Hört zu, ihr tolles Volk, das keinen Verstand hat, die da Augen haben und sehen nicht, Ohren haben und hören nicht!
Die verzerrte Gestalt des KleinMondes schwand dahin, blieb zurück, bis sie unsichtbar war. Die Erde wurde riesig. Ein Blitzlicht leuchtete über dem Indischen Ozean auf, und an seine Stelle trat sofort eine anschwellende, immer dunkler werdende Feuerkugel. Ringförmige Schatten entstanden und verblaßten in ihr und um sie herum. Weit vom Einschlagort entfernt blitzten verwirrende neue Lichter in Punkten und radialen Streifen auf.
Die Oberfläche der Erde zog vorbei, erschreckend nahe, wich aber allmählich zurück. Eine Welle in der Wolkendecke oberhalb des Indischen Ozeans stieß nach außen, büßte dabei ihre kreisrunde Gestalt ein. Nordwärts bekam sie eine dreieckige Einkerbung, als habe jemand in den Rand einer Wolldecke mit einem Nagel eine Triangel gerissen.
»Indien«, sagte Dawson. »Wie schnell läuft das Band?«
»Achtmal vier schnell «, gab Tashajämp zur Antwort.
»Aha, zweiunddreißigfacher Zeitraffer«, murmelte Dawson.
»Was ist das?« fragte Alice.
»Das sind Landmassen. Die seismische Woge verzerrt die Wolken«, sagte Arwid.
»Und den Meeresboden«, bekräftigte Dawson, »wenn auch nicht so stark. Da sieht man, wie Indien untergeht. Die Blitze stammen vermutlich von Schutt und Trümmern, vielleicht sogar von Wassermassen, die die Wucht der Explosion in den Weltraum herausgeschleudert hat und die jetzt wieder in die Atmosphäre eingetreten sind.«
Da geht Indien unter. Fahrt dahin, Krischna und Wischnu! Jeri erschauerte. »Mit Dave war ich mal in Indien. So viele Menschen. Eine halbe Milliarde.«
Arwid stand in der Nähe. Sie spürte seine Wärme und wünschte, sie könnte ihm näher sein.
Tashajämp fragte: »Zahl?«
Arwid sagte: »Acht hoch acht mal acht mal drei.«
»ErdlingsFithp in Indien? Da, wo die Welle hingeht?«
»Ja.«
Dmitri sagte rasch etwas auf russisch.
»Stalin hat so gedacht«, fuhr ihm Arwid ins Wort.
Dmitri zuckte ausdruckslos die Achseln.
Worum ging es da wohl, fragte sich Jeri. Arwid schien gar nicht begeistert zu sein. Stalin? Der hätte wahrscheinlich gern eine einfache Lösung für das ›Problem‹ Indien gefunden. ›Probleme ‹ gehen uns weniger nahe als Menschen.
Die Verformung in den Wolken strebte afrikawärts, dann nach Süden. Dort war die Luft klar, und im Ozean entstand eine kaum sichtbare Wellenbewegung… aber der Umriß des Kontinents veränderte sich, wanderte nach innen.
»Das Kap der Guten Hoffnung«, murmelte Jeri. Sie sah zu, wie sich die Wellen in den Atlantik hinein ausbreiteten. Die Aufnahme mußte das Ergebnis eines Stunden währenden Prozesses zeigen. Jeri schnappte nach Luft, sie hatte gebannt den Atem angehalten, ohne es zu merken. Die Wellen strebten auf Argentinien und Brasilien zu; es wirkte täuschend langsam und war zugleich von erschreckender Unausweichlichkeit.
Auch hier folgte eine Wolkendecke, die förmlich über den Ozeanen brodelte und bis zu den Landmassen hinabreichte.
»Mein Gott«, sagte Jeri. »Wie konnten sie das nur tun?«
»Wir haben das nicht gewollt«, sagte Rästapispmins. »Wir hätten den FUSS gern weit außerhalb eurer Atmosphäre abgesetzt, aber eure Fithp wollte nichts davon wissen.«
»›Du hast mich dazu gezwungen‹«, sagte Alice mit weinerlicher, vor Selbstmitleid bebender Stimme, und fuhr in scharfem Ton fort, »das sagen alle, die eine Schraube locker haben – auch Verbrecher sagen es, wenn sie etwas getan haben, dessen sie sich schämen. Immer sind andere schuld.«
»Von mir aus können sie sagen, was sie wollen«, sagte Carrie Woodward. »Wir wissen, wie es war. Sie sind von den fernen Sternen zu uns gekommen, um unser Land zugrunde zu richten.«
»So etwas solltet ihr nicht sagen«, verwies Takpassih sie. »Ihr wollt nicht, daß das noch einmal passiert und werdet uns helfen.«
»Helfen? Wie?« erkundigte sich Dawson.
»Du, Wes Dawson, sagst es ihnen! Es kommen noch mehr.«
Das Bild auf dem Schirm änderte sich wieder. Wolken bewegten sich so unnatürlich rasch, daß Jeri glaubte, immer noch eine Zeitrafferaufnahme zu betrachten, bis Takpassih sagte: »Das ist jetzt Winterheim.«
Die Erde war weiß. Eine geschlossene Wolkendecke entzog sie den Blicken.
»Regen überall«, sagte Nikolai. »Die Staudämme sind gebrochen. Es wird Überflutungen geben.«
Die Erde war jetzt fern und drehte sich nicht mehr unter ihnen. »Wir sind auf einer geostationären Umlaufbahn«, erklärte Nikolai. »Über Afrika. Seht!«
Weiße Striche blitzten durch die Nacht über der Erde. Dort lag Afrika, und die Grifflingsschiffe waren auf dem Weg dahin.
»Geht jetzt! Tashajämp, bring sie fort!« sagte der Leitbulle. »Dawson und Rästapispmins, ihr bleibt!«
Der Herr der Herde wartete, bis alle anderen den Vorführraum verlassen hatten. Dann sagte Dawson, bevor Pastempihkeph den Mund auftun konnte: »Ich werde meiner Fithp nicht zur Übergabe raten.«
Falls sich Dawson in sein Augenlid krallen wollte, würde ihn der Herr der Herde mit einem SnffHieb quer durch den Raum schleudern. Er sagte: »Du wirst. Rästapispmins, sag ihm Einzelheiten, aber noch nicht jetzt. Wes Dawson, hast du mit Fathistihtalk gesprochen?«
»Der Name sagt mir nichts.« Dawsons Blick streifte flüchtig über Rästapispmins. »Augenblick. Zweiter Führer? Berater?«
»Ja.«
»Er ist zu mir gekommen.«
»Rästapispmins, hast du das zugelassen?«
UmerzieherEins Rästapispmins zögerte und machte dann eine bestätigende Bewegung. »Der Berater meinte, er könne vielleicht auf diese Weise Zugang zu ihm finden. Ich dachte, es könne den Versuch wert sein.«
Takpassihs Thaktan waren damals die sowjetischen Gefangenen gewesen. Rästapispmins hatte sich mit Dawson allein beschäftigt. Von Takpassih abgewiesen, hätte Fathistihtalk zu Rästapispmins gehen müssen. »Was wurde dabei gesagt, Dawson?«
Noch immer beherrschte der Erdling die Sprache der Thaktanthp nur unvollkommen. Ihn zu befragen dauerte länger, als dem Herrn der Herde lieb war, aber er ließ nicht locker.
Dawson zufolge hatte ein Stück Stoff sein Nachtlicht bedeckt, als er nach seiner ersten Erkundung der Luftkanäle seinen AbsonderungsPferch erreichte, und ein Fi’ wartete dort auf ihn. Sein Gesicht verdeckte der Helm eines Druckanzugs und seine Greifglieder eine Art Handschuh.
»Woher willst du dann wissen, daß du zu Fathistihtalk gesprochen hast?« fragte der Herr der Herde.
»Ich habe ihn veranlaßt, beides abzunehmen.«
»Tatsächlich. Wie?«
»Er gab keinen Grund dafür an, warum er dort war, und stellte Fragen: ›Wir nehmen Winterheim ein. Frage: Ist das unrecht? Wir benutzen Monde und umlaufende Felsen, wollen keine Planeten. Frage: Stimmt das? Sag warum. Sag, ob Erdlings Fithp Reichtum aus dem Weltraum genommen hat.‹«
Der tückische ErdlingsEinzelgänger zuckte die Achseln. »Ich sagte Fi’ Wes Dawson. Kongreßabgeordneter. 514-55-2316.«
»Ich verstehe nicht«, sagte der Herr der Herde.
»Ein Erdlingskrieger unter dem Fuß des Feindes sagt Namen, Rang, Nummer und sonst nichts.«
»Falsch. Erzähl weiter!«
»Er sagte: ›Dawson, du hast dich ergeben.‹ Ich antwortete: ›Aber nicht dir. Wer bist du? Wenn ich mit dir spreche, wer ist dann wütend?‹«
Damit hat das überhebliche Geschöpf sogar recht. »Der Einwand ist berechtigt.«
»Er nahm den Helm ab. Ich zog das Tuch von der Lampe. Er sagte: ›Ich bin der Berater des Herrn der Herde. Frage: Ist Krieg mit Erde Unrecht? Wir wollen Weltraum, nicht Erde?‹ Ich sagte: ›Ja.‹«
»Natürlich mußtest du das sagen. Weiter!«
»Was ist…« – Dawson versuchte, mit seinem Mund ein ihm unvertrautes FithpWort zu bilden – »Fufisthengälss?«
Abtrünniger. »Das brauchst du nicht zu wissen. Sprich weiter!«
»Er sagte, er sei Fufisthengälss, wie viele andere. Die Fufisthengälssthp planten von Winterheim fortzugehen. Ich sagte: ›Das klingt mir angenehm. Frage: Kann ich helfen?‹ Er sagte: ›Nenn mir Gründe, warum Thaktan Flishithy Winterheim verlassen soll!‹ Ich berichtete ihm von Vorkommen auf Mond, Mars und Asteroiden. Von Metallen. Von in Gestein und Staub gebundenem Sauerstoff. Von Dingen, die man in der Schwerelosigkeit, aber nicht unter Schub machen kann. Von Sonnenenergie, nicht vergeudet in der WinterheimLuft, nicht abgehalten von WinterheimStürmen und WinterheimNacht. Wir begannen erst, die Vorkommen im Weltraum auszubeuten, als ihr kamt. Laßt uns zufrieden, und wir verlagern alle schmutzigen Industriezweige in den Weltraum und machen aus Winterheim einen Garten.«
»Das hat Fathistihtalk bestimmt gern gehört.«
»Ja, gern. Er hatte es eilig und ging, bevor ich ausgeredet hatte. Ich habe ihn danach nicht wiedergesehen.« Dawsons Hände wiesen auf den Bildschirm, auf dem Fathistihtalks Leiche zu sehen war. »Einige Fithp scheinen anderer Meinung zu sein als die Fufisthengälssthp?«
»Hast du noch mehr zu sagen?«
»Ja. Einmal gab es einen albernen Unterhaltungsfilm im Fernsehen. Fithp von einem anderen Stern kamen nach Winterheim und entnahmen aus den Ozeanen Wasser für ihren eigenen Planeten. Das macht doch keinen Sinn. Warum das Wasser nicht auf dem Saturn holen, einem beringten Gasriesen, wo es schon gefroren ist und sich leicht bewegen läßt, wo keine ErdlingsFithp wohnt, die sich wehrt?«
»Die Geschichte klingt in der Tat albern, aber…«
»Die Ziehenden Fithp sind auch nicht klüger. Die Bote ist seit achthoch zwei Jahren oder länger euer Heim. Wieder am Saturn versorgt, könnte er immer weiterfliegen. Warum müßt ihr Winterheim zerstören?«
»Das ist mein Thaktan, nicht deiner! Weißt oder ahnst du, wer meinen Berater getötet hat?«
»Viele Fithp, nicht einer. Kein Fi’ tut etwas allein.«
Diese Erkenntnis war es kaum wert, laut ausgesprochen zu werden, mit Ausnahme eines Punktes. Der Herr der Herde hatte sich umgehört: Abtrünnige, aus Winterheim zurückgekehrter Krieger, verpaarte und unverpaarte Weibchen, halbwüchsige JungFithp – niemand wußte etwas. Es schien unmöglich… und Dawson dachte genauso. »Du sprichst gut. Und weiter?«
»Keine Fufisthengälssthp, denn Fathistihtalk schien selbst zu dieser Fithp gehört zu haben. Und auch kein Mensch, denn Fathistihtalk wollte Winterheim in Frieden lassen. Hat er Fistartihthaktan beleidigt? Töten Fithp für ihre Überzeugungen?«
»Ja. Warum verdächtigst du Fistartihthaktan?«
»Das tue ich nicht. Die Befürworter des Krieges haben den Berater des Herrn der Herde getötet. Sind es viele? Kannst du einen herausgreifen, der vielleicht ein Einzelgänger ist? Winterheim zerstören ist die Tat eines gemeingefährlichen Einzelgängers, ist schurkisch. Es muß denkbar viele Einzelgänger geben.«
Der Herr der Herde war wütend. Am liebsten hätte er das vorlaute Geschöpf auf der Stelle getötet… Dennoch wäre er nie auf den Priester verfallen. »Du hast das gründlich durchdacht. Rästapispmins, Ihr hättet das Treiben des Beraters nicht geheimhalten dürfen. Ist Euch noch nie der Gedanke gekommen, daß es zu seinem Tod geführt haben könnte?«
»Nein, Herr der Herde. Wie sollte es?«
Pastempihkeph spreizte seine Grifflinge. »Das weiß ich noch nicht. Sag Dawson, was er seiner Fithp in Amerika mitteilen soll. Später sende ich dich nach Winterheim. Die afrikanische Fithp braucht jemanden, der das ErdlingsVerhalten kennt, und die UmerzieherFithp müssen mehr lernen.«
Rästapispmins stöhnte auf und bedeckte seinen Schädel, sagte aber nichts. Der Herr der Herde wandte sich ab. Daß er den Führer der UmerzieherGruppe in den Kampf schickte, konnte nur eine Strafmaßnahme sein, und das wußte der Umerzieher auch. Dennoch hätte der Herr der Herde vermutlich keine bessere Wahl treffen können…
In wenigen Achtmal acht Atemzügen würde das Schiff zu rotieren anfangen. Dem Herrn der Herde würde bald wieder sein privater Schlammraum zur Verfügung stehen.
Jenny hatte den Präsidenten noch nie so müde gesehen. Er trug einen ausgebleichten geblümten Morgenrock, und seine bloßen Füße steckten in Pantoffeln. Er griff ohne ein Wort des Dankes nach der Tasse Kaffee, die ihm Jack Clybourne brachte, und nahm unbeteiligt Jennys und Admiral Carrells Bericht zur Kenntnis.
»Mhm, in Südafrika also«, sagte er schließlich. »Dr. Curtis hatte also recht. Woher haben wir die Information?«
»Von der Regierung in Pretoria«, sagte Admiral Carrell. »Das Fernmeldekabel durch Dakar funktioniert noch. Ich kann die Hand nicht dafür ins Feuer legen, daß die Verbindung lange bestehen bleibt. Verstehen Sie, Mr. President, wir wissen einfach sehr wenig.«
»Können wir etwas tun?« fragte der Präsident.
Carrell nickte zu Jenny hinüber.
»Uns ist bisher noch nichts eingefallen, Sir. Wir könnten versuchen, Schiffe hinzuschicken.«
»Aber sie haben noch immer Laser und ihre fliegenden Rammböcke«, sagte Präsident Coffey. »Sagen Sie, Major, gibt es nichts, was man ihnen entgegensetzen könnte?«
»Südafrikanische Kommandos«, gab Jenny zur Antwort, »die dortige Nationalgarde.«
»Haben die Leute keine reguläre Armee?«
»Doch, Sir. Sie hatten schon immer die größte Armee auf dem Kontinent. Der Großteil war jedoch an der Küste stationiert.«
David Coffey fuhr sich mit beiden Händen durch das schüttere Haar und glättete es dann sorgfältig. »Dann müssen wir wohl davon ausgehen, daß der Rest vom Weltraum aus vernichtet wurde. Noch etwas?«
»Sir, es gibt eine Sowjetarmee etwa fünftausend Kilometer nördlich des Landegebiets – zumindest gab es sie, als wir noch über Nachrichtenleitungen verfügten, aber wir wissen nicht einmal, ob die etwas von der Invasion gehört haben.«
Und in Moskau würde sich niemand melden. Auf die Russen können wir uns nicht verlassen.
Matt nickte der Präsident. »Sie werden zumindest merkwürdige Erscheinungen am Himmel sehen. Können Sie eine Nachricht an diese Einheit absetzen?«
»Ich weiß es nicht, und ich weiß auch nicht, ob sie uns glauben würden.«
»Versuchen Sie es, Admiral! Wir können also nichts tun, um die Außerirdischen zu vertreiben?«
Admiral Carrell zuckte die Achseln. »Nicht, daß ich wüßte. Wir haben noch einige UBoote mit Raketen an Bord. Die könnten wir abfeuern lassen, nur wissen wir nicht genau, wohin. Außerdem dürfen wir sicher sein, daß sie ihre Truppen mit LaserEinrichtungen schützen.«
»Sie aus Kansas zu vertreiben, hat uns alles gekostet, was wir hatten – alles, was wir und die Russen hatten«, sagte der Präsident. »Es liegt wohl auf der Hand, daß wir sie nicht aus Südafrika hinauswerfen können.«
Großer Gott, gibt er etwa auf?
»Solange sie die Herrschaft über den Weltraum haben, können sie tun, was ihnen beliebt«, sagte Admiral Carrell. »Nehmen wir an, wir verjagen sie aus Afrika. Im Sonnensystem gibt es Millionen von Asteroiden. Vielleicht werfen sie den nächsten über Colorado Springs ab oder bepflastern mit einer ganzen Reihe kleinerer die Bucht vor San Francisco, den MichiganSee, die ChesapeakeBucht…«
»Admiral, müssen wir uns ergeben?«
Carrell schnaubte. »Sie sind der Oberbefehlshaber, Mr. President. An der Marineakademie in Annapolis hat mein Schreibtisch zwei Jahre lang genau unter der Standarte mit der Aufschrift ›Das Schiff nie aufgeben‹ gestanden. Danach werde ich mit Sicherheit handeln.«
»Aber…«
»Erzengel«, sagte Admiral Carrell.
Coffey schnaubte. »Glauben Sie wirklich an ein Raumfahrzeug mit AtombombenAntrieb ?«
»Es muß einfach funktionieren«, sagte Carrell.
»Und Sie meinen, es ist unsere einzige Hoffnung?«
»Eine andere kenne ich nicht.«
»Aha.« Der Präsident sah nachdenklich drein. »Alles hängt also von der Geheimhaltung ab. Wenn sie etwas davon erfahren, wenn sie auch nur den kleinsten Hinweis bekommen…« Er runzelte die Stirn. »Ich habe den Namen der Stadt vergessen. War es Bellingham?«
»Ja.«
»… jagen sie Bellingham in die Luft, und wir sind erledigt. Gut, wenn das unser höchster Trumpf ist, wollen wir uns damit beschäftigen. Ich wünsche einen persönlichen Bericht über die Fortschritte. Admiral, schicken Sie Major Crichton hin. Ich befördere sie hiermit zum Lieutenant Colonel.« Er sah sich um, und sein Blick fiel auf Jack Clybourne.
»Jack!«
»Ja, Sir?«
»Sie müssen sich hier ziemlich nutzlos vorkommen.«
»Ehrlich gesagt, ja. Die meiste Zeit bin doch ich der einzige Bewaffnete, der näher als einen Kilometer an Sie rankommt.«
»Sie kennen ja die Sicherheitsvorschriften. Begleiten Sie Colonel Crichton, und sehen Sie sich an, was die da in Bellingham auf die Beine gestellt habe!« Erneut fuhr sich der Präsident durch die Haare. »Ich sollte mir wohl eine Badehose anziehen und mich mit den TräumerFithp unterhalten.«
»Mit wem?« fragte Jenny verdutzt.
Der Präsident lächelte sie abwesend an. »Mit den SFAutoren. Die bringen mich bestimmt auf andere Gedanken. Sie erzählen mir nicht ständig etwas über schreckliche Dinge. Aber allen Ernstes – dies alles scheint sie in keiner Weise zu berühren. Sie denken wohl in größeren Zusammenhängen und halten einen interstellaren Krieg für die einmalige Chance, eine wahre Geschichte zu schreiben. Und der zahme Rüßler, den sie da haben – gut zu wissen, daß die Biester sich tatsächlich ergeben würden, wenn wir nur etwas hätten, womit wir sie empfindlich treffen könnten!«
Dawson kehrte etwas mehr als eine Stunde nach den anderen in die Zelle zurück. Er bebte von Kopf bis Fuß und sagte in die Richtung der fragend auf ihn gerichteten Augenpaare: »Ich soll die Erde zur Kapitulation auffordern.«
Die Blicke der Russen trafen sich.
»Ich denke aber nicht daran«, sagte Dawson. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die gepolsterte Wand, sah zur Decke und fuhr fort: »Sie haben ein Symbol. Es sieht aus wie ein auf dem Rücken liegendes Fi’ und bedeutet ›Wirf keine Bomben auf mich‹. Die Leute können es auf Gewächshäuser, Krankenhäuser und Lebensmittellaster malen… wie ein Rotes Kreuz. Sobald es zu Täuschungszwecken verwendet wird, hageln wieder Gesteinsbrocken vom Himmel.«
»Und ohne diese Symbole sind Lebensmitteltransporte nicht sicher?« wollte Dmitri wissen.
»Für den Fall, daß ich nicht zu den Menschen auf der Erde spreche, haben sie einen weiteren Fußfall angedroht.« Wes schauderte. »Aber ich sage es auf keinen Fall.«
»Nichts deutet darauf hin, daß sie weitere Asteroiden abwurfbereit haben«, sagte Arwid.
»Ist auch gar nicht nötig«, sagte Jeri. »Wo sie den einen herhaben, gibt es noch eine Menge. Oder im Asteroidengürtel. Es dauert vielleicht ein paar Jahre, aber Zeit haben sie ja genug. Immerhin liegen sie schon lange auf der Lauer, so an die…«
»Fünfzehn Jahre seit Eintritt ins Sonnensystem. Natürlich können sie einen nach dem anderen holen«, sagte Wes. »Dazu brauchen sie gar nicht bis zum Saturn. Wegen der geringen Schwerkraft auf dem Mond können sie sich soviel Mondgestein holen, wie sie wollen.«
Nein. Großer Gott, warum? Am liebsten hätte sich Jeri zu einer winzigen Kugel zusammengerollt. »Und was werden Sie tun, Wes?«
»Was kann ich tun? Ich brauche Hilfe.«
Und die ganze Zeit hören sie zu und beobachten uns, während wir darüber reden…
»Vielleicht«, sagte Arwid, »wäre es besser, wenn Sie das Ultimatum doch übermittelten. Man müßte es nur geschickt formulieren. Wir könnten Ihnen dabei helfen.« Er sah vielsagend zu Wes hinüber.
»Ich soll die Menschheit zur Übergabe auffordern! Sie wollen mir den Wortlaut vorschreiben. Sage ich etwas anderes, schalten sie mir den Ton ab. Was also nützt das alles?«
Arwid sah beiläufig auf die sie beobachtende Kamera. »Man könnte es umformulieren.«
Ein längeres Schweigen trat ein. Wes überlegte. »Natürlich werden die Fithp Hilfe bei der Formulierung brauchen. Ihr Englisch ist ja nicht umwerfend…«
»Eben, und Ihres ist erstklassig.«
Die anderen schliefen. Alice rollte sich, einen Arm vor dem Gesicht, schutzsuchend zu einer Kugel zusammen. Mit der anderen Hand hielt sie sich an der Wandverkleidung fest. Man hatte ihnen keine Decken gegeben, sie schliefen in dem, was sie tagsüber trugen. Es herrschte Rotationsschwere in Thaktan Flishithy, und Alice spürte eine Art Schwanken. Dmitris Schnarchen klang wie ein Klagegesang.
Alice streckte sich aus. Zum Teufel mit dem Schutz!
Der Abgeordnete Dawson schlief etwa einen Meter von den anderen entfernt. Er lag auf der Seite, den Kopf in die Armbeuge gelegt. Alice musterte ihn aufmerksam. Im Schlaf wirkte er harmlos. Er runzelte die Stirn. »FUSS«, murmelte er vor sich hin. »FUSS auf FUSS. Riesige Mee… Meteoriteneinschl…«
Jedermann in Menningers Sanatorium hatte unter Alpträumen gelitten. Oft war Alice mitten in der Nacht aufgewacht und hatte anderen zugesehen und zugehört… Ihnen ging es keine Spur besser als ihr. Der Gedanke hatte sie lange beschäftigt. Hätte sie früher nur öfter einmal eine Nacht gemeinsam mit anderen verbracht, dachte sie, dann wäre ihr bald klargeworden, daß sie sich nicht sehr von ihnen unterschied.
Und hätten ihre Eltern sie nicht auf eine Mädchenschule geschickt, hätte sie möglicherweise auch keine Schwierigkeiten im Umgang mit… dem anderen Geschlecht.
»Dinosaurier. O Gott, wie die Dinosaurier…«, sagte Dawson und stöhnte.
Armer Kerl. Zwar konnte er der Welt sagen, wie sie ihre Nahrungsmittelversorgung und Krankenhäuser zu schützen vermochte, doch woran würde man sich erinnern? Daran, daß Wes Dawson sie gedrängt hatte, sich den Scheusalen zu ergeben. Wes Dawson, der Verräter.
Ungerecht! Kaum hatte er von den Absichten der Scheusale erfahren, hatte er versucht, dem Lehrer Takpassih an die Gurgel zu gehen. Er hatte Mrs. Woodward davon erzählt, und Alice hatte mitgehört. Sie versuchte sich das vorzustellen. Es mußte ein kurzer Kampf gewesen sein.
So harmlos sah er im Schlaf aus; aber er war der einzige, der sich gewehrt hatte.
Mutig faßte Alice nach Wes Dawsons Handgelenk. Wenn sie zu schwach drückte, würde es ihn kitzeln, wenn sie zu fest drückte, würde er wach werden.
Er hörte auf zu atmen wie Alice selbst. Dann murmelte er: »Ich kann sie umbringen. Sie sind sterblich.« Sein Gesicht entspannte sich, seine Lippen öffneten sich leicht, und er schlief wieder tief.
Nach einer Weile kuschelte Alice sich an ihn.
Wer bereit ist, um einer geringen vorläufigen Sicherheit willen wesentliche Freiheiten aufzugeben, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.
Der Hubschrauber ging auf dem Parkplatz hinter einem merkwürdigen alten Gebäude nieder. Die Fundamente bestanden aus Granit, an jeder Ecke erhoben sich Backsteintürme. Ein älterer Mann wartete mit zwei weiteren auf sie. Sie trugen braune Uniformen und schützten sich mit Schirmen vor dem Nieselregen. Jenny und Jack folgten ihnen ins Innere des Gebäudes.
»Ich bin der Polizeichef, Ben Lafferty, und das sind zwei meiner Männer, Young und Hargman. Fragen Sie, was Sie wollen.«
»Eigentlich hatten wir mit Leuten von der militärischen Abwehr gerechnet«, sagte Jenny.
Lafferty verzog das Gesicht und beäugte Jennys frisch glänzendes silbernes Eichenblatt mit übertrieben zusammengekniffenen Augen. »Nun, Lieutenant Colonel, ich bin selbst Oberst der militärischen Abwehr. Offen gesagt bin ich hier der Ranghöchste.« Er hörte auf zu grinsen, und aus seinem Gesicht schwand schlagartig jegliche Jovialität. »Ich stamme von hier, meine Dame. Der Staat Washington hat die Hauptstadt Washington eigentlich nie so recht gebraucht, und Bellingham hat nie viel vom Staat bekommen. Es war ein hübsches Universitätsstädtchen, bis ihr Bundesleute gekommen seid.«
Jack Clybourne griff in die Tasche. Jenny legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich verstehe Sie«, sagte sie. »Wir tun nur unsere Pflicht.«
»Und worin besteht die? Was, zum Teufel, baut ihr da unten am Hafen? Erzählen Sie mir bloß nicht wieder den Quatsch mit dem Gewächshaus. Für so was braucht man keine riesigen Eisendinger, die unter Schleppkähnen hängend rangeschafft werden.«
»Wir sind im Krieg«, sagte Jack Clybourne.
»Davon haben wir gehört.«
»Gehört! Sie hätten das zerstörte Raumschiff sehen sollen!« Doch Jack Clybourne hatte sich gleich wieder gefangen. Lafferty war einen Schritt von ihm weggetreten. »Ich habe einige Filme mitgebracht und ich denke, ich kann Sie davon überzeugen, daß wirklich Krieg ist. Wir sind im Begriff, ihn zu verlieren und auf jede Hilfe und Zusammenarbeit angewiesen, die wir bekommen können.«
»Das kenne ich schon.« Der Polizeichef sah auf die Uhr. »Schön. Hargman und Young können sich um Sie kümmern. Ich habe einen Termin.« Er verließ das Büro, ohne sich noch einmal umzuwenden.
»Was hat er eigentlich?« wollte Jack Clybourne wissen.
Young überlegte einen Augenblick lang und sagte dann leise: »In gewisser Hinsicht hat er recht. Es lief alles prima, bis mit einem Schlag dieses große Gewächshausprojekt angekündigt wurde. Nur ist es kein Gewächshaus, nicht wahr? Sonst müßte der Bau ja nicht von einem Astronauten im Generalsrang überwacht werden.«
»Zufällig ist General Gillespie mein Schwager. Er gehört zu den Luftstreitkräften«, sagte Jenny.
»Ach ja? Und was haben die mit Grünkram zu tun? Wozu all diese Sicherheitsvorkehrungen, wenn es doch nur ein Gewächshaus ist?«
»Es gibt Gründe.«
Hargman schnaubte verächtlich. »Sicher. Und die sorgen dafür, daß eines schönen Tages ein Meteor auf unsere Stadt abgeworfen wird und alle umkommen.«
»Nicht wenn die Außerirdischen an das Gewächshaus glauben «, sagte Jenny. »Sie haben noch nie ein Lebensmittellager bombardiert.«
»Und woher sollen die wissen, daß es eines ist?«
»Vielleicht lassen Sie es einfach mal darauf ankommen«, sagte Jack. »Wenn die Rüßler erst mal erfahren, daß in Bellingham etwas vor sich geht, dann…« Er spreizte die Hände.
»… gibt es kein Bellingham mehr«, sagte Young. »Und wie könnten sie dahinterkommen?«
»Durch das Fernsehen. Oder einfach über das Radio, den Polizeifunk – sogar CBFunk.«
»Großer Gott«, sagte Hargman. »Und was für ein Geheimnis beschützen wir da?«
»Glauben Sie mir, es ist besser, wenn Sie es nicht wissen«, versicherte ihm Jack.
Jenny dachte an das graue Gesicht des Präsidenten. »Hört mal, wir sitzen doch alle im selben Boot, nicht wahr? Wichtig ist, daß niemand auf den Gedanken kommt, in Bellingham könnte es Geheimnisse geben. Auf dieser Grundlage sollten wir vorgehen.«
»Alle CBGeräte einsammeln«, knurrte Hargman. »Das wird bestimmt nicht einfach sein. Und werden Rüßler nicht erst recht mißtrauisch werden, wenn es hier kein CBGeplapper mehr gibt?«
Jack erwiderte: »Wir sorgen für Anlagen, über die viel geplauscht wird. Aber das machen unsere Leute. Vielen Dank.«
»Wird gemacht«, sagte Young. »Aber so richtig schmeckt mir das nicht.«
»Es ist im Interesse aller«, beruhigte ihn Jenny.
General Edmund Gillespie schloß die Tür. Jenny konnte den Lärm vom Hämmern und Nieten immer noch hören, aber er war schwächer, riß nicht mehr an ihren Trommelfellen. Im Büro bedeckten Pläne und Bauzeichnungen Stühle und Tische, hingen von sämtlichen Wänden.
Jack Clybourne nahm mit erleichtertem Gesichtsausdruck seine Ohrenschützer ab.
»Max«, sagte General Gillespie, »Sie erinnern sich bestimmt noch an die kleine Schwester meiner Frau. Sie ist inzwischen Lieutenant Colonel.«
Ein breites Grinsen trat auf Max Rohrs’ Gesicht. »He, Jenny. Schön, dich zu sehen. Ist ja toll.«
»Und das ist Jack Clybourne«, stellte Gillespie vor. »Max ist sozusagen der Bauleiter unseres Projekts. Max, Jenny und Jack sind hier als – ich möchte, daß das richtig verstanden wird – als persönliche Beauftragte des Präsidenten. Sie werden ihm nach ihrer Rückkehr berichten.«
»In Ordnung«, sagte Rohrs. »Ich wußte ja, daß wir wichtig sind.«
»Max, Ihr hier seid unsere letzte Hoffnung«, platzte Jenny heraus.
»Ist mir bekannt.«
Gillespie wies auf die Stühle. »Was zu trinken? Ich kann das Bier hier nur empfehlen.« Er öffnete einen Kühlschrank und holte mehrere Flaschen ohne Etiketten heraus.
»Gern«, sagte Jenny.
Mit gerunzelter Stirn nahm Jack eine Flasche entgegen.
»Und wie geht es voran?« fragte Jenny.
»Nicht schlecht«, sagte Max Rohrs. »Wir sind sogar dem Terminplan voraus.«
»Wieso das?«
»Nun, ein AtomU Boot am Boden des Hafenbeckens liefert reichlich Strom, und wir haben sämtliche ComputerZeichensysteme entlang der Westküste konfisziert. All das hilft. Am besten ist aber, daß es praktisch keinen Papierkram zu erledigen gibt«, sagte Max. »Keine Telefonate mit Washington, die Ingenieure entwerfen, die Computerleute prüfen es durch, Ed und ich entscheiden, und dann geht es gleich an die Ausführung, ohne langatmige Konferenzen und PlanungsausschußSitzungen. Wir machen es einfach.«
»Zum Erfolg trägt außerdem bei, daß jeder sein Bestes gibt«, sagte Gillespie.
»Stimmt. Wir sind hier, um das Ding fertig zu kriegen, nicht um Geld zu verdienen und Kaffeepausen zu machen.«
Das sieht man aber auch, dachte Jenny. Max sieht aus, als hätte er im letzten Monat keine einzige Nacht geschlafen, und Ed sogar noch schlimmer. »Und wann kann das Ding startbereit sein?«
Max machte ein nachdenkliches Gesicht. »Es heißt, noch ein Jahr, aber es würde mich nicht überraschen, wenn wir es in neun Monaten fertig bekämen. Vielleicht sogar noch eher.« Er entrollte einige Konstruktionszeichnungen. »Das schwierigste ist die Grundplatte. Die Lastkähne bringen sie stückweise rein, und wir müssen sie hier an Ort und Stelle zusammensetzen. Es ist Knochenarbeit, und es genügt nicht, daß man nur schweißt und nietet. Dann brauchen wir noch die Kanone, die die Bomben hinter die Prallplatte drückt. Wenn das nicht klappt… nun, wir haben jedenfalls zwei getrennte SBK vorgesehen.«
»Was ist das?«
»SchubBomben Kanonen.«
»Ach ja. Dann fehlen noch alle elektronischen Anlagen und sonstigen Systeme. Hat es nicht neun Monate gedauert, auf der Raumfähre die Toiletten zu ändern?«
»Kein Wunder, so wie die NASA arbeitet«, sagte Gillespie. »Wir fackeln nicht lange, sondern bauen einfach alles ein. Natürlich spielt dabei auch eine Rolle, daß wir nicht grammweise abspecken müssen. Wir haben genug Schub für den Start.«
Das kann man wohl sagen. »Wird alles Material nach Plan geliefert?«
»Nein, aber wir kommen in etwa hin«, sagte Gillespie. »Vielleicht haben Sie schon gemerkt, daß hier nicht viel Militärpolizei zu sehen ist, gerade genug zum Schutz der inneren Abzäunungen. Die übrigen habe ich mit Colonel Taylor zur Werft in Bremerton geschickt, um den Mistkerlen da ordentlich Feuer unterm Hintern zu machen…«
»Und das hat die Lieferungen ganz unglaublich beschleunigt «, ergänzte Rohrs. »Hier, noch ‘ne Runde.« Er holte weitere Bierflaschen aus dem Kühlschrank.
»Wir haben eine ganze Menge Sicherheitskniffe gelernt«, fuhr Gillespie fort. »Hauptsächlich von Vietnamesen.«
»Flüchtlinge?« wollte Jenny wissen.
»Einige, die meisten sind ehemalige Vietkong. Die kennen sehr brauchbare Kniffe: wie man Geleitzüge versteckt, Baumstämme aushöhlt, um Stahl zu transportieren, Tunnels baut, alles, was sie damals gegen uns verwendet haben.«
»Vielleicht hätten Sie Ihre Sicherheitsleute hierbehalten sollen «, sagte Jack Clybourne. »Ich habe nicht den Eindruck, daß die örtliche Polizei von dem Projekt begeistert ist.«
»Ich weiß«, sagte Gillespie. »Ich hatte schon überlegt, ob ich ihnen einfach sage, was wir tun. Vielleicht würde sie das zur Mitarbeit veranlassen.«
»Und warum tut ihr es nicht?« wollte Jenny wissen.
»Weil sich unmöglich vorhersagen läßt, wie die Leute reagieren, wenn sie erfahren, womit das Ding hier angetrieben wird.« Gillespie schüttelte den Kopf. »Der einzige sichere Ort im Umkreis von vielen Kilometern wird im Schiff sein. Alles andere wird verschwinden. Manche denken vielleicht, besser, die Rüßler werfen einen Steinbrocken auf den Hafen, als daß hier fünfzig Atombomben hochgehen.«
»Es läßt sich nur schwer vorstellen, daß jemand das absichtlich verraten würde«, sagte Jenny. »Aber Vorsicht ist angebracht. Schön, wir brauchen glaubhafte Erklärungen. Was wird hier also gebaut, wenn es kein Gewächshaus ist?«
»Darüber zerbrechen wir uns schon lange den Kopf«, sagte Gillespie. »Wie wäre es mit einem Gefängnis?«
»Ein Gefängnis?«
»Ja, ein Sondergefängnis für politische Gefangene. Das würde erklären, warum hier so viele Soldaten herumlaufen. Wenn jemand zu mißtrauisch wird, können wir durchblicken lassen, daß wir politische Gefangene aus Kansas hier haben, Deserteure und Kollaborateure, die wir herbringen mußten, weil der Mob sie dort umgebracht hätte.«
»Das könnte klappen«, sagte Jack. »Und was, wenn die Bevölkerung Ihnen das auch nicht abnimmt?«
»Weiter haben wir noch nicht gedacht.«
»Wir müßten eine plausible Erklärung in der nächsten verstecken, wie die Schalen einer Zwiebel.« Jack malte konzentrische Kreise auf einen Notizblock. »Wer die erste durchschaut, trifft auf die nächste und kennt immer noch nicht das wahre Geheimnis. Was ist also die nächste?«
»UnterwasserForschungsanlagen im Bau?« schlug Gillespie vor.
»Nein. Warum sollte man das geheimhalten?… Aber uns fällt schon was ein, laßt uns einfach weiterreden.«
Jenny beugte sich zu Jack hinüber und sah, daß er außerhalb der Kreise mit Druckbuchstaben geschrieben hatte GEWÄCHSHAUS, und im ersten KOLLABORATEURE.
Sie tranken.
»Rüßler«, sagte Jenny.
»Häh?«
»Ein großes wissenschaftliches Zentrum zur Untersuchung und Erforschung gefangengenommener Rüßler. Das würden die Außerirdischen auf keinen Fall bombardieren, wir aber hätten gute Gründe, so etwas vor unseren Leuten geheimzuhalten.«
»Könnte gehen.«
»Und wir bringen unsere Kollaborateure hier unter, damit sie sich mit den Rüßlern unterhalten können!«
Clybourne lächelte. »Schön. Wer kann Gefängnisse planen?«
»Wie?«
»Wir haben jetzt das Gerippe einer guten Geschichte und müssen Fleisch draufpacken. Was müßte man herbringen? Ganz gleich, was es ist, wir müssen es öffentlich zeigen. Man vermutet, daß wir Gemüse anbauen. Schiffe würden Gemüse fortbringen – aber sie kommen voll her und fahren leer wieder weg.« Neben GEWÄCHSHAUS schrieb er LEBENSMITTEL und machte einen Pfeil nach innen. Neben KOLLABORATEURE schrieb er GEFÄNGNIS, AUFSEHER. In den zweiten Kreis schrieb er RÜSSLER, daneben RÜSSLER BESORGEN. »Wir haben Gefangene gemacht. Die Rüßler lassen sich willenlos hinbringen, wo man sie haben will. Sie sprechen nicht einmal miteinander. Aber zeigen könnten wir sie den Leuten.«
Jenny lächelte zufrieden. Das erste Mal, daß ich Jack richtig begeistert sehe. Außer bei mir…
»Kreise«, sagte Jack. »Schichten. Das Sicherheitssystem ist kreisförmig angeordnet, ebenso wie die Geschichten, die wir als Deckmantel benutzen. Sie müßten jeden draußen halten, der nicht wild entschlossen ist, hinter das wahre Geheimnis zu kommen. Der wirklich Zweck aber besteht darin, jeden drinzuhalten, dem es gelingt reinzukommen – natürlich, wir bauen einfach ein Gefängnis, vielleicht nicht besonders groß, aber groß genug für alle, die zuviel erfahren.«
»Klingt alles schön und gut, aber vergeßt ihr nicht was?« fragte Rohrs. »Der Polizeichef hilft euch mit Sicherheit nicht dabei.«
»Dann machen wir es eben allein.«
»Ja.« Rohrs kratzte sich am Kopf. »Aber, Mr. Clybourne…«
»Jack.«
»Jack, ich kann keinen Mann entbehren.«
Jack lachte leise in sich hinein. »Das denke ich mir. Ist schon in Ordnung. Als erstes holen wir uns ein paar Männer vom Heer.«
»Abwehr«, sagte Rohrs, »klar.«
»Außerdem Militärpolizei. Bauingenieure für das Gefängnis und Kampftruppen, vorsichtshalber«, fuhr Jack fort. »Wenn wir das nächste Mal mit Lafferty sprechen, soll er begreifen, daß er gegen Wände anrennt.«
»Klang das nicht gerade, als ob da etwas in Stücke gerissen würde?« fragte General Gillespie. »Womöglich unsere Verfassung?«
Jenny warf einen Blick auf Eds angewidertes Gesicht. Interessant. Ein liberaler General? Wir kämpfen doch hier gegen die Rüßler, und Not kennt kein Gebot!
»Nein.« Jack Clybourne war sich seiner Sache sicher. »Was Sie da gehört haben, ist das Geräusch, mit dem Bellingham außerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten gestellt wird.« Er öffnete seine Aktentasche und entnahm ihr ein Dokument. »Ich habe hier eine Anordnung des Präsidenten, die die Bestimmungen der HabeasCorpus Akte für das Gebiet von Bellingham aufhebt. Es ist durchaus verfassungsgemäß. Ich halte mich an die Regeln, General.«
»Schon, aber falls das herauskommt!«
»Ach was. Wenn die Soldaten erst mal hier sind, wird Bellingham sofort abgeriegelt. Niemand kann mehr raus.«
»Und was ist mit Leuten, die über die Fernstraße kommen?«
»Da herrscht jetzt kaum Verkehr«, sagte Rohrs.
»Das Hafengebiet ist von der Straße aus nicht einzusehen«, sagte Jack. »Der hohe Hügel mit der Universität darauf liegt dazwischen. Wer da entlangfährt, sieht nichts Bemerkenswertes, wer aber um den Hügel herum in die Stadt kommt, verläßt sie einfach nicht mehr, Punkt, Schluß, aus, Feierabend.«
»Aber was ist mit…?«
Es klopfte. Rohrs rief herein, aber niemand kam. Er ging zur Tür. Lärm flutete in den Raum, und jemand schrie: »Max, mach mal das Radio an, da gibt es was Wichtiges!«
»In Ordnung, danke!« Rohr schloß die Tür, und der Lärmpegel sank wieder auf ein erträgliches Maß.
»Welcher Sender?« wollte Clybourne wissen.
»Es gibt nur einen.« Rohrs ging zu dem Radio, das oben auf einem Aktenschrank stand.
Eine Stimme ertönte. Sie kam ihnen bekannt vor, und sie klang wie die eines berufsmäßigen Redners.
»… daß sie die Unterwerfung aller Menschen akzeptieren. Wer sich ergibt, gehört zur Herde und kann in ihr im Laufe der Zeit Positionen einnehmen – wenn nicht er selbst, dann seine Abkömmlinge.«
»So ein Schweinehund!« sagte General Gillespie. »Das ist doch Wes Dawson!«
Alle erhoben sich beim Eintreten des Präsidenten. Ungeduldig wies er sie mit einer Handbewegung an, Platz zu nehmen. Der Raum wirkte mit seiner zusammengestoppelten Möblierung und den auf den Tischen verteilten Erfrischungen wie der Sitzungssaal bei einem SFKongreß, für den nur geringe Mittel zur Verfügung standen. Gleichzeitig aber fühlte man sich darin auf merkwürdige Weise wie im Weißen Haus. Der größte Teil der TräumerFithp war da, nicht aber Harpanet. »Sie haben also ein Band, Commander?«
Der Marineoffizier sah für seinen Rang jung aus. »Ja, Mr. President. So, wie es hereingekommen ist. Wir haben lediglich das Bild- und Tonrauschen unterdrückt.«
»Spielen Sie es ab.«
»Sehr wohl, Sir.« Der Commander machte ein Handzeichen.
Nach kurzem Zischen ertönte eine Stimme aus dem Weltraum.
»Liebe Mitbürger, hier spricht Wesley Dawson, ehedem Kongreßabgeordneter des Staates Kalifornien. Jetzt gehöre ich zur TshtaptiskFithp – das bedeutet Ziehende Herde. Es geht mir gut, und ich grüße meine Angehörigen. Die Ziehende Herde hat uns nach ihren Maßstäben gut behandelt.«
Nach ihren Maßstäben. Die Worte fielen auf; vermutlich war das Dawsons Absicht gewesen.
»Die Menschen an Bord des Raumschiffs Bote leben zusammen. Es sind drei Russen, Kommandant Arwid Rogatschow, Oberstleutnant Dmitri Gruschin und der Feldwebel des Kommandanten, sowie außer mir sechs Amerikaner: Mrs. Geraldine Wilson mit ihrer Tochter Melissa; Gary Capehart, neun Jahre alt; John und Carrie Woodward aus Lawton in Kansas sowie Alice McLennon, die früher in Topeka gewohnt hat. Wir sind alle relativ gesund, hauptsächlich weil Alice so weitsichtig war, Vitamine und dergleichen zur Ergänzung unserer Nahrung mitzubringen.
Die Herde beklagt sich, man habe ihre Krieger nicht gut behandelt, und viele seien getötet worden, als sie sich ergeben wollten. Eine solche Handlungsweise betrachten die Fithp als barbarisch.« In Dawsons Stimme schwang bittere Belustigung mit.
»Die Gebärde, mit der sie sich ergeben, ist leicht erkennbar und tief in ihrer Psyche verankert. Sie legen sich zum Zeichen der Wehrlosigkeit auf den Rücken. In einem solchen Fall ist die Unterwerfung absolut. Sie dürfen mir das glauben, es ist die Wahrheit.
Ihr Führer oder Admiral – wohl die passendste Übertragung des FithpBegriffs ›Herr der Herde‹ – hat mich aufgefordert, zu Ihnen zu sprechen, damit ein Gemetzel verhindert wird. Er sagt, die Fithp könne an jedem Ort der Erde weitere Asteroiden abwerfen. Dazu brauchen sie nicht einmal den Asteroidengürtel aufzusuchen, sondern sie können Mondgestein verwenden. Sie beherrschen den Weltraum vollständig und haben mit dem Bau eines Stützpunktes auf dem Mond begonnen.
Als sie sich der Erde näherten, war uns ihre Absicht nicht so recht klar. Jetzt kennen wir sie. Sie wollen für immer bleiben, die Menschheit soll sich ihnen unterwerfen. Sie wollen zwar die herrschende, aber nicht die einzige intelligente Art auf der Erde sein. Sie haben mir glaubwürdig versichert, daß sie die Unterwerfung aller Menschen akzeptieren. Wer sich ergibt, gehört zur Herde und kann in ihr im Laufe der Zeit Positionen einnehmen – wenn nicht er selbst, dann seine Abkömmlinge. Aus biologischen Gründen werden sich die Menschen nie so integrieren können, wie Fithp es der Überlieferung nach tun, aber unsere Nachkommen würden gleichberechtigt neben den ihren stehen.
Sie werden uns näher erforschen und uns gestatten, unsere eigenen Gesetze zu beschließen, solange sie nicht die Vorherrschaft der Fithp in Frage stellen. Sie bestehen sogar darauf, daß wir nach den von uns beschlossenen Gesetzen leben. Einzelgängertum wird nicht geduldet. Damit werden wir den ältesten Menschheitstraum verwirklichen, den Traum, ein Volk zu sein, mit einer Lehre, einem Gesetzeswerk für alle. Sie tun nichts allein. Was ein einzelner tut, unterliegt automatisch der Verantwortlichkeit seiner Gruppe. Insbesondere die Paarung der Fithp beruht vollständig auf Instinkt, hängt von Paarungszeiten ab, und sie bleiben ein ganzes Leben lang mit demselben Partner zusammen.«
Individualismus, fahr dahin! Reynolds, der gleichfalls anwesend war, erschauerte. Willkommen, Monogamie! Interessante Sache.
Dawson fuhr fort: »Sie gedenken alles zu tun, was erforderlich ist, um die Erde beherrschen zu können. Sie bedauern die hohen Verluste an Menschenleben durch den Abwurf des FUSSES, aber das wird sie nicht daran hindern, so lange weitere herabstürzen zu lassen, bis die Menschen die Macht der Fithp anerkannt haben.
Grundsätzlich liegt ihnen nicht daran, jemanden zu töten, der nicht an Kampfhandlungen teilnimmt. Dazu dient folgendes Symbol…«
Dawson beschrieb ein auf dem Rücken liegendes Fi’. Ach ja? Wir nehmen in dem Fall ein rotes Kreuz…
»… das ›Harmlos‹Symbol auf gar keinen Fall zu mißbrauchen. Sie werden streng darüber wachen. Sobald es für Militäranlagen oder Ähnliches verwendet wird, bombardieren sie alle mit diesem Zeichen gekennzeichneten Einrichtungen und Örtlichkeiten. Sie sehen mehr, als Sie auf der Erde für möglich halten. Ihre Radar- und Laseranlagen sind äußerst leistungsfähig und haben einen hohen Auflösungsgrad.«
Das kann man sich denken.
