»Meine Macht?«, fragte ich skeptisch.
»Ja. Ich glaube zu wissen, was du denkst, aber diese Sache verträgt keine Eile. Doch wenn du einen eigenen Orden gründen willst, wäre jetzt die beste Gelegenheit dazu.«
»Das habe ich wirklich nicht vor«, sagte ich lächelnd. »Außerdem wissen Sie doch, dass es mir dafür an Ehrgeiz fehlt. Juffin, sagen Sie mir bitte, ob mit mir alles in Ordnung ist. Danach lasse ich Sie in Ruhe. Und bitte geben Sie mir keine ausweichende Antwort.«
»Mit dir ist alles in Ordnung, Max. Die Welt, in die du hineingeboren wurdest, erhebt keine Ansprüche mehr auf dich. Du wirst solche Abenteuer bestimmt nicht mehr erleben - aber vielleicht andere aufregende Dinge. Das lässt sich im Voraus nie ausschließen. Jetzt versuch, an andere Sachen zu denken.«
»Gut«, sagte ich und erinnerte mich an die Überraschung in meiner linken Handfläche. Ich freute mich riesig darauf.
»Welchen Glanz sehe ich da in deinen Augen aufblitzen?«, fragte Sir Juffin. »Ach, du hast ja vorhin etwas von einer Überraschung erzählt, die du für uns alle in petto hast.«
»Eben«, meinte ich und lächelte verträumt. »Ich überlege mir bis heute Abend, wie ich sie Ihnen am besten präsentiere. Sie haben Ihre Geheimnisse - da darf ich auch meine haben.«
»Bis heute Abend hältst du sowieso nicht durch«, meinte Juffin gespielt gleichgültig. »Spätestens am Nachmittag platzt du damit heraus.«
»Bis Sonnenuntergang halte ich sicher durch!«, rief ich. »Sie werden schon sehen!«
»Auf alle Fälle glaube ich nicht, dass ich bis heute Abend auch nur eine freie Minute für dich habe. Der Rummel um deine Person hat all meine Pläne durcheinandergebracht. Jetzt setz dich ans Steuer meines A-Mobils, Max. Ich hab das schon mit Kimpa abgesprochen.«
»Wie haben Sie Ihren treuen Diener denn davon überzeugen können, mir seinen Platz am Lenkrad abzutreten?«
»Ganz einfach - ich habe ihm gesagt, die Interessen des Vereinigten Königreichs würden dein Chauffieren gebieten. Und diese Interessen hat Kimpa schon immer respektiert.«
Im A-Mobil verließen mich alle metaphysischen Probleme. Ich genoss das Leben im Allgemeinen und das schnelle Fahren im Besonderen. Ich glaube, auch meinem Chef hat mein Rasen gefallen, denn auf seinem Gesicht stand ein schwaches Lächeln.
»Jetzt bin ich mir sicher, dass Echo die schönste Stadt aller Welten ist«, meinte ich und hielt vor dem Haus an der Brücke. »Selbst die wunderbare kleine Welt, die ich außerhalb von Kettari erschaffen habe, reicht nicht an diese Herrlichkeit heran.«
»Abwarten«, meinte Juffin lächelnd. »Du hast Tscherchawla noch nicht gesehen.«
»Tscherchawla?«
»Eine verzauberte Stadt mitten in der roten Wüste Chmiro auf dem Kontinent Uanduk. Du würdest sie sehr mögen. Na, bist du bereit, dir zur Begrüßung um den Hals fallen zu lassen?«
»Von Lady Melamori, Schürf oder Sir Kofa sehr gern. Aber von General Bubuta lieber nicht.«
Wir gingen durch die leeren Flure des Hauses an der Brücke. Ich genoss den Anblick und den mir so vertrauten Geruch.
Die Idylle wurde jäh unterbrochen, als mir etwas auf den Rücken sprang und mich zu würgen begann. Ich fiel zu Boden und versuchte, mich aus der Umklammerung zu befreien. In diesem Moment aber hörte ich Juffin lachen und wusste, dass mir keine Gefahr drohte.
»Jetzt bist du meine Trophäe, und ich hänge dich im Wohnzimmer an die Wand«, rief Melifaro und setzte sich mir auf die Brust. »Hast du dich erschrocken?«
»Was denkst du denn?«, fragte ich und lächelte strahlend. »Vermutlich bin ich sogar verletzt.«
»Ich aber auch«, sagte Melifaro und lachte. »Ein Held wie du lässt sich doch nicht gleich auf den Boden fallen!«
»Ich habe mit allem Möglichen gerechnet, auch mit einer heftigen Umarmung deinerseits - aber nicht mit so was«, meinte ich entschuldigend.
»Das war nur eine süße Rache«, erklärte Melifaro und half mir beim Aufstehen. -Ich wollte, dass du dich so erschrickst, wie ich es getan habe, als du plötzlich verschwunden warst. Melamori und ich sind sogar auf deine Spur getreten, um herauszufinden, was mit dir los ist. Wir sind in deiner früheren Wohnung in der Straße der alten Münzen gelandet und haben dort festgestellt, dass du spurlos verschwunden bist. Kannst du dir vorstellen, was wir durchgemacht haben?«
»Das alles tut mir wirklich leid«, antwortete ich. »Aber ich habe mich in meiner Abwesenheit recht gut amüsiert, muss ich gestehen.«
»Meine Herren, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass es gemütlichere Räume gibt als das Treppenhaus«, mischte Sir Juffin sich ein.
Daraufhin betraten wir die Hälfte des Gebäudes, in dem der Kleine Geheime Suchtrupp residierte.
