»Halt die Fresse«, wiederholte der Anführer, als sei das seine einzige Antwort auf alles.

»Wir müssen das Baby zu einem Arzt schaffen«, fuhr Dave trotzdem fort. »Seine Mutter ist tot. Und mein Kollege ist verwundet.«

»Wir sind von der Polizei«, wagte Carl den Versuch.

»Klar doch. Und ich bin der Bürgermeister«, kicherte der Junge mit dem Revolver. Er schien der zweite in der Hierarchie zu sein.

»Wo seid ihr hergekommen? « wollte der Anführer wissen. »Aus dem Farmhaus von den Millers dort unten.« Dave zeigte den Hügel hinunter. Dann tätschelte er das Baby und versuchte, es zu trösten, da es noch immer fürchterlich schrie. »Alle anderen wurden umgebracht. Die Mutter von dem Kleinen hier ist tot. Ihr könnt ja hingehen und nachschauen. « Einer der Jungen kicherte. »Sicher... und uns von all den Monstern da unten zerfleischen lassen.« Dave hatte erkannt, daß Carl und er von den Jungen keine Unterstützung erwarten konnten. Es war also ratsam, ihre Energie auf irgend etwas zu lenken, ehe sie zu gefährlich wurden. Wenn er Glück hatte, konnten Carl und er mit dem Baby und ihren Waffen entkommen. Er überlegte sich ein Argument. »Ihr seht doch, daß wir weder Geld noch irgendwelche Wertgegenstände besitzen. Warum gebt ihr uns nicht einfach unseren Revolver zurück, damit wir uns schützen und für das Baby etwas zu essen finden können? « Er sah den Anführer an.

»Nicht dumm, der Versuch«, gab der Anführer zu. »Aber den Revolver behalten wir. Wir brauchen ihn selbst. Im Augenblick heißt es >Jeder für sich!< - das solltet ihr doch wissen.« Er lachte grausam. »So, und jetzt bewegt euch!« Er hob seinen Bogen und zielte mit einem Pfeil auf Daves Brust. Dave und Carl zögerten. Die anderen Mitglieder der Bande richteten ihre Waffen ebenfalls auf sie. Der Junge, der den Revolver ergattert hatte, entsicherte ihn. Wenn er auf den Auslöser drückte, würde ein Schuß losgehen. »Los, bewegt euch, habe ich gesagt!« brüllte der Anführer. Von der Anstrengung, seiner Stimme Kraft zu verleihen, vibrierte der Pfeil ein bißchen.

Widerstrebend begannen Carl und Dave, der das noch immer schreiende Baby im Arm trug, den Abstieg den Hügel hinunter zur Straße.

Der Anführer rief hinter ihnen her und wies mit dem rechten Arm, der den Bogen hielt, in der dem Haus der Millers entgegengesetzten Richtung die Straße entlang: »Weniger als fünf Kilometer von hier gibt es noch eine Farm! Vielleicht könnt ihr dort Hilfe kriegen!«

»Zur Hölle mit ihnen«, fluchte der zweite in der Hierarchie und streichelte dabei den Revolver. »Sollen sie doch auf sich selber aufpassen. Vor allem, wenn sie wirklich Bullen sind. Und wenn sie einen Anruf durchgeben und uns die Kollegen auf den Hals hetzen? «

»Keine Sorge, die Telefonleitungen sind tot«, erwiderte der Anführer. »Und außerdem sind wir längst über alle Berge, ehe uns irgendwer was anhaben kann. Was meint ihr, wollen wir uns mal die Farm anschauen, von der sie gesprochen haben? Wenn da wirklich alle tot sind, können wir vielleicht problemlos Beute machen.«

Auf ein Zeichen des Anführers rannte die Bande schreiend und johlend den Abhang hinunter in Richtung der Stätte von Tod und Entsetzen.

Dave und Carl brauchten eine gute Stunde, um zu dem nächsten Farmhaus zu gelangen. Während des Marsches, der für Carl unendlich qualvoll war, schrie das Baby, bis es, von Hunger und Erschöpfung geschwächt, einschlief. Dave, der es trug, beobachtete wachsam die Umgebung nach etwaigen Überfällen. Die beiden Männer kamen nur langsam voran. Sie hielten sich zur Deckung im Gebüsch am Straßenrand, wenn immer sie dazu in der Lage waren. Das Gelände ober- und unterhalb der Straße war hügelig und so dicht mit undurchdringlichem Gestrüpp überwuchert, daß es nicht möglich war, dort entlangzuschleichen, schon gar nicht für Carl in seinem gegenwärtigen Zustand.

Carls Fieber war weiter angestiegen. Sein Hemd triefte vor Schweiß und er wurde mit jedem Schritt schwächer. Den letzten Kilometer legte er taumelnd und halb stolpernd zurück, weigerte sich aber, aufzugeben, während er gegen einen Anfall von Fieberwahn oder Bewußtlosigkeit ankämpfte. Sie hatten höllische Angst anzuhalten und taten es dennoch ein paarmal, damit Carl sich ein bißchen erholen konnte. Aber diese Ruhepausen halfen nicht. Es schien besser zu sein, wenn er in Bewegung blieb, und über die letzten achthundert Meter versuchte Dave, seinen Kollegen zu stützen und halbwegs zu tragen. Wenn sie das Farmhaus erreichten, sagte er sich, bestand eine gewisse Hoffnung auf Hilfe. Falls es ein Farmhaus gab. Falls die Jungenbande sie nicht angelogen hatte. Die Straße machte eine Kurve und sie entdeckten zwischen den Bäumen hindurch einen kleinen Schuppen. Gleichzeitig fanden sie ein totes Huhn auf der Straße. Kommentarlos setzten sie ihren Weg fort, und nachdem sie ein paar Meter an der Baumgruppe, die den Hühnerstall verdeckte, vorbeigegangen waren, sahen sie ein weißes Fachwerkhaus knapp vierzig Meter von der Straße entfernt. Instinktiv traten die beiden Männer in den Schutz eines gewaltigen Baumes. Sie lugten dahinter hervor und ließen den Blick prüfend über die baumbestandene Wiese vor dem Haus gleiten. Reglose, tote Gestalten lagen auf der Wiese, Überreste von Tieren und einige Humanoide, Leichenfresser, die offenbar überwältigt worden waren. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Offenbar hatte das Haus einem Überfall standgehalten. Die beiden Männer schauten einander an und trafen wortlos eine gemeinsame Entscheidung. Sie traten hinter dem Baumstamm hervor. Ein Schuß krachte und Carl wurde zurückgeschleudert und stürzte tödlich getroffen zu Boden. Einen Augenblick lang rührte Dave sich nicht. Er starrte auf den erstaunten Ausdruck in Carls Gesicht und auf das Blut, das durch seine Hemdbrust sickerte. Dann erschallte eine Salve von Gewehrschüssen und Dave duckte sich und rollte sich in Deckung. Er landete in einer Vertiefung hinter einem niedrigen Gebüsch. Er hatte sich bemüht, das Baby dabei zu schützen, und es war ihm offenbar gelungen - das Neugeborene schrie aus vollem Halse, sein kleiner Körper wurde von Schluchzern geschüttelt, die so heftig waren, daß es aussah, als könne es das nicht durchstehen. Dave fürchtete, das Baby würde sterben. Er drückte sich, so tief er konnte, in die kleine Mulde und lugte vorsichtig über den Rand, dann zurück zu Carls Leiche neben dem Baum. Er sah jetzt, was er vorher noch nicht gesehen hatte: Außer der Schußwunde in der Brust war Carl ein Teil des Schädels weggefetzt worden, vermutlich von einem der Geschosse der Salve, die auf den ersten Schuß gefolgt war. Erleichtert, wenn auch mit Schuldgefühlen, stellte Dave fest, daß Carl nicht wieder aufleben würde. Er würde nicht einer von ihnen werden. Dann schauderte er, als ihm der Kummer über den Tod seines Freundes zutiefst bewußt wurde. Und alle diese Gefühle mischten sich mit dem Wissen, daß er und das Baby in der Falle saßen und daß er einen Ausweg finden mußte, um zu überleben. Die Leute in dem Farmhaus hatten Carl und ihn für angreifende Humanoide gehalten und hatten geschossen, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Das Baby schrie herzzerreißend. So laut, daß Dave überzeugt war, man müsse es vom Haus aus hören. » Hilfe! Bitte!« schrie er über die Wiese. »Ich habe ein Baby! Bitte helfen Sie mir!«

Ein weiterer Schuß krachte und traf ins Laub. Dann herrschte wieder Stille. Dave versuchte es noch einmal. Er legte die Hände als Trichter vor den Mund. »Ich habe ein Neugeborenes bei mir, das verhungert. Bitte! Sie brauchen mir nicht zu helfen - aber, um Himmels willen, nehmen Sie das Baby!« Dann wartete er. Es blieb still. Er wartete eine endlos scheinende Weile. Dann klang plötzlich eine Stimme aus dem verbarrikadierten Haus: »Sie da draußen! Zeigen Sie sich!« Dave zögerte. »Zeigen Sie sich in Gottes Namen!« befahl die Stimme wieder. »Wir müssen sicher sein, daß Sie nicht eins von diesen Dingern sind!«

Dave spürte Wut in sich aufsteigen. Er wollte denjenigen, der da rief, wissen lassen, daß er seinen Kollegen schon umgebracht hatte, weil ihm der Finger zu locker am Abzug saß, aber er zog es vor, im Moment lieber ruhig zu bleiben. Wenn sie erfuhren, daß sie einen Menschen getötet hatten, würden sie vielleicht vorziehen, keine Zeugen übrigzulassen. Dave hielt sich wieder die Hände als Trichter vor den Mund und brüllte: »Ich komme heraus. Schießen Sie um Himmels willen nicht! Ich bin ein Mensch - und ich habe ein neugeborenes Baby bei mir!«

Aus unerfindlichen Gründen hörte das Baby plötzlich auf zu schreien. Dave schaute es an, um zu sehen, ob es noch am Leben war, aber, sagte er sich, selbst wenn nicht, würde er es benutzen, um sich Zugang zu dem Farmhaus zu verschaffen. Er stand auf und hielt das Neugeborene deutlich sichtbar hoch über seinen Kopf. Dann stieg er mühsam aus der Vertiefung und unter dem Schutz eines überhängenden Astes hervor, so daß man ihn vom Farmhaus deutlich erkennen konnte. Langsam ging er mit dem Baby im Arm auf das Haus zu. Er sah das Metall von Gewehrläufen aus den mit Brettern vernagelten Fenstern aufblitzen und versuchte sich bereitzuhalten, um in Deckung zu gehen, falls ein Schuß abgegeben würde.

Eine tote Ziege lag im Garten nahe bei dem Haus. Ihre Knochen waren teilweise so sauber, als hätten Geier sich daran gelabt. Die Ziege war von einem Schuß direkt neben dem rechten Auge getroffen worden. Die Augenhöhle war blutverkrustet und die teilweise sichtbare Pupille starrte daraus hervor.

Zwanzig Schritte vor dem Hauseingang blieb Dave stehen. Er hielt das Baby noch immer in die Höhe. »Dieses Baby wurde in der letzten Nacht geboren«, rief er in Richtung eines zersplitterten Fensters, aus dem ein Gewehrlauf ragte. »Die Mutter starb bei seiner Geburt. Sie hieß Karen Miller und war Ihre Nachbarin ein Stück weiter die Straße hinunter. Das Kleine hat noch nichts zu sich genommen. Würden Sie bitte so freundlich sein, ihm etwas Milch zu geben? « Dave ließ das Baby herunter und kuschelte es an seine Brust. Er spürte sein schwaches Atmen. Wenn die Leute da drin jetzt noch immer nicht begriffen hatten, daß er ein Mensch war, sagte er sich, dann würden sie es nie begreifen. Eine Männerstimme schallte hinter dem vernagelten Fenster hervor. »Wir haben keine Milch. Unsere Ziege ist tot, sehen Sie das nicht?«

Noch ehe Dave antworten konnte, dröhnte die Männerstimme wieder. »Woher sollen wir wissen, ob Sie nicht einer von diesen Plünderern und Vergewaltigern sind, die hier herumstreunen? Wir kennen Karen und ihre ganze Familie. Sie waren zur Beerdigung unserer Tochter hier. Vielleicht haben Sie sie ausgeraubt und umgebracht.«

»Mein Name ist Dave Benton und ich bin Beamter der Staatspolizei«, stellte Dave sich vor. Er wiegte das Baby, das wie auf Kommando wieder zu schreien anfing. Dave hoffte, das würde ihm ein bißchen Sympathie einbringen. Es wirkte. Hinter dem zersplitterten Fenster hörte er eine Frauenstimme. »Henry, das Baby! Um Himmels willen, laß den Mann doch herein!«

Der Gewehrlauf verschwand aus dem Loch in der Scheibe, und kurz darauf hörte Dave, wie drei Riegel an der Tür einer nach dem anderen zurückgeschoben wurden. Die Tür öffnete sich und Dave schaute ängstlich hinüber. Das Baby schrie noch immer. Ein Mann und eine Frau mittleren Alters standen auf der Schwelle. Der Mann hielt weiterhin seine Waffe auf Dave gerichtet und musterte ihn mißtrauisch. Die Frau wirkte freundlicher. Sie hatte ihr graues Haar zu einem Knoten aufgesteckt und trug ein ausgebleichtes Buntdruckkleid. Der Mann hatte einen Overall und ein Flanellhemd an. Sein wettergegerbtes Gesicht war hart und runzlig. Er hatte eine Glatze. Es waren Mr. und Mrs. Dorsey, die Eltern des toten Kindes, zu dessen Beerdigung Bert Miller mit seinen drei Töchtern erschienen war. Mrs. Dorseys Gesicht hellte sich auf, als sie das Baby sah. Dann warf sie ihrem Mann einen Blick zu und drückte den Gewehrlauf nach unten, so daß er nicht mehr auf Dave und das Baby zielte. »Also, dann machen Sie schon, daß Sie hereinkommen«, forderte sie Dave auf, als sie sein Zögern sah, und trat beiseite, um ihn einzulassen. Dave folgte den Eheleuten ins Haus und schaute zu, wie Henry Dorsey die Tür wieder verriegelte. Mrs. Dorsey nahm das Baby in den Arm und sah es liebevoll und besorgt an. »Wir müssen Milch für das Baby finden, sonst verhungert es«, mahnte Dave. »Es hat seit seiner Geburt noch nichts zu sich genommen.«

Mr. Dorsey wirbelte herum. »Kann Ihnen damit nicht dienen, hab' ich Ihnen doch schon gesagt. Unsere Ziege ist tot.« Er wies mit dem Daumen in die Richtung eines großgewachsenen jungen Mannes, den Dave bislang noch nicht bemerkt hatte und der in der Ecke des Zimmers auf einem Schaukelstuhl saß. »Mein Sohn hat die Ziege abgeknallt. Hielt sie für eins von diesen toten Dingern. Was das Hirn angeht, hat der Junge nicht allzuviel abgekriegt. Schlägt nicht nach seinem Vater. Das Ärgerliche ist...« Er fing sich wieder. »Von der Polizei sind Sie, haben Sie gesagt? «

»Ja. Mein Kollege und ich wurden von einer Bande von Plünderern überfallen. Sie haben uns die Uniformen abgenommen. Jetzt ist er tot.«

Nur das leise Tätscheln von Mrs. Dorseys Hand war zu hören, die das Baby an ihren Busen drückte. Niemand wußte etwas zu sagen. Das Baby hatte aufgehört zu weinen. Mr. Dorsey warf seinem geistig minderbemittelten Sohn einen giftigen Blick zu, und der junge Mann ließ den Kopf hängen und machte sich ganz klein in seinem Schaukelstuhl, den er angehalten hatte. Dave begriff, daß es der Sohn gewesen sein mußte, durch dessen gedankenlosen Schuß Carl getötet worden war, und daß sich der Vater ihm dann angeschlossen hatte. »Wir werden uns darum kümmern, daß er ein anständiges Begräbnis bekommt, wenn wir können«, versprach Mrs. Dorsey. »Viel ist es nicht, aber das ist alles, war wir zu tun vermögen.« Ihre Worte hingen in der Luft und trösteten niemanden.

