Dienstmagd erstaunlichen Mut. Sie hatte, genau wie er, offenbar erst die Nerven verloren, als das schreckliche Ächzen anfing.

„Du hast mir noch nicht gesagt, weshalb du mir gefolgt bist.“

Sie biß sich erneut auf die Lippe, dann preßte sie die Worte widerwillig heraus. „Ich — ich fürchtete um Euch, Mylord.“

Rods Lippen verzogen sich zu einem trockenen Lächeln. „Um mich?“

„Ja!“ Jetzt sah sie ihn mit funkelnden Augen an. „Ich wußte ja nicht, daß Ihr ein Zauberer seid! Und ein Mensch — allein in diesen Gewölben…“ Sie senkte die Augen wieder.

Rod seufzte und drückte sie an sich. „Mädchen, Mädchen“, murmelte er. „Was hättest du denn schon tun können, um mir zu helfen?“

„Ich — ich kann ein wenig mit manchen Geistern umgehen, Lord. Ich hatte geglaubt…“

Rod schüttelte den Kopf. War es auf diesem verrückten

Planeten vielleicht üblich, mit Geistern zu verkehren? Er schloß die Lider und drückte seine Wange an ihr Haar. Er spürte ihren warmen, geschmeidigen Körper gegen seinen. Es war schön, sie zu halten, fast so schön wie Gwendylon… Er riß die Augen auf und starrte sie an. Er stellte sich die Gesichter der beiden Mädchen nebeneinander vor. Gwendylon mit dunkel gefärbtem Haar, die Augen ein wenig schräg gezogen, die Nase verlängert und gerade gezogen… Sie spürte seine Anspannung. „Was habt Ihr plötzlich, Lord?“ Ihre Stimme war ein wenig höher, hatte jedoch den gleichen Klang. Er schaute zu ihr hinunter. Ihr Teint war makellos, keine einzige Sommersprosse. Aber für ein Make-up brauchte man nicht unbedingt eine Technologie. Er deutete mit dem Zeigefinger zwischen ihre Augen. „Du“, sagte er, „hast mich beschwindelt!“

Einen flüchtigen Moment wirkte sie enttäuscht, doch dann schaute sie wieder völlig unschuldig drein. „Euch beschwindelt, mein Lord. Ich wüßte nicht…“ Rod tupfte auf ihre Nasenspitze und drehte den Finger ein wenig. Die Nasenspitze löste sich. Er lächelte grimmig. „Stärkemehl und Wasser! Das hättest du nicht zu tun brauchen, dein Himmelfahrtsnäschen gefällt mir viel besser.“ Er rieb mit der Fingerkuppe über die Augenwinkel, und schon waren die Augen nicht, mehr schräg, dafür war sein Finger schwarz. Kopfschüttelnd brummte er: „Na, hoffentlich bekommst du die Farbe auch so leicht aus deinem Haar! Ich verstehe nur nicht, warum du das gemacht hast! So wie die Natur es dir gegeben hat, ist dein Gesicht doch viel hübscher!“ Sie errötete. „Ich — ich konnte nicht ohne Euch sein, Herr.“ Er schloß die Augen und preßte die Zähne zusammen. Es kostete ihn alle Willenskraft, sie nicht an sich zu drücken. „Aber…“ Er mußte erst Luft holen. „Wie bist du mir gefolgt?“ Mit großen unschuldigen Augen schaute sie zu ihm hoch. „In der Tarnung eines Fischadlers, Lord.“

Er sperrte den Mund auf. „Du? Eine Hexe? Aber…“

„Ihr werdet mich doch deshalb nicht verachten, Lord?“ fragte sie ängstlich. „Ihr, der Ihr ein Zauberer seid.“

„Was? Ich? Nein, natürlich nicht. Ich meine — uh — einige meiner besten Freunde sind — uh…“

„Mein Lord?“ fragte sie besorgt. „Fühlt Ihr Euch nicht wohl?“

„Ich? Natürlich nicht? Nein, warte…“ Wieder mußte er erst Luft holen. „Du bist also eine Hexe? Und wenn schon. Ich bin viel mehr an deiner Schönheit als an deinen Fähigkeiten interessiert.“ Schnell holte er erneut Luft. „Aber wir müssen eines klarstellen.“

Sie schmiegte sich fest an ihn. „Ja, mein Lord?“

„Nein, nein! Das meinte ich nicht.“ Hastig wich er ein paar Schritte zurück und streckte die Hände aus, um sie abzuwehren. „Also, der einzige Grund, daß du mir folgtest, war deine Angst um mich, richtig? Weil du glaubtest, ich könnte mir selbst nicht helfen?“

Der Glanz ihrer Augen erlosch. „Ja, Mylord.“

„Doch jetzt weißt du, daß ich ein Zauberer bin und du keine Angst mehr um mich haben mußt. Also besteht kein Grund, mir weiter zu folgen, richtig?“

„Nein, mein Lord.“ Stolz hob sie das Kinn, und ihre Augen blitzten ihn trotzig an. „Ich werde Euch auch weiterhin folgen, Rod Gallowglass. Es gibt Magie in dieser Welt, von der Ihr nichts ahnt!“

Das Schlimmste war, dachte er, daß sie so verdammt recht hatte. Auf dieser verrückten Welt gab es bestimmt noch eine Menge Zauberei und sonstiges, das er sich nicht einmal vorzustellen vermochte. Aber andererseits gab es auch einiges, von dem sie nichts wußte. Als Amateurhexe, vermutlich, und zu alt, der Gewerkschaft beizutreten — sie war bestimmt schon fast so alt wie er! — , kannte sie vermutlich nur ein paar Tricks, beispielsweise, wie man sich zurechtmachte, und verfügte über die Fähigkeit, durch die Luft zu fliegen (aber er verstand immer noch nicht, wie sie die Täuschung, ein Vogel zu sein, so lange hatte aufrechterhalten können), und dann hatte sie Mut, wie man ihn bei einer Frau nicht erwartete. Aber wenn sie recht hatte, daß sie um ihn fürchten mußte, weil er immer noch in Gefahr war, so schien ihr nicht bewußt zu sein, daß sie sich in nicht weniger Gefahr befand. Nein, es hätte bestimmt keinen Sinn, ihr zu verbieten, ihm zu folgen — sie würde es trotzdem tun. Und er würde lebend seine Abenteuer überstehen, wie er es immer getan hatte, während sie irgendwo unterwegs den Tod fand. Oder vielleicht behinderte sie ihn auch so sehr, daß sie beide daran glauben mußten. Er schüttelte ganz leicht den Kopf. Nein, er durfte nicht zulassen, daß sie getötet wurde, also mußte er sie irgendwie loswerden — und er wußte auch schon, wie.

Er verzog das Gesicht zu einem säuerlichen Lächeln.,Es stimmt schon, was man von Bauernmädchen sagt. Wenn man auch nur ein bißchen nett zu ihnen ist, wird man sie nicht mehr los. Meine Teure, du bist schlimmer als eine Klette!“ Sie holte fast schluchzend Atem und preßte die Hand auf die Lippen. Tränen quollen aus ihren Augen. Sie biß sich in die Finger, wirbelte herum und rannte davon. Er starrte auf den Boden, bis ihre Schritte sich verloren und er ihr Schluchzen nicht mehr hörte. Er fühlte sich so elend wie selten zuvor. Eine schwere Faust hämmerte an die Eichentür. Rod kämpfte sich aus tiefem Schlaf und richtete sich im Heu auf. Tom und sein Mädchen starrten stumm auf die Tür. „Keine Angst“, brummte Rod. „Geister klopfen nicht.“

„He, Minnesänger!“ donnerte eine tiefe Stimme. „Komm sofort zu meinem Herrn!“

Rod schlüpfte in sein Wams und griff nach der Harfe. Er riß die Tür auf und versuchte, ganz wach zu werden, nach dem kärglichen Schlaf, der ihm vergönnt gewesen war. „Ihr brauchtet zu dieser frühen Stunde nicht ganz so stürmisch zu sein“, brummte er. „Wer, zum Teufel, ist überhaupt Euer Herr?“

Eine schwere Faust traf Rod unter dem Ohr und warf ihn an die Wand. Er kämpfte gegen das Verlangen, dem Burschen den Hals umzudrehen. Durch dichte Nebelschleier hörte er ein sadistisches Kichern. „Überleg dir deine Worte, wenn du zu Höheren sprichst, Harfenzupfer!“

Rod richtete sich an der Wand auf und schätzte seinen Peiniger ab. Er war ein gewöhnlicher Fußsoldat in schmutzigem Lederwams und nicht weniger schmutzigern Kettenhemd, mit abstoßendem Körpergeruch und dazu noch fauligem Atem von den verrottenden Zähnen, die er in einem selbstzufriedenen Grinsen fletschte.

Rod seufzte. Es war besser, seine Rolle zu spielen. Den Schlag hatte er verdient, weil er aus dieser Rolle gefallen war. Der Minnesänger diente hier auch zur Abreagierung aggressiver Gefühle. „Na gut“, murmelte er. „Ich werde mir meine Worte überlegen.“

Diesmal traf die Faust ihn unter dem Kinn. Während er zurücktaumelte, hörte er: „Du hast wohl vergessen, daß man seinen Höheren mit Herr anspricht!“

Rods Handkante schlug dreimal blitzschnell zu. Das war ihm doch zuviel gewesen. „Ich würde mich erst mal vergewissern, wer der Höhere ist. Und jetzt führ mich zu deinem Herrn!“ Der Herr war, wie sich herausstellte, Lord Loguire. Er saß am Kopfende eines riesigen ovalen Tisches in der Mitte eines mit prächtigen Wandteppichen behangenen Gemachs. Zu seiner Rechten hatte sein ältester Sohn Platz genommen, zu seiner Linken Durer. Die anderen Stühle waren von acht Männern belegt, die Rod bekannt vorkamen. Seine Augen weiteten sich, als ihm klar wurde, daß es vier der Hohen Lords — Herzog di Medici, Graf Romanoff, Herzog Bourbon und Prinz Habsburg — mit ihren Ratgebern waren. Nach Loguire waren sie die mächtigsten der Hohen Lords. Und wenn diese fünf sich hier versammelt hatten, mochten die restlichen sieben da nicht ebenfalls in der Nähe sein?

Der Tisch war zum Frühstück gedeckt, aber keiner von den Anwesenden aß mit Genuß. Anselm, beispielsweise, Loguires Sohn, schluckte die Bissen mechanisch, und sein Gesicht war von kalter Wut verzerrt.

Rod schloß daraus, daß es eine Meinungsverschiedenheit zwischen Vater und Sohn gegeben hatte, aus der der alte Loguire natürlich als Sieger hervorgegangen war — aber nur, indem er seinem Sohn den Mund verboten hatte. Und ihn, Rod, hatte man gerufen, damit er wieder für Stimmung sorgte. Was von einem Minnesänger nicht alles erwartet wurde!

Durers Gesicht konnte die verstohlene Selbstzufriedenheit kaum verbergen. Bei den anderen Ratgebern war es nicht viel anders. Was immer auch hier geschehen war, es mußte Durer gerade recht gekommen sein, ja vermutlich war es sogar von ihm in Szene gesetzt worden. Der Mann ist der perfekte Katalysator, dachte Rod. Er wurde nie in die Reaktionen verwickelt, die er auslöste.

Loguire sah seinen Sohn mit stummer Bitte in den alten, rotumränderten Augen an. Aber Anselm gönnte ihm keinen Blick, bis des Herzogs Gesicht zu Stein zu erstarren schien. Als er sich umdrehte, entdeckte er Rod. „Minnesänger!“ donnerte er. „Warum steht Ihr müßig herum? Singt uns etwas Fröhliches!“

Durers Kopf zuckte herum. Bei Rods Anblick weiteten sich seine Augen. Schrecken verzerrte seine Züge und wurde von mörderischem Haß abgelöst.

Rod lächelte vergnügt und verbeugte sich. Er überlegte, welches Lied wohl die Spannung in diesem Raum lösen könnte. Er befürchtete, daß es hier Sitte war, sich abzureagieren, indem man den Minnesänger verprügelte, wenn es ihm nicht gelang, für die erwartete Entspännung zu sorgen.

Er begann eine blutrünstige Moritat zu spielen, weil er es für das Beste hielt, ihnen etwas noch Aufregenderes zu bieten, als das, was immer auch hier vorgefallen war. Er klimperte jedoch zuerst nur herum, ohne gleich zu singen, um die Gesichter der vier Lords zu studieren.

Sie schwankten von brütender Überlegung zu Verachtung (obgleich unterdrückt). Letztere galt offenbar dem alten Herzog. Es sah ganz so aus, als hätte Loguire hier keine Unterstützung. Alle schienen auf der Seite seines Sohnes zu sein. „Minnesänger!“

Rod schaute auf. Es war Anselm, der ihn gerufen hatte. Sein Gesicht war in Bitterkeit erstarrt. „Habt Ihr vielleicht ein Lied über einen, den eine Frau zum Narren hält und der ein doppelter Narr ist, weil er sie trotzdem liebt?“

„Genug!“ donnerte Loguire, doch ehe Anselm etwas sagen konnte, erwiderte Rod: „Viele, mein Lord, aber von einem Mann, der die Frau, die ihm weh getan hat, immer noch liebt.

Und in allen kehrt sie zu ihm zurück.“

„Hah, sie nimmt ihn wieder auf — um ihn an einem langen Strick von den Zinnen baumeln zu lassen!“

Der alte Herzog richtete sich auf. „Genug der Verleumdung!“ brüllte er.

Anselms Stuhl kippte nach hinten, als er aufsprang. „Und ist es Verleumdung, daß sie den stolzen Namen Loguire in den Schmutz gezogen hat? Und nicht nur einmal, sondern zweimal, und sie wird es noch öfter tun!“ Er schlug die Faust auf den Tisch. „Diese Hexe wird noch lernen, daß sie die Ehre ihrer Edlen nicht ungestraft verletzen darf. Wir müssen sie von ihrem Thron zerren und sie ein für allemal unter unseren Füßen zertreten!“

Loguires Gesicht lief tiefrot an. Er öffnete den Mund, doch ehe er etwas erwidern konnte, murmelte Rod: „Nein, mein Lord, nicht so hart. Nicht gleich Vernichtung, sondern eine Lehre!“

Er stand im Kreuzfeuer von laserstrahlgleichen Blicken Anselms und Durers, aber Loguire polterte mit der Freude und Erleichterung eines Riesen: „Ja! Unser Minnesänger spricht zwar ungebeten, aber er hat recht! Unsere junge Königin ist eigensinnig, doch das ist auch ein Füllen, ehe man ihm das Zaumzeug anlegt. Sie muß erst noch lernen, daß ihre Macht nicht absolut ist, daß auch andere das Recht haben, ein Wort mitzureden. Sie ist immerhin die Herrscherin und darf nicht gestürzt werden!“

Anselm stieß einen gurgelnden Laut aus. Er würgte vor Wut und stotterte fast in seinem Grimm. „Nein — ich sage nein! Eine Frau als Monarch? Das ist Spott und Hohn! Und noch dazu eine arrogante, hurende…“

„Halt den Mund!“ Selbst die vier anderen Hohen Lords schraken vor dieser Donnerstimme zurück.

Anselm zuckte zusammen und schien sichtlich zu schrumpfen, während Loguire an Größe wuchs. Und dann, mit einer Würde, wie Rod sie noch nie an einem Mann gekannt hatte, ja, mit der wahrhaft majestätischen Würde, die nur aus dem innersten Wesen selbst kommen kann, setzte Loguire sich wieder und sagte, ohne den Blick von seinem Sohn zu lassen: „Zieh dich in deine Gemächer zurück. Wir werden bis zum Konklave heute abend nicht mehr davon sprechen!“

Irgendwie gelang es Anselm, das Kinn zu heben und sich auf dem Absatz umzudrehen. Auf dem Weg zur Tür fiel sein Blick auf Rod. Wut stieg in ihm auf. Er hob den Arm, um den Minnesänger zu schlagen.

„Nein!“ donnerte Loguire, und Anselm erstarrte.

„Dieser Mann“, erklärte der Herzog betont langsam, „hat die Wahrheit gesprochen. Ich dulde nicht, daß jemand Hand gegen ihn erhebt!“

Anselm senkte den Blick. Er riß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu.

„Minnesänger, spielt!“ brummte Loguire. Rod stimmte eine Weise auf der Harfe an, während er nachdachte. Heute abend

würde also Kriegsrat abgehalten werden, und der Hauptpunkt war zweifellos die konstitutionelle Monarchie gegen die Souveränität der Hohen Lords, auch wenn das vielleicht nur Durer und ihm klar war. Nun, er, Rod, wußte jedenfalls, auf wessen Seite er stand.

Sie kamen in dem neuen Bankettsaal zusammen, nicht nur die zwölf Hohen Lords, sondern mit ihnen ihre Lehnsleute, Grafen, Barone, Ritter. Und zur Seite eines jeden stand, oder eher noch, kauerte einer der ausgemergelten kleinen Männer. Rod pfiff lautlos durch die Lippen. Er hatte nicht gewußt, daß es so viele dieser Ratgeber gab. Mit einem Blick geschätzt waren es mindestens fünfzig, wenn nicht siebzig. Und möglicherweise gab es außerhalb seines Blickfelds noch mehr, und sein Blickfeld war momentan arg beschränkt. Er schaute durch ein Loch in der Wand hinter Lord Loguire in den Saal. Das Loch war dadurch entstanden, daß er von einer Fackelhalterung einen der drei Haltestifte entfernt und dahinter das Loch kopfgroß erweitert hatte.

Rod stand in der klammen Dunkelheit eines schmalen Ganges. Seine Rechte ruhte auf einem Hebel. Wenn er ihn nach unten drückte, mußte der Stein vor ihm zur Seite schwingen und sich eine Öffnung bilden, die groß genug war, ihn hindurchzulassen. Nach den Mienen der Lords, die ihre Gesichter Loguire zuwandten, würde es vermutlich notwendig werden, einzugreifen.

Der Mann unmittelbar vor dem Herzog war Anselm. Bourbon und di Medici standen links und rechts von dem jungen Mann, und Durer links von Loguire.

Der Herzog erhob sich schwer. „Hier in diesem Saal“, begann er, „sind alle von edlem Blut und die wahre Macht Gramayres zusammengekommen, um über eine passende Belehrung Königin Catherines zu beraten.“

Herzog Bourbon spreizte die Ellbogen und legte die Hände auf die Schenkel. Er erweckte den Eindruck eines großen

schwarzen Bären mit den zottligen Brauen und dem Urwald von einem Vollbart. „Nein, guter Onkel!“ widersprach er funkelnden Blickes. „Wir sind hier, um zu besprechen, wie wir sie stürzen können, sie, die unsere Ehre in den Schmutz zieht.“ Loguires Schultern strafften sich, seine Augen weiteten sich vor Entrüstung. „Nein!“ würgte er. „Es besteht nicht genug Grund…“

„Grund!“ Bourbons Stimme zitterte. „Sie hat uns höhere Steuern auferlegt als je in der Geschichte Gramayres und dann die Einnahmen an den Abschaum von Bauern vergeudet. Jeden Monat schickt sie ihre Richter zu uns, um sich Beschwerden von allen in unseren Ländereien anzuhören. Jetzt will sie auch noch die Priester selbst ernennen. Und da sagt Ihr, wir hätten nicht genug Grund? Sie beraubt uns unserer rechtmäßigen Herrschaft innerhalb unserer eigenen Domänen. Und um allem die Krone aufzusetzen, beleidigt sie uns auch noch vor allem Volk, indem sie sich erst die Petition von schmutzigen Bettlern anhört, ehe sie uns ihr Ohr leiht!“

Medici hatte sich zu seinem Ratgeber hinabgebeugt. Jetzt richtete er sich auf und rief: „Und hat ein Monarch je zuvor Petitionen seiner Bauern in seinem Audienzsaal angehört?“ „Nie!“ donnerte Bourbon. „Aber nun zieht die Königin Bettler und Bauern uns vor! Sie mißachtet alle Tradition! Und das jetzt, während sie noch ein Kind ist, mein verehrter Herzog Loguire. Was wird sie erst tun, wenn sie erwachsen ist?“ Er hielt kurz an, um Atem zu holen, dann knurrte er: „Wir haben gar keine andere Wahl, als sie zu stürzen!“

„Ja!“ pflichtete ihm di Medici bei, und alle anderen stimmten in das Ja ein, bis es durch den riesigen Saal hallte. „Und ich sage nein!“ donnerte Loguire über alle hinweg. Schweigen senkte sich auf die Anwesenden herab. „Sie ist unsere Herrscherin. Kapriziös, ja, und despotisch, hitzköpfig und eigensinnig, all das, ja, das ist sie. Aber das sind die üblichen Untugenden der Jugend, eines Kindes, das man die Grenzen seiner Macht erst noch lehren muß, und es ist an uns, sie ihr zu zeigen, sie darauf hinzuweisen, wo sie sie überschritten hat. Das dürfen wir tun, doch nicht mehr!“ „Eine Frau kann nicht weise regieren“, murmelte di Medicis Ratgeber, und di Medici griff es sofort auf. „Mein teurer Vetter“, wandte er sich an Loguire. „Gott schuf die Frauen nicht dazu, ein Land zu regieren.“

Sofort stieß Bourbon ins gleiche Horn. „Ja, guter Onkel! Weshalb will sie uns keinen König geben? Sie soll heiraten, wenn sie wirklich möchte, daß dieses Land weise regiert wird!“ „Es ist ihr Recht, zu regieren!“ polterte Loguire. „Sie ist vom Blute der Plantagenets, dem Herrschergeschlecht dieses Landes, seit es besteht! Mein guter Neffe, vergeßt Ihr so leicht den Eid, den Ihr diesem Namen geleistet habt?“ „Die Korruption macht auch bei Dynastien nicht halt!“ murmelte Bourbons Ratgeber mit funkelnden Augen. „Ja!“ donnerte Bourbon. „Das Blut der Plantagenets ist zu dünn, es brachte nur noch ein kleines Mädchen mit den Launen einer starrköpfigen Frau hervor. Wir brauchen neues Blut für unsere Könige!“

„Vielleicht das der Bourbons?“ fragte Loguire verächtlich. Bourbon lief tief rot an, aber schon rief di Medici: „Nein, teurer Vetter, das beste, das höchste Blut. Anselm Loguire wird unser neuer König sein!“

Loguires Kopf zuckte zurück, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. Mit zitternder Hand stützte er sich auf die Stuhllehne. Er schaute zu seinem Sohn, der triumphierend nickte. „Es ist also ein abgekartetes Spiel! Schon vor dieser Zusammenkunft habt ihr euch besprochen — hinter meinem Rücken! Und wer hat euch dazu angestachelt?“ Mit finsterem Blick musterte er Durer.

„Du!“ brüllte er. „Vor fünf Jahren kamst du zu mir, und ich alter Narr war sogar noch erfreut darüber. Und dann kamen

nach und nach alle deine Bastarde — und immer noch hielt ich es für gut!“

Er wandte sich nach rechts. „Anselm, den ich einst meinen Sohn nannte, wach auf und hör mich an! Hüte dich vor dem Vorkoster, denn er hat die beste Möglichkeit, dich zu vergiften!“

Rod wurde plötzlich klar, wie die Zusammenkunft enden würde. Die Ratgeber durften das Risiko nicht eingehen, Loguire am Leben zu lassen. Der alte Herzog war immer noch stark und nicht unterzukriegen und es mochte ihm durchaus wieder gelingen, die Hohen Lords auf seine Seite zu bekommen.

Anselm legte die Hand auf Durers Schulter. Der Ratgeber hatte Loguire kategorisch verlassen und sich neben seinen Sohn gestellt. „Ich vertraue diesem Mann. Er war von Anfang an auf meiner Seite, und ich bin für seine Weisheit dankbar — so wie ich es für deine sein werde, wenn du dich uns anschließt.“

Loguire verengte die Augen. „Nein!“ spuckte er. „Lieber sterbe ich, als zum Verräter zu werden, wie ihr!“

„Ihr sollt haben, was ihr begehrt!“ rief Durer. „Welche Todesart zieht Ihr vor?“

Anselm starrte ihn an. „Halte dich zurück, Durer! Er ist ein alter Narr, ja, und steht gegen das Wohl des Landes. Aber er ist mein Vater, und ich werde nicht dulden, daß jemand Hand an ihn legt!“

Durer hob die Brauen. „Ihr wollt eine Schlange an Eurem Busen nähren, Mylord? Aber nicht Ihr allein habt zu entscheiden, sondern alle Lords.“ Er hob die Stimme. „Was sagt Ihr, edle Herren? Soll dieser Mann sterben?“

Rod überlegte. Er mußte Loguire herausholen. Er konnte die Geheimtür öffnen und den Herzog mitsamt Stuhl herausziehen, ehe die anderen wußten, was ge schah. Aber konnte er sie auch rechtzeitig wieder schließen? Die anderen waren zu nah. Und vor allem würde Durer schnell handeln.

Ein zögerndes, aber einstimmiges Ja hallte durch den Saal. Durer verneigte sich spöttisch. „Das Urteil, mein Lord, ist der Tod.“ Er zog das Rapier und holte aus. Im gleichen Augenblick erlosch das Licht. Rod blieb einen Moment wie erstarrt in der totalen Dunkelheit stehen, dann zog er mit aller Kraft den Hebel. Das Ächzen und Knarren des zurückgleitenden Steines brach die Totenstille, und sofort schrien alle durcheinander. Der Lärm würde Rod von Nutzen sein. Er tastete blind um sich und stieß gegen jemandes Brustkasten. Der Jemand brüllte und holte mit der Klinge aus. Sie zischte dicht über Rods Kopf hinweg. Eine Sekunde schaltete er das Licht seiner Dolchscheide an und erkannte den Jemand als Lord Loguire. Doch auch ein anderer hatte sich in dem flüchtigen Lichtschein orientiert. Ein knorriger, kleiner Körper stieß heulend vor Wut gegen Rod, und gleichzeitig stach eine Klinge in Rods Schulter. Durch reinen Zufall gelang es ihm, Durers Handgelenk zu fassen und den zurückgezogenen Dolch, der schon fast seine Kehle erreicht hatte, zu stoppen.

Der Kleine war unheimlich stark und zäh. Immer näher drang die Dolchspitze an Rods Hals. Er spürte bereits die ersten Blutstropfen, als plötzlich ein grauenvolles, ohrenbetäubendes Ächzen den Saal erfüllte, dem gleich Panikschreie folgten. Drei riesige schimmernde, durchscheinende Gestalten schwebten durch die Luft. Knochengesichter waren zu sehen, mit den Mündern zu großen Os gerundet. Horatio und zwei andere ehemalige Loguires amüsierten sich köstlich. Rod brüllte: „Gekab, sechzig Hertz!“ Betäubendes Dröhnen summte in seinen Ohren und sofort schwand seine Furcht. Hastig schaltete er wieder das Hüllenlicht ein und fand Loguire. Rod duckte sich, rammte ihm den Schädel in den Magen, schwang ihn sich über die gute Schulter, und eilte zur Öffnung. „Drückt die Hände an die Ohren, ihr Narren!“ kreischte Durer und folgte Rod, der die Öffnung nicht gleich finden konnte.

Panik griff nach ihm, denn mit Loguire auf der Schulter hatte er gegen den drahtigen Kleinen keine Chance.

Kalte Luft blies gegen seine Wange. „Mir nach!“ donnerte Horatio. Rod gehorchte, und so gelangten sie durch die Öffnung. „Schnell, Mann!“ polterte der Geist. „Der Stein! Ihr müßt ihn schließen!“ Rod nickte keuchend und tastete nach dem Hebel. Knarrend schloß sich die Öffnung. Er setzte den Herzog, der allmählich zu sich kam, auf den Steinboden.