»Sehr vernünftig von dir, Max, zurückzukehren«, sagte Sir Schürf und erhob sich zu meiner Begrüßung aus seinem Sessel. »Deine Abwesenheit hatte etwas Unangebrachtes.«
»Sündige Magister, Schürf - du findest wirklich für alles den passenden Ausdruck.«
»Das liegt an der gedanklichen Disziplin, die ich mir auferlege. Dafür braucht man neunzig Jahre, aber dann läuft es tadellos«, sagte Lonely-Lokley gravitätisch, zwinkerte mir dabei aber zu.
»Wahnsinn, wie selbstironisch du plötzlich bist, Schürf«, sagte ich lächelnd. »Ach, Leute - wenn ihr wüsstet, wie wohl ich mich in eurer Gesellschaft fühle!«
»Wir uns in deiner Gegenwart aber auch«, erklärte Lady Melamori.
»Stimmt, es war langweilig ohne dich«, meinte Juffin. »Ich fürchte, du musst unsere Abteilung zum Mittagessen einladen. Wir haben deine Abwesenheit lange genug beklagt. Übrigens mussten wir die Bildhauer, die du bestellt hast, bezahlen, und Sir Dondi Melichais - der Schatzmeister des Hauses an der Brücke - hat mich einige Tage lang recht schief angesehen. Vielleicht trägt das gemeinsame Essen ja dazu bei, unsere strapazierten Nerven zu beruhigen.«
»Ich hab gleich gewusst, dass ich heute nicht zum Arbeiten kommen würde«, seufzte ich. »Zuerst musste ich euch alles erzählen, und jetzt muss ich euch alle füttern. Wo ist eigentlich Sir Kofa?«
»Unser schlauer Meister des Verhörs sitzt schon seit einiger Zeit am besten Tisch im Fressfass.«
»Worauf warten wir dann noch?«
Ich stand schon auf der Türschwelle, als ich auf Sir Lukfi Penz stieß. »Max! Was für eine Überraschung!«, rief er. »Sie sind ein paar Tage nicht hier gewesen, stimmt's? Waren Sie erkältet?«
»So kann man es auch nennen«, räumte ich ein. Alle Wunder des Alls verblassten vor der unglaublichen Zerstreutheit von Lukfi Penz.
Der Rest des Abends verging wie in einem süßen Traum oder noch schöner. Die Delikatessen von Madame Eizinda begeisterten mich ebenso wie die Stimmen und Gesichter meiner lieben Kollegen. Ich war wie umnebelt, doch das war ein sehr angenehmes Gefühl.
Dann kehrten wir ins Haus an der Brücke zurück, wo ein blauäugiger junger Mann im hübschen dunkelgrünen Lochimantel auf uns wartete und mich unter seinem Turban hervor musterte.
»Das ist der Große Magister vom Orden der Langen Reise, Sir Nanka Jok«, erklärte mein Chef. »Ich hab dir doch gestern gesagt, dass ich euch miteinander bekannt machen möchte.«
»Sie halten mich für etwas zu jung, nicht wahr«, sagte Sir Nanka, als er mein erstauntes Gesicht sah. »Anscheinend ist mein Aussehen noch nicht optimal, denn nicht alle nehmen mich ernst.«
»Ich glaube, es ist besser, nicht allzu ernst genommen zu werden«, antwortete ich. »Man kann besser arbeiten und wird nicht ständig gestört.«
»Da haben Sie Recht«, seufzte der Große Magister, »aber in meinem vorletzten Leben sah alles ganz anders aus.«
»Das verstehe ich gut«, meinte ich lächelnd. »Seit ich den Todesmantel trage, wird auch mir oft allzu großer Respekt entgegengebracht. Das ist dem Seelenfrieden eher abträglich.«
»Meine Herren, ich muss Ihr tieftrauriges Gespräch leider unterbrechen. Sir Nanka, vor kurzem habe ich mit dem Großen Magister vom Orden des Siebenzackigen Blattes über Sie gesprochen und kann Ihnen versichern, dass er Sie durchaus ernst nimmt. Er hat mir zugesagt, Ihnen und den Mitgliedern Ihres Ordens alles zu liefern, was Sie zum Leben brauchen - allerdings unter der Bedingung, dass Sie künftig einen Bogen um Uguland machen.«
»Wir haben sowieso nicht vor, hierzubleiben«, gab Magister Nanka kühl zurück. »Wir wollen das Gleichgewicht dieser Welt nicht stören. Uns interessiert allein, am Leben zu bleiben, und es ist uns egal, wo wir uns ansiedeln.«
»Der Orden des Siebenzackigen Blattes ist bereit, Ihnen einen Teil seiner Ländereien in Gugland zu überlassen.«
»Da gefällt es uns sehr. Wir mögen die Kamra aus Iraschi. Aber wissen Sie, es ist wirklich erstaunlich, wie sich die Welt in unserer Abwesenheit verändert hat.«
»Stimmt, vieles ist anders geworden«, pflichtete Juffin ihm bei. »Max, eine deiner ersten Aufgaben wird es sein, dich zu vergewissern, dass Sir Nanka und seine Ordensleute Echo tatsächlich binnen einer Woche verlassen haben und
»Aber wir wollen die Stadt schon morgen verlassen, Sir Juffin«, unterbrach ihn Nanka. »Keine Sorge, wir wollen uns hier mit niemandem anlegen.«
»Sie haben mich missverstanden. Ich will nur einen Teil meiner Verpflichtungen an Sir Max delegieren. Verzeihen Sie bitte, dass dies in Ihrer Anwesenheit geschieht.«
»Sir Juffin - ich verstehe, dass eine Person, die unser Orden für sehr gefährlich hält, unsere Abfahrt kontrollieren soll. Aber Sie brauchen sich wegen uns wirklich keine Gedanken zu machen. Manchmal ähnelt der Kleine Geheime Suchtrupp eher einem Unheil verkündenden Orden als der Geheimpolizei.«
»Was reden Sie denn da?«, fragte ich erstaunt. »Wir sind doch völlig harmlos.«
»Angesichts der Kugelblitze und all der Mittel, mit denen Sie versucht haben, uns umzubringen, bin ich mir da nicht so sicher«, meinte Sir Nanka seufzend.