»Verstehen Sie«, sagte Dawsons Stimme vom Band, »der TshtaptiskFithp ist es ernst mit dem, was sie sagt. Sie hat Entfernungen von mehreren Lichtjahren im Weltraum zurückgelegt, um herzukommen. Sie kehrt nicht dorthin zurück, woher sie gekommen ist, sondern beabsichtigt, jahrhundertelang hierzubleiben.
Sie ist ein kollektiv lebendes Volk, das streng die Regeln der Herde befolgt. Die Evolution hat alle Einzelgänger ausgemerzt. Sie werden die Menschen nach ihren Maßstäben gut behandeln. Es wäre ihnen lieber, die Erde in gutem Zustand zu übernehmen, aber übernehmen werden sie sie auf jeden Fall. Bis dahin ist ihr großes Raumschiff ihre Welt.«
»Ausgezeichnet«, sagte Wade Curtis. Seine Stimme schallte laut in dem stillen Raum.
In Nats Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Wir sollten warten, bis der Präsident das Wort ergriffen hat. Der Teufel soll ihn holen, warum starrt er die Wand an?
Joe Ransom sagte: »Die lassen ihm ziemlich viel durchgehen. Habt ihr das gemerkt, am Ende? Sie haben keinen Rückhalt, nur das Raumschiff. Sie können unter keinen Umständen zurückkehren. Das hatte ich mir doch gleich gedacht.«
»Er setzt seine Stimme gekonnt ein. ›Nach ihren Maßstäben ‹«, überlegte Sherry laut. »Ob sie wohl verlangen, daß wir uns an ihre Paarungszeiten halten?«
Der Präsident und die Marineleute lauschten überrascht, wie die TräumerFithp über die Rede herfiel – wie Hunde über ein Stück Rotwild.
»Auf jeden Fall Einehe, Sherry, das hat er deutlich hervorgehoben. Wäre interessant zu wissen, ob sie ein paar nicht jugendfreie Filme gesehen haben.«
»Wie auch immer«, sagte Curtis. »Dawson ist ein ganz gerissener Bursche. Können wir das noch mal hören?«
Die Luftkanäle verengten sich. Alice kam sich eingesperrt vor und überlegte kurz, ob sie umkehren sollte. Dann biß sie die Zähne zusammen und verfolgte ihren ursprünglichen Weg.
Sie kam um eine Biegung. Er war da.
Wes Dawson hatte sich zusammengerollt. Wie ein Fötus im Mutterleib. Das tun die ganz Kranken. In den Filmen werden die immer gewalttätig.
Er rührte sich nicht, als sie näher kam.
»Wes?«
Er gab keine Antwort.
»Wes, ich bin’s, Alice.«
»Damit, daß ich das Schutzsymbol erklärt hab, bin ich ihnen in den Arsch gekrochen.«
Sie schwieg.
»Jedenfalls werde ich berühmt werden.«
»Sie waren großartig. Sie haben doch alles über die Scheusale durchblicken lassen – und die ahnen nicht im entferntesten…«
Er streckte sich. Alice schob sich ein wenig fort.
»Alice, Sie verstehen, was ich vorhabe«, sagte Wes, immer noch ohne sie anzusehen, »aber die anderen werden es nicht begreifen. Jetzt können sie Hitler vergessen, weil sie einen viel schlimmeren haben: Wes Dawson.«
»Wir waren alle einverstanden«, sagte Alice, »daß Sie es tun sollten.«
»Ja. Wie bei den Fithp. Alle tun alles zusammen. Es kommt sicher wieder alles ins Lot, Alice.« Endlich sah er sie an. »Vielen Dank, daß Sie mich aufgestöbert haben.« Er lächelte. Es wirkte nicht gespielt. »Mir fehlt nichts, es geht schon wieder.«
Er kam so unvermittelt auf sie zu, daß sie nicht rasch genug ausweichen konnte, schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Panik stieg in ihr auf. Wenn ich mich jetzt wehre, kommt er nie darüber weg.
Er drängte sich an sie, verhielt sich aber sonst ganz ruhig, nur sein Atem kam stoßweise. Er hielt sie fest, ohne sich zu bewegen. Allmählich wich die Anspannung aus ihr. Seine Tränen benetzten ihr Haar und ihre Kopfhaut. Fast gegen ihren Willen legte sie nun ebenfalls die Arme um ihn und preßte ihn an sich. »Es ist alles gut«, sagte sie, »es ist ja alles gut.«
»Ich brauchte das, daß mich mal jemand in die Arme nahm. Großer Gott. Vielen Dank, Alice.«
»Es ist alles gut.«
Wir werden nicht wanken noch weichen! Wir werden ausharren, wir werden in Frankreich kämpfen, wir werden auf den Meeren und Ozeanen kämpfen… Wir werden auf den Dünen kämpfen, wir werden auf den Landungsplätzen kämpfen, wir werden auf den Feldern und in den Straßen kämpfen, wir werden auf den Hügeln kämpfen; wir werden uns niemals ergeben.
Nat maß die Zutaten ab und gab sie in den Mixer. Es ging ihm flott von der Hand. Limonensaft, Zucker, Rum, das Fruchtfleisch einer halben Melone, Eisstückchen. Der Mixer lief langsam, weil sonst die Messer am Eis zerbrochen wären. Nat trat neben Harpanets Kopf und sagte, um den lauten Mixer zu übertönen, mit erhobener Stimme: »Ihr seid an lange Kriege gewöhnt.«
»Wir wissen aus den Überlieferungen der Heimatwelt, daß die Gestaltkriege fünf Generationen dauerten. Es hat weitere gegeben.« Harpanet machte eine Pause, um nachzudenken, und fuhr dann fort: »Vom Verliererstandpunkt aus kann ich nichts sagen. Ich habe erst darüber nachgedacht, nachdem ihr es mir beigebracht habt. Für SiegerFithp sind Kriege lang. Verlierer sind keine Fithp mehr. Die Ziehende Herde selbst hat jetzt den ersten Krieg geschmeckt.«
»Und gefällt euch der Geschmack?« Nat schaltete das Gerät aus.
Grifflinge fuhren ratlos umher: Woher soll ich das wissen? »Ich bin vom Himmel gefallen, habe meine Fithp verloren und mich zu unterwerfen versucht. Niemand hat das verstanden. Ihr habt Krieger aus Kansas da, nicht wahr? Fragt sie!«
»Sie sind nicht ganz richtig im Kopf«, sagte Curtis, der hinzugetreten war. »Vielleicht waren sie zu lange allein.«
Harpanet ließ seine Grifflinge sinken und schlug die Augenlider nieder. Sie wußten inzwischen, daß diese Haltung Bekümmernis ausdrückte.
Ransom hielt Reynolds ein Glas hin. »Dawson tut mir leid.«
Der Angesprochene nickte. »Ja. Der arme Kerl riskiert Kopf und Kragen, um uns ein paar Informationen zuzuspielen, und die Dummköpfe halten ihn für ‘nen Überläufer. Mir machen die Sorgen, die seinen Rat befolgen wollen, weil sie glauben, es wäre ihm ernst.«
»Wär doch vielleicht gar nicht schlecht«, sagte Sherry. »Aber es würde wohl nicht klappen. Es gibt zu viele wie dich und Ransom.«
»Sei doch froh.«
»He.« Reynolds trat zwischen sie. »Hier, trinkt einen!« Er goß ein. »Sherry, du willst dich doch nicht etwa unterwerfen?«
»Nein, aber auch nicht kämpfen!«
»Hat von dir ja auch keiner verlangt«, sagte Curtis.
»Genug«, gebot Ransom. »Die Frage ist, was wird der Präsident tun? Er hat es gut aufgenommen. Vielleicht will er ja klein beigeben.«
»Ach was«, sagte Curtis. »Mir persönlich wäre zwar ein anderer lieber, aber so schlapp ist er nun auch wieder nicht.«
»Bist du da sicher?«
»Ich möchte ihm das Gegenteil nicht geraten haben.«
Harpanet sprach mit Nachdruck. »Was habt ihr vor?«
»Wie?«
»Ihr bestreitet eurem Herrn der Herde den Führungsanspruch.«
»Na hör mal!«
Sherry legte ihre Hand auf Harpanets Stirn. »Sie meinen es nicht so, wie es klingt«, sagte sie.
»Aber sie haben doch gesagt…«
»Wir sind die TräumerFithp «, sagte Reynolds. »Wir sagen, was uns in den Sinn kommt. Aber wir stellen das Amt des Präsidenten nicht in Frage, nicht einmal im Traum, haha.« Mit scharfer Stimme fragte er: »Siehst du das etwa anders, Wade?«
»Natürlich nicht«, sagte Curtis mit spöttischem Grinsen. »Außerdem würde es nichts nützen.«
Nat füllte einen großen Becher mit dem Rest aus dem Mixer: er war noch etwa halbvoll.
»Schwimmen, Harpanet?«
»Gern.«
Ohne ihr Gespräch zu unterbrechen, betraten Reynolds und Harpanet den Schlammraum und stiegen in das schlammgefüllte Becken. Die Unterhaltung geriet ins Stocken, als sie die dritte Person sahen. Der Präsident der Vereinigten Staaten ließ sich mit geschlossenen Augen in der warmen Schlammbrühe auf dem Rücken treiben.
Harpanet tunkte seine Nüster ein. »Nicht ins Gesicht«, sagte Nat. »Zum Spielen ist er vermutlich zu müde.«
»Stimmt«, sagte der Präsident. »Ich bin müde.«
Harpanet drückte mit seiner Flanke so gegen die Wassermasse, daß eine sanfte Woge den Präsidenten überrollte, und dieser lächelte entspannt. Er öffnete ein Auge und sah Harpanet an. »Ihr habt uns schwer getroffen.«
Harpanet fragte: »Mit dem FUSS?«
»Ja. Ihr habt viele Menschen getötet.«
»Nicht ich. Ich gehöre jetzt zur TräumerFithp. Kann ich helfen?«
Der Präsident bewegte sich. »Reynolds, werden wir das überleben?«
»Als Gattung schon. Ausrotten können sie uns nicht. Eine bestimmte Anzahl wird auf jeden Fall weiterleben – wie Parasiten im Umfeld der Außerirdischen. Wir haben immer noch eine Chance, weil wir klein genug sind, um uns zu verstecken, wohin sie nicht gelangen. Aber so weit kommt es gar nicht. Es ist unser Planet, mit allen Ecken und Winkeln. Nach Sibirien, Grönland oder in die Sahara können sie uns nicht folgen.«
»Das brauchen sie auch gar nicht«, sagte David Coffey. »Sie werfen einfach etwas ab und bringen jedesmal mehr Menschen um, bis wir klein beigeben. Wenn wir sowieso aufgeben müssen, warum dann die Sache in die Länge ziehen? Wer nicht aufgeben will, kann ja nach Sibirien gehen. Die anderen unterwerfen sich einfach.«
»Das ist vernünftig«, sagte Harpanet.
»Nein. Da würden zu viele so tun, als ob sie sich ergäben, in Wirklichkeit aber Waffen verstecken und die Fithp umbringen, wo immer sich eine Gelegenheit dazu bietet. Sie als Präsident können sich nicht für alle anderen mit unterwerfen.«
»Da stimme ich Ihnen zu.«
»Nun, die Fithp ist aber genau dieser Ansicht. Sie zieht einen für alle zur Rechenschaft. In ihren Augen haben wir keine Ahnung, wie man sich ordnungsgemäß unterwirft.«
»Aber etwas müssen wir doch unternehmen«, sagte Coffey.
»Vielleicht kommen die Laser der Fithp nur auf ganz wenigen bestimmten Frequenzen herein. Für die könnten wir Reflektorfarben herstellen und unsere Bombenflugzeuge damit lackieren.«
»Das würde aber eine ganze Weile dauern, nicht wahr?«
»Schon. Man müßte erst Forschungsanlagen errichten.«
»Die Laser arbeiten auf vielerlei Frequenzen«, sagte Harpanet.
Reynolds resignierte: »Dann eben was anderes.«
Der Präsident ließ sich in den Schlamm sinken. »Was könnten wir sonst tun?«
»Unseren Freund Harpanet beobachten und feststellen, wie man ihn bei Laune hält.«
»Gern«, sagte Harpanet erfreut.
»Und warum kümmert sich um mich niemand?« beklagte sich der Präsident.
»Harpanet braucht sicher verschiedenes. Vielleicht Nährstoffe, die in unseren Lebensmitteln nicht enthalten sind. Das muß dann auch für die Ziehende Herde gelten! Was ist das? Wie können wir verhindern, daß die Fithp es bekommt? Wir müssen ihre Schwächen kennenlernen. Dazu brauchen wir Forschungseinrichtungen. Wir haben doch sicher noch mehr Gefangene. Lassen Sie sie beobachten. Sie haben eine Paarungszeit – das hat auch Dawson gesagt und eigens betont –, und die Paarung hängt bei ihnen viel stärker vom Instinkt ab als bei uns. Vielleicht könnten wir ihre Pheromone imitieren und sie damit verrückt machen?«
Der Präsident lachte. Er fühlte sich erheblich munterer und nicht mehr so deprimiert wie zuvor. Die Rüßler wußten schon, warum sie so gern in Schlamm badeten.
Mit Hoffnung und Ehre sind wir fertig.
Wir sind für Liebe und Wahrheit verloren.
Wir fallen die Leiter Stufe um Stufe hinab;
und das Maß unsere Qual ist das Maß unserer Jugend,
Gott helfe uns, denn wir haben das Schlimmste erfahren,
als wir noch zu jung dafür waren!
»Hatten Sie einen guten Flug?« Die Antwort wartete der Präsident gar nicht erst ab. »Was haben Sie in Erfahrung gebracht?«
»Es steht alles zum besten, Sir«, sagte Jenny. »Ursprünglich war das Startdatum auf Ende nächsten Jahres festgelegt, aber General Gillespie denkt, daß er um Monate eher fertig wird.«
»Gut.« David Coffey rieb sich die Hände. »Je eher, desto besser. Jack, wie steht es mit der Sicherheit?«
»Besser, seit ich da war«, sagte Clybourne. »Es gab gewisse Schwierigkeiten mit dem örtlichen Polizeichef, aber wir haben sie beigelegt. Er wird jetzt bestimmt mit uns zusammenarbeiten.«
Das kann man wohl sagten, dachte Jenny.
»Wir haben alles gründlich durchgeplant«, sagte Jack. »Es ist jetzt wie eine Zwiebel. Verkehrspolizei auf der Fernstraße, aber in den Uniformen stecken Elitesoldaten. Im ganzen Ort gibt es keine CBFunkgeräte mehr, außer unseren eigenen. An denen sitzen Nachrichtenleute der Armee und halten Plauderstündchen.«
»Vermutlich war es gar nicht einfach, all die CBGeräte einzusammeln «, sagte der Präsident.
»Nein, Sir«, sagte Jack. »Besonders widerspenstig war eine Kolonie von Überlebensspezialisten, die meisten kamen aus Los Angeles.«
»Da sieht es doch noch gut aus«, sagte der Präsident.
»Eben. Aber sie können nicht dorthin zurück, Sir. Jedenfalls hatten sie ein Dutzend Funkgeräte. Wir haben sie aber alle beschlagnahmt.«
»General Gillespie hat eine Gruppe von Waffenexperten zusammengestellt «, sagte Jenny. »Ingenieure von Boeing, Marineleute, und sogar einen nicht mehr aktiven SFAutor.«
»Eine gute Wahl. Die Männer haben sich auch hier als sehr nützlich erwiesen.«
»Ja, Sir. Sie haben dort eine ganze Anzahl von Waffen erfunden, eine sieht aus wie ein Ofenrohr. Sie demontieren ein großes Schiffsgeschütz und bauen ein Raumschiff darum herum. Nicht besonders viel Raumschiff, ehrlich gesagt. Es besteht im Grunde aus einer automatischen Ladevorrichtung und atomaren Sprengsätzen unterschiedlichster Art. Gelenkt wird über Fernsehschirme.«
»Du liebe Zeit! Und wer soll so etwas fliegen?«
»Es gibt genug Freiwillige.«
Der Präsident lächelte. »Großartig. Weiter!«
»Sie ahnen nicht, was die alles auf das Schiff packen. Torpedos mit HBomben Antrieb. Kanonen. Ganze Bündel von GammastrahlenLasern, die losgehen, wenn sie von einer detonierenden Bombe getroffen werden. Alles was dem Raumschiff der Außerirdischen Schaden zufügen kann.«
»Und es gibt wirklich Männer, die bereit sind, das zu fliegen?« fragte der Präsident. »Nun, dann besteht ja noch Hoffnung. Nicht locker lassen, bis alles fertig ist.« Er sah auf die Uhr. »Kabinettssitzung in einer Stunde. Da Sie beide eine Weile weg waren, möchte ich, daß Sie anwesend sind, um diesbezügliche Fragen zu beantworten. Nur bitte kein Wort darüber, wo Sie waren oder über den eigentlichen Grund Ihrer Abwesenheit. Die wenigsten Kabinettsmitglieder haben Kenntnis von dem Projekt.«
Unbehaglich rutschte Jenny auf ihrem Stuhl hin und her. Zwar waren Kabinettssitzungen wichtig, aber die Mehrzahl der Kabinettsmitglieder kannte das entscheidende Geheimnis nicht. Es muß schwierig sein, das Land regieren zu wollen, wenn niemand weiß, wie er sich den Weg zum Sieg vorzustellen hat.
»Zu Punkt zwei wird die Handelsministerin sprechen«, kündigte der Stabsschef des Weißen Hauses, Jim Frantz, an.
Connie Fuller schob ihren Stuhl zurück, als wolle sie aufstehen, unterließ es dann aber. »Auch ich will mich kurz fassen«, sagte sie. »Ich fürchte, daß mein Bericht nahezu ebenso niederschmetternd ist wie der von Admiral Carrell.
Zuerst die guten Nachrichten. Es entstehen geradezu unglaublich viele Gewächshäuser. Gemüse wird nahezu überall angebaut: hinter Wohnhäusern, auf Schulhöfen, Golfplätzen und öffentlichen Rasenflächen. Wenn wir Glück haben, wird niemand verhungern müssen.
Ich hätte gern mehr Gutes zu berichten, aber das ist bereits alles. Die Mehrzahl der Staudämme ist zerstört, wie auch die meisten Brücken. Mr. President, die Vereinigten Staaten bestehen aus einer Vielzahl von voneinander abgeschnittenen Gebieten, und wir können kaum etwas daran ändern. Das Fernstraßennetz ist ebenfalls zerstört. Es gibt noch intakte Straßen zweiter und dritter Ordnung, aber selbst auf ihnen ist der Verkehr nicht sicher. Manchmal lassen die Außerirdischen große Lastzüge unbehelligt, aber man kann sich nicht darauf verlassen. Züge sind keineswegs vor ihnen sicher, und Schiffe werden oft angegriffen.«
»Auch jetzt noch?« fragte der Präsident. »Nachdem wir Mr. Dawsons Symbol verwenden?«
Alle sahen auf Carlotta Dawson. Einen Augenblick lang lächelte sie die anderen an, dann senkte sie den Blick.
Sie weiß nichts über das Projekt Erzengel. Sollte man es ihr nicht sagen? Es wäre das mindeste.
»Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen«, sagte Mrs. Fuller. »Bisher gibt es keine bestätigten Berichte darüber, daß mit diesem Symbol gekennzeichnete Fahrzeuge oder Anlagen beschossen worden sind. Wir haben es mit Bedacht eingesetzt, und…«
»Gut«, unterbrach der Präsident. »Das ist auch wichtig. Wir dürfen es keinesfalls mißbrauchen. Wir müssen im Gegenteil ein Gesetz beschließen, in dem jeglicher Mißbrauch des Symbols als Hochverrat unter Strafe gestellt wird. Es wäre mir recht, wenn das sofort in die Wege geleitet würde.«
Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses nickte bedächtig. »Wenn Sie das für richtig halten…«
»Es ist unerläßlich, Mr. Dayton. Und Jim, ich wünsche, daß es unnachsichtig gehandhabt wird. Jedes Exekutivorgan muß ermächtigt werden, bereits den bloßen Mißbrauchsversuch zu ahnden. Erforderlichenfalls müssen wir Anlagen, die das Zeichen zu Unrecht tragen, selbst zerstören.«
Der Stabschef machte sich eine Notiz. »Ja, Sir. Ich werde eine entsprechende Verordnung sofort veranlassen.«
»Ich begreife die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes«, sagte General Toland. »Aber es wird der Truppe nicht recht sein, gegen ihre eigenen Interessen durchgreifen zu müssen.«
»Sagen Sie den Leuten, sie sollen das Maul halten und ihre Pflicht tun!« sagte Admiral Carrell.
Wir haben das ›Harmlos‹Symbol der Außerirdischen auf die Kuppel des Projekts gepinselt, und auf die Schiffe, die dafür unterwegs sind. Nicht größer als anderswo. Wir hatten keine Wahl, sonst könnten wir gleich ›bombardiert uns‹ draufschreiben. Aber wenn es jemand auf einen Munitionslastwagen malt…
In der Bote herrschte Rotationsschwere. Den Fithp schien die geringe Schwerkraft sehr zu gefallen. Alice befand sich in der Nähe der Schiffsachse. Hier krümmten sich die Kanäle stärker. Sie kämpfte sich geduckt gegen den kräftigen Luftstrom voran. Staubmäuse hatten sich in den Biegungen der Kanäle angesammelt, und gelegentlich hielt sie inne, um sie zu beseitigen.
Vor sich vernahm sie ein Geräusch. »Wes?« rief sie.
»Ja. Wie geht’s voran? So sauber waren die Kanäle bestimmt nicht mal im Neuzustand.«
Sie umrundete die Biegung. »Die reine Beschäftigungstherapie «, sagte sie.
»Ja, aber so können wir uns umsehen. Früher oder später werden wir unser Wissen nutzen.«
»Wie wär’s mit einem Schäferstündchen?«
»Jederzeit«, sagte er. »Schließlich lebe ich seit Monaten keusch. Ist dir eigentlich klar, daß ich verheiratet bin?«
»Und wie weit ist deine Frau weg?«
»Carlotta dürfte sechsunddreißigtausend Kilometer von hier entfernt sein. Augenblick, das ist die erdsynchrone Umlaufbahn. Wir sind jetzt über Afrika, leg also noch mal drei- bis viertausend Kilometer drauf, rund vierzigtausend.«
»Dann kann sie uns ja hier auf keinen Fall überraschen?«
»Bestimmt nicht. Warum eigentlich ich, Alice?«
»Weil ich glaube, daß du den Berater der Leitbullen umgebracht hast.«
Er wurde ernst. »Ich frage dich noch einmal, warum ich?«
»Wer sonst hätte den Mumm dazu?«
»Jede Achtergruppe von Fithp, denen seine Politik nicht paßte.«
Alice lächelte. »Spielen Sie ruhig Ihre Spiele, Herr Kongreßabgeordneter! Sie würden nicht so zögern, wenn Sie nicht schuldig wären.«
»Ach… ich… ich weiß nicht… So, wie du meinst, war es nicht.«
Er hat es wirklich getan! »Wie dann?«
»Jedenfalls habe ich mich nicht an das arme Fi’ herangeschlichen und es im Schlaf erwürgt. Ich…« Die Heftigkeit und Gewalttätigkeit, die sie unter seiner weltmännischen Oberfläche vermutet hatte, stand ihm nun deutlich ins Gesicht geschrieben. Einen Augenblick lang bereute sie ihre Entscheidung. Du kannst dich immer noch mit einer Ausrede davonmachen. Aber wenn die Scheusale zuhören, gibt es ohnehin kein nächstes Mal. Sie schob sich näher an ihn heran.
In seinen Augen lag kalte Wut, er sah durch sie hindurch. »Ich dachte, ich hätte alles schon eingerenkt! Der Berater hatte die Absicht, die Erde zufriedenzulassen, und wollte von mir nur gute Gründe dafür hören. Die war ich ihm, weiß Gott, bereit zu geben. Bei unserem ersten Zusammentreffen wurde ihm die Zeit knapp, also haben wir uns noch einmal verabredet. Ich hatte den Schlammraum gesehen und wußte, wie man dorthin kommt. Fathistihtalk wollte da auf mich warten. Hast du die Tür bemerkt, mit einem Drehknauf so groß wie eine Suppenschüssel? Ich hab ihn betätigt, und die Tür sprang von selbst auf, per Federkraft. Ich habe mich durchgezwängt und meine Reinigungsutensilien vor der Tür gelassen. Hinter ihr mischten sich kalte und warme Luftströmungen. Durch ein Gitter am Ende des Luftkanals sah ich den schwarzen Schlamm. Er war flüssig, und die Luftströmungen kräuselten die Oberfläche. Damals schob das Schiff noch den FUSS vor sich her. Doch niemand war da.«
Sie konnte ihm seine Enttäuschung nachfühlen. »Niemand?«
»Nein, jedenfalls nicht in dem Augenblick. Ich war sehr unruhig und habe mich dauernd gefragt, was er wirklich wissen wollte. Militärische Geheimnisse vielleicht? Eine merkwürdige Art, sie auszuspähen…«
»Sie sind nicht besonders raffiniert.«
»Stimmt. Das wußte ich damals aber noch nicht. Falls er etwas unternähme, was mir nicht paßte, plante ich, durch den Kanal zurückzukehren, Krieger zu rufen und ihn des Aufruhrs zu bezichtigen. Aber vielleicht hatte er mit mir ähnliches vor, indem er mich zur Meuterei anstachelte. Deshalb dachte ich, es sei vielleicht nicht schlecht, mich einmal nach möglichen Zeugen umzusehen.
Also habe ich die Flügelmuttern abgenommen und das Gitter gelockert. Gerade als ich hindurchschlüpfen wollte, habe ich etwas gehört und deswegen das Gitter wieder angebracht. Fathistihtalk betrat ganz allein den Schlammraum.
Wir setzten unser Gespräch an der Stelle fort, wo wir es beim vorigen Mal unterbrochen hatten. Er erzählte mir von den Abtrünnigen, den Fufisthengälssthp, meist Raumgeborene, denen eine Eroberung der Erde nicht sinnvoll scheint. Alles klang gut. Fathistihtalk sagte, die Abtrünnigen seien zahlreich und bereit, Frieden zu schließen, aber auch ein wenig zaghaft. Sie wollten keine Wellen schlagen, nicht als Einzelgänger gelten. Immer schön in der Herde mittraben, ganz wie der Durchschnittsbürger bei uns zu Hause. Man muß sie richtig anstacheln, damit sie aktiv werden.«
Seine Augen leuchteten, und er fuchtelte erregt mit den Händen. Ich verstehe, warum sie ihn wählen, vor allem Frauen. Alice spürte ein Kribbeln in ihren Lenden, ein Gefühl, das sie schon längst als gefährlich erkannt hatte, und einen Augenblick lang kehrten die alten Befürchtungen zurück. Bestimmt mag er mich nicht wirklich. Doch er ließ ihr keine Zeit, darüber nachzudenken.
»Ich habe ihm gesagt, daß es leicht sein würde, Frieden zu schließen und versucht ihm zu erklären, wie oft sich in der Geschichte der Erde ehemalige Gegner verbündet haben. Das hat ihn wohl verwirrt. Einstige Gegner sind für die Fithp in der Gegenwart Sklaven und in der Zukunft gleichberechtigte Mitbürger. Aber ich denke schon, daß er mir Glauben geschenkt hat. Ich habe ihm weiter vorgeschlagen, daß wir Handel treiben könnten, wenn die Fithp Bodenschätze auf den Asteroiden abbauen wollten: ihre Metalle gegen unseren Dünger, Ackerboden und Stickstoff. Beide Seiten würden davon profitieren! Ich habe ihm auch gesagt, wir könnten für die Fithp die Pflanzen anbauen, die sie brauchen, und die Tiere züchten, die sie haben wollen. Bestimmt gibt es für alles, was überhaupt im Wasser und an der Luft wächst, einen Ort auf der Erde, an dem es gedeihen kann. Ich habe ihn keine Sekunde lang belogen. Alice, ich kann mir wirklich keine Vorwürfe machen. Ich habe meine ganze Überredungskunst eingesetzt.«
»Die Scheusale sind einfach anders als wir. Mit Logik ist denen nicht beizukommen.« Eine Wahnsinnsgeschichte, aber weiter! So hatte sie sich noch nie gefühlt, nicht seit einem bestimmten Tanz während ihrer Schulzeit. Das Vorgefühl war dagewesen, aber die Dinge waren damals zu rasch zu weit gediehen, sie hatte Angst bekommen und war aus dem Wagen davongestürzt… und am nächsten Morgen war die Geschichte in der ganzen Schule herum gewesen. Einen Augenblick lang stieg ihr die Angst wieder in die Kehle.
Aber dies hier war etwas ganz anderes. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß sie die Rolle des Therapeuten würde übernehmen müssen. Sollte sie sich dagegen sträuben?
»Nun, ich hatte Fathistihtalk wohl schon ziemlich weit herumbekommen «, sagte er, »mit dem, was ich ihm über die Nutzungsmöglichkeiten des Weltraums erzählte. Davon verstehe ich etwas, denn damit habe ich mich schon als Schuljunge beschäftigt. Sonnenkollektoren, chemische Reaktionen in der Schwerelosigkeit, Legierungen, die sich unter dem Einfluß der Schwerkraft nicht gut herstellen lassen, zum Beispiel unerhört feste EinkristallFasern. Das meiste davon kannten sie gar nicht.«
»Wieso nicht?«
»Es steht nicht auf ihren Granitquadern. Sie sind mächtig, Alice, aber auch mächtig dumm!«
»Dumm wohl nicht. Aber verrückt, das kann schon sein.«
»Oder irgendwas dazwischen. Sie denken nicht eigenständig. Vielleicht hatten sie das ja nie nötig. Aber ich habe ihm alles gezeigt und erklärt, was wir an Möglichkeiten zur Ausbeutung der Ressourcen im All bis heute kennen.«
»Und alles auf fithpisch?«
Wes Dawson lachte. »Ich habe ziemlich viel herumgestottert, mich mit einfachen Wörtern beholfen und mit Händen und Füßen geredet. Jedenfalls hat er es wohl verstanden. Denn letztendlich hat es ihn umgebracht.«
»Wie denn das?«
»Ich hatte ihm zuviel erzählt, wovon die Fithp keine Ahnung haben. Denn er kam zu dem Schluß: ›Du mußt zu unserer Fithp gehören, wenn wir die Reichtümer der Welt an uns bringen! Du mußt in die Ziehende Herde aufgenommen werden.‹«
Wes atmete jetzt heftig. »Ich denke, wenn ich nicht gewußt hätte, daß ich selbst daran schuld war, wäre ich nicht so wütend geworden. Ich sagte ihm, wir wären bereit, ihnen alles zu erzählen, was sie wissen müßten. Darauf er: ›Ich höre mehr, als du sagst, Dawson. Du möchtest diesen Reichtum für deine Fithp allein haben. Wenn wir nicht um euren Planeten mit euch kämpfen, tun wir es demnächst um die anderen.‹
Darauf habe ich ihm wutentbrannt das Gitter an den Kopf geworfen und bin in den Kanal gesprungen. Noch im Fluge merkte ich, daß mein Verhalten geradezu selbstmörderisch war. Er wandte erschrocken und verdutzt den Kopf – er muß wohl daran gedacht haben, wie ich Takpassih angegriffen hatte –, und ich trat ihm gegen die Schulter, so daß mich der Rückstoß weiter in den Luftkanal trieb. Ich wollte so schnell wie möglich weg. ›Verdammt!‹ dachte ich dabei, ›jetzt hab ich es versiebt.‹
Ich wand mich flink wie ein Aal durch den Luftkanal. Etwas wickelte sich um mein Knie, und ich drehte mich um und sah ein Fi’Gesicht in der Öffnung. Weitere Grifflinge streckten sich nach mir aus.«
Ein Alptraum! Alice merkte, daß sie seinen Arm umklammert hielt und die Fingernägel hineingrub. Sie entspannte ihre Hand, ließ aber den Arm nicht los.
Wes hatte nichts gemerkt. »Ich muß wohl verrückt gewesen sein. Vielleicht hätte ich mich losreißen können, aber ich habe es gar nicht erst versucht. Ich nahm meine Sachen, ging durch den Luftkanal zurück und auf ihn los. Es war wie ein Kampf gegen einen Tintenfisch. Ich habe ihm das Seifenwasser in die Augen geschüttet, wusch! Er wich ein Stück zurück, ich stemmte mich mit den Füßen gegen die Wandung des Kanals, knotete die Leine um meine Hüften, dann oberhalb der Nüster um seinen Rüssel, zog fest zu und stemmte mich nach hinten.
Er hatte nichts, woran er sich hätte abstützen können, so daß er mitkommen mußte, als ich zog. Alle seine acht Greifglieder lagen um mich, und es kam mir vor, als würde er mir jeden Moment das Bein abreißen. Aber um meinen Hals konnte er kein Greifglied legen, weil ich mein Kinn fest auf die Brust gedrückt hielt. Ich zog mit aller Kraft an der Leine, und nach einer Weile lockerte sich sein Griff. Vermutlich war die Blutzufuhr zu den Greifgliedern unterbrochen. Ich habe ihn dann weiter in den Luftkanal hineingezogen, die Klappe geöffnet, die unter Federdruck steht, und die Schnur über den Knauf gehängt.«
Mit einemmal sah Wes sie an. »Von da an war es schlicht Mord. Aber man muß auch bedenken, daß Fathistihtalk die Bewegung der Abtrünnigen gespalten hätte. Es war ganz leicht, ich kämpfte nicht mehr gegen ein Fi’, sondern nur noch gegen einen Fi’Schädel. Nach einer Weile wurde es still im Schlammraum. Ich habe noch gewartet… ich weiß nicht, wie lange. Dann sah ich nach: Sein Blick war leer, und er rührte sich nicht mehr.
Ich stieß ihn in den Schlammraum und brachte das Gitter wieder an. Als ich es festmachen wollte, konnte ich die verdammten Flügelmuttern nicht mehr finden. Weil es aussah, als würde es auch so dranbleiben, bin ich einfach verschwunden.
Er hatte mir ein Knie und eine Hüfte ausgerenkt, und sie schmerzten höllisch. Als ich in der Zelle ankam, war mein Knie schon so dick wie ein RugbyEi. Unter Schwerkraft hätte ich mich nicht bewegen können, aber es hatte vier Tage Zeit zu heilen, bis sich Thaktan Flishithy vom FUSS löste.«
»Aber du hast ihn nicht in den Schlamm eingebuddelt?«
»Keine Spur. Wer das getan hat, weiß ich nicht. Hier an Bord scheinen merkwürdige Dinge vor sich zu gehen.«
Langsam breitete sich ein Lächeln über Alices Gesicht aus. »Nun, Herr Abgeordneter? Ich bin immer noch da.«
»Ja, das sehe ich.« Einen Augenblick lang musterte er sie aufmerksam. Sie merkte, daß er sich ein wenig vor ihr fürchtete. Vielleicht hielt er sie für gefährlich zerbrechlich? »Du hast einige Zeit zum Nachdenken gehabt. Vielleicht hast du eine Umarmung nötig? Ich stehe, weiß Gott, in deiner Schuld.«
Worauf wartete er eigentlich? Dann entfuhr es ihr: »Findest du eigentlich, daß ich ein Zwitter bin?«
»Ein was?«
»Rästapispmins meint, ich könnte einer sein.«
»Albernes Zeug.«
»Gut«, sagte sie, schob ihre Hand zwischen seine Beine und begann sein Glied zu streicheln.
»Periskop einfahren. Auftauchen.« Der Kommandant Anton Villars gab seiner Stimme einen betont gelassenen Klang. Sie können ja nicht gut den ganzen Ozean beobachten. Dazu ist er viel zu groß. Oder?
Die Ethan Allen stieg lautlos an die Oberfläche. Der Ausguck turnte in den Turm hinauf. Schon bald roch man die kühle, feuchte Nachtluft.
»Alles in Ordnung, Sir.«
Villas erklomm die stählerne Leiter in die mondlose Nacht. Der Himmel war bewölkt. Ein stetiger Westwind wehte, wohl an die neun Knoten. Die See rollte majestätisch, die Wogen hatten weiße Kronen. Leichter Regen fiel auf das Deck des UBoots.
Afrikas Küste lag genau voraus. Villars beobachtete sie aufmerksam durch sein Nachtglas. Das Radar wagte er nicht einzuschalten.
»Still wie ein Friedhof«, sagte sein Vize.
»Kein besonders aufmunternder Vergleich«, knurrte Villars.
»‘tschuldigung, Käpt’n.«
»Holen Sie sie rauf!« gebot Villars schließlich.
Sechsundzwanzig waren es. Vierzehn hatten ihre Gesichter geschwärzt, bei den anderen, einschließlich Colonel Carter, dem Anführer des Trupps, war das nicht nötig gewesen.
Carter warf einen Blick auf die See und verzog das Gesicht. »Mehr Wetter, als mir lieb ist.«
»Wir haben keine Wahl«, sagte Villars.
»Schon gut. Carruthers, machen Sie die Schlauchboote klar!«
Mißtrauisch erstiegen die Soldaten das Deck des rollenden UBoots. Gischt von sich brechenden Wellen schäumte darüber hinweg. Sie pumpten die Schlauchboote auf. »Fertig, Colonel«, rief einer leise.
»Schön. Wenn Sie uns jetzt unser Gepäck raufschicken könnten, Käpt’n…«
Villars nickte seinem Vize zu. Die Besatzung brachte eine Anzahl seewasserfest verpackter Behälter hinauf, legte sie in die Boote und half den Soldaten, sie zu verzurren.
»Sie haben es ziemlich weit«, sagte Villars. »Tut mir leid, daß ich Sie nicht näher ran bringen kann.«
»Schon in Ordnung«, sagte Carter.
»Ich wollte eigentlich nicht fragen«, sagte Villars, »aber jetzt tue ich es doch. Wie sind Sie an den Auftrag gekommen?«
Carter grinste breit. »Meine Oma hat immer behauptet, wir stammten vom Volk der Zulus ab und hat mich die Sprache lernen lassen. Es hat mir nie Spaß gemacht, und ich hab auch die Geschichte nie geglaubt. Aber sie war interessant, und als der Präsident den Zulus Elefantenbüchsen schicken wollte, wen hätte er da sonst beauftragen sollen?«
Er grinste immer noch, als er ins Boot hinabstieg.
Die Warnglocke schrillte. Miranda Shakes legte ihr Buch aus der Hand und trat ans Fenster, um zu sehen, wer das Tor geöffnet hatte. »Kevin!«
»Ja?«
»Hol Papa!«
Kevin kam aus der Küche herein. »Warum?«
»Sieh mal!«
»Ach du Scheiße! Das ist ja Carnell. Und all die Hunde! Wen hat er denn da bei sich?«
»Weiß nicht. Wir haben ihn aber schon mal gesehen. Sie kommen direkt auf das Haus zu. Hol Papa!«
William Shakes war nicht erfreut. »Du hast deinen Anteil nicht voll einbezahlt, geschweige denn deinen Anteil an der Arbeit geleistet.«
»Beruhige dich, Bill. Es will ja niemand was von dir. Immerhin gehört mir ein Stück hier, und Fox hast du eingeladen.«
»Ich nicht, das war George.«
»Was soll’s?« sagte Fox, »wenn ich euch lästig bin, finde ich auch woanders was.«
»Von wegen«, sagte Miranda. »Aus Bellingham kommt nämlich keiner mehr raus.«
»Stimmt«, pflichtete ihr Kevin bei. »Man kommt nicht mal in die Nähe der Fernstraße.«
»Wir sind problemlos reingekommen«, sagte Carnell zweifelnd.
»Das ist auch kein Kunststück«, gab William Shakes zurück, »aber probiert mal rauszukommen. Was wollt ihr jetzt hier tun?«
»Nun, es gibt doch bestimmt Arbeit«, sagte Fox.
»Hatten wir auch gedacht«, sagte Kevin. »Da sind all die Leute von Heer und Marine, Lastwagen und Schiffe, aber es kommt einem vor, als wäre all das weit weg in einem anderen Land. Die einzige Arbeit kriegt man unten am Hafen.«
»Und was gibt es da zu tun?«
»Das sagt einem keiner«, sagte Kevin.
»Dann fahren wir doch mal hin.«
»Hatte ich auch schon überlegt. Mirandas Freund, der bei der Polizei ist, hat mir abgeraten. Der Hafen ist der Stadt gegenüber genauso abgeschottet wie die Stadt vom Umland. Man kommt rein, aber nicht raus.«
»Militärkram«, sagte Fox. »Da brauchen die mich sowieso nicht. Was machen die eigentlich da?«
»Angeblich bauen sie Gewächshäuser«, sagte Kevin.
»Davon versteh ich was.«
»Aber es stimmt nicht.«
»Es ist was Wichtiges«, sagte Miranda. »So wichtig, daß die Stadt offiziell gar nicht mehr existiert. Im Radio wird sie nie erwähnt.«
»Was ganz Großes«, überlegte Fox laut. »Etwas, um den Rüßlern auf die Zehen zu treten?«
»Was anderes kann es nicht sein.« Betrübt schüttelte Miranda den Kopf. »Aus einem anderen Grund hätte Jeananne das nie getan.«
»Jeananne?«
»Eine Freundin. Ein hohes Tier aus Washington hat sie so beschwatzt, daß sie ihm was von unseren Funkgeräten gesteckt hat. Darauf kam Militärpolizei und beschlagnahmte alles im ganzen Ort.«
»Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde«, sagte Kevin.
»Na ja, wenn es für einen guten Zweck ist, vielleicht für etwas, womit sie den Rüßlern den Arsch aufreißen können.«
George TateEvans kam aus der Küche herein. Offensichtlich hatte er zugehört. »Ich muß mich wundern, Fox«, sagte er. »Wieso hast du plötzlich solchen Schiß vor den Rüßlern?«
Fox wirkte auf einmal gehetzt. »Mit keinem zerstörerischen Tun hat die Menschheit der Erde je so geschadet wie die Rüßler. Denen ist einfach alles egal. Es ist nicht ihr Planet. Den Menschen konnte ich ins Gewissen reden – aber wie komm ich an die Biester ran?«
»Uns hilft das jedenfalls nicht«, sagte William Shakes, »und ihr könnt hier nicht bleiben – wir haben selbst kaum genug zu essen.«
»Was tun sie mit Menschen, die hierherkommen und nicht wissen, wohin?« fragte Fox.
»Keine Ahnung.«
»Ich glaube nicht, daß ich es erfahren möchte.« Fox sah sich auf dem Grundstück um. »Was habt ihr in den Gewächshäusern?«
»Kleine Kürbisse, Tomaten…«
»Versteht ihr was von Hydrokultur?«
»Wir haben Bücher«, sagte George TateEvans.
»Klar, ‘n paar von denen hab ich selbst geschrieben.«
»Schon möglich.«
»Kann ich mal euren Komposthaufen sehen?«
»Unseren was?«
»Ihr müßt doch einen Komposthaufen haben«, sagte Fox, »so viel solltet ihr von mir gelernt haben.«
»Ja, schon…« Shakes ging ihnen voraus nach draußen.
Fox trat gegen die Schicht durchfeuchteten Grases, das den Haufen bedeckte. »Ihr wendet ihn nicht oft genug. Es ist auch nicht genug Erde hineingemischt, und ihr müßtet der untersten Schicht fertigen Kompost entnehmen. Bestimmt ist auch anderes bei euch nicht in Ordnung. Hab ich mir doch gleich gedacht: ihr braucht mich. Marty gehört ein Teil der Wagenburg, er arbeitet mit mir zusammen hier. Wir werden unseren Unterhalt verdienen.«
Ist Krieg eine biologische Notwendigkeit? Im Hinblick auf die frühesten Kulturen muß die Antwort nachdrücklich ›nein‹ lauten. Das Abschießen eines Giftpfeils hinter einem Busch, die Ermordung einer Frau oder eines Kindes im Schlaf entspringt nicht Streitlust oder Kampfessucht. Auch Kopfjägerei, Leichenraub oder das Töten einer Beute, um an Nahrung zu gelangen, entspringt keinem instinktiven oder natürlichen Verhalten.
Roger Brooks trank seinen Kaffee aus. Er schmeckte nach verbranntem Brot. Ob Mrs. Tinbergen welches mit durchmahlte, um ihn zu strecken?
Aus dem Fenster seines Pensionszimmers sah er es in Strömen regnen. So war es in den Monaten seit dem Meteoritenabwurf nahezu täglich gewesen.
Regen, und alle haben so viel zu tun, daß sie nicht mit mir reden können.
Er unterdrückte andere Erinnerungen: Militärposten hatten ihn nachdrücklich vom Tor gewiesen, das in den CheyenneBerg führte, während Nat Reynolds freundlich hineinkomplimentiert worden war. Drei Wochen hatte es gedauert, bis er einen Vertreter der Post erreichte und eine neue Kreditkarte bekommen hatte, so daß er nicht weiterhin Mülltonnen auf Eßbares durchwühlen mußte…
Er knurrte ärgerlich.
»Schwierigkeiten?« wollte Rosalee wissen.
Rosalee war das einzig Erfreuliche gewesen, was die Stadt ihm bisher zu bieten gehabt hatte. Sie hatte ihm in den Zeiten der Geldknappheit ab und zu mit Lebensmitteln unter die Arme gegriffen. Später bot sie ihm dann auch an, das Bett mit ihr zu teilen, und obwohl sie sich erst seit kurzem kannten, bestand bereits eine ungewöhnliche Vertrautheit zwischen ihnen.
»Nichts Besonderes«, sagte er.
»Ach, ich seh’s dir doch an.« Sie kam um den Tisch herum und legte ihm die Hände auf die Schultern. »So gut kenn ich dich inzwischen schon.«
Ja. Es war merkwürdig: Sie schien die vollkommene Partnerin zu sein. Er hatte bereits ernsthaft überlegt, ob er sie heiraten sollte.
»Weißt du was? Ich hab da ein junges Mädchen von etwa neunzehn kennengelernt. Sie ist Corporal und behauptet, Mrs. Dawson sei drinnen, im Berg.«
»Das könnte hinkommen.«
»Eingesperrt. Sie soll kurz vor dem Meteoritenabwurf mit einem seltsamen Burschen und einem gefangenen Rüßler hier aufgekreuzt sein.«
»Einem Rüßler?«
»Ja. Und der Kerl, mit dem sie nach Colorado Springs gekommen ist, singt jeden Abend in einer Bar am anderen Ende der Stadt. Interessiert?«
Das Wirtshausschild war neu. Auf ihm setzte ein übernatürlich großer Mann einem auf dem Rücken liegenden Fi’ den Fuß auf den Rumpf.
»Zum friedfertigen Rüßler, gefällt mir«, sagte Roger. Sie stiegen vom Tandem.
Achselzuckend sagte Rosalee: »Ich hol dich dann zum Abendessen wieder ab«, und fuhr davon.
Es war noch früh am Nachmittag. Drinnen war es kühl, in der Luft hing ein Geruch nach altem Holz, Leder und Tabakrauch. Nur wenige Gäste waren da, einige in Uniform: Soldaten. An der Bühne brachte einer von ihnen einem breitschultrigen Rotschopf ein Lied bei. Dieser notierte, was er hörte und probierte es auf der Gitarre.
Das muß er sein. Roger setzte sich an einen Tisch an der Wand. Die Bedienung war höchstens sechzehn Jahre alt. »Rum Sour.«
»Rum gibt’s nicht. Nur Whiskey.«
»Dann Whiskey Sour.«
»Limonen sind viermal so teuer wie Whiskey. Wollen Sie den Drink trotzdem?«
Roger zeigte seine Kreditkarte vor. »Klar.«
»Gern, Sir.«
Wie erwartet, war es MaisWhiskey, vermutlich nicht älter als eine Woche. Ohne den Limonensaft hätte er ihn wohl gar nicht heruntergebracht.Vitamin C ist wichtig, und die Post kann es sich leisten…
Es dauerte lange, bis der Mann an der Bühne seine Gitarre beiseite legte. Roger erhob sich schwankend. Drei WhiskeySour, noch dazu auf nüchternen Magen, hatten ihm stärker zugesetzt, als er angenommen hatte. Er trat zu dem Mann mit dem von grauen Fäden durchzogenen roten Bart.
»Mister Reddington?«
»Der Rote Harry, ja. Und wer sind Sie?«
»Roger Brooks. Von der Washington Post.«
»Und?«
»Ich hab gehört, Sie hätten ein paar interessante Geschichten zu erzählen. Ich sammle Kriegsgeschichten. Was zu trinken?«
»Gern, aber ich werd in fünf Minuten abgeholt.« Reddington wandte sich der Bar zu. »Ein Bier, Millie.«
»Nur gegen bar.«
»Das geht auf meine Rechnung«, rief Roger zu ihr hinüber. »Wohl knapp bei Kasse, was,«
»Gegen Monatsende schon«, gab Harry zu. »Das Heer zahlt mir zwar was, aber ich hab beim Pokern ein bißchen Pech gehabt.«
»Verstehe.«
»Ich krieg auch Benzin«, sagte Harry, »aber nur zum eigenen Gebrauch. Verkaufen darf ich nichts davon.«
Sie setzten sich, und Roger betrachtete Harry eingehend, während er sein Notizbuch aufschlug. Ordentlicher Haarschnitt, Bart sauber gestutzt. Kleidung gepflegt, fast neu, sitzt nicht richtig. Heereseigentum? »Harry, wir haben viel zu besprechen. Ich würde Sie gern zum Abendessen einladen.« Er nahm seine goldene AmexKarte heraus und gab sie der Bedienung.
Reddington zögerte für einen winzigen Augenblick. »Darf ich jemanden mitbringen?«
»Klar. Um wieviel Uhr paßt es Ihnen?«
»Halb acht wäre mir recht.«
Im Friedfertigen Rüßler herrschte jetzt mehr Betrieb. Die Zivilisten aßen zu abend, die Soldaten tranken.
»Hübsch hier«, sagte Rosalee, »woher sie wohl die Lebensmittel bekommen?«
»Wahrscheinlich schaffen die Küchenbullen was beiseite«, sagte Roger.
Speisekarten gab es nicht, auf einer Tafel an der Wand waren die Preise verzeichnet.
»Ist er das?« Sie sah zur Tür. »Rote Haare hat er. Aber er bringt drei Leute mit.«
»Wundert mich kaum – Carlotta!« Mit einem Satz sprang Roger auf.
Breit lächelnd trat Carlotta Dawson auf ihn zu. »Nach dem, wie Harry dich beschrieb, dachte ich mir schon, daß du es bist.«
»Du wußtest, daß ich hier draußen bin und bist nicht zu mir gekommen?«
»Nein, das wußte ich nicht. Aber wir haben drinnen auch viel zu tun, Roger.« Sie senkte die Stimme, so daß niemand sonst sie hören konnte. »Ich nehme Wes’ Platz ein. Das bleibt aber ganz unter uns, Roger. Wirklich.«
Mist. »Schön dich zu sehen, Carlotta. Ich hab euch Mädchen ganz aus den Augen verloren.«
»Wir sind alle wohlauf. Ich habe gerade von Linda gehört. Sie sagt, Evelyn gehe es auch gut.«
»Prima. Harry, ich wußte gar nicht, was für berühmte Leute Sie kennen!«
»Ich hatte keine Ahnung, daß Sie einander kannten…«
»Roger und ich sind sozusagen Jugendfreunde«, sagte Carlotta.