Immer noch keuchend blickte er zu Horatio hoch. „Habt Dank für die Rettung!“ krächzte er.

Horatio winkte ab. „Tot hättet Ihr Euren Eid nicht erfüllen können“, brummte er.

„Wie habt Ihr das eigentlich geschafft, alle Fackeln gleichzeitig zu löschen?“ fragte Rod nach einer Weile.

„Ich dachte, das hättet Ihr getan, Zauberer.“

Rod starrte ihn mit weit offenem Mund an. „Ich dachte, Ihr hättet — und Ihr dachtet, ich hätte… Aber wer war es dann?“

Ein Lichtstrahl drang durch das von Rod geschaffene Guckloch. Horatio heulte furchterfüllt auf und verschwand.

Rod spähte durch das Loch. Durer stand auf der Plattform und stieß mit dem Dolch um sich. „Wo? Wo?“ heulte er.

Rod half Loguire, der noch völlig benommen war, auf die Beine. „Wer — wer war das?“ fragte er, während Rod ihn hinter sich herzog. „Dieser Mann in Weiß?“

Offenbar stand Loguire noch unter Schock. Er mußte ihn also vorsichtig behandeln. „Einer Eurer Verwandten, Mylord. Kommt, wir müssen uns beeilen.“

„Verwandter?“ murmelte Loguire, aber er lief hinter Rod her, bis sie um eine Biegung kamen, dahinter würde es dunkel sein, da das Licht aus dem Guckloch nicht so weit reichte. Doch als sie um die Ecke bogen, schimmerte etwas voraus — eine Gestalt mit einer phosphoreszierenden Lichtkugel in der Hand und zutiefst besorgtem Gesicht.

„Gwendylon!“ rief Rod.

Ihr Gesicht strahlte erleichtert auf.

„Was, zum Teufel, machst du da?“

Unschuldigen Blickes antwortete sie: „Ich folgte Euch, Mylord.“

„Aber, aber… Du mußt mich doch jetzt hassen, so war es schließlich gedacht!“

„Nie, mein Lord“, sagte sie ernst. Rod dachte wieder daran, was Tom über Bauernmädchen gesagt hatte, doch dann betrachtete er das kugelförmige Feuer in ihrer bloßen Hand.

„Was hast du denn da?“

„Oh, nur ein kleiner Zauber, den meine Mutter mich lehrte, als ich noch ein ganz winziges Kind war. Das Licht wird uns helfen, einen Weg durch dieses Labyrinth zu finden.“

Rod starrte sie an. „Und wie hast du die Fackeln im Saal gelöscht?“

„Das ist nicht so einfach zu erklären, Mylord. Haben wir Zeit?“

„Nein. Aber du warst es jedenfalls, hm? Ein weiterer Trick, den deine Mutter dich lehrte?“

Sie nickte, da bemerkte sie seine blutende Schulter. „Ihr seid verwundet, mein Lord!“ rief sie erschrocken. Erst jetzt wurden Rod die Schmerzen wieder bewußt. Er wollte sich an die Wand stützen, doch statt dessen drückte seine Hand auf etwas Weiches, Nachgiebiges, und schon schmiegte sich ein sanfter Körper an ihn. „Gwendylon! Hier ist wirklich nicht der richtige Ort…“

„Mit Euch ist überall der richtige Ort“, flüsterte sie in sein Ohr.

Rod versuchte, sich in die Wand hineinzudrängen. „Horch, Baby, wir haben jetzt nicht die Zeit dazu, doch wenn du uns sicher hier heraus führst, tue ich, was du willst!“

Sie sog die Luft ein. „Wahrhaftig, Lord?“

Rod wich zur Seite, so weit er konnte. „Nun, jedenfalls vierundzwanzig Stunden lang.“

„Das genügt“, versicherte sie ihm mit strahlendem Lächeln, und schon rarinte sie mit dem Licht voraus. Er

blickte ihr eine Sekunde nach, dann schoß er hinter ihr her und riß sie an sich. Erstaunt schaute sie zu ihm hoch. „Mein Lord, wir müssen uns beeilen…“

„Es dauert nicht lange.“ Er zog sie an sich und drückte die Lippen fest auf ihre. Sie seufzte glücklich und schob ihn von sich. „Und wofür war das?“

„Nur eine kleine Kostprobe“, murmelte er und wirbelte herum, als er ein tiefes, freundliches Lachen hinter sich hörte. Loguire war wieder zu Kräften gekommen.

Der Boden unter ihren Füßen wurde immer glitschriger, und Wasser rauschte irgendwo in der Nähe. „Beeilt Euch, meine Lords!“ rief Gwendylon. „Wir müssen fort sein, ehe sie daran denken, die Stallungen zu durchsuchen!“

„Kommen wir denn dort heraus?“ fragte Rod stirnrunzelnd.

„Nein, am Fluß. Aber wenn sie in den Stallungen nachsehen, wird ihnen auffallen, daß Euer Rappe und des Herzogs Brauner durchgegangen sind.“

„Was du nicht sagst! Und wo sind die Pferde?“ Er sprach ein wenig lauter als nötig.

„Am Flußufer“, erklang Gekabs Stimme hinter seinem Ohr.

„Tom ist auch hier.“

Rod unterbrach Gwendylon, als sie ihm antworten wollte. „Ich weiß, ich weiß, am Flußufer. Aber wieso brachte Tom sie…“

„Ich ersuchte ihn darum, Mylord. Mir kam der Gedanke, daß wir sie brauchen würden.“ Kann sie auch in die Zukunft sehen?

Fragte sich Rod. „Vorsicht, meine Lords!“ warnte da das Mädchen und stieg über etwas, das mitten auf dem Gang lag.

Rod blieb stehen und betrachtete es. Es War das Skelett eines winzigen Menschen, doch keines Kindes, den Proportionen nach. Es war mit Moder überzogen, konnte aber trotzdem noch nicht sehr lange hier liegen. „Was ist das?“

fragte er.

„Einer des kleinen Volkes, Lord.“ Ihre Züge verhärteten sich.

„Schwarzer Zauber breitet sich seit einiger Zeit in der Burg

aus.

Rod ignorierte Loguires Stöhnen. „Welche Art von Zauber?“

„Hier war es eine Art Singen — in der Luft! Doch nicht in den Ohren klang es, nur im Kopf. Euch oder mich hätte es nur aufgehalten wie eine Mauer, aber die Kleinen tötete es.“

Ein Kraftfeld! „Wann begann es?“

„Dieser Zauber wurde vor fünf Jahren gewirkt, Mylord, doch hielt er nicht länger als einen Monat an, denn sein Meister achtete nicht darauf, daß ich ihn unwirksam machte, noch errichtete er ihn erneut.“

Rod hielt so abrupt an, daß Loguire gegen ihn prallte. Er starrte auf die grazile, o so weibliche Gestalt, die voraus durch den Gang huschte. Dann schluckte er und folgte ihr wieder. Ein Energieschirm! Vor fünf Jahren! Als Durer auftauchte! Und sie hatte ihn neutralisiert! Mit neuem Respekt betrachtete er das Bauernmädchen. Sie steckte voll Überraschungen!

Das Kugellicht in Gwendylons Hand erlosch und der mit dichtem Grün verhangene Tunnelmund öffnete sich voraus.

Der Fluß rauschte nur wenige Meter entfernt vorbei. Es war kalt hier. Loguire fröstelte.

„Meister!“ Tom trat mit drei Pferden an den Zügeln aus den Schatten des Flußufers. Rod faßte Gwendylons Hand und rannte ihm entgegen. Aber sie hielt ihn energisch zurück.

„Nein, mein Lord! Erst müssen wir nach Eurer Schulter sehen!“

„Wir haben keine Zeit!“ protestierte Rod.

„Es würde uns unterwegs nur aufhalten!“ sagte sie streng, „und jetzt brauchen wir bloß wenige Minuten.“ Rod seufzte und kapitulierte. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus, als er ihr nachsah, wie sie zum Ufer rannte.

„Sie hat recht“, brummte Loguire und drehte Rod zu sich um.

„Beißt die Zähne zusammen!“ Er riß Rods Wams von der Schulter und löste dabei das verkrustete Blut. Rod schnappte nach Luft.

„Es ist gut, wenn es frisch blutet!“ knurrte Loguire. Und schon eilte Gwendylon mit einer Handvoll Krautern herbei und legte sie vorsichtig auf die Wunde, während Tom ihm einen Weinbeutel an die Lippen setzte. Und bereits fünf Minuten später schwang er das Mädchen auf Gekabs Rücken und setzte sich hinter ihr in den Sattel.

Als Gekab sich in Trab setzte, drehte sie sich zu Rod um.

„Aber, Mylord, ich brauche doch nicht…“

„Wir haben nur drei Pferde, Gwen. Mach dir keine Sorgen, mein Rappe schafft dein Gewicht spielend…“

„Aber, mein Lord, ich brauche wirklich nicht…“

„Still! Lord Loguire!“ rief Rod über die Schulter. „Führt uns, Ihr kennt das Land am besten.“

Loguire nickte stumm und trabte voraus. Rod brummte: „Unsere Spur ist deutlich wie eine Straße. Wir müssen uns beeilen, damit sie uns nicht einholen können!“

„Seht erst einmal hinter Euch, Lord!“ riet ihm Gwendylon. Rod drehte sich um. Mindestens hundert Elfen waren mit winzigen Besen dabei, die Spur zu verwischen.

„Großer Gott!“ murmelte Rod. „Gwen! Hast du das veranlaßt?“

Keine Antwort. Er wandte sich wieder nach vorn. Gwen war verschwunden! „Gwendylon!“ brüllte er erschrocken, und zerrte am Zügel, daß Gekab sich aufbäumte und anhielt.

Ein Schrei antwortete aus dem Himmel. Rod riß den Kopf hoch. Der Seeadler war wieder da! Und jetzt schoß er herab, kreiste um Rod und schrie drängend.

„Ja, ja, ich verstehe schon“, brummte Rod. „Marsch, weiter, Gekab!“ Aber das Pferd stand starr, und sein Kopf baumelte zwischen den Beinen. Das hatte kommen müssen. Aber er konnte es dem Roboter nicht einmal übelnehmen, auch für ihn war es ein Schock gewesen. Rod drückte auf den Schaltknopf.

Sie ritten die ganze Nacht hindurch. Loguire war so erschöpft, daß er sich kaum noch im Sattel halten konnte. Doch Rod ging es nicht viel besser. „Seht Ihr die Heuhaufen, Mylord?“ wandte

er sich an ihn. „Der Morgen ist nah, und wir können es nicht riskieren, während des Tages zu reiten. Wir wollen uns im Heu ausruhen.“

Loguire hob blinzelnd den Kopf. „Ja, ja“, murmelte er nur. Vor dem nächsten Heuhaufen half Rod ihm aus dem Sattel. Tom nahm den Pferden die Sättel ab. „Gekab“, flüsterte Rod. „Zieh dich mit den beiden Tieren irgendwohin zurück, wo ihr nicht so leicht entdeckt werden könnt, und schaff sie bei Sonnenuntergang wieder hierher.“ „Ist gut, Rod“, versicherte ihm der Roboter.

Rod schaute auf den alten Lord hinunter. Er war eingeschlafen.

Schnell bedeckte er ihn mit Heu, dann hielt er nach Tom Ausschau und sah, wie gerade seine Waden und Füße in einem Heuhaufen verschwanden. Sättel und Zügel waren bereits nicht mehr zu sehen.

„Ihr müßt Euch auch verkriechen, Herr“, erklang Toms Stimme gedämpft. „Die Bauern werden bald unterwegs sein, sie dürfen uns nicht sehen.“

„Glaubst du nicht, daß sie das Heu heute aufladen werden?“

„Nein, sie nehmen sich erst die Wiesen näher an der Burg vor.“

Mit einem Seufzer der Erleichterung kletterte Rod auf den nächsten Heuhaufen und grub sich eine tiefe Kuhle, in der er sich zufrieden ausstreckte. Als er die Augen schließen wollte, vernahm er einen sanften Vogelschrei, und der Seeadler ließ sich neben ihm nieder. Seine Gestalt dehnte sich in die Länge, und gleich darauf schmiegte Gwendylon sich an Rod.

Spitzbübisch lächelnd öffnete sie ihr Mieder. „Vierundzwanzig Stunden, mein Lord. Von Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang.

Ihr verspracht zu tun, was mir gefällt!“

„A-a-ber“, stammelte Rod und schluckte, als dem Mieder die Bluse folgte. „Je-jemand muß Wache halten!“

„Fürchtet nichts, mein Lord. Das werden meine Freunde aus dem Kleinen Volk tun!“ Sie streckte sich genußvoll aus. Rod spürte, wie sein Puls schneller schlug. Ohne länger zu zaudern,

drückte er seine Lippen auf Gwendylons.

Nach zwei weiteren nächtlichen Ritten erreichten sie die Hauptstadt. Sie waren überrascht, zwei Posten mit Piken und Fackeln in der Dunkelheit der siebten Nachtstunde an der Brücke Wache halten zu sehen.

„Ich kümmere mich um sie, Herr“, brummte Tom und ritt Rod und Loguire voraus. „Aus dem Weg!“ rief er den Wachen zu.

„Meine Herren begehren die Stadt zu betreten!“

Die Posten überkreuzten die Piken, um die Brücke zu versperren. „Wer sind deine Herren?“ fragten sie. „Rebellen?“

„Rebellen?“ Tom runzelte die Stirn. „Was ist in der Stadt passiert, während wir im Süden waren?“

„Im Süden?“ Die Augen der Posten verengten sich. „Die Lords des Südens sind die Rebellen!“

„Ja, ja“, winkte Tom ungeduldig ab. „Aber wir waren im Auftrag der Königin dort, als Spione, wenn ihr es so nennen wollt. Wir bringen die Kunde, daß der Süden sich erhebt, und den Tag und die Stunde. Wie ist es möglich, daß sie vor uns hier bekannt wurde?“

„Wer wagt es, uns hier aufzuhalten!“ donnerte Lord Loguire, der inzwischen mit Rod herangeritten war. „Zur Seite für einen Mann edlen Blutes!“

Die Posten starrten den Herzog an, dann sprangen beide heran und drückten ihm die Pikenspitzen an die Brust. „Steigt ab, Mylord Herzog Loguire! Im Namen der Königin, wir müssen Euch festnehmen!“ rief einer, während der andere nach dem Hauptmann der Wache schreiend über die Brücke rannte.

Loguire starrte ungläubig von einem zum anderen. Rod brüllte den Posten an: „Nenn den Grund!“ Der Blick des Soldaten flog von Loguires zu Rods Gesicht und zurück. Zögernd antwortete er: „Hochverrat gegen die Person Ihrer Majestät der Königin.“

Loguire preßte die Lippen zusammen, dann explodierte er: „Keiner könnte der Königin treuer ergeben sein als ich. Genug deiner Impertinenz! Zur Seite!“

Der Posten schluckte, wich jedoch nicht von der Stelle. „Es heißt, daß Loguire die Rebellen anführt, Mylord.“

„Soldat“, sagte Rod mit dem Ton eines geduldigen Feldwebels.

„Weißt du, wer ich bin?“

„Ihr seid Meister Gallowglass, ehemals von der Leibwache der Königin.“

„Immer noch von der Leibwache“, berichtigte Rod.

„Und vor einer Woche in den Süden abbeordert, um Herzog Loguire zu beschützen!“

Des Herzogs Kopf zuckte zurück. Er starrte Rod funkelnd an.

„Wir wußten, daß Ihr fort seid“, murmelte der Soldat.

„Und jetzt weißt du auch, weshalb.“ Rod hielt seine Stimme unter sorgfältiger Kontrolle, aber ihr Ton verriet, daß der Grimm der Königin auf den elenden Posten fallen würde, falls er dem Leibgardisten nicht gehorchte. „Lord Loguire ersucht seine Verwandte und Herrscherin, Ihre Majestät, die Königin, um Asyl. Sie wäre erzürnt, müßte sie erfahren, daß er aufgehalten wurde.“

Der Posten behielt seine Pike verkrampft in der Hand und schob trotzig das Kinn vor. „Es wurde der Befehl erteilt, guter Meister Gallowglass, daß Mylord Loguire im Verlies der Königin festgesetzt werden muß. Mehr weiß ich nicht.“

„Verlies!“ donnerte Loguire mit rotem Gesicht. „So tief kann das Blut der Plantagenets nicht gesunken sein! Bube, ich schneide dir die lügende Zunge aus dem Mund!“ Seine Hand fuhr nach dem Dolch. Der Soldat wurde kreidebleich, aber Rod hielt den Herzog zurück.

„Beruhigt Euch, Mylord“, murmelte er. „Dieser Durer hat die Nachricht hierhergeschickt. Die Königin kann nichts von Eurer Loyalität wissen.“

Der Herzog bemühte sich, seinen Grimm zu schlukken. Rod beugte sich zu Tom hinüber. „Kannst du für den alten Mann ein Versteck finden, wo er sicher ist?“

„Ja, Herr. Bei seinem Sohn, aber warum…“

„Im Haus Clovis?“

„Ja, Meister. Die Königin müßte ihre ganze Armee aufbieten, um ihn von dort herauszuholen!“

„Sprecht so, daß alle es hören können!“ erschallte eine neue Stimme, die Rod vertraut vorkam. Sir Maris trat neben den sichtlich erleichterten Wachsoldaten. „Gut gemacht, Rod Gallowglass! Ihr habt den schlimmsten der Rebellen hierhergebracht!“

Loguires Augen verengten sich und sprühten Rod haßerfüllt an.

„Sprecht nicht untereinander“, fuhr Sir Maris fort. „Ich verbiete es. Zwölf Armbrüste sind auf euch gerichtet.“

Loguire setzte sich stolz im Sattel auf. Sein Gesicht wirkte wie aus Granit.

„Zwölf?“ sagte Rod spöttisch. „Nur zwölf Schützen, um Herzog Loguire zu töten? Mein guter Sir Maris, ich muß wohl annehmen, daß Ihr in Eurem Alter unvorsichtig werdet.“

Der Granit zersprang. Loguire widmete Rod einen verwunderten Blick. Rod schwang sich aus dem Sattel und schritt von den Pferden weg zur Brücke. Er schüttelte betrübt den Kopf. „Sir Maris! Mein guter Sir Maris, zu glauben…“

Plötzlich wirbelte er herum und schlug mit einem schrillen Schrei auf die Pferde ein. „Macht kehrt und reitet!“ schrie er.

„Schnell!“

Sir Maris und seine Männer erstarrten vor Verblüffung, als die Pferde drehten und davongaloppierten. Einen Augenblick später schlugen elf Armbrustbolzen in den Boden, wo die Tiere sich befunden hatten. Nur einer der Schützen war etwas schneller gewesen, sein Geschoß hatte Gekabs Hinterteil getroffen, war davon abgeprallt und in den Fluß gesegelt, woraufhin erschrockenes Schweigen eingesetzt hatte und das Gemurmel: „Hexenpferd!“ die Runde machte.

„Wirbel ein wenig Staub auf, Gekab!“ murmelte Rod, und sofort bäumte der mächtige Eisenrappe sich auf, schlug mit den Hufen durch die Luft und wieherte drohend, dann brauste er

durch die Nacht davon. Rod war sicher, daß er Toms und Loguires Spuren verwischen würde.

Sir Maris bemühte sich tapfer, ergrimmt dreinzuschauen, aber die nackte Furcht leuchtete aus seinen Augen. Seine Stimme zitterte, als er sagte: „Rod Gallowglass, Ihr habt die Flucht eines Rebellen ermöglicht.“ Er schluckte sichtlich, ehe er fortfuhr: „Deshalb muß ich Euch wegen Hochverrats festnehmen.“

„Ihr dürft es gern versuchen“, erwiderte Rod höflich.

Die Soldaten redeten verängstigt aufeinander ein und wichen vor Rod zurück. Keiner wollte die Klingen mit dem Zauberer messen. Sir Maris' Augen weiteten sich erschrocken. Er faßte eine der Wachen am Arm. „Du, da, lauf voraus und melde der Königin, was hier vorgeht!“

Der Soldat eilte davon, glücklich darüber, nicht eventuell hier in einen Kampf verwickelt zu werden.

Sir Maris wandte sich an Rod. „Ihr müßt zur Rechtsprechung zur Königin kommen, Meister Gallowglass. Begleitet Ihr uns freiwillig?“

Rod mußte sich beherrschen, um nicht über die Angst in der Stimme des alten Ritters zu lachen. Sein Ruf brachte zweifellos seine Vorteile mit sich. „Ich komme aus eigenem Willen mit Euch.“

Sir Maris bedachte ihn mit einem dankbaren Blick, doch dann kam ihm der Ernst der Lage offenbar erst richtig zu Bewußtsein. „Nicht um eine Burg und ein Herzogtum möchte ich in Eurer Haut stecken, Rod Gallowglass. Allein müßt Ihr nun der Königin Rede und Antwort stehen.“

„Nun, ich habe ihr auch ein paar Dinge zu sagen“, brummte Rod. „Machen wir uns auf den Weg, Sir Maris.“

Bedauerlicherweise gab der Marsch zur Burg Rod Zeit, über Catherines letzten Trick nachzudenken, und genauso bedauerlicherweise empfingen ihn mit Piken bewaffnete Soldaten, die mit zitternder Stimme erklärten, sie müßten ihn in

Ketten vor die Königin bringen.

„Oh“, brummte Rod und hob eine Braue. Er schob die auf ihn gerichteten Piken zur Seite, packte den als Boten vorausgeschickten Soldaten und warf ihn gegen den Trupp Wachen, die sich aneinandergedrängt vorsichtig vorwärtsschoben. Schließlich hob er mit einem heftigen Fußtritt die Tür aus ihren primitiven Eisenangeln. Sie knallte zu Boden, und er schritt darüber.

Catherine, der Bürgermeister der Hauptstadt, und Brom O'Berin sprangen erschrocken von ihren Stühlen um einen kartenbeladenen Tisch auf, als Rod in den Raum stiefelte.

Brom rannte Rod entgegen, um ihm den Weg zu versperren.

Aber schon war Rod an ihm vorbei. Erst am Tisch machte er halt und sah Catherine mit einem Blick an, der Wasser zu Eis hätte erstarren lassen. Die Königin wich zurück und drückte furchtsam die Hand an die Kehle.

Brom hüpfte auf die Tischplatte. „Was soll dieses unziemliche Eindringen, Rod Gallowglass? Verschwindet und wartet, bis Ihre Majestät Euch rufen läßt!“

„Ich ziehe es vor, ungekettet vor der Königin zu erscheinen!“

donnerte Rod. „Und ich lasse nicht zu, daß ein Edelmann von höchstem Stand in ein rattenverseuchtes Verlies mit gemeinen Mördern und Dieben geworfen wird!“

„Ihr laßt es nicht zu?“ krächzte die Königin.

„Und wer seid Ihr, etwas zuzulassen oder nicht?“ donnerte Brom. „Ihr seid nicht einmal von edlem Blut!“

„Dann muß ich wohl annehmen, daß edles Blut nur hinderlich ist, wenn es um Taten geht!“ Rod kippte den Tisch um und ging auf die Königin zu. „Ich hielt Euch für edel! Doch jetzt sehe ich, daß Ihr Euch gegen Eure eigene Familie wendet, selbst gegen einen, der Euch so nah wie ein Vater ist. Selbst wenn er ein Mörder wäre, müßtet Ihr ihn mit der Höflichkeit und den Ehren empfangen, die Ihr seinem Stand schuldet. Euer prächtigstes Gemach müßtet Ihr ihm als Zelle überlassen! Das ist Eure Blutspflicht!“

Er drängte sie zum Kamin zurück. „Aber nein, als Mörder würdet Ihr ihn gewiß in Ehren aufnehmen! Doch er hat sich der schrecklichsten aller Verbrechen schuldig gemacht, nämlich Euch darauf aufmerksam zu machen, daß Eure Gesetze tyrannisch sind, und dann, als Ihr ihn mit aller Berechnung beleidigtet, seine Würde zu bewahren! Und dazu besteht er noch darauf, mit dem Respekt behandelt zu werden, der einem Mann unter der Herrschaft einer rachsüchtigen, kindischen, trotzigen Halbwüchsigen zusteht, die zwar den Titel einer Königin trägt, aber nicht ihre Größe hat — und deshalb muß er wie der gemeinste Verbrecher bestraft werden!“

„Schämt Euch, so mit einer Lady zu sprechen!“ stammelte die Königin kreidebleich.

„Lady!“ schnaubte Rod abfällig.

„Eine geborene Lady!“ Es klang wie ein Verzweiflungsschrei.

„So laßt auch Ihr mich im Stich! Und sprecht mit der Zunge Clovis!“

„Ich spreche vielleicht wie ein Bauer, aber Ihr handelt wie einer. Und nun verstehe ich, weshalb alle Euch verlassen!

Denn selbst den einzigen Eurer Lords, der Euch treu geblieben ist, wollt Ihr in den Schmutz werfen!“

„Treu!“ keuchte sie. „Er, der die Rebellen anführt?“

„Anselm Loguire führt die Rebellen an! Weil er Euch die Treue hielt, wurde der alte Herzog gestürzt!“

Rod lächelte bitter, als er den Schrecken in den Augen des Mädchens sah, da sie sich ihrer Schuld bewußt wurde. Er drehte sich um, um ihr Zeit zu geben, sich der Ungeheuerlichkeit ihrer Tat ganz klar zu werden. Er hörte ein schmerzhaftes Stöhnen hinter sich, dann rannte Brom an ihm vorbei zu seiner Königin und half ihr auf einen Stuhl. Der Bürgermeister starrte mit großen Augen an Rod vorbei. Rod bedeutete ihm, den Raum zu verlassen. Zögernd blickte der Mann zur Königin. Erst als Rod mit dem Dolchgriff spielte,

ergriff er schleunigst die Flucht.

Rod wandte sich erneut dem verstörten Mädchen zu.

Brom warf ihm einen haßerfüllten Blick zu. „Laßt es genug sein! Mußte sie unter Eurer Zunge nicht schon viel zu sehr leiden?“

„Noch nicht!“ Mit kalter Stimme sagte er zu der Königin: „Euer wahrhaft edler Onkel, Herzog Loguire, stellte sich aus Liebe zu Euch gegen die Gesamtheit Eurer Aristokratie, selbst gegen seinen eigenen Sohn! Und Ihr seid schuld daran, mit Euren selbstherrlichen Gesetzen und Eurem absoluten Mangel an Diplomatie, daß Anselm sich gegen seinen Vater wandte.

Herzog Loguire hatte zwei Söhne, Ihr habt ihn um beide beraubt!“

Sie schüttelte heftig den Kopf, während ihre Lippen sich zum stummen Nein formten.

„Und doch ist er seiner Königin treu geblieben, obgleich sie ihn deshalb töten wollten — und es ihnen fast gelang!“

Ihre Augen weiteten sich vor Grauen.