Der trottelige Sohn rang die Hände und schmollte verängstigt in seinem Schaukelstuhl, der quietschend wieder angefangen hatte, hin und her zu schaukeln.

»Hätten Sie nicht vielleicht ein bißchen Pulvermilch? Oder kondensierte Dosenmilch?« fragte Dave. Mrs. Dorsey schüttelte den Kopf. »Wir leben nur von den Konserven, die ich im letzten Herbst gemacht habe«, erklärte sie mit gesenktem Blick. »Und wenn wir uns noch länger hier verbarrikadieren müssen, werden die nicht mehr lange reichen.«

»Gibt's irgendwo in der Nähe einen Ort, wo ich Milch finden könnte?« Dave schaut zwischen den Eheleuten hin und her. Es war Mr. Dorsey, der antwortete. Seine Stimme klang rauher und härter, als er beabsichtigt hatte. »Im Umkreis von Kilometern gibt's hier keine Häuser. Außer dem Kingsley-Besitz. Und dem der Millers.«

»Kingsley?« fragte Dave, der sich an den Namen erinnerte. »Der Kingsley Country Club ist acht Kilometer weiter nördlich, die Landstraße entlang über den Hügel. Da fängt der Golfplatz an. Vier Kilometer weiter ist der Club und noch mal anderthalb oder so dahinter das Landhaus. Kingsley gehört so ziemlich das ganze Gebiet. Aber ich würde sagen, Sie haben mehr Chancen bei der Tankstelle.« »Tankstelle? «

»Die Tankstelle von Log Cabin. Nicht ganz zwölf Kilometer nach Süden auf der Hauptstraße. Dort verkaufen sie auch Brot und Milch - normalerweise jedenfalls.« Dave wog die Information im Geiste ab. Wenn er irgendein Transportmittel und eine Waffe bekäme, könnte er versuchen, bis zu der Tankstelle zu gelangen und Milch und Nahrungsmittel zu besorgen. Anschließend könnte er sich dann John Carter und seine Bande vorknöpfen. Und sich um die gefangenen Miller-Töchter kümmern. Mr. Dorsey beobachtete Dave und las in seinen Gedanken. »Ich habe zwei Laster und einen Pkw. Wenn Sie's riskieren wollen, kann ich Ihnen den Pkw geben. Und sogar ein Gewehr. Wir behalten das Baby hier - als Pfand.« »Wenn Sie das tun, dann will ich's riskieren«, beschloß Dave und schaute dabei Mr. Dorsey fest in die Augen. »Wir dürfen das Baby nicht verhungern lassen - nach allem, was es durchgemacht hat. Mit Ihrer Hilfe überlebt es vielleicht.« »Ich werde mein Bestes tun, während Sie weg sind«, versprach Mrs. Dorsey. »Ich werde einen dünnen Tee machen und ihn damit füttern, zum Stimulieren. Der Arzt hat mir das bei meinem Erstgeborenen geraten, als er gegen Milch allergisch war und nicht viel anderes essen konnte. Ich geb' ihm nicht viel, nur ein bißchen, um zu sehen, ob's was nützt.« Dave schwieg. Es war ihm unmöglich, den Eheleuten zu danken, nachdem der Mann oder sein Sohn Carl erschossen hatte. Aber sie versuchten jetzt, nett zu sein. Vielleicht, um etwas wiedergutzumachen. Dave war nicht undankbar. Aber nichts konnte Carl wieder lebendig machen. Der schwachsinnige Sohn saß auf seinem Schaukelstuhl und schaukelte hin und her, hin und her, und der Stuhl quietschte dabei.

Von geistiger und körperlicher Erschöpfung übermannt schliefen Ann und Sue Ellen auf dem Rücksitz des Streifenwagens mit Wade Connely am Steuer ein. Er folgte noch immer dem Lastwagen. Sie fuhren mit etwa achtzig Stundenkilometern und weniger als drei Wagenlängen Abstand voneinander. Wade wollte dicht hinter dem Laster bleiben, weil er das Gefühl hatte, der Lkw könnte ein Hindernis überrollen ohne außer Kontrolle zu geraten, und er traute dem Polizeiwagen das nicht ohne weiteres zu. Falls eine von den toten Kreaturen auf der Fahrbahn auftauchte, dann wollte Wade, daß der Lkw sie als erster erwischte.

John Carter schaute in den Rückspiegel. Ihm gefiel es gar nicht, wie der andere sich hinter ihn geklemmt hatte. Er schaltete seine Warnblinkanlage ein, um Wade Zeichen zu geben. »Achtung!« schrie Flack, duckte sich und hielt sich die Augen zu.

Carter sah drei Humanoide im Strahl der Scheinwerfer mitten auf der Fahrbahn auftauchen. Carter trat auf die Bremse, was ein großer Fehler war. Der Laster schlingerte, traf zwei der lebendigen Toten und fegte sie zur Seite. Wade mußte eine Notbremsung durchführen, um nicht auf den Laster aufzufahren, und der Wagen rutschte mit quietschenden Reifen und dem Gestank von verbranntem Gummi neben den Lkw, erfaßte den dritten Humanoiden und schleuderte ihn mit flatternden Gliedmaßen in die Höhe, über die Motorhaube des Polizeiwagens und durch die Windschutzscheibe. Wade schrie auf und der Wagen geriet außer Kontrolle. Er schoß durch eine Leitplanke die Böschung hinunter und krachte gegen einen Baum.

Das alles spielte sich in ETuchteilen von Sekunden ab, und Carter und Flack sahen den Unfall teilweise durch die Rückspiegel. Carter brachte den Lkw am Straßenrand zum Stehen. Er und Flack packten jeder eine Taschenlampe und rannten mit gezogenen Revolvern zur Unfallstelle. Der Leichenfresser, der durch die Windschutzscheibe geflogen war, wurde bei dem Aufprall gegen den Baum geschleudert und lag nun wie eine Stoffpuppe am Boden. Er röchelte mühsam und bewegte schwach einen Arm wie ein Insekt, das man zertreten hat und das sich zu sterben weigert. Flack trat hinzu, richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf ihn und gab einen wohlgezielten Schuß genau zwischen die Augen ab. Jetzt rührte er sich nicht mehr, nachdem ein Teil seines Schädels weggefetzt worden war.

Wade Connely war tot. Sein zerschmetterter Schädel und sein zerschnittenes Gesicht ragten durch die Windschutzscheibe. Sein Genick war säuberlich fast vollständig durchgetrennt.

Obwohl der Motor, der durch den Aufprall völlig zerstört worden war, nicht mehr lief, brannten die Scheinwerfer noch immer auf Batteriestrom ebenso wie die Innenleuchte, da eine der Hintertüren aufgesprungen war. Die Mädchen auf dem Rücksitz lebten noch und schienen einigermaßen heil davongekommen zu sein. Sie saßen dicht aneinandergedrängt, gefesselt und mit verstopften Mündern, unfähig, sich zu bewegen. Sie hatten die Augen weit aufgerissen und in ihren Gesichtern stand nackte Angst. Carter und Flack halfen den Mädchen beim Aussteigen und schubsten sie vor sich her zum Lastwagen. Zuvor hatte Carter die Kabel von der Batterie losgerissen, damit die Scheinwerfer ausgingen und keine Aufmerksamkeit erregten. Dann, im Bewußtsein dessen, was geschehen würde, wenn er es nicht täte, leuchtete er mit der Taschenlampe auf Wades Gesicht und gab einen Schuß in seinen Schädel ab.

Flack klappte die Ladeklappe des Lasters herunter und zwang die Mädchen, auf die Ladefläche zu klettern. Sie mußten sich auf die Seite legen, damit er sie in dieser Position an dem schweren Generator festbinden konnte. Er wollte verhindern, daß sie sich aufrichten und Passanten auf sich aufmerksam machen könnten. Nachdem er sein Werk vollendet hatte und die Rückklappe wieder verschlossen war, stieg er neben Carter in die Fahrerkabine, und sie rollten zurück auf die Landstraße in Richtung des Kingsley-Grundstückes. Es blieb weniger als eine Stunde bis zum Tagesanbruch, und sie wollten in der Lage sein, den Besitz in der Morgendämmerung anzugreifen. Der Verlust des Streifenwagens bedeutete ein Handicap. Er hätte für die Glaubwürdigkeit ihrer Verkleidung als Staatspolizisten gute Dienste geleistet. Carter würde sich jetzt allein auf die Wirkung der Uniform verlassen müssen. Unterwegs diskutierte er mit Flack über die Angelegenheit und sie überlegten sich, wie sie die Kingsleys überrumpeln könnten.

Auf der Ladefläche des Lastwagens lagen Sue Ellen und Ann gefesselt auf der Seite und mußten eine weitere holprige, furchterregende Fahrt über sich ergehen lassen. In ihrem Bewußtsein wirbelten beängstigende, unzusammenhängende Gedanken durcheinander. Ann hatte eine Verletzung an der Stirn, die schmerzte - nicht so stark, daß sie das Gefühl hatte, es sei ernsthaft, aber doch heftig genug, um die Qualen und die Panik, denen sie ausgesetzt waren, noch zu verschlimmern. Der Knebel in ihrem Mund war von Speichel durchtränkt und schmeckte faulig und säuerlich. Ihr war übel und sie stand kurz davor, sich zu erbrechen, doch sie mußte dagegen anschlucken, um nicht zu ersticken. Sue Ellen lag, so still sie konnte, sie war viel zu erschöpft, um noch zu weinen. Ihre Wange vibrierte auf dem rauhen Metall der Ladefläche. Sie hatte keine Ahnung, wo man sie hinbrachte, und es war ihr längst alles egal. Sie war überzeugt, daß sie und Ann bald tot sein würden. Wenn sie auf dem Rücksitz des Polizeiwagens nicht geschlafen hätten und nicht so entspannt gewesen wären, hätten sie vielleicht den Unfall nicht überlebt. Und das wäre vielleicht das beste gewesen - ohne Vorankündigung einfach ausgelöscht, ahnungslos, was mit ihnen passierte. Flack und Carter hätten ihnen zweifellos in die Schädel geschossen, um ihren Tod vollständig zu machen, und sie hätten friedlich für immer ruhen können.

Dave fuhr Mr. Dorseys Wagen, so schnell er konnte, und hielt dabei wachsam Ausschau nach irgendwelchen Gefahren auf der Straße. Es war ein Chevrolet von 1956, verrostet und verdreckt, schwer zu starten und noch schwerer zu steuern, mit ausgeschlagener Lenkung und kaum vorhandenen Bremsen. Er rappelte und klapperte über die Schotterstraße und schaffte es nicht über fünfundsechzig Stundenkilometer. Die Straße war erstaunlich frei von Leichenfressern. An einer Stelle entdeckte er eine Gruppe von ihnen, weit entfernt von der Straße in einem Feld. Sie schienen dort einfach still zu stehen, ohne irgend etwas zu tun, als ob sie nicht wüßten, was sie tun sollten. Dave überlegte, daß die lebendigen Toten vielleicht mit jedem neuen Tag eine Art Lähmung zu überwinden hätten, so als sei die Morgendämmerung und das Auferstandensein von den Toten eine Überraschung für sie. Oder vielleicht hatten sie einfach alles, was es in diesem abgelegenen Gebiet an einsamen Bauernhöfen gab, schon abgegrast, und waren drauf und dran, neue Gefilde mit reichlicheren Vorräten an Menschenfleisch aufzusuchen. Dave schauderte.

Er mochte sich nicht vorstellen, daß diese Humanoiden vielleicht des Denkens fähig wären. Sie wären noch grauenerregender, wenn sie tatsächlich denken könnten. Er dachte an seine Frau und an seinen Sohn, die nicht wußten, daß er noch am Leben war. Er hatte noch immer Hoffnung, sie wiederzusehen. Sie befanden sich vermutlich einigermaßen in Sicherheit in der Wohnung in dem großen Hochhaus im Zentrum der Stadt. Vor zehn Jahren während der Krise waren die Städte recht gut geschützt worden. Die Polizeikräfte waren zentralisiert und die Kommunikation konnte aufrechterhalten werden. Es waren die ländlichen Gebiete gewesen, die damals - wie heute - am schlimmsten betroffen wurden. Dave und seine Frau hatten vor, so bald als möglich aus der Stadt zu ziehen. Dave mußte sich widerwillig eingestehen, daß es vermutlich ein Glück war, daß sie es sich bislang noch nicht hatten leisten können.