»Hast du was von Wes gehört?«
»Nichts seit seiner Rundfunkansprache. Was denken die Leute über ihn, Roger? Halten sie ihn für einen Verräter?«
Er machte eine hilflose Handbewegung. »Ich habe nichts dergleichen gehört.«
»Ich auch nicht«, sagte Harry.
»Aber im Grunde halten sie ihn dafür?«
»Wer das tut, ist ein Trottel.«
»Solche gibt es immer«, sagte Harry.
»Harpanet – der Außerirdische, den Harry gefangengenommen hat – bestätigt, daß Wes die Wahrheit berichtet; sie behandeln Gefangene tatsächlich gut.«
»›Nach ihren Maßstäben‹«, warf Roger sarkastisch ein. »Das hat Wes glänzend formuliert, Carlotta. Jeder, der ihn kennt, hat ihn verstanden.«
»Vermutlich mach ich mir einfach zuviel Sorgen. Jedenfalls vielen Dank für die Einladung, ich bin schon viel zu lange da drinnen. Zeit, daß ich mich ein wenig ablenke. Wie schön, dich wiederzusehen, Roger.«
»Darf ich dir Rosalee vorstellen? Ich hab sie hier kennengelernt. Wir sind seitdem zusammen.«
»Hallo, Rosalee«, sagte Carlotta.
»Wollen wir uns nicht setzen? Harry hat versprochen, uns was vorzusingen.« Roger bat die Gäste, Platz zu nehmen. Millie hatte bereits einen weiteren Tisch herangeschoben und brachte Bier.
»Du hast damit gerechnet, daß er die Frau mitbringt«, flüsterte Rosalee Roger zu.
»Pst. Gehofft zumindest. Du hattest ja gesagt, daß Harry sie kennt.« Sie setzten sich. »Rosalee, ich kannte Carlotta schon als Schulmädchen.«
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Rosalee.« Der Rote Harry verbeugte sich. »Das hier ist Tim Lewis… und das Lucille Battaglia.« Roger erkannte in Lewis den Mann wieder, der Harry das Lied beigebracht hatte. Lucille war klein, dunkel und hübsch. Sie trug Uniform, dem Rangabzeichen nach war sie Corporal.
»Wann hört es bloß auf zu regnen?« stöhnte Roger.
»In etwa einem halben Jahr, hat unser Oberst gesagt«, erklärte Lucille. »Wenn wir Glück haben.«
»Ihr Oberst?«
»Lieutenant Colonel Crichton. Ich arbeite für sie.«
»Handelt es sich da etwa um Jenny?« wollte Roger wissen.
»Ja.« Carlotta lächelte. »Ich habe Lucille statt ihrer mitgebracht. Jenny konnte nicht.«
»Und jetzt ist sie ein hohes Tier! Da muß Sie ja Großes geleistet haben…«
Carlotta lächelte und schwieg.
»Noch mal sechs Monate Regen also?«
»Wenn wir Glück haben, sonst vielleicht auch länger«, bestätigte Carlotta. »Genau weiß das schließlich niemand.«
»Und was tun Sie da drinnen, Mrs. Dawson?« wollte Rosalee wissen.
»Ich arbeite für die Regierung.«
»Alle wollen wissen, wie es da unten aussieht«, beharrte Roger. »Ich habe gehört, die höheren Chargen hätten ihre Angehörigen dabei.«
»Einige«, gab Carlotta zu. »Aber Harry, erzähl Roger doch mal von unserem Abenteuer mit dem Rüßler.«
»Nun, das war ‘ne kitzlige Angelegenheit«, sagte Harry. »Wir mußten damit rechnen, daß uns die Bauern umbrachten, falls der Rüßler das nicht schon vorher erledigte. Wir also mit dem Motorrad den Hang runter, bis wir den Sumpf riechen konnten. Von da sind wir zu Fuß weitergegangen…«
Roger fand den Roten Harry immer beeindruckender.
Carlotta lächelte jungmädchenhaft. »›Mal sehen, ob er Sie tragen kann‹, hat er gesagt, ›Shina, die Dschungelkönigin.‹ Ein Rüßler mit Sturmgewehr! Anscheinend ist Harry keine Sekunde lang in den Sinn gekommen, daß ich kneifen könnte, und deswegen blieb mir gar nichts anderes übrig. Ein verrückter Kerl. Wißt ihr, was er gesagt hat, als wir wieder bei den Bauern waren?«
Roger schob seinen geleerten Teller beiseite, um sich Notizen machen zu können. Auch die anderen hatten restlos aufgegessen; in solchen Zeiten ließ niemand etwas übrig.
»Ich war noch nie an der Front«, sagte Lucille, »aber ich hab Harpanet gesehen.«
»Können Sie etwas über ihn erzählen.«
»Na, die guten Geschichten kennt Harry alle.«
Ja, aber Carlotta weiß, was läuft. Bei Evelyn hat’s damals geschnackelt, und dann hat sie den Kerl geheiratet, wie hieß er noch? Ach ja: Max, Max Rohrs. Er hatte ‘ne kranke Mutter an der Pazifikküste, oben im Norden, und mußte sich um sie kümmern, und Evelyn ist mit ihm hingezogen. Bestimmt sind sie noch immer in diesem Nest… äh… richtig, Bellingham. Was, zum Teufel, Linda Gillespie da bloß treibt?
»Ich habe noch keinen einzigen Rüßler gesehen«, sagte Tim Lewis, »aber mit vielen geredet, die welche gesehen haben. Darauf habe ich ein Lied über sie geschrieben.«
»Komm, wir wollen das Rüßlerlied singen«, sagte der Rote Harry.
»Doch nicht vor dem Nachtisch«, protestierte Tim Lewis. »Na, von mir aus.« Sie gingen aufs Podium und öffneten Gitarrenkästen. Gäste begannen sich umzusehen. Linda ist bestimmt nicht in Bellingham, um sich mit ‘nem Liebhaber zu treffen. Außerdem bin ich ihr einziger. Also wird auch Ed da sein, General der Luftstreitkräfte, dem persönlichen Stab des Präsidenten zugeordnet. Was mag da nur gespielt werden?
»Worüber denkst du so angestrengt nach?« fragte Rosalee.
»Pst. Sie fangen an zu singen.«
Während des Gesangsvortrags kreisten Rogers Gedanken unaufhörlich um die Frage, was Ed Gillespie in Bellingham tun mochte.
Zum Fliegen wird er nicht da sein. Heutzutage gibt es nichts zu fliegen. Kein größerer Flughafen ist noch einsatzbereit.
Bellingham ist eine Hafenstadt. Alt und verfallen. Da oben hat es auch früher schon immer geregnet…
Viel Regen bedeutet viele Wolken. Eine Eisenbahnlinie führt hin. Alles paßt zusammen. Die bauen da was, das sie unter einer Wolkendecke verstecken wollen. Es fliegt, warum sonst brauchten sie ‘nen General, der Astronaut ist? Dann wird es wohl in den Weltraum fliegen.
Es muß so groß sein, daß sie es in keiner Fabrik verstecken können. Sie bauen also etwas GEWALTIGES, das ins All fliegen soll. Sagenhaft!
Carlotta hatte der langen Ballade geduldig gelauscht. »Harry ist ein Held, ein Barde ist er nicht.«
»Ja«, bestätigte Roger. »Aber schlecht singt er nicht… wie geht’s Linda?«
»Ich habe sie schon seit Monaten nicht gesehen.«
»Du hast doch gesagt…«
»Harry! Das war großartig.« Carlotta erhob sich. »Aber es wird spät.«
»Max und Evelyn wohnen doch in Bellingham.« Ich darf das nicht so auffällig machen. Aber ich muß es wissen… »Ist Linda auch da?«
»Roger, es ist wirklich spät. Tim, es wird Zeit; Lucille, Sie haben morgen früh Dienst.«
»Ja, Ma’am – aber dürfte ich nicht noch etwas bleiben?«
»Nein. Kommen Sie mit!«
»Gut, Ma’am.«
Roger sah zu, wie Carlotta Tim und Lucille aus dem Restaurant bugsierte. »Hat sich nicht die Spur geändert, kommandiert immer noch alle herum.«
»Außer Wes«, sagte Harry.
»Möglich. Harry, Sie sehen aus, als ob Sie noch ‘nen Schluck vertragen könnten.«
»Warum nicht?«
»Nachtisch?«
»Es gibt nur Apfelkuchen, und davon hab ich für ‘ne ganze Weile genug.«
»Ist er denn nicht gut?«
»Schon, aber wenn man ihn einen ganzen Monat lang Abend für Abend essen muß…«
»Ihnen fällt hier wohl die Decke auf den Kopf, was?«
»Tja, ein bißchen schon.«
»Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten Benzin?«
»Ja, für mein Motorrad.«
»Möchten Sie nicht als Reporter für die Post arbeiten?«
»Wohin soll’s denn gehen?« wollte Harry wissen.
»Kann ich noch nicht sagen. Aber es ist weit«, sagte Roger. In seinem Kopf drehte es sich. Sie hatten zuviel von dem MaisWhiskey getrunken.
Harry begab sich schwankenden Schrittes zur Toilette.
»Wo willst du hin?« flüsterte Rosalee. »Ich will mit!«
»Das geht nicht.«
»Aber…«
»Ich komm ja wieder«, sagte Roger. »Rosie, dahinter steckt eine Story. So was habe ich im Urin. Vielleicht ist es der größte Knüller, von dem ich je Wind bekommen habe.«
»Diese Carlotta scheint dir ‘nen Floh ins Ohr gesetzt zu haben!«
»Rosie, liebst du mich?«
»Warum fragst du?«
»Weil ich dich liebe. Aber…«
»Aber du witterst eine Geschichte.«
Roger nickte.
Sie nahm seine Hände in ihre. »Und ich kann wirklich nicht mit?«
»Es ist weit, Rosie. Harry hat ein Motorrad. Damit komm ich vielleicht hin, auf keinen Fall in meinem Wagen. Drei auf einem Motorrad geht nicht, selbst wenn Harry einwilligte, was er bestimmt nicht tut.«
»Und warum sollte er dich mitnehmen?«
»Na hör mal! Die Rolle des Helden außer Dienst ist nicht sonderlich befriedigend. Er setzt Speck an. Das gefällt ihm nicht. Außerdem stirbt er hier vor Langeweile. Zum Soldatenspielen ist er zu alt…«
»Und warum er?«
»Er hat eine BenzinBezugskarte. Kennst du sonst jemanden, der so was hat?«
»Aber… ach, hol’s der Teufel, Roger! Du kommst doch zurück? Bitte.«
»Bestimmt. Ich verspreche es.«
Man hat der Nation einen Assegai in den Unterleib gestoßen.
Es gibt nicht genug Tränen, um die Toten zu betrauern.
»Der Sieg ist unser.« Das Bild des Herrn des Angriffs, Kuthfektil rasp, war leicht verschwommen, und im Tonkanal rauschte es.
Afrikanische Nacht lag unter der Bote. Hie und da erhellte wild aufzuckender Lichtschein die dunkle Wolkendecke. Bei seinem Anblick zitterten die Nervenenden des Herrn der Herde, aber er brachte es nicht fertig wegzusehen. Die zerstörten Leitungen reparieren, sonst stirbt das Schiff!Er wartete, bis die atmosphärischen elektrischen Entladungen aufhörten. Sie waren jetzt seltener als bei der Landung der Fithp in den ersten Wochen nach dem Fußfall – damals hatten sie nahezu unausgesetzt getobt.
Das Bild wurde schärfer. »Wir haben großartige Maschinen erbeutet, die Elektrizität herstellen, und Transporteinrichtungen sowie Maschinen, die andere Maschinen erzeugen. Wir haben Sklaven. Das Land ist groß, und es gehört uns. Wir essen dasselbe wie die Eingeborenen.«
»Wir müssen feststellen, ob es Giftstoffe enthält oder ob Nährstoffe fehlen. Schickt Proben zur chemischen Untersuchung an Bote.«
»Mit der nächsten Fähre. Herr der Herde, Tshintithpitmäng möchte für die Paarungszeit zurückkehren. Er wird uns sehr fehlen, aber er hat es gewiß verdient.«
»Ja, ich erinnere mich an eure Berichte.« Andererseits ist er ein Abtrünniger, gehört zur Fithp des Jahres Null! Was haben sie erfahren, daß sie so weit in die Zukunft blicken?
»Könnt ihr wirklich eure besten Krieger entbehren? Ihr hattet hohe Verluste!«
»Ja, Herr der Herde. Das wird so lange weitergehen, bis die gemeingefährlichen Einzelgänger unter diesen Erdlingen ausgerottet sind. Fistartihthaktan hatte recht. Die ganze Gattung besteht aus solchen Einzelgängern; vielleicht übertrifft ihre Zahl gar die der Normalen. Fistartihthaktans Gehilfen versuchen festzustellen, wie es dazu gekommen sein könnte. Möglicherweise sind wir gerade zur rechten Zeit gekommen, um die Eingeborenen von Winterheim zu retten, es scheint fast, als sei das unsere Bestimmung gewesen. Wir bekommen ein neues, ein riesiges Reich. Wir stehen auf hohen Aussichtspunkten und können die Grenzen unseres Gebietes nicht überblicken!«
»Euer Reich wird groß, und die Fithp werden weniger. Die Krieger sind des Gemetzels müde.«
»Das wird nicht immer so bleiben. Die wahren Erdlinge lernen. Wir töten nur gemeingefährliche Einzelgänger. Das zu tun ist Aufgabe der Krieger.«
Der Herr der Herde unterdrückte das Bedürfnis, triumphierend zu trompeten. »Aber seid Ihr so sicher, daß es sich bei manchen um wahre Erdlinge handelt?«
»Ich will es euch zeigen.« Der Herr des Angriffs machte eine Handbewegung und trat dann beiseite. Ins Blickfeld der Kamera traten UmerzieherEins, Rästapispmins, und ein in feinen Stoff gekleidetes dunkelhäutiges ErdlingsMännchen. Es hielt sich beiseite, wohl, weil es fürchtete, dem Umerzieher zu nahe zu stehen, und war daher nicht vollständig erkennbar.
»Dieser hier hatte im Stamm der Afrikaner einen hohen Rang inne. Er spricht unsere Sprache kaum, aber ich will Euch seine Worte wiedergeben. Ihm liegt daran, den Krieg zu beenden.«
Der Erdling hielt eine lange Rede.
»Er spricht merkwürdig«, bemerkte Tashajämp.
Pastempihkeph wandte sich ihr zu. »Ist das nicht Englisch?«
»Ja, Herr der Herde, aber nicht, wie ich es gelernt habe.«
Der Umerzieher dolmetschte: »Er sagt, der Krieg bringe Unheil, und Erdlinge wie Fithp würden dabei verlieren. Er wolle tun, was in seiner Kraft stehe, um den Kampf zu beenden und beiden Seiten ein Zusammenleben zu ermöglichen. Er nennt das Frieden. Wir haben seine Unterwerfung im Rahmen einer Zeremonie entgegengenommen, die allen Erdlingen hier übertragen worden ist, und weil sie meinen Fuß auf seiner Brust gesehen haben, wollen ihm viele nicht mehr gehorchen.«
Wütend trompetete der Herr der Herde. »Warum suchen wir dann überhaupt Anführer? Müssen wir uns denn jeden einzelnen unterwerfen? Wir haben nicht genug Füße für alle!«
»So ist es nicht, Herr der Herde. Wir gestatten ihnen, sich zu versammeln. Diese Erdlinge haben, ähnlich wie wir, Zusammenkünfte, bei denen die Ältesten für alle sprechen. Ihre Beschlüsse sind bindend. Die Erdlinge tun nichts, ohne zuvor miteinander darüber zu reden. Wir werden den Ältesten gestatten, sich zu versammeln und zu unterwerfen. Sie werden einen aus ihren Reihen zu ihrem Führer ernennen, und er kann dann den ErdlingsKriegern befehlen, Ordnung zu halten, und somit unsere Herrschaft bekräftigen!«
Daß die AfrikaFithp nicht wie früher war, ließ sich sogar über den Bildschirm erkennen, und allmählich begriff der Herr der Herde, woran das lag. »Geht diese ungewöhnliche Vorgehensweise auf deinen eigenen Befehl zurück, Umerzieher?«
»Herr der Herde, die Erdlinge wollen stets über Bedingungen verhandeln, bevor sie sich unterwerfen. Aus Neugier habe ich mit einer kleineren Gruppe von Erdlingen ›ÜbergabeBedingungen ‹ besprochen.«
»Ich war zuerst dagegen«, warf der Herr des Angriffs, Kuthfektilrasp, ein. »Aber ich hatte unrecht. Erdlinge, die sich zu entsprechend vereinbarten Bedingungen unterwerfen, halten gewöhnlich ihr Wort.«
»Aber bestimmt nicht alle.«
»Manche kämpfen weiter, Herr der Herde, und diese allgemein bekannten gemeingefährlichen Einzelgänger, die sich sogar gegen ihre eigenen Führer stellen, töten wir. Dabei unterstützt uns die ErdlingsFithp. Aber letztendlich werden wir wieder eine einzige Herde haben.«
Colonel Julius Carter versuchte es erneut. »Drei meiner Männer sind verwundet. Einer von ihnen würde einen Transport nicht überleben. Ich bitte doch nur um einen Unterschlupf!« Damit, daß die schwarzen Afrikaner nichts von uns wissen wollen, hatte ich gerechnet. Aber der hier ist Brite!
Hilflos breitete der Pflanzer die Hände aus. »Ich kann nicht.«
»Er… er ist ein Weißer. Nicht schwarz wie ich.«
Brant Chisholm lachte bitter. »Als ob das eine Rolle spielte. Mann Gottes, ich würde ja gern helfen!«
Carter legte einen kalten, drohenden Ton in seine Stimme. »Wenn Sie es nicht tun, legen wir Sie um und brennen Ihr Anwesen nieder.«
Müde nickte der Pflanzer. »Nur zu! Warum bringt ihr nicht auch gleich meine Angehörigen, meine Nachbarn, ihre Frauen und alle Kinder mit um?«
»Wir sind Amerikaner, keine Ungeheuer!«
»Wenn die Jumbos Sie hier finden, schlachten sie alle ab, die ihnen in die Hände fallen. Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Colonel! So schlimm wie die können Sie gar nicht sein.«
»Ach was«, sagte Carter. »Sie wissen sehr gut, daß ich Sie nicht einfach abknallen kann.«
»Das wäre aber das beste, falls Sie hier bleiben wollen. Erschießen Sie mich und legen Sie meine Leiche möglichst auffällig an einen Ort, wo die Jumbos sie finden können«, sagte Chisholm und senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Vielleicht geben die dann Ihnendie Schuld und nicht den anderen hier.«
»Verdammter Mist!« Carter gab auf. »Wir wollen Ihnen doch gar nichts tun, Mann, aber wir brauchen Hilfe. Wir haben uns von der Küste bis hierher vorgearbeitet, um Freiwillige zu finden.«
»Sieht es schlimm aus da unten?«
»Das kann man wohl sagen. Einfach entsetzlich. Überall Raubvögel, die Aas wittern.« Aasgeier, Ungeziefer, und rundherum Tod und Verderben. Verwesende Leichen am Strand, daneben neue Tote. Wir haben die Elefantenbüchsen so weit geschleppt, wie wir konnten, und jetzt müßten wir jemanden finden, der bereit ist, sie zu benutzen. Das aber wagt keiner mehr. »Na schön, wir verschwinden. Kann ich Corporal Allington hierlassen?«
»Ja, aber nehmen Sie seine gesamte Ausrüstung mit, und auch seine Uniform. Was hat er denn?«
»Wir haben eine RüßlerPatrouille beschossen, und sie haben Laser eingesetzt. Sein Körper ist voller Verbrennungen.«
»Wir werden uns um ihn kümmern, so gut wir können. Wenn man uns fragt, sagen wir, daß er einen Autounfall hatte. Wahrscheinlich fragen sie erst gar nicht. Solange wir ihnen die Ernte abliefern, lassen sie uns im großen und ganzen zufrieden.«
»Vermutlich haben Sie es auch nicht leicht«, sagte Carter.
»Nicht leicht? Mann Gottes! Ich könnte ja in den Busch gehen, aber was würde dann aus meiner Familie? Ich sage Ihnen, ein Mann mit vier kleinen Kindern kann sich sein Los nicht aussuchen.«
»Kann ich mir denken.«
»Aber ich gebe Ihnen einen Tip. Lassen Sie den Mann hier im Haus, und ziehen Sie sich mit Ihrem Kommando in den Busch zurück. Fünf Kilometer nördlich von hier finden Sie eine tiefe Schlucht. Da können Sie im Unterholz warten. Ich schicke Ihnen Mwubi. Mit dem müssen Sie sprechen.«
»Mwubi?«
»Der Zuluhäuptling hier. Er wird Ihnen helfen. Gehen Sie jetzt und schaden Sie den Rüßlern, wo Sie nur können! Aber bleiben Sie um Gottes willen weit fort von hier!«
Mwubi war alt, und er war schwärzer, als amerikanische Schwarze je werden. Carter schätzte ihn auf sechzig. Er hockte sich hin und fertigte auf dem Boden eine Stöckchenzeichnung an. »Hier. Kambula. Weiße Soldaten. Sie sprechen nicht englisch und nicht afrikaans. Jantji sagt, es sind Russen. Sie verstekken sich. Sie wollen kämpfen. Sie bitten Zulu um Hilfe. Einige schließen sich ihnen an.«
Russen. Sie müssen südwärts durch Moçambique gekommen sein. Ganz schön weit. »Kennst du Zulus, die kämpfen wollen?«
»Ja.«
»Bring mich zu ihnen!«
Mwubi schaukelte auf seinen Fersen vor und zurück. Schließlich erhob er sich. »Das will ich tun.«
Die Tür der Luftschleuse schwang schwerfällig nach außen, und der Gestank von Winterheim fuhr Fukertih unvermittelt in den Snnfp. Er zuckte zurück. Ein dumpfer Geruch nach unbekannten Pflanzen, ganz anders als die, die er in Kansas kennengelernt hatte, lag in der Luft. Alles wirkte leblos: die Wiederverwertung biochemischer Abfallprodukte, wie er sie von der Bote her kannte, schien es hier nicht zu geben. Über allem lag der Geruch der Beisetzungsgrube.
Untere Dienstgrade warteten hinter ihm, doch Fukertih blieb eine Weile oben an der Rampe stehen, um den Raumflughafen zu betrachten. Er war ungeheuer groß, und zwischen Streifen kurzgeschorener grüner Vegetation lagen befestigte Bahnen.
Eigentümliche geflügelte Maschinen, von Erdlingen gebaut und groß genug für eine FithpAchtschaft hoch zwei, standen an einem Ende des Feldes. Erdlinge beluden sie. Andere, von Erdlingen gelenkte Maschinen rollten über das Feld zu dem Grifflingsschiff hin, und ein ErdlingsTrupp machte sich daran, Kisten und Gepäck aus ihm auf ihre Fahrzeuge zu verladen.
Sie sind ordentlich und geschickt. Kuthfektilrasp hat sein Reich nicht allein durch Reden vergrößert. Diese Erdlinge arbeiten für uns.
Hohe dünne Säulen ragten in der Ferne auf. Aus ihrer Spitze strich Rauch. Der Wind wehte weit kräftiger, als es zur angenehmen Kühlung nötig gewesen wäre. Wasser fiel in großen Tropfen. Der Himmel war von einem sich ständig verändernden Grau, unendlich weit und fern.
Über allem hing schwach, aber unverkennbar der Geruch der Beisetzungsgrube.
Fukertih ging zur Rampe hinab, dorthin, wo Birithartjämp wartete. Sie schlangen ihre Grifflinge ineinander. »Deine Gegenwart besprengt mir den Rücken.«
»Willkommen auf meinem Gebiet, Gefährte meiner Jugend«, grüßte ihn Birithartjämp förmlich. Dann hob er seine Grifflinge. »Ich bin wahrhaft froh, dich zu sehen. Als ich hörte, du würdest herkommen, habe ich es so eingerichtet, daß ich dich selbst begrüßen konnte. Komm mit, ich will dir die Schlammräume zeigen.«
»Ich danke dir.« Sie gingen über die harte ebene Fläche. Die Schwerkraft von Winterheim zerrte an Fukertih. Der Himmel war so ungeheuer weit,erstreckte sich über Entfernungen, die er seit dem Krieg in Kansas nicht gesehen hatte. »Kann man nicht – gibt es keine Möglichkeit, die Toten zu begraben?«
Birithartjämp nahm Witterung auf. »Ich hatte es schon fast vergessen. Nach einigen Tagen merkst du den Geruch überhaupt nicht mehr. Vielleicht noch nachts, oder wenn du aus der frischen Luft der Schlammräume kommst. Wir haben in unserem Gebiet alle Toten beigesetzt, Fukertih. Außerhalb aber…« Er beschrieb mit den Grifflingen einen Bogen zum endlos fernen Horizont hinüber. »Das Meer hat so große Mengen ertränkt, daß ihre Zahl jede Vorstellung übersteigt. Wenn der Wind aus jener Richtung oder von dorther weht, ist der Geruch am stärksten. Heute ist er ziemlich schwach.«
Fukertih erschauerte.
»Er wird sich legen, spätestens nach einer oder zwei Jahreszeiten.« Sie hatten jetzt die befestigte Fläche des Raumhafens hinter sich. Ihre Füße sanken in weichen Lehm, und ein anderer Geruch erfüllte die Luft. Spiralige Pflanzen umstanden sie kniehoch. Winterblumen waren als winzige Ranken unmittelbar über dem Boden kaum sichtbar. In einem Jahr würden sie schließlich blühen.
»Du siehst, der Tod macht das Land fruchtbar. Die fliegenden Gesundheitswächter – Geier nennt man sie hier – tun ihre Pflicht, auch die Tiere, die auf Beinen laufen, sowie Würmer und Insekten. Alle erfüllen ihre Aufgabe und tragen dazu bei, daß der Garten ergrünt. Ist es nicht stets so?«
»Du sprichst wie ein Priester«, sagte Fukertih.
Birithartjämp klopfte dem Freund mit den Grifflingen auf die Schulter. »Alter Spötter! Hier ist der Schlammraum. Alle Offiziere erwarten mich bereits dort. Einer wird gleich noch nachkommen. Du kennst ihn, es ist Tshintithpitmäng.«
»Ja.« Ein Abtrünniger. Fukertih war ihm stets aus dem Weg gegangen.
»Rasch noch eine Frage: Warum bist du überhaupt hergekommen?« sagte Birithartjämp neugierig.
»Du kannst es dir sicher denken. Der Gefährte meiner Mutter möchte durch meine Nüster riechen und durch meine Grifflinge tasten. Er vertraut Kuthfektilrasp, möchte aber auch noch aus anderem Munde Informationen bekommen. Also wurde ich geschickt.«
»Gut. Das hatte ich in der Tat gehofft. Der Herr der Herde wird deine Gedanken schnüffeln und dir glauben. Wir stehen vor dem Sieg, Fukertih. Der Weg ist lang und gewunden, aber wir können ihn beschreiten – und das Reich ist endlos groß!«
Der Schlammraum machte den Eindruck einer einfachen Behelfslösung. Gewiß, ihm fehlte der durch die Rotationsschwere erzeugte Schwung, er war gestaltlos – ein bloßes Loch in der Erde, mit beheiztem Wasser angefüllt, das um- und umgerührt wurde. Aber er war doppelt so groß wie der GemeinschaftsSchlammraum auf der Bote. An seiner Rückseite stürzte unaufhörlich ein Wasserfall in ein zweites Becken.
So stellte sich ein Fi’ einen Schlammraum vor! Fukertih gab sich der wohligen Wärme hin, ruhte seine von der Schwerkraft auf Winterheim angestrengten Muskeln aus und hielt mit halbgeschlossenen Augen seinen Snnfp knapp über die Wasseroberfläche. Er war froh, aus dem stinkenden Wind heraus zu sein. »Man hat uns von einem Tier berichtet, groß, ähnlich wie ein Fi’…«
»Die Erdlinge nennen es Elefant«, sagte Birithartjämp. »Stell dir ein riesiges Fi’ mit einem einzigen Griffling vor. Sie sind wahrhaft gigantisch. Ich werde dir gelegentlich eines dieser Geschöpfe zeigen. Es hat mehr als das Achtfache deines Gewichts.«
Ungläubig schnaubte Fukertih.
»Ich verstehe deinen Zweifel, aber es stimmt.«
»Und sie sind nicht die herrschende Gattung auf diesem Planeten?«
»Nein. Viele Erdlinge halten sie aber mit Ausnahme ihrer selbst für die intelligentesten Lebewesen hier.«
»Verständlich. Sogar mit einem einzigen Griffling läßt sich Werkzeug handhaben.«
»Ja, aber nicht sehr gut. Er ist recht primitiv. Die Elefanten sind groß und mächtig, doch die Erdlinge sagen, sie würden ausgerottet, wenn man sie nicht beschützte.«
»Ausgerottet? Wieso das?«
»Die einfacheren Erdlinge töten sie, um sie zu essen. Es sind die, gegen die wir in den wilden Gebieten kämpfen. Zwar sind wir siegreich, aber du kennst noch nicht die Tapferkeit ihrer Krieger.«
Fukertih ließ warmen Schlamm an seinen Flanken entlangtreiben. Ein so gewaltiges Geschöpf müßte doch alles niederwalzen können… dennoch wurde es von Erdlingen getötet. Mit technischen Mitteln?
Er spürte eine Masse über sich und griff nach oben, um Tshintithpitmäng die Grifflinge zu schütteln.
»Willkommen, Gefährte meiner Jugend.« Tshintithpitmängs Stimme klang merkwürdig kühl. Das Fi’ wies neue Narben auf. Es war bewaffnet und trug das Geschirr eines Achtschafthoch drei Führers. An ihm hingen eine infrarote Nachtsichtbrille und andere Ausrüstungsgegenstände, deren Zweck Fukertih unbekannt war. Tshintithpitmäng stand wie eine Mauer in der Schwerkraft, die Fukertih zu Boden zog. Sein Blick bereitete ihm Unbehagen.
»Willkommen«, antwortete er. »Willst du dich nicht zu uns gesellen?«
Birithartjämp erklärte: »Tshintithpitmäng ist einer unserer besten Dschungelkrieger. Die meisten von ihnen sind Schläfer. Sicherlich kennst du Berichte…«
»Gewiß. Tshintithpitmäng, bist du schon Elefanten begegnet?«
»Ja. Sie sind groß.«
»Und furchteinflößend?«
»Weniger furchteinflößend als die Erdlinge, die Elefanten und Fithp unterschiedslos töten.«
Eine Maschine spricht mit ebensolcher Wärme wie du. »In den Berichten heißt es, daß wir in den Dschungeln viele Fithp verloren haben und noch mehr sich einfach weigern, dort zu kämpfen. Woran liegt das?«
»Im Dschungel lauern Tod und Wahnsinn«, erklärte Tshintithpit mäng. »Winterheim ist voll sonderbarer Dinge für Fithp, die nur die begrenzten Räumlichkeiten der Bote kennen.«
Zwei junge Krieger kamen herein, um ihrem Anführer beim Ablegen des Geschirrs und der Waffen behilflich zu sein. Fukertih erkannte in ihnen Angehörige der Fithp des Jahres Null. Sie sahen einander ähnlich, aber nicht auf dieselbe Weise wie die Abtrünnigen des Jahres Null, die Fukertih gerade auf Thaktan Flishithy zurückgelassen hatte.
Womöglich hatte Tshintithpitmäng seine Untergebenen noch gar nicht wahrgenommen, denn sein Blick war starr über die Wände des Schlammraums hinaus gerichtet. »Wir sind Krieger und für unsere Feinde im offenen Feld nur allzu sichtbar. Du hast den Dschungel noch nicht gesehen, aber du kennst die Spiralpflanze im Garten. Denk dir ihre Größe als durchschnittlich, und ganze Achtergruppen zur dritten Potenz von ihnen wachsen davon, kleinere Pflanzen stehen dicht an dicht um sie herum.«
Das klang verwirrend und beängstigend. Doch Tshintithpitmäng fuhr fort: »Anfänglich haben wir uns im Dschungel sicher gefühlt. Wir mußten dort die grauenvolle Endlosigkeit des Himmels und der Landschaft nicht sehen und konnten uns zwischen diesen riesigen Pflanzen vor den hinterhältigen Erdlingen verstecken, die als einzelne unvermittelt auf uns schossen.« Er schnaubte, und es klang wie ein Gewehrschuß. »Im Dschungel bewegen sich die Erdlinge selbst noch an Stellen, wo wir eingekeilt und bewegungsunfähig sind. Es gibt auch tückische Schlinggewächse. Hinter den Pflanzen bleiben Hekkenschützen der ErdlingsFithp weit besser verborgen als wir. Sie stecken angespitzte Pfähle, die sie mit giftigen Stoffen bestreichen, mit dem stumpfen Ende nach unten im Winkel in die Erde. Wenn ein Fi’ im Geschoßhagel in Deckung stürzt, findet es sich auf solchen im Unterholz lauernden Pfählen aufgespießt.
Wir haben gelernt. Es hat Unruhe unter den Kriegern gegeben, die nicht bereit waren, in den Dschungel zu gehen. Schließlich haben wir die Elitetruppe der DschungelFithp Krieger ins Leben gerufen… Aber die meisten Raumgeborenen finden sich einfach nicht zurecht. Fukertih, du kannst deinem Vater berichten, daß unter den Kriegern in Afrika auf die Dauer wohl Schläfer die höchsten Ränge erobern werden.«
»Aber du hast dich doch auch angepaßt.«
»Das stimmt. Fällt dir etwas an mir auf, Fukertih?«
»Verändert hast du dich.« Fukertih war dem Gedanken ausgewichen. Jetzt merkte er, daß sich Tshintithpitmäng verhielt wie ein Fi’, das im Begriff stand, zum Einzelgänger zu werden.
»Krieger jagen allein auf sich gestellt, ziehen durch weite Ebenen und Dschungel auf der Suche nach gemeingefährlichen ErdlingsEinzelgängern. Wenn wir sie finden, fordern wir von den Grifflingsschiffen Laserfeuer an. Eine Achtschaft könnte unmöglich Einzelgänger aufspüren. Den größten Erfolg haben Jäger, die allein oder paarweise streifen. Ohne sie müßten wir uns im Dschungel den Erdlingen geschlagen geben, aber ich habe Angst vor dem, was das unserem Wesen antut. Fithp sind für ein solches Massentöten nicht geschaffen. Wir erwähnen die Zahl der Toten nicht, sprechen weder untereinander noch zu untergebenen Kriegern darüber. Doch Gerüchte entstehen, und stets liegt der Gestank in der Luft. Wir sind uns immer im klaren darüber, was uns unser Stützpunkt hier gekostet hat, an Erdlings- wie auch an FithpKriegern.
Dein Vater und der Herr des Angriffs haben untersagt, ganze ErdlingsHerden wegen des Einzelgängerverhaltens einzelner zu töten. Dennoch geht die Massenabschlachtung weiter, da sie wirkungsvoll ist. Täglich werden die Erdlinge fügsamer, und viele stehen schon auf unserer Seite.«
»Und so gewinnen wir also«, sagte Fukertih leise vor sich hin.
»Ja, aber der Sieg hat seinen Preis. Vielen Fithp haben unsere anfänglichen Wahrnehmungsschwierigkeiten das Leben gekostet. Unser Leben an Bord der Bote hatte uns nicht darauf vorbereitet zu erkennen, was wir sehen. Fithp sind über Klippen gestürzt, haben sich Beine in Erdlöchern gebrochen oder sind vor völlig harmlosen Dingen erschrocken und angstvoll zurückgewichen und dadurch in wirkliche Gefahr geraten. Den Feind entziehen die einfachsten Verstecke auf simple und wirksame Weise unseren Blicken. In gefleckter grüner Kleidung scheint er einfach zu verschwinden. Viele haben Gewehre, doch sie töten uns auch ohne solche Waffen, benutzten statt dessen zugespitzte Hölzer.« Tshintithpitmäng verstummte, und sein Blick konzentrierte sich plötzlich auf Fukertih, als nähme er den Schlammraum zum erstenmal wahr.
»Fukertih, ich habe um Erlaubnis gebeten, zur Paarungszeit an Bord der Bote zurückkehren zu dürfen.«
Das kann ich verstehen. »Man hat mir gesagt, daß die Bitte genehmigt ist.«
»Gut.« Tshintithpitmäng ging in den Schlamm hinaus und schob eine Bugwelle vor sich her. Mit halbgeschlossenen Augen ließ er sich in den Schlamm sinken, und es hatte den Anschein, als wolle er nichts mehr sagen. Doch unvermittelt fuhr er fort: »Ich fürchte die Wege, die mein Geist gehen würde, wenn ich die Paarungszeit nicht miterlebte. Ich habe mich schon viel zu weit von dem Leben entfernt, das ich kannte.«
»Ich bin gekommen, um etwas über solche Dinge zu erfahren. Kannst du mir auch sagen, wie Phigoren umgekommen ist? Ich habe gehört, du warst dabei.«
»Ja.« Jetzt lag Tshintithpitmäng tief im Schlamm, die Augen vollständig geschlossen. Nur die Wölbung seines Schädels sah oben heraus. »Es bestand damals keinerlei Gefahr. Ich würde nicht einmal sagen, daß wir uns töricht benommen haben, aber verstanden haben wir Afrika zu jener Zeit noch nicht so wie jetzt. Du mußt den Dschungel sehen. Wir hatten ihn bereits gezähmt, als ich ankam, aber der Preis war hoch. Als ich von der Luftkissenfestung herunterstieg, sah ich Phigoren etwas näher in Augenschein nehmen, was wie ein primitives Grabwerkzeug aussah…«
Tshintithpitmäng sprach mit monotoner Stimme. Es war, als seien die Empfindungen, die sein entsetzlicher Bericht in Fukertih hervorrief, bei ihm längst von der Zeit oder von noch schlimmeren Ereignissen verdrängt.
Phigoren sagte: »Seht, Achtschafthoch drei Führer, an einem Ende hat er eine blattförmige Verbreiterung. Die Eingeborenen der Landmasse Afrika werfen den Stock, vermutlich in der Hoffnung, das Blattende möge einen von uns so gut treffen, daß es die Haut durchdringt.«
Einem Freund hätte Tshintithpitmäng auf die Schulter geklopft. Spötter! Aber Phigoren war ein Untergebener, ein Schläfer und noch dazu ein Fremdling – »Machst du Scherze?«
»Nein. Mit denen töten sie uns. Wie kommt es, daß das Blattende voraus fliegt? Wie können sie es so kräftig schleudern?«
Tshintithpitmäng überlegte. Eine lange schmale Masse hätte dann das richtige Trägheitsmoment, wenn man sie geradeaus schleuderte. Nur wie? »Vielleicht, wenn man ihn richtig hält? Möglicherweise am Ende?«
»Leitet mich.«
Tshintithpitmäng faßte mit seinen Grifflingen den langen Schaft, hob ihn so über und hinter den Kopf, daß die Spitze nach vorn wies, und warf. Das seltsame Ding, das er im stillen bei sich ›Stockblatt‹ nannte, flog etwa vier Srapkithp weit und blieb quer zur Wurfrichtung liegen.
Taktvollerweise gab Phigoren keinen Kommentar ab. Tshintithpit mäng sagte: »Ich muß überlegen. Vielleicht, wenn ich…« Er holte den Speer zurück und wickelte sorgfältig alle acht Abschnitte seines Snnfp in derselben Richtung darum. »Wenn ich jetzt loslasse, müßte es einen Drall bekommen, nicht wahr?«
»Leitet mich, Achtschafthoch drei Führer.«
Der Speer flog erneut vier Srapkithp und blieb quer zur Wurfrichtung liegen.
»Gib ihn einem Gefangenen«, sagte Tshintithpitmäng, »und laß es dir von ihm zeigen!«
Tshintithpitmäng richtete unvermittelt den Blick auf Fukertih. »Bestimmt hatte Phigoren das bereits probiert. Er war Zeuge geworden, als der Speer tötete. Er hatte sich länger als ich mit ihm befaßt. Gewiß betrachtete er mich als geschwätzigen GrünSnnfp, als unwissenden Großsprecher. Er war ein gutes Fi’, ein guter Offizier und hätte einer der besten sein können.«
»Was ist geschehen?«
»Er hat meinen Befehl befolgt.«
Der Mann war sehr schwarz, sehr groß, fast nackt, und seine Haut war so gut wie unbehaart. Das Gesicht unter dem zu einer hohen Schmuckfrisur aufgetürmten Haupthaar war bemalt, und seine Haut wies zahlreiche Schmucknarben auf. Er war der einzige nicht verwundete Gefangene. Er hatte sich mit einem Speer in der Hand zu nahe an den Marschsäulen aus dem Gebüsch hervorgewagt. Ein Krieger der Nachhut hatte ihn mit einem Kolbenhieb zu Boden geschleudert, auf den Rücken gedreht und dann seine Unterwerfung angenommen.
Er trug merkwürdiges Geschirr. Alte Fellstücke lagen um seine Fußknöchel und Handgelenke. Einst leuchtend bunte, aber jetzt schmuddlige Federn hingen ihm zerfetzt um den Hals. Um die Stirn lag ihm ein grünes pelziges Band. Alles, was er am Leibe trug, war alt und stand kurz vor der Auflösung, war von Erde und Schweiß befleckt.
Viele so gekleidete Erdlinge hatten die Fithp gesehen.
Der Mann befolgte den Befehl, den man ihm erteilte, ohne Zögern. Angesichts einer Zuschauerschaft von etwa hundert FithpKriegern trat er ohne zu antworten oder auch nur zu nicken zu dem Speer, nahm ihn auf und faßte ihn in der Mitte.
Es war Tshintithpitmäng unerfindlich, wieso der Krieger nicht zu Boden stürzte. Sogar nach den Maßstäben der Erdlinge war er schmal und hochgewachsen, und wenn er fiele, müßte er sich den Hals brechen. Aber er blieb stehen, nahezu bewegungslos, nur ganz leicht vor- und zurückwippend, während ihm Phigoren das Ziel zeigte.
»Wirf ihn so nahe an diesen Punkt wie möglich«, rief er aus. Er stand sichere acht Srapkithp beiseite. Würde es so ausgehen, wie er es erwartete? Phigoren mußte wissen, wie aufmerksam sein Achtschafthoch drei Führer zusah.
Der Mann hielt den Speer parallel zum Boden auf das Ziel gerichtet. Er hob sich auf die Zehenspitzen. Trotzdem fiel er nicht um. Unversehens schlug er mit der freien Hand so gegen den Schaft, daß sich der Speer um neunzig Grad drehte, folgte mit seinem Körper der Bewegung, und Phigoren sah sich der Spitze des Speers genau gegenüber.
Er wandte sich zur Flucht. Acht Srapkithp oder nicht, er rannte, so schnell er konnte, und seine Krieger hoben ihre Waffen. Der Speer flog.
Er drang Phigoren tief in die Seite. Tshintithpitmäng sah, daß der Schwarze gelassen dastand und die Arme herabhängen ließ. Einen Sekundenbruchteil darauf zerfetzten ihn die Geschosse der Fithp.
Er hatte sich Phigoren ergeben. Sie denken anders als wir… Wie auch immer, das Stockblatt ist geradeaus in Längsrichtung geflogen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.
Der Heilkundige sah Phigoren prüfend an, ohne ihn zu berühren. »Legt ihn hin!« sagte er. »Haltet ihn, während ich den Stock herausziehe!«
Zwei Krieger drückten mit ihrer ganzen Masse gegen Phigoren, während der Arzt zog. Phigoren schrie vor Schmerz auf. Das Blatt saß tief in ihm und riß auf dem Weg nach außen eine große Wunde. Dann war es heraus und wurde ihm blutig, wie es war, vor das Gesicht gehalten. Entsetzt sah Tshintithpitmäng zu, er konnte den Schmerz, den Phigoren beim Atmen empfand, körperlich nachfühlen.
»Gut. Haltet ihn weiter fest! Phigoren, kannst du mich hören? Beuge dich nach links! Am besten legst du dich hin.«
Phigoren konnte sich nicht bewegen. Der Arzt schob, und da Phigoren ohnehin nach links geneigt stand, wurde er auf die linke Seite gelegt. Sein eigenes Gewicht drückte ihm die Lunge zusammen. Ausatmen war trotz des Schmerzes einfach, aber beim Einatmen kam es ihm vor, als müsse er einen Berg anheben. Der Arzt sagte: »Das wird die Schmerzen lindern. Vermutlich hat das Stockblatt einen Lungenflügel durchbohrt. Ich muß ihn aufschneiden und die Wunde nähen.«
»Rette ihn, wenn du kannst«, sagte Tshintithpitmäng.
Phigoren lag im Sterben. Sicher hatte er es gewußt. Er mußte jetzt sprechen oder schweigend sterben. Seine Blicke suchten Tshintithpitmäng. »Habt Ihr gesehen? Gefährlich sind…« Er keuchte nur noch. Als das Messer des Heilkundigen in ihn fuhr, verschleierten sich seine Augen. Er versuchte den Mund zu bewegen, doch es kam nur noch ein Flüstern heraus. Tshintithpit mäng hielt sein Ohr nahe an Phigorens Mund. Phigoren raffte seine ganze Willenskraft zusammen, zwang seinen Brustkorb, sich zu bewegen, holte Atem, daß es ihn durchfuhr wie tausend Dolche, und sprach.
»Die Daumen«, hauchte er, und starb.
»Sein Dorf«, schrie Tshintithpitmäng gebieterisch. »Koordinaten!«
Jemand antwortete. Tshintithpitmäng rief in die Fernmeldemuschel.
Fünf Achtel Makasrapkithp entfernt fuhren grüne Striche in engen Spiralen zu Boden. Als alles vorüber war, wandte sich Tshintithpitmäng den Gefangenen zu.
»Wer gehört zu seinem Stamm?«
Alle. Als die schwere Aufgabe erledigt war, schickte Tshintithpit mäng zwei Gefangene, die er hatte leben lassen, aus, um davon zu berichten.
»Es ist klar, was er mir sagen wollte. Ihre Daumen machen die Erdlinge geschickter als uns unsere Grifflinge. Bevor wir auf diesen Planeten kamen, waren wir die überlegenen Werkzeugbenutzer. Wir waren falsch vorbereitet. Einiges haben wir richtig eingeschätzt: die größere Anzahl der Beutewesen, ihre Kenntnis des eigenen Landes, ihr Verständnis einer an sich unterlegenen Technik, die sie aber selbst entwickelt haben, ohne Anleitung durch Thaktanthp.
Noch im Tod dachte Phigoren daran, mich zu warnen. Ich habe seither von anderen Ähnliches gehört. Aber es ist nicht recht! Wenn nun tatsächlich ihre Daumen der Grund dafür sind, daß sie kleinere Maschinen herstellen können? Wir haben die Thaktanthp, die uns in den Stand setzen, überlegenes Werkzeug herzustellen, sie dagegen haben nur sich.«
»Du hast befehlswidrig eine vollständige ErdlingsFithp vernichtet «, merkte Fukertih an.
»Ja, in meiner Wut, und um meinen Fehler wiedergutzumachen. Lerne daraus! Wir haben in dem Bezirk lediglich zwei weitere Fithp verloren«, verteidigte sich Tshintithpitmäng. »Die anderen Eingeborenen bringen uns jetzt Vieh und Milch.«
»Habt ihr so etwas seither wieder getan?«
»Nein. Seither nicht. Aber dieser Krieg macht aus mir ein anderes Wesen. Ich brauche die Weisheit der Weiber. Mir fehlt die Gefährtin.«
Wie kommt es, daß Verrat nie im Schwange ist?
Weil ihn dann niemand Verrat zu nennen wagt.
Leichter Nieselregen zwang sie, ihre wasserdichten Mäntel geschlossen zu halten. Sie schwitzten darin. Dabei war es heute nicht einmal besonders schlimm. Tagelang hatten sie Zuflucht vor regenschweren Sturmböen suchen müssen, die Harrys Motorrad von der Straße zu wehen drohten.
Auf dem Schild stand BELLINGHAM CITY. Die Autobahnausfahrt führte auf eine ehemalige Hauptstraße. Sie wirkte recht verlassen. Tankstellen, Motels und Restaurants, an denen sie vorüberkamen, waren geschlossen, bis auf eine Tankstelle. Vor ihr verkündete ein Schild: KEIN BENZIN. KEIN ÖLWECHSEL. ICH WEISS SELBST NICHT, WARUM ICH OFFEN HAB. WIE WÄR’S MIT TEE?
Die Fenster der meisten Häuser waren mit Brettern vernagelt.
»Sieht unwirtlich aus«, rief Roger Harry ins Ohr.
Wo, zum Teufel, war denn nur die Abzweigung? Auf der Karte war deutlich zu sehen, daß sich die Hauptstraße gabelte, nach Westen um die Universität herum und weiter zum Hafen führte – aha, da. Harry nahm die andere Abzweigung. Er wandte sich nach Osten, unterquerte die Autobahn und fuhr an einem Einkaufszentrum vorüber, in dem nicht alle Läden geschlossen zu sein schienen. Danach kamen nur noch Wohnhäuser. Die Wagenburg war nicht leicht zu finden. Sie lag am Ende eines gewundenen Weges und hatte nicht viel Ähnlichkeit mit dem, was man Harry einst geschildert hatte. Sie kam ihm klein und schäbig vor. Dort, wo einst der Tennisplatz gewesen war, erhob sich jetzt ein Gewächshaus. Ein dichter Zaun umgab das ganze Anwesen. An einem Tor war ein riesiger Gong angebracht. Sie hätten absteigen, an einer Betonschranke vorbeigehen und auf ihn schlagen müssen. »Die ermutigen ihre Besucher ja nicht gerade. Kann man ja auch verstehen…« Langsam fuhr Harry vorbei. Von einem kleinen Gehölz am Ende des Weges aus hatte er freie Sicht auf die Fläche vor der Garage.
»John Fox ist da!« rief Roger.
»Fox? Ich hab von ihm gehört, aber ich kenn ihn nicht«, sagte Harry. »Woher willst du das wissen?«
»Was glaubst du, auf wie vielen Nummernschildern in Kalifornien statt der ZahlenBuchstaben Kombination ÖKOFREAK steht?«
»Ach, der ist das.« Harry wendete. »Was machen wir jetzt?«
»Reingehen. Zuerst wollte ich nur duschen, jetzt möchte ich unbedingt deine Freunde näher kennenlernen.«
»Von mir aus.« Harry blieb am Tor stehen. Der große Gong dröhnte nicht annähernd so laut, wie er es erwartet hatte.