Rod tupfte auf seine verbundene Schulter. „Sie hielt den Dolchstoß auf, der seinem Herzen gegolten hatte! Und selbst dann war es nur einem Wunder zu verdanken und der Hilfe einer der Hexen, die Ihr kaum zu schätzen wißt, daß es mir glückte, ihn lebend aus seiner Burg zu schaffen.“

Broms Kopf zuckte zurück. Durchdringend musterte er Rods Gesicht. Rod zog die Brauen zusammen und fuhr fort: „Aber es gelang mir, ihn unter Lebensgefahr heraus und in Sicherheit zu bringen. Und was muß ich erfahren? Er soll festgenommen und wie ein Meuchelmörder in ein kaltes, lichtloses Verlies geworfen und nicht behandelt werden, wie es einem Mann seines Standes zusteht.“

Offenbar war er ein wenig zu theatralisch gewesen. Sie schob das Kinn vor und unterdrückte ihre Tränen. „Vor meinen Gesetzen, mein Herr, sind alle gleich!“

„Das mag stimmen, doch das sollte eigentlich bedeuten, daß

Ihr auch einen Bauern wie einen Lord behandelt, und nicht umgekehrt einen Lord wie einen Bauern!“ Er beugte sich vor. „Verratet mir, Königin, weshalb schaut Catherine auf alle voll Verachtung herab?“

Das war zwar nicht ganz die Wahrheit, denn sie verachtete nur die Edlen, aber ihre Augen verrieten, daß sie plötzlich selbst an sich zu zweifeln begann. Trotzdem schob sie das Kinn noch eine Spur trotziger vor und erklärte: „Ich bin die Königin, und alle haben sich meiner Macht zu beugen!“ „Oh, sie beugen sich, das tun sie, doch nur, solange Ihr sie nicht ins Gesicht schlagt, denn dann schlagen sie zurück. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln, wenn Ihr sie ihrer Freiheit beraubt.“

Catherine starrte ihn an. „Freiheit? Aber ich bemühe mich doch, den Bauern größere Freiheit zu geben!“ „Ihr bemüht Euch also.“ Rod lächelte säuerlich. „Und wie geht Ihr es an? Indem Ihr sie noch enger an Euch bindet. Ihr haltet sie jetzt knapp, damit Ihr ihnen später mehr geben könnt!“ Er hieb mit der Faust auf die Lehne ihres Sessels. „Aber später wird nie kommen! Seht Ihr das nicht ein? Es gibt zu viele Mißstände im Land. Immer wird es etwas zu bekämpfen geben, und das Wort der Königin darf nicht in Frage gestellt werden, wenn sie ihre Armee gegen was immer auch ausschickt!“ Langsam zog er die Hand zurück. Seine Augen brannten. „Und so wird der Tag, da Ihr sie freigebt, nie kommen. In Eurem Reich wird keiner frei sein — außer der Königin!“ Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und stapfte im Zimmer auf und ab. „Es gibt nur ein bestimmtes Maß an Freiheit für alle. Wenn einer mehr bekommen soll, wird ein anderer deswegen weniger haben. Denn wenn einer befiehlt, muß ein anderer gehorchen.“ Er blieb vor Catherine stehen. „Und so nehmt Ihr sie nach und nach ganz, bis man auch Euren verrücktesten Launen gehorcht. Ihr werdet die absolute Freiheit haben zu tun, was Ihr wollt, aber nur Ihr allein werdet frei sein.

Für Euer Volk bleibt keine Freiheit mehr! Alle werden an Catherine gebunden sein!“

Er streckte die Hand aus und umklammerte ihre Kehle, doch ohne Druck auszuüben. Sie starrte ihn an, schluckte und wich bis ganz zur Stuhllehne zurück.

„Aber der Mensch kann nicht ohne zumindest ein winziges bißchen Freiheit leben. Er braucht es, sonst stirbt er.“ Seine Finger drückten ein wenig zu. „Sie werden sich gegen Euch erheben, vereint durch ihren gemeinsamen Feind — Euch! Und sie werden ihre Freiheit, ihre Rechte aus Euch herausquetschen, eines nach dem anderen — ganz langsam.“ Catherine wehrte sich gegen seine Hand und keuchte nach Luft. Brom sprang herbei, um sie zu befreien, doch Rod ließ sie schon vorher los. „Sie werden Euch an Eurem eigenen Burgtor hängen“, fuhr Rod fort. „Und die Edlen werden an Eurer Statt regieren. Alles, was Ihr getan habt, wird zunichte gemacht werden. Dessen könnt Ihr ganz sicher sein, denn so war es mit Tyrannen immer!“

Ihr Kopf zuckte hoch. Tiefe Kränkung sprach aus ihren Augen. Heftig schüttelte sie den Kopf. „Nicht ich! Nein! Nicht das! Tyrann nie und nimmer!“

„Schon immer ein Tyrann“, widersprach Rod fast sanft. „Seit Eurer Geburt. Immer ein Tyrann gegenüber allen um Euch, obgleich es Euch bis jetzt nicht bewußt wurde. Aber jetzt wißt Ihr es, und es muß Euch nun klar sein, daß nur Ihr allein Schuld an der Rebellion tragt. Immer schlimmer bedrängtet Ihr Eure Edlen — zum Wohle des Volkes, wie Ihr sagtet!“ Er schaute sie scharf an. „Aber habt Ihr es nicht vielleicht auch getan, um festzustellen, wer unter ihnen es wagen würde, sich Euch zu widersetzen? Um zu erkennen, wer unter ihnen Männer sind?“

Verächtlich verzog sie das Gesicht. „Männer!“ Es klang wie die gemeinste Beschimpfung. „Es gibt keine Männer mehr auf Gramayre, nur noch Jungen, die sich damit zufrieden geben, das Spielzeug einer Frau zu sein.“

Rod verzog den Mund. „O doch, es gibt sehr wohl noch Männer hier — im Süden, und Männer im Haus Clovis, oder zumindest einen dort! Echte Männer, aber gutherzige Männer, die ihre Königin lieben und sich deshalb nicht gegen sie stellen wollen.“

Ihre Verachtung schien nur noch zu wachsen. „Nein, in Gramayre gibt es keine Männer mehr!“

„Ihr täuscht Euch“, entgegnete Rod ruhig. „Und sie marschieren bereits gen Norden, um es zu beweisen.“

Sie starrte ihn an, dann lehnte sie sich zurück. „Nun gut, so marschieren sie also nordwärts, und ich werde sie auf dem Bredenfeld stellen. Aber trotzdem befindet sich keiner unter ihnen, den ich einen Mann nennen könnte!“

„Oh, Ihr werdet sie also stellen? Was wollt Ihr als Armee benutzen? Und wer soll sie befehligen?“

„Ich werde sie befehligen!“ erwiderte sie von oben herab. „Ich und Brom. Und zwar fünfhundert Mann meiner Leibwache, siebenhundert meiner,Armee, und fünf Dutzend Ritter meiner Domänen.“

„Sechzig Ritter!“ Rods Mundwinkel verzogen sich verächtlich.

„Nicht genug für auch nur einen Sturm der Ritter aus dem Süden! Sechzig Ritter von wie vielen Hunderten Eures Reiches? Und alle anderen haben sich gegen Euch erhoben!

Von Euren zwölf hundert Fußsoldaten gegen Tausende der Rebellen ganz zu schweigen!“

Ihre Hände umklammerten die Stuhllehnen, um das Zittern der Finger zu verbergen. Furcht ließ sie erblassen.

„Wir werden für die Ehre der Plantagenets und Gramayres siegen oder eines edlen Todes sterben.“

„Von einem edlen Tod auf einem Schlachtfeld habe ich bisher noch nie etwas gesehen. Der Tod dort ist gewöhnlich recht grausam und blutig.“

„Seid still!“ fauchte sie. Schließlich hob sie stolz den Kopf, stand auf und schritt majestätisch zum wieder aufgerichteten Tisch. Sie ließ sich Pergament und Feder bringen und kritzelte etwas. Dann reichte sie Rod das gefaltete Schriftstück. „Bringt das meinem Onkel Loguire. Es ist eine Aufforderung an ihn, hier zu erscheinen, und gleichzeitig ein Passierschein, der ihm sicheres Geleit zusagt. Ich glaube, ich werde jeden, der mir ergeben ist, an meiner Seite brauchen.“

Rod nahm das Pergament und zerknüllte es in der Hand. Ohne die Augen von Catherine zu nehmen, warf er es in das Feuer.

„Ihr werdet jetzt einen Brief an den Herzog schreiben, den ich ihm überbringen werde“, sagte er mit eisiger Stimme. „Doch Ihr werdet ihm nichts befehlen, sondern ihn um die Ehre seines Besuches bitten!“

Ihre Haltung versteifte sich, sie schob das Kinn vor. Schnell sagte Rod etwas weniger kalt: „Na, na, meine Königin! Ihr habt alle Freiheit, könnt Ihr nicht ein wenig davon auf höfliche Manier verschenken? Oder wollt Ihr Euch von der Sünde des Stolzes davontragen lassen, und soll dann Euer Volk den Preis für Euren Stolz bezahlen?“

Sie funkelte ihn einen Moment wütend an, doch dann senkte sie die Augen und griff nach einem neuen Pergament. Nach ein paar Minuten reichte sie es Rod gefaltet. Er verbeugte sich und drehte sich stumm zur Tür um.

Etwas bewegte sich flink an einer Bodenleiste entlang und huschte hinter einen Wandteppich, wo es sich völlig still verhielt. Trotz der Schnelligkeit hatte Rod erkannt, daß es eine Maus gewesen war.

Er kniff die Lippen zusammen und war mit zwei langen Schritten an der Wand, wo er den Teppich hob. Die Maus blickte ihn mit weit aufgerissenen grünen und sehr intelligent wirkenden Augen an.

„Ich habe etwas gegen Lauscher“, sagte Rod kalt. Die Maus zuckte ein wenig zurück, starrte ihn jedoch trotzig an. Rod runzelte die Stirn über einen plötzlichen Einfall. Er hob die

Maus vorsichtig hoch und hielt sie in Augenhöhe. Dann bedachte er sie mit einem sanften, ja fast zärtlichen Blick. Ganz langsam schüttelte er den Kopf. „Du hast doch nicht wirklich geglaubt, ich brauchte hier Hilfe, oder?“ Die Maus senkte die Augen, und ihre Barthaare zuckten ein wenig.

„Mir deucht, dieser Mann ist besessen“, murmelte Catherine.

„Eure Majestät“, sagte Brom nachdenklich und mit seltsam leuchtenden Augen. „Ihr trefft den Nagel damit vielleicht genauer auf den Kopf als Ihr ahnt.“

Die Zugbrücke echote hohl unter Rods eiligen Schritten. Er rannte leichtfüßig den Burghang hinunter und verschwand in einem Fichtenwäldchen. „Gekab?“ rief er.

„Hier, Rod!“ Der Rappe trottete durch die Bäume. Rod klopfte ihm freundschaftlich auf die Metallflanke. „Wie, zum Teufel, wußtest du, daß ich hierherkommen würde?“

„Ganz einfach, Rod. Eine Analyse Eures Verhaltensmusters und die simple Tatsache, daß dieser Wald am nächsten…“

„Vergiß es!“ brummte Rod. „Hat Tom den Herzog zum Haus Clovis gebracht?“ Als der Roboter es bejahte, schwang er sich in den Sattel. Nach einer Weile fummelte er in seinem Wams und holte die kleine Maus hervor. „Offenbar ist es völlig egal, was ich dir sage“, brummte er. „Du tust ja doch nur das, was du willst.“

Die Maus senkte die Augen und versuchte schuldbewußt dreinzuschauen, aber ihre Barthaare zitterten erfreut. Zärtlich rieb sie ihre Wange an Rods Handrücken. „Hör gut zu“, sagte Rod. „Du begibst dich jetzt ins Haus Clovis, dort reite ich nämlich auch hin. Das ist ein Befehl!“ Die Maus blickte mit großen unschuldigen Augen zu ihm hoch. „Ich bin sicher, das ist ein Befehl, den du ausnahmsweise einmal befolgen wirst, denn dort wärst du sowieso hingelaufen.“ Seine Stimme klang besorgt, als er weitersprach: „Aber paß auf dich auf, hörst du?“

Er hob die Hand mit der Maus hoch und küßte sie sanft auf das

Naschen. Die Maus wand sich vor Begeisterung und tänzelte vor Freude auf seiner Hand herum, ehe aus ihren Vorderpfötchen winzige Flügel wurden und sie sich in einen Zaunkönig verwandelte. Rod blickte ihr nach, als sie durch die Luft flatterte.

Rod pochte an die Tür. Der bucklige, dürre Spötter öffnete. „Ja, Mylord?“ fragte er mit einem zahnstummeligen Lächeln. Rod hielt es für besser, ihm nicht zu zeigen, daß er ihn längst durchschaut und als den eigentlichen Kopf des Hauses Clovis erkannt hatte, deshalb tat er, als bemerke er ihn kaum, und brummte nur: „Bring mich zu Lord Loguire, Bursche.“

„Gewiß, Mylord.“ Der Spötter huschte voraus und öffnete die innere Tür. Rod trat hindurch — und mitten in einen Halbkreis von Bettlern und Dieben, die ihn in einer Dreierreihe mit Knüppeln und Dolchen erwarteten.

Rods Hände härteten sich zu Karateschwertern. Er wandte sich an den Spötter. „Ich komme als Freund.“

„O wirklich?“ Haß leuchtete aus den Augen des Buckligen.

„Auf welcher Seite steht Ihr denn? Auf der der Edlen? Der Königin? Oder seid Ihr für das Haus Clovis?“

„Genug deines Gequassels! Bring mich sofort zu Lord Loguire!“

„Das werden wir!“ Jetzt funkelten des Spötters Augen vor Hohn. Er warf einen Blick über Rods Schulter und nickte. Rod wollte sich umdrehen, aber da schien sein Schädel bereits zu explodieren.

Als er allmählich wieder zu sich kam, spürte er etwas Kaltes, Feuchtes unter seiner Wange. Alles um ihn wirkte verschwommen. Er schüttelte den Kopf, und fast hätte er vor Schmerzen aufgeschrien. Er blinzelte mehrmals, bis er endlich klarer sehen konnte. Ihm gegenüber lehnte Tuan Loguire mit dem Rücken gegen altersschwarzen Stein, aus dem von Eisenklammern Ketten herabhingen, die zu metallenen Armbändern um Tuans Handgelenke führten. Er hob eine Hand

und sagte sarkastisch: „Willkommen!“

Stumm wanderte Rods Blick weiter. Der alte Herzog war an die nächste Wand gekettet. „Ich dachte, Euer Knappe sollte mich in Sicherheit bringen“, sagte er düster.

Verrat! Rod hätte es besser wissen müssen, als Tom zu vertrauen. „Tom…“

„Hier, Herr!“ Rod drehte sich um. Tom lehnte an der dem Herzog gegenüberliegenden Wand. Er lächelte mit den traurigen Augen eines Hundes. „Ich hatte gehofft, Ihr würdet uns befreien. Und jetzt seid Ihr selbst in Ketten!“

Rod runzelte die Stirn. Erst jetzt bemerkte er, daß er genauso angekettet war wie die anderen. Schweigend blickte er sich weiter um. Das einzige Licht fiel von einem hohen vergitterten Fenster in das Verlies, das etwa dreieinhalb Meter breit, fünf lang und drei hoch war. Moos wucherte aus den klammen, verrottenden Steinen, auch auf dem Boden, wo er nicht mit fauligem Stroh bedeckt war. Die einzige Verschönerung des Raumes war ein Skelett, das durch mumifizierte Sehnen zusammengehalten, genau wie sie an die Wand gekettet war.

Rod drehte sich mit dem Gesicht zur Wand. „Gekab, wo bist du?“ flüsterte er so leise, daß die anderen die Worte nicht verstehen konnten. „In dem schmutzigsten, baufälligsten Stall, den ich je gesehen habe“, erwiderte der Roboter. „Zusammen mit fünf klapprigen Gäulen. Ich glaube, wir sollen als die Kavallerie des Hauses Clovis dienen.“

Rod kicherte leise. „Ist eine Maus mit großen grünen Augen in deiner Nähe?“

„Nein, Rod. Aber auf meinem Kopf sitzt ein Zaunkönig.“

„Frag ihn, ich meine, sie, ob sie Macht über kaltes Eisen hat.“

„Wie soll ich denn mit ihr sprechen, Rod?“

„Du brauchst nur auf der Frequenz menschlicher Gedanken wellen zu senden. Sie ist Telepathin.“ Nach einer Weile hörte Rod eine Reihe schwacher Zwitscherläute. „Was ist dieses Zwitschern, Gekab?“

„Gwendylon, Rod. Sie reagierte, wie ich es erwartet hatte, als ein Pferd sie etwas fragte.“

„Aha, sie ist also fast von deinem Kopf hinuntergefallen. Aber hat sie etwas gesagt?“

„Natürlich, Rod. Sie sagte, sie sei jetzt ganz sicher, daß Sie ein Zauberer sind.“ Rod rollte die Augen zur Decke. „Komm zur Sache, Gekab. Kann sie uns von diesen Ketten befreien und etwas gegen das Fenstergitter unternehmen?“

Nach kurzer Pause antwortete der Roboter: „Sie sagt, sie hat keine Macht über kaltes Eisen, Rod, genausowenig wie irgendeine andere Hexe oder Elfen, die sie kennt. Sie schlägt einen Schmied vor, befürchtet jedoch, daß er nicht zu Ihnen vorgelassen würde.“

„Sag ihr, ich freue mich, daß sie ihren Humor nicht verloren hat. Und frag sie, wie, zum Teufel, sie uns hier herausholen will.“

„Sie meint, daß der Elfenkönig in der Lage ist, Sie zu befreien.

Sie glaubt auch, daß er kommen wird, aber es wird noch eine Weile dauern, weil er einen weiten Weg hat.“

„Ich dachte, sie sagte, Elfen hätten keine Macht über Eisen?“

Nach einer weiteren kurzen Pause erklärte Gekab: „Sie sagt, der Elfenkönig ist nicht ganz ein Elf, sondern halb vom Alten Blut.“

„Nur halb… Du willst doch nicht sagen, daß ein Elternteil ein Mensch war?“

„Gewiß, Rod!“

Rod versuchte sich vorzustellen, wie ein fünfundvierzig Zentimeter großer Elf und ein normal großer Mensch miteinander Kinder haben konnten, aber Gekab unterbrach seinen Gedankengang.

„Sie macht sich jetzt auf den Weg, um ihn zu holen, Rod. Sie sagt, Sie sollen guten Mutes sein.“

„Wenn ich noch besseren Mutes wäre, wäre es nicht mehr auszuhalten. Sag ihr, sie soll gut auf sich aufpassen.“

„Er spricht in die leere Luft“, murmelte Tuan.

Tom lachte polternd. „Durchaus nicht, meine Lords. Dieser Mann redet mit Geistern.“

Rod lächelte düster. „Wieso plötzlich so fröhlich, Tom?“

Der Riese räkelte sich, daß die Ketten klirrten. „Einen Augenblick hielt ich Euch für geschlagen, Meister, aber jetzt weiß ich, daß alles wieder gut wird!“ Er streckte sich aus.

Rod grinste, als Tom zu schnarchen begann. „Das nennt man Vertrauen“, wandte er sich an die beiden Loguires.

„Hoffen wir, daß es gerechtfertigt ist“, brummte Tuan und betrachtete Rod zweifelnd.

„Hoffen wir es“, echote Rod grimmig. Er nickte dem Herzog zu. „Nun, habt Ihr Euch mit Eurem Sohn schon ausgesprochen?“

Der alte Loguire nickte. „Ich bin glücklich, ihn wiederzusehen, obgleich es mir unter anderen Umständen lieber gewesen wäre.“

Tuan starrte stirnrunzelnd auf seine Hände. „Es sind traurige Neuigkeiten, die ich von ihm erfuhr, Rod Gallowglass. Ich wußte, daß mein Bruder voll Haß und Ehrgeiz ist, aber nie hätte ich gedacht, er würde so tief sinken.“

„Oh, urteilt nicht so hart.“ Rod lehnte sich ebenfalls an die Wand und schloß müde die Lider. „Durer hat ihn völlig unter seinem Einfluß. Und wenn sein Zauber fast auch auf seinen Vater gewirkt hätte, wie konnte er da bei ihm versagen?“

„Ja“, stimmte Tuan ihm finster bei. „Und ich bin auf den Spötter hereingefallen.“

„Oh?“ Rod hob eine Braue. „Es wurde Euch also bewußt!“

„Ja. Er ist der schlimmste aller Halunken. Während er sich demütigst vor einem krümmt, schlitzen seine Helfershelfer einem den Beutel auf. Fragt nicht, wie er mich hintergangen hat!“

„War nicht er es, der Euch nahelegte, die Bettler zu organisieren?“

„Ja.“ Tuan nickte schwer. „Ich hatte ursprünglich beabsichtigt, ihr schweres Los zu erleichtern, aber er brachte mich auf die Idee, eine Armee zur Verteidigung der Königin aufzustellen.

Ich hatte so manches aus dem Süden gehört, das mir die Überzeugung verlieh, eine solche Armee würde vielleicht vonnöten sein.“

„Als der Spötter erfuhr, daß der Süden zu den Waffen griff, hielt er die Zeit für gekommen, die Macht an sich zu reißen und die Königin zu stürzen. Richtig?“ fragte Rod.

„Ja. Ich sprach dagegen, sagte, jetzt sei die Zeit, der Königin zu Hilfe zu kommen, da schimpfte er mich einen Verräter, und…“

Tuans Gesicht verdüsterte sich, und die Worte fielen ihm schwer. „Und einer seiner Bettler hätte mich getötet, aber der Spötter verwehrte es ihm und ließ mich hier hereinwerfen.“ Er blickte Rod stirnrunzelnd an. „Findet Ihr das nicht auch für sehr merkwürdig, Rod Gallowglass? Ich meine, daß er mich nicht töten ließ.“

„Nein.“ Rod schüttelte den Kopf. „Er braucht einen nominellen König, wenn Catherine gestürzt ist.“

„Keinen König. Er schreit herum, daß wir nie wieder einen König haben werden, nur eine Art Häuptling.“

„Eine Art Häuptling?“ Rod runzelte die Stirn. „Wie nennt er diesen Häuptling?“

„Diktator.“ Tuan kaute an der Lippe. „Ein wahrlich seltsamer Titel. Es soll auch keine Edlen mehr geben, nur noch diesen Diktator. Sehr merkwürdig.“

Die Galle stieg Rod hoch. „Gar nicht so merkwürdig, wie Ihr glaubt. Aber die Bettler bilden sich doch nicht ein, sie könnten die Burg stürmen?“

„Nein, doch sie wissen, daß der Süden die Waffen ergriffen hat, und daß Catherine nicht warten wird, bis der Feind die Hauptstadt erreicht hat…“

„Der Spötter nimmt also an, daß sie ihm entgegenmarschieren wird?“

„Und dann wird er ihr folgen und sie von hinten angreifen. Und derart in die Zange genommen, werden ihre Streitkräfte keine halbe Stunde durchhalten.“

„Und was beabsichtigt der Spötter nach der Schlacht mit den Ratgebern und den Edlen zu machen?“ fragte Rod. „Durer will Euren Bruder zum König erheben.“

„Der Spötter hat seine eigene Lösung für dieses Problem. Eine Metallröhre, die in die Bolzenrinne einer Armbrust paßt, nichts weiter. Aber sie schießt eine Bleikugel, die selbst durch den stärksten Brustpanzer dringt.“

„Er will seine ganze Armee damit ausrüsten?“

„O nein, er hat nur fünf davon. Eine für sich, und je eine für seine drei Hauptleute und für seinen vierten Hauptmann.“ Tuan deutete mit einem Kopf zucken auf den schlafenden Riesen.

„Aber er ist vor kurzem in Ungnade gefallen. Er versicherte uns, daß die fünf Röhren für die gesamte Macht der Edlen und Ratgeber genügen werden.“

Rod hörte den Rest seiner Worte gar nicht mehr. Er starrte auf Tom. „Ein Hauptmann?“ fragte er schluckend.

„Ja, wußtet Ihr denn nicht, daß er zu Clovis gehört?“

Tom öffnete ein treues Hundeauge und schaute Rod an. Rod blickte zur Seite und räusperte sich. „Nun, das erklärt allerdings so manches.“ Und zu Tom gewandt: „Du gehörst also zum inneren Kreis?“

Tom lächelte sauer und hob kettenklirrend einen Arm.

„Gehörte“, verbesserte er.

„Er stellte sich gegen den Spötter und seine Schakale, als der Bucklige befahl, mich zu meinem Sohn ins Verlies zu werfen.

,Nein! widersetzte sich Euer Mann.,Ich muß ihn zu meinem Herrn zurückbringen, wo er Euren Plänen nutzt. ,Die Pläne wurden geändert', antwortete man ihm. Und als man mich nicht gehen lassen wollte, kämpfte Euer Mann Tom Rücken an Rücken mit mir und er streckte die größere Zahl nieder.“

Letzteres sagte er in einem Ton verwunderten Respekts.

Tom grinste. Jetzt erst bemerkte Rod erschrocken, daß dem Riesen ein Zahn fehlte. „Ihr seid selbst ein mächtiger Recke.

Ich hätte nie gedacht, daß ein Edler ohne Waffen und Rüstung so wacker kämpfen könnte.“

Rod musterte Tom näher. Ein Auge war geschwollen und blau angelaufen, und quer über eine Wange verlief eine blutverkrustete Wunde. „Wie vielen hast du denn den Schädel eingeschlagen, Tom?“

„Kaum zwei Dutzend“, antwortete Tom. „Ich hatte nur diesen tapferen Lord, um meinen Rücken zu schützen, und es waren zu viele dieser Burschen für uns.“

Rod grinste und fragte sich, ob Loguire klar war, wie hoch er dieses Kompliment Toms einschätzen mußte.

„Und nun, da man mich entlarvt hat“, brummte Tom, „gebt uns die Ehre, auch Eure Maske abzunehmen.“

Rod starrte ihn an. „Wie lange hast du mich schon durchschaut?“

Tom lachte polternd. „Seit Ihr mit Judo gegen mich vorgingt.“

„Also von Anfang an! Und deshalb wolltest du unbedingt mein Knappe werden. Auf Befehl, Tom?“

Tom nickte. „Also, Meister, was seid Ihr?“

„Ein Zauberer“, erwiderte Rod sich innerlich windend, aber unter den gegebenen Umständen war es die beste Antwort.

Tom spuckte aus. „Keine Ausflüchte, Meister. Ihr gehört nicht zu den Ratgebern, sonst hättet Ihr Lord Lo guire nicht vor ihnen in Sicherheit gebracht. Und vom Haus Clovis seid Ihr auch nicht, sonst wüßte ich es. Also, was seid Ihr dann?“

„Ein Zauberer“, wiederholte Rod. „Ein neuer Spieler im großen Spiel, Tom, und zwar einer, der treu hinter der Königin steht.

Ich bin X, die Unbekannte in der Gleichung der Ratgeber und des Hauses Clovis, und nur durch reinen Zufall hier.“

„Ich glaube nicht so recht an Zufälle, Herr. Ich weiß, daß Ihr an der Seite der Königin steht. Aber wer steht hinter Euch?“

„Ein ungebührliches Benehmen für einen Knappen gegenüber

seinem Herrn!“ knurrte Loguire.

Rod lächelte schwach. „Ein sehr ungewöhnlicher Knappe, Mylord.“

„Ja, und ein sehr ungewöhnlicher Herr!“ knurrte Tom. „Wer steht hinter Euch, Rod Gallowglass?“

Rod zuckte die Schultern. Das Wort würde den Loguires nichts sagen, und Tom war nun ohnehin auf seiner Seite.

„DUFT“, antwortete er.

Tom starrte ihn an. Fast lautlos sagte er: „Und ich hielt selbst die letzten für tot.“ Er schluckte und biß sich auf die Lippe.

„Aber Ihr lebt, und Geist seid Ihr wohl kaum, sonst wäre die Hexe nicht so scharf auf Euch. Ich hörte, Ihr seid nach dem Sieg ausgeschieden. Es war streng geheim…“

„Sieg?“ echote Rod stirnrunzelnd.

Ein noch tieferes Stirnrunzeln des Riesen antwortete ihm, und dann begann Tom schallend zu lachen. „Ah, jetzt verstehe ich!

Und welch ein Narr ich war, nicht früher darauf zu kommen.