Carl Martinelli war nicht verheiratet gewesen. Wenn Dave wieder in die Stadt kam, würde er Carls italienische Eltern über den Tod ihres Sohnes unterrichten müssen. Er würde betonen, daß Carl starb, als er versuchte, das Leben eines Kindes zu retten. Wenigstens war er nicht von den Humanoiden getötet worden, und es bestand vielleicht die Möglichkeit, seine Leiche für ein kirchliches Begräbnis nach Hause zu bringen, was seine Eltern wahrscheinlich wünschten. Dave schaltete das Autoradio ein und warf gleichzeitig einen Blick auf das Gewehr, das neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Er hatte das Radio bislang noch nicht ausprobiert. Offenbar hatte der erbärmliche Zustand des Wagens ihn zu der Annahme geführt, daß das Radio in einem solchen Schrotthaufen unmöglich intakt sein konnte. Aber es funktionierte doch und die Stimme eines Sprechers war zu hören. »...werden wir lebendig und zu fleischverzehrenden Monstern, zu Kreaturen, die nach lebendigem Fleisch lechzen, um zu überleben? Wissenschaftler haben die Leichen der lebendigen Toten untersucht, die durch die Zerstörung des Gehirns immobilisiert worden waren. Eine Theorie besagt zur Zeit, ich zitiere: Die toten Zellen frischer Leichen scheinen durch eine bislang unbekannte Art von Malignität wiederbelebt zu werden. Mit anderen Worten handelt es sich also um eine unbekannte Form von Krebs oder eventuell um einen Virus, der tote Zellen wieder lebendig macht. Sie werden dabei nicht >lebendig< im üblichen Sinne, sondern stellen eine bösartige Lebensform dar, die den Menschen in eine Kreatur verwandelt, die in den meisten Aspekten tot ist. Die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler ist überzeugt, daß es sich um etwas handelt, das in der Luft ist, etwa um einen durch Pollution entstandenen Virus, eine merkwürdige Mischung aus karzinogenen Chemikalien, die tote Zellen angreifen, sie aktivieren und den Toten zu einem lebendigen Tod erwecken, einer aktivierten Leiche, die von der Gier nach lebendigem Fleisch getrieben wird. Es wurde festgestellt, daß der >Tod< oder sagen wir die >Immobilisierung< der Leichen durch die Zerstörung des Gehirns herbeigeführt werden kann. Wenn das Gehirn nicht mehr arbeitet, hören auch alle Drüsen-und Kreislauffunktionen auf; die Kreatur kann zumindest unbeweglich gemacht werden...«

Dave lenkte den Wagen auf den Kies der Einfahrt zur Tankstelle von Log Cabin, bremste und stellte den Motor ab. Der Ort war ausgeplündert worden. Die Schlösser an zwei Tanksäulen waren abgebrochen und Fenster eingeworfen worden. Die Eingangstür hing schief in den Angeln. Niemand war zu sehen. Kein Tankwart tauchte auf und Dave erwartete auch keinen, obwohl er über einen Luftschlauch gerollt war, der die Klingel zweimal hatte läuten lassen. Dave ließ mit Mr. Dorseys Gewehr im Anschlag seinen Blick wachsam über das Gelände gleiten, dann stieg er aus und näherte sich dem Gebäude. Er drückte sich an die Wand und schlich bis zum Eingang. Nichts rührte sich. Der Ort wirkte völlig verlassen. Mit dem Fuß stieß Dave die Tür ein Stück weiter auf und trat vorsichtig ein. Seine Augen gewöhnten sich an das dämmrige Licht. Das Innere der Tankstelle wurde nur von draußen schwach erhellt. Ein paar Regale waren umgestürzt und halb leer, die Lade der Kasse war herausgezogen worden und enthielt nur ein paar Cents. Das, was an Wertgegenständen in dem Laden gewesen sein mochte, war fort.

Ein Klicken und dann ein Summen ließen Dave zusammenschrecken. Es war das Summen eines Kühlschranks. Dave hatte angenommen, daß es keine Elektrizität mehr gäbe und daß die Milch, falls es welche gab, sauer geworden wäre. Er schaute sich um und entdeckte den Kühlschrank an der hinteren Wand am Ende einer Reihe von Regalen. In ihnen standen ein paar Konserven, weitere Dosen lagen über den Boden verstreut und Dave stolperte über einige von ihnen. Er machte den Kühlschrank auf, die Innenleuchte schaltete sich ein, und zu seiner Überraschung fand er mehrere Kartons mit Milch, Orangensaft, Eiern und Käse. Alles war mit Preisschildern versehen und bereit zum Verkauf. Wie in so vielen Läden auf dem Land, die abgeschieden lebende Leute im Notfall versorgen, gab es hier nicht einen eleganten Vitrinenkühlschrank, sondern man begnügte sich mit einem alten Eisschrank. Dave hatte wirklich Guck. Wer immer der Plünderer gewesen war, er hatte den Eisschrank nicht ausgeräumt, vermutlich, weil die Sachen zu schnell verderben würden.

Dave fand Einkaufstüten und füllte sie mit allen Nahrungsmitteln, die er finden konnte, um sie Mr. und Mrs. Dorsey zu bringen. Dann lud er alles, so schnell er konnte, ins Auto, wobei er wachsam auf drohende Gefahren achtete.

»Sieht aus, als käme er nicht durch, der arme kleine Kerl.« Der Säugling lag in eine Decke gewickelt auf dem Sitz eines Sessels und Mr. und Mrs. Dorsey beugten sich über ihn. Mrs. Dorsey gab es auf, dem Neugeborenen ein bisschen warmen Tee einflößen zu wollen. Sie hatte den Tee in eine Nuckelflasche gefüllt, und der Schnuller war speichelnaß, nachdem er wieder und wieder verweigert worden war. Sie legte die freie Hand auf die Brust des Babys. »Er atmet noch - ich kann es fühlen«, flüsterte Mrs. Dorsey ganz leise, daß nur sie selbst es hören konnte. »Irgendwelche Anzeichen von den Dingern da draußen? « rief Mr. Dorsey seinem Sohn zu, der mit gekrümmtem Rücken vor dem Fenster stand, um durch einen Spalt zwischen den Brettern schauen zu können.

Der Junge schüttelte hilflos mit dem Kopf, als habe die Frage, auf die er keine Antwort wußte, ihn völlig überrumpelt. Er hatte ein Gewehr in der Hand. Er hielt es am Lauf, so daß die Mündung auf dem Boden aufkam. »Nee«, sagte er schließlich nach so langer Zeit, daß die Frage inzwischen schon in Vergessenheit geraten war.

Henry Dorsey ging ungeduldig hinüber und nahm dem Jungen das Gewehr aus der Hand, ehe der begriff, wie ihm geschah. »Wenn ich mir's recht überlege«, fuhr Dorsey ihn an, »setzt du dich vielleicht ein bißchen hin und überläßt deinem alten Vater die Waffe, bevor du wieder was abknallst, das nicht abgeknallt werden sollte.«

»Henry! Er atmet nicht mehr!« Mrs. Dorsey hatte sich entsetzt umgedreht.

Mr. Dorsey starrte aus der Mitte des Zimmers von seiner Frau zu dem Baby und zurück. Draußen hörte man einen Wagen in die Zufahrt einbiegen.

Der Sohn schaute durch einen Spalt zwischen den Brettern. »Ein Auto«, verkündete er triumphierend, als wäre es eine großartige Neuigkeit.

»Wessen Auto?« fragte Dorsey gereizt und schob seinen Sohn vom Fenster weg, um selber hinauszuschauen. Seine Hände umklammerten das Gewehr. Es war Dave, der die Wagentür aufmachte und die mit Nahrungsmitteln gefüllten Einkaufstüten herausholte. Dorsey sah seine Frau, die den Säugling auf den Arm genommen hatte, fragend an. »Ich bin nicht sicher, ob er noch ein bißchen atmet oder nicht. Ich glaube nicht«, brachte sie mit verängstigter, gequetschter Stimme hervor und begann, das Baby hin und her zu wiegen, als ob eine normale Behandlung es dazu brächte, normal zu sein.

Dave pochte an die Eingangstür.

»Leg ihn auf den Sessel - vielleicht ist er nur eingeschlafen«, sagte Mr. Dorsey. Er schaute seine Frau fest an, bis sie begriff, daß sie Dave zuliebe zumindest so tun sollten, als ob. Sie tat wie geheißen, zog dem Säugling die Decke über die Ohren und setzte sich auf den Sesselrand neben ihn. Im Halbdunkel des Zimmers wirkte die Szene ganz friedlich. Dorsey entriegelte die Tür, um Dave einzulassen. Der schwachsinnige Sohn hatte sich wieder im Schaukelstuhl niedergelassen, schaukelte quietschend hin und her und beobachtete die Anwesenden.

»Wie geht es dem Baby? « fragte Dave, stellte die Einkaufstüten auf den Boden und wühlte darin nach der Milch. »Fein«, erwiderte Mrs. Dorsey leise. »Ich habe ihm ein bißchen dünnen Tee gemacht, wie ich vorhatte. Jetzt schläft er.«

»Meinen Sie, wir sollten ihn aufwecken, um ihn zu füttern?« »Natürlich - kommen Sie mit, dann können Sie mir helfen, die Milch warm zu machen.«

Mit der Milch in der Hand folgte Dave Mrs. Dorsey in die Küche.

Henry Dorsey verriegelte die Tür, ging dann zu dem Säugling und schaute auf ihn hinunter. Er biß sich auf die Lippen. Sein Gesicht war angespannt und verriet einen abwesenden Ausdruck. Er überlegte, daß es, wenn das Baby starb, in Anbetracht der versehentlichen Erschießung des Polizisten zuvor, notwendig werden konnte, Dave ebenfalls zu töten. Dorsey war für das Überleben seiner Familie verantwortlich. Falls sie heil durchkämen, wollte er später nicht als Mörder vor Gericht gestellt werden.

Das Baby rührte sich und gab ein leises Wimmern von sich. Dorsey schaute es an und wußte nicht, ob er erleichtert oder noch furchtsamer sein sollte. Es atmete jetzt ganz deutlich, auch wenn das Atmen mühsam klang. Die Tatsache, daß das Baby zuvor zu atmen aufgehört zu haben schien, erschreckte ihn. Seine Frau hatte ernsthaft befürchtet, es sei gestorben. Vielleicht war es einfach nur sehr krank und schwach vor Hunger. Vielleicht konnte man es mit etwas warmer Milch und Fürsorge über die Krise bringen.

Dave und Mrs. Dorsey erschienen mit einem Fläschchenl mit warmer Milch. Dorsey wandte sich unter dem Vorwand, einen Blick durchs Fenster werfen zu müssen, ab, während seine Frau sich um das Baby kümmerte. »Er atmet sehr schwach«, berichtete Dorsey, um seine Frau in Kenntnis zu setzen. Ihre Augen leuchteten auf.

Mrs. Dorsey hielt dem Kleinen die Flasche an den Mund, der den Schnuller akzeptierte und hungrig zu saugen begann. Dave lächelte. Das Baby saugte gierig weiter. »Wir dürfen ihm am Anfang nicht zu viel auf einmal geben«, mahnte Mrs. Dorsey, »sonst wird ihm schlecht, dem armen kleinen Strolch.« Sie sah dabei weder Dave noch ihren Mann an, sondern starrte auf die Flasche und ihren schwindenden Inhalt. Ein Schuß krachte durch die Stille.

Dorsey hatte von seinem Posten am Fenster aus geschossen. Draußen im Garten standen drei Leichenfresser unter den überhängenden Ästen eines Ahornbaumes.

»Daneben«, kommentierte Dorsey und feuerte ein zweites Mal, nachdem er sorgfältig gezielt hatte. Einer der Leichenfresser stürzte an der Schulter getroffen zu Boden und strampelte, um wieder auf die Füße zu kommen.

»Zielen Sie auf den Kopf - das ist der einzige Weg, sie zu stoppen«, riet Dave und wünschte, er hätte das Gewehr selbst in der Hand, da Dorsey offensichtlich ein miserabler Schütze war.

»Meinen Sie, das weiß ich nicht?« schnaubte Dorsey und schoß erneut. Die Leichenfresser waren auf beinahe sechs Meter zur Eingangstüre herangekommen, und auf diese kurze Entfernung gelang Dorsey ein Volltreffer. Der Schuß ließ Blut und Hirnmasse aufspritzen und schlug einem der Angreifer eine Schädelhälfte weg.

Der Sohn der Dorseys kam mit einem anderen Gewehr an das Fenster gesprungen, wo Dave stand. Dave nahm ihm die Waffe aus der Hand, ehe er protestieren konnte. Dave bohrte den Lauf durch ein Loch in der Scheibe, zielte und feuerte. Der Schuß traf den zweiten Leichenfresser genau zwischen den Augen, und das tote Ding sackte unter der Wucht des Aufpralls rücklings zu Boden.

Dorsey schoß weiter auf den dritten Leichenfresser, doch der zog sich hinter einen Baum zurück, ob zufällig oder absichtlich, wußten die Männer nicht zu sagen. »Verflucht!« murmelte Dorsey. Das Zimmer roch nach verbranntem Schießpulver.

Dorseys Sohn hatte sich schmollend darüber, daß Dave ihm die Waffe weggenommen hatte, wieder in den Schaukelstuhl gesetzt und schaukelte quietschend hin und her. Dave hielt das Gewehr ungefähr auf die Stelle gerichtet, wo der Kopf des dritten Leichenfressers auftauchen würde, wenn er hinter dem Baum hervorkam. Der Kopf tauchte auf, Dave schoß und traf. Das Ding stieß einen merkwürdigen Laut aus und stürzte kopfüber. Seine Beine blieben in grotesker Position in einem niedrigen Gebüsch hängen. »Donnerwetter!« begeisterte sich Dorsey. Mrs. Dorsey hatte aufgehört, den Säugling zu füttern, und wiegte ihn in den Armen. Der Krach hatte ihn nicht zum Weinen gebracht, und er schien zu schlafen. »Das arme Kerlchen ist zu schwach, um überhaupt Angst zu kriegen«, sagte sie zu niemandem im besonderen. »Hoffentlich sind da draußen nicht noch mehr von denen«, meinte Dave. Er hatte sich vom Fenster abgewandt, nachdem er den Garten und die Umgebung aufmerksam mit den Augen abgesucht hatte. Er hielt noch immer das Gewehr in der Hand. »Wir haben sie alle erwischt«, strahlte Mr. Dorsey mit größerem Enthusiasmus, als Dave angemessen schien. Dave schaute den Mann dabei fest an, um ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen.

Dorsey räusperte sich und blickte zu seiner Frau hinüber. Der Schaukelstuhl quietschte weiter.

»Sie hatten erwähnt, der Besitz der Kingsleys liegt jenseits des Hügels?« fragte Dave.

Dorsey ließ sich auf einen Stuhl nieder und fing an, sein Gewehr wieder zu laden. »Nicht zu verfehlen. Vier Kilometer nach dem Golfplatz und dem Clubhaus, immer geradeaus. Sagen Sie..., Sie hatten doch nicht vor, meinen Wagen zu nehmen, oder? «

»Ich hatte gehofft, Sie würden ihn mir noch einmal leihen«, erwiderte Dave. »Sie sind bisher so freundlich gewesen. Die Kingsleys haben einen Haufen Schwierigkeiten. Die Bande von Plünderern, von der ich gesprochen habe, war auf dem Weg zu ihnen, und sie haben die beiden Miller-Töchter mitgenommen. Und Billy, Sue Ellens Freund.« Mrs. Dorsey starrte ihn entgeistert an. Henry Dorsey blies seinen Atem in einem langen, nachdenklichen Seufzer aus. »Na, ich denke, ich kann Ihnen den Wagen leihen«, entschied er schließlich. »Aber lassen Sie die Knarre hier. Ich hab' nur zwei - eine für mich und eine für meinen Sohn. Ich geb' Ihnen eine Axt und ein Messer.«

Dave lag es auf der Zunge zu entgegnen, daß Dorsey gut daran täte, seinen Sohn daran zu hindern, je wieder eine Waffe in die Finger zu kriegen, aber er sagte sich, daß es gescheiter war, den Mund zu halten und anzunehmen, was immer die Dorseys zu geben bereit waren. Er lehnte das Gewehr an die Wand neben der Tür, weil er nicht die Verantwortung dafür übernehmen wollte, es dem schwachsinnigen Sohn selbst auszuhändigen. Was Dorsey anschließend tat, war sein Bier. »Sie können das Baby hierlassen«, bot Mrs. Dorsey an. »Verlassen Sie sich darauf, daß ich mich darum kümmere, bis Sie wiederkommen.«

Mr. Dorsey hatte sein Gewehr geladen, prüfte und entsicherte es. »Wie gesagt, Sie können eine Axt, ein Messer und den Wagen haben. Das Baby lassen Sie bei uns. Wir werden dafür sorgen, so gut wir können.« Er dachte, daß, wenn Dave nicht zurückkäme, niemand jemals erfahren würde, daß sein Sohn den Polizisten erschossen hatte, und daß es kein Problem wäre, sich später den Säugling irgendwie vom Hals zu schaffen.