Auf Jack McCauleys rundem Gesicht waren neuerdings Falten zu sehen. Ein kurzgeschorener, schwarzer Bart hatte seine Züge verändert. Seine Schultern und Arme waren weit muskulöser als zuvor, so sehr, daß sein altes Hemd sie nicht mehr bändigen zu können schien. »Ich sag euch gleich, daß wir keinen Platz haben«, begrüßte er die Ankömmlinge, »aber kommt erst mal rein. George wird sich freuen, dich zu sehen, Harry. Was, zum Teufel, will ein Zeitungsfritze hier?«
Roger lächelte. »Mein Blatt plant eine Serie über neue Lebensstile. Die Leute brennen darauf, Anregungen zu bekommen.«
McCauley faßte Roger näher ins Auge. »Kann ich mir denken. Aber hier gibt es keine Geschichte.«
Haus und Grundstück machten auf Harry den Eindruck einer Baustelle. Er parkte das Motorrad neben Fox’ Kleinlaster.
George TateEvans arbeitete am Gewächshaus. Er hämmerte und trieb einen Nagel ins Holz. Als er Harry sah, stieß er einen Pfiff aus. »Na so was, der Rote Harry.« Er lächelte freundlich. »Hol’s der Teufel, Harry, du bist zwar nicht so sauber wie früher, aber irgendwie siehst du um einiges besser aus. Wie geht’s dem Rücken?«
»Großartig. Ich hab seit Monaten mit keinem Anwalt gesprochen. Das ist Roger Brooks von der Washington Post. Wir waren in Kansas.«
»So, so. Harry, ich glaube, alle würden gern erfahren, was da eigentlich los war. Kommt ihr etwa den ganzen Weg von Washington her?«
»Nee, aus Colorado Springs«, sagte Harry.
»Colorado Springs«, sagte George vorsichtig. »Ihr könnt gern zum Abendessen bleiben, immer vorausgesetzt, ihr habt Verständnis für unsere Lage. Wir haben keinen Platz, kein einziges freies Bett.«
»Wir zelten.«
»Seht euch um. Die einzige Stelle, wo ihr ein Zelt aufschlagen könntet, wäre die Auffahrt.«
»Wir finden schon was«, sagte Harry grinsend. »Sieh mal, George, ich bin es gewöhnt, mit Erzählungen für mein Abendessen zu bezahlen. Meinst du, ihr könntet heute abend noch ein Duschbad drauflegen?«
In der Mitte des großen Eßzimmers stand ein langer Tisch. An einem Ende befand sich ein Lesepult. Das Ganze erinnerte Roger an das Refektorium im Kloster der Christlichen Brüder, wo sie auf dem Weg von Colorado Springs hierher Station gemacht hatten. Die Brüder nahmen Reisende auf, wie das Klöster im Mittelalter zu tun pflegten. Außerdem hatten sie alle Müßiggänger am Ort an die Arbeit in Gärten und Weinbergen gestellt.
Allmählich füllte sich der Raum. John Fox schien sich über Rogers Anwesenheit aufrichtig zu freuen. Die Namen prägten sich Roger wie von selbst ein, während sie ihm genannt wurden: für einen Journalisten eine wichtige Fertigkeit. Fox’ Freund Marty Carnell, George und Vicki TateEvans. Harry hatte Georg als »SuperÜberlebenskünstler « bezeichnet; seine Frau war schweigsam. Offenkundig behagte ihr der Besuch nicht. Isadore und Clara Leiber. Clara wollte wissen, was in der Hauptstadt vor sich ging. Dann war da noch der Mann vom Tor, Jack McCauley. Seine Frau hieß Harriet.
Bill und Owen Shakes saßen am Kopf der Tafel. Eine ganze Anzahl von ShakesKindern sprang herum – überhaupt gab es hier viele Kinder.
Shakes machte sich Sorgen wegen des Berichts, den Roger zu schreiben gedachte. »Wir haben mit der Öffentlichkeit nichts am Hut. Ich würde Ihnen sagen, wie schlimm es steht, wenn ich annehmen dürfte, daß Sie mir glauben.«
»Über Bellingham schreibe ich nicht viel«, sagte Roger, »und Ortsnamen nenne ich grundsätzlich nicht. Im übrigen brauchen Sie keine Angst zu haben, daß jemand herkommt. Harry und ich hätten ohne weiteres ein halbes Dutzend Mal hopsgenommen werden können. Dabei ist es nur ein Motorrad, und wir haben einen Presseausweis und eine BenzinZuteilungskarte von der Regierung! Niemand kommt so leicht nach Bellingham.«
Auch niemand, der etwas über den Ort veröffentlichen will. Bevor wir von Colorado Springs abgefahren sind, hab ich alle Unterlagen durchgesehen. Nichts, nicht das Schwarze unterm Fingernagel, und das lange bevor die Rüßler ihre DinosaurierKeule abgeworfen haben. Ich wittere es förmlich: ein Geheimnis, das seit einem ganzen Jahr vor Rüßlern und Bürgern gleichermaßen gehütet wird.
»Es sind aber doch viele Leute hergekommen«, bemerkte Harriet McCauley.
»Ja, allmählich wird es eng«, fügte Clara hinzu. »Auf dem Markt drängeln sich die Kunden und stehen in langen Schlangen.«
»Es könnte schlimmer sein. In den meisten anderen Orten gibt es kaum noch etwas«, sagte Harry. »Vielleicht geht es euch besser, als ihr wahrhaben wollt.«
Es gab Spaghetti. Die Soße enthielt kein Fleisch, aber frische Tomaten aus dem Gewächshaus, und Käse war auch da.
Nach dem Essen verließen fast alle den Raum.
»Wir haben verschiedenes zu erledigen«, erklärte Fox. »War nett, dich mal wiederzusehen, Roger.«
Bill Shakes und George TateEvans halfen das Geschirr hinaustragen, dann kamen sie zurück. »Ihr könnt gerne ‘nen Schnaps haben, aber es wird allmählich dunkel«, sagte Bill Shakes. »Vielleicht wollt ihr euer Zelt lieber aufschlagen, solange ihr noch was seht?«
»Keine Sorge, das schaffen wir schon«, sagte Roger.
»Wir haben schon öfters im Dunkeln unser Zelt aufgebaut«, bestätigte Harry.
»Na schön. Am besten ist es wohl hinten am Weg, da, wo er in den Wald übergeht. Fahrt knapp einen Kilometer, hinter dem Bach ist eine kleine Lichtung. Paßt auf, daß ihr nicht zuviel Holz verbrennt und schneidet nichts ab.«
»In Ordnung.«
Isadore brachte zwei Flaschen kalifornischen Schnaps. »Die letzten beiden Kartons«, sagte er, nahm dünnwandige Schnapsgläser aus einer Anrichte und gab jedem eins. George TateEvans füllte sein Glas zur Hälfte und schenkte dann den Gästen ein.
Bill Shakes wartete, bis alle saßen. »Harry, du hast gesagt, du hättest eine BenzinZuteilungskarte.«
»Ja.« Harry grinste. »Statt Tapferkeitsorden. Ich hab nämlich ‘nen Rüßler gefangen.«
George TateEvans wollte etwas sagen, aber Shakes’ leise Stimme verschaffte, sich Gehör. »Wir haben eine Quelle für Dünger. Ein Milchviehbetrieb etwa fünfzig Kilometer von hier entfernt will uns welchen abtreten, nur herschaffen müssen wir das Zeug selber. ‘nen Lastwagen haben wir, aber keinen Sprit. Wie ist es – können wir dir was abkaufen?«
»Nichts zu machen«, sagte Harry, »die Karte ist auf mich ausgestellt.« Er hielt eine in Kunststoff eingeschweißte Karte hoch. »Hier, auf der einen Seite der Führerschein, auf der anderen die Zuteilungskarte, beide mit Paßbild. Niemand kann was damit anfangen, außer du läßt dir ‘nen Bart stehen und färbst ihn wie meinen.«
»Sehr witzig«, sagte Shakes ohne die Spur eines Lächelns. Er reichte Harry höchstens bis zur Schulter.
»Vielleicht können wir ein Tauschgeschäft machen«, schlug Roger vor. »Wir holen euch die Kuhscheiße, wenn ihr uns euren Lastwagen für ein paar Tage überlaßt.«
Harry sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Wozu denn? Noch dazu so ‘ne Klapperkiste wie das Ding da draußen?«
»Ich würde mich gern ein bißchen in der Gegend umsehen, und mein Steiß ist rot wie ein Pavianarsch«, sagte Roger.
»Versteh ich. Schön Bill, wir holen euch das Zeug.«
»Vielen Dank.«
Harry hob das Glas. »Ihr habt euch hier ziemlich gut eingerichtet.«
»Es geht.« Shakes lachte. »Weißt du Neues über Los Angeles?«
»Die Leute da unten schlagen sich so durch«, sagte Harry.
»Du warst also nicht selber da?« wollte George wissen. Er holte die Flasche und schenkte nach.
»Nein«, sagte Harry, »aber sie kommen zurecht.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Nun, glänzend steht es nirgends«, erklärte Harry. »Meist viel schlechter als hier. Aber irgendwie wursteln sich die Leute durch. Mit Gewächshäusern, Gemüsegärten, Hühnerkäfigen auf Dächern und dergleichen.«
»Nicht zu fassen«, staunte Bill Shakes.
»Ja, wenn man bedenkt, daß die Regierung nicht viel tun kann«, sagte Roger. »In Colorado Springs haben sie nicht mal die Möglichkeit festzustellen, was die Leute so treiben, geschweige denn ihnen unter die Arme zu greifen.«
»So läuft der Hase also«, sagte George. Er kippte seinen Schnaps und goß erneut nach. »Kaum ist die verdammte Regierung aus dem Weg, schon können sich die Leute helfen. Wartet nur, wenn es etwas besser läuft und zwar so gut, daß die Regierung ein Interesse daran hat, sich wieder einzumischen, geht alles sofort wieder den Bach runter. Junge, Junge, haben wir eine Regierung! Die kann uns doch im Arsch lecken.«
Roger wechselte das Thema. »Clara hat vorhin gesagt, hier seien viele neue Leute hergekommen. Was wollen die denn?«
Unbehaglich sah Bill Shakes zu George hinüber. »Ein großes Regierungsprojekt am Hafen«, erläuterte George. »Ständig kommen mehr – Marineleute, Programmierer, Schiffsbauer, Klempner. Unsereins muß sämtliche Installationsarbeiten selber machen, weil anscheinend alle Klempner im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern unten im Hafen gebraucht werden.«
»Und Schwarzarbeit machen die sicher nicht?« fragte Harry.
»Die kämen nicht mal zu Besuch.«
»Haha.« Harry leerte sein zweites Glas. »Und ihr Jungs habt euch hier verkrochen, weil ihr weit vom Schuß sein und mit niemandem etwas zu tun haben wolltet!« kicherte er und goß sich, ohne zu fragen, ein drittes Glas ein.
»Man kann es mit Humor sehen.« Nach wie vor trug Bill Shakes sein rätselhaftes Lächeln zur Schau.
»So richtig schlecht geht es uns aber doch nicht«, sagte George.
»Nein, aber Bellingham ist nicht mehr das verschlafene Hafenstädtchen mit der verschlammten Zufahrt«, sagte Isadore. »Die Straßen sind schwarz von Menschen, alles ist teurer geworden, überall mischt sich die Militärpolizei ein.«
»Der Teufel soll sie holen!« knurrte George.
»Aber was machen die da unten?« wollte Roger wissen.
»Wer weiß das schon?« sagte Isadore. »Sie geben vor, Gewächshäuser für Weizen zu bauen. Wer’s glaubt, zahlt ‘nen Dollar.«
»Und wer es nicht glaubt?«
»Mirandas Freund, ein Polizist, hat gerüchtweise gehört, daß es ein Gefängnis sein soll«, fuhr Isadore fort. »Für politische Gefangene aus Kansas, Kollaborateure. Sie haben zwar Gewächshäuser gebaut, aber drinnen arbeiten angeblich Gefangene. Ein Sklavenlager.«
»Geschieht den RüßlerFreunden recht«, sagte Harry.
»Vielleicht hatten sie keine andere Wahl«, sagte Roger.
»Kämpfen hätten sie können!«
»Schön, du hast einen gefangen, Harry«, sagte Roger zurückhaltend. »Aber er war allein.«
Bill Shakes beugte sich begierig vor. »Ihr wart im besetzten Gebiet? Erzählt uns mehr davon!«
Rogers Uhr zeigte drei. Zwei Schnapsflaschen waren leer, und von der dritten war kaum mehr die Hälfte da.
Irgendwann hatte Miranda Kevins Gitarre heruntergebracht, Harry hatte gespielt, und fast alle waren gekommen, um seinen Liedern zu lauschen. Dann aber waren alle bis auf George, Isadore und Bill schlafen gegangen.
Kevin Shakes arbeitete am Regierungsprojekt mit – und war nicht heimgekommen, seit er sich im Hafen zur Arbeit gemeldet hatte. Er schickte Briefe, und gelegentlich gelangte eine Mitteilung über Mirandas Freund nach draußen.
Roger spürte, wie es sich in seinem Unterleib zusammenzog. Ich hätte nicht soviel von dem Schnaps trinken sollen. Irgendwas läuft da unten am Hafen, ne ganz große Sache. Und George weiß mehr, als er sagt.
»Wird Zeit, ‘n paar Takte zu schlafen«, sagte Bill Shakes.
Er ist nicht die Spur betrunken. Wieviel er intus hat?
»Ich will nur noch mein Glas austrinken«, sagte Roger mit stockender Stimme. Ihm war klar, daß er sich rasch unbeliebt machte. Aber eine bessere Chance wird sich mir kaum mehr bieten. Er ging zu George hinüber und hob sein Glas. »Tod den Tyrannen! Nieder mit dem Staat!«
»So ist es!« Grinsend stieß George mit ihm an.
»Verdammte Geheimnistuerei«, sagte Roger. »Immer hatten sie Geheimnisse vor uns. Wie damals in Vietnam, als sie der Öffentlichkeit vorenthalten haben, daß sie Ziele in Kambodscha bombardierten. Aber war es geheim? Alle haben es gewußt. Ich möchte wetten, daß sie es sogar den Russen gesagt haben. Nur wer hat es nicht gewußt? Wir!«
»Stimmt«, sagte George. »Genau.«
»Und jetzt also wieder…«
»George«, mahnte Bill Shakes mit leiser Stimme.
George hörte nicht auf ihn.
»Was, zum Teufel, können sie da bloß verstecken?« Roger schüttelte den Kopf.
»Rüßler«, flüsterte George in verschwörerischem Tonfall. »Sie haben Rüßler da unten.«
Roger erwachte auf dem Wohnzimmerfußboden. Sein Kopf dröhnte.
Rüßler. Kein großes Geheimnis. Nichts als ein Versteck für gefangene Rüßler…?
Lächerlich! Bellingham war schon ein blinder Fleck in den Medien, lange bevor der erste Rüßler gefangen wurde! Nie im Leben würden sie General Gillespie die Leitung eines Gefangenenlagers für außerirdische Zwergelefanten übertragen.
Aber Bill Shakes glaubt es. Er wollte nicht, daß ich es erfuhr. Wenn Shakes nicht weiß, was da unten wirklich los ist, weiß es niemand hier. Wir müssen da rein.
Er hörte Harrys Stimme aus dem Nebenzimmer. »Wie Shina, die Dschungelkönigin. Mrs. Dawson hat sich draufgesetzt, und dann sind wir losgezogen. Mann o Mann, richtiger Kaffee!« Andere Stimmen und Gelächter wurden laut, Kinderstimmen plärrten.
Wenn er etwas von dem Kaffee abhaben wollte, würde er sich Harrys Geschichte noch einmal anhören müssen…
Also. Wir erreichen Austrittsgeschwindigkeit, dachte Pastempih keph. Ab hier lassen wir uns treiben. Wir werden den afrikanischen Kontinent für immer besetzt halten, und sobald sich neuer Widerstand regt, werden wir ihn aus dem Weltraum zertrampeln. Letztlich mögen die Abtrünnigen die Bote beherrschen, während meine Nachkommen mit ihnen Tauschhandel treiben: Lebensmittel gegen Metalle.
Die Tür zum Schlammraum öffnete sich. Glücklich winkte Pastempihkeph aus dem Schlamm. Endlich war die Paarungszeit seiner Fithp gekommen.
»Ich habe einen Gast«, sagte K’tarfukeph.
Was? Das jedoch sagte Pastempihkeph nicht, sondern: »Tretet ein und erquickt eure müden Leiber.« Wehe, wenn es nichts Dringendes ist!
K’tarfukeph kam mit Tshaupintalk herein. Die Weiber ließen sich behaglich in den Schlamm gleiten. Einige Augenblicke vergingen in Schweigen, und die Spannung wich nicht von Tshaupintalk. Dann sagte sie: »Mein Gefährte wurde ermordet, Herr der Herde. Was habt Ihr unternommen, um den gemeingefährlichen Einzelgänger zu finden?«
Er hatte gedacht, das hinausschieben zu können. Immerhin war Krieg, und es fielen zahlreiche Fithp. Selbstverständlich hatte der Herr der Herde Schritte unternommen, denn eine solche Tat konnte sich wiederholen, aber auf ihn warteten wahrhaftig drängendere Aufgaben.
Er sagte also: »Sag mir zuerst, was du getan hättest!«
Tshaupintalk überlegte. »Einen Einzelgänger erkennt man. Er spricht nicht mit seinen Fithp, verläßt seine Gefährtin und gibt sich keine Mühe zu verbergen, wie er denkt.«
»Davon haben wir genug«, warf der Herr der Herde ein. »Die Krieger auf Winterheim sind uns bisher unbekannten und schrecklichen Belastungen ausgesetzt. Aber hier? Du müßtest ihn bemerkt haben. Gibt es an Bord einen Herdenlosen? Ein Mitglied der Ziehenden Herde, dem sich niemand beigesellen will? Nein? Wer hätte so unbemerkt kommen und gehen können?«
Tshaupintalk schüttelte den Kopf. Sie wirkte äußerst angespannt. Dazu hatte sie auch allen Grund – immerhin war sie in den privaten Schlammraum des Herrn der Herde eingedrungen!
»Also es war kein Einzelgänger«, sagte Pastempihkeph. »Dann aber muß er das Geheimnis mit anderen teilen. Was schlägst du vor?«
»Fragt alle! Kein Fi’ kann vor dem Herrn der Herde lügen.«
»Daran ist etwas Wahres. Ich habe mit den Häuptern jeder einzelnen Fithp an Bord gesprochen. Die Schläfer erwarten von mir nicht, daß ich einen Mörder suche, sie wollen, daß ich unverzüglich einen Berater aus ihrer Mitte wähle. Es schien mir vielversprechend, bei ihnen zu suchen, und so habe ich mein Augenmerk auf sie gerichtet. Als das nichts nützte, habe ich willkürlich herausgegriffene Fithp befragt: Fistartihthaktans Gehilfen, Tashajämp, Waffenoffiziere an Bord, gerade von Winterheim zurückgekehrte Krieger, Mütter, unverpaarte und frisch verpaarte Weiber, sogar Erdlinge.
Manche wollten an diesem oder jenem Fi’ EinzelgängerVerhalten beobachtet haben. Ich habe die Betroffenen befragt – in keinem Fall war die Beschuldigung begründet. Niemand weiß, wie Fathistihtalk ums Leben gekommen ist. Nur wenigen ist bekannt, was er wollte, wo oder wie er möglicherweise ein Geheimnis weitergeben konnte, das es wert war, verborgen zu bleiben.«
»Wenige? Was habt Ihr in Erfahrung gebracht?«
»Was du bestimmt längst weißt, Tshaupintalk. Dein Gefährte hat sich für die Gefangenen von Winterheim interessiert und einen von ihnen, Dawson, befragt, während er im Absonderungs Pferch untergebracht war.«
»Aha«, sagte sie, »schon Tage vor seinem Verschwinden wollte er mir zwar im gemeinschaftlichen Schlammbad nichts von seinen Plänen sagen, bemerkte aber, daß er glaubte, etwas in Erfahrung bringen zu können. Es ging um die Frage, ob es sich lohnt, Winterheim zu besetzen.«
»Das kann ich mir denken. Wie soll ich jetzt weiter vorgehen? Hat er die sowjetischen Gefangenen befragt? Hat er etwas von ihnen erfahren? Erdlinge können ohne weiteres auch mich, den Herrn der Herde, belügen, denn ich vermag ihre Körpersprache nicht zu deuten. Die Umerzieher waren nicht imstande, mir zu helfen. Es macht nichts. Selbst wenn wir annehmen, daß ein Erdling, der sich unterworfen hat, ein Fi’ in hoher Stellung ermordet, muß ein weiteres Fi’ mit im Bunde sein. Kein schwacher Erdling könnte Fathistihtalk allein umgebracht haben. Außerdem muß ein Fi’ anschließend den Schlammraum erneut auf ›Gefrieren‹ geschaltet haben. Ein fithploser Mörder ist unter uns. Er hat unter den Höchsten getötet, aber nichts an ihm verrät ihn. Er weiß, daß er den Herrn der Herde zum Narren gehalten hat.«
»Wir hatten schon geglaubt, du habest vergessen«, sagte K’tarfukeph in entschuldigendem Tonfall.
»Nur, weil ich meine Fithp durch thermonukleare Bomben, Holzknüppel und Wahnsinn verliere? Keineswegs – aber ich habe hier keinen weiteren Fußhalt! Wonach soll ich suchen? Irgendein Fi’ ist gekommen, hat getötet und sich unbemerkt davongemacht, ohne mit jemandem ein Wort zu sprechen.«
Tshaupintalk besprühte ihn mit Wasser, doch er rührte sich nicht. »Ein Einzelgänger ist gekommen und gegangen. Einfach so. Tshaupintalk, binnen acht Tagen bringe ich dir den Mörder deines Gefährten. Laß uns jetzt allein.«
Tshaupintalk war klug genug zu schweigen. Sie erhob sich aus dem Schlamm und ging tropfend hinaus. Pastempihkeph fragte: »Gab es keinen anderen Ort, wo du mir mit ihr entgegentreten konntest?«
»Keph, sie hat mich überredet. Auch andere fragen sich…«
»Tu das nie wieder! Jetzt vergiß es, Mutter meiner Unsterblichkeit. Die Paarungszeit geht immer viel zu rasch dahin.«
Langsam schob sich die Marschsäule über das Veldt. Nachtmärsche und nächtliche Aktionen waren unmöglich. Die Rüßler hatten ausgezeichnete InfrarotNachtsichtgeräte. An einem guten Tag konnte das Kommando zu Fuß dreißig Kilometer schaffen.
Das und vieles andere hatten sie gelernt.
Sonderbare Beziehungen bestanden zwischen den Weißen und den verschiedenen schwarzen Stämmen, fand Julius Carter.
Van Der Stel, der dürre Südafrikaner, der immer von »Kaffern « sprach und erwartete, daß ihn die Schwarzen »Baas« nannten, respektierte die ZuluKundschafter durchaus und hörte stets auf ihren Rat. Mwubi, der vor Van Der Stel zu kriechen schien und Carter als seinesgleichen behandelte, ließ sich dennoch von Carter Befehle erteilen.
Dann waren da noch die Russen, die von nichts etwas verstanden. Von dem Dutzend, das sich Carter angeschlossen hatte, sprachen lediglich zwei Englisch, keiner beherrschte eine der Verkehrssprachen Südafrikas.
Eigentümlich war das Land auch schon gewesen, bevor die Eindringlinge gekommen waren, jetzt aber…
Jetzt ist die ganze Welt eigentümlich.
Trotz des eiskalten Windes schwitzte Carter unter seiner schweren Last. Sie zogen vorsichtig in kleinen Gruppen dahin und nutzten jede Deckung. Mwubi und seine ZuluKundschafter waren weiter vorn fast nicht zu sehen. Gleichmäßiges Rauschen in Carters linkem Ohr zeigte ihm, daß sein Funkgerät auf Empfang geschaltet war. Senden würde Mwubi nur im äußersten Notfall. Zwar würden die Rüßler eine kurze, mit geringer Senderenergie abgesetzte Mitteilung nicht mitgekommen – doch warum unnötige Risiken eingehen?
»Es ist nicht mehr weit«, sagte Van Der Stel. »Dahinten von den Bäumen aus kannst du den Raumflughafen sehen. Von da läßt sich die Rakete abfeuern.«
»Gott sei Dank«, murmelte Sergeant Harrison, und Leutnant Iwan Semejusow sah ihn mißbilligend an. Russische Unteroffiziere sprachen nicht unaufgefordert ihre Vorgesetzten an, und ein guter Kommunist führte den Namen Gottes nicht im Munde. Colonel Carter verkniff sich ein Grinsen. »Gönnen Sie den Männern zehn Minuten Pause, Sarge.«
»Zu Befehl, Sir.« Harrison pfiff leise; er wußte, daß Mwubis Leute ihn hören würden. Dann begab er sich zur Kolonne zurück, um Amerikaner und Russen zu informieren.
Carter suchte sich den bestmöglichen Schutz. Könnte er doch wenigstens eine Pfeife rauchen. Wie gut wohl ihr Geruchsempfinden entwickelt ist? Der Wind wehte unausgesetzt. Vorsichtig sah er sich in der unwirtlichen Landschaft um. Nach all den Monaten hing immer noch der Geruch des Todes in der Luft. »Zumindest regnet es nicht mehr«, sagte er.
»Es ist kalt für November«, sagte Van Der Stel. »Der Sommer wird auf sich warten lassen.«
Wenn es überhaupt einen gibt, dachte Carter. Eigentlich müßte dort um die Zeit etwa das gleiche Wetter herrschen wie im Mai in Südkalifornien, warm und trocken, nicht kalt und böig. Der russische Offizier holte ein Päckchen Zigaretten hervor. »Nein«, sagte Carter.
Der Mann steckte das Päckchen wieder weg.
»Ein Wahnsinnsplan«, sagte Van Der Stel.
»Ach ja? Und warum machen Sie dann mit?« fragte Leutnant Semejusow. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.
Jedenfalls lernt er sich langsam zu benehmen, dachte Carter.
»Es hat sich ja wohl herumgesprochen, daß ich verrückt bin«, sagte Van Der Stel. »Die Engländer haben längst gemerkt, daß wir hier in Südafrika allesamt dazu neigen. Jetzt müssen wir es den Olifanten zeigen. Sagen Sie mir, Leutnant, was veranlaßt Sie, mich so weit von Ihrer Heimat entfernt bei meinen Wahnsinnstaten zu unterstützen?«
Semejusow dachte nicht daran, darauf einzugehen. »Sind Sie sicher, daß heute ein großes Schiff startet?« fragte er statt dessen.
»Sicher kann man bei so etwas nie sein, aber unsere Freunde am Raumflughafen, die die Schiffe beladen, glauben, daß heute abend oder morgen früh eins startet. Mehr habe ich nicht gesagt. Habt ihr Sorge, ich leg euch rein?«
»Nee«, sagte Lieutenant Carruthers. »Das nicht, Mijnheer. Der Iwan ist nur nervös wie wir auch.«
Dazu hat er allen Grund. Carter warf einen Blick zur Sonne. »Da wir nicht wissen, wann sie starten, dürfte es sich empfehlen, die Stellung möglichst früh zu erreichen, Also los!«
»Es sieht aus, als würden sie den Laderaum schließen«, berichtete Carruthers. Er gab das Fernglas an Carter zurück. »Laden in letzter Minute?«
Julius Carter lag im Gras und richtete das Glas auf das, was früher ein Flughafen gewesen war. Es lag acht Kilometer entfernt.
Sein erstes ›Raketenschiff‹. Anders als die Raumfähren, die er kannte: Rumpf war flach, und das gesamte Ding war so groß wie eine Lagerhalle – neben ihm sah das C-47Frachtflugzeug aus wie ein Spielzeug. Ohne den riesigen Kegel hinten hätte es am ehesten noch einem Flugzeug geähnelt, aber nur eben geähnelt. Zu kurz, zu breit, zu kleine Tragflächen. Die einzigen Fenster lagen in einer Kanzel von der Größe des Rumpfes einer Boeing 727 und befand sich unterhalb der Nase. An ihrer Spitze glänzte etwas wie Brillenglas, aber zu sehen gab es nichts. Womöglich eine Laserkanone?
Van Der Stel hatte wie gewöhnlich recht gehabt; der Platz eignete sich ausgezeichnet zur Beobachtung des Raumflughafens. Er lag hoch genug, um ihnen eine gute Aussicht zu gewähren, aber nicht auffällig hoch.
Vielleicht maß Carruthers dem, was er sah, zuviel Gewicht bei, vielleicht aber auch nicht. Im Verlauf der letzten Stunde hatten die Außerirdischen zwei Luken an dem großen Schiff geschlossen, zwei Ladekräne weggefahren und die Mehrzahl der anderen Gepäckwagen auf die gegenüberliegende Seite des Flugfelds gebracht. »Auf jeden Fall sieht es aus, als ob sich irgend etwas tun würde. Wie steht es mit den Rußkis?«
»Mit uns steht es ziemlich gut, Colonel«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Peinlich! »Danke. Leutnant. Haben Sie Ihre Rakete in Stellung gebracht?«
»Ist gleich soweit.«
»Gut. Sieht aus, als hätten wir noch eine halbe Stunde Zeit.«
»Ich werde den Leuten sagen, sie sollen sich beeilen.«
Carter saß im hohen Gras und nahm seine Pfeife heraus.
»Das Gute an einer Pfeife«, sagte Carruthers, »ist, daß man sie auch kalt rauchen kann. Colonel.«
»Raus mit der Sprache!«
»Wird es klappen, Sir? Ich meine, sie mußten das Ding weit schleppen und…«
»Haben Sie einen besseren Plan?«
»Nein, Sir.«
»Auf jeden Fall ist es den Versuch wert.«
»Ja, Sir.«
Nein, ich hab deine Frage nicht beantwortet, mein Junge. Wie könnte ich auch? Carter grinste. Bisher hat es uns außer etwas Schweiß nichts gekostet. Mal sehen, wie es weitergeht. Sobald sie die russische Rakete abgeschossen hatten, würde es richtig losgehen. Sie würden um ihr Leben rennen und sich im Gelände verteilen müssen. Dann konnten sie nur hoffen, daß alle den vereinbarten Treffpunkt erreichten. Carter warf einen Blick auf die Uhr, dann nach hinten, wo die sowjetischen Soldaten ein niedriges Gerüst errichtet hatten. »In Ordnung, Sergeant. Die Leute sollen sich verteilen.«
»Zu Befehl, Sir.«
Auf dem Raumflughafen herrschte geschäftiges Treiben. Alle Hilfs- und Versorgungsfahrzeuge waren abgezogen. Der gewaltige Rumpf des Raumschiffs stand verlassen da.
Ein turmhoher Betonbau in der Nähe öffnete sich.
»Der Laser«, sagte Carter. »Wenn Sie den treffen, fliegt der ganze Flughafen in die Luft.« Er gab Carruthers das Glas und wandte sich dem sowjetischen Offizier zu. »Alles in Ordnung?«
»Ja.« Erwartungsvoll blitzten Semejusows Augen. »Es ist eine gute Rakete. Wirklich gut.«
»Das will ich hoffen.«
»Colonel!«
»Ja, Carruthers?«
»Sie haben einen Hangar geöffnet. Etwas kommt raus – er kommt direkt auf uns zu. Scheiße!«
Carter griff nach dem Fernglas.
Mehr als ein Dutzend der leichten Bodenfahrzeuge, die Carter bei sich als ›Gleiter‹ bezeichnete, schwebten schnell über das Flugfeld. Sie setzten sich über den Zaun hinweg und fächerten dann über das Veldt aus. Eins kam genau auf ihren Hügel zu.
Den Gleitern folgten acht Schwebepanzer.
Leutnant Semejusows Stimme blieb ausdrucksvoll. »Ihre Befehle, Genosse Colonel?«
»Abwarten, ob sie uns sehen.«
Ein Gleiter kam gefährlich nah an die Stelle heran, wo sich Mwubis Kundschafter versteckt hielten.
»Sie kommen noch näher«, sagte Carruthers. »Wenn sie Mwubis Leute nicht gesehen haben, bemerken sie uns auch nicht.«
»Aber wenn sie direkt an uns vorbeifahren, entdecken sie die verdammte Rakete«, sagte Carter. Sie können jeden Augenblick hier sein. Sobald sie vorbei sind, müssen sie die Rakete sehen. Er drückte den Kanalwähler an seinem HelmFunkgerät. »Sergeant Harrison. Wenn das Ding auf fünfzig Meter rankommt, feuern!«
»Zu Befehl, Sir.« Harrison war irgendwo zur Linken, unsichtbar.
Lieutenant Carruthers nahm ein leichtes, panzerfaustähnliches Rohr zur Hand.
Semejusow sprach rasch in sein Funkgerät. »Bereit!«
Der erste Gleiter erreichte den Fuß des Hügels. Ein zweiter folgte ihm.
Carter hob den Sender an den Mund. »Mwubi. uSuthu!«
»Tschaka!« Einen Augenblick später bellten automatische Waffen aus dem Gelände zwischen Carter und dem Raumflughafen. Der Gleiter neigte sich, stürzte ab und explodierte.
»Schießen Sie das verdammte Ding schon ab!« befahl Carter. »Es ist zu spät, um das Raumschiff zu kriegen. Sehen Sie zu, daß Sie den Laser erwischen.«
»Mit Verlaub, Colonel, vielleicht starten sie ihr Schiff trotzdem. Es ist ein besseres Ziel.«
»Warum, zum Teufel, sollten sie es starten, während sie aus dem Hinterhalt beharkt werden?«
Als Antwort wies Semejusow auf die Plattform unter dem Raumschiff. Dort erhob sich ein dichter weißer Rauch.
»Der Schweinehund. Na warte!«
»Wir müssen jetzt die Panzer aufhalten«, gab Carruthers zu bedenken. »Ich glaube nicht, daß Mwubis Leute das lange allein schaffen.«
»Wir tun, was wir können!«
Mit einemmal hob sich das Raumschiff in die Luft. Die Raketenplattform, die den Schub lieferte, fiel zurück, während ein blendender, blaugrüner Strahl aus dem Betonbau senkrecht nach oben stieß, der in der Mitte des Raumflughafens stand.
»Jetzt jeden Augenblick!« schrie Carter. Leutnant Semejusow sprach rasch in sein Mikro.
Der vorderste Gleiter kam den Hügel empor auf sie zu. Aus dem Gebüsch rechts von ihnen blitzte es auf. Ein dunkler Schatten bewegte sich auf das Luftkissenfahrzeug der Außerirdischen zu, berührte es…
Der Gleiter detonierte in einer Feuerkugel.
»Nummer zwei wäre auch erledigt! Hurra!« jubelte Carruthers. »Jetzt können die verdammten Panzer kommen!«
Die sind mir egal, wo bleibt die Rakete?
Donner rollte auf sie zu. Das Raumschiff stieg auf seinem grünen Feuerstrahl empor.
Drei kleinere Strahlen stießen in einem sonderbaren Muster nach unten.
Ein Blitz, und die russische Rakete ging in Rauch und Flammen auf.
Die kleineren Strahlen strichen den Hügel empor, zu Carter hin, an ihm vorbei, wandten sich zurück und kamen auf ihn zu.
Eine große grüne Spirale hüllte ihn ein. Sie wurde enger.
Das Raumschiff verschwand in den Wolken.
Eine Minute bei ihm ist alles, was ich verlange; eine Minute mit ihm allein, während du um den Priester und den Arzt läufst.
Der KleinLkw erwies sich als älterer Ford mit Doppelkabine. Der zusätzliche Raum hinter der Sitzbank für Fahrer und Beifahrer brachte Roger auf einen Gedanken. Er grübelte.
Der Lastwagen rumpelte und stank nach Kuhmist, aber die Sitzpolster waren weicher als ein Motorradsattel, ein Unterschied, den Roger dankbar vermerkte.
»Rüßler«, sagte er, »Harry warum sollten die da hinten in Bellingham ausgerechnet Rüßler verstecken?«
»Keine Ahnung.«
»Ich auch nicht. Auf jeden Fall ist das Stoff für eine Geschichte, und das Publikum hat ein Recht darauf, sie zu erfahren.«
»Möglich.«
»Vielleicht reicht es sogar für den PulitzerPreis «, überlegte Roger laut.
»Du kannst Gift darauf nehmen, daß alle Tore bewacht sind«, gab Harry zu bedenken, »da kommst du gar nicht erst rein.«
»Mir fällt schon was ein.« Das haben die sich hundertprozentig in Colorado Springs ausgedacht. Das Reinkommen wird kein Problem sein, das Rauskommen schon eher. »Wollen wir es versuchen?«
»Von mir aus. Aber wie willst du bloß da reinkommen?«
»Mein Name ist Harry Reddington. Ich habe einen Brief von Mrs. Carlotta Dawson an Mrs. Linda Gillespie. Falls Sie es noch nicht wissen sollten – Mrs. Dawson und ich haben gemeinsam drüben in Kansas einen Rüßler gefangengenommen.«
»Das ersetzt keinen Passierschein, und genau den brauchen Sie hier.«
»Davon weiß in Colorado Springs kein Aas was«, sagte Harry. »Dawson – haben Sie den Namen mitgekriegt? Das ist der arme Kerl da oben im Raumschiff.«
»Ich hab seine Ansprache gehört«, sagte der Posten. »Auf welcher Seite steht der eigentlich?«
»Natürlich auf unserer. Zufällig ist er unser einziger Spion! Und hier ist mein Ausweis. Ich hab sogar eine Zuteilungskarte für Benzin. Auf persönliche Empfehlung des Präsidenten. Bitte, hier ist der Brief. Für Linda Gillespie«, fuhr Harry fort, »die Frau von General Edmund Gillespie.«
Rogers Herz klopfte. Wenn sie den Wagen durchsuchten…
Wenn Harry wüßte, wie ernst die Sache wirklich ist, hätte er nie mitgemacht. Gefangene Rüßler im Staate Washington? Unsinn. Nicht schlecht ausgedacht, denn die Rüßler auf dem Mutterschiff würden es keinesfalls riskieren, ihresgleichen bei einem Angriff zu töten. Außerdem war in dem Fall Geheimhaltung angebracht, weil sich sonst die guten Bürger der Stadt zu Ausschreitungen gegen die gefangenen Rüßler hinreißen lassen könnten. Aber warum haben die Behörden alle CBFunkgeräte beschlagnahmt?
Hier wurde irgend etwas Krummes gedreht, das die Rüßler veranlassen würde, sofort aktiv zu werden, sobald sie davon Wind bekämen. Die Funkgeräte mußten weg. Bellingham mußte aus den Nachrichten verschwinden – und was, wenn sie Roger Brooks von der Washington Posthinter den Sitzen des Kleinlasters fanden?
Ein langes Schweigen trat ein. Roger hatte keine Möglichkeit festzustellen, was draußen geschah. Schließlich hörte er erneut die Stimme des Wachmannes.
»In Ordnung. Mrs. Gillespie sagt, ich soll Sie mit dem Brief zu ihr schicken. Ihr Haus liegt unterhalb des Offizierskasinos. Es ist das ehemalige Gebäude der Studentenvereinigung. Ich hab es Ihnen hier auf dem Plan eingezeichnet. Unmittelbar vor dem Kasino kommen Sie an eine zweite Torwache. Man erwartet Sie dort. Fahren Sie auf dem kürzesten Weg hin, und von da unmittelbar zu Mrs. Gillespies Haus und sonst nirgendwohin! Hier Ihr Passierschein. Sie brauchen ihn, um das Gelände zu verlassen. Kommen Sie auf demselben Weg zurück, wie Sie reingefahren sind, und melden Sie sich wieder hier! Nirgendwo sonst! Alles klar?«
»Danke, Sergeant.«
»Nichts zu danken.«
Der Wagen fuhr an. Nach einer Weile hielt er erneut. »In Ordnung, du kannst kurz rauskommen«, sagte Harry.
Sie hielten auf einem Hügel. Zur Linken lag der Hafen. Dunst hing über dem Wasser. Undeutlich waren Schiffsrümpfe zu erkennen. Vor ihren Silhouetten erhoben sich riesige Anlagen, Kuppeln, teils an Land und teils offensichtlich auch auf dem Wasser. Weiter draußen im Hafen ließ sich undeutlich der Umriß einer wirklich großen Kuppel erkennen. Etwas Rundes aus Metall lag im Bereich der Kais.
»Sieht mir ganz nach Gewächshaus aus«, sagte Harry.
»Viel zuviel Betrieb«, sagte Roger. »Hör doch nur, sieh dich um!« Fahrzeuge verkehrten zwischen den Kuppeln. Der Lärm von Industrieanlagen – Nieten, Hämmern, Bohren – drang zu ihnen.
Etwas wie der Panzer einer überdimensionalen metallenen Krabbe bedeckte mehrere Kais. Es war eine Kugelkalotte, gekrümmt und mit gebogenen Kanten wie ein Stück vom Druckbehälter eines Atomkraftwerks, bevor die einzelnen Teile zusammengeschweißt werden. Gebogen, keilförmig und fast zwei Meter dick! Wenn hier ein Kraftwerk gebaut wurde, war es das größte der Welt.
Laut sagte Roger: »Es wird viel gearbeitet, aber alles drinnen. Die Kuppeln machen die hier nicht, die sind schon fertig. Was also verstecken sie darunter? Womit hat das Stück Stahlgehäuse wohl zu tun?«
»Nicht mit Rüßlern?«
»Doch, schon möglich. Aber woran lassen sie die arbeiten? Wir sollten uns das mal näher ansehen.« Roger tauchte hinter die Sitze zurück.
Für das Domizil eines Generals war es kein besonders aufwendiges Haus. Auf dem Dach wuchs Moos, und die Fassade war schon seit Jahren nicht gestrichen worden.
»Und was, wenn sie mich kriegen?« wollte Harry wissen.
»Wobei kriegen?« fragte Roger. »Beim Herumlaufen? Harry, das ist doch die reinste Stadt. Sieh mal, viele sind zwar in Uniform, aber es gibt auch eine ganze Menge Zivilisten. Benimm dich ganz natürlich, dann merkt kein Aas, daß du nicht hierhergehörst.« Er sah auf die Uhr. »In einer Stunde treffen wir uns wieder hier.«
»Einverstanden.«
Roger wartete, bis Harry nicht mehr zu sehen war, dann stieg er die steile Treppe zu der halbzerfallenen hölzernen Veranda hinauf und klopfte.
Die Tür ging auf. »Na so was – Roger! Was in aller Welt treibst du denn hier?«
»Ich bin Carlottas reitender Bote. Sie läßt grüßen«, sagte er. »Willst du mich etwa hier draußen stehen lassen?«
Automatisch trat sie beiseite, und Roger zog die Tür hinter sich zu. »Ist Ed da?«
»Er ist bei der Arbeit. Er arbeitet immerzu. Roger, was treibst du hier?«
»Ich spiele Postillion für Carlotta.«
»Sei nicht albern.«
»Nun, wir ziehen zu zweit durchs ganze Land und lassen uns berichten, wie die Leute leben. Es ist nicht einfach Zeitungsarbeit, manches gebe ich auch nach Colorado Springs weiter. Als ich zu Carlotta sagte, ich führe in den Nordwesten, hat sie mich gebeten, bei euch vorbeizusehen.« Obwohl ihm nicht im entferntesten danach zumute war, gab er sich Mühe, den Eindruck zu erwecken, als verschlinge er Linda mit den Augen. »Du scheinst von meiner Gegenwart ja nicht gerade begeistert zu sein.«
»Diesmal ist Ed nicht im Orbit, Roger! Und dann die Frage der Sicherheitsüberwachung. Ich habe keine Ahnung, wie streng das Haus bewacht wird, aber – wenn Ed dich erwischt, wäre es besser für dich, du spioniertest für die Rüßler!«
Um vier Uhr strömten die Menschenmengen aus den Hallen. Männer und Frauen, die meisten in Arbeitskleidung. Sie verliefen sich im Nieselregen des trüben Nachmittags. So viele Rüßlerbewacher waren nie im Leben nötig. Die Männer wirkten kräftig und sprachen laut miteinander, viele trugen noch Schutzhelme und Arbeitsanzüge. Typische Bauarbeiter. Was, zum Teufel, geht hier vor?
Etwa ein Dutzend ging auf ein kleineres Gebäude zu. Obwohl kein Schild an der Tür war, verstand Harry sofort. Irgendeine Art von Lokal.
Es gelang ihm, den Anschein zu erwecken, als gehöre er zu ihnen. Er schlenderte auf das Lokal zu und bemühte sich, seine Nervosität zu verbergen. Drinnen war es ziemlich laut. Ein Kreischen übertönte das Lärmen der Männer, dann ein Geräusch ähnlich dem Trompeten eines Elefanten, aber doch irgendwie anders. In der Nähe mußte es einen Rüßler geben. Einstweilen achtete Harry nicht darauf.
Niemand hinderte ihn am Eintreten.
An der Theke standen die Männer in mehreren Reihen. Harry schob sich dazwischen. Er nahm Geldscheine aus der Tasche. Erst trinken, dann reden, sonst wirkt es unecht.
Schutzhelme waren neben der Tür aufgestapelt. Zwar trug Harry keinen, aber seine Kleidung unterschied sich kaum von der der anderen. An den Tischen wurde bereits eifrig dem Bier zugesprochen. Aus den Augenwinkeln sah Harry jemanden einen Krug leeren, einen weiteren bestellen und einen Schluck daraus trinken, während sich der große runde Tisch um ihn füllte. Der Junge ist bestimmt schon soweit, daß er gern redet.
Auch Harry bestellte einen Krug. Der Mann hinter der Theke sah neugierig auf sein Geld. »Wohl neu hier, was?« fragte er.
»Ja.«
Die mattblauen Scheine, die er herausbekam, trugen den Aufdruck »Ersatzgeld NordwestGetreide Projekt «.
Harry ging mit seinem Krug an den großen Tisch. »Stört es, wenn ich mich dazu setze?«
»Nur zu!« Der Mann mit dem kurzgeschnittenen weißblonden Haar war größer und breiter als Harry und hatte Hände von eindrucksvoller Größe.
Dem Tonfall nach kam er aus dem Süden. Viele hier reden so. Sind alle nicht aus der Gegend. Warum nicht? Harry setzte sich neben ihn und steckte seine Banknoten aus Colorado Springs erst ein, nachdem der andere sie gesehen hatte. Damit er merkt, daß ich neu hier hin.
»Whitey Lowenstein«, stellte sich der andere vor. »Und du?«
»Man nennt mich den Roten Harry.«
Lowenstein lachte. »Kann ich mir denken. Zu welcher Gruppe gehörst du?«
»Nun…«, druckste Harry herum.
»Ich verstehe«, sagte Lowenstein und lächelte. »Das gibt sich nach einer Weile. Die ganze Geheimnistuerei ist maßlos albern. Ich bin Schweißer.« Er musterte Harry aufmerksam. »Ich wette um ‘nen Krug, daß ich rauskrieg, was du machst.«
»Ist gebongt.« Harry tat demonstrativ einen tiefen Zug.
Lowenstein klopfte Harry auf die Brusttasche. »Hmm. Kein Dosimeter. Vielleicht hast du’s auch weggesteckt. Saubere Kleidung. Kräftiger Bursche. Bist du gebildet?«
Harry lachte. »Ja, in der Schule des Lebens.«
»Nun, ich hab so ein Gefühl. Alle Neulinge kriegen eingetrichtert, ›Feind hört mit‹, aber du hast überhaupt nichts gesagt. Bestimmt bist du ein Atomheini, Harry.«
In einem Rüßlergefängnis? »Ich zahl dir den Krug, und wir vergessen die Sache.« Was, zum Henker, mag das sein, ein Atomheini?
Eine Stunde später wußte er es. Es war nicht schwer zu erfahren – alle im Lokal waren im Bilde.
Irgendwo in Bellingham – niemand schien genau zu wissen oder auch nur genau wissen zu wollen wo – lagerten über tausend Atombomben. Die Atomheinis kümmerten sich um sie. Tausend Atombomben! Ach du große Scheiße! Was tu ich hier bloß?
»Du mußt von hier verschwinden, Roger.«
»Linda, was wird hier gespielt?«
»Glaub mir, es geht dir besser, wenn du es nicht weißt.«
Ein eiskaltes Weib. Mein Gott – »Linda, du machst mir richtig angst!«
»Das will ich hoffen.«
Noch nie hatte er sie so sprechen hören. »Was, glaubst du eigentlich, habe ich vor? Das finstere Geheimnis der gefangenen Außerirdischen enthüllen? Meinst du wirklich, ich wüßte nicht, was hier gespielt wird?«
Sie sah nachdenklich drein. »Ich habe dich nie für dumm gehalten, Roger.«
»Sieh mal, Linda, ich könnte doch einfach warten. Und wenn Ed zurückkommt…«
»… bist du nicht mehr hier.«
»Linda, ich gebe auf. Was soll ich tun?«
»Verschwinden, und dich nie wieder hier sehen lassen!«
»Das war deutlich!«
»Und warum bist du dann noch da?«
»Linda, ich bin Tausende von Kilometern gekommen, um dich zu sehen!«
»Ich habe dich nicht darum gebeten.«
»Schon, aber sonst war ich immer willkommen. Ich weiß, daß du mich nicht gerade liebst, aber zumindest könntest du nett sein.«
»Das ist alles vorbei, Roger.«
»Das meinte ich nicht mit ›nett‹.« Roger seufzte. Schlagartig wurde ihm klar: Es ist aus.
Da ist noch was anderes – »Sieh mal, ich wollte dich wiedersehen. Aber ich hab eine Freundin in Colorado Springs, wahrscheinlich heirate ich sie. Ich weiß nicht, warum ich zuerst mit dir darüber sprechen wollte, aber so ist es nun mal.« Das hat gesessen!
»Ich… wer ist sie?«
»Sie heißt Rosalee. Linda, du wirst es nicht glauben, ich hab sie auf der Straße kennengelernt.«
Sie lachte. »Nein, das glaube ich wirklich nicht.«
»Aber es stimmt, und sie ist großartig.«
»Hat sie dich durchschaut, Roger?«
»Besser als du.«
»Dann solltest du sie wirklich heiraten«, sagte Linda. »Und zwar bald. Das Problem besteht darin, dich hier rauszuschaffen. Ich ruf am Tor an.«
Roger fuhr sich durch den Bart. Wenn Linda den Posten anrief, konnte er mit dem Lastwagen hinfahren und sich als Harry Reddington ausgeben, denn es war inzwischen dunkel. Vielleicht war der Posten sogar schon abgelöst worden. Aber nein. Lieber auf Harry warten. Vielleicht war er schon wieder beim Wagen? Er sah auf die Uhr. Bestimmt nicht. Zu früh. Ich muß noch ein bißchen Zeit schinden
»Sag ihnen den Namen Reddington.«
»Was?«
»Ich konnte ihnen nicht meinen richtigen Namen angeben. Können wir nicht zur Erinnerung an alte Zeiten noch einen zur Brust nehmen?«
»Vielleicht schäme ich mich dieser alten Zeiten ein bißchen, Roger.«
»Ich vielleicht auch. Jedenfalls zum Teil. Aber ganz früher, Linda, als du Ed noch nicht kanntest? Hätte ich dich doch bloß geheiratet. Hättest du mich genommen?«
»Ja. Damals schon.«
»Das kommt ja wie aus der Pistole geschossen.«
»Ich habe oft darüber nachgedacht.«
»Tut es dir leid, daß ich dir keinen Antrag gemacht habe?«
»Ich hol dir was zu trinken, Roger.«
»Gute Nacht, Linda.«
»Auf Wiedersehen, Roger.«
»Und du meinst, es ist endgültig.«
»Absolut. Komm nie wieder, Roger! Beim nächstenmal rufe ich die Wachen.«
»Da wir gerade davon sprechen…«
»Klar, ich sehe zu, daß sie dich rauslassen. Reddington also.«
»Einen Kuß noch – zur Erinnerung an die alten Zeiten.«
»Soviel Whiskey hast du doch nicht getrunken. Also, mach’s gut, Roger!«
Er stieg die Holztreppe hinab zum Lastwagen.