»Schon gut. Ich freue mich jedenfalls, dass es Ihnen besser geht.«
»Die Idee, uns in Plastiken zu verwandeln, war grandios«, gab Nanka zu. »Sie hat unseren Gesundheitszustand deutlich verbessert. Zum Glück hat uns ein netter Mensch von unserer Plastikschicht befreit. Sonst wären wir vermutlich erstickt.«
»Ihre Befreiung verdanken Sie Sir Lukari Bobon, dem Großvater von Lukfi Penz«, mischte Juffin sich ein.
»Ist das der Friedhofswärter?«, wollte ich wissen.
»Friedhofswärter? Gut, dass er das nicht gehört hat -sonst hättest du einen Todfeind mehr. Lukari Bobon ist Meister der Begräbniszeremonien, Max. Und er kann Plastik entfernen.«
»Hat sich Lukfi demnach mit seinem Großvater versöhnt?«, fragte ich.
»Ja. Der Frieden währte allerdings nur zwei Tage. Danach haben sie sich erneut verkracht.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sich Sir Lukfi mit jemandem zu streiten vermag.«
»Er nicht, aber Lukari Bobon kann mit jeder x-beliebigen Person zanken«, sagte Juffin mit Nachdruck. »Er ist ein sehr temperamentvoller Mensch.«
Der Große Magister Nanka Jok langweilte sich bei diesem Gespräch ein wenig und wollte sich verabschieden.
»Morgen verlassen wir Echo«, versprach er mir. »Wir können auch in Gugland leben. Aber früher oder später wird das Schicksal uns erneut zusammenführen.«
»Ich hoffe, das wird kein unangenehmes Ereignis sein«, sagte Juffin langsam und eindringlich.
»Verzeihen Sie, Sir Nanka«, meinte ich und lächelte entschuldigend. »Hoffentlich habe ich Ihnen und Ihren Leuten nichts Böses zugefügt.«
»Kontrolliere morgen auf jeden Fall, ob sie wirklich weggefahren sind«, sagte mein Chef, nachdem Nanka Jok das Zimmer verlassen hatte. »Ich glaube, der Orden wird uns keine Probleme mehr machen. Schließlich haben diese Magister wichtigere Dinge im Kopf. Aber sicher ist sicher.«
Den Rest des Tages verbrachte Sir Juffin wie auf glühenden Kohlen. Ich hatte ihm längst mein fantastisches Geschenk zeigen wollen, doch immer wieder waren überraschend Probleme aufgetaucht. Also trieb ich mich im Haus an der Brücke herum und genoss es, wieder in der vertrauten Umgebung zu sein.
Schließlich verließ Juffin eilig das Büro und erklärte einem Besucher, dessen Lochimantel ihn als Bediensteten am Königshof auswies, im Laufschritt, er habe etwas Dringendes zu erledigen, das er nicht länger aufschieben könne.
»Lass uns gehen«, sagte mein Chef dann zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter.
»Was ist passiert?«, fragte ich, als wir auf der Straße waren.
»Was soll schon passiert sein? Wir fahren zu dir und sehen uns die Überraschung an, die du mitgebracht hast. Die Sonne ist schon untergegangen - also ist es höchste Zeit.«
»Ach so«, meinte ich lachend. »Ich hatte etwas anderes vermutet.«
»Du meinst die unaufschiebbare Sache, von der ich im Flur gesprochen habe? Keine Sorge, Junge - ich wollte nur diesen Bürokraten loswerden.«
Sorglos betrat ich mein altes Schlafzimmer in der Straße der alten Münzen, denn mein Glaube an Juffins Macht war grenzenlos. Natürlich waren seine Freunde, die ich auch kennen gelernt hatte - Maba Kaloch etwa oder Machi Ainti, der unglaubliche Sheriff von Kettari -, bestimmt älter, erfahrener und mächtiger als mein Chef. Doch Juffin, der auf die Idee gekommen war, mich aus meiner alten Heimat zu holen und in das Wunderland Echo zu verpflanzen, war für mich zum Inbegriff von großem Gott und gutem Opa zugleich geworden. Mit ihm hätte ich sogar dem Teufel einen Besuch abstatten mögen.
»Was ist das, Max? Woher hast du die Mütze von König Mjenin?«, fragte mein Chef erstaunt und zog mir das Geschenk vom Kopf, das Ron mir in New York gemacht hatte. Ich musste lachen.
»Zu den Magistern mit Ihnen, Juffin - diese Mütze hat doch nicht dem legendären König Mjenin gehört, sondern stammt aus meiner alten Heimat.«
»Auf alle Fälle soll Mjenins Mütze so ausgesehen haben«, versicherte mir mein Chef. »Und wenn man bedenkt, dass sie zusammen mit dem König verschwand, ist alles möglich, Max. Jedenfalls wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher.«
»Nehmen Sie sie bitte. Ich glaube, Ihr ehemaliger König würde sich freuen, wenn diese Mütze Ihnen gehört - egal, ob es wirklich seine Mütze war oder ob sie ihr nur ähnlich sieht.«
»Herzlichen Dank«, sagte Juffin ernst. »Ich habe schon seit Jahren von dieser Mütze geträumt und hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du sie mir eines Tages überreichen würdest.«
Er zog seinen Turban ab, setzte sich die Mütze auf und musterte sich ein paar Sekunden lang in der Fensterscheibe. Seine neue Kopfbedeckung stand ihm großartig. Nachdem er sich etwas bewundert hatte, nahm er sie wieder ab und legte sie neben sich aufs Bett.