Welches Alter, Meister?“

„Alter? Zweiunddreißig, warum?“

„Nein, nein!“ Tom schüttelte ungeduldig den Kopf. „Aus welchem Zeitalter seid Ihr?“

Rods Lippen formten sich zu einem O, als auch ihm etwas bewußt wurde. „Dann war es also tatsächlich eine Zeitmaschine“, murmelte er. „Und hier, irgendwo im Haus, ist eine zweite verborgen, oder?“

Toms Augen wurden eisig. „Genug!“ schnaubte er. „Ihr wißt bereits zu viel, Rod Gallowglass!“

Angst stieg in Rod auf, als er Mord in Toms Augen las. Er räusperte sich. „Tom, deine eigenen Leute sind jetzt gegen dich. Du bist ihnen zu keiner Treue mehr verpflichtet. Und die Mißstände, die sie beheben wollten, kann ich auch beheben.

Wenn du zu ihnen zurückkehrst, werden sie dich umbringen.

Ich nicht, das weißt du.“

Der mächtige Riese entspannte sich. „Ihr habt recht, wenn auch nicht ganz so, wie Ihr denkt. Die haben mich bloß für eine Weile eingesperrt, bis die großen Taten vollbracht sind, aber sie werden mich wieder in Gnaden aufnehmen, denn ich bin zu wertvoll für sie, als daß sie sich so einfach meiner entledigen würden. Aber umbringen werden sie mich — in einem Jahr, vielleicht, oder in zwei, drei oder fünf Jahren, wenn ich meinen Zweck erfüllt habe. Und ich möchte gern länger leben.“ „Sie zweifeln an deiner Loyalität?“ fragte Rod skeptisch. „Dazu besteht kein Anlaß, Herr. Ich bin lediglich gegen ihre Mittel, nicht gegen das Ziel. Aber gerade deswegen werden sie mich früher oder später töten.“

„Rod“, sagte die Stimme hinter seinem Ohr, die nur er hören konnte. „Einen Augenblick“, wandte er sich an Tom. „Ich erhalte gerade eine Botschaft. Wir sprechen später weiter.“ „Rod, der Elfenkönig ist hier. Er führt einen Trupp Elfen an.“ Und schon wurden zwei knorrige Gestalten mit weißen Barten hinter dem Fenstergitter sichtbar. „Gekab“, murmelte Rod. „Das sind keine Elfen, sondern Gnomen.“ „Gnomen? O ja, metallbearbeitende Elfen.“ Die Gnomen brachten Hammer und Meißel mit leichtem Bronzeglanz zum Vorschein, dann wichen sie zur Seite und reichten das Werkzeug einer größeren, dunkleren Gestalt, die fast das ganze Fenster einnahm.

Die Loguires verdrehten ihre Hälse, um hochsehen zu können. Und Tom brummte: „Ich würde gern sein Gesicht sehen, damit ich einmal meinen Kindern, wenn ich sie erst habe, davon erzählen kann. Noch kein Sterblicher durfte sich je preisen, das Gesicht eines Elfenkönigs gesehen zu haben, obgleich man sagt, sie lebten seit undenkbarer Zeit. Sie sind… Uh… Ah…“ Toms Kopf sackte auf die Brust und er begann zu schnarchen. Weitere Schnarchtöne wurden laut. Rod drehte sich um und stellte fest, daß auch die beiden Loguires selig entschlummert waren. Verwirrt schaute er hoch. Der erste Gitterstab fiel gerade auf den stinkenden Strohboden. Dieser Elfenkönig mag vielleicht unvorstellbar alt sein, dachte Rod, aber langsam oder altersschwach ist er zweifellos nicht.

Der nächste Gitterstab fiel herunter, und die restlichen folgten erstaunlich schnell, und gleich darauf sprang ihnen eine schwere Gestalt nach. Ungläubig sperrte Rod die Augen auf. Er verstand jetzt, weshalb Tom und die Loguires hatten einschlafen müssen.

Er schluckte, kämpfte um seine Fassung, dann lächelte er. „Gut gemacht, Brom O'Berin.“

„Stets zu Diensten, Rod Gallowglass.“ Der kleine Mann verbeugte sich und lächelte boshaft. „Ich schulde dir Prügel für deine Impertinenz gegenüber der Königin — vielleicht aber auch großen Dank. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig.“ Er kniete sich neben Rod und drückte seinen Unterarm auf den Boden.

„Rühr dich nicht, sonst bist du um ein Stück Knochen ärmer!“

Er drückte den Meißel auf das erste Kettenglied am Eisenband und durchtrennte es mit einem einzigen Hammerhieb. Sofort machte er sich am anderen Arm zu schaffen.

„Du wirst zwar noch Armbänder tragen, aber keine Ketten mehr. Die Bänder müssen warten, bis wir zur Burgschmiede kommen.“

„Hm, das ist verdammt harte Bronze.“ Rod deutete auf den Meißel, der durch das Eisen glitt.

„Sehr hart“, stimmte Brom ihm zu und beschäftigte sich mit den Fußketten. „Nach einem alten Rezept meiner Familie.“

„Deiner Familie?“

Brom blickte auf. „Auch im vergessenen Griechenland gab es Elfen, wußtest du das nicht, Rod Gallowglass?“

Als er alle von den Ketten befreit hatte, bat Brom Rod, ihm zu helfen. Er sprang durch das Fenster und warf einen Strick herein. Rod band es unter Toms Achselhöhlen und stemmte den glücklich schnarchenden Riesen hoch, während Brom zog.

„Warum weckst du ihn nicht einfach auf, daß er selbst hinausklettert?“ fragte Rod schwitzend.

„Ich möchte nicht, daß mein Stand unter den Sterblichen bekannt wird“, brummte Rod.

„Und warum hast du mich nicht schlafen geschickt?“

„Einer von euch mußte mir schließlich mit den anderen helfen“, knurrte Brom, aber Rod hatte das Gefühl, daß das nicht die ganze Wahrheit war. Er stellte jedoch keine weiteren Fragen mehr, bis seine Zellengeno ssen aus dem Fenster waren und schließlich Brom ihn hochzog. Rod duckte sich und streckte Brom den Hintern zu.

„Was soll das?“ brummte Brom.

„Sagtest du nicht, du schuldest mir Prügel?“

Der Zwerg lachte und schlug ihm auf die Schulter. „Nein, Junge, du hast nur getan, was ich selbst vor Jahren hätte tun sollen, aber nie übers Herz brachte. Doch komm jetzt, wir müssen uns beeilen.“

Nicht viel später saßen sie um das Feuer in der königlichen Ratskammer. Catherine hatte sich wortreich bei Loguire entschuldigt und Tuan völlig ignoriert. Tuan hatte links vom Kamin Platz genommen, und Catherine so weit von ihm entfernt im Zimmer, wie es nur möglich war, mit einem schweren Eichentisch und Brom O'Berin zwischen sich und ihm.

„… ich bin nicht länger Herzog, und die Rebellen sind bereits auf dem Marsch“, beendete Loguire seinen Bericht.

„Ihr werdet wieder Herzog sein“, sagte Catherine kalt, „sobald wir die Verräter geschlagen haben.“

Loguire lächelte traurig. „Sie sind nicht so leicht zu schlagen, Catherine.“

„Eure Majestät!“ fauchte sie.

„,Catherine! „donnerte Rod. Sie funkelte ihn wütend an, und er funkelte zurück.

„Was bin ich, Brom?“

„,Eure Majestät'„, erwiderte Brom mit der Spur eines Lächelns. „Doch für Euren Onkel und seinen Sohn, Euren

Vetter, seid Ihr Catherine.“

Jetzt galt ihm der funkelnde Blick. „Stellst du dich auch gegen mich, Brom O'Berin?“

„Genausowenig wie dieser Falke hier…“ Er deutete auf Rod.

„Wenn Ihr das nur einsehen würdet.“

Catherine musterte Rod von oben bis unten. „Ein Falke, ja.

Und was ist mit diesem Laffen?“

Tuans Kopf schoß hoch, als hätte er eine Ohrfeige bekommen.

Zutiefst gekränkt starrte er Catherine an. Doch dann preßte er die Lippen zusammen, und eine Falte zeichnete sich zwischen den Brauen ab. Eines Tages, dachte Rod, wird sie bei ihm ein kleines bißchen zu weit gehen, und das könnte vielleicht der glücklichste Tag ihres Lebens sein — wenn sie ihn übersteht!

„Ich bin für Euch!“ hauchte Tuan. „Selbst jetzt noch, Catherine, meine Königin.“

Sie lächelte selbstzufrieden und abfällig. „Das hatte ich gewußt.“

„Verdammtes Miststück!“ murmelte Rod.

„Was habt Ihr da vor Euch hinzubrummen, Meister Gallowglass?“

„Nur etwas, dessen ich mich nicht enthalten konnte, kleine Königin. Aber was die Rebellen betrifft, was beabsichtigt Ihr, gegen sie zu unternehmen?“

„Wir marschieren ihnen entgegen und stellen sie auf dem Bredenfeld.“

„Nein!“ Loguire sprang auf. „Ihre Stärke ist zehnmal die unsere!“

„Wir werden nicht hierbleiben und uns wie eine Ratte im Loch verkriechen!“ Diesmal galt das Funkeln ihrer Augen ihrem Onkel.

„Dann werdet Ihr geschlagen werden!“ erklärte ihr Rod.

Sie schaute auf ihn herab (was nicht einfach war, wenn man bedachte, daß sie saß und er stand). „Daran ist nichts Unehrenhaftes, Meister Gallowglass!“

Rod schlug sich auf die Stirn und rollte die Augen himmelwärts.

„Was sollte ich sonst tun? Mich vielleicht auf eine Belagerung vorbereiten?“ fragte sie höhnisch.

„Genau das“, erwiderte Rod.

„Wenn Ihr marschiert, habt Ihr auch noch das Haus Clovis zu befürchten, das Euch in den Rücken fallen wird“, sagte Tuan mit tonloser Stimme.

Verächtlich verzog sie die Lippen. „Bettler!“

„Bettler und Mordbuben!“ erinnerte sie Rod. „Mit sehr scharfen Messern!“

„Soll die Königin sich vor einem solchen Lumpenpack fürchten? Nein! Sie sind Staub unter meinen Füßen!“

„Was im Staub unter Euren Füßen kriecht, ist eine Schlange“, brummte Brom, „und ihre Zähne sind spitz und verspritzen Gift!“

Catherine schaute unsicher zu Boden, dann hob sie das Kinn und starrte Tuan böse an. „Dann hast du sie also zu einer Armee gegen mich gedrillt und zu einem heimtückischen Dolch für meinen Rücken gemacht, König der Vagabunden!“

Sie wandte sich an den Herzog. „Ich werde gegen die Rebellen ziehen! Marschiert Ihr an meiner Seite, mein Lord Loguire?“

„Ihr seid eine Törin, Catherine, und werdet den Tod finden, aber ich werde mit Euch sterben.“

Einen Herzschlag lang glitzerten ihre Augen feucht. Hastig drehte sie sich zu Brom um. „Und du, Brom O'Berin?“

„Ich war der Wachhund Eures Vaters, jetzt bin ich Eurer.“

Sie lächelte ihn an. Dann verfinsterte sich ihr Gesicht. „Und du, Tuan Loguire?“

Der junge Mann schaute sie nachdenklich an. „Es ist erstaunlich, wie ich mich immer wieder zum Toren mache.

Doch wenn ich seit meiner Kindheit dein Narr war, Catherine, werde ich wohl auch noch die Torheit auf mich nehmen, an deiner Seite zu sterben.“

Ihr Gesicht war aschfahl. „Torheit…“, wisperte sie.

Rod schlug Tuan freundschaftlich auf die Schulter. „He, König der Vagabunden! Wir überleben diesen Irrsinn vielleicht doch!

Wenn der Spötter und seine Helfershelfer nicht mehr wären, könntet Ihr dann die Bettler dazu bringen, für die Königin zu kämpfen?“

Tuans Augen verrieten neue Hoffnung. „Ganz gewiß!“

Es war nicht leicht gewesen, Tom zu überreden, daß er mitmachte. Rod hatte es auch verkehrt angepackt, da er angenommen hatte, Toms Loyalität gegenüber der proletarischen Idee hätte ihr Ende gefunden, als er ins Verlies geworfen worden war. „Was hältst du von einer Chance, es deinen Freunden heimzuzahlen?“ hatte er gefragt.

„Es ihnen heimzahlen?“

„Haben sie dir nicht übel mitgespielt und sind jetzt erst recht auf dein Blut aus?“

Tom grinste. „Ganz sicher nicht, Meister. Sie hätten mich befreit, sobald die Schwierigkeiten behoben waren.“

„Aber warum haben sie dich in Ketten gelegt?“

Tom zuckte die Schultern. „Eine Meinungsverschiedenheit. Sie wollten die Königin und die Edlen zur gleichen Zeit angreifen, obwohl sie dadurch ihre Kräfte hätten teilen müssen. Während ich dafür war, erst die Edlen und ihre Ratgeber fertigzumachen, natürlich unter der Tarnung, es für den Thron zu tun. Danach, dachte ich, sollten wir allmählich das ganze Volk auf unsere Seite bringen, und sobald das geschafft war, die Königin und Brom O'Berin ins Jenseits schicken.“

Rod schluckte und bemühte sich, daran zu denken, daß der Bursche ja jetzt auf seiner Seite war. „Nun, wie war's, wenn das Haus Clovis tatsächlich erst die Edlen und ihre Ratgeber niedermacht? Und zwar an der Seite der Königin. Danach kannst du ja zusehen, ob du deinen weiteren Plan durchzuführen vermagst.“

„Glaubt Ihr denn, daß die Bettler für die Königin kämpfen würden?“

„Das überlassen wir Tuan Loguire, nachdem wir deine vier Kollegen in das Verlies gesperrt haben, in das sie dich hineinwarfen.“

Ein breites Grinsen überzog Toms Gesicht. „Das hätte ich mir ja denken müssen, Meister. Ja, dieser Junge wird sie überreden.

Er hat eine Engelszunge! Aber es ist Euch doch klar, daß dann auch Ihr neben der Königin und Brom an der Reihe sein werdet, wenn ich meinen weiteren Plan durchführe.“

„Es wird ein grandioser Kampf werden, Tom. Aber warten wir doch erst einmal ab.“

Tom machte sich an einem Stein der Außenwand zu schaffen.

Er zog ihn vorsichtig heraus. „Ich hatte zwar gedacht, ich brauchte das Schlupfloch einmal, um aus dem Haus zu kommen, aber umgekehrt funktioniert es natürlich auch. Folgt mir.“ Er zwängte sich hindurch, und als Rod und Tuan schließlich neben ihm im Innern standen, verschloß er das Loch wieder. „Na, die werden sich wundern, wie wir hereinkamen“, sagte Tom grinsend.

Sie befanden sich in einer riesigen ehemaligen Küche. Die dichten Spinnweben verrieten, daß sie schon lange nicht mehr benutzt wurde.

„Was hat ein guter Junge wie du, Tom, eigentlich hier zu suchen?“ brummte Rod. Tom schnaubte verächtlich. „Nein, ich meine es wirklich“, versicherte ihm Rod. „Einen Gott, ein Idol, schätzt man nach den Menschen ein, die es anbeten.“

„Seid still!“ knurrte Tom.

„Aber ich habe doch recht, oder? Die Ratgeber sind bis ins Mark verderbt, das wissen wir schließlich. Und der Spötter und seine Kumpane sind schmutzigstes Ungeziefer. Du bist der einzige anständige Mann in dem Haufen, weshalb willst du nicht…“

„Haltet den Mund!“ brummte Tom drohend und packte Rod am Kragen seines Wamses. „Und was ist mit der Königin und

ihren Göttern, eh?“ Wütend schob er Rod gegen die Wand und ließ ihn los. Rod schüttelte sich und sah im Schein einer Fackel den Haß in Toms Augen, ehe er vorwärtsschlich.

„Löscht die Fackeln!“ flüsterte er kurz darauf über die Schulter zurück. „Wir kommen gleich an eine Biegung, und dahinter hält ein Posten Wache. Vorsicht, Jungs!“

Als sie sich der Ecke näherten, hörten sie zu ihrer Rechten, aus dem neuen Schlafsaal, schwaches Schnarchen. Tom drückte sich an die Wand, und schnell folgten Rod und Tuan seinem Beispiel.

„Halt!“ brüllte eine Stimme hinter der Biegung.

Erschrocken hielten die drei den Atem an.

„Wohin zu dieser Stunde?“ fragte der Posten drohend.

Eine zitternde, nasale Stimme antwortete: „Auch nachts muß man manchmal!“

„Aha!“ rief der Posten, „sicher nur, weil gleich neben den Toiletten der Frauenschlafsaal ist, hm? Nein, Bürschchen, zurück auf dein Lager. Dein Liebchen ist heute nacht nicht für dich!“

„Aber ich…“

„Du kennst die Bestimmungen, Freundchen. Du mußt zuerst schon die Erlaubnis des Spötters einho len.“ Mit vertraulicherer Stimme fuhr er fort: „So schwierig ist es doch nicht, den Schein von ihm zu bekommen. Dann hält dich niemand auf und du hast es schwarz auf weiß, wo und zu welcher Zeit du es treiben kannst.“

Der andere spuckte hörbar aus. „Ja“, höhnte er. „Und jede Nacht brauche ich einen neuen Schein, wenn ich sie sehen will.

Verdammt, das war bisher das einzige auf der Welt, das man ohne Erlaubnis von anderen tun konnte!“

Die Stimme des Postens wurde wieder hart. „Das Wort des Spötters ist Gesetz im Haus, und ich werde ihm mit dem Prügel Nachdruck verleihen!“

Ein wütendes Knurren war zu hören, dann sich entfernende, schlurfende Schritte. Nach einer Weile setzte erneut Stille ein, bis der Posten wieder zu schnarchen begann.

Rod schaute Tuan an. Das Gesicht des Jungen war fahl, und die Lippen hatte er so fest zusammengepreßt, daß sie weiß wirkten.

„Ich nehme an, davon wußtet Ihr nichts, oder?“ flüsterte Rod.

„Nein. Als sie mich erst abserviert hatten, vergeudeten sie keine Zeit. Eine Wache vor jedem Zimmer. Ein Stück Papier als Erlaubnis, daß zwei ein Bett miteinander teilen dürfen — das ist schlimmer als die Lords des Südens!“

Toms Kopf ruckte hoch. „Nein!“ knurrte er. „Es ist jetzt nur ein wenig unbequem, aber das Resultat ist diesen Preis wert.“

„Welches Resultat kann schon einen solchen Preis wert sein!“ schnaubte Tuan und hob seine Stimme ein wenig.

„Nun“, grollte Tom. „Mehr zu essen für alle, mehr und bessere Kleidung, keine Armen und Hungernden mehr.“

„Und alles dank einer geplanten Elternschaft!“ murmelte Rod kopfschüttelnd mit einem vorsichtigen Blick auf die Erde.

„Und wie soll das möglich sein?“ fragte Tuan und hob trotz der besorgten Gesten Rods die Stimme um ein weiteres. „Mit einem Erlaubnisschein für eine Liebesnacht? Ich wüßte nicht, wie!“

„Nein, Ihr ganz gewiß nicht“, sagte Tom verächtlich. „Aber der Spötter weiß sehr wohl, was er tut.“

„Wie erlaubst du dir, mit mir zu sprechen!“ Tuan zog seinen Dolch, und schon hatte auch Tom seinen in der Hand.

Rod schob die beiden auseinander. „Meine Herren! Auch wenn eure Meinung in dieser Sache auseinandergeht, muß ich doch bitten, Ruhe zu bewahren. Jeden Moment kann der Posten wieder aufwachen und das ganze Haus zusammenbrüllen.

Wollt ihr das wirklich?“

Die beiden funkelten einander wütend an, aber sie steckten die Dolche wieder ein. „Und was machen wir jetzt mit dem Posten?“ fragte Rod.

„Wir können nur eines tun“, antwortete Tuan. „Ihn aufwecken und gegen ihn kämpfen.“

„Was?“ knurrte Tom. „Daß er Alarm schlägt? Nein, nein! Wir schleichen uns an ihn heran und versetzen ihm einen Schlag auf den Schädel.“

„Das ist unehrenhaft“, protestierte Tuan.

Tom spuckte verächtlich aus. „Toms Plan ist schon in Ordnung“, beruhigte Rod Tuan. „Nur was ist, wenn der Mann aufwacht, während wir uns anschleichen?“

Tom zuckte die Schultern. „Dann müssen wir uns auf ihn werfen. Wenn wir dabei sterben, sterben wir eben.“

„Und die Königin mit uns“, brummte Rod. „Nein! Laßt euch was anderes einfallen.“

Tom zog seinen langen Dolch wieder hervor und balancierte ihn auf einer Fingerspitze. „Ich treffe den Burschen auf fünfzig Schritt in die Kehle.“

„Das ist schlimmer als ein Stoß in den Rücken!“ wehrte Tuan ab. „Wir müssen ihm eine Chance geben, sich zu verteidigen.“

„O ja?“ höhnte Tom. „Damit er das ganze Haus aufweckt mit seinem Gebrüll?“

Rod hielt beiden den Mund zu und war nur froh, daß er nicht drei Begleiter mitgebracht hatte. Er zischte Tom zu. „Hab Geduld. Er ist schließlich neu in diesem Job!“

Tuan richtete sich hoch auf und funkelte jetzt beide wütend an.

Rod flüsterte Tom direkt ins Ohr. „Wenn du nicht wüßtest, daß er ein Aristokrat ist, wie würdest du ihn dann einschätzen?“

„Als tapferen Mann und guten Kämpfer“, gestand Tom ein, „wenn auch arg jung und töricht und mit zu vielen Idealen belastet.“ Er schaute Rod an. „Also gut, ich werde versuchen, mit ihm auszukommen, aber wenn er noch einmal zu predigen versucht…“

„Wenn wir die Sache schnell genug hinter uns bringen, wird er keine Zeit dazu haben. Ich habe eine Idee.“

„Warum habt Ihr uns dann überhaupt gefragt?“ grollte Tom.

„Weil sie mir erst kam, als ihr zwei euch in die Haare geraten

seid. Wir brauchen eine Kompromißlösung, richtig? Tuan läßt ein Messer in den Rücken nicht zu und auch keines in Brust oder Kehle, solange der Bursche schläft. Er will eben keinen treuen Untertanen töten, weil er vielleicht schon morgen gutes Kanonenfutter abgeben könnte. Richtig?“

„Nicht das ist der Grund“, brummte Tuan.

„Und Tom will dem Posten keine Chance geben, Alarm zu schlagen — und ich auch nicht, ganz nebenbei bemerkt. Wir sind alle drei gute Kämpfer, aber nur drei gegen ein ganzes Haus voll Messerstecher ist wohl utopisch. Tom, wenn der Posten plötzlich um die Ecke rennen sollte, würdest du ihm dann nur ganz leicht über den Schädel schlagen?“

„Sicher!“ Tom grinste.

„Leicht, sagte ich. Läßt sich das mit Eurer Ehre vereinbaren, Tuan?“

„Ja, da er uns dann das Gesicht zuwendet.“

„Gut, dann brauchten wir nur noch eine Maus, der er um die Ecke nachjagt.

„Das ist einfach“, brummte Tom. „Der Meister kann eine machen.“

„Eine machen?“ Rod starrte ihn an.

„Aber ja.“ Tuan nickte heftig. „Ihr seid doch ein Zauberer und hier an der Wand wächst soviel Hexenmoos. Was braucht Ihr mehr?“

„Huh?“ Rod schluckte. „Heißt das, daß Hexen das Zeug für ihre Zwecke benutzen?“

„Natürlich! Wieso wußtet Ihr das nicht? Sie formen kleine lebende Dinge daraus — wie Mäuse!“

In Rods Kopf klickte es. Das war also das fehlende Glied im Rätsel um Gramayre. „Schön und gut“, brummte er. „Aber das ist nicht meine Art von Zauberei.“ Er legte die Hände als Trichter vor den Mund und rief leise: „Gwen! Gwen-dy-lon!“

Eine Spinne rannte an einem Faden direkt vor seiner Nase von der Decke. Rod hüpfte zurück. „Alle guten Geister. Tu das

nicht, Mädchen!“ Er pflückte die Spinne vom Faden und streichelte sie vorsichtig mit einer Fingerspitze. „Zumindest hast du dich nicht in eine Schwarze Witwe verwandelt. Hm, übrigens bist du die hübscheste Spinne, die ich je gesehen habe!“

Die Spinne tanzte erfreut in seiner Handfläche.

„Hör zu, meine Süße, ich brauche eine Maus, die den Posten hierherlockt. Schaffst du das?“

Die Spinnenform verschwamm, und schon saß eine Maus auf Rods Hand. Das Tier sprang auf den Boden und huschte zur Ecke.

„Nein! Nein!“ Rod sprang ihr nach und hob sie vorsichtig wieder hoch. „Tut mir leid, mein Schätzchen, aber wie leicht könnte jemand auf dich treten, und das würde mir gar nicht gefallen.“ Er küßte das schwarze Naschen. Tom sog die Luft ein. Die Maus wand sich vor Ekstase.

„Nein“, sagte Rod, strich mit der Fingerspitze über ihren Rücken und zwickte sie in den Schwanz. „Du mußt eine aus Hexenmoos machen. Kannst du das, Liebling?“

Die Maus nickte, drehte sich um und konzentrierte sich auf das Hexenmoos am Boden der Wand. Aus einem Stück davon bildete sich nach und nach eine Maus. Tom schluckte und bekreuzigte sich.

Rod starrte ihn erstaunt an. „Ich dachte, du bist Atheist?“

„Nicht in einem solchen Augenblick, Herr.“

Die Hexenmoosmaus rannte um die Ecke. Tom faßte seinen Dolch an der Klingenspitze, um den Griff als Prügel zu benutzen.

Das Schnarchen um die Ecke wurde zu einem verärgerten Grunzen. „He, was knabbert da an mir?“ Der Hocker des Postens kippte klappernd um. Dann war zweimal ein wütendes Stampfen zu hören, und schließlich vernahmen die Wartenden eilige Schritte, und schon huschte die Maus um die Ecke.

Der Posten folgte ihr fluchend und rutschte an der Ecke aus. Er blickte hoch, sah Tom, und hatte gerade noch Zeit, die Augen entsetzt aufzureißen, als Toms Dolchgriff auf seinen Hinterkopf herabsauste.

Der Posten sackte wie abgesprochen bewußtlos in Tuans Arme.

Tom holte einen dünnen schwarzen Strick aus der Tasche.

„Das ist viel zu schwach, ihn zu halten!“ protestierte Tuan.

Aber Tom grinste nur und machte sich daran, den Posten zu verschnüren. „Geflochtene synthetische Spinnenseide“, erklärte er Rod leise.

„Das hast du gut gemacht, Kleines“, lobte Rod die Maus in seiner Hand. Sie hob erfreut das Naschen, dann schlüpfte sie zwischen den Knöpfen in sein Wams. „He, vorsichtig!“ mahnte Rod. „Das kitzelt!“

„Wo sollen wir ihn verstecken?“ fragte Tuan.

„Hier gibt es keine Verstecke“, brummte Tom.

„Da ist ein Fackelhalter an der Wand!“ Tuan deutete.

„Gut!“ Tom hob den verschnürten Posten hoch und hakte eine der Spinnenseidenschlingen um die Halterung.

„Und was ist, wenn jemand hierherkommt? Wir können ihn doch nicht einfach so hängen lassen?“ brummte Rod. Er griff in sein Wams und holte die Maus aus ihrer Erkundung seines Brustkastens zurück. „Hör mal, Baby, weißt du was eine dimensionale Krümmung ist?“

Die Maus rollte die Augen hoch und zuckte mit den Barthaaren, dann schüttelte sie energisch den Kopf. „Und eine Zeitfalte?“

Die Maus nickte eifrig. Dann spannte das kleine Mäusegesicht sich in tiefster Konzentration — und der Posten war verschwunden.