»Na, sie hat sich bestimmt gefreut, dich zu sehen.«
»Harry. Ich hatte gehofft, daß du zurück wärst.«
»Ja. Komm, laß uns bloß abhauen!«
»Hast du was rausgekriegt?«
»Nee.«
»Schade. Ich hätte dich für intelligenter gehalten. Ich hatte leider Pech. Sie hat sich nicht die Spur gefreut, mich zu sehen.«
»Das war deutlich zu erkennen. Hier, kriech hinter den Sitz, und ab geht die Post. Hat sie am Tor angerufen, damit die Posten uns rauslassen?«
»Ja. Wir sind wohl beide zu blöd, um was rauszukriegen.«
»Nun, vielleicht weiß ich ja doch ein wenig«, sagte Harry. »Auf keinen Fall ist das hier ein Gefängnis.«
»Was du nicht sagst!«
»Doch. Wächter gibt es keine, wohl aber scharenweise Schweißer, Schlosser, Installateure und Bauhandwerker. Weißt du, was die meisten von den Jungs machen? Sie schweißen eine unheimlich große halbkugelförmige Stahlplatte zusammen. Was wir da auf den Kais gesehen haben, war nur ein Stück davon. Und weißt du noch was? Hier lagern tausend Atombomben.«
»Unsinn!«
»Wenn ich es dir doch sage! Tausend verdammte ABomben!«
Wozu tausend Atombomben? Schweißer, große Stahlplatte. Atombomben. Unheimlich große halbkugelförmige Stahlplatte. Längst vergessene Erinnerungen stiegen in Roger auf. Freeman Dyson und Ted Taylor. Vorlesungen bei einer Sitzung der L-5Gesellschaft, der Gruppe von Fanatikern, die sich für Weltraumkolonien einsetzten. Aus Stahlplatten und Atombomben wollten die eine ganze Mondkolonie basteln. Macht euch um die Landestelle keine Sorgen, denn da, wo ihr aufsetzt, ist alles topfeben… »Himmelkreuzdonnerwetter!«
»Was ist?« Harry nahm die Schlüssel aus der Tasche und stieg auf den Fahrersitz.
»Nichts.« Rein kommt man. Wenn sie aber den Wagen auf dem Rückweg durchsuchen…
Roger wartete, bis sich Harry ganz auf das Fahrzeug konzentrierte. Dann nahm er die große Wagenheberkurbel vom Kabinenboden und erhob sich leise.
»Reddington?« sagte der Wachmann. Erleichtert seufzte Roger auf. Wie er sich schon gedacht hatte, hatte die Schicht gewechselt. Am Tor stand ein neuer Wächter. Er leuchtete Rogers Gesicht mit seiner Taschenlampe an. Roger kniff die Augen gegen den blendenden Schein zusammen und verzog dabei das Gesicht.
»Könnten Sie mal die Decke wegziehen?«
»Klar.« Roger wandte sich um und hob die Decke hinter den Sitzen hoch. Wenn ich jetzt da läge…
Der Wachmann war gründlich. Er spähte hinter die Sitze und unter den Wagen. Er prüfte den Passierschein, kontrollierte die Vermerke auf dem Laufzettel und verglich Uhrzeiten.
Doch er war so rücksichtsvoll, Roger nicht noch einmal mit der Taschenlampe in die Augen zu leuchten…
Harry erwachte in einem Raum mit kahlen Wänden. Er lag auf einer Pritsche. Zwei Militärpolizisten der Luftstreitkräfte saßen an einem Tisch am anderen Ende des Raums. Als Harry stöhnend die Augen aufschlug, ging einer von ihnen hinaus.
»Was, zum Teufel, ist hier los?« wollte Harry wissen.
Er bekam keine Antwort. Der Militärpolizist schien ihn überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Unvermittelt öffnete sich die Tür. Der Mann, der hinausgegangen war, kam mit einem anderen zurück, der eine Fliegerkombi trug. Vier Sterne schimmerten auf seinen Schultern.
»Danke, Airman«, sagte der General. Dann richtete er sein Augenmerk auf Harry. »Nun, Mr. Reddington, würden Sie mir sagen, was hier vor sich geht?«
»Sie sind sicher General Gillespie.« Harry hatte die Fernsehberichterstattung vom letzten Start der Raumfähre gesehen. Das lag ein Leben zurück. Gillespie wirkte viele Jahre älter.
»Das zu wissen ist kein Kunststück. Und wer sind Sie?«
»Sie haben doch meinen Namen gesagt.«
»Ich gebe Ihnen zwanzig Sekunden Zeit, um mir zu erklären, was hier gespielt wird.«
Scheiße. »General, könnten Sie nicht eine Minute daraus machen. Ich muß mich gerade noch mit dem Gedanken abfinden, daß mir Roger eins über den Schädel gegeben hat.«
»Roger?«
»Roger Brooks, Sir.«
O verdammter Mist, der Name hat aber gezündet.
»Heißt das, daß der Mann, der mit Ihrem Passierschein das Gelände verlassen hat, Roger Brooks war?«
»Ja, Sir.«
»Und Sie sind mit ihm gekommen, um Mrs. Gillespie zu besuchen? Der Einfall dürfte von Roger stammen.«
»Klar. Hat ihm allerdings nichts genützt.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Sie hat ihn rausgeworfen.«
»Aha.«
Ach du dickes Ei, worauf hab ich mich da bloß eingelassen?
»Ihre Minute ist um, Reddington.«
»Ja, Sir. Also sehen Sie, es hat alles in Colorado Springs angefangen. Eigentlich sogar eher.« Rasch reden! Harry erläuterte, wie ihn der Kongreßabgeordnete Wes zum Hüter seines Hauses eingesetzt, wie er mit Carlotta Dawson einen Rüßler gefangen und vom Präsidenten eine Belobigung und eine Zuteilungskarte für Benzin bekommen hatte…
»Später«, unterbrach ihn Gillespie.
»Zum Henker, General, ich sage die Wahrheit!«
»So seltsam es klingt, ich glaube Ihnen sogar. Jetzt aber habe ich eine andere Frage. Was glauben Sie, wohin Roger Brooks verschwunden sein könnte?«
Die Wagenburg sah ruhig aus. Außer Miranda Shakes war niemand in der Nähe des Tores. Roger näherte sich vorsichtig.
Er war versucht vorbeizufahren, über den Holzabfuhrweg und die Brandschneisen ins NooksackTal, dann weiter ostwärts am Mount Baker entlang. Blendender Einfall. Nur kennt Harry die Feuerschneisen.
Aber selbst wenn Harry nichts über den Weg verriet, würde Roger mit dem Kleinlaster nie und nimmer bis Colorado Springs kommen. Er brauchte das Motorrad.
Wirr jagten die Gedanken durch seinen Kopf, Ich habe ein Geheimnis, ein großes Geheimnis, das größte, das es je gegeben hat. Unfaßlich! Kein Wunder daß sie Bellingham gleichsam vom Erdboden haben verschwinden lassen.
Wenn sie mich kriegen, sperren sie mich ein, bis der Krieg vorbei ist. Ich brauche Rückhalt. Da gibt es nur eins: ich muß jemanden bei der Zeitung informieren, und zwar so schnell, daß die Post mich suchen läßt, wenn ich spurlos verschwinde.
Großartiger Gedanke. Nur – es gibt keine Telefone, keine Funkgeräte, nicht mal ein CBGerät. Wie soll ich es der Post mitteilen?
Wenn ich die Zeitung nicht informieren kann, wen dann?
»Hallo, Roger«, begrüßte ihn Miranda Shakes. »Wo ist Harry?«
»Er versucht irgendwo was Eßbares zu organisieren. Ich fahr ihm mit dem Motorrad entgegen, und dann verschwinden wir. Hier ist der Schlüssel von eurem Laster.«
»Wohin?«
»Zurück nach Colorado Springs.« Ich muß weg. Harry kann jeden Augenblick zu sich kommen.
»Stimmt was nicht, Roger?«
»Wieso? Nein, es ist nur eine lange Fahrt. Ich freu mich nicht besonders darauf.« Die Packtaschen standen neben dem Motorrad. Es dauerte nicht lange, sie auf den Gepäckträger zu schnallen. Und jetzt weiter? Wenn sie mich fassen, können sie mit mir machen, was sie wollen.
Was, wenn ich es schaffe? Eine heiße Geschichte, die heißeste aller Zeiten. Etwa so, als hätte jemand die Sache mit der Atombombe herausbekommen, bevor sie über Japan abgeworfen wurde. Man kann es nicht bringen, die Rüßler dürfen keinesfalls dahinterkommen, aber…
Aber die Leute müssen es erfahren. Sie müssen wissen, daß es Hoffnung gibt. So viele schon haben die Flinte ins Korn geworfen, weil sie meinen, daß es aussichtslos ist. Sie müssen wissen, daß nicht alles verloren ist.
Wie nur? Wie kann man es der Öffentlichkeit mitteilen, ohne daß es auch die Rüßler erfahren? Es muß eine Möglichkeit geben. Wenn sie mich kriegen, erfährt es niemand. Sie sperren mich ein, Geheimhaltung, die ganze Stadt ist ein riesiges Gefängnis. Die Aussichten stehen gut, daß sie mich schnappen und einfach verschwinden lassen, eine Unperson aus mir machen. Ich brauche diesen Rückhalt. Vielleicht brauche ich noch was – jemand muß mir aus Bellingham raushelfen. »Ist Fox da?«
»Im Gewächshaus.«
John Fox. Wenn es jemand aus Bellingham raus und nach Colorado Springs schafft, dann Fox. Er hat überall Freunde. Schon, daß ich es ihm sage, kann mir Rückhalt verschaffen.
Der Geruch, der im Gewächshaus hing, hatte etwas Beruhigendes an sich. Es roch nach Leben, nach Pflanzen und fruchtbarem Boden, nach Wachstum und Zerfall.
John Fox wandte sich bei Rogers Eintreten nicht um. Er war noch dürrer, als Roger ihn in Erinnerung hatte. Das Wildlederhemd und die Lederhose schlotterten ihm um die Knochen. Er goß Schößlinge in einer Pflanzschale. »Die müssen in ein paar Tagen umgepflanzt werden«, sagte er.
»John?«
»Ja – Roger? Was gibt es?«
»Die Marine bunkert unten im Hafenkomplex tausend Atombomben.«
Fox wandte sich um und sah Roger mit aufgerissenen Augen an. »Warst du etwa da?«
»Ja. Tausend Atombomben, und sie schweißen eine riesige Stahlhalbkugel zusammen. Ed Gillespie leitet das Ganze. Was sagst du dazu?«
»Orion.« Ein Lächeln flackerte auf und erstarb. »Sie bauen einen Orion.«
»Ja, und kannst du dir vorstellen, was mit Bellingham passiert, wenn sie das Ding starten?«
Fox nickte. »Willst du das veröffentlichen?«
»Veröffentlichen? Ich sage es erst mal dir. Zumindest könnt dann ihr in der Wagenburg die Köpfe einziehen, wenn es losgeht. Aber was ist mit Bellingham? Sollten nicht zumindest die Einwohner davon erfahren?«
Fox nickte wieder. »Und wer noch?«
Das war der springende Punkt. »John, da bin ich nicht ganz sicher. Möglicherweise kann man es den Leuten nicht sagen, ohne daß es auch die Rüßler erfahren. Andererseits…«
»Dir wird schon was einfallen.«
Völlig überraschend schlug Fox zu. Roger knickte zusammen. Etwas ungeheuer Schweres bohrte sich durch seinen Solarplexus nach hinten gegen die Wirbelsäule. Durch einen Schleier des Schmerzes versuchte er sich zu orientieren. Fox’ knochiger Ellbogen lag um seinen Hals und drückte ihm die Luft ab. Er wurde fortgeschleift.
Wegen des Drucks konnte er nur flüstern. »Ich wollte es… nur dir sagen… dir… Weiter hatte ich… noch nicht gedacht. John, laß mich…«
Fox stieß mit der freien Hand eine Tür auf. Roger schlug wild um sich. Der Ellbogen wurde mit aller Kraft abgewinkelt. Gott im Himmel, Fox war unglaublich stark. »Deine Sorte kenne ich«, sagte Fox. »Du bist wild auf den PulitzerPreis und würdest die Geschichte veröffentlichen, komme, was da wolle. Wenn es nicht anders ginge, würdest du es sogar den Außerirdischen erzählen.«
Roger wurde nach vorn gerissen. Fox’ Gewicht drückte ihn nach unten, mit dem Gesicht ins Wasser. Rogers Hände krallten sich um etwas Kühles, Glattes, und er stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Der Rand einer Toilettenschüssel. Er wurde in einer Toilettenschüssel ertränkt… und bekam sein Gesicht nicht hoch genug aus dem Wasser… Seine Kräfte schwanden, er bekam keine Luft mehr. Ich hatte doch noch gar nichts Endgültiges beschlossen!
Höret zu, ihr tolles Volk, das keinen Verstand hat, die da Augen haben, und sehen nicht, Ohren haben, und hören nicht!
Grifflingsschiff Neunundvierzig brachte Vitamine für die gefangenen WinterheimEingeborenen, Pflanzen und gefrorenes Fleisch zur näheren Untersuchung, Saatgut, Kleintiere und einen Jungelefanten. Außerdem kehrten mit ihm drei raumgeborene Krieger für die Paarungszeit zurück. Als Tshintithpitmäng eintraf, wurde er unverzüglich zur Beisetzungsgrube beordert.
Wer mochte wohl gestorben sein? Der Wächter an der Zugangsschleuse, der ihm den Befehl übermittelt hatte, wußte nichts. Tshintithpitmäng war nach Winterheim in den Krieg gegangen, hatte das Raumschiff vor Beginn der Paarungszeit verlassen, keinerlei Kontakt gehabt… und obwohl der Geruch der Paarung in der Luft hing, empfand er nichts als Furcht. Wer war während seiner Abwesenheit gestorben?
Eine kleine Verzögerung war wohl nicht schlimm, und so machte Tshintithpitmäng einen Umweg durch den Garten.
Er fand ihn nicht so vor, wie er erwartet hatte.
Der Garten war klein, beengt. Die einzelne Säulenpflanze, die dort gedieh, war eine klägliche Erinnerung daran, daß die Ziehende Herde einst Dschungel gekannt hatte. Doch Tshintithpit mäng hatte in Dschungeln gekämpft, die größer waren als die Bote! Er eilte erschrocken aus dem Garten und betrat den Abschiedsraum, der einen Halbkreis um die Beisetzungsgrube bildete. Es roch nach Winterheim…
Eine ganze Anzahl von Fithp wartete dort. In der Menge stand auch Shreshlimäng. Er sprach sie an: »Mäng…«
Seine Gefährtin antwortete nicht. Aller Blicke ruhten auf ihm: Der Herr der Herde Pastempihkeph, K’tarfukeph, Fukertih, ein Weib, das er noch nie gesehen hatte, Umerzieher Rästapisp mins, außerdem ein Erdling, den Tshintithpitmäng erkannte – alle sahen ihn an. »Wer ist gestorben?« fragte er.
»Fathistihtalk «, gab der Herr der Herde zur Antwort. »Ich habe mir vorgenommen zu ermitteln, wie er starb. Tshintithpitmäng, du bist von der ersten Schlacht auf Winterheim mit Grifflingsschiff Sechs zurückgekommen?«
»So ist es.«
»Was hast du damals getan?«
»Ich habe meine Fracht und meine Gefangenen einer anderen Achtschaft übergeben, dann bin ich zu meiner Gefährtin gegangen.«
»Shreshlimäng, wann kam dein Gefährte bei dir an?«
»Zwei Achtel eines Tages nach der Ankopplung von Grifflingsschiff Sechs«, sagte sie. Selbst im Geruch aus der Beisetzungsgrube erkannte er ihren Duft – sie war hitzig –, aber ihre Stimme war kalt wie der Winter.
»Was hat dich aufgehalten, Tshintithpitmäng?« fragte der Herr der Herde.
Tshintithpitmäng hatte Angst zu sprechen. Der Herr der Herde stieß leise und verärgert Luft aus den Nüstern. »Was hätte dich auf dem Weg zu deiner Gefährtin, die du zum erstenmal seit mehreren Achthoch zwei Tagen aufsuchen durftest, aufhalten können? Ein hochgestelltes Fi’? Ein dringender Auftrag? Oder hatte es etwas mit deiner Zugehörigkeit zu den Abtrünnigen zu tun? Gib es zu – der Berater Fathistihtalk hat dich abgefangen!«
Das sah sehr böse aus. Tshintithpitmäng sah keine andere Möglichkeit, als so viel von der Wahrheit preiszugeben, wie unerläßlich schien. »Er hat mich auf einem der Gänge angesprochen und aufgefordert, ihn zu begleiten.«
»Wohin? Warum?«
»Einen Grund hat er nicht genannt. Wir sind in den Schlammraum gegangen. Jemand hatte ihn aufgetaut. Fathistihtalk sagte: ›Kalt wäre es hier für uns unbehaglich, und mein Gast würde erfrieren, Tshintithpitmäng. Ich habe darauf bestanden, daß er allein kommt, und er hat verlangt, daß ich es ebenso halte, obwohl er ein Sklave ist.‹
Ich fragte ihn: ›Was ist er denn, ein gemeingefährlicher Einzelgänger?‹ Doch dann erfuhr ich, daß er sich mit einem Erdling verabredet hatte.
›Ich möchte ihn befragen‹, sagte Fathistihtalk. ›Ich glaube, er hat mir viel über eine mögliche Nutzung des Weltraums zu sagen. Wenn ich vor den Fithp des Jahres Null über diese Zusammenkunft spreche, möchte ich nicht nur auf meine Worte angewiesen sein. Du sollst ungesehen zuhören, damit du als Zeuge über die Unterredung berichten kannst.‹
Ich blieb am anderen Ende des Schlammraums, durch eine Biegung den Blicken entzogen. Hinter einem Gitter tauchte der Erdling auf. Ich hörte zu, Herr der Herde. Ich hasse und fürchte die ErdlingsFithp, aber dieser hier sagte Dinge, die mir einsichtig schienen. Er wußte mehr vom Reichtum der Räume zwischen den Welten, als wir uns je träumen ließen! Er sprach von wunderbaren Dingen, von unermeßlicher Beute, von den Abbaumöglichkeiten auf Asteroiden, von einer Welt jenseits der Umlaufbahn um den Planeten…«
»Mich wundert überhaupt nicht, daß er den Berater in der Ansicht bestärkte, die Abtrünnigen hätten recht«, sagte der Herr der Herde kalt.
»Aber mit einemmal löste sich das Gitter und prallte so fest gegen Fathistihtalk, daß er ganz benommen schien. Der Erdling trat ihn und sprang in den Luftkanal zurück.«
»Was hat der Berater gesagt?«
»Nichts. Er ist dem Erdling nachgestürzt, um ihn zu bestrafen.«
»Augenblick! Was hatte diesen so erregt? Du warst als Zeuge dabei. Was hat der Berater gesagt, das einen Erdling, der sich unterworfen hatte, so in Wut geraten ließ?«
Jetzt saß er in der Falle. Im Vergleich zu dem, was er getan hatte, wäre eine Lüge ins Gesicht des Herrn der Herde ein lächerlich geringes Vergehen. Was aber wußte der Herr der Herde bereits?
Die Anklage des Herrn der Herde kam unverzüglich. »Du bist mir im Garten entgegengetreten, um mir zu sagen, daß die ErdlingsFithp schreckliche Feinde sind und daß wir ihnen den Rücken kehren sollen. Dennoch hast du dich nach einem einzigen Tag an Bord der Bote freiwillig zur Rückkehr nach Winterheim gemeldet. Du hast gut gekämpft. Tshintithpitmäng, was hier an Bord hast du mehr gefürchtet als den Krieg? Hattest du Angst, ein Fi’ könnte dich fragen? Was hat Fathistihtalk dem Erdling gesagt?«
Die Wahrheit zu leugnen war unmöglich. »Er hat gesagt, man werde der Ziehenden Herde Nachkommen der Gefangenen im Weltraum als Diener beigeben, wegen ihres geringeren Nahrungsbedarfes, ihrer geschickten Grifflinge und ihres größeren Wissens von den Welten um die WinterheimSonne.«
»Hat das den Erdling so erregt?«
»Ja.«
»Würdest du ihn wiedererkennen?«
»Er war es! Der da hinter Euch steht!«
Der Herr der Herde wandte sich um. »Wes Dawson, hast du ein zweites Mal mit meinem Berater gesprochen? Tshintithpitmäng hat dich gesehen. Hast du ihn auch gesehen?« Der Mensch schwieg. »Wir haben die Abdrücke der Leine, die man dir zum Säubern der Luftkanäle gegeben hat, tief in Fathistihtalks Snnfp eingedrückt gefunden.« Dawson schwieg nach wie vor. Der Herr der Herde sagte: »Du mußt sprechen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Tshintithpitmäng, warum hast du dem Berater nicht geholfen?«
»Ich war wie vor den Kopf geschlagen.«
»Ist es dir in den Sinn gekommen, daß der Berater Dinge sagen könnte, die du nicht ausgesprochen wünschtest?«
»Nein! Ich hatte überhaupt noch nicht nachgedacht. Ich wußte damals so wenig von den Erdlingen. Ein Gefangener, der sich unterworfen hatte, griff ein Fi’ der Herde an!«
»Und du warst wie vor den Kopf geschlagen. Sprich weiter!«
»Fathistihtalk folgte ihm. Ich dachte, er wolle nach dem Erdling greifen, um ihn herauszuholen und zu töten. Aber lange geschah nichts, und ich überlegte krampfhaft, was ich tun sollte. Dann wurde Fathistihtalk in den Schlammraum gestoßen. Er war tot.«
»Und du?«
»Ich habe das Gitter abgenommen und in den Luftkanal gesehen. Da war nichts. Dann habe ich… das Gitter wieder aufgesetzt… ich konnte die Muttern nicht finden… die Leine von Fathistihtalks Snnfp gelöst… und ihn in den Schlamm geschoben, bis er vollständig bedeckt war. Dann bin ich gegangen. Im Notsteuerraum habe ich den Schalter für den Schlammraum erneut auf ›Gefrieren‹ gestellt.«
»Warum?«
»Der Erdling hätte seine Worte wiederholen können, wenn man ihn faßte, und das hätte den Abtrünnigen geschadet.«
»Pah! Du warst wie vor den Kopf geschlagen! Konntest du aus der Reaktion des Beraters nicht schließen, daß selbst ein Erdling in der Lage sein müßte, eine Lektion zu lernen? Du warst doch auf Winterheim, du weißt, daß sie klug sind. Beim nächstenmal hätte er gesagt: ›Natürlich haben wir uns schon gefragt, ob es nicht Dinge im Weltraum gibt, deren Besitz erstrebenswert ist; die Meteore legen den Gedanken nahe, daß es Asteroiden gibt, die vollständig aus Metall bestehen, auch in Fels eingeschlossene Eisschichten und Sauerstoff. Aber danach Ausschau gehalten haben wir noch nicht.‹ Nun?«
»Der Gedanke ist mir nicht gekommen.«
»Ich glaube, du lügst. Du wirst ausgestoßen. Niemand soll je wieder mit dir reden. Wenn du mir etwas mitzuteilen hast, ruf einen Wächter.«
Die Blicke der Weiber ruhten auf Tshintithpitmäng, und er krümmte sich schuldbewußt zusammen. Er brachte ein klägliches »Mäng…?« heraus, doch seine Gefährtin wandte sich ab.
Der Herr der Herde hatte ihn bereits vergessen. »Dawson, wir pflegen gemeingefährliche Einzelgänger zu töten.«
»Wir tun das mit Mördern, oder wir sperren sie ein.«
»Wenn sich Fithp zum Mord verschwören, töten wir sie nicht unbedingt. Es kommt auf ihre Motive an. Hast du allein gehandelt?«
»Allein? Selbstverständlich. Ihr hattet mich doch eine ganze Woche ein Einzelhaft gehalten.«
»Und hast du danach anderen davon erzählt?«
Dawson schwieg.
»Du wirst abgesondert. Niemand soll mit dir reden. Wenn du mir etwas mitzuteilen hast, ruf einen Wächter.«
Der Herr der Herde sah ihnen nach, während sie abgeführt wurden. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, sie gemeinsam einzusperren – aber sicherlich würde Tshintithpitmäng den Erdling töten. Pastempihkeph wollte mehr erfahren. Warum hatte Dawson die Tat begangen? Gab es keine Möglichkeit, diese Erdlinge auf ihre Unterwerfung zu verpflichten?
Wenn die Ziehende Herde eine intelligente Gattung ausrottete, würde sie wirklich auf einer Stufe mit den Vorlingen stehen. Gottähnliche Verbrecher. Während ihrer ganzen Geschichte hatten die Priester den FithpNachwuchs in den Worten des SquaffThaktan unterwiesen. Er berichtete vom Untergang der Heimatwelt. »Unsere Fehler sind hier verzeichnet, damit ihr sie vermeiden könnt…«
Die Einzelhaft würde Dawsons Widerstand rasch brechen, und wenn es länger dauerte, spielte es auch keine Rolle. Sie hatten Zeit… und er mußte ihn genau beobachten. War der Erdling lediglich ein Einzelgänger, konnte er als bestaunenswerte Rarität gelten. Im anderen Fall jedoch…
Tshaupintalk stand stolz und siegreich da; doch der eigentliche Sieg gehörte Pastempihkeph. Ihr Gefährte hatte sein Leben eingebüßt, weil er der Sache der Abtrünnigen untreu geworden war. Aber sie würde seine Botschaft verbreiten. Fortan war die Macht der Abtrünnigen gebrochen. Nie wieder würden sie zwischen Winterheim und der Ziehenden Herde stehen.
Etwas hatte sich an Tashajämp verändert. Sie kam immer seltener in den Pferch der Gefangenen und sprach kaum noch mit ihnen. Am Vormittag nach John Woodwards Tod tauchte sie in der Luke auf, sah ohne Neugier hinab und zog sich schon wieder zurück, als Jeri zu ihr emporrief: »Tashajämp! John Woodward ist in der Nacht gestorben. Tashajämp?«
Die Gefährtin des Lehrers sah auf die kleine Gruppe hinab, die sich um Carrie Woodward und Johns leblosen Körper drängte. »Ich dachte, er schläft. Augenblick.« Tashajämp verschwand.
Sie hatte sich geirrt. Johns Gesicht war friedlich, seine Augen standen offen, er atmete nicht. Wie konnte jemand nichts von der Anwesenheit des Todes bemerken?
FithpSoldaten kamen mit der Aufzugplattform herab. Carrie verbarg ihr Gesicht zwischen den Knien. Die Kinder hielten sich im Hintergrund; sie konnten nicht helfen. Als die Krieger die Grifflinge um Johns Schultern und Fußknöchel wickelten, sprang Carrie auf die Füße und beobachtete starr, wie John Woodward auf die Plattform gelegt und nach oben transportiert wurde.
Die Krieger folgten ihm. Tashajämp sah nach unten. »Wie ist er gestorben?«
Carries Stimme war haßerfüllt: »Langsam. Schon seit Wochen ist er immer kranker geworden. Er hat die veränderten Schwerkraftbedingungen nicht ausgehalten. Er konnte nicht richtig schlafen. Ihr habt ihm nicht die richtigen Vitamine gegeben. Wir haben keinen Arzt. Er hat es nicht ertragen, hier wie ein Tier eingesperrt zu sein und dabei zu wissen, daß ihr unsere Welt zerstört. Jetzt ist er tot.«
»Kommt mit«, sagte Tashajämp, »alle!«
Über spiralförmig angelegte Rampen führte Tashajämp sie zur Längsachse des Schiffes.
Als sie den Abschiedsraum erreichten, schwebten sie fast schwerelos dahin. Über ihren Köpfen, jenseits der gläsernen Decke, brodelte dunkler Schlamm. Sein Gestank hing dick in der Luft.
Zwei Fithp erwarteten sie: der Leitbulle und der Priester.
Die Russen schwiegen, sie schienen resigniert zu haben. Jeri wußte, daß sie absichtlich diesen Eindruck erweckten. Aber was können wir schon unternehmen? Ohne Hilfe von außen ist kein Entkommen möglich, und helfen wird uns niemand.
Von Wes Dawson abgesehen waren sie die einzigen Menschen im Umkreis von dreißigtausend Kilometern. Alice war unruhig; ihre Blicke schweiften immer wieder zu den Eingängen, als erwarte sie, daß er endlich auftauche.
Vor über einer Woche war er verschwunden. Keiner der Fithp erwähnte ihn den Gefangenen gegenüber. Da sie ihn auch hier nicht sah, hielt Jeri ihn schließlich für tot.
Sie legte eine Hand auf Carries Schulter. »Wie fühlst du dich?«
»Ich komme schon zurecht. Man kann hier ja gar nicht den Verstand verlieren, denn sie würden uns einfach zusammengesperrt lassen, nicht wahr? Dann würde einer nach dem anderen durchdrehen. Sieh mich nicht so an, Alice, ich komm schon drüber weg.«
Fistartihthaktan sprach so rasch zum Herrn der Herde, daß sie kein Wort verstanden. Dieser nickte zu Tashajämp hin, und sie wandte sich an die Gefangenen: »Frage: Spricht Fistartihthaktan die letzten Worte für John Woodward? Oder einer von euch?«
»Wir haben keinen Priester«, sagte Melissa.
Carrie trat mit mechanischen Bewegungen vor. »Ich tu’s selbst. Ich habe genug Beerdigungen miterlebt und kenne die Worte. Immerhin war er mein Mann.«
Jeri stand nahe genug, um zu hören, was der Herr der Herde zu Tashajämp sagte. »Übersetze nicht, aber merke es dir.«
Durch die Glasscheibe sah sie zwei Fithp am Rande der Beisetzungsgrube auftauchen. Sie trugen John Woodward wie einen Sack Getreide zwischen sich.
»›Ich bin die Auferstehung und das Leben‹, spricht der Herr. ›Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe, und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben.‹
›Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder.‹«
Die FithpSoldaten senkten Woodward in den braunen Schlammwirbel hinab. Langsam und steif trieb er dahin; die Totenstarre hatte schon eingesetzt.
»Gedenke dieses guten Mannes, Herr. Gedenke seiner und gib ihm deinen Frieden. Laß ihn in deinen Armen ruhen. Laß ihn zu Jesus eingehen.«
Aus dem langsam wie durch ein Rührwerk bewegten Kompost tauchte ein Totenschädel mit leeren Augehöhlen auf. Er lief fast kegelförmig zu – ein Tierschädel, mit knopfartigen Ansätzen am Hals, wo einst die Sehnen des Rumpfes angesetzt hatten.
»›Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.‹«
Carrie wandte sich den Fithp zu, gealtert und doch alterslos, eine mit der Scholle verwachsene Frau. »Jetzt könnt ihr ihm nichts mehr anhaben. Er ist in Jesu Armen.« Sie hob die Hände. »Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden und schütze mich vor meinen Widersachern. Errette mich von den Übeltätern und hilf mir von den Blutgierigen! Erwache, komm herbei und sieh darein! Du, Herr, Gott Zebaoth, Gott Israels, wache auf und suche heim, wer Ärgernis gibt einem dieser Kleinen! Es wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist. Der Herr aber spottet ihrer. Einst wird er mit ihnen reden in seinem Zorn, und mit seinem Grimm wird er sie schrecken. Denn er hat einen Tag gesetzt, an welchem er richten wird den Erdkreis mit Gerechtigkeit!«
Sie verstummte.
Was werden sie tun? Davor, daß man sie verflucht hat, haben sie bestimmt keine Angst. Gott, mein Gott, hast du uns alle verlassen? Bist du da? Hörst du zu? Kannst du überhaupt zuhören?
Tashajämp wartete.
Gott führe uns hier heraus!
»Kehrt an euren Platz zurück«, wies Tashajämp sie an. »Folgt den Wächtern!« Sie selbst ging mit dem Leitbullen und dem Priester davon.
»Iß sie! Wüte und iß sie, damit sie ums Leben kommen und begreifen, daß Gott überall den Weg zeigt! So ungefähr kann man es übersetzen«, endete Tashajämp.
»Seht ihr!« trompetete Fistartihthaktan. »Natürlich hätten wir etwas erfahren, wenn wir das Wesen aufgeschnitten hätten, aber nicht das! Nie zuvor haben wir eine solche Zeremonie miterlebt.«
»Und was glaubt Ihr erfahren zu haben?«
»Ich hatte mich anfänglich geirrt«, sagte der Priester. »Trotz ihrer Gestalt sind sie nicht wirklich anders als wir. Wir können sie leiten. Seht Ihr das, Herr der Herde? Sie haben keine Vorlinge. Niemand leitet sie, deshalb müssen sie sich selbst leiten. Sie haben sich einen Vorling erdacht!«
Pastempihkeph gab durch Gesten zu verstehen, daß er diese Ansicht teilte. »Es muß ein erdachtes Geschöpf sein. Existierte dieser ›Gott‹, hätte er unsere Überfälle kaum geduldet. Es würde mich interessieren, wie sie ihn sich vorstellen. Mit Daumen, wie sie selbst? Auf jeden Fall sehen sie ihn als männlich an.«
»Sie sehnen sich nach einem Anführer, der bedeutender ist als sie selbst! Tashajämp, hast du den Satz richtig wiedergegeben? Gott fürchten?«
»Ich denke schon. Wir haben aus Kansas ein Buch mit Wörtern mitgebracht. Dort will ich fürchten nachsehen.«
Sie hatten die Kommandobrücke erreicht. Der diensthabende Krieger bedeckte seinen Kopf. »Herr der Herde, eine Botschaft. Tshintithpitmäng möchte mit Euch sprechen.«
»Ich höre.«
»Wir werden ihre Vorlinge sein«, erklärte Fistartihthaktan. »Ich muß mehr erfahren. Könnte ich doch nur nach Afrika.«
»Das geht nicht. Wir brauchen Euch hier. Besorgt Euch, was Ihr nötig habt, von Takpassihjämp. Tashajämp, ist dein Gefährte.«
»Leicht abgelenkt, aber zu Euren Diensten«, sagte Tashajämp. Der Paarungsgeruch hing schwer in der Luft.
Der Herr der Herde trat in die Kommandozentrale. Dort herrschte Geschäftigkeit – auf irgendeinen Ort in Afrika sollte eine Ladung Meteore abgeworfen werden. Der Herr der Herde hockte sich auf sein Polster und rückte sich den Bildschirm zurecht.
Tshintithpitmäng lag als braune Kugel in der Mitte seines Pferchs. Der Herr der Herde beobachtete ihn eine Weile. Wie er so in seinem Elend zusammengerollt war, hätte man annehmen können, er schliefe, wären nicht Nüster und Grifflinge in rastloser Bewegung gewesen, als führten sie ein Eigenleben.
Acht volle Tage! Das muß man sagen, ein zähes Fi’. Leise sprach der Herr der Herde. »Tshintithpitmäng, sag mir, was du zu sagen hast.«
Das Fi’ zuckte zusammen und sah in die Kamera. »Herr der Herde, ich möchte zu den Abtrünnigen sprechen.«
»Das hast du bereits getan. Ich habe unsere letzte Unterhaltung aufgezeichnet und ausgesendet. Was willst du ihnen noch sagen?«
»Fathistihtalk hat erklärt, die Hilfe der ErdlingsFithp sei bei der Eroberung des Weltraums unverzichtbar, da sie sehr ehrgeizig sind, weniger Nahrungsmittel brauchen und geschickte Grifflinge haben. Winterheim muß erobert und die ErdlingsFithp in die Ziehende Herde eingegliedert werden.«
»Das hast du schon vor acht Tagen gesagt. Was hast du hinzuzufügen? Du hättest Fathistihtalk helfen sollen, statt zuzulassen, daß er starb.«
»Er hätte der Sache der Abtrünnigen geschadet, sie sogar zunichte gemacht.«
»Das stimmt. Und doch erhebt niemand die Stimme für dich. Warum hast du die Leiche versteckt?«
Tshintithpitmängs Grifflinge lagen wie festgeschweißt auf seinem Schädel. »Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Der Berater war unserer Sache untreu geworden! Wäre der Erdling gefaßt worden, hätte er Fathistihtalks Worte wiederholen können!«
»Dawson hält sich besser als du. Du hast nicht einmal versucht, ihn zu decken. Soll ich wieder Stille in deinen Pferch einkehren lassen?«
»Ich habe ein Schnauben gehört.«
»Wann?«
»Etwa vierundsechzig Atemzüge, nachdem der Erdling den Berater für tot hatte liegen lassen. Da ich mir nach wie vor keinen Rat wußte, habe ich nichts unternommen. Ich hörte ein Schnauben, wandte mich um und sah, wie sich Fathistihtalks Brust hob und senkte.«
»Sprich weiter!«
»Ich wußte, was er sagen würde. Deshalb preßte ich seinen Kopf in den Schlamm, bis das Schnauben aufhörte. Anschließend versteckte ich ihn ganz darin.«
Zwar hatte der Herr der Herde genau das zu hören befürchtet, dennoch hatte er Hoffnung gehabt. »Was soll ich eigentlich jetzt mit dir tun, Tshintithpitmäng? Ich kann dich doch nicht frei auf der Bote herumlaufen lassen.«
»Tötet mich! Ruft die Herde zusammen, wie es die Überlieferung verlangt.«
»Wir vergießen schon genug Blut. Ich kann meiner Fithp nicht gebieten, dich zu zertrampeln und gleichzeitig erwarten, daß sie keinen Aufruhr anzettelt! Außerdem verdanken dir zu viele ihr Leben oder das ihrer Gefährtinnen. Der Herr des Angriffs bedauert deine Abwesenheit, Tshintithpitmäng. Willst du nach Afrika zurückkehren, um dort zu kämpfen?«
»Ja, wenn Ihr es gestattet.«
»Ich befehle dich dorthin! Auf immer, Tshintithpitmäng. Ich kann verstehen, daß dich die Belastung zum Einzelgänger gemacht hat, aber wenn dergleichen erneut vorfällt, wirst du zertrampelt.« Der Herr der Herde betätigte ein paar Tasten.
So ist es gut. Tshintithpitmäng wird uns treu dienen. Ich ordne weitere Fithp des Jahres Null nach Afrika an. Dort können sie sühnen. Der Bildschirm verdunkelte sich, dann erschien ein neues Bild auf ihm.
Wes Dawson lief… aber wohin? Pastempihkeph sah eine Weile zu. Dawson rannte, kam aber keinen Schritt voran, und seine Vorderläufe schwangen im Rhythmus der Hinterläufe mit, obwohl sie den Boden nicht berührten. War er verrückt geworden? Träumte er, daß er eine fliegende Jagdbeute verfolgte oder daß ihn jemand jagte?
»Wes Dawson.«
Im Lauf wandte Dawson sein Gesicht der Kamera zu, antwortete aber nicht. Sofern er das verzweifelte Verlangen empfand, jemandes Stimme zu hören, ließ er sich nichts davon anmerken.
»Tshintithpitmäng hat mir gestanden, daß er den Berater getötet hat. Fathistihtalk lebte noch, als du ihn losgelassen hast«, sagte der Herr der Herde.
Um Dawsons Mundwinkel zuckte es. In recht gutem Fithpisch sagte er: »Beim nächstenmal mache ich es besser. «
Pastempihkeph schaltete den Bildschirm aus. Wessen Geist wurde durch diese Behandlung eigentlich gebrochen?
Und wie kann ein Mann besser sterben
als indem er gegen eine Übermacht angeht
für die Asche seiner Vorfahren
und die Tempel seiner Götter?
Das in den Augen schmerzende Licht hörte auf. Harry schob die Schweißermaske hoch. »Gute Arbeit.« Er fuhr mit der Hand über das Gitter. »Jetzt kann der Elektrokram rein.«
»Was, zum Teufel, soll das?« knurrte sein Gefährte. Schmale Schienen liefen auf eine Öffnung in dem Zylinder zu, in dem sie arbeiteten, und endeten über dem Boden.
»Startschienen«, sagte Harry. »Sie haben da diese Verstärkerbomben. Ich weiß nicht genau, wie sie funktionieren, aber wenn eine ABombe in ihrer Nähe losgeht, rollen sich die Dinger irgendwie zusammen und zerfallen, und dabei schießen sie einen starken GammastrahlLaser ab. Mit dem Ding hier können wir die Verstärkerbomben rausschmeißen, und zwar dorthin, wo sie einen Teil der Energie von den Bomben aufnehmen, die das Schiff antreiben.«
»Wie werden die denn gezielt?«
»Keine Ahnung. Durch schwarze Magie. Ich weiß nur, daß man sie rausschmeißen muß und daß wir das Ding bauen, mit dem das gemacht wird…«
»Von mir aus.« Der Schweißer wies auf das Gewirr aus Drähten und Leitungen um sie herum. »Großer Gott, das Schiff ist ein einziges Durcheinander.«
»Tja.«
»Und es wird jeden Tag schlimmer.«
»Schon möglich. Hier jedenfalls sind wir fertig, du und ich.«
Harry ging in das leere Abteil voran. Die Öffnungen für die riesigen Verstärkerbomben waren drei Meter hoch und dreißig Zentimeter breit. Harry stieg eine Leiter hinunter, zwängte sich seitlich zwischen den Halterungen für die Verstärkerbomben durch und betrat durch eine noch nicht zugeschweißte Öffnung die geneigte Halbkugelfläche.
Über ihnen ragte der stählerne Wald von Stoßdämpfern ins Leere. Der von den Männern wegen seiner simplen Bauweise als ›Klotz‹ bezeichnete Aufbau, der später Männer und Raumfahrzeuge aufnehmen sollte, fehlte noch. Die Schächte für die Antriebsbomben waren weit größer als die vier Schächte für die Verstärkerbomben. Über Transportbänder und zwei Geschütze, die bereits angebracht waren, würden die Startbomben unter den Rand der Halbkugel an die richtige Stelle gelangen. Alles war mit der halbrunden Schale verschweißt, und sechs Türme erhoben sich um die Stoßdämpfer herum. Das Ganze war so massiv wie möglich gebaut. Feinmechanik war an Bord der Michael nicht gefragt!
Über eine stählerne Leiter gelangten sie auf den Betonboden.
»Ich frage mich, wie du dich hier zurechtfindest.« Whitey Lowenstein nahm Schweißermaske und Schutzhelm ab. »Noch zehn Minuten bis Feierabend. Hast du Lust auf ein Bier?«
»Sobald ich Zeit hab, komm ich nach.«
Im Chuckanut herrschte drangvolle Enge, aber Whitey hatte in einer Nische Plätze freigehalten. Bei ihm saßen zwei junge Frauen. Dankbar ließ sich Harry auf einen Stuhl sinken und bestellte einen Krug.
»Wir hatten schon nicht mehr mit dir gerechnet«, sagte Lowenstein. »Du kennst doch Pat.« Er nahm Pats Hand und hielt sie fest. »Und das ist Janet. Was war denn noch los?«
»Rohrs wollte noch dies und das mit mir besprechen. Hallo, Pat. Nett, dich kennenzulernen, Janet. Was treibt ihr denn so?«
»Pat arbeitet im Büro«, sagte Janet, »und ich schweiße, wie Whitey.«
»Schwerarbeit.« Sie sah eigentlich nicht besonders kräftig aus.
»Ist halb so schlimm«, sagte Janet.
Whitey sah zu, wie Harry einen ordentlichen Zug nahm. »Weißt du, Harry, ehrlich gesagt versteh ich nichts mehr. Ich hab gesehen, wie du General Gillespie die Aktentasche getragen hast, ich kenne deine Geschichte über Kansas und nehme sie dir sogar ab – dann hab ich dich Hallenböden fegen und elektrische Leitungen legen sehen. Heute hast du mir gezeigt, wie man das Schienending für die EMWaffen einschweißt, dann besprichst du dich eine ganze Stunde lang mit Rohrs. Was für eine Position bekleidest du hier eigentlich?«
Harry lachte. »Das würdest du nie raten, Whitey – eine Vertrauensposition.«
»Wieso?«
Pat kicherte.
»Erinnerst du dich noch daran, wie wir uns kennengelernt haben?«
»Ja, damals dachte ich noch, du wärst ein Atomheini.«
»Weißt du auch noch, daß damals Sicherheitsalarm war?«
»Nein.«
»Na schön. Aber du darfst mir gern glauben, daß es damals Alarm gegeben hat – und zwar meinetwegen. Ich hatte geholfen, einen Zeitungsreporter in General Gillespies Haus zu schmuggeln.«
»Bei dir weiß man doch nie, wann du einem was vorflunkerst.«
»Großes Ehrenwort. Der Junge hieß Roger Brooks. Ich weiß nicht, wie er dahintergekommen war, daß es hier was zu berichten gab, jedenfalls er hat mich dazu überredet, ihn mit meinem Motorrad aus Colorado Springs herzufahren. Er kannte Mrs. Gillespie noch von früher.«
»Und das hast du getan?« fragte Janet recht unfreundlich.
»Nun ja, ich hatte gehört, hier würden Rüßler versteckt, und ich hatte doch einen gefangen.«
»Was hattest du?« fragte Janet ungläubig.
»Einen Rüßler gefangen.«
»Das stimmt, ehrlich«, sagte Whitey. »Er erzählt es dir lang und breit, wenn du ihn darum bittest. Wenn du ihn nicht bittest, tut er’s aber auch.«
»Na ja, jedenfalls gefiel mir damals die Idee, Roger hierherzubringen. Aber er ist wohl vor mir dahintergekommen, worum es beim ProjektErzengel ging, hat mir eins über den Schädel gegeben und ist abgehauen. Als ich dann in General Gillespies Vorgarten zu mir kam, standen haufenweise Militärpolizisten um mich rum und richteten ihre Knarren auf mich. Zum Schluß kam der General persönlich. Besonders freundlich sah er nicht drein.«
»Kann ich mir denken«, sagte Whitey. »Was hast du dann gemacht?«
»Ich? Um Gnade gebettelt.«
»Das scheint ja funktioniert zu haben.«
»Ja. Zum Glück hatte ich mal für den Abgeordneten Dawson gearbeitet.«
»Ach ja, das hast du schon erzählt. Der Kerl, den die Rüßler für sich Reden schwingen lassen. Und seine Frau hast du auf ‘nem Rüßler reiten lassen.«
Janet taute langsam auf. »Harry, es muß ja richtig Spaß machen, dich näher zu kennen.«
»Was hast du anderes erwartet? Wie auch immer, der General hat mir wenigstens zugehört, weil ich seine Freunde kannte. Er muß dann zu dem Schluß gekommen sein, daß ich doch nicht so ein übler Bursche bin und stellte mich vor die Wahl: entweder bei ihm Mädchen für alles spielen oder ab nach Port Angeles.«
»Da kommen alle hin, die nicht mitmachen«, sagte Whitey.
»Ja«, bestätigte Pat. »Dort muß es ziemlich schlimm zugehen. Ich kenne bestimmt ein Dutzend Leute, die man dahin geschickt hat und die lieber wieder hier wären. Richtig schlecht geht es zwar keinem, aber es gibt nichts zu tun außer Gemüse anbauen.«
»Das hat mir Gillespie auch gesagt«, bestätigte Harry. »Ich habe keine zehn Sekunden gebraucht, um mich zu entscheiden. Wo ich doch in Colorado Springs schon vor Langeweile eingegangen bin, hätte ich in Port Angeles sicher den Verstand verloren.
So bin ich also an meinen Posten gekommen. Ich tu, was der General will, werde ziemlich gut bezahlt und bin immer mitten drin, wo was los ist. Ich habe das gesamte Schiff gesehen und kenne mich bestimmt genausogut damit aus wie jeder andere, mit Ausnahme vielleicht von Max Rohrs. Ich hab Steuerleitungen mitverlegt, den Marinejungs geholfen, die riesigen Geschütze von der New Jersey anzubringen, und den Leuten vom Heer mit ihren Raketenstartanlagen.« Harry verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. »Wenn die Rüßler das Ding zu sehen kriegen, denken sie bestimmt, ein Berg kommt auf sie zu!«
Whitey hob sein Glas. »Das wär mal ‘ne angenehme Überraschung, darauf wollen wir trinken.«
»Von mir aus könnte langsam Schluß sein. Die ZwölfStunden Schichten schlauchen ganz schön.«
Whitey nickte zustimmend. »Es dauert bestimmt nicht mehr lange.«
»Glaub ich auch. Jetzt kommt nur noch der ›Klotz‹ auf die Trägerplatte und darauf die Raumfähren. Mir wär’s ja recht, wenn es mehr als nur die eine Möglichkeit gäbe, die Wirksamkeit der Stoßdämpfer zu prüfen.«
»Und wie sieht die eine aus?«
»Das Ganze starten. Das Schiff ist bis zum Stehkragen voll mit allem möglichen Kram. Mir tut jeder leid, der damit losfliegen muß.«
»Vielleicht gehörst du selbst zu den Auserwählten.«
Harry lachte verächtlich. »Das könnte euch so passen. Aber Spaß beiseite, die meisten Besatzungsmitglieder kenn ich schon. Nette junge Männer.«
»So ungerecht geht es im Leben zu«, sagte Janet.
»Du bist ja wohl verrückt«, mischte sich Pat ein, »warum würdest du denn da mitfliegen wollen?«
»Sie könnten uns ja zumindest mal fragen!«
»Gillespie meint, Frauen seien dafür nicht robust genug«, erklärte Harry.
»Unsinn!« sagte Janet.
»Whitey, du schuldest mir ein Bier«, sagte Harry.
Hier schlug das Herz von Michael. Die Brücke sah aus wie eine halbfertige Kulisse für einen Krieg der SterneFilm . Große Bildschirme bedeckten die Wände, viele von ihnen waren in Querrichtung zweigeteilt. Davor ragten Steuerkonsolen auf. Mit Gurtband bespannte Beschleunigungsliegen standen überall, und in der Mitte zwei große Steuersessel. Scheinbar wahllos im Raum verteilt waren Werkbänke und mit Plänen und Zeichnungen bedeckte Schreibtische und Zeichentische. Die untere Hälfte der meisten zweigeteilten Bildschirme zeigte jeweils die Konstruktionszeichnung, die obere eine Kameraansicht des betreffenden Werkstücks. Während Harry hinsah, leuchtete ein weiterer Bildschirm auf.