Unter einer Salve von Schüssen wurden die letzten Fensterscheiben des Farmhauses der Familie Miller zerschmettert. Die Belagerung ging weiter, das Haus war von bewaffneten Männern umstellt, die sich hinter Bäumen und im Gebüsch in Deckung hielten und wild drauflosfeuerten. Es waren Mitglieder von Sheriff McClellans Landwehr. Sie waren beim Absuchen des Geländes zu dem Haus gelangt, ohne zu wissen, was sie dort vorfinden würden. Sie hatten Geräusche aus dem Inneren des Hauses gehört und deren Urheber aufgefordert, sich zu zeigen. Zur Antwort hatten diese das Feuer eröffnet und die Männer des Polizeiaufgebots gezwungen, in Deckung zu gehen. Ein Mann war am Arm getroffen worden und wurde von einem Sanitäter versorgt.

Hinter einem Baum legte Sheriff McClellan die Hände als Trichter vor den Mund und brüllte: »Kommen Sie da raus oder wir räuchern euch aus!« Zur Bekräftigung seiner Worte prallten noch ein paar weitere Schüsse gegen das Haus. Die Truppe hatte es von allen Seiten umstellt.

»Hört auf zu schießen, Jungs!« rief der Sheriff wieder. »Gebt ihnen die Gelegenheit, sich zu ergeben!«

Eine ganze Weile lang war alles still. Dann klang eine Stimme aus dem Haus: »Nicht schießen!«

»Halten Sie die Hände hoch und kommen Sie raus!« befahl der Sheriff.

Er wartete. Man hörte, wie die Eingangstür entriegelt wurde. Schließlich öffnete sie sich knarrend und der Anführer der Jungenbande trat heraus, seinen Bogen über die Schulter gehängt, die Hände über dem Kopf. Weitere Jungen folgten mit erhobenen Händen. Sie hatten ihre Waffen im Inneren des Hauses zurückgelassen.

McClellan ließ seine Waffe sinken. Er wußte, daß seine Truppe die Bande unter Kontrolle halten würde. »Hergott im Himmel! Kinder!« bemerkte er verbittert. »Na, komm schon, Robin Hood. Okay, Männer, durchsucht sie und legt ihnen Handschellen an.«

Die Landwehrtruppe bestand aus Polizisten und freiwilligen Zivilisten. Einer der Uniformierten trat neben McClellan und schlug vor: »Wir sollten uns vielleicht das Haus vornehmen -wer weiß, was da sonst noch drin ist.«

Der Sheriff nickte zustimmend, und der Mann, der den Vorschlag gemacht hatte, sammelte ein paar Männer. Unter seiner Führung betraten sie wachsam und mit schußbereiten Waffen das Haus.

Einige der Polizisten hatten die Mitglieder der Bande gegen die Hauswand gescheucht, stießen sie herum, durchsuchten sie und legten ihnen Handschellen an. Ein paar von den Jungen sahen verängstigt aus oder den Tränen nahe, vor allem die Jüngeren. Aber der Anführer hatte seine Haltung bewahrt. Ein boshafter, sarkastischer Ausdruck in seinem Gesicht drohte jederzeit zu einem hämischen Grinsen auszuarten. Während er abgetastet wurde, rief er dem Sheriff über die Schulter zu: »Sie können uns nicht verhaften. Wir haben nichts getan. Wir haben das Haus gesehen, und es waren gerade keine von den Dingern da, und darum sind wir reingegangen, um uns zu verstecken.«

McClellan warf dem Jungen einen harten Blick zu, ehe er antwortete: »Ach ja? Und was habt ihr da drin gemacht?« Der Junge wirbelte herum, aber zwei der Uniformierten packten ihn rauh an den Handgelenken. »Da sind Leichen drin, aber das können Sie uns nicht anhängen. Wir waren's nicht.« »Mag sein, mag auch nicht sein«, entgegnete McClellan ruhig und unverbindlich. »Im Augenblick haben wir nicht die Zeit, das herauszufinden. Aber ihr steckt ganz schön in der Patsche. Es ist verdammt klar, daß ihr das Haus ausrauben wolltet.« »Einen Haufen von Toten berauben? « erwiderte der Junge boshaft und schaute den Sheriff geringschätzig an, als wäre er ein Idiot. Fast kicherte er im Anschluß an seine Frage. »Tote haben manchmal Verwandte«, erwiderte McClellan. »Schon mal dran gedacht, daß das, was sie hinterlassen, denen gehört? «

In dem Augenblick kam einer der Männer, die das Haus untersuchen gegangen waren, aus der Tür gestürmt. »Sheriff!« schrie er. »He, Sheriff! Im Obergeschoß sind zwei tote Mädchen - und beide haben große Nägel im Kopf. Und, ich würd's zwar nicht beschwören, aber es sieht aus wie damals, als meine Frau ein Baby geboren hat.« Der Mann blieb vor McClellan stehen und sah ihn verwirrt an, als habe er gerade etwas Unglaubliches gesagt.

Der Sheriff zuckte nur mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Tja, ich würde meinen, in diesen verdammten Zeiten ist alles möglich«, murmelte er mehr zu sich selbst. »Kommt, Jungs - laßt uns hier fertig machen und zu den Kingsleys fahren.«

Einer der Beamten war gerade mit einem der Jungen fertig geworden. »Diesen reichen Schweinen geht's wahrscheinlich gut«, stichelte er. »Die können sich 'ne eigene Privatarmee leisten, um sich zu verteidigen.«

»Die Tatsache, daß sie sich eine leisten können, heißt noch nicht, daß sie tatsächlich eine haben«, wies ihn McClellan zurecht, schob sich eine Zigarre in den Mund und zündete sie an. Er nahm einen tiefen Zug. Er erwartete, auf Notfallfahrzeuge an der Kreuzung zwischen dem Feldweg und der Landstraße zu treffen. Dann würden seine Leute zu dem Besitztum der Kingsleys transportiert werden.

Dave hatte festgestellt, daß Mr. Dorseys altes Auto unkontrollierbar ins Schwimmen geriet, wenn er versuchte, schneller als fünfundsechzig Stundenkilometer zu fahren. Auf der freien Landstraße wäre es angenehmer gewesen, schneller fahren zu können, aber er mußte sich mit der geringeren Geschwindigkeit abfinden. Das ließ ihn kurzfristig an die Ironie des Schicksals denken: daß er vielleicht die MillerTöchter oder die Kingsley-Familie nur wegen eines verrotteten, alten Autos, das nicht schnell genug fahren konnte, nicht würde retten können. Ärgerlich drückte er aufs Gaspedal und sah den Zeiger auf achtzig und darüber hinaus klettern. Das Schlenkern hörte nicht auf, wie einige Male vorher, sondern wurde immer schlimmer. Als Dave den Fuß vom Gas nahm, mußte er geraume Zeit warten, bis die Vibrationen nachließen und der Zeiger wieder unter fünfundsechzig ging. Er knirschte ungeduldig mit den Zähnen und versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er tun würde, wenn er einmal dort angekommen war, wo er so eilig hinstrebte. Auf dem Beifahrersitz neben Dave lagen das Fleischermesser und die Axt, die Henry Dorsey ihm gegeben hatte. Ein Gewehr oder wenigstens ein Revolver wären ihm lieber gewesen. Es würde nicht ganz einfach sein, drei gut bewaffnete Männer gefangenzunehmen oder zu töten. Am besten wäre es, zu versuchen, sie zu überrumpeln und einen von ihnen zu entwaffnen, um dann dessen Waffe dazu zu benutzen, die beiden anderen zu überwältigen.

Dave dachte auch an den Säugling in der Obhut der Dorseys. Er ging davon aus, daß er dort gut aufgehoben war. Mrs. Dorsey würde für ihn sorgen. Sie schien die Vernünftigste von der Familie zu sein. Der Alte war von Furcht und der sturen Entschlossenheit getrieben, die Seinen zu beschützen, was es auch koste, und den Sohn konnte man sowieso vergessen, außer darauf aufzupassen, daß er nicht aus Versehen wieder irgendwem Schaden zufügte. In normalen Zeiten wären die Dorseys keine schlechten Leute, überlegte Dave. Sie zogen es vermutlich vor, die meiste Zeit ihres Lebens unter sich zu sein, ihre ärmliche Farm zu bearbeiten und ein karges Auskommen herauszuwirtschaften, um sich jenes Maß an Würde und Selbstrespekt zu erhalten, das mit Selbstgenügsamkeit einhergeht. Unter normalen Umständen waren sie wahrscheinlich nett und anständig, wenn auch von der Schwere ihres Existenzkampfes ein bißchen hart geworden. Diese Härte würde ihnen helfen, die gegenwärtige Notlage zu überleben; bislang hatten sie es ganz gut gemeistert, sich gegen die Widrigkeiten, die wirklich beängstigend waren, am Leben zu halten. Das war mehr, als viele andere Leute schaffen würden. Aber sie hatten Martinelli erschossen, aus panischer Angst und Dummheit. Der Tod seines Kollegen war sinnlos und unnötig. Es hätte Carl nicht zustoßen dürfen, besonders nach all dem, was er bis dahin überstanden hatte. Sein Tod erschien Dave unwirklich und unglaublich, wie in den meisten Fällen, aber um so mehr, weil Carl so grundlos gestorben war.

Die Landschaft zeigte sich so strahlend und sonnig, daß es schwer war zu glauben, daß es kein normaler Tag war. Die Sonne hatte den Morgennebel vollständig aufgelöst. Es war schon fast Mittag. Dave fiel ein, daß es um diese Zeit eine Bürgerschutzsendung gab, und er schaltete das Autoradio ein. Er drehte den Summton leiser. Bis zum Beginn der Nachrichten war nur dieser Summton zu vernehmen; sämtliche anderen Sendungen waren offensichtlich gestrichen worden. Abgesehen von dem unterschwellig bedrohlichen Summen, das Dave an die Art von Nachrichten erinnerte, die er zu hören erwartete, konnte er sich beinahe einreden, daß alles in Ordnung war. Es war ein sonniger Tag und er machte eine ruhige, entspannende Fahrt über Land. Plötzlich sah er eine Leiche auf der Straße und mußte ausweichen. Dabei erhaschte er einen Blick auf den von mehr als nur einem Reifenpaar überrollten Körper. Es war einer der Humanoiden, die Carters Laster in der Dunkelheit vor acht oder neun Stunden überfahren hatte. Seither waren weitere Fahrzeuge darübergerollt, entweder, weil sie ihn nicht früh genug gesehen hatten oder weil sie es für überflüssig hielten, ihm auszuweichen. Was übriggeblieben war, lag als grausiger, blutiger Klumpen in der Mitte der zweispurigen Landstraße. Als der Wagen sich nach dem Ausweichmanöver wieder gefangen hatte, bremste Dave leicht ab und entdeckte eine schwere Beschädigung in der Leitplanke auf der rechten Straßenseite. Er trat die Bremsen von Dorseys Wagen bis zum Anschlag durch. Sie funktionierten, wenn es auch eine ganze Strecke brauchte, bis er zum Stehen kam. Dave hielt auf dem Seitenstreifen, bewaffnete sich mit der Axt, steckte das Fleischermesser in den Gürtel und stieg aus. Als er sich der aufgerissenen Leitplanke näherte, sah er eine ziemlich steile Böschung und einen Streifenwagen der Staatspolizei, der gegen einen Baum gekracht war. Er erkannte den Streifenwagen, der einst ihm und Carl gehört hatte, sofort; seine Vermutung wurde bestätigt, als er das Kennzeichen las. In der näheren Umgebung gab es kein Anzeichen von Bewegung oder drohender Gefahr, doch Dave hielt seine Waffe in Bereitschaft, während er die Böschung hinunterkletterte.

Er fand den toten Wade Connely im Wagen und die Leiche eines Humanoiden im Gebüsch in der Nähe. Sowohl Wade als auch dem Humanoiden war in den Schädel geschossen worden. Dave verbrachte einige Zeit damit, die Umgebung nach weiteren Leichen abzusuchen, die bei dem Unfall aus dem Fahrzeug geschleudert worden sein mochten. Er fand keinerlei Spuren der Miller-Töchter, obwohl er das Unterholz sorgfältig überprüfte, und er nahm an, sie hätten den Unfall wahrscheinlich überlebt. Wenn nicht, hätten Carter und Flack ihnen ebenfalls in die Schädel geschossen, wie sie es mit Wade Connely getan hatten. Oder vielleicht nicht? Im stillen dankte Dave demjenigen, der es getan hatte, und fragte sich, was aus den Mädchen geworden sein mochte. Vielleicht waren sie doch bei dem Unfall umgekommen und die Männer hatten ihre Leichen mitgenommen.

Dave betrachtete Wades entstellte, verstümmelte Leiche mit einer Mischung aus Mitleid und Abscheu, Abscheu vor allem, weil er wußte, daß Wade in Carls Uniform gestorben war. Dave griff an der Leiche vorbei und zog den Zündschlüssel heraus. Dann suchte er den Wagen und den Kofferraum nach Waffen ab, die vielleicht zurückgelassen worden waren. Wie zu erwarten, fand er keine. Carter und Flack hatten sorgfältig alles mitgenommen. Dave steckte die Wagenschlüssel in die Tasche. Ein Vorteil dieses Unfalls war, stellte er fest, daß er mit Wade nicht mehr zu rechnen brauchte, nur noch mit Carter und Flack. Damit wuchsen seine Chancen, sie zu überrumpeln. Dieser Funken Hoffnung gab Dave neue Kraft. Er stieg wieder in Henry Dorseys altes Auto, und nach mehreren Versuchen sprang der Motor schließlich an. Dave scherte auf die Landstraße zurück, vorbereitet, daß weitere Leichen mitten auf der Straße liegen könnten. Er schaltete das Radio wieder ein, das er ausgeknipst hatte, als er den Motor anließ, um der Batterie der alten Karre die Arbeit zu erleichtern. Nur ein Summen war zu hören. Dave schaute auf die Uhr. Es war fast halb eins. Er hatte die Nachrichtensendung verpaßt.