Tuan quollen die Augen aus den Höhlen, und er schnappte nach Luft.

Tom spitzte die Lippen, dann sagte er schnell: „Ah — ja. Machen wir weiter.“

Rod grinste und setzte die Maus auf dem Boden ab. „Zieh dich zurück, Kleines, aber bleib in der Nähe, ich brauche dich vielleicht nochmal.“

„Der Spötter schläft wahrscheinlich in Tuans Gemach“, murmelte Tom. „Und ich hoffe, seine Hauptleute finden sich in seiner Nähe.“

„Glaubst du nicht, daß zumindest einer davon Wache hält?“ fragte Tuan.

Tom bedachte Tuan mit einem merkwürdigen Blick. Er hob eine Braue und sagte zu Rod: „Ein guter Mann, und gar nicht so dumm!“

Es gelang ihnen unbemerkt, einen Bogen um die einzige weitere Wache zwischen ihnen und der Wirtsstube zu schlagen. Die Stube selbst wurde nur durch die Glut in der offenen Feuerstelle erhellt, aber sie genügte, um den Fuß der mächtigen Treppe an der anderen Seite zu sehen. Eine Galerie ragte im oberen Stockwerk über die Stube hinaus. Die Türen dort führten in die Privatgemächer.

Ein breitschultriger Mann saß schnarchend und mit ausgestreckten Beinen in einem schweren Sessel neben der Feuerstelle. Am Fuß der Treppe stand ein gähnender, blinzelnder Mann Wache. Zwei weitere Posten lehnten sich schwer an die Pfosten einer Tür etwa in der Mitte der Galerie. „Schöne Bescherung“, brummte Tom. „Sie sind einer mehr als wir, und weit auseinander, daß zweifellos zumindest einer Alarm schlagen wird, während wir die anderen entwaffnen.“ „Von der riesigen, viel zu hellen Stube gar nicht zu sprechen, die wir überqueren müssen. Sie ist fast so groß wie der Audienzsaal der Königin“, fügte Rod hinzu. „Wir könnten unter den Tischen und Bänken hindurchkriechen“, schlug Tuan vor. „Bis wir dort sind, schläft die Wache am Fuß der Treppe vermutlich schon.“ „Damit hätten wir die beiden in der Gaststube hinter uns, aber was ist mit dem Paar auf der Galerie?“ „Oh, ich verstehe ein wenig mit der Steinschleuder

umzugehen“, versicherte ihm Tuan. Er brachte ein Stück schwarzes Leder zum Vorschein.

„Das ist eine Bauernwaffe“, knurrte Tom, „und nicht das Spielzeug eines Lordlings.“

„Ein Ritter muß mit allen Waffen umgehen können, Tom“, erklärte Tuan ein wenig von oben herab.

„Gehen wir's an“, bestimmte Rod. „Ich nehme mir den an der Feuerstelle vor.“

„Das werdet Ihr nicht!“ entgegnete Tom. „Ihr könnt den an der Treppe haben!“

„Oh? Gibt es einen bestimmten Grund dafür?“

„Ja.“ Tom grinste wölfisch. „Der in dem Sessel ist einer von des Spötters Hauptleuten, und er gehört zu denen, die mich ins Verlies warfen.“

„Na gut“, gab Rod nach. Sie legten sich auf den Bauch und krochen jeder auf sein Ziel zu. Rod schien eine Ewigkeit zwischen den Tisch— und Bankbeinen zu vergehen, und er befürchtete ständig, einer der beiden anderen könnte zuerst seinen Platz erreichen und des Wartens müde werden.

Plötzlich war ein dumpfer Krach zu hören. Einer mußte gegen einen der Tische gestoßen sein. Rod erstarrte.

„Was war das?“ rief eine Stimme. „He, Egbert, wach auf und kümmere dich um die Treppe, die du bewachen sollst.“

„Was — was ist los?“ brummte eine nähere, schläfrige Stimme, und dann eine tiefere, verärgert vom Feuer. „Mußt du mich wegen Nichtigkeiten aufwecken?“

„Etwas ist gegen einen Tisch gestoßen, Hauptmann! Ich habe es genau gehört“, erklärte die erste Stimme.

„Ja, eine Ratte, vielleicht. Eine verdammte Ratte!“ knurrte der Hauptmann und kauerte sich wieder tief in seinen Sessel.

Rod atmete erleichtert auf und wartete, daß der Posten an der Treppe wieder zu schnarchen anfing. Als er es tat, schlängelte er sich weiter durch Tisch- und Bankbeine, bis er unter dem Tisch lag, der der Treppe am nächsten war.

Von der Feuerstelle schrillte ein Pfiff, und dann war ein Krachen zu hören, als Tom einen Hocker umstieß, der ihm im Weg gestanden hatte.

Rod hastete zu seinem Mann. Aus dem Augenwinkel sah er Tuan hochspringen und die Schleuder wirbeln. Doch schon grub sich sein Kopf in den Bauch des Postens an der Treppe.

Der Mann sackte zusammen. Vorsichtshalber versetzte Rod ihm noch einen Nackenschlag. Als er hochblickte, bemerkte er, wie gerade einer der Posten auf der Galerie zu Boden ging. Der andere lag bereits sich windend daneben, mit den Händen auf den Hals gepreßt.

In fünf Sätzen erreichte Rod die Galerie. Er verpaßte dem sich Windenden einen Kinnhaken, daß er sich eine Weile schlafen legte. Der andere war nicht so glimpflich davongekommen.

Der Stein aus der Schleuder hatte ihm die Stirn zerschmettert.

Blut floß über sein Gesicht und sammelte sich zu einer Pfütze auf dem Boden.

„Verzeih mir, Mann“, flüsterte Tuan, als er seiner Schleuder Werk betrachtete.

„Kriegspech, Tuan“, flüsterte er.

„Wäre er meinesgleichen, würde ich es auch so sehen“, murmelte der Junge. „Aber ein Mann meines Blutes hat die Bauern zu beschützen, nicht sie zu erschlagen.“

Rod musterte das ernste Gesicht des Jungen und dachte, daß es Männer wie die Loguires waren, die der Aristokratie das bißchen Berechtigung gaben, das sie hatte.

Es hatte nur diesen einen Toten gegeben. Der Hauptmann und die Treppenwache waren sicher mit Toms synthetischer Spinnenseide verschnürt.

„Ihr habt es gut gemacht“, lobte Tom Tuan. „Ihr mußtet Euch zwei vornehmen. Einen habt Ihr verschont. Macht Euch keine Vorwürfe des anderen wegen. Ihr hattet gar keine Zeit, besser zu zielen, ein so guter Schleuder er Ihr auch seid.“

Verwirrung zeichnete sich auf Tuans Gesicht ab. Er hatte nicht das Recht, sich Toms Einmischung zu verbieten, aber es war doch etwas ungewohnt, sich von einem Bauern loben und Entschuldigung gewähren zu lassen.

Rod lenkte ihn ab. „Ihr habt dort geschlafen?“ fragte er und deutete mit dem Daumen auf die Tür, die die beiden Posten bewacht hatten. Der Junge nickte stumm.

„Dann wird wohl jetzt der Bucklige sich dort einquartiert haben. Und du sagst, der Hauptmann unten gehört zum Stab des Spötters?“ Tom nickte.

„Also bleiben noch zwei Hauptleute. Was meint Ihr, ob sie nicht vielleicht in den anschließenden Zimmern zu finden sind?“ Als Tom erneut nickte, fuhr Rod fort: „Also, einen für jeden von uns. Ihr zwei nehmt Euch je einen der Hauptmänner vor, ich beschäftige mich mit dem Spötter.“ Er wandte sich der mittleren Tür zu, aber Toms Pranke fiel auf seine Schulter herab. „Wieso kriegt Ihr den Spötter, nicht ich?“

Rod grinste. „Glaubst du nicht, daß ich hier ein bißchen mehr zu sagen habe? Und außerdem, welchen Gürtel hast du dir errungen?“ „Braun“, brummte Tom. „Und der Spötter?“

„Schwarz“, erwiderte Tom widerstrebend. „Dan, fünfter Grad.“

Rod nickte. „Und ich ebenfalls schwarz, achter Dan. Du nimmst einen der Hauptleute.“

Tuan runzelte die Stirn. „Was ist das für ein Gerede über Gürtel? Und was ist Dan?“

„Nur eine kleine Kompetenzklarstellung. Zerbrecht Euch nicht den Kopf darüber.“ Rod wandte sich der mittleren Tür zu.

Tom griff nach seinem Arm. „Meister, wenn wir es geschafft haben, müßt Ihr mir Unterricht geben.“

„Gern, sogar bis zum Collegeabschluß, wenn du willst.“

„Danke.“ Tom grinste breit. „Nicht nötig, ich habe bereits einen Doktor gemacht.“

Rod starrte ihn an. „In welchem Fach.“

„Theologie.“

„Das hätte ich mir denken müssen. Du hast nicht zufällig neue atheistische Theorien aufgestellt?“

„Meister!“ antwortete Tom gekränkt. „Wie kann man die Existenz oder Nichtexistenz eines immateriellen Wesens durch Fakten beweisen?“

„Meine Herren“, sagte Tuan sarkastisch. „Ich unterbreche sehr ungern ein so gelehrtes Gespräch, aber es könnte ja sein, daß der Spötter jeden Augenblick aufwacht.“

„Hm? O ja, natürlich!“ Rod setzte sich wieder zur Tür zu in Bewegung. „Wir unterhalten uns später weiter darüber, Tom.“

Leise versuchte er die Tür zu öffnen, aber sie knarrte, krächzte, quietschte, wehrte sich gegen sein Eindringen. Der Spötter hatte sie offenbar als primitive, aber sehr wirksame Einbruchs sicherung absichtlich nicht geölt. Rod warf sich mit aller Kraft dagegen und stürzte ins Zimmer, noch ehe der Spötter „Mörder!“ brüllte und mit zum Schlag erhobener Hand aus dem Bett sprang.

Rod blockierte einen Handkantenschlag und hieb nach dem Solarplexus. Seine Hand wurde geschickt abgewehrt, während noch der Schrei des Buckligen in seinen Ohren hallte. Rod blieb gerade Zeit, den Humor des Schwarzengürtelträgers zu würdigen, der nach Hilfe brüllte, ehe er auf den gegen seine Leiste gerichteten Schlag aufmerksam wurde.

Er sprang zurück, und der Spötter ihm nach. Diesmal traf der Schlag. Rod rollte und wand sich vor Schmerzen auf dem Boden. Er sah den Fuß, der nach seinem Kinn ausholte, und es glückte ihm, seinen Kopf weit genug zu drehen, daß der Fuß lediglich seine Wange streifte. Sterne funkelten vor seinen Augen, und er versuchte, sie mit einem Kopfschütteln zum Verschwinden zu bringen.

Durch das Summen in seinen Ohren hörte er einen plötzlich abgewürgten Schrei, dann einen dumpfen Schlag, und schließlich brüllte Tom: „Eure Schleuder, Tuan! Auf den Schrei werden gleich Wachen herbeieilen!“

Der Riese beugte sich über ihn. Sein Gesicht war ganz nah.

„Wie schlimm seid Ihr verletzt, Meister?“

„Es geht schon“, keuchte Rod.

„Könnt Ihr aufstehen?“

„In einer Minute. Aber Gwen wird sich auf eine zeitweilige Enttäuschung gefaßt machen müssen. Wie hast du es fertiggebracht, Tom?“

„Ich hab' seinen Fuß beim Aufwärtsschwingen erwischt und ihn hochgeschleudert. Und ehe er landete, versetzte ich ihm noch einen Kinnhaken.“

„Ein Kinnhaken, der einen Schwarzengürtelträger ausschaltet!“ staunte Rod und rollte sich herum.

Ein Schrei außerhalb des Zimmers verstummte plötzlich, Rod hob lauschend den Kopf. Dann taumelte er, die Hände immer noch zwischen die Beine gepreßt, zur Tür und riß sie trotz Toms Protest auf.

Drei weitere Männer lagen reglos auf dem Steinboden der Gaststube, während Tuan, mit der Schleuder in der Hand, an der Galeriebrüstung stand. Sein Gesicht war fahl. „Erst kam einer“, berichtete er tonlos, „dann der zweite und schließlich der dritte. Die ersten beiden erwischte ich, ehe sie schreien konnten, aber beim dritten war ich zu langsam.“ Er drehte sich mit dem Rücken zur Brüstung und sagte hart: „Mir gefällt dieses Töten nicht!“

Rod nickte und ächzte, als der Schmerz ihn zu übermannen drohte. Er hielt sich am Geländer fest. „Kein echter Mann liebt es, Tuan. Aber es ist Krieg und Ihr dürft es nicht so schwer nehmen!“

„Oh, ich habe auch schon früher getötet“, murmelte Tuan.

Seine Lippen waren Striche. „Aber Männer zu töten, die mir noch vor drei Tagen zuprosteten…“

Rod schloß die Augen. „Ich verstehe. Aber wenn Ihr je ein guter König oder guter Herzog werden wollt, müßt Ihr lernen, damit fertig zu werden. Außerdem, vergeßt das nicht, würden

sie Euch getötet haben, wenn Ihr nicht schneller gewesen wärt.“

Tom trat auf die Galerie heraus. Den Spötter hatte er sich wie ein gut verschnürtes Paket unter den Arm geklemmt. Er schaute kurz in die Gaststube hinab. „Noch mehr Tote?“ Er legte den Spötter zwischen seine bewußtlosen Hauptleute und begann, sie zu fesseln. Einer hatte nur noch eine Narbe, wo sein Ohr sein sollte — ein Zeichen der königlichen Gerechtigkeit.

Rod nickte. Der Spötter hatte sich seine Helfershelfer sorgfältig ausgewählt. Sie hatten guten Grund, die Monarchie zu hassen.

Er richtete sich auf und zuckte vor Schmerz zusammen.

„Ihr solltet Euch setzen und ausruhen, Rod Gallowglass“, riet ihm Tuan.

Rod holte pfeifend Luft und schüttelte den Kopf. „Es ist nur schmerzhaft, weiter nichts. Sollten wir diese drei nicht ins Verlies schaffen?“

Tuans Augen funkelten. „Nein, es genügt, daß sie gebunden sind. Laßt sie hier, ich brauche sie.“

Rod runzelte die Stirn. „Ihr braucht sie? Was meint Ihr damit?“

Tom hob eine Hand. „Fragt nicht lange, Meister, wenn Tuan sie braucht, so laßt sie ihm. Dieser Junge versteht sein Handwerk. Ich habe nie einen Mann gesehen und selten von einem gehört, der eine Menschenmenge so überzeugen kann wie er.“ Er drehte sich um und rannte die Stufen hinunter. In der Wirtsstube untersuchte er die Gefallenen, dann verschnürte er einen, der noch lebte, ehe er sie alle unter die Galerie zerrte.

Den Hauptmann neben dem Feuer warf er sich auf die Schulter.

„Tom!“ rief Tuan. „Sei so gut und bring das Horn mit, das an der Wand dort hängt, und die Trommel daneben ebenfalls!“

Tom nickte. Er nahm das alte, verbeulte Jagdhorn von seinem Haken und klemmte sich eine der primitiven Trommeln -

nichts weiter als ein leeres Faß mit einem Fellbezug an einem

Ende — unter den Arm.

Rod runzelte verwirrt die Stirn. „Was wollt Ihr denn mit Horn und Trommel?“

Tuan grinste. „Könnt Ihr Horn blasen?“

„Nun, im Symphonieorchester würde man mich vermutlich nicht aufnehmen, aber…“

„Es wird genügen“, unterbrach ihn Tuan mit glitzernden Augen.

Tom rannte die Stufen wieder hoch. Den dritten Hauptmann legte er neben seine Spießgesellen, die Instrumente neben Tuan. „Und wie geht es weiter, meine Herren?“

„Du nimmst die Trommel“, bestimmte Tuan, „und wenn ich das Wort gebe, hängst du diese vier von der Galeriebrüstung hinunter, aber nicht an den Hälsen, hörst du? Es ist von viel größerem Nutzen für uns, daß wir sie lebend gefangen haben.“

Rod hob eine Braue. „Doch wohl nicht der alte Spruch, daß der Mächtige es sich erlauben kann, Gnade walten zu lassen?“

Aber er hörte die Antwort nicht, weil Tom begonnen hatte, die Trommel zu schlagen, daß das ganze Haus vibrierte.

Tuan grinste und sprang auf die Brüstung. Mit weit gespreizten Beinen und verschränkten Armen machte er es sich dort bequem. „Ruft sie herbei, Meister Gallowglass!“ brüllte er.

Rod blies den Weckruf der Armee. Zwar klang er etwas ungewöhnlich auf dem alten Jagdhorn, aber er erfüllte seinen Zweck. Ehe er zu Ende damit war, hatte sich die ganze riesige Wirtsstube mit Bettlern, Dieben und Mördern gefüllt. Sie waren alle aus dem Schlaf gerissen, konnten die Augen noch nicht ganz aufbekommen und erst recht nicht klar denken. Sie stellten einander alle möglichen Fragen, und machten sich ganz klein, als sie Tuan, den sie verraten hatten, stolz und hochaufgerichtet auf der Brüstung stehen sahen.

Er sollte sie fürchten, sich gar nicht zurückgewagt haben, nachdem er befreit worden war — aber da stand er, frei und furchtlos, und rief sie mit Horn und Trommel herbei — und wo war der Spötter?

Sie waren verwirrt und mehr als nur ein wenig verängstigt.

Menschen, die nie gelernt hatten, selbständig zu denken, waren nun dem Undenkbaren ausgesetzt.

Rod endete mit einem Tusch, dann wirbelte er das Horn im Kreis und schob es in den Gürtel. Tom entlockte der Trommel ein letztes heftiges Bumm, da streckte Tuan die Hand in Toms Richtung und schnippte mit den Fingern.

Die Trommel erklang von neuem, leise, aber eindringlich.

Rod schaute zu Tuan hoch, der mit den Armen auf die Hüften gestützt grinste — ein in sein Reich heimgekehrter Elfenkönig!

Er blickte hinunter auf die furchterfüllte Menge, die mit offenen Mündern auf die majestätische Gestalt starrte.

Rod mußte zugeben, daß das eine sehr beeindruckende Weise für die Eröffnung einer Rede war.

Tuan warf die Arme hoch. Stille setzte in dem weiten Raum ein, nur das leise Pochen der Trommel war zu hören.

„Ihr habt mich verstoßen!“ brüllte Tuan.

Der Mob drängte sich furchtsam zusammen.

„Mich ins Exil verbannt!“ rief Tuan. „Ihr habt euch von mir abgewandt und glaubtet, mich nie wiederzusehen!“

Ein Murmeln erhob sich, verängstigt, ja verzweifelt.

„Wurde ich nicht verbannt?“ schrie Tuan. „Seid still!“

Und wie durch ein Wunder erstarb das Gemurmel sofort.

Tuan deutete mit anklagendem Zeigefinger auf die Menge.

„Nun, wurde ich nicht verbannt?“

Ein paar Jas waren zu hören.

„Wurde ich verbannt?“ rief Tuan erneut.

„Ja!“ antworteten nun alle.

„Schimpftet ihr mich nicht Verräter?“

„Ja“, rief die Menge widerwillig.

„Und doch stehe ich hier, frei und stark und wieder Herr des Hauses Clovis!“

Niemand focht diese Behauptung an.

„Und wo sind die wahren Verräter, die euch in eine hoffnungslose Schlacht geführt hätten, wo kaum einer von euch am Leben geblieben wäre? Die Verräter, die in meiner Abwesenheit dieses Haus zum Kerker machten? Wo sind sie jetzt, um meine Führerschaft zu bestreiten?“ Wieder stützte er die Hände auf die Hüften, während die Menge die Frage aufnahm und sie einander stellte. Eilig befestigte Tom drei Meter des Spinnenfadens an der Verschnürung des Spötters und band das Ende an eine Stützsäule der Brüstung. Und als das Gemurmel: „Wo?“ und „Der Spötter!“ lauter wurde, tat er das gleiche mit den drei Hauptleuten.

Tuan ließ das Gemurmel weiter anschwellen, bis es seinen Höhepunkt erreicht hatte, dann erst gab er Tom das Zeichen. Tom und Rod hoben die gebundenen Männer über die Brüstung, so daß sie paarweise zu beiden Seiten von Tuan in die Tiefe hingen. Der Spötter hatte inzwischen das Bewußtsein wiedererlangt und baumelte, in seinem Versuch freizukommen, hin und her.

Erschrockenes Schweigen senkte sich auf den Raum herab. Der Mob brüllte wie ein riesiges, hungriges Raubtier und drängte sich nach vorn. Die vordersten Reihen hüpften hoch, um nach den herabhängenden Füßen zu greifen. Die Menge bedachte den Spötter und seine Kumpane mit Flüchen und den gemeinsten Schimpfwörtern.

„Seht sie euch an!“ schrie Tuan, und die Meute verstummte. „Seht sie euch an, diese Verräter, die ihr eure Herren nanntet. Seht sie euch an, diese Verräter und Diebe, die euch all die Freiheit nahmen, die ich für euch errungen hatte!“ Tom grinste. Seine Augen, die er auf den jungen Lord gerichtet hatten, glühten, und er wiegte sich leicht im Takt zu dessen Worten. Wahrhaftig, der Junge schien gewachsen zu sein. „Wurdet ihr nicht herrenlos geboren?“ brüllte Tuan. „Ja!“ brüllte die Menge einstimmig zurück.

„Ihr wurdet frei geboren! Gewiß, in die Freiheit der Ausgestoßenen und der Armut, aber frei vom Joch der Knechtschaft!“

„Ja! Ja!“

„Habe ich euch diese Freiheit geraubt?“

„Nein! Nein!“

Ein Buckliger mit einer Binde über einem Auge schrie: „Nein, Tuan! Ihr habt uns mehr gegeben!“

Die Menge tobte. Tuan verschränkte die Arme wieder und ließ grinsend dem Jubel ungehindert seinen Lauf. Als er seinen Höhepunkt erreichte, warf er erneut die Arme hoch.

„Mußtet ihr für eine Liebesnacht erst meine Erlaubnis einholen?“

„Nein!“ brüllten sie.

„Und ich werde euch auch da weiterhin eure Freiheit lassen!“

Sie jubelten. Tuan grinste und verbeugte sich fast scheu. Doch dann beugte er sich vor, die Hände geballt, und rief mit finsterer Stimme: „Aber als ich heute in dieses Haus zurückkam, mußte ich feststellen, daß ihr euch alles, was ich euch gab, von diesen gemeinen Schurken habt stehlen lassen!“

Die Meute tobte.

Tuan zuckte mit der Linken. Tom ließ die Trommel heftig dröhnen. Alle verstummten.

„Mehr noch, ließt ihr euch von ihnen nehmen: Das Recht, mit dem ihr geboren ward — die Freiheit der Liebe!“

Eingeschüchtert von seinem Ton und der erneut aufdröhnenden Trommel wichen die Anwesenden zurück.

„Und ihr wollt Männer sein!“ Tuan lachte rauh und verächtlich.

Ein neues Gemurmel erhob sich und wurde zu verständlichen Worten: „Wir sind Männer! Ja, wir sind Männer! Männer!“

„Ja, Tuan!“ schrie der einäugige Bucklige. „Gebt uns diese baumelnden Halunken, die uns beraubten, dann beweisen wir Euch, daß wir Männer sind. Wir werden ihnen lebenden Leibes

die Haut abziehen, sie in Stücke zerreißen, selbst die Knochen werden wir ihnen zersplittern!“

Die Meute heulte vor Blutlust.

Tuan richtete sich hoch auf und lächelte grimmig. Das Heulen wurde zu einem verlegenen Brummen, aus dem Schuldbewußtsein sprach und erstarb.

„Das nennt ihr Mannestum?“ sagte Tuan fast leise. „Nein!

Schweißhunde sind besser als ihr!“

Erneut breitete sich ein Gemurmel aus, das lauter und wütender wurde.

„Vorsichtig, Tuan!“ mahnte Rod flüsternd. „Wenn Ihr so weiter macht, werden sie uns in Stücke reißen.“

„Keine Angst“, erwiderte Tuan genauso leise, ohne die Augen von dem Mob zu nehmen. „Es muß erst richtig eindringen.“

Immer lauter wurde das Murmeln. Hier und da hob einer wütend die Faust und drohte Tuan.

Tuan warf die Arme hoch und rief: „Aber ich weiß, daß ihr Männer seid! Gewiß, es gibt solche, die mir widersprechen würden, aber ich glaube an euch. Wollt ihr beweisen, daß ihr wahrhaftig Männer seid?“

„Ja!“ brüllte die Menge. „Ja! Ja!“

„Wollt ihr kämpfen?“ rief Tuan und schüttelte die Faust.

„Ja!“ Blutdürstig drängte die Meute sich wieder näher.

„Ihr wurdet in Schmutz und Elend geboren, zu harter, rückenkrümmender Arbeit! Zu leeren Bäuchen und ohne ein Dach über euren Köpfen, richtig?“

„Ja! Ja!“

„Wer füllte euch die Bäuche? Wer gab euch mit die sem Haus ein Dach über eure Köpfe?“

„Ihr, Tuan!“

„Ja, ich holte euch aus eurem Elend. Aber wer war schon vor eurer Geburt an an diesem Elend schuld? Wer hat euch Jahrhundert um Jahrhundert tiefer in den Schmutz getreten?“

„Die Edlen!“ brüllte der Bucklige. Sofort griffen die anderen es

auf. „Die Edlen! Die Edlen!“

Rod wand sich unter dem Haß, den sie in dieses Wort steckten.

„Ja, die Edlen!“ bestätigte Tuan und ließ die Meute kurz toben, ehe er weitersprach. „Aber wer unter all den Hochgeborenen ergriff eure Seite? Wer gab euch zu essen, wenn ihr gehungert habt? Wer hörte euch an? Wer schickte Richter aus, um euch Gerechtigkeit zu bringen, statt der Willkür der Edlen?“

„Die Königin!“ rief er.

„Die Königin!“ echoten sie.

„Sie verschloß den Edlen ihr Ohr, um euch hören zu können!“

„Ja!“

„Aber sie hat Euch verbannt, Euch, unseren Tuan Loguire!“

schrie der Bucklige.

Tuan lächelte. „Hat sie das wirklich? Oder hat sie mich zu euch gesandt, um unter euch zu leben und Gutes zu tun?“ Er warf die Arme wieder hoch, und sie brüllten begeistert.

„Die Königin hat euch euer Geburtsrecht wiedergegeben!“

„Ja!“

„Seid ihr Männer?“

„Ja! Ja!“

„Werdet ihr kämpfen?“

„Ja!“

„Gegen die Edlen für eure Königin?“

„Ja! Ja!“

Immer lauter wurde das Brüllen. Die Bettler begannen herumzuhüpfen, die Männer griffen nach den Frauen unter ihnen und wirbelten sie herum.

„Habt ihr Waffen?“ brüllte Tuan.

„Ja!“ Dolche stießen glänzend in die Höhe.

„Dann stürmt aus dem Haus und durch das Südtor der Stadt.

Die Königin wird euch Proviant und Zelte geben! Dann setzt euch in Marsch zum Bredenfeld und wartet dort auf die Edlen!

Und jetzt geht! Geht! Für die Königin!“

„Für die Königin!“

Tuan schnippte mit den Fingern. Die Trommel dröhnte.

„Signal! Gallowglass!“

Rod legte das Horn an die Lippen und schmetterte das Signal.

Die Menge verteilte sich auf die Zimmer und Schlafräume, wo sie ihre Waffen und Beuteln holte.