»Warum setzen Sie die Mütze schon wieder ab?«, wollte ich wissen.
»Wenn du etwas älter bist, erzähle ich dir alles«, sagte er und zog eine diebische Fratze. »Das ist nichts Besonderes. Aber jetzt zeig mir bitte endlich deine Überraschung.«
Ich ging zu dem Regal mit den Filmen, dem DVD-Player und dem Fernseher. Mein Herz pochte wild. Der kleine grüne Punkt auf dem DVD-Player zeigte, dass der Stromtransfer von meiner alten Heimat nach Echo funktionierte. Jetzt erst merkte ich, wie froh ich war, nahm die erste DVD zur Hand und schob sie in das Abspielgerät.
Nach ein paar Sekunden sah und hörte ich den mir so vertrauten MGM-Löwen brüllen, und gleich darauf sah Juffin die ersten Bilder von Tom und Jerry.
Dann drehte ich mich um und merkte, dass dies einer der schönsten Momente meines Lebens war. Ich hätte nämlich nie gedacht, den Mund von Sir Juffin einmal sprachlos erstaunt sperrangelweit offen stehen zu sehen.
»Das ist Kino«, erklärte ich begeistert. »Ich habe Ihnen schon mal davon berichtet. Erinnern Sie sich? Als sich mal zufällig jemand aus meiner alten Heimat nach Echo verirrte, habe ich Ihnen erzählt, ich hätte mal etwas Ähnliches im Kino gesehen. Und ich habe viele verschiedene Filme mitgebracht - Sie werden also noch viel Spaß haben.«
»Das glaube ich auch«, sagte Juffin und setzte sich aufs Bett. »Und jetzt geh bitte zur Seite - sonst sehe ich nichts.«
Ich setzte mich neben ihn und starrte auf den Bildschirm. Es war ziemlich surreal, in Gesellschaft meines Chefs einen Zeichentrickfilm zu sehen.
»Ich glaube, wir müssen Kofa rufen«, sagte Sir Juffin eine halbe Stunde später. »In dieses Geheimnis können wir ihn ruhig einweihen. Diese Tiere erinnern mich nämlich an die Zeit, da Kofa und ich einander noch gejagt und belauert haben wie Katz und Maus. Ich glaube, ich werde langsam sentimental.«
»Sir Kofa Bescheid zu sagen, ist sicher eine gute Idee. Aber an Ihrer Stelle würde ich allen Mitarbeitern des Kleinen Geheimen Suchtrupps ein Schweigegelübde abverlangen und sie dann kommen lassen.«
»Gute Idee. Hast du noch viele solche Filme?«
»Ja. Ich zeige Ihnen einfach mal, wie man den Apparat bedient. Danach muss ich los, denn Techi wartet auf mich. Sie sind nämlich nicht der Einzige, der mir Zaubertricks beibringen kann.«
»Spiel dich nicht so auf, sondern zeig mir, wie das Gerät funktioniert.«
Ich brauchte höchstens zehn Minuten, um meinem Chef alles zu zeigen. Was Technik anging, war er eben sehr talentiert.
Dann fuhr ich in die Neustadt. Ich wollte unbedingt in die Straße der vergessenen Träume, um das Lokal Armstrong und Ella schnellstmöglich zu besuchen.
Ich rechnete damit, dass es um diese Zeit leer war - bis auf Techi und die Katzen natürlich. Wo sollten die Tiere auch sonst hin? Aber zu meiner Überraschung thronte Sir Schürf auf einem Hocker an der Theke. Sein schneeweißer Lochimantel schimmerte im Halbdunkel. Neben ihm saß Lady Melamori und wirkte sehr zufrieden. Leleo - die spinnenartige Liebesgabe ihres Verehrers aus Arwaroch -spazierte seelenruhig über die Theke. Techi betrachtete das Tierchen recht sparsam, fütterte es aber dennoch mit Brot.
«Weißt du, Sir Nachtantlitz - es gefällt uns sehr, auf deine Kosten zu feiern«, sagte Melifaro, der ebenfalls am Tresen saß und wie üblich mit dem Hocker kippelte. »Wir waren uns sicher, dass du früher oder später auftauchen würdest.«
»Deine Kollegen haben schon einige Kronen verprasst«, meinte Techi. »Ich fürchte, du wirst eine hübsche Zeche zu zahlen haben.«
»Mit dem größten Vergnügen. Ich werde alle Ausgaben beim Schatzmeister als Spesen für eine nächtliche Sondersitzung geltend machen.«
»Unser Nachtantlitz hat sich gar nicht verändert«, sagte Techi lächelnd. Melamori warf ihr einen verständnisvollen Blick zu, und beide kicherten los.
Sie hatten sich in meiner Abwesenheit offenbar befreundet - und das, obwohl Lady Melamori zu einem Clan gehörte, der seit Jahrhunderten dem Orden des Siebenzackigen Blattes verbunden war, während Lady Techis Vater der alte Hauptfeind dieser Organisation und obendrein Großer Magister des Ordens der Wasserkrähe war. Es ist wie weiland in Verona mit den verfeindeten Geschlechtern der Montague und Capulet, dachte ich.