Mit sechzig Kilometern in der Stunde folgte Dave der Landstraße, wie Mr. Dorsey ihm gesagt hatte. Wenn Dorsey recht hatte, würde er fünf Kilometer weiter den Golfplatz und das Clubhaus erreichen.

In der luxuriösen Villa lagen drei Menschen gefesselt und mit verstopften Mündern in drei verschiedenen Ecken des elegant eingerichteten Salons. Jeder von ihnen war an ein anderes schweres Möbelstück gebunden worden, was den Banditen die Sicherheit gab, daß sie nicht zueinanderrobben und einander die Fesseln zu lösen versuchen konnten. An dem wuchtigen, brokatbezogenen Sofa hatte man Gordon Kingsley festgezurrt, einen äußerst erfolgreichen Geschäftsmann, Anfang fünfzig, groß gewachsen, aber ein bißchen füllig, weil er an zu vielen Geschäftsessen teilnahm und zuwenig Zeit in dem luxuriösen Trainingszentrum des Clubhauses verbrachte, das ihm gehörte. Unter seinen buschigen, grauen Augenbrauen versuchte er, seine Frau und seinen Sohn im Auge zu behalten. Elvira Kingsley, eine gutaussehende Frau, ein paar Jahre jünger als ihr Mann, war an eines der Beine des großen Flügels gefesselt. Sie war schlank geblieben und hatte ihr Haar sorgfältig in einem natürlichen Ton dunkelbraun gefärbt. An einen dick gepolsterten Sessel gebunden lag ihr Sohn Rodney, ein blonder, nervöser, aufgekratzter Zehnjähriger. Die drei waren allein im Raum, drei zusammengeschnürte Gestalten auf antiken Teppichen verteilt, und warteten, was geschehen würde.

Die Familie Kingsley hatte sich aufgrund der ständig vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen in ihrem Landhaus einigermaßen außer Gefahr gefühlt. Die Fenster waren mit schmuckvollen, schmiedeeisernen Gittern versehen, die bei der ursprünglichen Gestaltung des Gebäudes eingeplant worden waren, um Einbrecher und Kidnapper abzuhalten. Mr. Kingsley hatte zudem eine teure, komplizierte Alarmanlage installieren lassen, die mit dem Büro des Sheriffs verbunden war. Die massiven Eichentüren waren mit schweren Schlössern, Riegeln, Ketten und Stahlträgern ausgestattet worden. Letztere waren zu Beginn der gegenwärtigen Krise zusätzlich eingebaut worden. Zwei bewaffnete Wächter mit dressierten deutschen Schäferhunden, die über eine professionelle Sicherheitsorganisation angeheuert worden waren, hatten für zusätzlichen Schutz gesorgt und Tag und Nacht das Gelände und das Haus bewacht.

John Carter und Flack waren mit dem Laster auf das Grundstück der Kingsleys gefahren. Direkt hinter der Einfahrt hatten sie den Wagen angehalten. Sie hatten die Mädchen auf der Ladefläche liegengelassen, waren ausgestiegen und hatten sich auf den Weg zu dem entfernt liegenden Haus gemacht. Einer der Wächter erkannte die Uniform und war auf die beiden zugegangen, weil er hoffte, Nachrichten über die Ereignisse außerhalb des Gutsbesitzes zu erfahren. Sobald er in Reichweite der beiden Männer gelangt war, wurden er und sein Hund von Carter und Flack mit je einer Kugel erschossen. Carter und Flack waren zum Laster zurückgerannt und mit ihm die baumbestandene Auffahrt zur Villa hinaufgebraust. Carter entdeckte den zweiten Wächter und seinen Hund, und die grausige Szene wurde wiederholt. Den Vorteil seiner Uniform ausnützend, rief er dem Mann einen Gruß zu, und dann streckten er und Carter ihn und den Hund nieder. Sie erreichten die Eingangstür, und kaum hatte die Haushälterin den Polizeibeamten Carter und seinen Adjutanten Flack eingelassen und zu Gordon Kingsley geleitet, zogen die beiden ihre Waffen und verlangten, daß sich alle im Hause befindlichen Personen im Wohnzimmer einzufinden hätten. Unter vorgehaltenen Pistolen wurden die Kingsleys gefesselt und mußten mit anschauen, wie ihre Haushälterin und ihr Butler erschossen wurden. Die beiden Leichen wurden in den Garten geschafft.

Jetzt lagen Vater, Mutter und Sohn gefesselt und geknebelt in ihrem eigenen Wohnzimmer. Sie konnten hören, wie Carter und Flack in anderen Teilen des Hauses auf der Suche nach Wertgegenständen Schränke und Schubladen öffneten. Im Salon lief der Fernseher, den Carter und Flack während einer Bürgerschutz-Nachrichtensendung eingeschaltet hatten. Mit schreckgeweiteten Augen verrenkten sich die Gefangenen, um auf den Bildschirm zu schauen. Man sah Reverend Michaels, der erläuterte, warum er und seine Leute glaubten, daß die Toten gepfählt werden müßten.

»Gott allein hat Macht über Leben und Tod. Er hat uns versprochen, uns am Tag des Jüngsten Gerichts zu sich zu rufen. Das vorzeitige Auferstehen der Toten ist ein Werk Satans, der Gottes Allmacht herausfordert und die Menschheit für ihre Sünden und ihre Schwächen bestraft. Wir sind es, die Gott verraten haben und die dem Teufel diese böse Macht über Ihn gegeben haben. Wir sind es, die Reue zeigen und dem Herrn Kraft und Glorie zurückgeben müssen. Wir sind Fleisch von seinem Fleisch, und da wir schwach gewesen sind, haben wir Ihn geschwächt...«

Die Sendung ging weiter, und die Worte von Reverend Michaels drangen tief ins Bewußtsein und die Herzen der Gefangenen auf dem Fußboden und erfüllten sie mit Angst und Schrecken über ihr drohendes Schicksal.

Dave Benton schaltete den Motor von Henry Dorseys Wagen ab, stieg aus und machte leise die Tür zu. Er hatte um jeden Kilometer gebetet, den der Klapperkasten, den er steuerte, noch durchhalten würde. Aber die Batterie schien in recht gutem Zustand zu sein, und er hoffte, er hätte noch genug Benzin, um von hier fortzukommen, falls ein eiliger Abgang erforderlich wäre. Er konnte sich nicht darauf verlassen, sich Carters Laster oder ein Fahrzeug aus Kingsleys Wagenpark zu schnappen, und dieser klapprige Schrotthaufen war alles, was er hatte.

Dave schaute sich um. Er befand sich am Ende der langen Zufahrt, etwa vierhundert Meter von der Villa der Kingsleys entfernt. Mit Axt und Messer bewaffnet hatte er die Absicht, sich von hier aus zu nähern. Er vermied den Kies des Zufahrtswegs und hielt sich im Schatten der in regelmäßigen Abständen gepflanzten Ahornbäume. Zwei Reihen von ihnen standen den Weg entlang und sorgten für undurchbrochenen Sichtschutz. Aber eine Biegung in der Zufahrt erlaubte Dave nur, eine Ecke von Carters Lastwagen zu sehen, der in der Nähe des Anwesens geparkt war. Das Haus sah still aus, und er konnte kein Zeichen von Carter oder Flack oder den Mädchen entdecken. Auch schien niemand draußen Wache zu halten. Die beiden Verbrecher mußten sich ihrer Sache ziemlich sicher sein, dachte er. Schnell und vorsichtig schlich er weiter und blieb dabei, wo immer es möglich war, in Deckung. Dann schlüpfte er unter den Bäumen hervor und duckte sich hinter einen großen Busch, von wo aus er einen besseren Überblick über den ausgedehnten Vorgarten mit gepflegtem Rasen und sorgfältig gestutzten Stauden hatte. Auf dem Rasen waren Leichenfresser, mindestens ein halbes Dutzend, die in kleinen Gruppen umeinanderdrängten, als würden sie Mut sammeln, um das Haus anzugreifen. Dave wich hinter seinen Busch zurück, und ein Schauder lief ihm über den Rücken. Einer der Leichenfresser hatte eine Art Uniform an. Vielleicht war es Carter. Vielleicht war er bei dem Versuch, in den Besitz der Kingsleys einzudringen, ums Leben gekommen. Aber nein - das war keine Polizeiuniform. Es sah eher aus wie die Uniform einer Art von Wachpersonal -und plötzlich ging Dave ein Licht auf und er begriff, daß es vermutlich ein Wächter war, der von Carter und Flack ermordet worden war, als sie das Haus angriffen. Schritte im Kies der Auffahrt ließen Dave herumfahren. Ein wandelnder Toter, der sich unter Mühen vorwärts bewegte, kam über den Fahrweg auf ihn zu. Er trug ebenfalls eine Uniform des Wachpersonals. Er war von einem Gewehrschuß getötet worden, der einen Teil seiner Brust und ein Kinn weggefetzt und die Vorderseite seiner Uniform zu einem blutigen Mischmasch von zerrissenem Stoff und zermatschtem Fleisch gemacht hatte. Ein Rest des Unterkieferknochens mit ein paar Zähnen baumelte nutzlos unter dem Oberkiefer, und doch wurde das Ding von unermeßlicher Gier nach frischem Menschenfleisch getrieben. Blindlings steuerte es auf Dave zu. Sein Gesicht war grauenvoll blutleer und weiß, die Augen quollen ihm aus den Augenhöhlen - ein Effekt, der von der Wucht des Schusses herrührte, der ihn in einen der lebendigen Toten verwandelt hatte.

Terror packte Dave in jeder Zelle seines Leibes, während er sich auf den Angriff des Monsters vorbereitete. Er wußte, daß er es irgendwie überwältigen mußte, ohne daß der Kampf irgend jemandes Aufmerksamkeit erregte, ohne daß die anderen Leichenfresser auf dem Rasen oder die Menschen im Haus der Kingsleys etwas davon merkten. Es blieben Dave nur noch Sekunden, um sich zu wappnen. Die tote Kreatur kam langsam, aber stetig auf ihn zu. Ihre Lungen röchelten und stöhnten gespenstisch zur Untermalung ihrer schwerfälligen Bewegungen. Dave hielt stand und zwang sich, zu warten, bis das Geschöpf ihn fast erreicht hatte und schon die knochige Hand nach seiner Kehle ausstreckte. Dann schwang Dave die Axt mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft und spaltete ihm den toten Schädel. Mit aufspritzender Gehirnmasse und einem letzten Stöhnen sackte das tote Ding zu Boden und rührte sich nicht mehr. Der Hieb mit der Axt war kräftig und wirkungsvoll gewesen und hatte die Gehirnzentren des teuflischen Humanoiden zerstört. Dave brauchte nur einen Blick darauf zu werfen, um zu erkennen, daß dieser hier nicht wieder aufstehen würde. Dann überprüfte er fieberhaft die Umgebung. Die Gruppe von Humanoiden auf dem Rasen stand noch immer an der gleichen Stelle und war nicht auf ihn aufmerksam geworden. Es benötigte offensichtlich ziemlich viel Krach, um ihre toten Ohren zu alarmieren. Trotz seiner Furcht fühlte Dave eine winzige Welle von Erleichterung. Er duckte sich hinter den Busch und spähte zu dem Haus hinüber. Dann sah er seine blutverschmierte Axt, bückte sich und wischte sie im Gras sauber.

In diesem Augenblick splitterte die Scheibe eines der Erdgeschoßfenster mit lautem Krach, ein Gewehrlauf ragte heraus und der Mann hinter dem Fenster fing an zu schießen. Flack hatte die Geräusche von Daves Kampf mit dem angreifenden Leichenfresser gehört, das Stöhnen und das Krachen von Metall auf Knochen. Flack feuerte fünf oder sechs Schuß auf die Gruppe von wandelnden Toten auf dem Rasen, aber er erzielte nicht viele gute Treffer. Die Entfernung war zu groß. Flack erwischte einen an der Brust und traf ihn schwer genug, um einen Menschen umzulegen, aber der Getroffene wälzte sich nur herum, rappelte sich auf die Füße und stand wieder auf. Flack gab es auf. Dave beobachtete aus seinem Versteck hinter dem Busch, wie der Gewehrlauf aus dem Fenster verschwand. Er war einigermaßen sicher, daß Flack ihn nicht entdeckt hatte und daß er nur von dem Geräusch ans Fenster gelockt worden war und die Gruppe auf dem Rasen gesehen hatte.

Im Schutz der Ahornbäume arbeitete Dave sich näher an das Haus heran. Nachdem er ungefähr zwanzig Meter zurückgelegt hatte, ließ ein Geräusch ihn zusammenschrecken. Er blieb wie angewurzelt stehen und schaute hinter einem Baumstamm hervor.

Die Eingangstür wurde entriegelt, die Tür ging auf, und die Familie Kingsley, gefesselt und mit verstopften Mündern, kam, von Flacks Gewehr getrieben, humpelnd heraus. Grinsend trat Flack hinter ihnen her über die Schwelle. Er hatte die Seile, mit denen sie an die Möbelstücke gebunden worden waren, benutzt, um sie so aneinander zu fesseln, daß sie nur laufen konnten, wenn sie gleichzeitig die Füße hoben und aufsetzten. Flack lachte, als der Junge umfiel und seine Eltern mitriß. Er stieß sie mit dem Gewehrlauf an, während sie sich mühsam wieder aufrappelten. Er trieb sie die Eingangsstufen hinunter in die Mitte des Rasens. In einiger Entfernung stand eine Gruppe von wandelnden Leichen und wartete. »Na los«, spöttelte Flack. »Nun lauft mal schön. Wir machen einen hübschen, kleinen Spaziergang.« Sein Grinsen wurde noch breiter, nachdem er sich umgeschaut und vergewissert hatte, daß sich keiner an ihn heranschlich. Dave mußte die grausige Szene mitansehen, ohne irgend etwas tun zu können, um sie zu verhindern. Er war zu weit weg, um sich auf Flack zu werfen. Wenn er es versuchte, würde Flack ihn einfach abknallen, oder die fleischgierigen Leichenfresser würden sich auf ihn stürzen. Er wußte, daß Flack vorhatte, die Familie Kingsley zu ermorden, indem er sie einfach den Leichenfressern überließ; oder, so hoffte er, Flack wollte vielleicht mit dieser entsetzlichen Drohung nur Informationen aus ihnen herauspressen. Aber in beiden Fällen konnte Dave nichts dagegen unternehmen. Er war selbst viel zu verwundbar und würde als Zombiefutter enden, wenn er zu überstürzt handelte. Wenn er für die Kingsleys auch nichts mehr tun konnte, konnte er vielleicht den Miller-Töchtern noch zu Hilfe kommen.