»Mein Gott, geschafft!« Max Rohrs erhob sich. »Harry, hol den Schampus!«
»Wird gemacht!«
General Gillespie erhob sich von seinem Sessel an einem der Schreibtische. »Sind wir tatsächlich fertig, Max?«
»Nun – Sie und ich wissen, daß das Schiff nie ganz fertig wird. Bis zum Start werden wir ständig weiter daran arbeiten, aber im großen und ganzen sind wir fertig. Sie können dem Präsidenten sagen, daß wir, ab morgen mittag gerechnet, binnen vierundzwanzig Stunden startklar sind.«
Harry entnahm einer kleinen Kühlbox eine Flasche Mumm und drei schwere Kristallgläser. Die Kühlbox würde bis zum Start ebenso verschwinden müssen wie Tische und Aktenschränke.
Er drehte am Korken, bis er mit einem lauten ›Plopp‹ an die Decke flog, goß ein, gab den beiden anderen ein Glas und nahm selbst das dritte. »Auf sie mit Gebrüll!«
Gillespie verzog das Gesicht. »Ob mit oder ohne Gebrüll, jedenfalls will ich gewinnen.«
»Es ist das reinste Wunder«, sagte Max Rohrs. Er trat an den Kalender und zog einen roten Kreis um das Datum. »Ein richtiges, hundertprozentiges, lebendiges Wunder.« Er hob sein Glas.
Gillespie schenkte Harry nach. »Es gibt noch genug zu tun«, sagte er. »Wir müssen die Fähren anbringen. Morgen früh schicken wir alle außer den Startmannschaften und Besatzungen nach Port Angeles.«
Harry ließ sich in einen der Steuersessel sinken. »Und was ist mit den Bewohnern von Bellingham?«
»Das sehen wir später.«
»Wenn die Rüßler merken, daß hier kein Mensch mehr ist, werden sie bestimmt mißtrauisch.«
»Was die Stadt betrifft«, sagte Gillespie, »werden wir dem Polizeichef soviel sagen, wie nötig ist. Zerbrechen Sie sich darüber nicht meinen Kopf, Harry. Für die Leute, die im letzten Augenblick weggeschafft werden müssen, haben wir Tragflächenboote.«
»Wie weit müssen die denn weg sein?«
»Einige Kilometer, wenn ein Schutzraum da ist. In Hiroshima hielten sich die Schäden außerhalb eines Umkreises von acht Kilometern durchaus in Grenzen. Natürlich zünden wir hier mehr als nur eine Bombe.« Er leerte sein Glas.
»Am sichersten ist man selbstverständlich im Raumschiff selbst«, sagte Max Rohrs.
»Lauter Logenplätze für das Militär.«
»Denkste«, sagte Rohrs. »Ich bin auch mit von der Partie.«
»Du?« Fast hätte Harry laut herausgelacht.
Max lachte nicht. »Ja. Maximilian Rohrs, zuständig für Reparaturen, zu Diensten. Wer außer mir weiß schon so genau, wie das Schiff funktioniert?«
»Nun, zum Beispiel Harry«, sagte Ed Gillespie.
»Augenblick mal!«
»Stimmt.« Rohrs trat zu Harry und schlug ihm energisch auf die Schulter. »Weißt du noch, wie du die Leute im Chuckanut mit einem Lied unterhalten hast, in dem du dich als Held hinstelltest?«
»Nun, wie wär’s?« fragte Gillespie. »Wollen Sie Ihre Heldenlaufbahn nicht wieder einschlagen?«
Harry versuchte sich zu erheben, aber Rohrs’ Hand lag schwer auf seiner Schulter. »Das geht doch gar nicht, ich bin kein Astronaut.«
Der General schloß die Augen. Er schien es mit der Antwort nicht eilig zu haben. Rohrs leerte sein Glas und schenkte sich nach. Er warf einen Blick auf die Bildschirme.
Die Anzeigen zeigten unverändert alles im Normalzustand. Auf einem Bildschirm war die Michael in ihrer ganzen Größe zu sehen. Zwei riesige Türme erhoben sich über die halbkugelförmige Schale. Unter ihrem Rand erkannte man nach innen laufende Geschützrohre. Daneben standen vier kleinere Türme. Über dem Ganzen erhob sich etwas, das wie ein gigantischer Bauklotz aussah und deshalb von den Arbeitern den Spitznamen ›Klotz‹ bekommen hatte. Er war weit weniger massiv als die Schale und trug Raumfahrzeuge an den Seiten: kleine Kanonenboote, vier Fähren mit Treibstofftanks, aber ohne Zusatzraketen. Die glatte Dachfläche des ›Klotzes‹ ragte über die Seiten hinaus, um Raumfähren und Kanonenboote zu schützen.
»Ich auch nicht«, sagte Max Rohrs.
»Du gehst ja auch freiwillig. Außerdem hast du mit dem General das Schiff konstruiert. Wenn…«
»Trink mehr Schampus, Harry!«
»Klar, danke. Die Besatzung ist aber doch komplett. Wollen Sie etwa in letzter Minute noch Lücken füllen?«
»Nein, nein, ich habe schon ziemlich lange mit dem Gedanken gespielt«, sagte General Gillespie. »Das Zeug darf nicht warm werden, Harry.«
Harry trank erneut. Gillespie setzte zu einer Erklärung an. »Die Männer kennen das Schiff, sie kennen auch sein Schicksal. Sie sind der Sache treu ergeben. Wir haben ihnen beigebracht, Entbehrungen zu ertragen. Und wie steht es mit Ihnen, Harry? Sie haben mehrere Angriffe der Außerirdischen überlebt, zwei Frauen verloren, und trotzdem nicht die Flinte ins Korn geworfen, alles, um ein Versprechen zu halten. Dabei hatten Sie keineswegs versprochen, das alles zu tun! Ich möchte, daß meine Astronauten mit Leib und Seele bei der Sache sind, und ich wünsche, daß Sie mitkommen.«
»Und was ist mit meinen Wünschen?« erkundigte sich Harry höflich.
»Falls wir unser Ziel erreichen, ich sage ausdrücklich: falls«, erklärte Gillespie, »werden wir eine ganze Anzahl Rüßler umbringen, und die übrigen werden sich ergeben. Tausende, ach, was sage ich, alle werden versuchen, sich dem anzuschließen, was unser Krisenstab die Kletternde Fithp nennt. Tausende von Rüßlern werden versuchen, gute Menschen zu werden. Wer wird dann nicht alles den Namen des Mannes erfahren wollen, der den ersten Rüßler gefangen hat?«
»Gießt mir noch was von dem Zeug nach!« sagte Harry.
Es wird sie ihr Silber und Gold nicht erretten können am Tage des Zorns des HERRN…
Vor ihm her geht ein verzehrend Feuer und nach ihm eine brennende Flamme.
Jenny zwinkerte Jack zu und betrat dann das Büro mit dem Balkon. Im Lagerraum unter ihr drängten sich die Menschen in Gruppen vor den Computern: alle waren gekommen, außer den Diensthabenden auch die meisten Angehörigen des Krisenstabs sowie alle anderen, die einen Vorwand für ihr Dabeisein gefunden hatten.
»Kommen Sie rein, Colonel«, sagte Admiral Carrell. »Hier ist Ihre Gefechtsstation.« Er wies auf einen Tisch mit Blick auf die jenseits der gläsernen Trennwand befindlichen großen Bildwände. Auf ihm standen eine kleine Vermittlungszentrale und ein ComputerTerminal. Jenny setzte sich das Wechselsprechgerät auf, das ein Ohr zum Mithören dessen frei ließ, was im
Raum um sie herum geschah, und drückte auf Knöpfe. »Einsatzgruppe, Colonel Walters.«
»Hier Einsatzzentrale. Ich prüfe die Leitung.«
»Verstanden. Ich empfange Sie einwandfrei.« Ein weiterer Knopf. »Hier TräumerFithp «, meldete sich eine Stimme.
»Hier Einsatzzentrale. Ich prüfe die Leitung.«
»Empfang okay.«
Sie drückte weitere Knöpfe. Schließlich nickte sie Admiral Carrell zu. »Alle Verbindungen überprüft, Sir. In der Leitung zur Michael rauscht es stark.«
»Das wird sicher noch schlimmer. Also los!« Carrell trat zur Tür. »Mr. Clybourne, teilen Sie bitte dem Präsidenten mit, daß alles bereit ist und er jederzeit kommen kann. Colonel, leiten Sie jetzt die Operation Erzengel ein!«
»Ja, Sir.« Jenny drückte einen weiteren Knopf. Im Lageraum heulte eine Sirene auf, und rote Lichter blitzten auf. »Harpune, geben Sie den Abschuß frei!«
Sie konnte die Hurrarufe durch die Glaswand hören. Dann trat im Lageraum Stille ein. Gespannt beugten sich Gesichter über die Computer.
Einer der Bildschirme zeigte die Lage des Mutterschiffs der Außerirdischen und all der Kleinschiffe, die man hatte orten können. Es waren sechzehn. Alle befanden sich auf einer geostationären Umlaufbahn über Afrika. Bisher stellten sie keine Gefahr dar. Der Mond ging gerade unter; RüßlerEinrichtungen dort würden nichts sehen. Afrika lag in tiefer Nacht. Vermutlich würde der Angriff die Außerirdischen aus dem Schlaf schrecken.
Acht Kleinschiffe schwebten auf ZwölfStunden Umlauf bahnen in gleichmäßigen Abständen voneinander um die Erde, und drei von ihnen überquerten alle drei Stunden die Vereinigten Staaten. Eines würde über dem Südpol sein, wenn die Michael startete. Die anderen mußten abgelenkt werden.
Ein weiterer Bildschirm zeigte alle der Regierung der Vereinigten Staaten noch zur Verfügung stehenden Raketen. Lichter blinkten, und bunte Linien liefen über die Bildschirme, während der HaupteinsatzComputer die Raketen gegen Einrichtungen der Eindringlinge in Stellung brachte.
General Toland kam herein. »Bei mir ist alles bereit«, sagte er.
»Gut.« Carrell stand auf dem Balkon an der Trennscheibe und hielt den Blick auf die unter ihm liegenden Bildwände gerichtet. Nach einer Weile setzte sich General Toland an einen der Schreibtische.
Das Bild auf einem Schirm wurde durch eine Karte des Südatlantik Gebiets ersetzt. Eine leuchtendrote Linie stieg aus dem Ozean und krümmte sich auf Johannesburg zu.
»Großer Gott, und wenn das Ding tatsächlich trifft?« sagte Toland zu sich selbst.
»Tut es nicht, keine Sorge«, sagte Carrell.
Weitere gekrümmte Linien stiegen aus dem Südatlantik auf. Eine erhob sich senkrecht. Die EMPBombe. Mit einemmal umzog ein leuchtendblauer Kreis das Gebiet.
»Die Verbindung zur Ethan Allen ist unterbrochen«, berichtete Jenny. »Jetzt startet die Nathaniel Greene.« Die EMPBombe zerplatzte zu einem roten Fleck, weit oberhalb der Erde. Weitere Linien stiegen auf, diesmal von weiter südlich, fast unmittelbar unterhalb des Kaps der Guten Hoffnung. Nach wenigen Augenblicken zeigte sich auch dort ein blauer Kreis.
»Keine Verbindung mit der Nathaniel Greene«, sagte Jenny. »Und für die nächsten Stunden auch mit sonst niemandem. Sie haben den elektromagnetischen Puls ausgelöst.«
Die Tür ging auf, und Jack Clybourne geleitete den Präsidenten herein. General Toland erhob sich. Jenny sah ihn zwar, blieb aber sitzen.
»Guten Tag«, sagte Präsident Coffey, »fahren Sie mit Ihrer Arbeit fort.« Er setzte sich an den großen Tisch in der Mitte des Raums.
»Im Augenblick gibt es nur sehr wenig zu tun«, sagte Admiral Carrell. »Die Hauptarbeit war die Planung. Jetzt klappt es entweder, oder es geht daneben.«
Beruhigendes Geschwafel, dachte Jenny. Kein Schlachtplan wird je so durchgeführt, wie er auf dem Papier steht. Siebzehn Kleinschiffe zerstört. Drei können wir nicht finden. Nehmen wir an, eins ist zerstört, ohne daß man es weiß, und zwei sind in Afrika am Boden und können nicht rechtzeitig aufsteigen. Sollten wir wirklich soviel Glück haben?
Ein weiterer Bildschirm glomm auf und zeigte das Gebiet der Staaten Georgia und South Carolina. Ein Netz aus roten Linien sprang zu den Kleinschiffen empor, die auf niedrigen Umlaufbahnen die Erde umkreisten.
Zehn Minuten vergingen. Rasch verblaßten die roten Linien. Südlich der Stadt Atlanta tauchten rote Flecken auf.
»Die Burschen sind verdammt schnell«, knurrte Toland.
»Ja. Zu schnell«, pflichtete ihm Admiral Carrell bei. Er wandte sich dem Präsidenten zu. »Wir hatten gehofft, sie eine halbe Stunde oder sogar noch länger ablenken zu können.«
»Für wann ist denn der Start der Michael vorgesehen?« fragte der Präsident.
»In achtzig Minuten,«, sagte Admiral Carrell.
»Gott helfe den Einwohnern von Bellingham«, murmelte Präsident Coffey.
Gott helfe uns allen.
»Bitte nicht, Miranda. Ich bin im Dienst!«
»Ganz wie du willst.« Lässig knöpfte sie sich die Bluse wieder zu, rutschte zur Beifahrertür des Streifenwagens hinüber und sah betont gelangweilt zum Fenster hinaus ins LummiIndianerreservat. »Du kannst mich ja nach Hause bringen…«
»Aber nicht sofort.« Er rutschte näher an sie heran.
»An alle Einheiten, an alle Einheiten, Beginn Operation Großer Tango, Beginn Operation Großer Tango«, quäkte es aus dem Funkgerät am Armaturenbrett.
Überrascht ließ Leigh sich zurücksinken.
»Was ist das?« wollte Miranda wissen. Sein Gesichtsausdruck jagte ihr Angst ein.
»Ich habe doch keinen Schimmer, wo ich anfangen soll!«
»Womit anfangen, zum Kuckuck!«
Mit zitternden Händen brachte er seine Kleidung in Ordnung. »Wir sollen die Stadt evakuieren. Alles im Umkreis von acht Kilometern um den Hafen.«
»Acht Kilometer?«
»Euer Haus liegt außerhalb der Zone«, sagte Young. »Bis dahin sind es vom Hafen ja fast zehn Kilometer. Aber das Reservat hier liegt innerhalb.« Er beugte sich vor und ließ den Motor an. »Am besten kommst du mit, Miranda. Wie soll ich den Indianern bloß klarmachen, daß sie ihre Siedlungen räumen müssen?«
»Und warum mußt du ihnen das klarmachen?«
»Was weiß ich! Man hat mir nur gesagt, daß wir, sobald die Operation Großer Tango begänne, eine Stunde hätten – eine lächerliche Stunde! –, um alle Bewohner aus ihren Häusern zu bringen und fortzuschaffen.« Er fuhr an. »Also an die Arbeit, auch wenn es wahrscheinlich nichts nützt!«
Das Gebiet sah nicht so aus, wie man sich ein Indianerreservat vorstellen mochte, sondern eher wie das Elendsviertel einer Großstadt, in dem nur hie und da ordentliche Häuser standen. Es gab nur eine einzige befestigte Straße. Diese Straße fuhr Leigh entlang und machte in Abständen über den Dachlautsprecher des Streifenwagens Durchsagen.
»Hier spricht die Polizei. Die Außerirdischen beabsichtigen Bellingham zu bombardieren. Ihnen bleibt etwa eine halbe Stunde, um den Ort zu verlassen. Fahren Sie mit Autos oder Fahrrädern, rennen oder laufen Sie, tun Sie, was Sie können, aber entfernen Sie sich so weit wie möglich vom Hafen!«
Miranda verstand nicht, John Fox rechnete damit, daß etwas geschehen würde, rückte aber nicht mit der Sprache heraus. Was kann ich tun? Eine halbe Stunde lasse ich Leigh Zeit, damit er die Indianer hier wegkriegt, aber dann soll er mich, zum Kuckuck, nach Hause bringen, damit ich Papa Bescheid sagen kann!
Die Straße endete in einem Wendeoval. Von dort hatte man einen guten Blick auf den Hafen. Schnellboote verließen ihn in Richtung Südwesten. Was war ihr Ziel? Port Angeles? Wovor flüchteten sie?
Leigh fuhr zurück. »Laufen Sie in die Berge!« dröhnte seine Stimme durch den Lautsprecher. »Nehmen Sie jedes beliebige Transportmittel, lassen Sie alles stehen und liegen! Drehen Sie sich nicht um, der Feuerschein zerstört sonst Ihr Augenlicht!«
Es herrschte bereits reger Verkehr auf der Straße. »Ein paar haben auf dich gehört«, sagte Miranda. »Leigh, wir müssen Papa warnen, wenn die Rüßler Bomben auf uns werfen…«
»Das tun sie ja gar nicht.«
»Was?«
»Das hab ich nur so gesagt«, erklärte Leigh.
»Und warum dann das ganze Theater?«
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das weiß.«
»Dann frag doch deinen Vorgesetzten!«
»Hab ich schon, er hat aber nichts gesagt.«
»Dann frag ihn noch mal! Jetzt muß er es sagen!«
»Na schön.«
Miranda gab ihm das Mikrofon. »Los, frag ihn! Was kann es denn schaden?«
»Nun ja.« Leigh schaltete das Mikrofon ein.
»Zentrale.«
»Ist der Chef da?«
»Er hat zu tun.«
»Ich muß mit ihm reden.«
»Augenblick.«
»Hier Lafferty. Sind Sie das, Young?«
»Ja, Sir. Ich bin im Reservat. Die meisten Indianer verschwinden, aber ein paar wollen nicht. Was soll ich ihnen sagen, damit sie abhauen?«
»Daß niemand, der hier bleibt, überleben wird.«
»Ich habe ihnen bereits gesagt, daß die Rüßler Bellingham bombardieren werden.«
»Die Rüßler! Guter Witz. Leigh, wir werden uns selbst bombardieren, wir haben hier ABomben…«
Dann hörte man nur noch Rauschen.
»Was soll das?« Leigh drehte an den Knöpfen. »Als würde man uns absichtlich stören.«
»Vielleicht tut man das auch«, gab Miranda zu bedenken.
»Was…?«
»Leigh, was meint er damit, wir werden uns selbst bombardieren?«
»Keine Ahnung.«
»Findest du es nicht komisch, daß die Funkverbindung gerade in dem Augenblick unterbrochen wurde, als er das gesagt hat? Leigh, ich habe Angst.«
So weit, so gut. Jenny sah befriedigt auf den großen, die ganze Wand einnehmenden Bildschirm.
»M minus fünfundvierzig Minuten«, verkündete sie. Die Tür ging auf, und eine Ordonnanz brachte auf einem Tablett Kaffee herein. Auf dem Gang stand ein halbes Dutzend Militärangehörige, unter ihnen Jack Clybourne, der sich größte Mühe gab, nicht hereinzuschauen, damit er die großen Bildschirme im Parterre nicht sehen konnte, auf die das Kampfgeschehen projiziert wurde. Der Präsident lächelte. »Mr. Clybourne…«
»Sir.«
»Lassen Sie Maileys Leute die Türsteher machen! Kommen Sie herein und schauen Sie zu!«
»Sir?«
»Kommen Sie ruhig! Sie haben sich Ihren Logenplatz redlich verdient.«
»Aber… nun, vielen Dank, Sir.« Clybourne lehnte sich an eine Wand im Hintergrund.
Gleich verkriecht er sich in der Mauer, dachte Jenny. Gerade als sie sich umdrehen und ihm zuzwinkern wollte, summte es in ihrem Kopfhörer.
»Hier Gimlet.«
»Gimlet, hier Harpune. Wir haben eine undichte Stelle entdeckt. Das hier ist vor vier Minuten in Bellingham über Polizeifunk gegangen. Ich spiele es ab…«
»Sofort starten«, sagte General Toland.
»Es befinden sich noch Menschen in Bellingham«, gab der Präsident zu bedenken, »und zwar ziemlich viele.«
»Dann haben die leider Pech gehabt! Start! Colonel, sagen Sie den Leuten, sie sollen sich bereit halten!«
»Ja, Sir.« Jenny sprach in ihr Mikrofon. »Zum Start in fünf Minuten bereit machen! Start in fünf Minuten!«
Sirenen jaulten im Stockwerk unter ihnen auf.
»Admiral?« sagte der Präsident.
Carrell sah über seine gegeneinandergelegten Fingerspitzen hinweg auf die Lagekarte. »Geben Sie mir eine Minute Zeit!«
»Viel mehr aber nicht«, sagte General Toland.
»Schön. Erstens ist der Zeitpunkt denkbar ungünstig. Wir haben noch nicht genug von den Kleinschiffen getroffen, und durch den vorverlegten Start wird die Abschußbahn ungünstiger.«
»Und wenn die Außerirdischen Gesteinsbrocken auf die Michael werfen, sind wir erledigt!« rief Toland erregt.
»Ja. Das stimmt.« Carrell sah auf die Uhr. »Aber wovor haben wir eigentlich Angst? Laserstrahlen können der Michael nichts anhaben, und einen Meteor abzuwerfen dauert seine Zeit.«
»Er könnte aber jetzt schon unterwegs sein…«
»Ich schlage dennoch vor zu warten. Startbereit machen, so daß der Abschuß binnen zehn Sekunden nach Aufforderung erfolgen kann. Wenn möglich, warten wir die volle Stunde ab. Sollte aber Gillespie Lichtschein am Himmel sehen, wird die Michael sofort gestartet. Ein Meteor leuchtet in achtzig Kilometern Höhe auf und kommt mit etwa acht bis zehn Kilometern pro Sekunde runter. Wenn er aufschlägt, sind wir schon in der Luft. Die Michael müßte es also überstehen.«
»Mr. President, Sie haben alles auf diese eine Karte gesetzt«, sagte Toland, immer noch zweifelnd.
»General, ich bin mir der Bedeutung dieser Sache bewußt.«
»Wir müssen die verdammten Kleinschiffe doch sowieso bekämpfen! Warum dann nicht gleich?«
»Damit bringen wir alle um, die sich noch in Bellingham aufhalten«, beharrte Präsident Coffey.
»Besser als die ganze Menschheit!«
»Großer Gott im Himmel!« Präsident Coffey sah unverwandt auf die Lagebildschirme. »Admiral Carrell, Sie sind mein Marineberater. Übernehmen Sie das Kommando.«
»Jawohl, Sir. Colonel Crichton, verbinden Sie mich direkt mit General Gillespie.«
»Sir.« In den ersten drei Leitungen, die sie probierte, rauschte es nur. Dann kam die Verbindung zustande. »General Gillespie, Sir.«
»Ed, hier spricht Thor Carrell.«
»Ja, Herr Minister?«
»Wir vermuten, daß es ein Leck in der Geheimhaltung gegeben hat. Ihr örtlicher Polizeichef hat sein Funkgerät benutzt.«
»Ach, deswegen die Störung? Wir können mit unseren eigenen Militärpolizisten nicht sprechen.«
»So ist es. General, Sie bereiten alles für einen Sofortstart vor. Behalten Sie den Himmel im Auge! Sobald sich da oben ein Lichtschein zeigt, starten Sie! Von jetzt an sind Sie Oberbefehlshaber an Bord.«
»Verstanden.«
John Fox hörte es als erster. Er wendete den Komposthaufen. Außer ihm kümmerte sich niemand mehr darum, dafür hatte er gesorgt. Vorsichtig schob er die Mistgabel hinein und arbeitete um die dichtere Masse in der Mitte herum, damit nicht zum Vorschein kam, was von Roger Brooks noch übrig war. Plötzlich sah er einen Knochen, an dem noch Fleisch hing – ein Fuß. Fox verzog angewidert das Gesicht und nahm eine Gabel voll Kompost auf.
Mitten in der Bewegung hielt er inne und neigte den Kopf. Über dem Geräusch des kräftigen Windes, der etwas Regen brachte, hörte er etwas.
Motoren.
Er breitete den Kompost über den Knochen. Dann eilte er rasch zum Haus, öffnete die Tür und rief dem ersten besten zu, den er sah: »Marine. Sagt allen Bescheid. Ich gehe ans Tor.«
Schon zweimal waren Marineleute gekommen. Ihr erster Besuch hatte den CBFunkgeräten gegolten, der zweite Roger Brooks. Beide Male waren sie in großer Zahl gekommen, aber im Vergleich zu diesem Aufgebot war das nichts gewesen. Man konnte über dem Dröhnen der Motoren kaum noch den Wind hören.
Gepanzerte Lastwagen standen die ganze Straße entlang. Ziemlich ärgerlich, dachte John Fox, wie die das knappe Benzin vergeuden. Aber sie wissen, daß wir Waffen haben, und irgend jemand könnte sich zu etwas Unbedachtem hinreißen lassen, wenn sie mit nur einem Wagen kämen.
Er zählte acht Militärlastwagen und dahinter weitere Fahrzeuge – neue und alte Pkw, klapprige ZivilLkw . Es waren so viele, daß das Ende der Kolonne im Regen verschwamm.
Dem dritten Fahrzeug entstiegen vier Männer und traten ans Tor. Der eine war der Polizeichef, Ben Lafferty. Die anderen waren hohe Marineoffiziere. Einen von ihnen, Commander Arnold Kennedy, hatte Fox schon beim vorigenmal gesehen. Kennedy trat vor und sagte: »Sie wissen, daß wir ins Haus kommen, wenn wir das wollen. Wir haben das alles schon mal durchexerziert.«
Fox machte sich Sorgen. Warum kam eigentlich niemand von den anderen? Bereiteten sie sich auf einen Schußwechsel vor?
Nun traten auch Miranda Shakes und der Polizist ans Tor, mit dem sie immer ausging.
»Es ist in Ordnung, John«, sagte Miranda.
»Was ist jetzt schon wieder los? Und wer, zum Teufel, sind die da?« Fox wies die Straße entlang.
»Ihre Nachbarn«, sagte der Polizeichef.
»Zivilisten, die Schutz suchen«, sagte Commander Kennedy, »und den werden Sie ihnen bei Gott gewähren, sonst pusten wir Ihnen das Dach über dem Kopf weg. Wir wollen etwa zwei Stunden lang Ihren Bunker mitbenutzen.«
Fox nickte. Aha, dachte er, Orion. Jetzt geht es los. »Wie viele sind es?«
»An die dreihundert.«
»Wahnsinn! Sogar wenn sie dichtgedrängt wie die Sardinen stehen…«
»Dann stapeln Sie sie eben übereinander! Es wird ernst, sagen Sie das Ihren Leuten da drinnen, sehr ernst. Sollte jemand das Feuer eröffnen, schießen wir Ihnen die Bude über dem Kopf zusammen. Sie wird sowieso bald nicht mehr stehen. Kommen Sie jetzt mit mir zum Haus!«
Sie gingen um das Gewächshaus herum zur Haustür. Kennedy läutete.
Die ungebetenen Gäste strömten durch das Haus und durch die ›Geheim‹Tür in den unterirdischen Raum.
Da waren Ladenbesitzer, Marineangehörige, Indianer; Alte, Kinder und Säuglinge. Alles, was sie mitbrachten, blieb im Wohnzimmer: Koffer, Aktentaschen, Körbe, Mäntel, sogar einige Rollstühle. Es sah aus wie in einem Trödelladen. Der Teppich war voller Dreck. Clara war viel zu wütend, als daß sie sich hätte zur Wehr setzen können, aber Bill Shakes tobte.
»Wir müssen den ganzen Betonboden herausreißen, sonst kriegen wir den Mist nie wieder aus dem Haus! Wir haben eine einzige Toilette da unten – und jetzt seht euch mal an, wieviel Leute das sind! Sogar in den Lokus müssen wir noch welche stopfen. Wir werden das Ganze ausräuchern müssen – Commander, wer zahlt uns das eigentlich? Was gibt es da zu lachen ?«
»Entschuldigung, Mr. Shakes. Sie schicken einfach eine Rechnung und beantragen Entschädigung. Ich garantiere Ihnen, daß sie bezahlt wird. Ich an Ihrer Stelle würde aber noch eine Stunde mit dem Schreiben warten.«
George TateEvans überkam kalte Panik. »Commander, was geht hier eigentlich vor?«
»Das ist nach wie vor streng geheim.«
»Sind Sie denn noch bei Tro…«
»Ich sage es Ihnen gern, sobald ich kann. Wirklich.«
»Aber worauf warten wir? Wie lange müssen wir hierdrin bleiben?«
»Nur ein paar Stunden. Ohne uns wären es Tage«, sagte Kennedy. »Wir haben Entseuchungsmaterial mit, es ist einsatzbereit.«
»Entseu…«
Auf der Treppe herrschte ein entsetzlicher Lärm. Menschen drängten sich hinab, bis hin zu der stabilen stählernen Falltür. »Wir sollten an alleSchnaps austeilen, Bill«, sagte Isadore. »Das ist mein Ernst. Du hast doch gehört, daß die Marine für die Unkosten aufkommt. Wir müssen die Leute unbedingt ruhig halten. Bestimmt passiert was Entsetzliches, und du hörst ja, wie sie jetzt schon durchdrehen.«
»In Ordnung, hol auch die ErsteHilfe Ausrüstung!« sagte George. Im Wohnzimmer befanden sich ausschließlich Marineangehörige und Hausbewohner. »Commander, könnten Sie Leute abstellen, die den Schnaps runterbringen? Wir richten uns dann auf der Treppe ein. Sorgen Sie dafür, daß diese Nestbeschmutzer wenigstens die freihalten. Anschließend lade ich Sie zu einem Drink ein.«
»Jetzt sind es noch…« Der Commander sah auf die Uhr. »In zwanzig Minuten bin ich bereit, mit Ihnen auf das Gelingen anzustoßen.«
Auf der Michael gab es keine Fenster. Die Steuerzentrale lag tief im Innern zwischen den Wassertanks verborgen, und auch die Türme schirmten sie ab. Für Harry und die anderen Besatzungsmitglieder gab es Sichtkontakt mit draußen lediglich über FernsehBildschirme.
»Wie lange noch?«
»Acht Minuten.«
Die Kuppel des Raumschiffs, in und auf der monatelang Tag und Nacht geschäftiges Treiben geherrscht hatte, stand jetzt verlassen da.
Gillespie wandte sich an die Wartungsmannschaft. »Fünf Minuten. Visiere jetzt schließen!« Dann, durch die Gegensprechanlage: »Kann mich jeder hören?«
Sie antworteten.
»Alles draußen befindliche Personal in die Schutzräume! Und vielen Dank an alle!«
Auf den am Boden verankerten Beschleunigungsliegen lagen Harry, Rohrs, Gamble und die anderen angegurtet wie Patienten in einer Nervenheilanstalt, mit dem einzigen Unterschied, daß sie ihre Arme frei bewegen konnten. Eine Versorgungsleitung in der Wand lieferte Sauerstoff. Harry kam sich eingesperrt vor. Gleichzeitig aber war er erregt. Harry, der fahrende Sänger, wartet in einem Raumanzug darauf, in den Weltraum geschossen zu werden!
»Für die Shuttlepiloten wird es besonders hart, weil die da draußen alles mitansehen müssen.«
Weder Tische, Telefone noch sonstige Einrichtungsgegenstände befanden sich mehr im Raum. Alles war aufgeräumt und sauber. An Wänden und Decke waren gepolsterte Haltegriffe befestigt worden.
Harry mußte an die Männer in Kansas denken, die ausgezogen waren, den Feind mit Panzern zu bekämpfen. Sie hatten sich wenigstens durch Reden Mut gemacht. Hier dagegen herrschte Schweigen. Harry kannte kaum einen der anderen Männer. Was würden sie, jung, gesund, kräftig, wie sie waren, wohl sagen, wenn er ihnen von seinem schlimmen Rücken erzählte?
»Eine Minute«, sagte eine blecherne Stimme, »dann geht es los.«
Das Schweigen wurde immer lastender, und Harry konnte die Spannung plötzlich nicht mehr ertragen. Er rief: »Sancho! Meine Rüstung!«
Die jugendlichen Gesichter fuhren zu ihm herum. Einige grinsten unverhohlen. Er hörte das mißbilligende Knurren des Generals auf dem Bildschirm, wie sich sein Ellbogen nach vorn bewegte. Dann gingen unter Harry Reddingtons Hintern tausend Atombomben hoch.
Sich hier unten an die einfachsten Maßregeln zivilisierten Benehmens zu halten, würde schwieriger werden, als Isadore sich das anfangs vorgestellt hatte. Noch nie hatte er Menschen so dicht an dicht gedrängt gesehen. Miranda und ihr Polizist teilten sich eine Koje. Obwohl sämtliche Kojen mit zwei oder drei Personen belegt waren, bestand keine Gefahr, daß sie umfielen, sollten die Stützen der dreistöckigen Betten der Belastung nicht standhalten: dazu war einfach nicht genug Platz.
»Gott, vielleicht wieder ein Meteor!« hörte er und hätte es am liebsten überhört. So etwas konnte eine Panik auslösen, außerdem stimmte es zu allem Überfluß womöglich. Bill Shakes überschüttete mit seinen Zornesausbrüchen nach wie vor Commander Kennedy, der jedoch nicht die Ruhe verlor.
»He!« brüllte Isadore zu Bill hinüber. »Wir bereiten uns immer auf die falschen Katastrophen vor. Weißt du noch, wie du das gesagt hast?«
Shakes wandte sich um. »Nun, und der Trottel hier will mir nicht verraten, was für eine wir jetzt gleich erleben werden.«
»Ach, übrigens«, rief ihm Commander Kennedy zu. »Wie haben Sie das hier eigentlich gebaut?«
»Solide. Zwei Schichten Beton. Aber warum fragen Sie eigentlich? Erst stopfen Sie mir hier zehntausend Indianer rein, und jetzt wollen Sie wissen, ob es sicher ist?«
»Sie haben es erfaßt.«
»Da können Sie ganz beruhigt…«
Plötzlich hämmerte der dröhnende Hall des Weltuntergangs gegen die Decke.
Einen Augenblick lang war die Menschenmenge völlig still. Dann krachte es erneut: RUMMS.
Commander Kennedy jubelte: »Sie haben es geschafft! Sie sind oben!«
RUMMS.
Helden werden auf allgemeinen Wunsch geschaffen, bisweilen aus völlig unzulänglichem Material.
Gott klopfte an, und er wollte unbedingt herein.
WUMM.
WUMM.
WUMM.
Stille.
»Die Pause wird nur kurz sein«, brüllte Gillespie. Harry hörte ihn kaum in der Stille, die auf die Detonation der Bomben gefolgt war. Wie viele sind das eigentlich? Zwanzig? Dreißig?
»Bleiben Sie angegurtet und stellen Sie sich auf die Beschleunigungsphase ein.«
Gott im Himmel! Wir haben es geschafft! Die Bildschirme zeigten kaum etwas außer Wolken. Harry erhaschte einen Blick auf Vancouver Island und die Meerenge von Juan de Fuca. Außer dem Pazifik würde es ohnehin nichts zu sehen geben. Die Erde war jetzt schon ein verschwommener, wolkenweißer Bogen, und an seinem Rand sah man ein Licht aufblitzen – »Kleinschiff unter Antrieb, zwei Uhr!«
»Verstanden und gesehen«, bestätigte Gillespie.
»Noch eins!« rief Fähnrich Franklin ins Mikrofon, senkte dann die Stimme und versuchte, sie wie die eines routinierten Astronauten klingen zu lassen. »Neun Uhr, weit weg. Es beschleunigt.«
»Verstanden. Achtung: Beschleunige. Zünden!«
Harry wurde fest gegen seine Liege gedrückt. In dem Augenblick, bevor der Schub wieder einsetzte, zeigten Striche auf den Bildschirmen an, daß ringsum Büschelbomben von ihren Startschienen abgefeuert wurden. Sie sahen aus wie um eine Achse herum angeordnete Röhrenbündel. In gerader Linie bewegten sie sich am Rand der Schale vorbei, drehten sie sich… dann
WUMM.
WUMM.
WUMM.
Das nähere der blitzenden Lichter war erloschen. Erneut erweiterte sich das Sichtfeld auf einem der Bildschirme. Etwas wurde undeutlich vor dem Sternenhintergrund erkennbar. Wie weit es wohl entfernt sein mochte?
»Flugobjekt neun Uhr.« Franklin beherrschte jetzt seine Stimme. »Vielleicht ist es gar die Große Mama selbst.«
»Verstanden. Beschleunige.«
WUMM.
WUMM.
Büschelbomben regneten in den Lichtblitz hinein. Der Blick nach vorn wurde undeutlich. Weitere Kameras stellten sich auf das Ziel ein: Der leuchtendgrüne Stern war ein Kleinschiff, und es hatte sie mit seinen Laserstrahlen gefunden.
Harry schaltete die Gegensprechanlage auf Raumgespräch. »Max, wann setzen wir die Shuttles ab?«
»Noch lange nicht.«
»Aber…«
»Im Augenblick können wir alles abschießen, was sich bewegt.«
»Aber wenn wir zu lange warten…«
»Harry, wir haben alle zu tun. Der General fliegt das Schiff, und wir halten Ausschau nach den Grifflingsschiffen.«
»In Ordnung.« Und wenn das Schiff Löcher kriegt, dürfen wir sie flicken. Das ist Demokratie.
WUMM.
WUMM.
Harry kam mit dem Zählen der Detonationen nicht mehr nach.
»Blauer Lichtschein um das Hauptziel«, meldete Fähnrich Franklin. Seine Stimme war wieder laut und erregt. »Sir, ich glaube, sie beschleunigen.«
»Verstanden.«
WUMM.
WUMM.
Harrys Universum war ein Durcheinander aus Lärm
und wilden, ruckenden Bewegungen, als habe ihn ein
Riese in eine Mülltonne gesteckt und benutze sie als
Eishockeypuck.
Stille.
Harry wartete. Nichts. Dann ertönte Gillespies Stimme über die Gegensprechanlage.
»Sieht aus, als ob es eine Weile ruhig bleiben würde. Bleibt angeschnallt und ruht euch ein bißchen aus!«
Harry klappte sein Visier auf, und die anderen Angehörigen des Reparatur- und Wartungstrupps taten es ihm nach.
»Ich glaube, das erste Kleinschiff haben wir erledigt. Das zweite zieht sich zurück. Es kann nicht rechtzeitig genug abbremsen, um uns gefährlich zu werden, und das dritte ist jetzt gerade hinter der Erde. Vermutlich sehen wir in der nächsten Stunde keins mehr von ihnen. Wir sind auf dem Weg zum Hauptziel. Es entfernt sich. Die Computer verarbeiten die Flugdaten, damit wir sehen, in welche Richtung wir müssen. So groß und schwerfällig, wie das Ding ist, läßt es sich nicht ohne weiteres wenden, wenn es erst mal beschleunigt. Wenn wir die Fähren absetzen, müssen wir für die Laserwaffen die Automatik ausschalten. Also behalten wir Fähren und Kanonenschiffe so lange wie nur möglich an Bord.«
Harry versuchte sich zu entspannen. Seine drei Bildschirme zeigten unverändert Ansichten der Zugangsschleusen im ›Klotz‹. Er begann mit den Bildanzeigen zu spielen. Er sah Dampfleitungen über Dampfleitungen. Dann schaltete er nach draußen, spähte an den LageStabilisierungsdüsen vorbei unter den Überhang der vorderen Abschirmung…
»Rüßler«, sagte Franklin. »Ein halbes Dutzend pulsierender Lichter westsüdwestlich… noch mehr… gerade oberhalb der Erdkrümmung. Sie wollen wohl zum Hauptziel. Alle beschleunigen.«
»Na bitte«, sagte Gillespie.
Alle schlossen ihre Visiere. Die Lichter lagen weit auseinander. Keine Panik. So gelassen er es vermochte, stellte Harry seine Haltegurte nach.Michaels Nase war ein dicker Schild, und die Prallplatte unten mußte eigentlich allem Widerstand leisten können. Wer eins von beiden einer Gefahr zuwandte, war dahinter sicher. Wenn allerdings die Gefahr aus einem halben Dutzend Richtungen gleichzeitig kam…
WUMM.
WUMM.
WUMM.
Auch die Michael pulsierte jetzt, und die Büschelbomben schleuderten GammastrahlenLaser. Todesstrahlen!
WUMM.
WUMM.
Eines der pulsierenden Lichter erlosch.
»Wieder einer… im Süden, direkt über Europa.«
»Achtung. Manöver.«
Harry hörte das leise Zischen von Dampfdüsen. Die Antriebsdetonationen hörten auf, und die Michael drehte sich, bevor Harry die anderen Lichter erkannte.
»Objekte an Steuerbord. Vermutlich Raketen.« Winzige Flammen, die vor dem Sternenhintergrund standen.
»Verstanden.«
Rumms. Rumms. Nach den gewaltigen Schlägen der antreibenden Bomben kamen ihm die der großen Raketenabwehrgeschütze fast leise vor…
»Achtung! Manöver. Beschleunige.«
WUMM.
Sie greifen nachts an, so gut kennen sie uns. Hier ist Nacht. Bei ihnen ist Tag. Ich hätte damit rechnen müssen. Haben die Beutewesen weitere Überraschungen für mich bereit?
Der Herr der Herde hatte begriffen, daß er hereingelegt worden war. Seit einer Stunde lag er jetzt angegurtet auf seinem Beschleunigungspolster bereit, um weitere dringende Aufgaben zu erledigen, aber damit hatte er nicht gerechnet.
Was er da sah, pulsierte wie ein Grifflingsschiff, aber langsamer. Ein halber Atemzug verging zwischen zwei Explosionen. Das haben sie von uns gelernt, dachte der Herr der Herde. Das Objekt war wohl größer als ein Grifflingsschiff, aber kleiner als die Bote.
Vier Grifflingsschiffe, die sich auf niedrigen Umlaufbahnen um Winterheim befanden, gingen jetzt gemeinsam gegen den Eindringling vor. Der Herr der Herde bemerkte, daß bei einem von ihnen der Antrieb ausfiel. Noch während er hinsah, ging ein weiteres verloren.
Wie haben sie das gemacht? Sie bringen meine Fithp um! »Herr der Verteidigung, Ihr führt jetzt die Bote!«
»Ich gehorche.«
Laute Geräusche ertönten. Auf den Bildschirmen sah man, wie sich sechzehn Grifflingsschiffe aus ihren Halterungen um das Heck der Bote lösten und einen sich erweiternden Ring um das Mutterschiff bildeten.
»Bereithalten! Keine Rotation! Bereithalten!« Die Stimme des Herrn der Verteidigung klang durchs ganze Schiff.
Rotation vermindert sich. Grifflingsschiffe zur Bildung eines Verteidigungsschirms abgesetzt. Wo sind die anderen?
Eine Stunde zuvor hatte er schon welche verloren.
Acht Grifflingsschiffe waren auf zwölfstündigen PolUmlaufbahnen über Winterheim gekreist. Zwei von ihnen waren durch Raketen von See aus angegriffen worden. Der Herr des Angriffs, Kuthfektilrasp, hatte seiner Einschätzung beigepflichtet: Die Raketen waren ein Ablenkungsmanöver, wie damals der Angriff, der dem Bombardement des Stützpunktes in Kansas vorausgegangen war. Die Beutewesen hatten bereits eine Rakete auf den Stützpunkt der Fithp in Johannesburg abgefeuert. Bestimmt kamen noch mehr. Pastempihkeph hatte mehrere Grifflingsschiffe im Konvoi nach Afrika beordert, um auf den dortigen Stützpunkt gerichtete Raketen erforderlichenfalls zu zerstören.
Eine falsche Entscheidung! Fünf, vielleicht sechs von ihnen waren nun nicht imstande, den Eindringling rechtzeitig zu erreichen.
Er klopfte rasch mit seinen Grifflingen auf die Konsole und dachte nach. Vier Grifflingsschiffe stiegen bereits vom Mond auf. Sie hatten Meteoriten für den Kriegseinsatz gesammelt. Doch nicht einmal die beiden von ihnen, die in der Eile leer gestartet waren, würden rechtzeitig eintreffen. Dennoch, Meteoriten würden auf jeden Fall gebraucht werden – denn irgendwo mußte das feindliche Schiff ja aufgestiegen sein.
Konnte er die Schiffe einsetzen, die über Afrika patrouillierten? Sechzehn umkreisten die Erde auf exzentrischen, erdsynchronen Umlaufbahnen: sie hatten Afrika beständig im Auge. Zehn von ihnen befanden sich im oberen Bogen ihrer Umlaufbahn, oberhalb der Bote. Die übrigen sechs waren niedrig genug, um sich dem Feind zu stellen. Der Herr der Verteidigung tat in größter Eile sein Bestes, um ihre Bemühungen zu koordinieren… doch drei von ihnen reagierten nicht.
Der Herr der Herde hörte den Funkverkehr mit… Das Fi’, das gerade mit dem Herrn der Verteidigung sprach, klang verstört. »… so ähnlich, als hätte uns ein Laser getroffen. Große Hitze im ganzen Schiff, als schiene ein unsichtbares Licht durch den Rumpf. Vielleicht Gammastrahlen, aber woher nehmen sie die Energie? Wir waren acht Makasrapkithp hoch drei entfernt!«
»Könnt ihr kämpfen?«
»Nein. Wir können nicht einmal richtig atmen. Shukerintbath ’ Atem steht bereits still. Ich kann Griffling und Beine nicht mehr bewegen. Die Steuerzentrale ist ausgebrannt.«
Das genügte. Bei Tageslicht wird getrauert. Tantarentfid unterbrach den Kontakt mit dem verstörten Fi’.
»Herr der Verteidigung, seht zu, daß sich der Herr des Angriffs, Kuthfektilrasp, über die Lage im klaren wird«, sagte Pastempihkeph.
»Herr der Herde, ich tue, was ich kann. Was hätte er uns zu sagen?«
»Wahrscheinlich nichts. Das ist Euer Thaktan. Gut, ich nehme die Sache selbst in die Grifflinge.« Er wies auf eine seiner Ordonnanzen. »Es ist wichtig, daß Ihr und der Herr des Angriffs für einen gleichzeitigen Vorstoß der Grifflingsschiffe sorgt.«
»Das wird geschehen, Herr der Herde.«
»Sprecher, gib mir Takpassihjämp!« Auch kleine Freuden genießen. Die Paarungszeit war vorüber. »UmerzieherZwei, ist Tashajämp in der Nähe? Gut. Schick sie zum AbsonderungsPferch der Erdlinge! Sie soll Rogatschow hierher auf die Brücke bringen! Du selbst kommst ebenfalls sofort her!«
Nacht. Jeri hatte sich an Arwids Brust gekuschelt. Laute in der Sprache der Außerirdischen erklangen. Der Raum neigte sich zur Seite. Arwid spürte, wie sich Jeris Nägel in seinen Arm gruben.
Alle wachten auf. »Was ist los?« wollte Jeri wissen.
Mit einemmal flammte das Licht an der Tür auf. Tashajämp stand im Eingang. »Rogatschow. Mitkommen!«
Takpassihjämp bewegte sich eilig, doch ohne zu rennen. Die Bote lag in einem eigentümlichen Winkel, und er stemmte sich dagegen. Allmählich hörte die Rotation auf. Offenbar beabsichtigte der Herr der Herde, eine Beschleunigungsphase einzuleiten.
Auf der Kommandobrücke herrschte emsige Geschäftigkeit. Der Herr der Herde winkte Takpassihjämp zu sich und wies auf drei Bildschirme. »Ich möchte wissen, was wir davon zu halten haben.«
Takpassihjämp sah auf die Bildschirme, die Ansichten des Himmels zeigten. Schwarz vor Sternengesprenkel eine große Sichel – Winterheim –, dahinter ein schwarzer Punkt, um dessen Rand sich merkwürdiges Licht ausbreitete. Es sandte Funken aus.
»Ich bin kein Techniker.«
»Technische Einzelheiten vermag ich selbst in Erfahrung zu bringen. Wir halten es für ein Raumschiff der Erdlinge. Seine Länge dürfte zweimal acht Skrapkithp hoch drei betragen, vielleicht auch etwas weniger, seine Breite ungefähr die Hälfte davon. Es bewegt sich etwa wie ein Grifflingsschiff, aber weniger elegant. Wahrscheinlich arbeitet sein Antrieb mit Fissionsbomben und nicht mit Deuteriumfusion, denn man könnte sagen, es hoppelt. Frage: Können Erdlinge Rütteln besser ertragen als wir?«
»Ja.«
»Wir vermuten, daß sie über zumindest eine Waffe verfügen, die wir nicht beschreiben können. Frage: Was werden sie damit tun wollen?«
»Uns besiegen.«
Jetzt hatte das seltsame Raumschiff aufgehört zu pulsieren.
Der Herr der Herde sagte: »Ich denke eher, sie wollen…«
»Nein, hört zu, Herr der Herde! Das ist keine Machtdemonstration mit dem Ziel, nach der Unterwerfung einen höheren Rang zu erlangen. Besäßen sie zwei solche Schiffe, hätten sie beide geschickt. Wenn sie das eine für unzulänglich hielten, würden sie warten, bis sie zwei davon fertig hätten. Ich bin kein Vorling und kann nur mutmaßen. Meiner Ansicht nach ist der Zweck dieser Konstruktion, einen Erdlingsfuß auf die Tshaptisk Fithp zu setzen.«
»Wie wollen sie das anstellen?«
»Ihr habt von einer neuen Waffe gesprochen. Denkt daran, daß die ErdlingsFithp ihre eigenen Thaktanthp schreiben müssen.«
In dem Augenblick schien das unbekannte Schiff förmlich zu explodieren. So mußte den Erdlingen die Bote erschienen sein, als die Grifflingsschiffe auf die Raumstation der UdSSR zugerast waren. Zahlreiche Pünktchen schwärmten um das unbekannte Schiff aus.
»Herr der Verteidigung, wie groß sind die Schiffe?«
»Winzig. In die kleinen würde vermutlich kein Fi’ passen. Sie müssen automatisch gesteuert sein. Zwei oder drei von uns könnten sich in die größeren hineinzwängen.«
»Vielleicht sind sie automatisch gesteuert«, sagte Takpassihjämp, »es könnte sich aber auch in jedem von ihnen ein einzelner Erdling befinden.«
Das dürften dann wohl kaum Freiwillige sein… wahrscheinlich gemeingefährliche Einzelgänger, eingefangen, in die Schiffe getrieben, gestartet, und jetzt sollen sie im Weltraum auf sich allein gestellt und unter Beschuß etwas Schwieriges vollbringen… ohne Gleichgesinnte in der Nähe, ohne Verbindung zur Herde…? »Ah bah, lächerlich. Wahrscheinlich sind es automatisch gesteuerte Einrichtungen. Wir hätten sie so groß nicht gebaut.«
»›Endlich sind meine Grifflinge wieder heil‹, erinnert Ihr Euch? ErdlingsEinzelgänger arbeiten durchaus zusammen.«
Trotzdem, Unsinn. Die Schiffe waren winzig. Nicht einmal ein einzelner ErdlingsEinzelgänger würde da hineinpassen. »Nimm dir ein Beschleunigungspolster, Takpassih, und bleib! Herr der Verteidigung, ist das Triebwerk bereit?«
»Noch nicht, Herr der Herde. Es wird noch weitere sechzehn VierundsechzigAtemzüge dauern, bis es soweit ist. Die Konstruktion der ErdlingsFithp braucht sechzehnmal so lange, bis sie uns erreicht. Mit Grifflingsschiffen an Bord könnten wir schon jetzt manövrieren, aber so…«
»Es war besser, sie zu unserem Schutz abzusetzen.«
Die Tür öffnete sich. Tashajämp kam mit dem Erdling herein. Takpassihjämp rollte seine Grifflinge zusammen, ein Zeichen der Zuneigung. Sie tat, als sehe sie es nicht.