Als Melamori meinen erstaunten Blick bemerkte, schüttelte sie den Kopf und sagte: »Wir sind schon lange befreundet, Max. Ich bin schon ein paar Mal bei Sonnenuntergang eilig aus dem Haus an der Brücke verschwunden und habe dich deinen Dienst allein antreten lassen. Was meinst du, warum?«
»Und warum ist mir das nicht aufgefallen?«, fragte ich baff.
»Das hat uns auch gewundert«, meinte Techi lächelnd. »Und wir waren gespannt, wie lange du brauchen würdest, bis du etwas merkst.«
»Tja, das dauert mitunter lange. Schließlich bin ich ein Tagträumer«, räumte ich ein.
»Ich hätte nie gedacht, dass du deine Schwächen so offen zugeben würdest«, sagte Schürf mit professoralem Orgelton.
Melifaro musste daraufhin so lachen, dass er sich kaum auf seinem Hocker halten konnte. Ich brauchte ihn nur am Hosenbein zu zupfen, und er fiel um. Schimpfend erhob er sich und setzte sich neben den unerschütterlichen Lonely-Lokley.
»Vielen Dank, mein Freund. Du bist der Einzige, der ab und an ein Lob für mich hat«, sagte ich zu meinem Kollegen im schneeweißen Lochimantel.
»Von mir bekommst du Kamra - das ist auch nicht zu verachten«, gab Techi zu bedenken und schob mir eine dampfende Tasse hin.
»Leute«, begann ich und fasste alle ins Auge, »wenn ich für euch sterben müsste, würde ich es bedenkenlos tun ...«
Erst gegen Morgen fand ich etwas Schlaf, doch schon mittags weckte mich Sir Juffin per Stumme Rede.
»Komm sofort zu mir«, befahl mein Chef. »Such mich aber nicht im Haus an der Brücke.«
»Für wen halten Sie mich? Sie sind natürlich in der Straße der alten Münzen - wo sonst?«
»Sehr scharfsinnig, Max! Warum bist du so gereizt? Hast du nicht genug geschlafen?«
»Wenn man mit den Kollegen feiert, ist es kaum möglich, genug Schlaf zu bekommen«, sagte ich gähnend und machte mich auf die Suche nach meinem Kachar-Balsam. »Gut, in einer Stunde bin ich bei Ihnen.«
»In dreißig Minuten, Max - verstanden? Ich weiß doch, wie schnell du fahren kannst, wenn du nur willst.«
Ich stöhnte verärgert und rappelte mich auf. Selbst im Römischen Kaiserreich hatte es Tyrannen vom Format eines Sir Juffin nur selten gegeben. Vielleicht hatte er sich ja meine Caligula-DVD angesehen und sich von diesem als wahnsinnig und sadistisch geltenden Kaiser etwas abgeguckt.
Im nächsten Moment kam Techi ins Schlafzimmer. Sie brachte mir Kamra, und zwar in meiner Lieblingstasse.
»Womit habe ich das verdient?«, fragte ich begeistert.
»Sir Juffin hat sich per Stumme Rede gemeldet und mich vorgewarnt.«
»Weißt du was? Mach dein Lokal doch zu und begleite mich in die Straße der alten Münzen!«
»Warum nicht? Schließlich hast du selber gesagt, um diese Zeit trinken anständige Menschen noch nichts.«
»Habt ihr beschlossen, überall zu zweit auf zu tauchen?«, begrüßte uns Sir Juffin und lächelte listig.
Allem Anschein nach hatte er in der Nacht kein Auge zugetan. Neben ihm döste Sir Kofa. Auf dem Bildschirm war das Gesicht von Agent Cooper zu sehen, der meinen Chef gerade nach Twin Peaks entführte.
»Was ist das, Max?«, fragte Techi und klammerte sich ängstlich an meinen Ellbogen.
»Das ist ein großes Wunder, das ganz ohne verbotene Magie auskommt«, sagte ich lächelnd.
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, mischte Juffin sich ein. »Der Zeiger meiner Pfeife schlägt nämlich ab und zu aus. Aber sprechen wir über etwas anderes. Ich habe dich gerufen, Max, weil du mich neulich so bravourös vertreten hast.«
»Jetzt, da der Kleine Geheime Suchtrupp vollzählig im Anmarsch ist, kann ich wirklich zeigen, was ich kann. Ich möchte aber, dass auch Techi einen Platz vor dem Fernseher bekommt.«
»Das kriegen wir schon hin«, sagte Juffin. »Aber jetzt überzeuge dich bitte davon, dass der Orden der Langen Reise unsere Stadt wirklich ordnungsgemäß verlässt.«
»Bis heute Abend, Liebste«, verabschiedete ich mich von Techi. Dann wandte ich mich an Sir Kofa: »Apropos Abend - kannst du mich nachher ein paar Stunden vertreten?«
»Kein Problem.«
Die nächsten vierzehn Tage verliefen nach dem immer gleichen Muster: Sir Juffin setzte seinen Fuß nie ins Haus an der Brücke, und auch meine übrigen Kollegen wechselten sich in der Straße der alten Münzen vor dem Fernseher ab. Nur Lonely-Lokley verhielt sich anders, da sein Pflichtgefühl es ihm nicht erlaubte, sich dem Vergnügen zu überlassen. Außerdem wusste er, dass nur Maßhalten einen Genuss über längere Zeit zu erhalten vermochte.
Erstaunlicherweise beschloss sogar Techi, sich in ihrem Lokal von ihrer Nachbarin vertreten zu lassen. Als ich sie früher mal darum gebeten hatte, war sie kategorisch davon überzeugt gewesen, niemand könne sie als Wirtin ersetzen.