Während Flack damit beschäftigt war, die Kingsleys weiter über die Wiese zu treiben, schlich Dave sich näher an das Haus heran. Wenn Flack zurückkam, wollte er dort bereitstehen. Dave duckte sich hinter eine Hecke neben dem Eingang und vergewisserte sich, daß Flack nicht herüberschaute. Bei dem Klang von Flacks krankhaftem Gelächter blickte Dave aus dem Schutz eines Gebüschs auf. Flack hatte die Kingsleys mitten auf den Rasen getrieben, knapp zehn Meter von der Gruppe von Leichenfressern entfernt. Dann hatte er dem Vater einen Stoß versetzt, und als dieser zu Boden stürzte und seine Frau und seinen Sohn mitriß, war er in Gelächter ausgebrochen. Gefesselt und mit verstopften Mündern konnte die Familie nicht schreien, sondern nur hilflos strampeln und sich winden, als die Leichen-fresser näher kamen. Flack wich noch immer lachend zurück und schaute zu.

In wenigen Minuten waren die Kingsleys tot. Die Leichenfresser hatten sich auf sie gestürzt und ihnen die verwundbaren Teile ihrer Leiber weggerissen - das zarte Fleisch an Hals, Brüsten, Bäuchen. Die Tatsache, daß sie keinen Todesschrei ausstoßen konnten, machte die Szene noch grauenvoller, dachte Dave, der sich neben dem Eingang versteckt hatte und alles mit ansah. Flack erreichte die Stufen, während er beobachtete, wie sich die lebendigen Toten um das Fleisch und die zarten inneren Organe stritten. Flack konnte Dave nicht kommen sehen. Er hatte keine Zeit mehr zum Denken, als sein Schädel mit einem einzigen Hieb von Daves Axt gespalten wurde. Dave sprang zurück, vollgespritzt mit Flacks Blut, als der Mann ein Stöhnen von sich gab und die Stufen hinunterstürzte. Sein Gewehr krachte alarmierend laut aufs Pflaster. Dave warf sich über Flack und schlug ihm die Axt sicherheitshalber in die Brust. Knochen splitterten, und Blut spritzte aus den getroffenen Lungen. Dieser zweite Hieb war überflüssig gewesen, denn der Mann war nach dem Axthieb, der ihm den Schädel gespalten hatte, auf der Stelle tot gewesen, doch Dave brauchte etwas, um einen Teil seiner wilden Wut abzureagieren und die aufgestauten Rachegelüste auf diese gewaltsame Weise ein bißchen zu stillen.

Dave schnappte sich Flacks Gewehr, besorgt, daß es durch den Sturz aufs Pflaster vielleicht unbrauchbar geworden wäre. Er betätigte das Schloß ein paarmal und sah, daß die Patronen rein- und rausglitten - ein gutes Zeichen. Der Zündmechanismus war hoffentlich intakt geblieben. Das Gewehr schußbereit, ging Dave die Stufen hinauf und trat durch die Tür, die Flack unverriegelt gelassen hatte. Flacks Leiche blieb am Fuß der Stufen liegen. Daves Axt steckte ihm noch immer tief in der Brust, der Stiel ragte in die Luft. Dave fand sich in einer großen Eingangshalle. Zur Rechten lag der Wohnraum und geradeaus sah er ein hölzernes Geländer und eine geschwungene, mit Teppichen belegte Treppe. Dave hörte Geräusche aus dem Obergeschoß. John Carter durchsuchte noch immer Schränke und Schubladen und plünderte das Elternschlafzimmer. »Bist du's, Flack?« rief Carter. »Hast du die Zombies gefüttert?« Dave legte sich eine Hand über den Mund, um seine Stimme zu verstellen, und rief seitlich dahinter hervor: »Ja! Alles erledigt!« Dann verriegelte er die Eingangstür wieder und machte absichtlich viel Krach dabei, in der Hoffnung, dadurch bei Carter keinen Verdacht zu erwecken. Dann ging er die Treppe hinauf, ganz normal, weil er wußte, Carter würde seine Schritte hören und glauben, es sei Flack.

Im Elternschlafzimmer hatte Carter einen aufgeklappten Koffer aufs Bett gestellt. Er war zur Hälfte angefüllt mit Schmuck, Silberbesteck, Geld und was immer an leicht Verkaufbarem in dem Zimmer gewesen war. Carter stand über die Beute gebeugt und betrachtete sie zufrieden. Eine ganze Weile machte er sich nicht einmal die Mühe aufzuschauen, als Dave Benton hereinkam; und als er aufblickte, hatte er gerade noch Gelegenheit, ihn wiederzuerkennen, ehe Dave den Abzug bediente.

Der Schuß hallte laut durch den Raum. Carter wurde gegen das Schlafzimmerfenster geschleudert, und die Scheibe zersplitterte unter dem Aufprall. Die schmiedeeisernen Gitter verhinderten, daß er durch das Fenster in den Garten stürzte. Dave schoß noch einmal ein Loch in Carters Brust, als dieser zu Boden ging. Sein Körper zuckte unter der Wucht des Geschosses, und mit dem dritten Schuß krachte der Tote auf den Fußboden. Dave betätigte das Schloß von Flacks Gewehr, entnahm ihm die verbrauchten Patronen und lud nach. Dann trat er neben den reglosen Körper, richtete den Lauf auf Carters Schädel und drückte ab. Noch ein Schuß krachte und die Kugel drang in Carters totes Hirn.

Dave spannte das Gewehr wieder und verließ das Zimmer. Er eilte einen Flur entlang in ein anderes Schlafzimmer. Die Tür stand halb offen. Mit dem Fuß trat er sie ganz auf und sprang zurück, halbwegs in Erwartung eines Schusses, aber nichts geschah, und Dave betrat vorsichtig das Zimmer. Er fand zwei Betten und darauf die beiden Miller-Mädchen Ann und Sue Ellen, jede mit verstopftem Mund, nackt und mit gespreizten Beinen und Armen an die vier Bettpfosten gefesselt. Sie mühten sich, aufzuschauen, und die Angst in ihren Gesichtern milderte sich, als sie erkannten, daß es weder Flack noch Carter war. Dave beugte sich zuerst über Sue Ellen, weil ihr Bett näher stand, und nahm ihr den Lappen aus dem Mund. In wenigen Worten stellte er sich vor und berichtete, was geschehen war. Ehe sie Worte finden konnte, fragte er: »Ist sonst noch jemand im Haus? Außer Carter und Flack? « »Die Kingsleys...« antwortete Sue Ellen. »Die Kingsleys werden unten gefangengehalten.«

»Sonst jemand? « beharrte Dave. »Jemand, der uns gefährlich werden könnte? «

Sue Ellen schüttelte den Kopf, verängstigt und perplex. »Nein... niemand. Niemand außer Carter und Flack.« »Die sind tot«, erklärt Dave. »Ich habe sie getötet. Die Kingsleys sind auch tot. Wo ist Billy?« Dave verstand die Antwort, als Sue Ellen zu schluchzen begann. Ann war noch immer nicht befreit und starrte ihn an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Kaum war sie ihre Fesseln los, fragte sie nach ihrer Schwester Karen.

Ein Konvoy aus Lastern, Krankenwagen und Streifenwagen brachte Sheriff Conan McClellan und seine Leute zur Einfahrt des Privatweges, der von der Landstraße durch ein Wäldchen zum Besitztum der Kingsleys führte. Der Sheriff stieg aus dem Streifenwagen und erteilte ein paar Befehle, während er darauf wartete, daß seine Männer Aufstellung nahmen. Sie hatten die Absicht, das letzte Stück zu Fuß zurückzulegen und unterwegs dem Haus des Verwalters einen Besuch abzustatten. Die Krankenwagen und die Polizeifahrzeuge würden auf Abruf bereitstehen, falls sie gebraucht wurden. Die Lkws sollten in die Stadt fahren, auftanken und Kaffee und Nahrungsmittel für die müden, hungrigen Männer besorgen. Über ihnen kreiste ein Hubschrauber. Seine metallenen Flügel peitschten durch die Luft, während seine Besatzung die Wälder und Wiesen auf Zeichen von Humanoiden oder Menschen, die Hilfe brauchten, absuchte. Einer der Männer der Truppe hatte einen Walkie-Talkie bei sich, über den der Kontakt zwischen McClellan und seinen Leuten mit dem Hubschrauber und den Streifenwagen gewährleistet wurde. Mit einem verknautschten, schmuddeligen Taschentuch wischte sich McClellan den Schweiß von der Stirn, während er zuschaute, wie seine Männer sich auf der Zufahrt formierten. Das Polizeiaufgebot war in aller Eile zusammengestellt worden, und viele von ihnen waren unerfahren und besaßen nicht die nötige Ausrüstung für eine Aktion in den Wäldern. Zusätzlich zu den auch unter normalen Umständen schwierigen Problemen, vierzig oder fünfzig Männer zu ernähren und zu versorgen, hatte es unendliche Mengen der für Anfänger typischen, lästigen Klagen gegeben, wie Fußpilz oder Blasen an den Füßen. McClellan hatte die Männer während der ganzen Zeit entweder angefaucht oder getröstet und immer versucht, sie diszipliniert und einsatzbereit zu halten, während sie das Gebiet nach Menschen durchkämmten, die Hilfe brauchten oder auf Rettung warteten.

Das Gebiet war in Sektoren aufgeteilt worden und jeder Abschnitt wurde von einer Gruppe von Freiwilligen, Polizisten und Beamten der Nationalgarde kontrolliert. Es ging darum, die Verbindung mit den Teilen des Gebiets wiederherzustellen, in denen Leitungen unterbrochen und Relaisstationen außer Betrieb geraten waren. Man wollte Sicherheit, Gesetz und Ordnung in Dörfer und Gemeinden zurückbringen, die nicht nur von streunenden Leichenfressern, sondern auch von Plünderern und Räubern bedroht wurden, die das durch den Notstand bedingte Chaos ausnutzten. Und man wollte Rettungsmannschaften in abgelegene, isolierte Gebiete schicken, wo möglicherweise Leute in ihren Häusern festsaßen, ohne sich in angemessener Weise verteidigen oder Hilfe herbeirufen zu können.

McClellans Sektor stellte sich als besonders gefährdet heraus, vor allem wegen der Banden von Plünderern und Räubern. Er fragte sich, ob das wohl mit der ungewöhnlich großen Zahl wohlhabender und isoliert lebender Familien wie den Kingsleys zu erklären war. Die Gegend hatte einst einen einträglichen Kohlenbergbau betrieben, und die Leute hatten sich als Eigentümer oder Direktoren dieser Minen stattliche Reichtümer erwirtschaftet. Sie hatten in der Nähe der Quelle ihres Wohlstandes Landhäuser und Clubs errichtet, während um sie herum im Kontrast zu ihnen sich die Armen der Bergbaustädte - von welch letzteren viele inzwischen zu Geisterstädten geworden waren - zusammen mit den Armen der kargen Bauernhöfe, die von hartnäckigen Männern wie Bert Miller oder Henry Dorsey weiter bewirtschaftet wurden, angesiedelt hatten. Gordon Kingsleys ererbter Wohlstand stammte aus dem Bergbau. McClellans Männer waren nicht übermäßig wild darauf, den Kingsleys zu Hilfe zu kommen, weil sie zu Recht oder Unrecht das Gefühl hatten, ihr Leben lang durch die Arbeit in den Kingsleyschen Schächten oder Fabriken unterdrückt oder von den Kingsleyschen Banken und Finanzierungsgesellschaften ausgenommen worden zu sein, als die Minen unergiebig und die Gegend arm geworden war. Die Männer vertraten die Meinung, Kingsley konnte es sich leisten, für seinen eigenen Schutz aufzukommen, und viele von ihnen waren unwillig darüber, hier zu sein, und verstanden nicht, was sie auf seinem Landbesitz zu suchen hätten. Weil Gordon Kingsley so geizig mit seinen Dollars war, mußten andere - einfache - Menschen ihr Leben für ihn riskieren.

McClellan, dessen Job darin bestand, jedermann zu schützen, reich oder arm, und der auch seine Leute kannte, hielt es für nötig, die Männer ein wenig härter anzufassen und sie ein bisschen sorgfältiger zu überwachen, damit sie ihre Arbeit anständig erledigten.

Was ihnen im Farmhaus der Dorseys berichtet worden war, wo sie auf dem Weg zum Kingsley-Besitz haltgemacht hatten, war dazu angetan, die Männer anzuspornen und ihr Murren und ihre Klagen zu beschwichtigen. Henry Dorsey hatte sich geweigert, sein abgelegenes Haus zu verlassen und sich in den relativen Schutz der Stadt zu begeben; er hatte erklärt, er sei soweit ganz gut zurechtgekommen und würde, mit Gottes Hilfe, auch weiterhin für sich selber sorgen können, komme, was da wolle. Er bat nur um zusätzliche Munition für seine beiden Gewehre, nachdem McClellan ihn darüber informiert hatte, daß die Kabel bis zum Abend voraussichtlich repariert werden würden, so daß Familien wie die Dorseys mit der Feuerwehr und der Polizei Kontakt aufnehmen könnten. McClellan versicherte, daß der Notstand schneller unter Kontrolle gebracht werden könnte, als ursprünglich angenommen wurde, doch daß vermutlich noch zwei harte Wochen bevorständen. Dorsey erwiderte, daß er recht gut durchhalten könnte, und fügte hinzu, daß, wenn jedermann die Toten weiterhin gepfählt hätte, wie er es mit seiner eigenen Tochter getan habe, die ganze Krise gar nicht erst entstanden wäre. Dann berichtete er von dem Polizisten, dem er geholfen hatte, den Miller-Töchtern zu Hilfe zu kommen. Nach Dorseys Aussage hatte der Polizist die Vermutung, daß die Bande, von welcher die Miller-Töchter gefangengenommen worden waren, den Besitz der Kingsleys zum Ziel gehabt hatte. Dorsey war schlau genug gewesen, die Rolle, die er und sein Sohn bei dem Tod des anderen Polizisten gespielt hatten, nicht zu erwähnen. Und wenn Dave inzwischen den Tod gefunden hatte, gab es schließlich niemanden mehr, der es je herausfinden würde. Carl Martinellis Leiche lag nicht mehr draußen auf der Wiese; offenbar war sie von den Leichenfressern fortgeschleppt und verschlungen worden. Während der ganzen Unterredung mit dem Sheriff, die in dem mit Brettern vernagelten Wohnzimmer der Dorseys stattfand, hatte Henry Dorsey das Baby, um das seine Frau sich in einem der Schlafzimmer im Obergeschoß kümmerte, mit keinem Wort erwähnt. Das Baby verhielt sich still, es schien zu schlafen, seit es die kleine Menge Milch zu sich genommen hatte. Mrs. Dorsey hielt ein Auge auf den Säugling, wachte darüber, daß er gut unter der Decke zugedeckt blieb, und dachte, daß sie noch nie ein Baby mit so merkwürdigem Aussehen und Verhalten gesehen hatte. Andererseits konnte das arme Ding froh sein, noch am Leben zu sein, oder? Sie biß sich auf die Lippen und schauderte bei dem beängstigenden Gedanken, der sich in ihr verwirrtes Bewußtsein drängte und ihrem Gesicht einen Ausdruck nervöser Panik verlieh.