»Tashajämp! Gut, daß du da bist.« Der Herr der Herde bedeutete ihr, näher zu treten. »Du sollst mir dolmetschen. Arwid Rogatschow, sieh!«
Der Erdling stand vorgebeugt und sah sich auf der Kommandobrücke um. Dann kam er schwankend näher und hielt sich, wo er konnte, an Computergehäusen und Maschinen fest. Auf den Bildschirmen sah er den Eindringling vor der dunklen Nachtseite von Winterheim pulsieren. »Was ist das?«
»Das sollst du mir sagen!«
»Leite mich.« Rogatschow stemmte sich gegen ein Computergehäuse und sah weiter zu.
Der Eindringling beschleunigte erneut, diesmal langsamer. Kleinere Schiffe strebten von ihm weg, dem Düsenfeuer nach wurden sie von Raketen angetrieben: einige befanden sich nahe den beiden jetzt aus der niedrigen Umlaufbahn über Afrika aufsteigenden Grifflingsschiffen, andere strebten auf die Bote zu. Einer der Feinde leuchtete hell auf, dann erlosch das Pünktchen.
Rogatschow sagte in der Sprache der Thaktanthp: »Da hat ein Fi’ gut gezielt. Es ist ein Raumschiff, das kleinere Raumschiffe transportiert.«
»Das wissen wir bereits. Das größte dürfte zweimal acht Srapkithp hoch drei lang sein. Die kleinsten sind fünf Srapkithp lang, höchstens einen Srapk dick.«
»Aha. Meine Fithp kann auch so kleine Schiffe steuern.«
»Das Schiff ist vom nordamerikanischen Kontinent aufgestiegen «, erklärte Takpassihjämp. Anders war es nicht möglich, man hätte es sonst viel früher sehen müssen. »Rogatschow, sie haben etwas, das unsere Fithp an Bord der Grifflingsschiffe tötet. Kannst du eine Einrichtung herstellen, die Gammastrahlen enggebündelt schleudert?«
»Ich verstehe nicht.«
»Tashajämp?«
»Leuchtendes Licht wie Laser mit zweimal acht hoch minus zwölf Srapkithp Wellenlänge.«
»Ich weiß nicht«, sagte Rogatschow. »Ich brauchte dazu erst…« Er tippte mit den Fingern der einen Hand auf die andere.
»Aha. Er möchte das Rechengerät aus ihrer Raumstadt«, erläuterte Tashajämp.
Warum habe ich das nicht verstanden? Es war klug von mir, Tashajämp zur Gefährtin zu wählen. »Soll ich es holen lassen, Herr der Herde?«
»Ja. Rogatschow, der Funke dort…«
»Versteh ich auch nicht. Frage: Haben die Vereinigten Staaten eine EinzelgängerEinrichtung gebaut? Sie haben uns nichts davon gesagt!« Rogatschow lachte, es klang merkwürdig und furchteinflößend.
Das sollte er nicht tun.
Der Herr der Herde stampfte ungeduldig auf. »Tashajämp, bring ihn zurück in den AbsonderungsPferch!« Er wandte sich an Takpassihjämp. »Der Fi’Töter hat in mehr als vierundsechzig Tagen keine Fithp- oder ErdlingsStimme gehört. Wird er geistig gesund und der Stimme der Vernunft zugänglich sein?«
»Herr der Herde, ich weiß es nicht, nehme aber an, daß er sowohl geistig gesund als auch vernünftig ist, auch wenn unsere Fithp bei solcher Behandlung zu gemeingefährlichen Einzelgängern würden. Dawson versteht, wie man Maschinen im Weltraum einsetzen kann. Vielleicht können wir von ihm lernen.«
Endlich schlagen wir zurück! Nein, die Vereinigten Staaten schlagen zurück, korrigierte sich Arwid. Macht nichts. Womit? Haben sie Aussicht auf Erfolg? Können sie uns überhaupt erreichen? Die Rotation hatte aufgehört. Schwerkraft war nur noch ganz hinten federleicht zu spüren. Auch wenn das Triebwerk von Thaktan Flishithy Zeit brauchte, um Beschleunigungskräfte aufzubauen, war möglicherweise das Raumschiff der Ziehenden Herde schneller als das der Amerikaner.
»Tashajämp. Frage: Hast du nicht gewöhnlich Krieger bei dir?«
»In diesem Atemzug haben sie Besseres zu tun!« verwies sie ihn. »Hier.« Als Schlüssel diente ihr ein Metallstab – der Schließmechanismus arbeitete magnetisch, wie Arwid schon längst erkundet hatte. Die Luke schwang beiseite. »Es ist genug Polstermaterial da, aber die Beschleunigung kann aus den verschiedensten Richtungen kommen. Sei vorsichtig, halte dich fest, wenn du kannst. Du wirst ebenso sicher sein wie die Fithp an Bord. Jetzt hinein!«
Die anderen sahen zu, als sich Arwid um den Lukenrand schwang, Tashajämps Snnffp ergriff, sich mit den Füßen feststemmte und ihre Grifflinge von dem Haltegriff löste.
Tashajämp kreischte auf. Ihr instinktiver Impuls war nicht, Arwid Rogatschow zu zermalmen, sondern sich festzuhalten. Als sie ihre Grifflinge um den Lukenrand wickelte, sprang Dmitri sie von unten an und prallte wie ein vorwärts stürmender Footballspieler auf sie. Dann zogen Arwid und Dmitri, in zwei Richtungen an den Grifflingen zerrend, das Weibchen durch die offene Luke hinein.
Tashajämp erholte sich vom ersten Schock, und Arwid flog in hohem Bogen durch die Luft. Er rollte sich zusammen, prallte gegen die Wandpolsterung, etwas schwächer gegen eine weitere, streckte sich und ging wieder auf sie los. Die anderen hatten inzwischen verstanden. Mrs. Woodward kauerte sich mit den Kindern in eine Ecke. Jeri, Dmitri und Nikolai attackierten Tashajämps Grifflinge, Arwid faßte nach ihrem Geschirr und kletterte ihr auf den Rücken. Dort fand er die Schnalle und löste sie.
An den GeschirrRiemen war eine Art Paket befestigt. Arwid öffnete es und schleuderte den Inhalt beiseite. Mit wütendem Kreischen schlug Tashajämp um sich und kam einer Wand gefährlich nahe. Wenn Sie sich dort im Polstermaterial festkrallen konnte… Rasch schwang sich Arwid um ihren Unterleib herum und stieß sich mit den Füßen von der Wand ab, so daß Tashajämp der Zellenmitte zutrieb.
Das Fi’Weibchen schien zu ermüden. Arwid gesellte sich zu den Gefährten vorn am Kopf. »Schiebt sie hier rein«, rief er und faßte nach einem Griffling, der sich wie ein Feuerwehrschlauch wand…
Fünf Minuten später starrte Tashajämp sie wütend über den Rand eines großen Sacks an. Ihre Ohren waren mit Riemen festgeschnürt. Dmitri führte weitere Riemen um ihre Vorderläufe und verknotete sie. Er trat beiseite und betrachtete nachdenklich sein Werk. »Warum tut ihr das? Wir haben es ehrlich mit euch gemeint.«
»Thaktan Flishithy wird angegriffen«, antwortete Arwid. Er hörte Jeri keuchen.
»Vorwärts!« rief Alice.
»Von wem?«
»Von den Amerikanern. Ein Mutterschiff mit Raketen und kleineren Raumschiffen. Die letzte Chance der Erde, Dmitri. In die Luftkanäle können uns die Fithp nicht folgen. Wir kämpfen von dort aus!«
»Ich verstehe. Einverstanden.« Dmitri sagte rasch etwas auf russisch.
»Nein«, gab Arwid zur Antwort.
»Was, nein?« wollte Jeri wissen.
»Er will das Fi’ hier töten«, sagte Arwid.
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, schnaubte Jeri.
»Meint denn einer von euch, daß die Riemen sie lange halten können?« schrie Dmitri. »Zwar hoffe ich das, aber was wissen wir? Denkt an Indien und bringt sie um!«
»Nur über meine Leiche«, sagte Jeri. Sie schob sich näher an Tashajämp heran.
Dmitri schrie etwas auf russisch.
Arwid antwortete. »Ich denke, was ich für richtig halte. Hier führst nicht du das Kommando. Überleg doch, Dmitri! Thaktan Flishithy wird angegriffen.«
»Schon.«
»Bis sie die Gefährtin des Lehrers finden, sind wir außerhalb ihrer Reichweite. Es gibt keinen Grund, sie zu töten.«
»Du läßt Frauen für dich denken.«
»Er braucht keine Frauen, um das zu erkennen«, sagte Jeri.
Dmitri sah sich um. Arwid, Alice, Jeri und Mrs. Woodward standen zwischen ihm und dem Fi’Weibchen… Es schlug nicht mehr um sich, da es mitbekommen wollte, was die Erdlinge beratschlagten. »Vielleicht tut es dir eines Tages leid, Arwid. Jetzt also los! Der Garten ist nie abgeschlossen, Mrs. Woodward. Gehen Sie mit den Kindern dahin! Dort müßten Sie sicher sein, wenn überhaupt jemand irgendwo sicher sein kann. Nikolai, Arwid… ihr kommt mit mir. Alice? Jeri?«
»Ihr geht beide mit in den Garten«, befahl Arwid.
»Und was ist mit Wes?« rief Alice.
Dmitri schnaubte verächtlich. »Hast du eine Ahnung, wo er sich aufhält? Vergiß ihn! Er hat immer wieder bewiesen, wie unzuverlässig er ist.«
Wütend zuckte Alice die Achseln.
»Ich komme mit dir«, sagte Jeri zu Arwid.
»Mutter…«
»Du bleibst bei Carrie«, sagte Jeri zu Melissa und tätschelte sie. »Geht jetzt!«
Sie drehten Tashajämp in der Mitte der Zelle mehrmals um die eigene Achse und verließen sie dann. Im Gang löste Arwid am ersten Gitter die Flügelmuttern und führte die Hälfte der Gruppe in den Lüftungsschacht. Die übrigen setzten ihren Weg fort.
Ich erschieße niemanden, weil er nicht zum Werk des Teufels taugt – wohl aber, wenn er dazu taugt. Dafür genügt bereits Bewunderung für dessen Vorgehensweise.
LAURENCE VAN COTT NIVEN, D. Litt.
Vier Grifflingsschiffe näherten sich. Sie waren etwa achthundert Kilometer entfernt. Das genügte nicht, um Raketen einzusetzen, wohl aber, um die Schiffe als hellglänzende, wabernde Sonnen zu erkennen. Gewiß ließ das Laserlicht Michaels Rumpf sieden. Kühleinrichtungen pumpten unerwünschte Hitze in die Kühlkörper: zwei Wassertanks, die beim Start gewaltige Eisberge gewesen waren.
Noch immer detonierte Bombe auf Bombe, WUMM WUMM WUMM. Dennoch war Gillespies Stimme klar zu hören: »Shuttle Eins, ich setze Sie ab. Kanonenboote Eins bis Sechs, ich setze Sie ab. Sehen Sie zu, daß Sie ein paar Banditen erwischen!«
WUMM.
WUMM.
STILLE.
Durch den Rumpf hallte es klong klong: Verankerungen fielen, Flammenschweife zogen davon. Sie waren hellgelb: Feststoffraketen. Das Triebwerksfeuer des Shuttle leuchtete schwach blau: Sauerstoff und Wasserstoff. Die Schiffe strebten dem Feind entgegen.
Ausschau nach Banditenschiffen halten. Auf Beschädigungen achten. Die Temperaturanzeigen im Auge behalten. Horchen, aufpassen, weitermachen. Beständiges Gebrabbel in der Sprechanlage…
»Es sind zu viele Kleinschiffe«, sagte Gillespie. »Nur wenn wir ein paar von ihnen erledigen können, können wir den anderen entkommen. Jason?«
»Ziele sind angesprochen. Kann feuern, wenn bereit.«
»Achtung. Beschleunige.«
WUMM.
»Sag den Piloten, sie sollen das Schiff, das uns am nächsten ist, mir überlassen und sich in sicherer Entfernung halten. Feuer!«
WUMM.
»Banditen, acht Uhr oben.«
»Überhitzung mittschiffs an Steuerbord.«
WUMM.
»Erbitte Salve…«
»Zeitschwierigkeiten.«
»Ich brauche sie.«
»Na schön, sagen Sie, wann!«
»Bereithalten! Ziel ist angesprochen. Fertig.«
Das Rohr der Kanone ruckte kaum hörbar. »Achtung! Beschleunige.«
WUMM.
»Bandit auf elf Uhr.«
WUMM.
Harry biß die Zähne zusammen. Die Temperatur mittschiffs an Steuerbord fiel wieder. Keine größeren Treffer auf der Michael. Ein Kanonenschiff leuchtete grellgrün auf, das Licht hielt sich eine Weile, erstarb…
»Ofenrohr Fünf, hier spricht der Große Vater.«
»Großer Vater, hier spricht Ofenrohr Vier, Ofenrohr Fünf abhaken. Ich wiederhole: Ofenrohr Fünf abhaken.«
»Bandit auf acht Uhr.«
»Großer Vater, hier spricht Ofenrohr Drei. Ich übernehme das neue Ziel.«
WUMM.
»Erbitte Salve.«
»Verstanden. Achtung! Beschleunige.«
WUMM.
WUMM.
Drei Grifflingsschiffe fauchten als grellgrüne Sonnen hinter ihnen auf.
»Temperatur steigt, Unterseite Heck vier.«
»Dampfbildung, Unterseite Heck sechs.«
WUMM.
»Großer Vater, hier spricht Ofenrohr Drei, Sie können einen Banditen abhaken.«
Zwei helleuchtende Sonnen im Heck.
»Großer Vater, hier spricht Ofenrohr Vier, Ofenrohr Drei abhaken.«
WUMM.
WUMM.
Die Temperaturen sanken wieder, näherten sich dem Normalwert. Zwei Lichter zeigten sich im Heck. Die Kanonenschiffe waren unsichtbar, jetzt weit vom Kampfgebiet entfernt. Niemand wußte, ob sie noch in das Geschehen eingreifen konnten oder schon abgeschossen waren.
»Kurze Pause«, sagte Gillespie. »Sie versuchen sich zu sammeln. Vermutlich wollen sie uns massiert angreifen. Auf die nächste Gruppe von ihnen stoßen wir dann aber erst in zwei, drei Stunden.«
Gott sei Dank! Begierig riß Harry sein Visier nach oben.
»Genau die richtige Gelegenheit für einen Kontrollgang«, sagte Max Rohrs. »So gewöhnt man sich gleich an die Bewegung in der Schwerelosigkeit.«
»He, wie wär’s mit ‘ner kleinen Pause?« sagte Harry.
»Sag’s den Rüßlern!«
Harry schloß das Visier wieder.
Platz gab es in den Lüftungskanälen reichlich. Sie ließen sich, durch ihren quadratischen Querschnitt bedingt, mit vorgefertigten Platten abschotten. An den Seiten waren eiserne Leitern angeschweißt, deren Rundungen jetzt, gepolstert, als Haltegriffe dienten.
Obwohl Harry die Lüftungskanäle wie seine Westentasche kannte, stieß er immer wieder an die Seitenwände, so daß er Fähnrich Franklin nicht einholen konnte. Zwar hatte dieser beim Bau der Kanäle nicht mitgewirkt, wohl aber eine Astronautenausbildung bekommen, wo er in einem beschwerten Druckanzug in einem Schwimmbecken unter Bedingungen ähnlich denen der Schwerelosigkeit üben durfte.
»Achtung! Beschleunige.«
Das Schiff schoß vorwärts. Gillespie benutzte die Schubverstärkungsbomben weniger dazu, Schub zu erzeugen, als um Energie für die Büschelbomben zu bekommen. Gerade rechtzeitig gelang es Harry, sich festzuhalten.
»Wo sind wir?« fragte ihn Franklin.
»Etwa in der Mitte vom Klotz. Das vorhin war der mittlere Seitentunnel. Unter uns liegt der BackbordWassertank. Hier ist eins von den Teilelagern.« Er sah hinein, und Franklin spähte ihm über die Schulter. »Nichts hat sich losgerüttelt. Schweiß- und Schneidmaterial, Reparaturplatten – genauso groß wie die Wände. Man muß sie schräg kippen, um sie durch die Kanäle zu kriegen.«
»Weiß ich.«
»Flickstücke für Dampfleitungen, Handräder für Ventile, elektrische Leitungen… Werg für Rohrdichtungen.«
Sie gingen weiter. Harrys Versuch, sich von den Rungen der Leiter abzustoßen, um dann von der gegenüberliegenden Wand schräg wegzuprallen, mißlang. Am besten hielt er sich parallel zu den Leitern und in ihrer Griffweite. »Sich hier bewegen ist schwieriger, als ich gedacht hatte, und man wird auch sehr schnell müde.«
»Ja, es überrascht einen jedes Mal aufs neue«, sagte Franklin.
Die Öffnung wurde größer und gab den Blick auf ein Rohrgewirr frei. Leitungen mit einer lichten Weite von einem Meter fünfzig erweiterten sich zu Kegeln von sechs Metern Durchmesser. Sie führten durch die RumpfAußenhaut und wiesen in Viererreihen in drei um jeweils neunzig Grad versetzte Richtungen. »Das sind die LageSteuerdüsen. Wir sind jetzt in der oberen BackbordEcke vom Klotz«, sagte Harry. »Noch ist alles schön ordentlich. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie es nach der Schlacht aussehen wird.«
»Als ich zum erstenmal etwas von ›Dampfleitungen‹ hörte, hab ich mich gefragt, ob ich wohl Kohlen schaufeln muß.«
Harry lachte. »Wollen wir den Querkanal nehmen und auf der anderen Seite wieder runtergehen?«
»Nur zu. Ich weiß sowieso schon nicht mehr, wo wir sind.«
»Achtung! Beschleunige.«
WUMM.
Nikolai lief den anderen voraus. Nach wie vor war die Schwerkraft so gering, daß sie mit gewaltigen Sätzen vorwärtskamen.
Bei mehr Schwerkraft geht es langsamer, dachte Jeri. Es fiel ihr schwer, Schritt zu halten. Die Russen waren offenkundig nicht bereit, ihretwegen das Tempo zu drosseln. Jedesmal, wenn sie an einem der ringförmigen Roboter vorbeikamen, beschlich Jeri Angst. Und wenn das Ding sie nun mit zuckenden Tentakeln verfolgte…?
Sie zogen durch die Kanäle, immer tiefer ins Schiff. Wohin sie nur wollen? Was auch immer ihr Ziel sein mochte, keinen Augenblick zögerte Nikolai an Abzweigungen. Gelegentlich fielen Jeri Markierungen auf. Kyrillische Buchstaben. Natürlich!
»Wir sind da, Genosse Kommandant.«
Obwohl Dmitri das Kommando beansprucht hatte, sprach Nikolai ausschließlich mit Arwid Rogatschow und hörte auch nur auf ihn. Wahrscheinlich kann er den Kommissar ebensowenig leiden wie ich, dachte Jeri.
Der Raum unter ihnen war voller Metallschränke und behälter, doch weit und breit war kein Rüßler zu sehen. Ungeduldig wartete Dmitri darauf, daß sich Nikolai und Rogatschow Zugang verschafften, dann stürzte er sich vor ihnen auf die Behälter, öffnete sie und schleuderte ihren Inhalt achtlos zu Boden.
Auf dem Etikett stet etwas auf russisch. Wo sind… oh!
Dmitri öffnete einen weiteren Behälter. »Hah!« Er griff hinein, holte eine großkalibrige Pistole hervor und suchte eine Weile weiter, bis er Munition fand.
»Das hat dem anderen Amerikaner gehört, Greeley«, sagte Arwid. »Ist noch eine da? Die Amerikaner hatten mehrere und haben mir eine geschenkt.«
»Ja, hier.« Dmitri nahm eine weitere Pistole heraus und gab sie zusammen mit einer Patronenschachtel Arwid.
Nur zwei. Ob Dmitri so gut schießen kann wie ich? Vermutlich sinnlos, ihn danach zu fragen.
Arwid lud die Pistole durch und hielt sie hoch. »Nur gut, daß mein Arm wieder heil ist!« rief er ihr zu.
Und was haben die Rüßler mit dem Bild gemacht? »Ist da noch was? Vielleicht ein Messer? Als sie uns gefaßt haben, hatte ich eine Walther PPK. Ist die dabei?«
»Nein.« Arwid öffnete Wandschränke. Wie Schaufensterpuppen hingen Raumanzüge dort. »Vermutlich ist es zuviel zu erwarten, daß wir gefüllte Atemluftflaschen finden.«
»Kämen wir nicht auch ohne die aus«, fragte Dmitri, »wenn man die Anzüge luftdicht kriegte?«
»Höchstens ein paar Minuten.«
»In der Zeit kann man viele Fithp umbringen«, sagte Dmitri. »Mal sehen, ob sie uns passen.«
Mrs. Woodward schwankte. »Wenn wir an die große Steinplatte rankämen, den Podo Thaktan verehren sie doch, oder? Wir wären sogar sicherer…«
»Sie halten ihn unter Verschluß«, sagte Alice. »Sie schließen außer Küche, Garten und Beisetzungsgrube alles ab. Und in der Grube willst du dich ja wohl nicht verstecken!«
»Pfui Teufel! Was hast du vor?«
Alice löste die großen Flügelmuttern an einem Gitter. »Ich suche Wes. Geh doch mit den Kindern in den Garten. Versteckt euch da!«
»Wozu? Die Rüßler werden ja wohl Kindern nichts tun.«
»Wenn Arwid und die anderen Russen erst mal loslegen, sollte möglichst keiner von uns den Rüßlern unter die Augen kommen.«
»Oh.« Carrie legte schützend einen Arm um die Kinder. »Hör zu, Alice…«
»Um mich mach dir keine Sorgen. Wes braucht mich.«
Carrie nickte zustimmend. »Ich wäre auch meinem John gefolgt. Gott schütze dich.«
»Vielen Dank.«
Ein Tonband trompetete auf fithpisch: »Festhalten, Schub setzt ein!«
Alice tauchte in den Luftkanal. Hinter ihr krallte sich Carrie Woodward in den feuchten Bodenbelag des Gangs, beide Kinder hielten sich an ihr fest.
Eine gewaltige Kraft zerrte an ihr. Alice kämpfte sich durch die Luftkanäle vor. Irgendwo da vorn war Wes Dawson.
Die FithpKrieger gestikulierten wortlos.
Nun denn, dachte Dawson. Sie versuchen immer noch, mich verrückt zu machen. Haben sie es geschafft? Seit wann habe ich mit niemandem mehr gesprochen?
Sie waren nur zu zweit, einer ging vor ihm, und einer hinter ihm. Ich bin gut durchtrainiert. Ich halte mich fit. Ich bin hier bestimmt schon zweitausend Kilometer gelaufen. Außerdem sind und bleiben sie Elefanten. Viel zu klobig und unbeholfen.
Ich bin so schnell wie sie. Ach was, schneller. Ein Sprung zurück, und ich kann dem einen die Knarre wegnehmen! Was wollen sie überhaupt von mir?
Keine Rotation. Beschleunigung nach so langer Zeit. Schub.
Warum sie mich wohl rausgeholt haben?
Eine sanft geneigte Spirale empor ging es zum Bug des Schiffes. Dort betraten sie einen Raum mit Fenstern, den Wes noch nie gesehen hatte… Das also war die Steuerzentrale. Sie war schwach erhellt, vor allem vom Widerschein quadratischer Bildschirme. Außer klappbaren Polstern gab es keine Sitzgelegenheiten, in die Wände waren Halterungen für die Füße der Fithp eingelassen. Jetzt, ohne Rotationsschwerkraft, lagen die Polster flach. Die Veränderung des Schwerefeldes hatte Wes gleich zu denken gegeben. Jetzt wußte er es: Thaktan Flishithy befand sich auf dem Kriegspfad.
Die Krieger, die ihn hergeführt hatten, hielten sich beiseite.
Vier Fithp standen in der Mitte der Kommandobrücke beieinander. Einen von ihnen erkannte er: Takpassihjämp. Ein Fi’ sah sie und bedeutete ihnen näherzutreten. Der Leitbulle? Ja, denn die Krieger schoben Dawson sogleich hin, die Grifflinge um seine Arme gewickelt.
»Dawson«, sagte der Herr der Herde. »Bist du bei klarem Verstand?«
Wes unterdrückte den Impuls, augenrollend mit dem Zeigefinger seine Unterlippe auf und ab schnalzen zu lassen. »Ja, aber das ist nicht dein Verdienst.«
Der Herr der Herde wies auf einen Bildschirm. Die Optik holte ein fernes, verschwommenes Objekt heran. Dawson sah, daß es leuchtendgrün flackerte, dunkler wurde und erneut aufleuchtete. Schwache blaugrüne Fäden zogen von Grifflingsschiffen aus darauf zu.
Mit einer ungeduldigen Bewegung forderte ihn der Herr der Herde auf: »Sieh es dir an und sag mir, was es ist.«
Dawsons Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Eine Szene aus Krieg der Sterne«, sagte er. »Wir schlagen zurück!« murmelte er vor sich hin.Hätte ich den Soldaten doch anspringen sollen? Aber nein. Von hier aus wird alles geleitet. Abwarten. Auf die Gelegenheit lauern, ein Gewehr zu ergreifen und…
»Sprich in der Sprache der Thaktanthp, Dawson! Die Zeit ist zu kostbar für sinnloses Gebrabbel. Du hast zu Fathistihtalk gesagt, du weißt, wie man Geräte zur Verwendung im Raum herstellen kann. Jetzt erkläre es mir. Sagst du nichts, werde ich dich in dein Schweigen zurückbringen lassen.«
»Ich kann nicht mal genau sehen, was da vor sich geht. Ist das da – ich meine das blinkende Ding – unseres?«
»Nein. Es ist von den Vereinigten Staaten aufgestiegen. Es hat eine Waffe an Bord, die wir für einen Laser halten würden, wenn sie nicht auf einer äußerst hohen Frequenz arbeitete. In unseren Thaktanthp gibt es so etwas nicht. Was kannst du uns darüber eigentlich berichten?«
Das letzte, was Wes wünschte, war, in die bedrückende Stille seiner Zelle zurückzukehren. Jetzt war er dort, wo die Entscheidung fiel. Ohnehin würde er mit dem, was er sagte, keine wichtigen Geheimnisse verraten. »GammastrahlenLaser sind technisch machbar. Sie zerstören sich selbst, daher feuert man sie nur einmal ab. Die Energie dafür gewinnt man aus explosiven Kernfusionen.«
Der Herr der Herde trompetete etwas.
Takpassihjämp sprach so rasch, daß Wes nicht folgen konnte. Ein weiteres Fi’, das er noch nie gesehen hatte, hörte nachdenklich zu und ergriff dann gelassen das Wort.
»Vielleicht. Die Thaktanthp sagen nichts darüber. Das würde erklären, warum sie so viele Bomben verwenden.«
»Was will der Eindringling?«
Ob die Frage ernst gemeint war? Wes Dawson erklärte: »Die Männer führen Krieg.«
»Krieg hat ein Ziel. Welches? Wollen sie eine NichtUnterwerfung Unterwerfung?«
»Ich verstehe das nicht. Sie wollen euch auslöschen. Sie kommen, um euch zu töten.«
»Die ganze Fithp? Weiber und Kinder?«
»Denk an Indien.«
»Das war nicht die ganze ErdlingsFithp.«
»Wenn ihr euch nicht unterwerft, wird das Raumschiff Thaktan Flishithy zerstört.«
Der Herr der Herde schien nicht überrascht. Er sprach das vierte Fi’ der Gruppe an. »Ihr habt es gehört, Herr der Verteidigung. Krieger, behaltet ihn hier, bringt ihn an eine Stelle, wo er nicht stören kann!«
Die Wächter zerrten ihn zu einer der Trennwände. Dort legten sie seine Hände gegen die feuchte, schwammige Wand. »Faßt zu!« Jede Hand wurde von Tentakeln umschlungen. Die FithpKrieger gruben ihre Krallen in den Boden.
Der Herr der Herde hielt sich in so großem Abstand, daß Dawson nicht hören konnte, was gesagt wurde. Der Schub war jetzt gleichmäßig. Die sechzehn Grifflingsschiffe, die die Bote als letzter Verteidigungswall umgeben hatten, fielen rasch zurück. »Herr der Verteidigung.«
»Leitet mich.«
»Können wir die Auseinandersetzung vermeiden?«
»Herr der Herde, dafür ist die Geschwindigkeit des Eindringlings schon zu hoch. Wenn wir seitlich zu seiner Flugbahn Schub gäben, würde er auf eine Entfernung von wenigen Makasrapkithp herankommen. Daher lenke ich das Schiff von ihm fort, in Gegenrichtung zu Winterheim. Auf diese Weise muß er die letzten Grifflingsschiffe hinter sich bringen, um uns zu erreichen.«
»Das ist Euer Thaktan.« Tu, was du für richtig hältst! »Takpassih jämp.«
»Leitet mich.«
»Rästapispmins hat gesagt, daß Erdlinge in Afrika häufig Bedingungen stellen, bevor sich der Fuß auf ihre Brust senkt. Welche Worte hat er dafür benutzt? ›NichtUnterwerfung Unterwerfung ‹?«
»Ja. Es bedeutet soviel wie ›vereinbarter Ansehensverlust‹.«
»Entwirf mir einen Lösungsvorschlag für den Fall, daß wir diese Schlacht verlieren sollten.«
»Ist das denkbar, Herr der Herde?«
»Gewiß, aber nicht wahrscheinlich. Du hast selbst gesagt, daß es ihr letzter Versuch ist, unserem Fuß zu entkommen. Sobald der Eindringling beseitigt ist, werden wir den Erdlingen Gelegenheit geben, sich zu überlegen, wie sie sich uns unterwerfen wollen. Bis dahin denk dir etwas aus! Bereite für uns einen vereinbarten Ansehensverlust vor, bei dem sie so wenig wie möglich bekommen!«
»Herr der Herde?«
Der Ruf kam von einem der Rangniederen. »Sprich!«
»Kamera achtundzwanzig.«
Der Herr der Herde drückte zwei Knöpfe. Auf einem der Bildschirme wurde ein Luftkanal sichtbar… und darin ein rothaariges ErdlingsWeibchen.
»Es ist… sie befindet sich unmittelbar vor dem hinteren Steuerraum und sieht durch das Gitter herein.«
»Laß sie von einem Krieger holen! Schick außerdem einen – nein, drei zum AbsonderungsPferch der Erdlinge! Wenn sie frei herumläuft, tun es die anderen womöglich auch. Und laß Tashajämp kommen!«
Ein halbes Dutzend Fithp standen auf der anderen Seite des Gitters. Was sie sahen, schien sie nicht besonders aufzuregen. Sie schalteten lediglich an ihren Einstellgeräten für die Bildschirme herum. Eine Ansicht blieb. Sie zeigte einen Raum ähnlich dem, in dem sie sich befanden, nur weit größer. Er hatte Fenster, hinter denen man Sterne sah.
Dort stand Wes Dawson zwischen zwei der Scheusale, die ihn festzuhalten schienen, an einer Wand.
Mit einemmal sah Alice auf einem weiteren Bildschirm sich selbst, wie sie durch das Gitter eines Luftkanals spähte. Zeit zu verschwinden, dachte sie. Auf die Spitze zu. Wenn das Raumschiff Fenster hatte, mußten sie vorn liegen…
Herr, du hast diese Welt unter dem Schatten
eines Traumes geschaffen.
Und, von der Zeit darin unterwiesen, nehme ich sie so –
immer mit Ausnahme des Dampfes.
Die große digitale Zeitanzeige oberhalb der LageBildschirme zählte die seit dem Start der Michael vergangenen Sekunden. Nach Ablauf von sechs Stunden sagte Admiral Carrell: »Jetzt können sie es versuchen.« Er setzte sein Wechselsprechgerät auf.
Jack Clybourne schob sich wie ein englischer Butler unauffällig durch den Raum, räumte schweigend Kaffeetassen ab und leerte Aschenbecher, bevor er wieder seinen Platz an einer der Wände einnahm. Jenny gab auf der ComputerTastatur Befehle ein, die sich blitzschnell über den halben Globus ausbreiteten.
Irgendwo da draußen steckt ein UBoot seine Nase in die Luft, damit wir einen Bericht bekommen…
Die LageSchirme hatten in den vergangenen zwei Stunden nur wenig Änderungen gezeigt. Wo sich die Raketenstellungen in Georgia und Missouri befunden hatten, waren jetzt Bombentrichter, und ein eigentümliches Muster von Spuren todbringender Meteore zog sich über den Südatlantik. Bellingham war noch nicht angegriffen worden. Harpanet zeigte sich entsetzt, als er erfuhr, daß man das Symbol des friedfertigen Rüßlers auf die Kuppel der Erzengel gemalt hatte. Vorausgesetzt, das Projekt schlug fehl, würde den Menschen diese Heimtücke heimgezahlt werden.
In Jennys Kopfhörern rauschte es. »Versuchen Sie es über Florida.«
»Jawohl, Sir.«
Und wenn das nicht klappt…
»Gimlet, wir haben Nasenbluten.«
Das ComputerProgramm identifizierte Nasenbluten: Ethan Allen.
»Das Boot muß tief runtergegangen sein«, sagte Admiral Carrell. »Ich hatte schon gedacht, wir hätten es verloren.«
»Gimlet, wir haben Windpocken.«
Ein weiteres AtomU Boot.
»Zwei mögliche Verbindungen. Das genügt. Versuchen Sie durchzukommen«, gebot Carrell.
»Michael, hier spricht Gimlet.« O ihr Throne, Herrschaften, Reiche oder Gewalten…
Unvermittelt rauschte es so laut in Jennys Kopfhörern, daß sie zusammenzuckte.
»Können Sie es auf den Lautsprecher legen?« wollte der Präsident wissen.
»Gewiß, Sir.«
»Gimlet, hier Michael.«
Hurra! »Michael, hier Gimlet. Ihre Befehle sind unverändert. Setzen Sie Ihre Mission fort. Gott mit Ihnen, Ed. Erbitte Bericht.«
»Ich berichte. Wir sind gut dreißigtausend Kilometer über Afrika und steigen weiter, gegenwärtige Geschwin…« Die Stimme wurde ausgeblendet.
»Weiter, Herrgott«, flüsterte General Toland.
Rauschen »… aber keine ernsthaften Schäden. Bisher nur geringe Verluste. Wir haben fünf Kanonenboote und eine Fähre abgesetzt, die beim Durchbruch…« Rauschen
Verdammt!
»… gegen eine Formation Kleinschiffe über Afrika helfen soll. Nach einer Stunde – Rauschen – seinen Antrieb. Wir vermuten, daß das feindliche Mutterschiff die Flucht ergriffen hat…« Rauschen
»Sie müssen es abfangen!« sagte der Präsident.
»Michael, setzen Sie die Verfolgung fort!«
»… im Begriff. Wir schätzen, daß wir in sechs bis zwölf Stunden in Reichweite sind. Wir müssen uns durch eine Formation aus sechzehn Kleinschiffen kämpfen, die uns ganz offensichtlich den Weg verlegen und hinhalten sollen…« Rauschen
Die Zeitanzeige ließ erkennen, daß seit dem Start der Michael sechs Stunden und zwölf Minuten vergangen waren.
»Seit vier Stunden hat es keinen Angriff gegeben. Vielleicht wird der nächste schlimmer als die vorigen. Wir haben mehr Raketen verbraucht, als mir lieb ist, aber es sind noch reichlich da, und der Vorrat an Büschelbomben ist…« Rauschen Rauschen Rauschen
Die Störungen wurden stärker.
»Die Verbindung zu Nasenbluten ist abgerissen.«
»Soll ich versuchen, eine neue herzustellen?« fragte Jenny.
»Wie lange dauert es eigentlich, bis wir Kontakt bekommen?«
»Etwa zwei Stunden. Wenn wir über die RelaisStation an der Ostküste gehen, eine halbe.«
»Irgendwelche Befehle für die Leute, Mr. President?« wollte Admiral Carrell wissen.
»Sie sind der Oberkommandierende, Admiral.«
»Wir warten. Die UBoote bleiben einstweilen unter Wasser «, entschied Admiral Carrell.
»An alle Fische, hier Gimlet. Versteckt euch!«
»Banditen voraus, knapp in Raketenreichweite.«
»Auf, Kinder, die Mittagspause ist zu Ende!«
Erschreckt fuhr Harry hoch. Er hatte geschlafen! Erstaunlich. Er hatte angenommen, das werde ebenso schwierig sein wie das Wasserlassen, für das die Bemühungen zweier Männer und jeweils eine Viertelstunde zum Öffnen und Schließen des Druckanzugs erforderlich war. Nach der Ruhe fühlte er sich großartig. Und jetzt weiter…?
Die Bildschirme mit der Sicht nach vorne zeigten sechzehn Kleinschiffe in einem sich weit ausbreitenden Fächer. Der von ihnen ausgehende Lichtschein, ein höllisches Grün, überflutete die Sterne. Im Mittelpunkt zwischen ihnen blendete ein ins Violett spielendes Weiß.
Das wird bestimmt haarig, aber wir holen gegenüber der Großen Mutter auf!
»Achtung: Beschleunigung.«
WUMM.
WUMM.
WUMM.
Drei Tritte in den Hintern. Eine der grünen Sonnen verblaßte, dann entstand an ihrer Stelle eine Feuerkugel. »Wie haben wir denn das geschafft?« fragte Harry laut.
»Möglicherweise haben Gammastrahlen im Deuterium eine Fusion ausgelöst«, sagte Tiny Pelz. »Das ist aber reine Spekulation. Wir wissen immer noch nicht genau, wie ihre Triebwerke funktionieren.«
»Eins ist sicher«, sagte Jeff Franklin, »heiße Gammastrahlen tun ihren Schiffen bestimmt nicht gut.«
»Und den Besatzungen auch nicht, wenn die uns nur entfernt ähnlich sind.«
»Bandit auf ein Uhr hoch ändert die Farbe.«
»Verstanden. Nehmen Sie ihn sich vor, Jason. Achtung: Beschleunige.«
WUMM.
»Guter Schuß!«
Jason Daniels klappte sein Visier auf. »Seid ihr nach Colorado Springs durchgekommen?«
»Trotz aller Bemühungen habe ich keine neuen Befehle. Vielleicht entgeht denen der ganze Spaß.«
»Da vorne kommt noch mehr Spaß«, sagte Jason. Er kratzte sich die Nase und schloß dann das Visier. »Raketen genau voraus.«
Sie wirkten wie ein Schwarm von Glühwürmchen. Kugeln wären ebenso gefährlich, und die würde man nicht sehen. Harry zuckte zusammen. Bei diesen Geschwindigkeiten würden sogar Bonbons die Hülle durchsieben.
»Achtung: Wir drehen.«
Dampfdüsen zischten. Schwerfällig bewegte sich die Michael.
»Zeigt ihnen nicht die kalte Schulter, sondern euren gepanzerten Hintern«, sagte Franklin.
»Und wenn wir uns nicht schnell genug drehen?« wollte Harry wissen.
»Schluß mit dem defätistischen Gequatsche!« sagte Gillespie.
Ach Scheiße! Harry schaltete sein Gegensprechgerät auf Raumfunk. Jeff Franklin tat es ihm gleich.
Fernsehkameras spähten an den Flanken des Klotzes entlang, den Kleinschiffen der Außerirdischen entgegen, die sich über den Himmel ausbreiteten. Die massive Vorderkante des Klotzes würde einen Teil des grünen Glühens zurückwerfen und einen weiteren Teil aufsaugen. Einiges allerdings kam durch. Die vordere Abschirmung war nicht imstande, sie vor allen sechzehn Feinden zugleich zu schützen, doch da sie dem Feind die Kehrseite zuwandten, konnten sie auch nicht beschleunigen.
Die Kanonen mittschiffs feuerten nach vorn. Das half, das Schiff zu drehen. Meine Kanonen. Ich hab sie eingebaut. Harry sah es zwischen den Raketen hell aufblitzen.
Erneut zischte Dampf in den Leitungen. Die Drehung der Michael hörte auf. Kameras an langen Auslegern sahen über die Prallplatte hinaus auf den Ring aus Kleinschiffen.
Die erste Rakete schlug auf. Ganz gleich, was für einen Sprengkopf sie hatten, er war nichts gegen die ABomben vom Antrieb der Michael.
»In zehn Minuten drehen wir erneut und beschleunigen wie ein geölter Blitz«, sagte Gillespie. »Amüsiert euch schön.«
Na klar.
»Ofenrohre Sieben und Acht. Shuttle Zwei. Ihr seid dran. Achtung.«
Die Kanonenboote lösten sich und beschleunigten seitwärts, Shuttle Zwei folgte ihnen. Harry sah, wie die Flammen kleiner wurden, dann eine Kurve beschrieben, sich nähernden Raketen auswichen und auf die Kleinschiffe zurasten.
»Es ist ihre letzte Gelegenheit, uns fertigzumachen«, sagte Tiny Pelz. »Sie werden uns eindecken wie mit Hagelkör…«
»Wir drehen. Achtung!«
Dampfdüsen zischten.
»Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade…«
Franklin hatte wohl vergessen, daß die Gegensprechanlage eingeschaltet war. Ich kann’s ihm nicht übelnehmen. Das war der schwierigste Teil: während sie den von Kleinschiffen gebildeten Ring durchflogen, mußten sie sich so drehen, daß sie dem dichtesten Geschoßbündel die Rückseite zuwandten und sich mit ihrer Prallplatte schützten. Damit aber bot die Michael seine vergleichsweise ungeschützten Flanken anderen Kleinschiffen offen dar.
Schwerfällig machte sich das Schiff daran, seine Lage zu ändern. Dreh dich schon, Miststück!
Raketen explodierten. Licht überflutete zwei Bildschirme. Das Schiff ruckte leicht. Bummbumm bumm Pause bumm: Raketen der Außerirdischen detonierten unter der Prallplatte.
»… jetzt und in der Stunde unseres Todes, Amen. Temperaturanstieg an Steuerbord mittschiffs.«
»Geschützturm vier antwortet nicht.«
»Bandit auf neun Uhr.«
»Dampfbildung Bugabschnitt drei.«
Weitere Raketen kamen. Die Michael erbebte unter den Druckwellen.
»Ihr schafft es nicht, ihr schafft es nicht…«
Ein deutlich stärkerer Stoß schob die Michael zur Seite. Jemand kreischte auf. Ein halbes Dutzend Bildschirme wurde weiß und dann dunkel. »Mannomann«, entfuhr es Tiny Pelz.
»Erbitte Schadensmeldung!«
»Augenblick«, sagte Max Rohrs. »Tiny, was, zum Kuckuck, war das?«
»Wir haben zwei weggeputzt! Zwei Kleinschiffe sind erledigt!« rief Harry.
»Komisch, ich hab gar nicht geschossen«, wunderte sich Daniels. »Wer die wohl runtergeholt hat?«
»Wir taumeln«, sagte Gillespie. »Ich habe keine Lagesteuerung mehr. Reparaturtrupp, tun Sie etwas!«
»Ich weiß, was es war«, sagte Pelz. »Ich kann es nur nicht sehen. Setz mal jemand ‘ne Kamera drauf an.«
»Gamble. Reden Sie schon, Tiny!«
Hamilton Gamble verließ seinen Sitz mit einem Sprung. Tiny Pelz erklärte: »Ich vermute, daß wir eine der BüschelbombenLasten verloren haben. Die Detonation einer RüßlerAtomrakete in unmittelbarer Nähe hat wohl ein paar von den Bomben gezündet. Vielleicht ist sogar das ganze Abteil in die Luft gegangen. Eine ungeheure Detonation von Gammalasern. Es ist aber nicht so schlimm, wie es klingt – hoffe ich jedenfalls…«Es hat uns erwischt! Die Erkenntnis traf Harry wie ein Schlag. Wir waren die einzige Chance. Ach, Scheiße!
»Kasanowski, bewegen Sie sich! Ich möchte wissen, was mit unseren Dampfdüsen los ist.«
Eine weitere Gestalt im Raumanzug verließ die Kommandobrücke.
Gleich bin ich dran. Harry schaltete auf die Bordkameras um. Innenbords war nichts zu sehen. Jetzt mal um das Schiff rum inspizieren. Vermutlich ist das mittlere BombenAbteil weg. Nein. Also weitersuchen. Ach du dickes Ei!
Etwas hatte eine riesige Beule in die Backbordseite der Michael getreten. Der Leitungsraum dort war ein graues Chaos, in dem alles regellos durcheinanderwirbelte.
»Hier ist Ham Gamble. Ich habe es. Sehen Sie es sich selbst an, Kanal Alpha sechs.«
Harry schaltete den Fernsehschirm ein. Da!
Der Bildschirm leuchtete auf und zeigte den Himmel. Kleinschiffe bildeten verschwommene grüne Leuchtpunkte, Sterne waren nicht zu sehen. Die Kamera schwang nach unten.
Das BüschelbombenAbteil Nr. 1 war verschwunden. Nur die Grundplatte ragte noch als riesiges Stück geschmolzenes Metall von der gekrümmten Schale auf. Der weit größere Turm, das Schubbombenlager Nr. 1, sah aus, als habe jemand mit Riesenzähnen darauf herumgekaut. Während Gamble die Kamera schwenkte, wurde die Flanke des Klotzes sichtbar. Sie war von Meteorlöchern geradezu durchsiebt. Die Grundplatte war zerfetzt. Dichte Nebelschwaden drangen mit hoher Geschwindigkeit nach außen.
Max Rohrs betete mit sachlicher Stimme eine ganze Liste von Katastrophen herunter. »BackbordWassertank zerstört. Ich habe den BackbordMeiler stillgelegt. Für ihn ist sowieso kein Kühlwasser mehr da. Das gesamte Düsensystem für die Lagesteuerung auf der Backbordseite ist tot.«
»Verlangsamte Reaktion im SteuerbordSteuersystem «, kam Gillespies Stimme.
»Von den Ofenrohren oder dem Shuttle nichts. Vermutlich hat es sie erwischt.«
»An Steuerbord mittschiffs Überhitzung.«
»Wir werden immer noch getroffen«, sagte Gillespie, »Max, wenn Sie mir so ungefähr…«
»Lageeinschätzung kommt sofort«, sagte Rohrs. Seine Gelassenheit war erstaunlich.
»Schön, ich bin im Bilde«, sagte Pelz. »Es hätte schlimmer kommen können. Die Energie dürfte größtenteils nach vorn gegangen sein. Wir müssen wohl annehmen, daß wir alle von uns gestarteten Schiffe selbst außer Gefecht gesetzt haben, wie auch die beiden Rüßlerschiffe, die keine Laser mehr abfeuern. Seitlich haben wir einige Überlaufenergie.«
»Hat es bei dem Gerüttel und Geschüttel Schäden am Schiff gegeben?«
»Nicht, soweit ich sehen kann«, sagte Rohrs.
»Bereithalten! Ich versuche, das Schiff zu stabilisieren. Jason, fertig machen! Schießen Sie was ab! Achtung: Beschleunige und drehe!«
»Augenblick, Bomben frei – jetzt sind Sie dran.«
WUMM.
WUMM.
WUMM.
Stille.
»Theoretisch klappt es einwandfrei«, sagte Tiny Pelz.
»Was?« erkundigte sich Franklin.
»Zum Ausgleich für Drehkraft Bomben exzentrisch abschießen. Klingt in der Theorie bestimmt ganz phantastisch.«
Auf den Bildschirmen war zu sehen, daß sie sich noch immer drehten, aber langsamer als zuvor. Die Michael bildeten den Mittelpunkt eines Ringes aus blendend grünen Lichtern… die allmählich nach hinten verschwanden.
»Wir sind durch, oder so gut wie«, sagte Jason. »Ihre Raketen können uns nicht treffen, und wir können ihnen auch nichts tun. Der Dampf, den wir verlieren – vielleicht ist die Kühlwirkung das einzige, was uns rettet.«
»Ohne Lagesteuerung sitzen wir in einem verdammten Riesenrad! Beschleunige. Achtung, Jason!«
»Bomben frei. Ziel angesprochen. Sie sind dran.«
WUMM.
»Versuchen Sie’s noch mal, Jason!«
»Verstanden.«
WUMM.
»Shuttles Drei und vier. Möglicherweise schaffen wir es nicht. Wir müssen das Mutterschiff mit irgendwas treffen. Ihr seid an der Reihe. Achtung!«
»Verstanden.«
»Max, sehen Sie zu, daß ich Stabilisierungsdüsen kriege!«
Harry hatte sein Visier bereits geschlossen.
Mit einem Lichtgriffel zeichnete Max Umrisse auf den Schirm. »Im Steuerbordsystem ist reichlich Druck, und wir haben funktionierende LageStabilisierungsdüsen an Steuerbord, in der Mitte, und hier und hier am Heck.« Der Griffel tanzte über eine schematische Zeichnung derMichael.
»Die Backborddüsen sehen auf den Bildern aus, als ob sie in Ordnung wären, wahrscheinlich sind sie aber nicht mehr druckfest. Auch die Elektronik taugt nicht mehr viel.«
Kein Wunder! Die Hälfte der Leitungen auf der Backbordseite ist zum Teufel!
»Wir müssen den funktionierenden Teil des Backbordsystems außer Betrieb setzen und dann Dampf von den Steuerbordgeneratoren in das verbleibende System leiten. Ohne die elektronische Ventilsteuerung bleibt uns nichts anderes übrig, als den Dampf von Hand Schritt für Schritt an die Düsen zu bringen.«
Harry lachte. Sein Bildschirm zeigte eine Leitung von neunzig Zentimetern lichter Weite, in der ein Abschnitt von etwa fünf Metern Länge fehlte. Dahinter gähnte ein Loch im Rumpf, ein sauberes Oval, dessen Rand sich nach außen wölbte. Sterne schienen herein.
Rohrs wies auf Harrys Anzeige. »Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder müssen warten, bis wir im Trockendock liegen. Sieh zu, daß du die verdammten Leitungen in Ordnung bringst, streng dein Köpfchen an! Flick, was du flicken kannst und sperr alles andere mit den Handventilen ab. Lambe, Donaldson, ihr kümmert euch um das Steuerbordsystem und prüft es. Stellt alles so ein, daß Dampf nach Backbord umgeleitet wird und haltet euch bereit. Wir brauchen Prüfdruck. Reddington, Franklin…«
Jetzt kommt es.