Nach zwei Wochen kehrte das Leben allmählich in seine alten Bahnen zurück. Man konnte natürlich noch immer jemanden in meinem alten Schlafzimmer antreffen - mitunter sogar Lonely-Lokley, der einen Plan erstellt hatte, um im Lauf der Zeit alle Filme zu sehen, die ich aus meiner alten Heimat angeschleppt hatte. Sir Schürf gönnte sich allerdings nur jeden dritten Tag einen Film, und die Kollegen waren von seinem eisernen Willen schwer beeindruckt.
Schließlich kehrte die Arbeitsmoral unseres Suchtrupps zurück, und Sir Juffin belohnte mein cineastisches Engagement mit drei sorgenfreien Tagen, die ich mit Techi verbringen wollte, doch meine liebe Freundin war viel mehr an dem Geschehen auf der Mattscheibe als an mir interessiert.
Drei Tage später erwachte ich bei Sonnenuntergang und ging hinunter ins Lokal, um die Gäste des Armstrong und Ella mit meiner finsteren Miene zu erschrecken.
Dort erwartete mich nicht nur eine Überraschung, sondern gleich zwei. Erstens sah ich Techi, die ich - wie üblich - vor dem Fernseher vermutet hatte, hinter der Theke stehen, und zweitens saß Sir Juffin am Tresen. Er war der einzige Gast. Offenbar wollte kein Normalsterblicher mit dem Leiter des Kleinen Geheimen Suchtrupps im gleichen Lokal sitzen.
»Erzählen Sie mir bitte nicht, dass Sie sich nach mir gesehnt haben!«, rief ich schon von der Türschwelle. »Es ist etwas passiert, oder?«
»Nur eine Kleinigkeit«, sagte mein Chef achselzuckend.
Techi warf mir einen verschwörerischen Blick zu und schob meinem Chef ein paar Schnapsgläser mit verschiedenfarbigen Getränken hin. Juffin nickte zufrieden und goss sie in einen Krug, machte mit der Rechten einige beschwörende Gesten, bis die Flüssigkeit mit roter Flamme brannte, und verschluckte sie dann. Aus seinen Ohren drang Dampf, und sein Turban vibrierte wie ein Topfdeckel beim Kochen.
»Das ist ein hübscher Effekt, was?«, fragte er stolz.
»Sie haben offenbar zu viele Filme gesehen«, meinte ich lächelnd.
»Ich halte sie für sehr realistisch. Wenn ich Menschen in Raumschiffen durchs All flitzen sehe, denke ich mir allerdings, sie könnten viel bequemer die Ritze zwischen den Welten nehmen - die kennt hier schließlich jeder. Und gestern hab ich mir eine tragische Liebesgeschichte angesehen. Der Mann war zuerst eine Art Polizist, aber genau habe ich das nicht verstanden. Danach hat er sich eine Nachtarbeit gesucht und irgendwann seine alte Liebe getroffen, doch ich habe absolut nicht begriffen, warum die beiden einander so gequält haben. Erstaunlicherweise sahen sie dabei aber sehr zufrieden aus. Am Ende war ich gar nicht überrascht, dass sie erschossen wurden. Ihr Leben roch irgendwie nach verbotener Magie.«
Angesichts dieser Zusammenfassung von Der Nachtportier konnte ich mich vor Lachen kaum mehr beherrschen.
»Juffin«, meinte ich seufzend, »an Ihnen ist wirklich ein Filmkritiker verloren gegangen. Wenn Sie wollen, sorge ich für die Veröffentlichung Ihrer Besprechungen in einem Filmmagazin meiner alten Heimat. Sie würden sicher in kürzester Zeit Kultstatus gewinnen. Gibt es sonst noch etwas zu berichten?«
»Wie gesagt, wirklich nichts Besonderes. Seine Majestät König Gurig möchte sich morgen Nachmittag mit dir treffen und dich von etwas überzeugen. Es handelt sich um die alte Geschichte mit deinen Untertanen, die mal wieder in Echo aufgetaucht sind und den Hof belagern. Seine Majestät ist ganz wild darauf, die Leeren Länder mit deiner Hilfe zu einer Provinz des Vereinigten Königreichs zu machen. Du hast doch nichts gegen so ein taktisches Spielchen, oder? Und keine Sorge, Max - der König will dich wirklich zu nichts zwingen. Die Höflichkeit gebietet es aber, dass du zu dem Treffen erscheinst. Warum lachst du eigentlich?«
Ich lachte, weil ich mich an meine letzte Panikattacke bei diesem Thema erinnerte. Damals hatte ich Angst, in meinem Leben könnten sich erneut Veränderungen zutragen.
»Ich habe nur festgestellt, was für ein Dummkopf ich war. Ich hatte damals richtig Angst, auf Ihre Vorschlag« bezüglich meiner Untertanen einzugehen. Aber inzwischen hab ich durchaus Lust auf ein strategisches Spielchen.«
»Willst du damit sagen, du hast es dir anders über legt?«, fragte Juffin mit hochgezogenen Brauen.