„Geschafft!“ Tuan sprang von der Brüstung auf die Galerie. „In zwei Tagen haben sie das Bredenfeld erreicht!“ Er grinste und schlug Tom auf die Schulter. „Wir haben es geschafft, Tom!“

„Puh!“ keuchte Tuan, als Tom ihn wieder losließ. Er wandte sich an Rod. „Geht Ihr, Freund Gallowglass, zur Königin, damit sie ihren Soldaten die nötigen Befehle erteilt. Ersucht sie, Fleisch, Brot, Bier und Zelte an die Bettler verteilen zu lassen. Und seht zu, daß diese Halunken in die Verliese der Königin geworfen werden.“ Er deutete auf die vier Baumelnden. „Lebt wohl!“ Und schon sprang er die Stufen hinunter.

„Heh, wartet!“ brüllte Rod ihm nach. „Was habt Ihr vor?“

„Ich muß meine Leute zum Bredenfeld begleiten“, rief Tuan zurück, „sonst plündern sie unterwegs alles kahl wie die Heuschrecken und bringen sich bei der Verteilung der Beute auch noch um. Versichert Catherine meiner…“ Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „… Loyalität.“

Und schon rannte er dem Mob voran, der aus dem Tor quoll.

Rod und Tom tauschten einen Blick aus, dann eilten sie zum flachen Dach hoch, von wo aus sie die singende Meute beobachteten, die Tuan folgte.

„Glaubst du, er braucht Hilfe?“ murmelte Rod.

Tom starrte ihn erstaunt an. „Er, Herr? Nein, wohl eher, die, die sich gegen ihn stellen wollen, mit dieser Armee in seinem Rücken.“

„Aber er ist nur einer, Tom! Einer, der zweitausend körperliche und seelische Krüppel führt!“

„Zweifelt Ihr jetzt noch an seinen Kräften, Meister? Nach

allem, was Ihr hier gesehen und gehört habt?“

„Nein.“ Rod schüttelte den Kopf. „Es gibt mehr Hexerei in diesem Land, als ich ahnte, Tom.“

„Weckt die Königin und sagt ihr, wir warten im Audienzsaal“, befahl Brom der eilig geweckten Leibmagd. „Schnell!“

Er schlug die Tür zu und drehte sich zum Kamin um, wo Rod mit Toby saß, der mit nur einer Stunde Schlaf nach einer sehr ausgedehnten Hexenparty die Augen kaum offenzuhalten vermochte.

„Natürlich“, murmelte er mit dicker Stimme, „wollen wir der Königin auf jede uns mögliche Weise helfen, aber was könnten wir in einer Schlacht schon nutzen?“

„Überlaß das mir.“ Rod lächelte. „Ich werde etwas für euch zu tun finden. Du sorgst inzwischen dafür, daß die Hexen der Königin sich auf dem Bredenfeld einfinden, sagen wir in…

Was meinst du, Brom O'Berin?“

„In drei Tagen. Wir brechen bei Morgengrauen auf und marschieren etwa drei Tage.“

Toby nickte. „Wir werden dort sein, meine Herren. Und nun, wenn Ihr mich entschuldigen würdet?“ Er erhob sich, sank jedoch mit einem leisen Aufschrei auf den Stuhl zurück und preßte die Hände an den Kopf.

„Langsam, langsam, Junge. Ist wohl dein erster Kater?“

„O nein.“ Toby blickte Rod mit rotunterlaufenen Augen an.

„Aber es ist das erstemal, daß ich wach bin, wenn der Rausch sich zum Kater wandelt. Entschuldigt…“

Die Luft brauste in ihren Ohren, als sie den Raum einnahm, wo Toby sich gerade noch befunden hatte. Rod sah Brom kopfschüttelnd an. „Diese Teleporter!“

Der Zwerg runzelte die Stirn. „Tele-was?“

„Uh…“ Rod fluchte insgeheim über seinen Ausrutscher. „Ich nehme an, er ist wieder in sein Bett zurückgekehrt. Er kann also hier verschwinden und dort wieder erscheinen.“

„Ja, so schnell wie der Gedanke.“

Rod nickte. „Das wußte ich, Und gerade das kann uns von Nutzen sein.“

„Was hast du mit ihnen vor, Rod Gallowglass?“

„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht lasse ich sie Federn in die Rüstungen der Ritter aus dem Süden zaubern. Dann sterben sie vor Lachen.“

„Du weißt also noch gar nicht, wozu du sie einsetzen willst und befiehlst sie trotzdem auf das Schlachtfeld?“

„Ja. Ich glaube, ein wenig Hexerei kann manchmal recht nützlich sein.“

„O ja.“ Brom lächelte verschmitzt. „Sie hat dir zweimal das Leben gerettet, nicht wahr?“

Rod starrte ihn an. „Sie? Wer, sie? Wen meinst du?“

„Gwendylon, wen sonst?“

„Du kennst sie? Ja, natürlich. Sie steht ja auf ziemlich gutem Fuß mit den Elfen, außerdem hat sie dich auch geholt, uns aus dem Verlies zu befreien.“

„Sag mir, liebst du sie?“ fragte Brom plötzlich ernst.

„Lieben? Was geht das dich an?“

Brom winkte ungeduldig ab. „Es geht mich etwas an, lassen wir es dabei bewenden. Liebst du sie?“

„Ich lasse es nicht dabei bewenden!“ Rod richtete sich in seiner Ehre gekränkt auf.

„Ich bin der Elfenkönig!“ schnaubte Brom. „Geht mich da nicht alles an, was die mächtigste Hexe in Gramayre betrifft?“

„Die mächtigste Hexe von Gramayre?“ echote Rod erschrocken.

Brom lächelte säuerlich. „Wußtest du das nicht? Also, gestehe jetzt: liebst du sie?“

„Nun — uh — ich — uh, ich weiß es nicht.“ Rod stützte den Kopf in beide Hände. „Ich meine — uh — es ist so plötzlich — ich…“

„Du mußt doch schließlich wissen, ob du sie liebst oder nicht!“

knurrte Brom ungeduldig. „Kennst du denn dein eigenes Herz nicht?“

„Nun, da ist die Aorta, die Pulmonalklappe, die…“

„Ich will wissen, ob du sie liebst!“ donnerte Brom.

„Woher soll ich es wissen!“ brüllte Rod genauso wütend zurück. „Frag doch mein Pferd!“

Ein zitternder Page steckte den Kopf durch die Tür. „Meine Lords, Ihre Majestät, die Königin!“

Rod und Brom wirbelten herum und verbeugten sich.

„Nun, Mylords“, sagte Catherine ungehalten und ließ sich beim Feuer nieder. „Welche wichtige Neuigkeit habt ihr, daß ihr mich so früh aus den Federn reißt?“

„Das Haus Clovis hat die Waffen ergriffen und marschiert südwärts“, informierte Rod sie.

Catherine schloß die Augen. „Der Himmel sei gepriesen!“

„Und Tuan Loguire!“ sagte Rod.

Sie starrte ihn an. „Ja, und Tuan Loguire“, echote sie widerstrebend.

„Ihr müßt sie mit Proviant versorgen, damit sie unterwegs nicht das Land plündern. Und ein Kurier sollte die Soldaten unterrichten, daß sie auf unserer Seite sind.“

„Ja, natürlich“, murmelte sie. Sie schaute in das Feuer. „Es ist seltsam, daß die, die am meisten gegen mich schrien, jetzt für mich kämpfen…“

Rod schaute sie mit einem ironischen Lächeln an.

„Tuan…“, flüsterte sie.

Brom räusperte sich. „Und ich habe heute nacht mit dem Elfenkönig gesprochen. Er stellt uns seine gesamten Legionen zur Verfügung.“

Sie war wieder ihr altes Selbst. „Elfenlegionen, Brom O'Berin?“ sagte sie säuerlich.

„Unterschätzt sie nicht.“ Rod rieb sich den Hinterkopf und dachte an den Hieb, den er dort abbekommen hatte, und an den eingefangenen Werwolf. „Und dazu haben wir auch noch Euren eigenen Hexenzirkel…“

„Und die mächtigste Hexe von ganz Gramayre“, brummte Brom.

„Ja, und sie alle sind bereit, dem einzigen Herrscher der Geschichte, der Hexen je schützte, zu helfen.“

Catherines Augen glänzten und schienen in weite Ferne zu blicken. „Wir werden siegen“, flüsterte sie. „Wir werden siegen.“

„Nun, mit allem Respekt, Eure Majestät, aber bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen. Sagen wir, wir haben eine gute Chance.“

Das Bredenfeld war ein Delta, offen im Süden, aber im Norden durch die Mündung von zwei Flüssen geschlossen. Ein Dickicht von Büschen und Bäumen, entlang der beiden Flußufer, begrenzte das Feld, das mit hohem Gras und Lavendel überwuchert war. Doch davon war jetzt wenig zu sehen, denn dichter Nebel hing bis auf den Boden.

Tuan, der die Hände am Lagerfeuer wärmte, murmelte düster: „Dieses Wetter schlägt sich auf das Gemüt der Truppen.“

Rod hob eine Braue und lauschte der lauten Lustbarkeit, die von der Abteilung der Bettler zu ihm drang. Auch die Hexen waren mehr als vergnügt, denn sie hatten des Wetters wegen mit ihrer üblichen Party schon gegen Mittag begonnen.

„Hm“, brummte er. „Hört sich gar nicht so an. Aber macht Euch keine Sorgen, Tuan, die Präkog… uh — Hexen meinen, es würde morgen ein herrlicher, sonniger Tag.“

„St. Georg sei gepriesen, daß wir nicht vorher kämpfen müssen.“ Tuan hüllte sich fröstelnd enger in seinen Umhang.

Broms Miniaturspione hatten gemeldet, daß die Südtruppen sich noch einen halben Tagesritt entfernt befanden. Catherine war mit Brom und ihrer Armee gestern abend angekommen, und die Bettler ruhten sich bereits einen ganzen Tag aus und waren kaum noch zurückzuhalten, dem Feind entgegenzumarschieren. Tuan mußte seine ganze Autorität aufbieten, sie zu bremsen.

„Ich sehe eigentlich nicht ein“, sagte Rod und zupfte an seiner

Lippe, „weshalb wir bis morgen warten sollten. Wir könnten ihnen doch während der Nacht einen Hinterhalt stellen, solange sie ihre Truppen zusammenziehen.“

„Ein Nachtangriff!“ rief Tuan sichtlich erschrocken.

„Warum nicht?“ Sie werden müde vom langen Marsch sein, und wissen nicht, wo wir uns befinden. Wir hätten eine viel größere Chance, zu siegen.“

„Ja, genau wie man eine größere Chance hat, einen Mann zu töten, wenn man ihn erschlägt, während er auf dem Boden liegt!“

Rod seufzte. „Ich dachte, das Wichtigste bei einem Kampf ist, zu gewinnen?“

„Ja, aber nicht mit solch gemeinen Mitteln. Wer würde einer Königin treu bleiben, die ihre Macht auf solche Weise aufrechterhält?“

Das war der Kern der Sache, mußte Rod zugeben. Prestige war auf Gramayre alles, und Ehre war der Eckstein des Prestiges.

„Ihr müßt wissen, was Ihr tut“, sagte er seufzend. „Schließlich seid Ihr derjenige, der mit Menschen umzugehen versteht.“

Tuan lächelte traurig und schüttelte den Kopf. „Freund Rod, ich habe kein Geschick im Regieren.“

Rod gestattete sich eine skeptische Miene. „Vielleicht nicht, aber Ihr seid ein verdammt guter Führer.“

„Ho!“ polterte eine Stimme. Rod drehte sich um und schaute der mächtigen Gestalt entgegen, die sich aus dem Nebel löste.

„Alle glücklich da drüben?“

„Und wie, Meister. Sie haben ihr ganzes Leben nie solchen Wein getrunken oder soviel davon“, versicherte ihm Tom.

„Hmmm.“ Rod zupfte an der Lippe. „Roll die Fässer lieber bald weg. Wir können sie so kurz vor der Schlacht nicht betrunken brauchen!“

„Nein!“ widersprach Tuan fast automatisch, wie Rod bemerkte.

„Laß sie trinken, soviel sie wollen, dann schlafen sie eher ein.

Am frühen Morgen wecken wir sie, geben jedem einen Krug voll oder auch zwei — dann kämpfen sie wie die Teufel.“

Rod mußte zugeben, daß Tuan damit nicht unrecht hatte.

Feinheiten oder Taktik verlangten sie ja von den Bettlern nicht, Hauptsache, sie fielen über den Feind her.

Vereinzelte Leuchtpunkte, die Wachfeuer der königlichen Streitkräfte, spitzten durch den nächtlichen Nebel. Weitere Lichtpunkte näherten sich aus dem Süden, wo die Edlen und ihre Ratgeber ihre Truppen heranführten. Von der Nordwiese war rauhes Gelächter, zungenschwere Wortfetzen und dumpfe Musik zu hören. Die Bettler befolgten dort erfreut den Befehl, sich so schnell vollaufen zu lassen, wie nur möglich. Aber mißbilligendes Schweigen herrschte auf dem Hang jenseits des Flusses, wo Catherines Soldaten nüchtern unter ihre Decken krochen.

Nur in Catherines Zelt fand dieses Schweigen keinen Einlaß.

„Nein und nochmals nein!“ rief die Königin und stapfte wütend auf und ab. Abrupt blieb sie stehen. „Ich will keine Widersprüche mehr hören! Ich reite morgen früh an der Spitze meiner Armee, basta!“

Rod und Brom tauschten Blicke. Tuans Gesicht war tief rot vor Ärger, Ohnmacht und Sorge.

„Und nun laßt mich allein!“ befahl Catherine.

Widerstrebend zogen die Männer sich mit einer Verbeugung zurück. Außerhalb des Zeltes knurrte Brom: „Sie läßt sich einfach nichts sagen und muß ihren Kopf durchsetzen. Uns dreien bleibt nichts übrig, als sie zu beschützen und den Schlachtplan Sir Maris zu überlassen.“

„Der sicherste Weg zur Niederlage!“ brummte Rod. „Seine Vorstellung von einer Schlachtaufstellung ist so überholt wie die Phalanx.“

Brom seufzte und rieb sich die Augen. „Aber wie ich sagte, ich werde notfalls an ihrer Seite sterben. Doch vielleicht bleiben wir am Leben, denn ich habe einen kleinen Plan“

Er stapfte in die Dunkelheit, ehe sie ihn danach befragen konnten, woraus Rod schloß, daß dieser „Plan“ lediglich daraus bestand, ihm und Tuan allein durch seine Erwähnung Mut zu machen.

„Wir werden bei ihrer Verteidigung sterben“, flüsterte Tuan bleich und abgespannt. „Aber wenn wir nicht mehr sind, wird auch sie sterben, und das möchte ich nicht.“ Hoffnungslos hob er die Hände. „Aber was kann ich tun?“

„Nun…“ Rod spitzte die Lippen und schaute über die Schulter auf das beleuchtete Zelt. „Ich wüßte einen sicheren Weg, daß sie morgen nicht reitet…“

Tuans Gesicht leuchtete auf. „Sprecht, so sprecht!“

„Seht zu, daß sie am Morgen nicht sitzen kann.“

Tuan starrte ihn an. Langsam röteten sich seine Wangen, um gleich wieder zu erblassen. Bebend stammelte er: „Wa-as — was meint — Ihr damit?“ Seine Stimme klang drohend. Er hob eine zitternde Faust.

Rod betrachtete ihn stirnrunzelnd. „Versohlt sie! Versohlt sie so ausgiebig, daß sie bis nächsten Sonntag auf dem Bauch liegen muß. Anders läßt es sich nicht machen.“

Tuan ließ die Faust fallen. Farbe kehrte in sein Gesicht zurück.

„Oh“, murmelte er und wandte sich ab. „Hm, es würde vielleicht gar nicht schaden.“

„Es gibt nur diese eine Möglichkeit, wenn Ihr nicht wollt, daß sie stirbt.“

Tuan nickte. Energisch drehte er sich zum Zelt der Königin um, und straffte die Schultern. „Dann werde ich es tun.

Verzeiht meinen Ärger, Freund Gallowglass, aber einen Moment dachte ich, Ihr meintet — etwas anderes.“

Tief Luft holend setzte er sich in Bewegung. Am Zelteingang hielt er kurz an, nickte den Wachen zu, straffte erneut die Schultern und stapfte hinein.

Rod grinste und machte sich zum Lager der Hexen auf den Weg. Gwendylon materialisierte im wahrsten Sinne des Wortes aus der Dunkelheit. Sie lächelte scheu. „Worüber amüsiert Ihr Euch so, Mylord?“

Rod grinste noch breiter, faßte sie um die Mitte und schwang sie hoch zu einem sehr ausgedehnten Kuß.

„Mein Lord!“ Sie errötete und strich ihr Haar zurück.

Die Nachtluft trug ein plötzliches klatschendes Geräusch zu ihnen, das von Kreischen und Schreien begleitet wurde.

Die Wachen am Zelt zuckten hoch, dann drehten sie sich dem Eingang zu. Eine streckte die Hand aus, um die Lasche zurückzuziehen, aber die andere hielt sie zurück und rief: „Benötigt Eure Majestät Hilfe?“

„Draußenbleiben!“ schrie eine schmerzverzerrte Stimme. „Bei eurem Leben! Wagt es nicht, einzutreten!“

Die Wachen wechselten verwirrte Blicke, zuckten die Schultern und stapften zu ihren Posten zurück, allerdings nicht, ohne nervös über die Schulter zu schauen.

Die Schreie klangen gedämpfter und wurden zu Schluchzen.

Die klatschenden Laute verstummten völlig. Und dann war alles still.

Rod blickte zu Gwen hinunter. „Worüber amüsierst du dich jetzt?“

Sie widmete ihm einen Blick aus den Augenwinkeln. „Ich sagte Euch doch, Mylord, daß ich alle Gedanken, außer Euren hören kann.“

„Und?“

„Nun, ich höre sehr gute Gedanken aus dem Zelt.“

Die Lichter im Zelt erloschen.

Gwendylon kicherte und drehte sich um. „Kommt, mein Lord.

Es wäre unpassend, noch weiter zu lauschen. Auch müßt Ihr heute nacht früh zu Bett.“

„Wach auf, Rod Gallowglass!“ Etwas zerrte an seiner Schulter.

Rod knurrte und plagte sich, die Lider zu heben. „Was zum Teufel…“ Er hielt inne, als er Brom erkannte.

„Zieh dich an und komm mit“, brummte der Zwerg.

„Ich schlafe gewöhnlich in der Nacht vor einer Schlacht nicht

nackt.“ Vorsichtig erhob Rod sich, um Gwendylon nicht zu wecken. Zärtlich blickte er zu ihr hinab und drückte einen sanften Kuß auf ihre Wange. Sie murmelte etwas im Schlaf und lächelte.

Rods Züge verhärteten sich, als er Brom folgte, der bereits durch den vormorgendlichen Nebel stapfte und ihm barsch zuwinkte.

„Also, was ist passiert?“ knurrte Rod, als er Brom einholte.

„Sei jetzt still!“ schnaubte der Zwerg und öffnete den Mund nicht mehr, bis sie den Hügel hoch über den Zelten erklommen hatten. Erst da drehte er sich wild zu Rod herum und fuhr ihn an. „Sag es mir endlich! Liebst du sie?“

Verblüfft, aber völlig ruhig sagte Rod: „Du hast mich aufgeweckt, nur um mich das zu fragen?“

„Es ist wichtig für mich!“ donnerte Brom. „Liebst du sie?“

Rod verschränkte die Arme. „Was, zum Teufel, geht das dich an?“

Brom schaute weg. Seine Kiefer knirschten, und als er endlich sprach, war es, als würde ihm jedes Wort entrissen.

„Sie ist meine Tochter, Rod Gallowglass!“

Er blickte zu Rods entgeistertem Gesicht hoch, und ein spöttischer Zug huschte über seine Miene. „Es fällt dir wohl schwer, das zu glauben, eh?“ Er drehte sich um und blickte über das Tal. Mit der Erinnerung wurde seine Stimme weich und nachdenklich.

„Sie war nur eine Küchenmagd in der Burg des Königs, Rod Gallowglass — aber ich liebte sie. Klein war sie, nicht viel mehr als halb so groß wie andere Frauen, und doch einen Kopf größer als ich. Und sterblich, viel zu sterblich.

Und schön war sie, so schön! Auch wenn es seltsam erscheinen mag, obwohl sie so klein war, begehrten viele Männer am Hof sie. Doch sie liebte mich…“ Seine Stimme klang verwundert und fast ehrfürchtig. „Sie als einzige von allen lebenden Frauen, ob Elfe oder Sterbliche, sah mich nicht als Zwerg,

Troll, Elf oder König — nur als Mann. Und sie begehrte mich — und liebte mich…“

Er seufzte. „Ich liebte sie, Rod Gallowglass, ich liebte nur sie, und wir hatten ein Kind zusammen.“

Sein Gesicht verdunkelte sich. Er faltete die Finger hinter seinem Rücken und starrte finster auf den Boden. „Als sie wußte, daß sie schwanger war, und die Zeit verging und ihr Leib bald so angeschwollen sein würde, daß jeder es erkennen und sie mit grausamen Schmerzen quälen würde, obgleich wir verheiratet waren, schickte ich sie in den Wald zu meinem Volk. Mit Elfen und Gnomen als Hebamme gebar sie ein wunderschönes, lächelndes Kind, ein Halbelflein.“

Seine Augen glänzten feucht, als er fortfuhr: „Sie starb. Als ihre Tochter zwei Jahre alt war, starb sie an einem Fieber. Wir begruben sie unter einem Baum im Wald. Jedes Jahr besuche ich ihr Grab…“

Er hob den Blick zu Rod. „Aber ich hatte noch das Kind. Doch was sollte ich mit der Kleinen tun? Sie selbst aufziehen und wissen lassen, daß ihr Vater ein knorriger Zwerg ist, und sie so dem Spott der Menschen aussetzen, bis sie mich verabscheute?

Nein, sie wuchs im Wald auf, beschützt von den Elfen. Sie kannte das Grab ihrer Mutter, doch von ihrem Vater weiß sie auch jetzt nichts.“

Rod öffnete den Mund, aber Brom wehrte ihn ab. „Sei still! Es war und ist besser so. Und wenn sie es je von dir erfährt, Rod Gallowglass, dann reiß ich dir die Zunge an der Wurzel aus und säble dir beide Ohren ab!“

Mit steinernem Gesicht musterte Rod ihn, aber er wußte nicht, was er sagen sollte.

„Und deshalb wirst du es mir jetzt sagen!“ Brom stemmte die Fäuste in die Hüften und hob das Kinn. „Wisse, daß ich halbmenschlich bin und darum getötet werden kann — und es könnte leicht sein, daß ich heute noch sterbe!“ Seine Stimme wurde leiser. „Also, sag einem armen, besorgten Vater: liebst du sein Kind?“

„Ja“, antwortete Rod leise. Und dann: „Also war es kein Zufall, daß ich ihr auf meinem Ritt in den Süden begegnete?“

Brom lächelte säuerlich. „Natürlich nicht!“

Der Himmel färbte sich mit dem ersten Rot des Morgens, und der Nebel löste sich auf, als Rod in das Lager der Bettler ritt, um sie zu wecken. Aber Tuan war schon vor ihm dort. Er schüttelte jeden einzeln wach. Soldaten mit einer Riesenkanne Glühwein begleiteten ihn und drückten jedem einen Becher der dampfenden Flüssigkeit in die Hand.

Tuan blickte hoch, sah Rod und kam mit ausge streckten Armen und einem breiten Grinsen auf ihn zu. Er schlug ihm auf die Schulter und zerquetschte ihm fast die Hand. Eine tiefe, überströmende Zufriedenheit sprach aus seinen Augen.

„Meinen Dank, Freund Rod“, sagte er. „Wollt Ihr mein Leben?

Ihr dürft es haben! So tief stehe ich in Eurer Schuld!“

Tuan schien im Bettlerlager alles gut im Griff zu haben, also lenkte Rod Gekab zu den Reihen der Hexen. Auch hier war alles in bester Ordnung. Die Körbe mit Gurten standen bereit, und der Morgentrunk wurde ausgeschenkt. Es war ein starkes Getränk, eine Art Teekonzentrat mit ein wenig Weinbrand. Es erfüllte seinen Zweck als Stimulanz, indem es die Hexenkräfte zur höchsten Wirkung brachte.

Die Elfen waren überall im ganzen Lager und verteilten Talismane und Amulette an alle, die sie haben wollten. Hexen oder nicht Hexen, argumentierten die Kleinen, es war nie falsch, sicherzugehen. Die Glücksbringer konnten nicht schaden, im Gegenteil, vielleicht…

Für Rod gab es im Augenblick nichts zu tun, also ritt er Gwendylon suchen. Er fand sie inmitten einer Gruppe Hexen, alter Hexen für gramayresche Begriffe, sie waren bestimmt schon alle in den Zwanzigern. Gwendylon schien ihnen etwas zu erklären. Mit ernster Miene kratzte sie mit einem Stock Zeichen in den Boden. Die anderen klebten an ihren Lippen,

als hinge von jeder Silbe ihr Leben ab. Es schien also nicht gerade der richtige Zeitpunkt, sie zu stören So wendete Rod und ritt aus dem Lager hinaus auf das Bredenfeld. Die ersten Sonnenstrahlen vertrieben die letzten Nebelschwaden. Das Gras war noch feucht und kalt vom Tau, der Himmel klar und blau. Am Südrand der weiten Ebene spiegelte die Sonne sich auf Speerspitzen und glänzenden Rüstungen. Der Wind trug metallisches Klirren, Wiehern und den dumpfen Lärm eines erwachenden Kriegslagers herbei. Auch die Ratgeber waren früh auf.

Hufgedröhn erschallte hinter Rod. Er drehte sich um. Ein Page kam über die Wiese auf ihn zugaloppiert. „Ihr müßt zur Königin kommen, Meister Gallowglass!“ rief er atemlos. „Lord O'Berin und die Lords Loguire sind bereits bei ihr!“ Der Kriegsrat war schnell vorbei. Er war nichts weiter als eine kurze Summierung bereits besprochener Pläne, ein kurzes Gebet, und die Erklärung Catherines, doch nicht mit ihren Soldaten zum Sturm zu reiten. Rod war aufgefallen, daß sie während der ganzen Sitzung, so paradox es auch klang, gestanden hatte.

Und dann begaben sich alle auf ihre Posten. Sir Maris in der Mitte, Herzog Loguire an der rechten Flanke, und Rod an der linken. Brom würde mit Catherine und Gwendylon auf der Hügelkuppe bleiben, um die gesamte Schlacht zu leiten — ein Vorschlag Rods, den Brom ohne Vorbehalt angenommen hatte. Der Zwerg war zwar ein gewaltiger Kämpfer, aber seine Beine waren nicht lang genug, sich beim Gefecht im Sattel zu halten. Tom, dem man die Wahl gelassen hatte, mit den Bettlern oder an Rods Seite zu kämpfen, entschied sich für letzteres, vermutlich, weil er mitten im Schlachtgetümmeln sein wollte. Tuan blieb natürlich bei seinen Bettlern.

Als Tuan sich in den Sattel schwang, hielt Catherine ihn mit einer Hand auf seinem Knie zurück. Rod sah, daß sie ein Stück Seidenschleier um Tuans Oberarm band. Dann hob sie fast

flehend die Hände zu ihm. Tuan griff nach ihnen, drückte sie an die Lippen, dann beugte er sich hinab, um das Mädchen auf den Mund zu küssen. Die Königin blickte ihm nach, als er zu seiner zerlumpten Armee ritt. Rod warf noch einen letzten Blick auf Gwendylon, die neben dem Zelt der Königin stand, dann trabte er zur linken Flanke. Er war der einzige Reiter, der ohne Brustpanzer in den Kampf zog.