McClellan gab die Nachrichten über die Plündererbande und die gefangengehaltenen Mädchen sowie über den Polizisten, der ihnen auf den Fersen war, sofort an seine müden, knurrigen Mannen weiter und ermutigte sie, durchzuhalten und sich anzustrengen. Sie begriffen, daß es nicht nur die Kingsleys waren, für die sie sich einsetzten. Sie hatten eine echte Aufgabe vor sich, an die sie mit Enthusiasmus glauben konnten. Ein paar von den Männern hatten Bert Miller und seine Töchter gekannt. Die meisten von ihnen machten sich nicht viel aus Bert, solange er noch am Leben war, aber sie respektierten ihn im Tod und hatten Sympathie für die Mädchen, wie sie sie mit jedem empfunden hätten, der sich vater-und heimatlos wiederfand. Es fiel ihnen leichter, sich Sorgen um die Millers zu machen, die zu ihrer eigenen sozialen Schicht gehörten, als um Gordon Kingsley. Wenn für die Rettung der Kingsleys eine Belohnung ausgesetzt gewesen wäre, hätte die Sache ganz anders ausgeschaut. Trotz der extremen körperlichen und emotionalen Er-schöpfung glaubte Sheriff McClellan, das Ende der Krise nahen zu fühlen. Die Zahl der lebendigen Toten war in gewissem Sinne begrenzt und wurde nur durch die frisch Verblichenen wieder aufgefüllt, die wieder auferstanden und diejenigen ersetzten, die endgültig überwältigt worden waren. Jeder vernichtete Humanoide verringerte ihre Zahl und die ihrer potentiellen Opfer. Die Situation konnte unter Kontrolle gebracht werden, wenn man dafür sorgte, daß sämtliche Leichen unschädlich gemacht wurden. Wenn sämtliche lebendigen Toten »getötet« sein würden, bedeuteten sie keine Gefahr mehr. Sie konnten sich nicht vermehren wie Menschen; sie waren Geschöpfe des Todes, die tot blieben, wenn man ihre Gehirne zerstörte. Die Taktik, die McClellans Männer verfolgten, bestand darin, den Fleischfressern nicht zu nahe zu kommen und sie aus der Entfernung abzuschießen. Dann schleppten sie die toten Leiber mit Hilfe von Fleischerhaken auf einen Stapel, tränkten sie mit Benzin und setzten sie in Brand. Jeder, der mit einem solchen Fleischerhaken oder mit irgend etwas, das möglicherweise mit einem der Leichenfresser in Berührung gestanden hatte, in Kontakt gekommen war, wusch sich anschließend in einer konzentrierten Alkohollösung. Bislang hatten sich diese Maßnahmen als ausreichend erwiesen, einer Infektion vorzubeugen. Es waren die gleichen Vorkehrungen, die schon damals angewandt worden waren, beim Ausbruch der ersten Epidemie, und sie hatten verhindert, daß die Seuche überhandnahm und die Menschheit daran zugrunde ging.

Flack konnte nicht mehr hören, wie ihm die Glieder vom Leib gezerrt wurden. Er hörte nicht mehr, wie seine Knochen knirschten und an den Gelenken auseinandergedreht wurden. Er konnte nicht mehr aufschreien, als ihm die gierigen Leichenfresser Herz und Lungen und Nieren und Gedärme herausrissen. Die Axt, die das Brustbein durchgetrennt hatte, hatte ihnen die Aufgabe leichter gemacht. Die Leichenfresser stritten sich untereinander um die vor kurzem noch lebendigen Organe. Und dann, als Flacks Leib vollständig auseinandergefetzt war, zogen sie sich zurück, und jeder kauerte sich in eine Ecke, um das eroberte Mahl hinunterzuschlingen, jeder in dem Bewußtsein, daß andere hungrige Artgenossen darauf lauerten, den glücklichen Siegern das Stück Menschenfleisch wegzunehmen. Sie waren wie Hunde, die ihre Knochen in eine Ecke schleppten, um daran zu kauen und zu nagen, während ihnen andere gierig und neidisch zuschauten.

Einige der wandelnden Leichen suchten nach einem Ort, wo sie ihre Beute in Ruhe und ohne sie gegen die Artgenossen verteidigen zu müssen, verzehren konnten, und zogen sich in das Dunkel des Waldes zurück, der den gepflegten Rasen des Kingsleyschen Besitzes umgab. Dort ließen sie sich nieder und fraßen, und das Schmatzen und Nagen und Zerfetzen toten Menschenfleisches mischte sich mit Vogelgezwitscher, dem rauhen Krächzen der toten Lungen und dem Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume in der heißen Nachmittagssonne.

Durch ein Wohnzimmerfenster des Landhauses sah Dave Benton zu, wie Flacks Leiche auseinandergerissen wurde. Er beobachtete, wie die Leichenfresser sich um Stücke und Fetzen seiner Leiche stritten, und er war erleichtert, als ihr Gekabbel und ihr Bedürfnis, sich mit ihrer Beute zurückzuziehen, sie veranlaßte, aus der direkten Nachbarschaft der Eingangstür zu verschwinden. Auch wenn Flack dieses Schicksal durchaus verdient hatte, machte es Dave krank, es mitansehen zu müssen. Aber die Tatsache, daß Flack und die Familie Kingsley ihr Leben hatten lassen müssen, führte dazu, daß die Leichenfresser für den Augenblick gesättigt waren, und Dave hielt eine Flucht aus dem Haus für durchführbar. Er besaß die Schlüssel zu Carters Lastwagen, die er in den Taschen des Bandenführers gefunden hatte. Er hatte außerdem Waffen und Munition.

Ann und Sue Ellen standen noch immer unter dem Schock der Ereignisse, die sie in den letzten achtundvierzig Stunden hatten durchmachen müssen. Sie hatten Dave von Billys Tod berichtet, der den Leichenfressern zum Fraß vorgeworfen worden war, als Carter, Wade Connely und Flack erfolgreich aus dem Miller-Farmhaus flüchteten. Dave seinerseits hatte den Mädchen so schonend wie möglich beigebracht, daß ihre Schwester bei der Geburt des Babys ums Leben gekommen und daß ihr Sohn in der Obhut von Mrs. Dorsey gut aufgehoben war.

Die beiden Schwestern saßen auf dem Sofa im Wohnzimmer der Kingsleys, bewegten sich kaum und sagten gar nichts. Ihre Erleichterung, vor der Willkür von Flack und Carter gerettet worden zu sein, wurde durch die grauenvollen Erlebnisse der letzten zwei Tage und die Angst vor dem, was noch kommen konnte, überschattet. Sie hatten wortlos eine Sendung der Bürgerschutznachrichten verfolgt, für die Dave den Fernseher eingeschaltet hatte. Vom Sprecher war speziell betont worden, daß Rettungsmannschaften dabei seien, Leuten zu Hilfe zu kommen, die in abgelegenen Gebieten festsaßen. Doch die in Angriff genommenen Arbeiten gingen wegen des Zusammenbrechens von Recht und Ordnung nur langsam voran, und die Bewohner abgelegener Gebiete wurden gewarnt, sich nicht allzusehr darauf zu verlassen, in Kürze gerettet zu werden; sie wurden aufgefordert, Fluchtversuche zu unternehmen, wenn es irgendwie möglich war, und Nothilfestationen und Flüchtlingszentren aufzusuchen. Der Sprecher warnte gleichzeitg vor der Gefahr, daß diejenigen, die keine Hilfe finden oder nicht flüchten konnten, möglicherweise von einer Überzahl von streunenden Leichenfresserbanden überwältigt werden konnten. Dave hatte beschlossen, eine Flucht aus dem Haus der Kingsleys zu wagen. Die Leichenfresser waren mit den Überresten von Flack und der Familie Kingsley beschäftigt. Dave sagte sich, daß es, da es ihm gelungen war, das Landhaus ohne allzu große Mühen zu erreichen, nicht zu schwierig sein dürfte, auch wieder zu entkommen. Er konnte die Mädchen in Carters Lastwagen mitnehmen, wenn sie dazu bereit waren, oder er konnte sie hier zurücklassen und Hilfe holen, sobald er einen Notdienstposten erreichte. Er hatte Gewehre und Pistolen und reichlich Munition. Er konnte den Mädchen Waffen aushändigen, damit sie sich verteidigen konnten, während er unterwegs war, Hilfe zu besorgen. Er hielt das Haus für gut genug abgesichert, um die beiden ohne große Gefahr zurückzulassen.

Nach dem Ende der Nachrichtenübertragung schaltete Dave den Fernseher aus und setzte sich Ann und Sue Ellen gegenüber. Geduldig und mit leiser Stimme, die, so hoffte er, vernünftig und freundlich klang, erläuterte er ihnen die Situation, wie er sie sah. Er informierte sie, daß die Telefone nicht funktionierten, entweder, weil Flack und Carter die Anschlüsse zerstört hatten, oder auch nur weil überall die Leitungen unterbrochen waren. Es blieb ihnen nur die Wahl, entweder auf das Eintreffen von Rettern zu hoffen, die vielleicht nie oder zu spät kommen würden, oder die Flucht zu wagen. Dave erklärte, die eine Möglichkeit bestünde darin, daß er versuchte, allein zu entkommen, während die Mädchen im Haus auf ihn warteten. Andernfalls, wenn sie sich stark genug fühlten, bot er an, sie mitzunehmen, doch er wußte nicht, ob das nicht gefährlicher war. Er schlug vor, daß die beiden, wenn er allein ging und nach einer bestimmten Zeit nicht zurück sei, mit einem der Fahrzeuge aus Kingsleys Wagenpark zu flüchten versuchen sollten. Während Dave sprach, kam er immer mehr zu der Überzeugung, daß er besser allein gehen sollte; denn wenn er es nicht schaffte, blieb den Mädchen noch eine Chance. Irgendwer mochte auftauchen, um sie zu retten, oder sie konnten, wie schon gesagt, allein zu entkommen versuchen. Nach einigem Überlegen und vielleicht aufgrund von Daves Drängen entschieden sich Ann und Sue Ellen für diese Strategie. Ann schien klarer zu sein als Sue Ellen, und Dave wandte sich vor allem an sie, als er den beiden Mädchen vorschrieb, welche Maßnahmen sie zu treffen hätten, um das Haus während seiner Abwesenheit zu sichern, und, falls seine Anstrengungen erfolglos wären, wie sie es anstellen sollten, sich selbst zu retten.

Während Ann mit geladener Pistole neben der entriegelten Tür stand, wagte Dave den Vorstoß zu Carters Lastwagen. Er steckte den Schlüssel in die Zündung und prüfte den Kraftstoffstand. Der Tank war dreiviertelvoll, und der Motor sprang prompt an und lief gleichmäßig. Der Laster schien in gutem Zustand zu sein, abgesehen von den Beulen, die er sich auf rauhem Gelände und bei den Zusammenstößen mit den Humanoiden geholt hatte, die ihm in den Weg gekommen waren. Im Handschuhfach fand Dave sogar die Wagenpapiere, ausgestellt auf John W. Carter. Das Fahrzeug war also nicht gestohlen, wunderte sich Dave, und Carter war sein richtiger Name gewesen.

Nachdem Dave sich vergewissert hatte, daß der Laster ihn nicht im Stich lassen würde und er nicht mit leerer Batterie und ohne Kraftstoff steckenblieb, wenn eine Armee von Leichenfressern ihn angriff, wendete er und fuhr ihn vor die Eingangstür, wo er leicht erreichbar war, wenn er seinen Fluchtversuch startete. Dann ging er ins Haus zurück, um die Vorbereitungen zu beenden. Ann und Sue Ellen schauten zu, wie er Gewehr und Revolver lud und beide Waffen auf ihre Funktionstüchtigkeit untersuchte. Dann gab er den Mädchen letzte Anweisungen. Schließlich öffnete Ann die Tür für ihn und stand mit der Pistole, die er ihr gegeben hatte, Wache, während er die Stufen hinunterrannte und in den Lastwagen einstieg. Dann verriegelte sie die Tür und beobachtete durch das Fenster, wie Dave mit hoher Geschwindigkeit den Kiesweg hinunter zur Landstraße fuhr. Von der anderen Seite des Rasens bewegte sich eine Gruppe von Leichenfressern lethargisch in Richtung des Lasters, während dieser beschleunigte.

Der Helikopter kreiste über dem Haus des Verwalters, während eine Gruppe von McClellans Männern sich näherte. Über den Walkie-Talkie empfing ein Mitglied der Truppe von einem der Männer in dem Hubschrauber die Nachricht, daß in den letzten zehn Minuten keine Bewegungen in der unmittelbaren Umgebung des Hauses beobachtet worden seien. Das Blätterdach der umstehenden Bäume war allerdings sehr dicht, und es war unmöglich, aus der Luft den Boden einzusehen. Falls sich Humanoide unter den Bäumen versteckt hielten, wäre man gezwungen, die Umgebung selbst zu durchkämmen und die Angreifer niederzustrecken. Auf Anordnung eines Polizeibeamten schwärmten die Männer aus und näherten sich dem Verwalterhaus auf dem offenen Gelände. Es bestand keine Veranlassung, Leute ins Unterholz zu schicken, ehe nicht versucht worden war, mögliche Insassen des Hauses zu retten. Mit schußbereiten Waffen und wachsam umherschweifenden Blicken arbeitete sich der Trupp auf etwa fünfzig Meter an das Haus heran und ging dann hinter Bäumen, Hecken und Büschen in Deckung. Der Polizeisergeant rief, daß alle, die sich im Haus befanden, heraustreten sollten, und betonte, er sei Polizeioffizier und gekommen, um Hilfe zu leisten. Wie er hätte vorhersagen können, bekam er keine Antwort. Die Tür stand weit offen, die Fenster waren eingeschlagen. Der Ort war eine Stätte von Terror und Tod. Unter dem Feuerschutz von einem Teil der Männer, die zurückblieben, gingen einige weiter und betraten das Gebäude. Sie fanden die Spuren eines heftigen Kampfes, der zwischen den Bewohnern des Verwalterhauses und angreifenden Humanoiden stattgefunden hatte - ein Kampf, den die Menschen verloren hatten. Halb verzehrte menschliche Überreste lagen in verschiedenen Teilen des Hauses, als seien die Leichenfresser bei ihrer Mahlzeit unterbrochen oder vertrieben worden.