»Kommt darauf an, welchen Vorschlag der König mir macht. Wissen Sie, noch vor kurzem war ich gegen jedes Spiel, aber meine Lebenseinstellung hat sich geändert -ich möchte erst die Regeln kennen lernen und dann entscheiden.«
»Nicht schlecht«, meinte Sir Juffin lächelnd. »Du bist schnell erwachsen geworden. Morgen Mittag kommst du zu mir ins Haus an der Brücke.«
»Warum nicht in die Straße der alten Münzen? Haben Sie da nicht etwas verwechselt?«
»Das ist leider unmöglich. Ich habe morgen einfach keine Zeit, mich vor die Mattscheibe zu klemmen«, sagt« mein Chef ernst. »Kofa ist einem Falschmünzerring auf die Spur gekommen. Stell dir vor: Diese Kerle benutzen schwarze Magie 72. Grades, und das nur zu dem Zweck ein paar Geldsäcke mit Kronen zu füllen. Und in die Straße der alten Münzen gehe ich jetzt. Wer weiß - viel leicht entdecke ich in dem einen oder anderen Film einer Zaubertrick, den ich noch nicht kenne.«
Juffin sprang von seinem Hocker und vergewisserte sich erneut, dass sich außer uns dreien niemand im Lokal befand. Dann verwandelte er sich in Batman und verschwand. Ich sollte mir wirklich überlegen, welche Filme ich meinen Kollegen zu sehen gebe, dachte ich - sonst werden sie langsam gefährlich.
»Lass uns einen Spaziergang machen, bis die ersten Gäste kommen«, sagte Techi lächelnd.
Am nächsten Tag fuhren Juffin und ich zur Burg Rulch, wo König Gurig VIII. den Winter zu verbringen pflegte. Dort herrschten andere Regeln als in seiner Sommerresidenz. So mussten wir beispielsweise in besondere Besucherkleider schlüpfen.
»Dieses Gewand hat eine symbolische Bedeutung und bezieht sich auf ein Ereignis, das in der Epoche des Gesetzbuchs stattgefunden hat. Allerdings weiß ich nicht mehr genau, um welches Ereignis es sich dabei handelt«, sagte mein Chef.
Wir mussten uns in Sänften setzen und wurden in den Audienzsaal getragen.
Kaum eine Minute später erschien der König schon. Nachdem wir pflichtbewusst einige Floskeln über das Wetter getauscht hatten, wies er uns auf ein Tischchen hin, auf dem Getränke und Gebäck bereitstanden.
»Vor kurzem habe ich das übertriebene Zeremoniell abgeschafft. Mein alter Haushofmeister ist in Rente gegangen, und sein Nachfolger ist so flexibel, dass ich meine Gäste empfangen kann, wo ich will. Ich muss offen gestehen, dass der Speisesaal nicht der angenehmste Ort zum Essen ist.«
»Da haben Sie Recht«, sagte Juffin und nickte ergeben. »Wenn ich dort auf Euch warte, vergeht mir der Appetit.«
»Ich freue mich, dass Sie ein so ehrlicher und appetitloser Untertan sind«, erklärte der König und zwinkerte mir dabei zu. »Max, hätten Sie nicht Lust, mein Kollege zu werden? Juffin hat mir schon gesagt, dass Sie nichts dagegen haben.«
»Ich träume schon mein Leben lang davon, ein echter König zu sein«, entgegnete ich. »Am besten erzählen Sie mir Ihren Plan, von dem Sir Juffin mir schon einiges angedeutet hat.«
»Na ja, Plan ist vielleicht nicht das richtige Wort«, meinte Gurig VHI. »Sagen Sie Ihren Untertanen doch einfach, Sie wären gern ihr König, könnten Echo gegenwärtig aber nicht verlassen. Ihre Untertanen setzen Ihnen dann eine Krone aufs Haupt und fahren zufrieden nach Hause, und ich stifte Ihnen eine Residenz, die Ihrer Bedeutung entspricht. Ich dachte an das Weiche Haus.«
»Wollen Sie ihm wirklich die ehemalige Bibliothek der Königlichen Universität überlassen? Das ist ein sehr hübscher Bau, Max. Er gefällt dir sicher.«
»Was soll ich als König überhaupt tun? Ich habe in meinem Leben schon etliche Tätigkeiten ausgeübt, aber König war ich noch nie.«
»Keine Sorge, Max - Sie brauchen sich über diese Aufgabe wirklich keine Gedanken zu machen. Sie leben hier, und Ihre Untertanen mit ihren Problemen leben viele Meilen entfernt. Ab und an werden sie Ihnen einen Boten schicken, da sie die Stumme Rede nicht beherrschen. Auf diese Meldungen werden meine Mitarbeiter antworten - dazu sind sie schließlich da. Mitunter müssen Sie einen Empfang über sich ergehen lassen, aber das wird eher selten sein, und wir bereiten Sie auf alles vor. Wissen Sie - wenn die Königswürde nicht so leicht zu tragen wäre, hätte ich sie längst abgelegt. Und das Wichtigste: Ihre Arbeit als König ist nicht von langer Dauer. Ich schätze, in zwei Jahren haben Sie alles hinter sich.«
»Wieso das denn?«, fragte ich erstaunt.
»Na ja, wenn Sie das Vertrauen Ihrer Untertanen gewonnen haben, erklären Sie Ihrem Volk eines Tages, dass Sie die Macht an mich übergeben. Wissen Sie - die Leeren Länder sind mir schon lange ein Dorn im Auge, und meine Vorgänger haben immer davon geträumt, diese Gegend zu einem Teil des Vereinigten Königreichs zu machen. Mit Ihrer Hilfe kann ich diesen bescheidenen Traum realisieren.«
»Daran habe ich keinen Zweifel«, sagte ich lächelnd. »Und was gut für mich ist, ist auch gut für meine Untertanen. Ich bin sehr froh, zum Vereinigten Königreich zu gehören.«
»Das freut mich. Andere Landesfürsten lassen sich davon oft nicht so leicht überzeugen.«
»Ich bin eben ein naiver Barbar.«
Fünf Minuten später verließ ich den Audienzsaal als König.