Plattenpanzer, wie er im vierzehnten Jahrhundert auf der Erde üblich gewesen war, war zu beiden Seiten des Feldes zu finden, aber die Streitkräfte des Südens waren zu einem dichten, schimmernden Wall formiert, während Catherines Ritter in einem Abstand von jeweils zwanzig Metern über die ganze Länge der Feindlinie verteilt waren.

Aber es gibt ein paar Lücken, dachte Rod. Und die einzelne Reihe Fußsoldaten hinter den Rittern der Königin war ein wenig mager, verglichen mit der dichtgeballten Masse hinter den Rebellenlords. Nein, es war wirklich kein sehr hoffnungerweckender Anblick. Doch es gab noch die Bettler, die Hexen und die Elfen — von diesen drei Gruppen war nichts zu sehen.

Die Rebellen würden einige sehr unangenehme Überraschungen erleben!

Am Südende des Feldes erschallte ein Horn. Die Rebellenritter legten ihre Lanzen ein. Die Ritter der Königin taten es ihnen gleich. Die Pferde schössen vorwärts. Das Hufgedröhn wurde zum Donnern einer Lawine, als die beiden Metallreihen sich einander näherten. Und als sie sich fast erreicht hatten, zog die Nordreihe sich zusammen, bis die Ritter Schulter an Schulter in der Mitte ritten.

Jubelrufe erschallten aus den Rebellenreihen, als sie den leichten Sieg vorhersahen, denn es war ein Kinderspiel für die Flanken der Rebellen, um die Nordlinie zu fegen und so die Streitkräfte der Königin in die Zange zu nehmen.

Die Ritter der Königin stießen mit einem metallischen Krachen auf das Zentrum der Rebellenlinien. Reiter stürzten von den Pferden, Blut spritzte, aber die Mitte der Linie hielt.

Mit siegessicherem Gebrüll schwangen die Rebellen nach beiden Seiten, um die Nordtruppen in die Zange zu nehmen…

Aber ihr Siegesgebrüll wurde zu wilden Schreckens schreien, als der Boden unter den Hufen ihrer Pferde nachgab und sie mitsamt Reiter in einem zwei Meter tiefen Graben landeten.

Die Elfen hatten gute Nachtarbeit geleistet.

Die Fußsoldaten kamen zur Rettung ihrer Lords herbeigerannt, doch nun brachen die Bettler mit einem Kriegsgeheul zwischen den Bäumen an den Seiten des Feindes herbei. Sie schwangen Dolche, Schwerter und Keulen und fielen voll Begeisterung über die Soldaten her.

Doch immer noch war der Feind zahlenmäßig stärker.

Nur traten jetzt die Luftstreitkräfte in Aktion. Gruppen von jeweils vier levitierenden Hexern, denen gerade der erste Bart sproß, trugen einen Korb, in dem eine telekinetische Hexe saß.

Die jugendlichen Hexer schössen aufs Geratewohl Pfeile in die feindlichen Linien. Sie hatten ihre Hände dazu frei, denn der Korb wurde von Ledergurten um ihre Mitte gehalten. Steine flogen aus den Körben, von den Hexern so gelenkt, daß sie mit mehr als betäubender Wirkung ihr Ziel trafen. Aus den Reihen der Südtruppen schwirrten Pfeile zu ihnen hoch, aber die Hexen lenkten sie ab und manchmal gelang es ihnen auch, sie zu ihren Absendern zurückzuschicken.

Die geordnete Schlacht wurde zum chaotischen Handgemenge.

Aber die Südritter hatten immer noch mehr als alle Hände voll zu tun. Der Ehrenkodex verlangte, daß nur ein Ritter gegen einen Ritter kämpfte. Ein Fußsoldat konnte, nur weil er es versuchte, zum Tod verurteilt werden, und der Himmel mochte ihm gnädig sein, wenn er es nicht nur versuchte, sondern einen Ritter garbesiegte!

Catherines Ritter kämpften sich ihren Weg vom Zentrum der Rebellenlinien nach außen. Viele verloren ihr Leben dabei, aber der Prozentsatz der Verluste in den Rebellenreihen war höher, denn Catherine, genau wie ihr Vater vor ihr, hatte es für richtig gehalten, es ihren Rittern bei der Ausbildung an nichts fehlen zu lassen.

Toby, der junge Hexer, tauchte plötzlich in der Luft über Rod auf. „Master Gallowglass! Herzog Loguire ist in arger Bedrängnis! Ihr müßt ihm zu Hilfe kommen!“ Er war so schnell verschwunden, wie er erschienen war. Das war vielleicht nicht die beste Art der Nachrichtenübermittlung, aber jedenfalls besser als die der Rebellen.

Rod erledigte seinen augenblicklichen Gegner mit der linken Hand und lenkte Gekab aus dem Handgemenge. Er ritt zum anderen Ende der Linie, wo eine dürre Gestalt in Panzerrüstung sich mit einem glühenden Schwert einen Weg durch die Truppen zu Lord Loguire gebahnt hatte. Einer der Ratgeber versuchte also, den Sieg herbeizuführen, indem er die Führerschaft eliminierte. Ein merkwürdiges Strahlen ging von dem Schwert aus. Rod wußte nicht, was es war, aber es war zweifellos etwas ungemein Wirkungsvolles, das hier als Schwert getarnt war.

Mitten durch das blutige Gemetzel zwischen Bettlern und Soldaten kämpfte er sich hindurch. Loguire konnte gerade noch den Schild hochstoßen, um das Strahlenschwert abzuwehren.

Der Hieb durchtrennte lautlos den Schild, verfehlte jedoch glücklicherweise das Herz. Der alte Lord schrie schmerzerfüllt auf, als die Hitze durch Schild und Panzerrüstung drang und seine Haut ansengte.

Diesen Augenblick nutzte der Ratgeber. Er schwang sein Schwert zum tödlichen Hieb.

Gekab rannte mit voller Kraft gegen das Tier des Ratgebers.

Das Roß ging zu Boden, der ausgemergelte Kleine flog erschrocken aufbrüllend durch die Luft, und das Schwert entglitt seinen Fingern.

Die Soldaten sprangen der glühenden Waffe furcht erfüllt aus dem Weg, während Rod herumwirbelte und den Ratgeber von Gekabs Hufen töten ließ. Der Bursche stieß einen schnell ersterbenden Schrei aus, der in Rods Schädel nachhallte. Nun meldete sein Gewissen sich doch, aber er beschloß, zumindest bis zum Ende der Schlacht nicht darauf zu achten. Als er die Soldaten ängstlich „Hexerei!“ rufen hörte, drehte er sich zu ihnen um. „Nein, nur Magie!“ beruhigte er sie, schwang sich aus dem Sattel, griff nach dem glühenden Schwert, und saß eilig wieder auf. Er warf die Klinge mit dem Griff voraus Loguire zu, der sie mit einer Dankesbezeigung auffing. Rod kehrte zu seiner Linie zurück, während ringsum die Schlacht heftig tobte und die Esper/Hexen sich in der Luft zurückzogen, denn es war nun so gut wie unmöglich, den Feind zu treffen, ohne den Freund in Mitleidenschaft zu bringen. Die Bettler waren mit ihrer Kampfweise und Skrupellosigkeit den Soldaten weit überlegen. Gewiß, auch von ihnen fanden viele den Tod, doch nicht ohne zumindest fünf oder sechs der Feinde ins Jenseits befördert zu haben.

Rod wollte sich gerade nach Tom umsehen, als er ihn hinter den Rebellenlinien brüllen hörte: „Zu mir! Zu mir!“ Zumindest tausend der Bettler hörten seinen Ruf und hieben sich einen Weg durch die Reihen der Südtruppen, und unterwegs schlössen sich ihnen immer mehr ihresgleichen an. Tom hatte ein ganz bestimmtes Ziel. Mitten im Zentrum der Schlacht arbeiteten zwanzig Vogelscheuchen von Männchen verzweifelt daran, eine Maschine aufzubauen. Rod klopfte mit den Fersen gegen Gekabs Seiten, und der Roboter sprang, aber er reagierte ein wenig langsamer als üblich. Der Streß der Schlacht machte sich offenbar bei ihm bereits bemerkbar. Das eiserne Pferd sprang über die Kämpfenden hinweg zu der Ratgebergruppe um die Maschine, als auch Tom bereits, allerdings nur noch mit einem Bruchteil seiner ursprünglichen Streitkräfte, dort ankam. Die Ratgeber heulten auf und zogen einen dichten Ring um die

Maschine. Die Wut der Verzweiflung leuchtete aus ihren Augen. Toms Trupp umzingelte sie und warf sich auf sie.

Die glühenden Schwerter der Vogelscheuchenmännchen waren tödlich, aber sie mußten ihr Ziel genau treffen, um etwas auszurichten. Die Bettler waren gut darin, schnell zuzuschlagen und zurückzuspringen. Außerdem waren sie in vierfacher Überzahl.

In der Mitte des Kreises sah Rod eine einsame Gestalt, die immer noch an der Maschine arbeitete — Durer! Als nur noch fünf seiner Genossen übrig waren, zog er mit einem Verzweiflungsschrei etwas aus seinem Gürtelbeutel. Eine Laserpistole!

Rod sprang aus dem Sattel, mit dem Eisenpferd als Deckung zwischen sich und den restlichen Ratgebern, und öffnete hastig ein verborgenes Fach in der Seite des Metallrappen, wo seine Waffe für alle Eventualitäten aufbewahrt war: die neueste Laserpistole des DDT. Um Gekabs Hals herum schoß er damit auf den Oberratgeber, streifte ihn jedoch nur am Bein. Durer umklammerte sein Knie und stürzte heulend zu Boden.

Tom brüllte, und nun schlugen seine Bettler die letzten der Vogelscheuchen mit ihren Eichenknüppeln nieder. Mit einem Triumphschrei hob Tom das glühende Schwert eines der Gefallenen auf.

Durer rollte sich auf das gute Knie und schoß. Der bleistiftdünne Strahl traf Tom in die Schulter. Der Riese drehte sich und fiel. Halb kriechend, halb springend näherte Durer sich ihm, um in bessere Schußposition zu kommen.

Rod zielte mit seiner Laserpistole auf den Ratgeber, verfehlte ihn jedoch knapp. Aufheulend suchte Durer hinter einem Gefallenen Deckung.

„Schnell!“ befahl Rod Gekab. „Ehe er noch einmal anlegen kann.“

Das Pferd sprang. Der Laserstrahl traf es in den Bauch — in den leeren Stahlbauch, wo es keinen Schaden anrichten konnte.

Aber der Roboter erstarrte mitten in der Luft und ließ den Kopf zwischen die Beine hängen. Hastig sprang Rod aus dem Sattel und schlug gleichzeitig mit Gekab auf dem Boden auf.

Rod rollte sich herum und sah Durer die Pistole auf ihn anlegen. Da warf Tom sich auf den Ratgeber. Beide stürzten zu Boden. Durers Pistole flog weit durch die Luft, aber auch Rod hatte seine beim Absprung verloren. Verzweifelt sah er sich nach ihr um.

Durer rollte sich zur Seite. Tom kam taumelnd auf die Beine.

Er torkelte Durer nach und griff nach dem Schwert eines der gefallenen Ratgeber — dabei stolperte er über eine Leiche.

Flink wie eine Katze war Durer hoch, packte das Schwert und hieb es herab…

Rod sprang. Seine Schulter traf Durer in den Bauch und warf ihn herum. Das Schwert landete, ohne Scha den anzurichten, im Gras. Durer stützte sich darauf und blieb dadurch auf den Füßen. Und schnell schwang er es wieder.

Rod rollte auf die Knie. Er sah das Schwert auf sich herabsausen.

Tom brüllte und stieß Rod zur Seite. Die glühende Klinge traf den Riesen. Sie trennte seine Schulter und ein Drittel seines Brustkorbs ab.

Rod heulte vor Wut auf. Sein Arm schwang um Durers Hals und gleichzeitig drückte er ein Knie in seinen Nacken. Etwas knackte.

Durer schrillte. Das Schwert entglitt seinen Fingern. Rod drückte ihn zu Boden. Immer noch schreiend tastete der Ratgeber nach dem Schwert.

Rod ließ sich auf ein Knie fallen und holte zu einem Handkantenschlag aus. Mit zerbrochenem Genick blieb Durer reglos liegen.

Heftig keuchend drehte Rod sich um. Er sah Toms schmerzverzerrtes Gesicht und das heraussprudelnde Blut. Rod biß die Zähne zusammen und tastete verzweifelt zwischen den Leichen herum. Als er seine Laserpistole gefunden hatte, drückte er ab und trennte noch etwa einen Zentimeter entlang Toms Wunde ab. Der Riese brüllte.

Die Bettler wollten sich mit Keulen und Schwertern auf Rod stürzen, aber ein krächzendes „Zurück!“ Toms verbot es ihnen. „Ihr Narren!“ ächzte er. „Sehr ihr denn nicht? Er hat das Blut gestoppt!“

Trotzdem hatte Rod schon einiges abbekommen und seine kaum verheilte Schulterwunde war neu aufgebrochen. Stöhnend ließ er sich auf ein Knie neben dem schwerverletzten Riesen nieder. Der Gestank nach versengtem Fleisch drehte ihm fast den Magen um.

Tom versuchte zu grinsen. „War — gut — gemeint, Herr. Zwei — Minuten — früher — und — es hätte — mich — gerettet.“ Rod riß sich den Umhang vom Rücken, knüllte ihn zusammen und schob ihn unter Toms Kopf. „Ruh dich aus!“ würgte er. „Du bist ein gesunder, kräftiger Bursche, du wirst schon wieder werden. So viel Blut hast du nicht verloren.“ „Zu viel — und — die Wunde — zu groß…“ Die schier unerträglichen Schmerzen ließen den Riesen verstummen. Rod schleppte sich zu Gekab, schlug auf den Sicherungsschalter und fummelte in einem der verborgenen Fächer nach einer Ampulle. Dann humpelte er zu Tom zurück und stieß sie ihm in das verbrannte Fleisch.

Tom entspannte sich mit einem gewaltigen Seufzer, als das Anästhetikum zu wirken begann. „Meinen Dank, Meister“, murmelte er schwach. „Ihr habt mir zumindest einen schmerzlosen Tod geschenkt.“

„So darfst du nicht reden!“ tadelte Rod ihn mit erstarrter Miene. „Du wirst dich noch viele Male mit einer schönen Dirn im Heu wälzen.“

„Nein, Herr.“ Tom schüttelte den Kopf und schloß die Lider. „Meine Zeit ist abgelaufen.“ „Du wirst jetzt nicht sterben. Tätest du es, bliebe ich in deiner Schuld, und das widerstrebt mir.“

„Den Teufel, ob es Euch widerstrebt oder nicht!“ schnaubte Tom fast wieder der Alte. „Ich bin jetzt in den Händen eines Mächtigeren als Ihr, der eines Tages auch Euch rufen wird.“

Sein Kopf sank auf Rods zusammengerollten Umhang herab, und er keuchte heftig.

Rod kniete sich stumm neben ihn. Toms ihm verbliebene Hand tastete sich über seinen Bauch zu Rods Arm. „Ja, jetzt steht Ihr in meiner Schuld, obgleich das nicht in meinem Sinn war.“

„Nicht in deinem Sinn? Was sprichst du da? Du hast mir das Leben gerettet!“

„Ja, und dadurch mein eigenes verloren. Aber mit klarem Kopf hätte ich nie so gehandelt.“

„Klarem Kopf?“

„Ja. In der Schlacht sieht und tut man, was einem zuerst bewußt wird. Es wart entweder Ihr oder der Rest meines Lebens im Dienst des Hauses Clovis, und in der Hitze des Gefechts zog ich in meiner Dummheit Euch vor!“ Schwer atmend schwieg er eine Weile, dann verkrampfte sich seine Hand um Rods Arm. „Doch da ich sterbe, steht Ihr in meiner Schuld! Und was Ihr mir nicht mehr bezahlen könnt, müßt Ihr an meinem Volk gutmachen.“

Rod versuchte seinen Arm zurückzuziehen. „Nein!“

„Doch!“ Toms Augen funkelten wild. „Nur so könnt Ihr Eure Schuld begleichen. Euer Leben für meines! Ihr müßt Euer Leben hier auf Gramayre verbringen, um Gutes für mein Volk zu tun!“

„Ich bin nicht mein eigener Herr!“

„Ihr seid es sehr wohl. Und wenn Ihr es nicht wißt, seid Ihr wahrlich ein Narr!“

„Der Preis ist zu hoch, Tom. In der Schlacht zu sterben, dagegen habe ich nichts, aber den Rest meines Lebens hierzubleiben, das kann ich nicht. Auch ich diene, um einen Traum zu verwirklichen…“

„Ich hatte ebenfalls die Wahl zwischen dem Traum oder dem Menschen. Gut, dann wählt, was Ihr für richtig haltet.“

„Ich habe eine Verpflichtung…“

„Genau wie ich, und so wird meine auf Euch übergehen und Euch von der anderen befreien. Ihr müßt jetzt mir und den Meinen dienen…“ Der Blick des Sterbenden verschleierte sich.

„Ich hatte geglaubt, ich wüßte, was das Beste für sie sei — doch jetzt wird alles dunkel um mich…“

Er ruckte plötzlich hoch. Husten schüttelte ihn und er spuckte Blut. Rod stützte ihn. Als der Anfall vorüber war, würgte der Riese. „Euer Geist — ist klarer — Ihr müßt — entscheiden…“

„Sei still.“ Rod versuchte ihn wieder auf den Umhang zu legen.

„Verschwende nicht das bißchen Leben, das noch in dir ist…“

„Nein!“ Tom umklammerte erneut Rods Arm. „Laßt mich sprechen. Espers — Tribunal — sie werden es schaffen. Wir -

kämpfen — hier — gegen sie…“

„Spar deine Kraft. Ich weiß, was du sagen willst.“

„Ihr wißt…“

„Ja. Du hast mir das letzte bißchen, was mir fehlte, gerade gesagt. Bleib jetzt ruhig liegen.“

Tom keuchte schwer. „Sagt es mir — ich — muß sicher — sein, daß — Ihr es — wirklich — wißt…“

„Ja, ich weiß es“, murmelte Rod. „Das DDT wird siegen. Ihr könnt es nur hier bekämpfen. Und ihr bekämpft euch untereinander.“

„Ja.“ Tom nickte kaum merklich. „Ihr — müßt jetzt — entscheiden — und — Herr…“ Der Rest war zu leise, als daß Rod ihn hätte verstehen können. Als Tom es bemerkte, kämpfte er um einen weiteren Atemzug, während er Rod besorgt ansah.

Rod beugte sich über ihn und legte sein Ohr dicht an Toms Lippen.

„Sterbt — nicht — für — einen — Traum…“

Rod runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht, was du meinst, Tom!“

Aber er bekam keine Antwort mehr.

Nach einer langen Weile drückte er dem Mann, der ihm zum Freund geworden war, die Augen zu.

„Mei-meister Gallowglass?“ Toby stand neben ihm und starrte verwirrt auf die Bettler, die sich jetzt um Toms Leiche knieten.

„Ja, Toby?“ Rod faßte den Jungen an der Hand und schritt mit ihm durch die Reihen der Bettler.

„Mylord, sie bitten um Pardon. Sollen wir ihn ihnen gewähren?“

„Pardon? O ja. Sie wollen sich ergeben.“ Er drehte sich um und schaute auf die Gruppe um Tom. „Ich weiß nicht. Was meint Brom?“

„Lord O'Berin sagt ja, aber die Königin sagt nein. Die Lords Loguire sind einer Meinung mit Brom.“

„Und trotzdem will die Königin nicht.“ Rod nickte bitter. „Und nun soll meine Stimme den Ausschlag geben?“ Er warf noch einen letzten Blick auf Toms wächsernes Gesicht. „Zum Teufel! Sie sollen ihr Pardon haben!“

Die Sonne war hinter den Bergen versunken. Die zwölf Hohen Lords standen in Ketten vor Catherine, neben der Loguire, Tuan, Brom und Sir Maris saßen. Rod stand in einiger Entfernung von ihnen an Gekab gelehnt. Er hatte den Kopf gesenkt.

Auch der alte Herzog Loguire hatte das Kinn fast auf die Brust gedrückt. Tiefer Gram sprach aus seinen Augen, denn sein Sohn Anselm stand einen Schritt vor den restlichen Lords, unmittelbar vor der Königin.

Catherine trug ihren Kopf hoch. Ihre Augen leuchteten voll Triumph und Macht, und ihre Wangen waren vor Stolz gerötet.

Rod betrachtete sie, und Abscheu stieg in ihm auf. Mit ihrem Sieg war ihre alte Arroganz wiedergekehrt.

Auf ein Zeichen von Brom O'Berin schmetterten zwei Fanfaren, und ein Herold trat vor und verlas eine Verkündigung der Königin.

„Hiermit sei allen kund und zu wissen getan, daß am heutigen Tag der schurkische Vasall, Anselm, Sohn des Herzogs Loguire, sich in blutiger Rebellion gegen Catherine, Königin von Gramayre, erhob, und deshalb wegen Hochverrats vor dem Gericht der Krone steht.“

Der Herold rollte das Pergament wieder zusammen.

„Wer spricht zur Verteidigung des Rebellenführers Anselm?“

Der alte Loguire erhob sich. Er verbeugte sich ernst vor Catherine. Sie dankte ihm mit einem erstaunten, wütenden Blick.

„Nichts kann zur Verteidigung eines Rebellen gesagt werden“, rief Loguire. „Doch wenn ein Mann sich heißen Blutes erhebt, um sich für das zu rächen, was er für ehrenrührige Beleidigung an seinem Vater und seinem Haus erachtet, kann viel gesagt werden, denn selbst wenn sein Vorgehen unüberlegt, ja sogar von Hochverrat gezeichnet gewesen sein mochte, war es doch von gekränkter Ehre und Liebe zum Vater geleitet. Da er nun das Ergebnis vorschnellen Handelns kennt, und ihn sein Herzog und Vater belehren wird, dürfte es durchaus nicht unwahrscheinlich sein, daß er sich seiner Treue und seiner Pflichten gegenüber seiner Herrscherin wieder voll bewußt wird.“

Catherine lächelte süßlich. „Ihr wollt also, Mylord, daß ich diesen Mann begnadige, der den Tod vieler Tausender auf sich geladen hat, und daß ich ihn zur Belehrung und Protektion in Eure Hände gebe, obgleich Ihr Euch diese Aufgabe — wie der heutige Tag nur zu gut beweist — schon einmal nicht gewachsen gezeigt habt!“

Lord Loguire zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen.

„Nein, Mylord!“ rief sie heftig. „Ihr habt bereits Rebellen gegen mich großgezogen und wollt es nun wieder tun!“

Loguires Gesicht verhärtete sich, während Tuan mit vor Grimm gerötetem Gesicht aufsprang.

Von oben herab wandte sie sich an ihn. „Hat der Lord der Bettler auch etwas zu sagen?“

Tuan kämpfte mit knirschenden Zähnen um seine Fassung.

Dann verbeugte er sich. „Meine Königin, Vater und Sohn haben heute tapfer für Euch gekämpft. Habt die Gnade, uns schon deshalb das Leben unseres Sohnes und Bruders zu schenken.“

Catherines Gesicht wurde noch blasser, und ihre Augen verengten sich.

„Ich danke meinem Vater und Bruder“, sagte Anselm mit klarer, ruhiger Stimme.

„Still!“ schrie Catherine schrill. „Verräterrischer, schurkischer, dreimal verhaßter Hund!“

Die Augen der Loguires funkelten, doch sie hielten die Lippen zusammengepreßt.

Keuchend umklammerte Catherine die Armlehnen ihres Thrones. „Ihr werdet erst reden, wenn ich es Euch befehle. Bis dahin habt Ihr Euren Mund zu halten!“

„Das werde ich nicht! Ihr könnt mir gar nicht noch mehr anhaben, denn Ihr, niederträchtige Königin, habt beschlossen, daß ich sterben muß, und nichts wird Euren einmal gefaßten Entschluß ändern. So tötet mich doch und bringt es hinter Euch!“

„Das Urteil kommt aus seinem eigenen Mund“, sagte Catherine spöttisch. „Es ist das Gesetz des Landes, daß ein des Hochverrats Schuldiger sterben muß.“

„Das Gesetz des Landes bestimmt die Königin“, brummte Brom. „Wenn sie einem Rebellen das Leben schenkt, ist es ihr Recht!“

Sie drehte sich zu ihm um. „Was, auch Ihr verratet mich? Steht kein einziger meiner Generale an meiner Seite?“

„Genug!“ donnerte Rod, der plötzlich neben ihr stand und auf sie hinabschaute. „Kein einziger Eurer Generale wird Euch jetzt unterstützen. Sollte Euch das nicht vielleicht auf den

Gedanken bringen, daß Ihr im Unrecht seid? Aber nein, nein, doch nicht die Königin! Weshalb haltet Ihr überhaupt noch Gericht? Ihr habt doch bereits beschlossen, daß er sterben muß!“ Er spuckte vor ihr aus.

„Auch Ihr?“ stöhnte sie. „Auch Ihr wollt einen Verräter verteidigen, der den Tod von dreitausend Männern verursacht hat!“

„Ihr tragt die Schuld am Tod der dreitausend!“ brüllte Rod.

„Ein edler Mann niedriger Geburt liegt tot auf dem Feld, seine rechte Seite ist weggerissen, und die Mäuse nagen an ihm. Und warum? Um ein eigensinniges Balg zu verteidigen, das auf dem Thron sitzt und nicht das Leben eines Bettlers wert ist. Ein Balg, das eine so schlechte Königin ist, daß es eine Rebellion heraufbeschwor!“

Catherine duckte sich auf ihrem Thron und drückte sich gegen die Rückenlehne. Zitternd rief sie: „Seid still! War vielleicht ich es, die rebellierte?“

„Wer gab denn den Edlen mit zu hastigen Reformen und zu hochnäsigen Manieren Grund, sich aufzulehnen? Die Ursache ist es, Catherine. Ohne sie gibt es keine Rebellion! Und wer anders als die Königin hat diese Ursache gegeben?“

„Seid still! Still!“ Sie drückte die Hand auf den Mund, als wollte sie verhindern, laut hinauszuschreien. „So dürft Ihr mit einer Königin nicht reden!“

Rod schaute voll Verachtung auf die sich immer noch vor ihm duckende Königin. Er wendete sich zu Gekab um. „Mir dreht sich der Magen um! Gewährt ihnen Pardon. Viel zu viele mußten heute sterben. Laßt sie leben. Sie werden der Krone treu sein, ohne ihre Ratgeber, die sie aufhetzten. Laßt sie alle leben! Sie haben ihre Lektion gelernt, auch wenn man das von Euch nicht behaupten kann!“

„Ihr geht zu weit!“ keuchte Catherine.

„Ja, das tut Ihr!“ Tuan sprang auf und legte die Hand um den Schwertgriff. „Die Königin gab den Anlaß, das stimmt, aber sie

hat die Gefallenen nicht getötet!“

Catherine blickte ihn dankbar an.

„Solange Ihr die Wahrheit sprecht“, fuhr Tuan fort, „dürft Ihr sie tadeln. Doch wenn Ihr sie beschuldigt, etwas getan zu haben, was nicht so ist, dann darf ich Euch nicht sprechen lassen!“

Rod hatte gute Lust, ihm ins Gesicht zu spucken. Doch statt dessen wandte er sich erneut Catherine zu, die nun wieder hocherhobenen Hauptes auf dem Thron saß und ihre arroganteste Miene aufsetzte.

„Vergeßt nicht“, knurrte er, „daß eine Königin, die ihre Launen nicht unter Kontrolle hat, eine schwache Regentin ist.“

Wieder erblaßte sie.

„Hütet Eure Zunge!“ grollte Tuan.