McClellan erschien mit dem Rest der Truppe, erhielt einen Bericht, den er resigniert anhörte, ohne äußere Zeichen von irgendwelchen Gefühlen erkennen zu lassen. Dann ließ er die Männer sich formieren, um sich zu der Villa der Kingsleys zu begeben. Sie gingen zu Fuß weiter und durchkämmten, so gut es ging, das Gelände beiderseits der Straße, während Krankenwagen und Notfahrzeuge in gewissem Abstand folgten. Bisher hatten sie noch keine Leichenfresser gesichtet, seit sie die Fahrzeuge verlassen und das Grundstück der Kingsleys betreten hatten. Sie erwarteten deshalb Schwierigkeiten, sobald sie näher an das Gutshaus herankämen. Sie waren ebenfalls von McClellan angewiesen worden, nach der Plündererbande Ausschau zu halten, welche die Miller-Töchter gefangengenommen und geplant hatte, die Kingsleys auszurauben oder als Geiseln zu nehmen. Die Spannung unter den Männern, besonders unter den Zivilisten, war so angestiegen, daß sie im Klang ihrer Stimmen und der Unentschlossenheit ihrer Bewegungen zu erkennen war, während sie auf der Schotterstraße zu dem Haus marschierten.

Als Dave um eine Kurve bog und die Gestalt mitten auf der Fahrbahn sah, trat er aufs Gaspedal, prallte auf den Mann und schleuderte ihn in die Luft. Im Moment vor dem Aufprall erkannte er, daß der Mann mit gezogener Pistole stehenblieb, hatte aber kaum Zeit zu begreifen, daß er einen Fehler gemacht hatte, als auch schon ein Schuß knallte und eine Gewehrkugel in sein Gehirn drang. Eine Salve von Schüssen brachte den Lastwagen mit zersplitterten Scheiben zum Stehen. Daves Körper zuckte unter einem Hagel von Geschossen. Eine Kugel durchschlug den Brennstofftank und führte zu einer gewaltigen Explosion, die Metallteile gegen die Männer schleuderte, die aus ihrer Deckung hinter den Straßenbäumen noch immer weiterschossen. Niemand wurde von den herumfliegenden Metallstücken getroffen.

Nachdem sie angebrüllt worden waren, das Feuer einzustellen, blieben die Männer eine ganze Weile in ihren Positionen und schauten zu, wie der Lastwagen ausbrannte. Sie zweifelten nicht daran, daß sie einen der Plünderer bei einem Fluchtversuch erwischt hatten.

Jemand rief nach einem Krankenwagen, als er sich über den Mann beugte, der von dem Laster angefahren worden war. Das Sanitätsfahrzeug kam langsam an den Männern vorbei, die aufgefordert werden mußten, zur Seite zu gehen. Zwei Sanitäter stiegen aus und brachten Bahre und Erste-Hilfe-Ausrüstung. Der Mann war nicht tot, aber er stand unter Schock und hatte zahlreiche Verletzungen erlitten, unter anderem war sein Bein gebrochen. Die Sanitäter versorgten ihn, legten ihn auf die Bahre, deckten ihn zu und schafften ihn in den Krankenwagen, den sie an einer Stelle, die für das Manöver knapp breit genug war, zu wenden begannen. McClellan fluchte leise vor sich hin, als er hinter dem Sanitätsfahrzeug herschaute, das von je einem Streifenwagen davor und dahinter eskortiert wurde. Wegen eines schwerverwundeten Mannes waren jetzt die Fahrzeuge, die er zur Unterstützung hatte, um drei verringert worden. Und wer wußte, was sie im Haus der Kingsleys erwartete?

Der Sheriff und ein paar der uniformierten Polizisten führten den Rest der Männer um den brennenden Lastwagen herum, so daß der Marsch auf das Haus fortgesetzt werden konnte. Der Mann mit dem Walkie-Talkie hatte schon einen Abschleppwagen angefordert, der das Wrack von der Fahrbahn schaffen sollte, damit die Nothilfefahrzeuge nicht behindert würden, falls man sie brauchte.

McClellan wußte nicht, wer in dem brennenden Lastwagen ums Leben gekommen war, doch er ging nicht selbstverständlich davon aus, daß es einer der Plünderer gewesen war. Er ließ sich den Zwischenfall von mehreren der Männer schildern, die in der Nähe gewesen waren, und nichts von dem, was sie berichteten, schloß die Möglichkeit vollständig aus, daß er aufgrund einer momentanen Panik des Fahrers und der Nervosität der Truppenmitglieder passiert war. Der Sheriff hatte im Laufe seiner langen Karriere schon Schlimmeres erlebt.

Direkt neben der Stelle, wo der Laster weiterbrannte, hielt ein Polizeikombi an. Eine Gruppe von Polizisten stieg aus und wartete, bis der Fahrer, einer ihrer Kollegen, die Rückklappe öffnete. Eine ganze Meute von Polizeihunden, deutschen Schäferhunden, jeder von einem der Beamten trainiert und geführt, kam heraus. Sie wurden an Leinen genommen, und die Neuankömmlinge schlossen sich dem Rest der Truppe an, die sich jetzt dem Haus näherte.

In der Ferne hörte man das Brummen des Hubschraubers, der über dem Gutshaus und den Ländereien der Kingsleys kreiste. Die Besatzung des Helikopters funkte Lageberichte zu den Männern am Boden und informierte sie über Gruppen von Leichenfressern, die sie auf dem Besitztum der Kingsleys ausmachte. Schließlich kam der Hubschrauber tiefer und kreiste in Bodennähe, so daß bewaffnete Männer aus dem Schutz des brummenden Gefährts auf die Leichenfresser schießen konnten. Sie konnten auf diese Weise nicht übermäßig viele Treffer registrieren. Auf den Kopf zu zielen war schwierig, und der Krach des Hubschraubers veranlaßte die Humanoiden, sich unter die Bäume zurückzuziehen, wo es auch für die Männer zu Fuß nicht leicht war, sie zu finden und niederzumachen. Nach kurzer Zeit wurde die Taktik aufgegeben, der Pilot stieg wieder höher und die Männer am Boden bewegten sich weiter.

Drinnen im Haus hörten Ann und Sue Ellen die Hubschraubermanöver über dem Grundstück. Das Getöse des Motors machte ihnen zunächst angst, doch als sie erkannten, worum es sich handelte, schöpften sie neue Hoffnung. Sie würden gerettet werden! Dave mußte die Flucht geglückt sein. Doch dann entfernte sich der Hubschrauber und das Motorengeräusch wurde schwächer und schwächer, bis sie es kaum mehr wahrnehmen konnten. Ann Miller lauschte konzentriert und schaute durchs Fenster, bis das Dröhnen der metallenen Flügel wieder lauter zu werden begann. Diesmal schien er direkt über dem Haus zu kreisen. »Wir müssen nach draußen«, entschied Ann. »Wir dürfen nicht riskieren, daß er wieder wegfliegt.« Sue Ellen antwortete nicht. Sie sah nur verängstigt drein, den Blick an die Decke geheftet, als wolle sie sagen, sie könne den Hubschrauber durch die Zimmerdecke hindurch sehen. Ann wußte, daß Sue Ellen völlig verängstigt war und daß sie, wenn irgend etwas zu tun war, es selbst würde erledigen müssen. »Ich gehe nach draußen«, erklärte sie. »Ich nehme das Gewehr mit. Du bleibst an der Tür und hältst Wache.« Sie sprach zu Sue Ellen, doch Sue Ellen schaute sie nicht an. Dann trat sie wieder ans Fenster, schob den schweren Brokatvorhang beiseite und spähte hinaus. Die unmittelbare Umgebung des Hauses schien frei. Aber der Helikopter hatte sich schon wieder entfernt. Er kreiste über einer Gruppe von Leichenfressern am Rande des Rasens. Ann sah mit an, wie Männer in dem Hubschrauber das Feuer auf die Leichenfresser eröffneten, einen trafen und zu Boden gehen ließen, während die anderen sich schwerfällig zurückzogen und unter einer Baumgruppe versteckten. Der Helikopter stieg augenblicklich höher und Ann erwartete, daß er sich entfernen würde. Aber statt dessen machte er eine weitere Runde direkt über dem Dach des Hauses, und der Krach des Motors schien geradewegs durch die Zimmerdecke hereinzudonnern. Ann wandte sich heftig um und schaute ihrer Schwester in die Augen. »Sue Ellen - mach die Haustüre auf! Ich will nach draußen!« Sie nahm ihre Schwester bei der Hand und führte sie zur Tür, wo sie beide sich daran machten, die Balken zu entfernen.

Der Hubschrauber kreiste noch immer über dem Haus. Ann öffnete vorsichtig die Tür und trat über die Schwelle. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sie sich, daß Sue Ellen mit der Pistole in der Tür stand und aufpaßte. Der Hubschrauber beschrieb einen großen Kreis und Ann winkte. Zu ihrer Überraschung kam der Pilot tiefer und winkte zurück. Ann lächelte und gab hektische Zeichen. Der Pilot flog einen engen Bogen und winkte noch einmal. Ann war überzeugt, daß die Männer in dem Hubschrauber begriffen hatten, daß sie ein menschliches Wesen war, das Hilfe brauchte, ging ins Haus zurück und schloß die Tür.

»Sie haben mich gesehen«, rief Ann. »Wir werden gerettet! « Sie umarmte Sue Ellen und sie fingen an zu weinen, ohne daran zu denken, die Tür wieder zu verriegeln. Alles, was sie zu tun hatten, war stillzuhalten, bis ihre Retter kamen.

»Leichenfresser! Alles voll mit Leichenfressern!« schrie eine Stimme, und ein Schuß pfiff durch die Luft.

Männer rannten herbei und schossen hinter den Bäumen hervor.

Die Polizeihunde knurrten und zerrten an den Leinen. Sie haßten den Geruch der wandelnden Toten. Die Truppe rückte schießend in kleinen Gruppen weiter vor und fällte die lebendigen Toten mit Hageln von Geschossen. Jedesmal wenn ein Leichenfresser stürzte, kam ein Mann mit einer Machete und hackte auf ihm herum, bis der Kopf vom Rumpf getrennt war, um doppelt sicherzugehen, daß er nicht wieder aufstand.

Sheriff McClellan und seine Männer waren bis zu dem Rasen vor der Villa der Kingsleys vorgedrungen, kauerten sich wiederholt hin und feuerten auf die toten Kreaturen, die dort herumlungerten.

»Zielt auf die Augen, Jungs!« rief McClellan. »Ich sag's noch mal: Wenn ihr auf die Augen zielt, trefft ihr den Kopf!« Mit seinem eigenen Schnellfeuergewehr schoß er, und ein totes Ding fast zwanzig Meter entfernt griff sich ans Gesicht und stürzte dann mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden. Weitere Schüsse krachten und zwei Leichenfresser sackten zusammen.

»Hierher, Jungs!« brüllte McClellan. »Da sind noch drei für eure Flinten!«

Die Männer mit den Macheten kamen heran und hackten wild und wütend auf die Toten ein, bis der Kopf vom Rumpf fiel. Der Hagel von Schüssen prasselte weiter, während die Truppe das Haus umstellte.

Dann wurde es still, nachdem alle Leichenfresser offensichtlich erledigt worden waren, und die Männer suchten mit den Augen das Haus und den Rasen ab nach neuen Zielen, auf die sie feuern konnten.

McClellan wußte von den Männern im Hubschrauber über Funk, daß mindestens eine der Miller-Töchter am Leben war und sich im Kingsley-Haus befand. Nachdem er sich mit seinen Männern näher herangearbeitet hatte, trat er persönlich an die Tür und klopfte - eine Handlung, die ihm als seltsam gewöhnliches Finale zu den grauenvollen, nervenaufreibenden Ereignissen, die gerade eben geschehen waren, erschien. Er wartete, bis die Tür geöffnet wurde und langsam aufschwang. Ann stand mit einem entsetzten Ausdruck im Gesicht und einem Gewehr in der Hand vor ihm. McClellan sprang nicht zurück. Das Mädchen hielt das Gewehr in so ungeschickter, hilfloser Weise, daß sie gewiß keine Gefahr bedeutete. Als er einen Schritt auf sie zukam, fiel das Gewehr zu Boden und landete geräuschlos auf dem weichen Teppich, und das Mädchen brach in seinen Armen zusammen. Ein zweites Mädchen saß still auf dem Sofa, eine Pistole lag am Boden zwischen ihren Schuhen.

In den umgebenden Wäldern waren noch immer vereinzelte Schüsse zu hören.

Mit einem Sanitätsfahrzeug und zwei mit bewaffneten Männern besetzten Streifenwagen fuhren Sheriff McClellan und Ann und Sue Ellen zum Farmhaus der Dorseys, wo sie hofften, Karens Baby zu finden, um es von dort zum nächsten Krankenhaus zu bringen.

Doch das Dorsey-Haus war überfallen worden und die Familie offenbar einer zu großen Zahl von Leichenfressern zum Opfer gefallen, der sie nicht gewachsen gewesen war. Die Türen waren zerschmettert und die Fenster aufgebrochen. Man sah keine Überreste der Dorseys, und McClellan hatte den Verdacht, sie seien fortgeschleppt und anderswo zerfetzt worden. Leichenfresser waren ebenfalls keine zu sehen. Mit schußbereiter Waffe betraten McClellan und zwei seiner Männer das Haus. Es war totenstill. Wohnzimmer und Küche waren bei dem letzten Kampf völlig zerschlagen worden. Außer Blutspuren waren jedoch keine weiteren Zeichen des Leichenfresserüberfalls festzustellen. McClellan überlegte, ob die Familie im letzten Moment nicht in Panik geraten und nach draußen gerannt sei. Gefolgt von seinen beiden Männern stieg er die Treppe hinauf.

Eine Schlafzimmertür stand einen Spaltweit offen. McClellan stieß sie mit dem Fuß ganz auf und richtete seine Pistole hinein. Dann entdeckte er einen winzigen Säugling allein auf dem Bett. Das Baby schien zu schlafen. Der Sheriff nahm es auf und trug es in eine Decke gewickelt hinunter zu dem Streifenwagen, in dem die Miller-Mädchen warteten. Ann und Sue Ellen lächelten schwach, als der Sheriff mit dem Bündel auf dem Arm auftauchte. Er lächelte ebenfalls, als er sich bückte und die Decke von dem Gesicht des Babys zog. Die beiden Schwestern fingen an zu weinen. Ann nahm das Baby auf den Arm.

»Wir werden für ihn sorgen«, versprach der Sheriff, »oder für sie, was immer es ist. Im Krankenhaus werden sie es gründlich untersuchen und dem kleinen Halunken die Gesundheit auf Vordermann bringen. Wenn Sie sich überfordert fühlen, es dann in Ihre Obhut zu nehmen, könnten vielleicht meine Frau und ich...«

»Oh, nein!« unterbrach ihn Ann. »Wir wollen das Baby. Es ist alles, was uns von Karen bleibt. Und sie hätte es so gewollt.« Sie schaute auf den Säugling hinunter und versuchte zu lächeln. Aber das Lächeln wollte ihr nicht gelingen. Sie fragte sich, warum seine Augen so weit aufgerissen waren und so glanzlos, so ohne den Funken neuen Lebens dreinblickten. Doch er atmete noch.


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