»Ich kann mir vorstellen, wie der arme Melifaro reagiert, wenn er davon erfährt: Grün vor Neid wird er werden«, meinte ich zu Juffin.
»Der hat schon manchen Schicksalsschlag weggesteckt - mach dir um ihn mal keine Sorgen.«
»Sagen Sie, Juffin - warum ist König Gurig eigentlich so scharf auf die Leeren Länder?«
»Auch das weißt du nicht? Dann mache ich für dich einen Geografiekurs für Anfänger. Sieh mal«, begann mein Chef und zog eine kleine Weltkarte aus der Tasche.
«Die Leeren Länder trennen das Vereinigte Königreich von der Grafschaft Chota, die uns freundlich gesonnen ist. Die Herrscher dort träumen schon lange davon, Untertanen des Vereinigten Königreichs zu sein. Ich glaub sie sind den seit Jahrhunderten dauernden Krieg mit dem Fürstentum Kebla herzlich leid. Und eine nette, blühende Provinz wie die Grafschaft Chota ist die Zier eines jede Imperiums. Außerdem nimmt unser König gern neue Gebiete unter seine Obhut. Das hat er von seinem Vater.«
»Irgendwann wird unser tapferer König auch Arwaroc beherrschen wollen.«
»Wer weiß, was die Zukunft bringt«, meinte Sir Juffin nachdenklich. »Willst du dir deine Residenz anschauen? fuhr er fort, während ich mich ans Steuer meines A-Mobils setzte.
»Das Weiche Haus? Gerne. Wieso heißt es eigentlich so?«
»Weil es so weich ist. Aber das wirst du selbst sehen.«
Die ehemalige Bibliothek der königlichen Universität lag in der Altstadt, und zwar zwischen den neuen Unigebäuden und dem Verlagshaus der Königlichen Stimme.
»Tja, jetzt habe ich Sir Rogro als Nachbar«, meinte ich, betrachtete die Fassade der alten Bibliothek und musste lächeln. Die Hauswand war so dicht bewachsen, dass die Fenster kaum zu erkennen waren.
»Der Bau passt gut zu deinem unrasierten Gesicht meinte Juffin. »Gefällt er dir überhaupt?«
»Aber ja. Hier ist es viel hübscher als auf Buri Rulch.«
»Das sehe ich ebenso. Früher haben sich hier sympathische Studenten mit ihren nicht weniger sympathischen Professoren zu ungemein sympathischen Gesprächen getroffen.«
»Klingt nett. Und was ist jetzt in dem Gebäude?«
»Wie gesagt - die alte Universitätsbibliothek. Aber sie ist schon seit längerem geschlossen. Darum kann man sagen, in diesem Bau befindet sich nichts.«
»Und Bücher? Gibt es hier auch keine Bücher mehr?«
»Ein paar Wälzer sicher - alte Schinken, die niemand mehr braucht.«
»Mein erster Befehl wird sein, dass keine Bücher mehr verschwinden dürfen. Mein Leben lang habe ich davon geträumt, eine alte Bibliothek zu besitzen.«
»Ach, das ist dein Problem«, meinte Juffin und nickte verständnisvoll. »Schau dich ein wenig um, wenn du willst. Ich muss ins Haus an der Brücke. Majestät werden hoffentlich nicht vergessen, heute Abend zur Arbeit anzutreten.«
»Nein, nein. Als König kann ich Ihnen versichern, dass mir diese lästige Pflicht bewusst ist. Wenn ich erst richtig König bin, werde ich meine Minister statt meiner ins Haus an der Brücke schicken. Bitte sagen Sie Melifaro, er soll nicht allzu fleißig arbeiten und ruhig abends in meine alte Wohnung gehen.«
»Das tut er sicher gern. Ich glaube, er sieht am liebsten Krimis und versucht, möglichst rasch herauszufinden, wer der Täter ist. Sein Rekord steht bei anderthalb Minuten.«
»Genial!«, rief ich begeistert. »In dem Jungen sind noch etliche Talente verborgen.«
Juffin fuhr davon, und ich blieb in meiner künftigen Residenz zurück. Inzwischen fand ich meine neue Rolle lustig. Diese Einstellung hätte ich von vornherein haben sollen.
Das Weiche Haus gefiel mir. Ich hatte das Gefühl, es im Laufe der Zeit in einen Ort verwandeln zu können, in dem es sich angenehm leben ließe.
Ich ging durch leere und dunkle Flure und landete auf einem Aussichtstürmchen. Dort roch es staubig, und ich öffnete das Fenster. Der frische Wind, der vom Churon heranwehte, wirkte Wunder.
Ich sah aus dem Fenster und war entzückt. Von dort oben bot sich mir ein erstaunlicher Blick auf Echo. Das Gebäude gehörte zu den höchsten in einer Stadt, in der fast nur zwei- bis dreistöckige Bauten errichtet wurden.
Ich setzte mich auf die Fensterbank und sah hinunter auf die Mosaikgehsteige und den silbern glitzernden Churon. Diese wunderbare große Stadt, von der ich als Kind so oft geträumt hatte, war für mich Wirklichkeit geworden. Ich hatte sie erst verlassen und wieder nach Echo zurückkehren müssen, um zu begreifen, welches Glück es war, hier zu sein.
Ich beschloss, mich bei der Stadt für mein Leben hier zu bedanken, lehnte mich aus dem Fenster und rief in alle Richtungen: »Danke!« Dann musste ich plötzlich lachen, setzte mich auf den Boden und sagte zu mir: »Alles klar, mein Freund. Und in Zukunft bitte etwas weniger Pathos.«