Die Wut in Rod wurde so mächtig, daß er einen Augenblick erstarrte, bis sie alle Bande in ihm brach und davonflutend eine eisige Ruhe in ihm zurückließ und ihm klar zeigte, was er tun mußte und weshalb — und was die Folgen für ihn sein würden…

Catherine lächelte nun wieder selbstzufrieden und überheblich, als sie sah, daß Rod bei Tuans Drohung zögerte. „Habt Ihr noch etwas zu sagen, Herr?“ fragte sie spöttisch von oben herab.

„Ja! Was ist das für eine Königin, die ihr eigenes Volk verrät?“

Er holte aus und schlug ihr die Hand ins Gesicht.

Sie heulte und schlug gegen die Rückenlehne des Thrones.

Schon war Tuan heran und stieß die Faust vor.

Rod duckte sich unter dem Hieb, packte Tuan und brüllte: „Gekab!“

Tuans Fäuste hämmerten auf ihn ein, aber Rod ließ ihn nicht los. Er sah, daß die anderen Generale herbeistürmten. Doch Gekab war schneller. Rod versuchte zu vergessen, was für ein netter Junge Tuan im Grund genommen war, und hieb ihm das Knie zwischen die Beine. Jetzt gab er ihn frei und sprang in den Sattel, als Tuan fiel und sich vor Schmerzen wand.

Gekab wirbelte herum und sprang über die Köpfe der herbeieilenden Gardesoldaten. Als er davongaloppierte, hörte Rod, wie Catherine Tuans Namen schrie. Grinsend ließ er sich von Gekab weitertragen, doch plötzlich wurde das Grinsen zu einem stummen Schrei, als seine verwundete Schulter zu explodieren schien. Er drehte den Kopf. Der Schaft eines Armbrustge schosses ragte am Rücken heraus. Nachdem sie einen weiten Kreis durch Wald und Feld gezogen hatten und Kilometer weit durch einen Bach gewatet waren, um ihre Spuren zu verwischen, kehrten Rod und Gekab in der Abenddämmerung zu einem Hügel über dem Schlachtfeld zurück.

Am Rand eines Wäldchens ließ Rod sich aus dem Sattel fallen und lehnte sich gegen einen Baum. Er schaute hinunter auf die Lagerfeuer und lauschte dem fröhlichen Lärm der Siegesfeier. Er seufzte und wandte sich dem dringlichsten Problem, nämlich seiner Schulter zu. Trotz des schmerzstillenden Mittels, das er genommen hatte, machte sie ihm zu schaffen. Der Widerhaken des Geschosses schien vor dem Schlüsselbein neben dem Schultergelenk zu stecken. Wie durch ein Wunder hatte es sowohl den Knochen als auch die Schlagader verfehlt. Ein leiser Knall wie von einer Miniaturschockwelle war zu hören. Er schaute hoch und sah Gwendylon sich mit Tränen in den Augen zu ihm herabbeugen. „Mein Lord! Mein Lord! Seid Ihr schwer verletzt?“

Rod lächelte und zog ihren Kopf zu seinem herab. Er antwortete mit einem ausgiebigen Kuß. Errötend befreite sie sich. „Ihr seid wohl doch nicht so schlimm verwundet, wie ich befürchtete.“

„O Mädchen!“ Rod zog sie in seine Arme. „Ich war einsam auf dem langen Ritt!“

„Ich wäre eher gekommen, aber ich mußte warten, bis Ihr endlich anhieltet“, sagte sie entschuldigend. „Doch nun zu Eurer Schulter. Es wird weh tun, mein Lord.“

Rod biß die Zähne zusammen, als sie das festklebende Wams löste. „Verband ist in der Satteltasche“.

Sie kniete sich neben ihn und verhielt sich völlig still. Rod runzelte die Stirn und fragte sich, was sie machte. Plötzlich durchzuckte ihn glühender Schmerz. Er spürte, wie die Geschoßspitze sich behutsam und, wie es schien, ganz von allein genau in der Bahn, die sie verursacht hatte, zurückzog.

Durch schmerzverschleierte Benommenheit dachte er, daß diese Hexen die Erfüllung des Traumes für Chirurgen wären.

Das Geschoß glitt vorsichtig aus seiner Haut, dann plötzlich wirbelte es heftig durch die Luft und zerschmetterte auf einem Stein. „Das werde ich mit allen machen, die Euch Schmerzen zufügen wollen, Mylord!“ fauchte Gwendylon.

Rod schauderte, als ihm das Ausmaß ihrer Kräfte bewußt wurde.

Das Mädchen griff nach dem Verband. „Nein, erst der Puder aus dem Silberbeutel“, hielt Rod sie zurück. „Er stoppt das Bluten.“

„Ich würde lieber Kräuterumschläge verwenden“, sagte sie zweifelnd, „aber wie Ihr wollt.“

„Es sieht so aus, als müßtest du ständig diese Schulter verbinden“, murmelte er.

„Ja, mein Lord. Ich wollte, Ihr würdet besser darauf aufpassen.“

Jemand räusperte sich ganz in der Nähe. Rod blickte auf und sah eine gedrungene Silhouette in den Baumschatten.

„Kommt ruhig herbei, Freund Brom“, rief Rod. „Aber im Gegensatz zu jenem im Tal ist uns nicht nach Feiern zumute.

Für uns sind die Früchte des Sieges heute sauer.“

Brom setzte sich mit gesenktem Kopf, die Hände auf dem Rücken verschränkt, auf eine Wurzel.

Rod runzelte die Stirn. Der Zwerg benahm sich komisch, ungewöhnlich. „Welche Laus ist dir übers Leberlein gelaufen?“ knurrte er.

Brom seufzte und stützte die Ellbogen auf die Knie. „Du hast mir heute viel Herzeleid bereitet, Rod Gallowglass.“

„So wie du es sagst, klingt es eher wie Magenschmerzen. Ich nehme an, du warst nicht sehr erfreut über die Art und Weise, wie die Dinge verliefen?“

„Im Gegenteil, ich war höchst erfreut. Und doch…“ Brom vergrub das Gesicht in den aufgestützten Händen. „Ich muß gestehen, daß ich anfangs erzürnt über dich war.“

„Was du nicht sagst!“

„Ja. Doch das war, ehe ich deinen Plan durchschaute.“

„Ah, und dann kamst du dahinter, was ich beabsichtigte?“

„Nein. Ich werde alt, Rod Gallowglass…“

Rod schnaubte.

„Danke.“ Brom schaute ihn an, dann neigte er den Kopf. „Aber es ist wahr, ich werde alt, und man muß mich erst mit der Nase daraufstoßen…“

„Worauf?“

„Nun, es war eine rührende Szene!“ Brom lächelte ein wenig sarkastisch. „Zuerst brachte Catherine nichts anderes heraus als:,Oh, mein Liebster! Du bist verletzt! Und dann rief sie nach Ärzten und Krautern, bis Tuan endlich auf die Beine kam und versicherte, daß seine Verwundung nicht schwer sei. Und da fiel sie ihm weinend um den Hals und nannte ihn schluchzend ihren Beschützer und den Retter ihrer Ehre. Und sie beruhigte sich nicht, bis er schwor, daß er sie heiraten würde!“ Broms Lächeln wurde weicher. „Ja, es war schön, das zu hören und zu sehen.“

Rod nickte müde und schloß die Lider. „Wann ist die Hochzeit?“

„Sobald sie dreimal in einer Kirche gerufen werden. Catherine wollte sie sofort, aber Tuan weigerte sich. Er sagte, sie sei die Königin und die Rose aller Frauen, und es müßte eine Hochzeit geben, die ihres Standes würdig sei.“

„Ein vielversprechender Anfang.“

„Oh, es kam noch besser! Denn Tuan drehte sich zu den zwölf Hohen Lords um und sagte:,Und was machen wir mit ihnen? Da rief Catherine:,Wie du es für richtig hältst, mein Liebster!

Aber tu es schnell, damit wir aufbrechen können!“

„Ein gutes Zeichen“, pflichtete Rod Brom bei. „Und was tat er mit ihnen?“

„Er löste ihre Ketten und schickte sie zurück in ihre Domänen, aber er verlangte von jedem eine Geisel, von zwölf Jahren oder jünger, ihres eigenen Blutes, ob nun Sohn, Tochter, Enkel oder Enkelin, die in der Burg der Königin aufwachsen soll.“

Rod nickte. „Müßte klappen. So hat er die Chance, eine neue Generation zu erziehen, die der Krone treu ergeben ist.“ Er lehnte sich gegen die rauhe Baumrinde und fühlte sich völlig ausgelaugt. „Ich bin froh, daß es funktioniert hat.“

„Ja.“ Broms Augen glänzten. „Dieses Land wird immer in deiner Schuld stehen, Rod Gallowglass. Du hast uns unsere Krone gerettet und das Gespenst eines langen, blutigen Bürgerkriegs verbannt, und mehr noch, du hast uns einen König gegeben.“

„Und einen Staatsfeind Numero Eins“, murmelte Rod bitter.

Ein Schatten fiel über Broms Gesicht.

Rod hob den Blick. „Du mußt doch zugeben, daß ich jetzt eine Persona ingrata bin.“

„Ja“, knurrte Brom. „Doch du wirst immer eine Zuflucht im Reich der Elfen finden.“

Rod lächelte schwach. „Danke, Brom.“

„Doch verrate mir jetzt“, Brom lehnte sich vor und schaute Rod stirnrunzelnd an, „wie es dazu kam, daß du dich unser annahmst. Als alles düster in unserem Reich aussah und selbst die Hoffnung aus unseren Herzen verbannt war, erschienst du, wie die Erfüllung eines Gebets, vom Himmel. Du, der du keine eigenen Interessen, keine Besitztümer hier hattest, den unsere Sorgen eigentlich unberührt hätten lassen sollten, setztest du dich voll und ganz für unser Wohlergehen ein.“

Er schob seinen Kopf vor, seine Augen brannten. „Weshalb hast du uns gerettet?“

Rod lächelte säuerlich. „Für den Traum.“

Brom runzelte die Stirn. „Traum?“

Rod blickte zu den Sternen hoch. Er zögerte einen Augenblick, dann sagte er: „Gekab, nimm das auf!“ Er wandte sich an Brom und Gwendylon und hob seinen guten Arm zum Himmel.

„Seht hoch. Seht ihr diese Sterne? Jeder hat eigene Welten, die um ihn kreisen, Welten wie diese hier, wo Liebespaare glücklich sind, Rivalen kämpfen, und Könige gestürzt werden.

Doch die meisten davon stehen unter einer Herrschaft, einer Regierung — dem Dezentralisierten Demokratischen Tribunal.

Und die Stimme, die zu befehlen hat, ist die des Volkes selbst.“

„Nein!“ polterte Brom. „Wie könnte das sein?“

„Da die Stimme eines jeden Menschen gehört werden kann, verleihen seine Ansichten denen seiner Mitmenschen Gewicht.

Das ist der Schlüssel — die Kommunikation. Ihr könnt diese Art von Regierung hier nicht haben, weil die Nachrichtenübermittlung mehr als zu wünschen übrig läßt, was im Grund genommen paradox ist, denn ihr habt hier alle Möglichkeiten für das beste System überhaupt, wenn ihr es nur zu nutzen wüßtet!“

Er verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. „Aber sie haben ziemliche Schwierigkeiten dort oben. Sie wachsen, wißt ihr? Jeden Tag schließt sich zumindest eine neue Welt dem Tribunal an. Dadurch haben sie die oberste Grenze ihrer Kommunikationsmöglichkeiten erreicht. Danach kann es nur noch abwärts gehen — zur Diktatur!“

„Aber was hast du damit zu tun?“ knurrte Brom.

„Ich arbeite für sie. Ich bin ihr Hausierer. Ich bin der kleine Mann, der den Außendienst macht, der neue Planeten auf eine Mitgliedschaft vorbereitet — wenn sie sie wollen, und sie wollen sie immer, wenn sie erst dazu bereit sind!“

„Und was ist diese Bereitschaft?“ Brom bemühte sich um

Toleranz und lächelte.

„Kommunikation, wie ich schon sagte, aber noch mehr, lernen, Bildung. Die Bildung und Ausbildung haben wir geschafft.

Dauerte eine ziemliche Zeit, aber wir schafften es. Doch mit der Kommunikation ist es eine andere Sache.“ Er seufzte.

„Weil die Freiheit auch noch eine andere Seite hat. Die Wildnis jenseits der Grenze. Sie verhindert eine stratifizierte Gesellschaft — zerbrich dir nicht den Kopf darüber, was das ist, mein Lord O'Berin, König der Elfen — und eine stratifizierte Gesellschaft ist ein anderer Weg zum Totalitarismus.

Also muß das Tribunal immer weiter wachsen. Doch wenn es noch viel mehr wächst, werden die zu langsamen Kommunikationsverbindungen sein Ende. Und ich, ganz persönlich, möchte das nicht. Denn der Traum hat einen Namen, wißt ihr? Er heißt — Freiheit! Das ist mein Traum. Und deshalb bedeutet Gramayre mir so viel.“

Brom zog die Brauen zusammen. „Ich verstehe nicht.“

Rod lächelte ihn an. „Die Hexen! Ihre Fähigkeit, Gedanken zu hören. Das ist das Kommunikationssystem, das wirbrauchen!“

Er sah das allmähliche Verstehen und ein gewisses Erschrecken in Broms Gesicht.

„Wir brauchen sie“, fuhr er fort. „Wir brauchen viele, sehr viele von ihnen. Bisher ist ihre Zahl nur langsam gestiegen, doch unter Catherines Schirmherrschaft wird sie schneller anwachsen. Und da sie heute bedeutend zum Sieg der Schlacht beitrugen, wird man beginnen, sie aus anderen Augen zu sehen, sie zu respektieren. Und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis alle Eltern hoffen, daß auch sie ein Hexenkind haben werden. Von da ab werden sie wie Pilze nach einem Regen aus dem Boden schießen.“

Brom runzelte die Stirn. „Aber wie kann es sein, daß allein diese Welt von all den vielen, die ihr kennt, Hexen hervorgebracht hat?“

„Weil die Menschen, die hierher auswanderten, eure Vorfahren, die vom Himmel fielen, nur solche Personen auswählten, die zumindest ein Fünkchen Hexenkräfte in sich hatten. Sie wußten selbst nicht, daß sie sie hatten, denn sie waren zu gering und zu tief verborgen. Aber im Lauf der Generationen, als sie immer aufs neue untereinander heirateten, wuchs dieses winzige Bißchen immer mehr, bis schließlich eine Hexe geboren wurde.“ „Und wann war das?“ Brom lächelte tolerant. „Als die Elfen auftauchten. Und auch die Gespenster, Werwölfe, und andere übernatürliche Lebewesen. Denn hier auf diesem Planeten gibt es eine sehr ungewöhnliche Substanz, die ihr Hexenmoos nennt. Es nimmt jede Form an, die eine Hexe sich ausdenkt. Denkt sie an einen Elf, wird das Moos zu einem Elf.“

Brom erblaßte. „Willst du damit sagen…“ „Mach dir nichts daraus, Brom, es ist keine Abwertung“, sagte Rod schnell. „Alle Menschen waren einst nichts weiter als pulsierende Klümpchen, die im Ur-meer schwammen. Im Fall deines frühesten Vorfahrs wurde der Prozeß durch die Hexen nur ein wenig beschleunigt. Und es war dein erster Ahn, nicht du. Ich nehme an, daß das aus dem Moos geschaffene Wesen ein so perfektes Werk ist, daß es sich fortpflanzen — ja sogar mit Sterblichen Nachkommen haben kann.“ Er lehnte sich zurück und seufzte. „Sei stolz darauf, Brom. Du und dein Volk, ihr seid die einzigen, die sich echte Kinder dieser Welt nennen kennen.“

Brom schwieg eine lange Weile, dann knurrte er: „Ja, das ist wahrlich unser Land. Und was willst du damit tun, Zauberer aus dem Himmel?“

„Tun?“ Rod hob eine Braue. „Nur das, was du selbst zu tun versuchst, Brom, durch die Reformen, die du Catherine vorschlugst. Gleichheit vor dem Gesetz, ist das nicht dein Ziel?“

„Das ist es.“

„Nun, es ist auch meines. Und mein Job ist, euch den am wenigsten blutigen Weg dahin zu zeigen. Diese Aufgabe habe ich erfüllt.“ Er schaute blicklos vor sich hin. Brom betrachtete ihn. Gwendylon strich ihm besorgt über das Haar. Rod schaute zu ihr hoch und versuchte zu lächeln. Er wandte sich an Brom. „Deshalb kämpfte ich für Catherine, verstehst du, weil sie die Hexen beschützt, und weil sie eine Reformerin ist und Tuan glücklicherweise ebenfalls. Und das war der Grund, weshalb die Ratgeber und der Spötter gegen sie kämpften.“

Brom runzelte die Stirn. „Ich bin alt, Rod Gallowglass. Du mußt es mir genauer erklären.“

Wieder blickte Rod zu den Sternen hoch. „Eines Tages wird das Tribunal über alle Sterne regieren, die du sehen kannst, und über eine Menge mehr, die von hier aus nicht zu sehen sind. Und fast alle Menschen auf diesen Welten werden Hexen sein, denn das Blut Gramayres fließt durch ihre Adern.“ Er lächelte Brom zu. „Na, wenn das kein Lorbeerkranz ist, Brom, Vater einer Galaxis…

Aber einige Menschen werden ohne die Fähigkeiten der Hexen geboren werden und deshalb keine sein. Und weil sie es nicht sind und sich ausgeschlossen fühlen, werden sie die Hexen und ihre Regierung hassen, schlimmer als du es dir vorstellen kannst. Diese Art von Menschen nennt man Fanatiker. Jede Art von Regierungssystem wird ihnen mehr zusagen als die Demokratie, und deshalb werden sie die Demokratie mit aller Gewalt bekämpfen.“

„Wenn es so sein wird, wie du sagst“, brummte Brom, „dann werden diese Menschen unterliegen, denn wie könnte man gegen so viele Welten vorgehen?“

„Das können sie auch nicht“, erwiderte Rod, „außer sie töten das, was diese Demokratie ermöglicht hat.“ „Aber wie sollten sie das denn fertigbringen? Denn um die

Hexen im Mutterschoß zu töten, müßten sie erst zu diesem Schoß kommen — hierher nach Gramayre — um zu versuchen…“

Brom starrte Rod mit Grauen in den Augen an.

„Catherine zu töten“, beendete Rod den Satz für ihn und nickte finster. „Richtig, Brom. Die Ratgeber und die Führerschaft des Hauses Clovis sind jemandes Ur-ururenkel in der fünfzigsten Generation.“

„Aber wie könnte das sein?“ krächzte Brom. „Welcher Mensch kann seine Ahnen besuchen?“

„Sie können es. Sie haben ein Ding — eine Zeitmaschine. Eine ist irgendwo im Haus Clovis verborgen, und eine in den alten Gewölben von Burg Loguire.

Also bewacht diese vier Männer in der Königin Verlies sorgfältig, Brom. Sie haben vielleicht noch ein paar Überraschungen im Ärmel!“

„Du kannst dich darauf verlassen, daß ich das werde!“

„Die Ratgeber sind alle tot.“ Rod lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. „Das ist eine schöne Bilanz für den Bericht.

Sende ihn heim, Gekab. O ja und dazu erhärtende Einzelheiten: eine Beschreibung der Zeitmaschine und die Aufzählung der Hauptfähigkeiten der Hexen, du weißt schon, Telekinese, Levitation, Telepor…“

„Ich weiß es selbst, Rod“, unterbrach ihn des Roboters Stimme.

„Ja, sicher, aber du könntest mich auch einmal ausreden lassen.“

Der Raumkrümmungstransmitter in Gekabs korbballgroßem Gehirn schickte ein Zweisekundenquieken zu den Sternen.

Eine Weile war alles still, dann murmelte Gwendylon zögernd: „Mylord?“

Rod hob ein Lid und lächelte: „Du solltest mich nicht so nennen, aber es gefällt mir.“

Sie lächelte scheu. „Mylord, Ihr habt Eure Aufgabe hier vollendet…“

Rods Gesicht verdunkelte sich. Er wandte sich ab und starrte finster auf den Boden.

„Wohin wirst du jetzt gehen, Zauberer Rod?“ fragte Brom leise.

„Sei doch still!“ brauste Rod auf.

Wieder wandte er sich ab. „Ich bin kein Zauberer“, knurrte er.

„Ich bin Agent aus einer Welt mit hochentwickelter Technologie, und als solcher verfüge ich über einen ganzen Sack voll Tricks, die ihr euch hier gar nicht vorstellen könnt, aber sie sind alle natürlichen Ursprungs. Ich verstehe nicht das geringste von Magie und verfüge nicht über ein Körnchen Zauberkraft.“

Er schaute wieder zum Himmel hoch. „Ich bin kein Zauberer und habe auch nicht die kleinste Begabung dazu, nicht einmal soviel wie eure geringsten Bauern. Und deshalb gehöre ich auch nicht hierher.“

Er spürte, wie etwas in ihm zu zerreißen drohte.

„Ich wählte dieses Leben“, brummte er., „Ich nehme Befehle entgegen, ja, aber ich tue es aus freiem Willen.“

„Das ist ein Punkt“, brummte Brom, „aber ein schwacher. Ob nun freiwillig oder nicht, du bist nicht Herr über dich selbst.“

„Stimmt“, gab Rod zu. „Aber einige müssen auf ihre persönliche Freiheit verzichten, damit sie ihren Kindern zuteil wird.“ Doch selbst in seinen eigenen Ohren klang es nicht sehr überzeugend.

Brom seufzte tief. Er schlug sich auf die Schenkel und stand auf. Mit müden, alten Augen blickte er Rod an.

„Wenn du gehen mußt, dann gehe. Einer Verpflichtung darf man sich nicht entziehen. Geh zu den Sternen, Rod Gallowglass, aber vergiß nicht: wenn du jemals Zuflucht suchst, du wirst sie hier bei uns finden.“

Gwendylon blieb still neben Rod sitzen und umklammerte seine Hand. „Sag mir“, flüsterte sie nach einer Weile, „ist es nur dieser eine Traum, der dich von mir fortführt?“

„Ja. O ja.“ Rods Hand verkrampfte sich um ihre. „Du hast, sozusagen, alle anderen Träume ausgelöscht.“

Sie drehte sich mit einem zittrigen Lächeln um. Tränen glänzten an ihren Wimpern. „Darf ich Euch nicht zu den Sternen begleiten, mein guter Lord?“

Fast zerquetschte Rod ihre Hand. Ein Würgen verschloß ihm die Kehle. Schließlich murmelte er: „Ich wollte, du könntest es, aber du würdest dort verwelken und sterben wie eine entwurzelte Blume. Du gehörst hierher, wo sie dich brauchen.

Und ich gehöre dorthin. So einfach ist es.“

„Nein.“ Sie schüttelte traurig den Kopf. „Ihr geht nicht, weil Ihr dorthin gehört, sondern weil Ihr Euch dazu verpflichtet fühlt. Aber, mein Lord…“ Sie wandte das Gesicht ab, denn die Tränen begannen nun in Strömen zu fließen. „Ist meine Liebe nicht so stark wie Euer Traum?“

„Versuch zu verstehen“, sagte er gepreßt. „Ein Mann braucht einen Traum. Das ist der Unterschied zwischen den Menschen und den Tieren — der Traum. Und ein Mann, der seinen Traum verloren hat, ist kein ganzer Mann und deshalb einer Frau nicht würdig. Wie könnte ich es wagen, dich an mich zu binden, wenn ich kein Mann bin?

Nein, ein Mann muß sich erst selbst bestätigen, ehe er eine Frau wählt — und der Traum ist seine Bestätigung. Solange er dafür kämpft, hat er ein Recht auf sie, weil er etwas taugt. Ich könnte hierbleiben und sehr glücklich mit dir werden. Aber tief in meinem Herzen wüßte ich, daß ich dich nicht verdiene, weil ich nur eine Drohne bin, ein Mensch männlichen Geschlechts ohne Nutzen. Wie könnte ich Kinder in die Welt setzen, wenn ich weiß, daß ihre Mutter für die Welt viel wichtiger ist, als ich es bin?“

„Aber wiegt die Verpflichtung, die Euch Tom auferlegte und die Ihr Horatio Loguire gegenüber habt, von mir gar nicht zu sprechen, nicht die auf, die Ihr den Sternen gegenüber habt?“

Rod richtete sich steif auf.

„Sie baten Euch, über ihr Volk zu wachen“, flüsterte

Gwendylon. „Und was würde aus ihm werden, Lord, wenn diese Teufel aus der Zukunft wiederkehrten? Und das werden sie ganz sicher, wenn ihr Haß so brennend ist, wie Ihr sagtet.“ Rod nickte wie betäubt. „Und was ist dann mit dem Traum, Mylord?“ Rod blieb einen Moment stocksteif sitzen. „Gekab“, sagte er schließlich ruhig. „Ja, Rod?“

„Gekab, reich mein Gesuch um Entlassung ein.“ „Aber Rod, Ihre Pflicht — die Ehre Ihres Hauses…“ „Vergiß sie! Die Ratgeber kommen möglicherweise zurück, Gekab, selbst wenn wir die Zeitmaschinen vernichten. Sie haben es einmal fertiggebracht, sie können es auch ein zweitesmal! Übermittle meine Kündigung!“ Gehorsam sendete Gekab zu den Sternen. Rods Kopf sank langsam auf die Brust. „Mein Lord?“ rief Gwendylon erschrocken. Rod hob schwach eine Hand. „Alles in Ordnung. Ich habe das Richtige getan, und das, was mich am glücklichsten machen wird. Zum erstenmal in meinem Leben arbeite ich unabhängig. Das ist es! Ich habe mich selbst von allem abgeschnitten. Niemand deckt mir mehr den Rücken, niemand paßt mehr auf mich auf…“

„Rod?“ murmelte Gekab. „Sie haben geantwortet, Rod.“ „Lies!“ befahl Rod.

„Bericht erhalten. Erbitten Koordinaten für Untersuchungsexpedition. „

Rod nickte. Ein bitterer Zug spielte um seine Lippen. „Schick sie ihnen. Lies weiter.“

„Schlagen vor, daß Sie sich Kündigung noch einmal überlegen. Sichern Ihnen ständigen Aufenthalt auf Gramayre zu. Ihre Aufgabe: auf weitere subversive Infiltration zu achten.“ Rod sprang auf. „Wa-as?“ „Sie möchten Ihre selbsterwählte Position offiziell machen“, erklärte der Roboter unnötigerweise. „Was ist, Mylord?“ fragte Gwendylon.

Er drehte sich zu dem Mädchen um. Seine Augen leuchteten auf. „Sie wollen, daß ich bleibe!“ jubelte er.

„Wo bleiben, Mylord?“

„Hier!“ schrie er und breitete die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umschließen. „Hier auf Gramayre! In offiziellem Auftrag! Gwen, ich bin zu Hause, und ich bin frei!“

Er wirbelte sie herum. „Ich liebe dich!“ brüllte er. „Ich liebe dich! Heirate mich!“

„Mit Freude, Mylord!“ rief sie. Die Tränen strömten erneut über ihre Wangen, als sie sein Gesicht in ihre Hände nahm.

Seine Lippen suchten ihre, aber sie drückte eine Hand dazwischen. „Nein, Mylord. Nur ein Zauberer darf eine Hexe küssen.“

„Also gut, ich bin ein Zauberer. Ich bin ein Zauberer Nur küß mich, hörst du?“

Ihre Lippen hoben sich seinen entgegen.

Er legte die Hände um ihren Nacken und grinste.

„He“, sagte er. „Stimmt es wirklich, was man hier über Bauernmädchen sagt?“

„Ja, Mylord.“ Sie senkte die Augen und machte sich daran, sein Wams aufzuknöpfen. „Jetzt wirst du mich nie wieder loswerden!“


ENDE


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