»Fangt mit dem großen Loch im Backbordsystem an und arbeitet euch langsam zu den Düsen vor. Es geht darum, die Backborddüsen mit Dampf von Steuerbord zu versorgen. Alles klar, Harry?«
»Alles klar.«
»Also los!«
Rumpelrumpel: Roy Culzer im Shuttle Vier, das einst den Namen Atlantis getragen hatte, spürte, wie sich die Fahrzeugnase löste. Der Haupttank war mit der Michael über die Halterungen verbunden, in denen sich in friedlicheren Zeiten Feststoffraketen für den Zusatzantrieb befunden hatten. Jetzt bestand eine Verbindung nur noch über das Heck, und die Atlantis ragte unter dem Überhang vom Dach der Michael empor.
Jay Hadley schaltete die Triebwerke ein. Blaue Flammen zuckten an der Flanke des Klotzes entlang. Die Heckhalterungen wurden gelöst, dieAtlantis war frei.
Der Himmel war ein heißes Grün.
»Achtung: Wir wenden.« Während des Abflugs beschrieb das Shuttle eine Kurve. Die Erde und die Michael lagen hinter ihr, die violettweiße Flamme des Hauptziels vor ihr. Vier, fünf grüne Leuchtpunkte sanken unter den Rand des Fensters. »Also los!« sagte Jay Hadley. »Wir verbraten erst mal den ganzen Treibstoff aus dem Haupttank, bevor uns der um die Ohren fliegt.«
Seit nahezu acht Stunden hatte die Michael unter direkter Sonneneinstrahlung operiert. Der Druck in den Haupttanks war bereits zu hoch und stieg noch immer. Da kann man nichts machen.
Shuttle Drei war schon nicht mehr zu sehen. Roy sah die gelbliche Flamme eines Kanonenschiffs, unmittelbar bevor es in einer Raketenexplosion verschwand.
»Achtung! Manöver.«
Roys Gleichgewichtsgefühl protestierte, während Jay das Shuttle drehte. »Was haben wir hier?«
»Raketen. Wir sind acht Sekundenkilometer schneller als die Rüßlerschiffe. Ihre Raketen sind nicht lenkbar. Wenn wir immer schön hin und her tänzeln, können sie uns nicht treffen.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.«
»Immer mit der Ruhe, Kumpel. Sag mir Bescheid, wenn du glaubst, was zu sehen, auf das zu feuern sich lohnt.«
»Mach ich.« Ihre eigenen Raketen lagerten im Hauptabteil, seine großen Luken waren geschlossen.
Der Ring aus grünen Lichtern blieb deutlich zurück. »Los, Schätzchen, los!« drängte Roy. »Vielleicht sollten wir den Laderaum doch öffnen.«
»Kommt nicht in Frage!« Die entsetzlichen grünen Lichter verblaßten. »Wir kommen mit unseren Raketen nicht an sie ran. Heben wir sie lieber für die Große Mutti auf. Wie lange dauert es, bis wir in Reichweite sind?«
»Vielleicht eine Stunde, wenn wir nicht getroffen und sie nicht schneller werden.« Roy gab Zahlen in den Bordcomputer ein. »Sieht mir ganz so aus, als ob sie alles losjagten, was sie haben.«
»Tun wir ja auch. Roy…«
»Ja?«
»General Gillespie meinte, die Michael würde es vielleicht nicht schaffen.«
»Hab ich gehört.«
»Dann hängt also alles an uns.«
»Nun, es gibt auch noch Shuttle Drei.«
»Hast du denn was von Big Jim gehört?«
»Nein.« Big Jim Farr. Gut einsneunzig, aber in den amtlichen Unterlagen fünf Zentimeter kleiner, damit er mitdurfte. Laurie Culzer bewohnte mit Jane Farr und fünf Kindern ein Haus in Port Angeles. »Glaubst du, daß es ihn erwischt hat, Joe?«
»Tun wir mal so, als gäbe es ihn nicht mehr.«
»Also nur noch wir.«
»Nur noch wir. Achtung! Manöver.«
Der gesamte Backbordaufbau war heiß.
»Röntgenstrahlung«, sagte Tiny Pelz. »Sie heizt auf, was sie nicht durchdringt. Das kann sie großartig.«
Harry zog Luftschläuche hinter sich her. Der Inhalt der Atemluftflaschen auf seinem Rücken reichte für eine Stunde, aber ohne Kühlung würde er nicht einmal die Stunde überstehen. Unbehaglich war es ihm schon jetzt. Die Luftleitungen absorbierten die Hitze.
Schweiß trat auf seine Stirn. Bewegte er sich, lief er ihm über Gesicht, Arme und Beine hinab. Rührte er sich nicht, kam er nicht vorwärts.
»SiebzehnTango ist zu«, berichtete Harry, »ich geh jetzt weiter. In diesem Abschnitt seh ich keine Unterbrechungen.«
»Wart mal ‘nen Augenblick! Ich schick probehalber Dampf rüber.«
»Verstanden.« Harry legte seinen Helm dicht an den Jeff Franklins und schaltete die Wechselsprechanlage ab. »Genau, was wir brauchen – noch mehr Hitze.«
»Ich hoffe nur, daß es hält – nee. Sieh mal!«
Ein dünnes Wölkchen kräuselte sich vor ihnen: Heißdampf, gut einen halben Meter von der Bruchstelle entfernt. »Leg die Umleitung tot«, sagte Harry. »Wir verlieren Druck.«
Gillespies Stimme meldete sich: »Sie konnten mir keinen größeren Gefallen tun, Reddington – gerade jetzt gewinne ich wieder die Gewalt über das Schiff zurück.«
»Dafür verlieren Sie Dampf.«
»Können Sie das in Ordnung bringen?«
»Klar, wenn Sie den Druck mindern!«
»Zehn Minuten.«
»Harry«, meldete sich Rohrs.
»Ich weiß ja, daß er es nicht so gemeint hat.«
»Harry, sieh dich vorne mal um! Wie ist es da?«
»Heiß!«
»Gut zu wissen.«
»Max, hat dir schon mal jemand gesagt, du solltest ein anderes Deodorant benutzen? Ich geh jetzt nach vorn.«
Es war nicht einfach, an dem austretenden Heißdampf vorbeizukommen. Harry machte einen so großen Satz, daß ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief, und wartete auf Jeff.
Das Schiff hob sich, dann noch einmal. Gillespies Stimme klang erregt. »Gott im Himmel! Wir drehen uns auf die Große Mama zu. Es klappt. Wir haben es fast geschafft… Jason!«
»Bereit!«
»Achtung! Beschleunige.« Harry griff haltsuchend nach einer Leiter.
WUMM.
WUMM.
Harry legte eine Blechtafel auf die Reparaturstelle und stemmte sich gegen das Schott, während Jeff Franklin eine Schweißraupe darüber zog. Metall glühte. Franklin war fast fertig.
»Achtung! Manöver.«
»Scheiße, eine Minute noch!« rief Harry aus.
»Achtung!«
Dampf trat dort aus, wo die Schweißnaht noch nicht fertig war. Die Michael drehte sich. Harry war schweißgebadet.
»Manöver beendet. Beschleunige. Achtung! Jason…«
»Ziel ist angesprochen. Für dich, liebste Mutti.«
»Beschleunige.«
WUMM.
WUMM.
»Achtung! Manöver…«
»Wie kann man es anstellen, aus dieser Klapsmühle rauszukommen?« fragte Harry.
»Bau Scheiße, bis sie dich nach Hause schicken.«
»Und wie komm ich dahin?«
»Achtung! Manöver. Beschleunige.«
»Ziel im Visier.«
WUMM.
»Hier spricht Turm Fünf. Wir haben ein Ziel. Bitten um Feuererlaubnis.«
»Raus damit!«
WUMM.
»Achtung! Manöver.«
Dampf entströmte dem Leck. Harry drückte einen Kuhfuß in das Schott und verkeilte das andere Ende mit der Reparaturplatte. »Hammer!« Er spürte ihn in der rechten Hand. Mit der linken suchte er festen Halt und ließ dann den Hammer auf den Kuhfuß sausen. »Erledigt. Ich geh jetzt weiter nach vorn.«
Die nächste Abteilung enthielt ein Lager mit Schweißausrüstung. KühlluftAuslässe führten dorthin. Harry prüfte den Luftdruck. »He, Jeff, kühle Luft.«
»Genau das Richtige.«
»Das kannst du laut sagen. Das Thermometer an meinem Anzug zeigt vierzig Grad.«
»Das ist nicht die Anzugtemperatur, sondern deine Körpertemperatur.«
»Ach, du dickes Ei!«
Dankbar zwängte sich Harry in eine Ecke, und Jeff Franklin gesellte sich zu ihm. Das Schiff beschleunigte weiter.
Franklin nahm Verbindung mit der Steuerzentrale auf. »Wir brauchen etwas Zeit. Die Hitze setzt uns sehr zu.«
»Einverstanden, zehn Minuten.«
»Das wird genügen.«
Die Kühle wirkte wunderbar, als sauge die Haut gutes Bier in sich auf. Luft strömte durch den Raumanzug. Harry wedelte mit Armen und Beinen, um ihren Durchzug zu beschleunigen.
Jetzt waren keine Kleinschiffe mehr zu sehen. Auf dem Bildschirm der Atlantis zeigte sich ausschließlich das Hauptziel – unverkennbar das Mutterschiff, gedrungen, wie in der Übertragung aus Kosmograd. Es zog einen speerförmigen Schweif weißvioletten Lichts hinter sich her. Die Triebwerksflamme drehte sich.
»Es versucht uns abzuschütteln«, freute sich Jay Hadley.
Mit einemmal verminderte sich der Schub des Shuttles. Roy fuhr hoch.
»Immer mit der Ruhe!« sagte Jay. Klongklong: der leere Haupttank löste sich. Lagesteuerungsdüsen setzten ein, und die Atlantis fiel zurück, bis das Mutterschiff hinter dem Haupttank verschwunden war.
»Jetzt haben wir sie. Sie können nicht schnell genug wenden. Wir sind auf Abfanggkurs und in Raketenreichweite. Laß uns abwarten, was passiert. Machst du jetzt den Laderaum auf?«
»Noch nicht. Mit offenen Luken sind wir zu verwundbar. Du weißt ja wohl, was sie mit uns anstellen, wenn wir in Reichweite sind.«
»Als ob sie das nicht längst machten. Ich hab schon Raketen gesehen, bevor ich gedreht hatte.«
»Tatsächlich?« Abfangkurs. Roy brachte es nicht einmal mehr fertig, ein Gefühl der Überraschung zu empfinden. Er will rammen.
Der Haupttank des Shuttle war inzwischen ein grüngeränderter schwarzer Schatten, der immer heller aufleuchtete. Die Große Mama hatte ihre eigenen Verteidigungseinrichtungen. Mit einemmal verschwand der Schatten in einem halben Dutzend gleichzeitig aufblitzender Flammen. Raketen hatten ihr Ziel gefunden, allerdings das falsche. Das Shuttle beschrieb eine Kurve, und Roy spürte förmlich, wie Bruchstücke des Tanks gegen den KeramikHitzeschild hämmerten. Für die Atlantis würde es keinen Wiedereintritt in die Erdatmosphäre geben.
Jay griff nach unten, um vom Boden aufragende Hebelarme zu betätigen. Sie stellten die Verbindung zu Ventilen auf der unteren Ebene her. Wasser, das beim Start Eis gewesen war, strömte aus Öffnungen in der Nase des Shuttles. Wasserdampf hüllte die Schuttwolke vor ihnen ein.
Vielleicht konnte sich die Atlantis dahinter tarnen… aber für die Große Mama gab es kein Versteck. Ihre Triebwerksflamme mußte auf der halben Erde zu sehen sein. Jay startete die EMUTriebwerke, die ihren Treibstoff aus dem eingebauten Tank des Shuttles bezogen.
»Sind wir noch immer auf Abfangkurs?«
»Ja.«
»Dann machen wir mal die Luke auf. Aber die Vögel lassen wir erst fliegen, wenn wir näher dran sind. Falls du alles richtig gemacht hast…«
»Die halten uns bestimmt längst für tot«, rief Jay lachend.
Das Thermometer zeigte Harrys Körpertemperatur mit neununddreißig Grad an. ‘n bißchen hab ich sie ja gedrückt, aber nicht genug.
»Da kommt was rein. Warten.«
Scheiße!
Die Michael erbebte.
»An Backbord vorn haben wir was abgekriegt«, sagte Gillespie. »Der Dampfdruck geht runter.«
»Läßt sich schwer steuern.«
»Etwas ist an Backbord vorn nicht in Ordnung.«
»Harry!«
»Ja, Max. Bin schon unterwegs. Jeff, an die Arbeit!«
Sie kamen nur langsam vorwärts. Je weiter sie nach vorn gelangten, desto wärmer wurde es. Überall ließen sich Schäden erkennen. Haltegriffe fehlten, die Wandungen hatten neue Löcher.
Das muß ja ordentlich gerummst haben. Die Panzerung der Michael bestand aus mehreren Schichten: Panzerstahl, Glasfasermatten, Panzerstahl, Schicht auf Schicht abwechselnd aus hartem und elastischem weichen Material. Was diese Wandungen durchschlagen wollte, mußte sich sehr schnell bewegen – und durfte nicht geschmolzen sein.
Etwas zupfte an Harry. Er sah sich um. Seine Luftschläuche waren straff gespannt. »Ich bin am Ende der Fahnenstange.«
»Max, wir kommen nicht weiter«, berichtete Jeff Franklin.
»Ihr müßt! Unmittelbar vor euch verlieren wir Druck.«
»Tja, so ist das – das mächtigste von Menschenhand gebaute Raumschiff gibt aus Mangel an Dampf den Geist auf.«
»Schön, ich seh mal nach«, sagte Harry und löste die Leitung. Jetzt war er auf den Luftvorrat in seinen Atemluftflaschen angewiesen.
Die Große Mama war ganz nah. Die Triebwerksflamme, der dunkle Zylinder an ihrer Spitze – das plötzliche grüne Aufblitzen, die GlühwürmchenLichtpunkte von Raketen, die aus vier Positionen an seiner Flanke kamen…
»Feuer!« sagte Roy.
»Ich warte noch.«
»Schön. Raketen eins bis fünf sind unterwegs. Ich spreche jetzt das Ziel für die nächste Gruppe an. Wir haben doch ein paar Minuten Zeit, nicht wahr?«
»Sagen wir zwei, bis die Raketen da sind.«
»Raketen sechs bis zehn, los!« Das grüne Licht war dunkler geworden. Die Laser der Großen Mama hatten interessante Ziele gefunden: die Raketen der Atlantis.
»… aber hier wird es immer wärmer. Hol’s der Teufel, lange machen wir es nicht mehr. Wie sieht es bei dir aus?«
»Ziel angesprochen, Raketen elf bis fünfzehn sind unterwegs. Das war’s. Dreh jetzt! Schnell!«
Triebwerke sprangen an. Die Atlantis wandte sich, die Unterseite der Großen Mama zugedreht. Erneut öffnete Roy die Ventile. Vielleicht bremste die Wasserdampfwolke eine Rakete oder verwirrte ihre Spatzenhirne hinlänglich.
Etwas drückte sie schlagartig in die Sitze. »Der Wiedereintritt in die Atmosphäre wird schwierig«, sagte Jay und lachte.
Das Shuttle schwankte: eine Explosion hämmerte gegen eine der Tragflächen. Jay stabilisierte das Schiff mit den Lagesteuerungsdüsen.
»Wenn ich doch nur was sehen könnte!« beschwerte sich Roy.
Außer Sternen und einem grünen Lichtschein war vor dem Fenster nichts zu erkennen. Der Hitzeschild kochte förmlich unter den Laserstrahlen der Großen Mama. »Sind wir immer noch im Ziel? Es würde mir sehr leid tun, nach alldem jetzt daneben zu schießen.«
»Die Große Mama ist ein riesiges Ziel«, sagte Jay. Viel mehr gab es wohl kaum zu sagen.
Die Backbordseite im Bug war ein einziges Chaos. Dampf entströmte geborstenen Leitungen und suchte sich seinen Weg durch den zerfetzten Rumpf nach draußen.
»Stellt den verdammten Dampf ab!« schrie Harry.
»Achtung! Manöver. Harry, wenn wir den Dampf an Backbord abstellen, kann ich nicht manövrieren.«
»Da kommt was. Achtung!«
Erneut erbebte die Michael.
Max Rohrs bewahrte die Ruhe, aber es klang, als koste es ihn Mühe. »Dampfdruck fällt. Wir versuchen, die SekundärWasserversorgung hinzuleiten.«
Was soll das, wenn wir das Leck nicht dichtkriegen? Harry sah sich um. Das Abteil vor ihm war ein dampferfüllter Trümmerhaufen. Er konnte die Wärmestrahlung durch sein Visier spüren. Wenn ich fix bin, kann ich vielleicht… »Jeff, ich geh schnell nach vorn und dreh das Ventil zu. Neun Alpha.«
Rohrs meldete sich, bevor Franklin antworten konnte. »Laß das sein, wenn du nicht Neun Bravo öffnen kannst. Wir brauchen den Dampfweg.«
Ach du Scheiße! »Verstanden! Wird gemacht.«
Er stieß in den wabernden Dampfnebel hinein. Die Haltegriffe fühlten sich selbst durch die Handschuhe heiß an. Da das Schiff manvörierte, war er nicht ganz schwerelos. Die Schwere allerdings war kaum spürbar. Er schob sich vorsichtig an schartigen Metallenden vorbei, die ihm Löcher in den Raumanzug reißen konnten.
Er erreichte das Handrad des Ventils. »Max!«
Nichts. »Ich glaube nicht, daß er dich hören kann«, sagte Jeff Franklin. »Harry, brauchst du Hilfe?«
»Hier ist nicht genug Platz für zwei. Sag Max, daß ich jetzt Neun Bravo aufmache!«
Das große Handrad ließ sich nicht drehen, und er hatte nichts, wogegen er sich stemmen konnte. Langsam. Vorsichtig. Überlegen. Er tastete mit beiden Füßen so vorsichtig nach Halt wie ein Alpinist in einer steilen Felswand. Schließlich hatte er festen Stand gefunden, den linken Fuß in einem großen Riß in einem der Schotts gekeilt.
»Nun dreh dich doch schon! Na also! Auf zu Neun Alpha.«
Er wagte nicht, auf die Temperaturanzeige an seinem Handgelenk zu schauen. Das Handrad für das Ventil lag ganz vorn. Davor gähnte ein Loch von mehr als einem Meter Durchmesser. Zwischen seinen glatten Rändern schimmerten Sterne herein.
Vor Harry trat ein Dampfstrahl aus.
»Jeff, sag, sie sollen einen Augenblick lang nicht beschleunigen. Ich muß springen.«
»In Ordnung. Kommandobrücke, hier spricht Franklin. Reddington braucht eine Minute lang ruhige Lage.«
Rauschen in Harrys Funkgerät. Dann Franklins Stimme. »Du kannst zwei Minuten haben, genau in vier Minuten von jetzt ab gerechnet.«
»Verstanden.« Hoffentlich lebe ich dann noch. Jeder Herzschlag dröhnte wie eine Baßtrommel in seinem Kopf. Langsam! Ruhig! Entspann dich! Das Entspannen verschlimmerte das Hämmern.
Draußen blitzte es. Schatten fielen durch das Loch im Rumpf.
Jeri. Melissa. Sie haben ihre Leichen nie gefunden. So, jetzt komme ich!
»Achtung, Harry. Noch zehn Sekunden. In Ordnung? – Jetzt.«
Harry sprang über den Spalt. Über ihm strömte Dampf aus.
Auf der anderen Seite war es kühler. Die Schwärze draußen schien Wärme in sich aufzusaugen. »Ich hab das Ventil. Ich drehe es. Mist! Ich muß mich abstützen.«
»Harry, können sie jetzt manövrieren?«
Er spürte die Dringlichkeit in Franklins Stimme. »In Ordnung.«
»Ich geb dir die Durchsagen weiter. Achtung! Beschleunigung.«
WUMM.
Hier den linken Fuß, da den rechten. Na bitte, jetzt drehen. Drehen! Er glitt aus. Scharfer Schmerz lief an seinem linken Unterschenkel empor. Ein kleines Dampfwölkchen drang aus dem Fußgelenk. Ist es in meinem Anzug so heiß? Erneut versuchte er, den Fuß aufzusetzen. Das ganze Universum schrumpfte auf das klemmende Handrad eines Dampfventils zusammen.
Das Dampfwölkchen hinter ihm war winzig, fast so klein wie das aus seinem Raumanzug.
»Du hast es, Harry. Jetzt hau ab, so schnell du kannst!«
»Ich komme.« Dreh dich, Miststück. Dreh dich! Sein Fuß schmerzte höllisch. Vor ihm lag die Schwärze des Weltraums, die Kühle. Wenn ich mich in das Loch keile, hab ich Hebelkraft. Er schob sich vor. Ein kurzer Blick nach draußen.
Das Mutterschiff befand sich weit voraus, immer noch zu weit, als daß man Einzelheiten hätte erkennen können; aber die Triebwerksflamme war jetzt ein Speer, kein Punkt mehr. Es hatte sich zur Seite gedreht, versuchte, ein möglichst kleines Ziel zu bilden, wollte wahrscheinlich einem der Shuttles entkommen. Harry sah den vertrauten dreieckigen Umriß, der sich vor der Helligkeit abzeichnete. Plötzlich barst nahe der Mitte Feuerschein aus dem Zylinder. Die Jungs haben das Mutterschiff gerammt, dachte Harry. Gut gemacht! Die Triebwerksflamme der Großen Mama wandte sich hierhin und dorthin, und mit einemmal ließ sich in dem Violettweiß ein hellerer Streifen erkennen. Er war gelborange. Die unruhige Flamme bewegte sich wieder geradeaus, aber jetzt durchzog den violettweißen Speer etwas Rötliches wie ein Freudenfeuer.
»Jeff!«
»Ja? Harry, verschwinde da!«
»Gleich. Jeff, sag dem Chef Bescheid. Shuttle Vier, die Atlantis, hat gerammt. Sie haben die Mutter beschädigt. Ich seh von hier aus, daß mit dem Triebwerk was nicht in Ordnung ist. Sie haben sie rangekriegt!«
»Harry, fehlt dir nichts? Verschwinde da unten!«
»Hurra! Sie haben gerammt und das Schiff beschädigt! Das Triebwerk hat was abgekriegt, jetzt packen wir sie. Irgendwas an ihrem Triebwerk stimmt nicht, man sieht es am Triebwerksstrahl. Die Aufschlagstelle ist ein richtiger Krater, und ich kann bestimmt vier Schichten tief reinsehen. Wir haben sie rangekriegt.«
»Ja…«
»Sag es Gillespie, zum Kuckuck!«
»Sag es ihm selbst! Komm, Harry!«
Harry leuchtete nach unten. Der kleine Dampfstrahl aus seinem linken Fußgelenk war rosa gefärbt. Noch für fünf Minuten Luft. Hier draußen war es kühl, der größte Teil seines Körpers befand sich außerhalb des Schiffsrumpfes. Seine Beine waren drinnen. Dort war es heiß. Und da hinein zurück?
Noch fünf Minuten. Drei oder vier dauert es, um da durchzukommen. Und es ist heiß… »Achtung! Manöver. Beschleunige.«
WUMM.
Da rein? Unter Beschleunigung?
Da rein? Unter Beschleunigung?
»Da kommt was. Harry, beeil dich!«
»Ich kann nicht, Jeff. Ich hab ein Leck im Anzug.«
»Harry! Ich hol dich…«
»Ach was! Wenn du auf ‘ne Tapferkeitsmedaille scharf bist, rette jemand anders.«
»Harry!«
»Da kommt was! Raketen.«
»Harry – ach, Scheiße! Achtung! Manöver.«
»Da kommen noch mehr Raketen«, rief Harry. »Sag Gillespie, daß wir sie erwischt haben. Sag es ihm!«
Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen; und der Drache stritt und seine Engel, und siegten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel.
Bisweilen meinte Jeri Wilson Erschütterungen zu hören – oder zu spüren –, aber meist war da nichts als die ständig zunehmende Beschleunigung, die etwa der Kraft der Erdanziehung entsprach. Niemand – jedenfalls kein Fi’ – hatte sich für den Lagerraum interessiert. Das Zeitempfinden war Jeri vollständig abhanden gekommen.
»Arwid, wir können nicht einfach hier rumsitzen und Däumchen drehen!«
»Und was sollen wir deiner Ansicht nach machen?«
Jeri warf ihm einen Zornesblick zu. »Was weiß ich? Du bist doch der Fachmann! Jedenfalls irgend etwas.«
Dmitri sagte in scharfem Ton etwas auf russisch.
»Dmitri möchte, daß du leiser bist«, übersetzte Arwid.
»Das ist auch so was. Wieso hat er das Kommando? Du bist klüger als er. Du verstehst was von Raumschiffen, er nicht.«
Sie spürte, wie sich Arwids Finger in ihre Schultern krallten. »Es war dein eigener Wunsch, mit uns zu kommen.«
Und du schickst mich weg? Aber er drohte nicht damit. Schlimmer als Drohungen. Er erinnert mich an Versprechen. »Wir könnten – wir könnten die Luftkanäle öffnen. Einen Weg zum luftleeren Raum finden. Weibchen und Kinder bedrohen.«
»Du dürstest ja richtig nach Blut«, sagte Arwid.
»Nein. Gewalt ist mir zuwider. Aber wir müssen doch was tun. Wir brauchen sie ja nicht gleich umzubringen, es genügt schon zu zeigen, daß wir es könnten. Vielleicht ergeben sie sich ja, wenn sie merken, daß sie nicht nur von dem Schiff da draußen angegriffen werden, sondern auch von uns.«
Dmitri brummte etwas auf russisch.
»Sag es ihr selbst!« forderte Arwid ihn auf.
»Der Plan ist zum Scheitern verurteilt«, sagte Dmitri.
»Warum?«
»Weil wir nicht alle Weibchen und Jungtiere bedrohen können «, erläuterte Dmitri. »Ohne Atomwaffen sind wir nicht in der Lage, alles hier an Bord des Schiffs zu bedrohen. Warum sollten sie sich also ergeben?«
»Aber…«
»Wir würden uns schließlich auch nicht ergeben«, fuhr Dmitri fort. »Nicht mal Genosse Rogatschow. Warum dann die Außerirdischen?«
Jeri kauerte sich in ihre Ecke.
»Wir warten«, sagte er. »Irgendwann wird sich uns eine Gelegenheit bieten, und die dürfen wir nicht verpassen.«
»Und wenn sie nie kommt?« fragte Jeri tonlos.
Das Schiff erdröhnte wie eine riesige Bronzeglocke. Die Wand schlug ihnen entgegen.
Thaktan Flishithy erschauerte unter dem Aufprall.
Alice erhob sich mühsam vom Boden des Luftschachts. Sie hatte am ganzen Körper Prellungen. Vor ihren Augen tanzten bunte Flecken. Ein Pfeifen und Kreischen hallte durch die Kanäle. Die Schwerkraft ging gegen Null, baute sich dann erneut auf.
Was, zum Teufel, war das?
Das Kreischen erstarb, oder Alice wurde taub. Sie schob sich an das nächste Lüftungsgitter heran.
Da draußen in dem großen Raum war ein Scheusal: ein bewaffneter Rüßler trieb benommen und willenlos dahin. Ohne lange zu überlegen, löste Alice mit fliegenden Händen die Flügelmuttern und zwängte sich durch die Öffnung. Noch immer traf das Scheusal keine Anstalten, sich festzuhalten. Alice stieß sich ab, auf den Rüßler zu.
Der kaum spürbare Aufprall eines Menschenleibes weckte ihn nicht auf.
Alice zog ihm das Gewehr aus dem Holster. Der Kolben war kurz und sehr breit. Der Abzug lag in der Mitte… Wo nur der Sicherungshebel war? Mußte die Waffe gespannt werden?
Tentakeln wickelten sich um sie und zerrten.
Aufkreischend drückte sie den Lauf gegen das Fleisch und zog durch.
Das Gewehr flog quer durch den Raum. Der Rüßler bewegte sich in die Gegenrichtung, drehte sich langsam und versprühte dabei eine Wolke dunkelroten Blutes. Alice sprang der Waffe nach. Das verdammte Ding hätte mich umgebracht, wenn ich es an die Schulter gelegt hätte. Beim nächstenmal gegen eine Wand oder so was halten. Muß links schießen. Ihr rechter Arm hing kraftlos herab. Er begann zu schmerzen.
Alice bemerkte den geneigten Kanal erst, als der zweite Rüßler wie eine Bombe aus ihm hervorschoß. Am Geschirr erkannte sie, daß es ein Weibchen war. Es sah die Waffe auf sich gerichtet, die Erdlingin dahinter.
An Flucht war für Alice nicht einmal zu denken, da die Wände nicht in Reichweite waren. Das Fi’ ergriff die Waffe, schleuderte sie hinter sich und packte Alice. Der feste Griff der Tentakeln sandte einen sengenden Schmerz durch ihre Hand und ihren Arm. Alice kreischte auf und fiel in Ohnmacht.
Der Aufprall hatte Jeri benommen gemacht. Aber es war nicht nur Benommenheit. Sie trieb fast frei, suchte verzweifelt nach einem Halt und ergriff ein Stück Wandbespannung. Irgendwo trat Luft aus: Thaktan Flishithy schrie auf wie ein weidwunder Dinosaurier.
Arwid, der bereits festen Halt hatte, ergriff Jeris Hand.
Nikolai rief etwas auf russisch. Dmitri antwortete ihm.
»Die Amerikaner kommen!« sagte Jeri.
»Ja«, sagte Dmitri. »Etwas hat das Schiff beschädigt. Es kann nur von dem amerikanischen Raumschiff gekommen sein, das man dem Genossen Rogatschow gezeigt hat.«
Nikolai sprach erneut sehr rasch auf russisch.
»Er hat recht!« sagte Arwid. »Dmitri, er hat recht.«
»Ja.«
»Recht womit?« wollte Jeri wissen.
»Der Antrieb des Schiffs ist beschädigt«, sagte Arwid. »Man spürt es. Der Andruck ist jetzt sehr viel geringer. Er hat sich vermindert und dann wieder aufgebaut, aber den ursprünglichen Wert bisher nicht erreicht. Nehmen wir an, das Triebwerk ist beschädigt und die Amerikaner verfolgen das Schiff. Dann werden sich die Außerirdischen bemühen, ihr Triebwerk zu reparieren.«
»Rogatschow!« Dmitri schwang die Beutepistole in der Luft und rief etwas, das wie ein Befehl klang.
»Da, towarischtsch. Jeri, wir müssen diese Reparatur verhindern. Nikolai führt uns zur Steuerzentrale des Maschinenraums. Wir werden versuchen, sie zu zerstören.« Rogatschow nahm seine Pistole heraus, inspizierte sie und schob sie befriedigt in den Hosenbund.
Nikolai befand sich bereits im Luftschacht. Dmitri winkte heftig. Arwid schob sich dem Schacht zu.
»Jeri, du folgst mir!« sagte er. »Los!«
Von mir aus. Jeri Wilson, die bekannte Amazone, mit der ganzen Wucht ihrer fünfundfünfzig Kilo. Die Russen hatten Raumanzüge, sie nicht.Vielleicht sollte ich mir das noch mal überlegen?
FithpKrieger flogen auf der Kommandobrücke durcheinander. Wes Dawson schlug haltsuchend um sich und krallte sich schließlich in das Geschirr eines Fi’s.
Es reagierte, indem es seine Grifflinge erdrückend fest um ihn wickelte. »War die Waffe, die du gesehen hast, ferngesteuert?« fragte es erregt.
Wes hatte in der letzten Minute vor dem Aufprall auf den Bildschirmen und auch durch das Fenster zugesehen. »Meine Fithp ist gekommen, um bei euch anzuklopfen«, sagte er.
»Ich bin der Herr der Verteidigung, Tantarentfid, und bestehe auf einer Antwort. Ich habe ein Recht darauf! Sind eure automatischen Fahrzeuge so manövrierfähig? Es ist unseren Geschützen entkommen.«
Dawson grinste in die Augen, die so groß waren wie Apfelsinen. »Es war ein ganz gewöhnliches Shuttle. Gesteuert von Männern! Wir haben euch gerammt.«
»Sie haben dabei ihr Leben eingebüßt! Seid ihr denn alle Einzelgänger?«
»Warum fragst du mich? Frag deinen Umerzieher!«
Das Fi’ schleuderte ihn beiseite. Er kam auf die Beine und krallte sich haltsuchend in eine Wandbespannung. Diesmal war keine Warnung gekommen! Wir haben ihnen tatsächlich Schaden zugefügt!
Der Korb hatte ein Loch, und die Bienen waren in heller Aufregung.
Ein Krieger war aufbrüllend quer durch den Raum gerollt, hatte durch den Anprall das Gehäuse eines Computerterminals beschädigt, selbst aber noch mehr abbekommen. Er wurde ärztlich versorgt. Die anderen hielten Dawson jetzt wieder fest.
»Herr der Herde, ich habe unseren Schub wieder auf fünf Achtel der Schwerkraft gesteigert, aber fünfhundertzwölf Atemzüge dieser Belastung werden den Antrieb ruinieren. Wir müssen reparieren.«
»Mehr Zeit bleibt uns nicht?«
Tantarentfid sagte etwas in sein Mikrofon und horchte auf die Antwort. »Herr der Herde, für einen längeren Zeitraum kann ich nicht geradestehen.«
Nachdem wir den ganzen Weg von der Heimatwelt hergekommen sind, nun das. Das Raumschiff der Angreifer zielte unmittelbar auf sie. Es glühte fortwährend, bei jedem Aufglühen gingen Gammastrahlenlaser durch Rumpf, Wände, Fleisch und Knochen. Winzige Raumfahrzeuge waren vom Feind ausgeschwärmt und schleuderten jetzt Raketen, um Thaktan Flishithy zu zertrampeln. Kleinraketen sprangen aus dessen Rumpf, um die Angreifer abzufangen. Das Schiff kommt näher.
»Dawson! Werden sie uns zertrampeln, wie es das Shuttle getan hat?«
»Herr der Herde, mein Volk tut, was es kann, um euch auszulöschen. Das ist die Vergeltung für den FUSS.«
Es überrascht mich nicht. Das hätte er auf jeden Fall gesagt, um seine Position für die Verhandlungen zu festigen. »Herr der Verteidigung.«
»Leitet mich.«
»Stärksten Schub beibehalten!«
Einen Augenblick lang zögerte Tantarentfid. »Wie Ihr befehlt.«
»Takpassihjämp.«
»Leitet mich.«
»Du hilfst! Wir müssen Botschaften an…« er hatte Schwierigkeiten mit dem ungewohnten Namen – »an die Vereinigten Staaten von Amerika schicken. Dawson hilft dabei.«
Erdlinge in Afrika hatten ihnen sechs mögliche Orte genannt, an denen sich die überlebende Regierung dieser Fithp aufhalten konnte. Sie alle würden das Ziel enggebündelter Strahlen werden. Jetzt muß ich wissen, was ich sagen soll.
Der Herr der Herde schaltete auf einen anderen Kanal. Er hätte sich über den Gang beugen und mit Takpassihjämp sprechen können, aber er wollte nicht, daß Dawson mithörte. Es hatte sich gezeigt, daß es auf die Gedanken dieses ErdlingEinzelgängers ankam.
»UmerzieherZwei, hast du schon einen – du weißt schon, was – vorbereitet?«
»Zwei Fassungen eines ausgehandelten Ansehensverlustes, Herr der Herde. Es tut mir leid, daß Ihr danach fragen müßt. Hier, Kanal 46.«
Der Herr der Herde las. Ich muß. Wir können diesem seltsamen Ding nicht entfliehen. Vielleicht zerstören wir es, wenn es näher kommt, aber es wird trotzdem Feuer und Gammastrahlen auf uns schleudern. Unsere Gefährtinnen und Kinder sind Geiseln, und was UmerzieherZwei vorschlägt, ist annehmbar. Die Abtrünnigen wird es freuen… »Bleibt auf diesem Kanal.« Er bedeutete dem Krieger mit einer Bewegung eines Grifflings, den Erdling näher zu ihm zu führen.
»Wes Dawson, ich möchte über einen Ansehensverlust verhandeln.«
»Ich verstehe nicht.«
»Takpassihjämp?«
»Der Herr der Herde bietet die Kapitulation an, sofern gewisse Bedingungen akzeptiert werden.«
Dawson stieß die Luft aus. »Sprich weiter!« sagte er.
»Ihr behaltet Winterheim – also die Erde. Wir behalten das Sonnensystem.«
»Warum bietet ihr das jetzt an?«
»Du siehst die Bildschirme. Euer Schiff nähert sich. Es kann uns schaden. Ich möchte den Schaden vermeiden – aber, Dawson, deine Fithp hat kein weiteres Schiff, sonst hätten sie es zusammen mit diesem geschickt. Zerstören kann es uns nicht, sondern uns lediglich schaden, unsere Weiber und Kinder töten. Das möchte ich gern verhindern.«
»Ich bitte mir Bedenkzeit aus.«
Dawsons Blick ging zu den Bildschirmen. Der Rumpf der Bote war aufgerissen, die Ränder des Lochs glühten noch rot und orangefarben. Plasma, so heiß wie die Sonne, mußte die Gänge entlang gewirbelt sein. Vor dem dunklen Hintergrund von Winterheim pulsierte ein Licht. Kleinere Flammen näherten sich und leuchteten grün.
Die Bote erdröhnte unter einer weiteren Explosion. Raketen, die gegen den Rumpf schlugen, prallten so gedämpft auf, daß man es kaum hörte. Detonierte aber eine Rakete in der von der Raumfähre gerissenen Öffnung, kamen Schwingungen von überallher, und es klang wie ein zerfetztes Banjo.
»Dawson, entweder handelst du jetzt oder überhaupt nicht!«
»Ich schicke eure Botschaft nicht.«
Ein Nachrichtencomputer meldete sich summend. Pastempih keph gebot dem Umerzieher mit einer Handbewegung zu antworten. »Dawson, es ist genau das, was du Fathistihtalk angeboten hast! Wir verlassen Afrika, die ganze TshtaptiskFithp mit allen Angehörigen der ErdlingsFithp, die sich uns anzuschließen wünschen. Wir folgen den Pfaden, die wir beide kennen, ernten die Reichtümer des Weltraums, tauschen Metalle gegen eure landwirtschaftlichen Produkte und…«
Dawson fiel ihm ins Wort. »Ich sehe jetzt, daß Fathistihtalk mich richtig verstanden hatte. Ich möchte das Sonnensystem für mich allein. Sollte ich verrückt sein, hast du dir das teilweise selbst zuzuschreiben.«
»Das bist du in der Tat. Wenn wir den Eindringling zerstört haben, werden wir eurem Planeten vernichtende Schläge zufügen. Das Schiff haben die Erdlinge unter dem Zeichen des Friedens erbaut. Dies Zeichen werden wir nie wieder anerkennen und jeden Ort zertrampeln, an dem es je benutzt worden ist, sei er groß oder klein.«
Dawson schwieg.
Das hatte ich mir schon gedacht.
Takpassihjämp hatte das Gespräch beendet. Er sah selbstzufrieden drein. Es ist sein Thaktan. Er verdient eine letzte Chance. »UmerzieherZwei, sprich noch einmal mit diesem Einzelgänger!«
Takpassihjämp wandte sich um. »Dawson! Wir haben deine Gefährtin gefangen. Peikartänk, die Gehilfin des Priesters, hat sie gefunden, als sie aus einem Luftschacht kam.«
»Meine Gefährtin ist auf der Erde«, sagte Dawson.
»Das stimmt nicht. Wir wissen, daß sie deine Gefährtin ist, denn wir haben gesehen, wie ihr euch in den Schächten gepaart habt.«
Dawson errötete. »Na und? Auch wir haben gesehen, wie ihr euch in euren Räumen gepaart habt.«
»Wir reden nicht zu unserem Vergnügen miteinander, Dawson! Du behauptest, ein Einzelgänger zu sein, hast aber eine Gefährtin. Die Gefährtin eines Fi’ ist für ihn verantwortlich! Mit deiner Verstellung ist es vorbei.«
»Zum Teufel! Wenn wir gewußt hätten… Augenblick. Ihr habt Alice gefangen?«
Der Herr der Herde war außer sich vor Wut. »Ich würde dich sofort töten, Dawson, wärest du nicht der Vertreter deiner Fithp im Rate. Willst du nun unsere Bedingungen bekanntgeben oder – ja, UmerzieherZwei?«
»Gewiß hat euer Präsident das Recht, ein solches Angebot wenigstens zu hören.«
Dawson schwieg.
Ich habe ihn!
»Daran ist doch etwas Wahres«, sagte Dawson schließlich.
»Wir werden deine Welt zufrieden lassen, damit sie sich von ihren Wunden erholt«, setzte der Herr der Herde nach. Er hatte nicht wirklich geglaubt, daß der Plan gelingen würde. Ein durch Verhandlungen herbeigeführter Verlust des Ansehens! »Niemand von uns wird auf der Erde sein, aber es wird Erdlinge in unserer Fithp geben. Gewiß können eure Fithp und unsere nebeneinander leben«, fuhr er fort, ohne auch nur ein Wort von dem zu glauben, was er da sagte. »Erdlinge werden auf unseren Schiffen mitreisen. Von uns werdet ihr schließlich lernen, selbst solche Schiffe zu bauen.« Doch eine VerliererFithp wurde von der des Gewinners aufgenommen. Es war nie anders gewesen.
Dawsons Einwand zeigte, daß er ganz anderer Ansicht war. »Wir sollen euch abziehen lassen, was? Damit ihr auf dem Saturn euer Schiff reparieren könnt? Und dann?«
»Dann… ich verstehe nicht. UmerzieherZwei?«
Takpassihjämp sagte: »Wir sehen deine Schwierigkeit nicht.«
»Was hindert euch daran, mit einem weiteren FUSS zurückzukommen?«
»Unsere Unterwerfung, begriffsstutziger Einzelgänger!«
»Wollt ihr damit sagen, daß ein vereinbarter…« Dawson verstummte.
Was hat er jetzt wieder? Aha. Sein rothaariges Weibchen. In Peikartänks Grifflingen wirkte Alice, die gerade in dem Augenblick auf die Brücke gebracht wurde, besonders zerbrechlich. Sie ist verletzt, ihr rechter Vorderlauf hängt lose herunter. Sie verzog vor Schmerzen das Gesicht.
»Wes! Die Russen laufen frei im Schiff herum! Ich habe einen Rüßler umgebracht!«
»Gut! Alice, wir packen sie. Der Leitbulle möchte, daß ich Übergabebedingungen an die Erde weitergebe. Leider können wir ihnen nicht trauen.«
Alice sah von Dawson zu den Bildschirmen hin.
Ein Weibchen. Wir wissen zuwenig. Wird sie ihn beruhigen können? Wie wird sie ihm raten? War es vielleicht ein Fehler, sie herzubringen?
Der Herr der Herde hörte zu, während Dawson Alice die Lage erläuterte. Ihrem Gesicht konnte er nichts entnehmen, wohl aber die blutrünstige Wonne deuten, die sie beim Anblick des sich nähernden, blitzenden Eindringlings empfand. Als Dawson zu Ende gesprochen hatte, sagte sie: »Die kommen bestimmt wieder!«
»Das glaub ich auch. Herr der Herde, Takpassih, soll euer ›vereinbarter Verlust des Ansehens‹ dasselbe sein wie eine Kapitulation?«
Der Herr der Herde überließ es Takpassihjämp zu antworten: »Unsere Unterwerfung gilt auf immer. So gut kennst du uns.«
»Niemand hat mir eine Unterwerfung angeboten«, sagte Dawson.
»Was verlangst du?« Doch der Herr der Herde wußte die Antwort und trompetete jetzt schmerzvoll auf. »Willst du meine Brust unter deinem Fuß? Das nie!«
Alle Fi’ in Hörweite sahen neugierig her. »Auf eure Posten, kämpft!« trompetete er. »Noch ist diese Schlacht nicht zu Ende! Wir verschwenden nur Zeit. Tötet den Feind! Schickt eine Mitteilung an den Stützpunkt auf dem Mond! Zertrampelt den Planeten, bis sich seine Führer auf den Rücken legen! Dawson, wir töten nie ohne Grund. Du hast uns mehr als genug Grund dazu gegeben!«
»Wartet noch einen Augenblick!«
»Wenn wir warten, wird uns das Schiff Schaden zufügen. Sobald es nahe genug ist, zerstören wir es. Dann gibt es nichts mehr zu verhandeln. Sprich mit eurem Präsidenten oder kehre in deinen Pferch zurück!«
»Dein Angebot ist nicht annehmbar!«
»Es war mein letztes Wort. Wähle!«
Aber das ErdlingsWeibchen verdarb alles. »Wes! Sieh nur!«
»Großer Gott!«
Dawson und Alice sahen wie gebannt am Herrn der Herde vorbei. Er wandte sich um…
Vier Bildschirme zeigten vier verschiedene Ansichten der Maschinenzentrale. Ihr Boden war förmlich mit Blut bedeckt, und in der Luft hing rötlicher Dunst. Neun Leichen lagen zerfetzt am Boden, als hätten Raubtiere sie gerissen: acht FithpKrieger und der beinlose Russe in seinem merkwürdigen Raumanzug ohne Beinlinge. Die übrigen drei Erdlinge zerstörten, was sich zerstören ließ.
Wes war hin und her gerissen.
Mit seiner Behauptung, daß es Coffeys Thaktan war, hatte der Leitbulle vollständig recht. Aber Coffey würde das Angebot annehmen und das Sonnensystem hergeben!
Dawson stand nun im Begriff, die Erde preiszugeben. Konnte diese eigenartige Konstruktion die Bote zerstören? Oder kam sie nur in dessen Nähe, um selbst zerstört zu werden? Würden sich die Fithp an die Bedingungen einer Kapitulation halten? Wir haben ihnen diese Art der Unterwerfung beigebracht. Haben sie auch von uns gelernt, wie man sein Wort bricht?
»Wes! Sieh nur!«
Die Worte ›nicht jetzt, verdammt noch mal‹ blieben ihm in der Kehle stecken.
Noch nie zuvor hatte er den Raum gesehen, aber es sah ganz nach der Steuerzentrale des Maschinenraums aus. Bildschirme, Anzeigegeräte, Tastaturen mit Tasten von der Größe einer Kinderfaust, FithpLeichen und Blut, erstaunlich rot, es sah aus, als habe ein Wahnsinniger eine Bombe in eine Blutbank geworfen. Nikolai war tot, Anzug und Mann waren von den großkalibrigen Kugeln der Fithp buchstäblich in Fetzen gerissen.
Arwid trug einen Raumanzug. Unter dem offenen Visier grinste er ein wildes Kosakengrinsen, mit dem er jedem Kind Angst hätte einjagen können. Er drückte ein FithpGewehr gegen eine Steuerkonsole und feuerte wahllos auf verschiedene Schalttafeln.
Dmitri ging hierhin und dorthin, besah sich alles voller Neugier, blieb dann an einer Konsole stehen und hebelte ihren Deckel mit einer Art Brechstange auf und begann Leitungen herauszureißen.
Arwid, dessen Waffe leergefeuert war, verzog das Gesicht und lächelte dann breit in die Kamera.
Jeri Wilson betrachtete die Szene nachdenklich. Sie stieg auf eine Konsole, um nahe an eine der Kameras heranzukommen. Sie rief, aber man sah nur, daß sich ihr Mund öffnete und schloß.
»Ton!« forderte der Herr der Verteidigung.
»Nein«, gebot der Herr der Herde. »Dawson, wie lautet deine Antwort?«
Was befürchtete der Herr der Herde? Daß Dawson etwas hören konnte? Es spielte keine Rolle. Wes grinste das Fi’ herausfordernd an. »Sie waren in den Schächten, nicht wahr? Und dort werden sie bleiben und durch eure LuftzuführungsLeitungen ziehen. In Thaktan Flishithy gähnt ein riesiges Loch, nicht wahr? Vielleicht können sie noch mehr Löcher aufreißen. Euer Tod kommt aus dem Lebenserhaltungssystem!«
Der Herr der Herde sagte: »Dawson. Wir verlassen Afrika, wir verlassen eure Erde. Ihr sollt euer Sonnensystem haben. Wir fliegen zu einem anderen Stern.«
»Das könnt ihr nicht.«
»Selbstverständlich, wenn wir Zeit haben und ihr uns helft. Wir werden die Bote auftanken und ein neues Siskjisspath bauen. Ihr werdet uns helfen. Wenn wir euer Sonnensystem verlassen haben, habt ihr euer eigenes Siskjisspath.«
»Ich verstehe das Wort nicht.«
»Das Siskjisspath ist die Einrichtung, mit deren Hilfe wir aus der Heimatwelt zum Saturn gelangt sind. Es nimmt Energie vom Haupttriebwerk auf und benutzt sie dazu, gegen interstellare Materie zu drücken. Es wird eure Tür sein, nicht zu den eigenen Planeten, sondern zu den Welten anderer Sterne. Dawson, was glaubst du, warum wir es abgeworfen haben?«
Dawson sah ausdruckslos vor sich hin und brachte dann seine Lippen dazu zu formulieren: »Es war zu klobig. Ihr hättet damit Saturn nicht erreichen können.«
»Nein. Wir mußten mit der Möglichkeit rechnen, daß ihr stärker wart als die Ziehende Herde. Wir sind gekommen, um zu siegen oder uns zu unterwerfen. Für den zweiten Fall konnten wir das Siskjisspath als VerhandlungsUnterpfand einsetzen. Wir haben es zerschellen lassen, damit ihr es nicht näher untersuchen und nachbauen könnt.«
»Das hatte ich falsch verstanden. Auf diesen Gedanken wäre ich nie und nimmer gekommen. Aber ihr habt Bänder von Thaktanthp.«
»Wir haben den Podo Thaktan, Einzelgänger! Das ist der Siskjisspath. Die Halterungen des Podo Thaktan sind explosiv. Um euren Stern zu verlassen, brauchen wir einen neuen Siskjisspath, und den müßt ihr mit uns zusammen bauen. Wenn wir fort sind, werdet ihr wissen, wie ihr für euch einen bauen könnt. Dawson, ich weiß, daß du mehr willst als die Planeten. Nimm unseren vereinbarten Ansehensverlust, oder du wirst deinen Stern nie verlassen.«
»Wes, er ist verrückt! In zehn Jahren haben wir es sowieso! Sobald wir wissen, daß etwas möglich ist – Denk an die ABombe: kaum wußte man,daß sie gebaut werden konnte, haben sich alle daran gemacht, eine zu bauen…«
Die Bildschirme flackerten. Man sah Dmitri zurückfahren. Einer seiner Füße fehlte plötzlich. In den Wänden waren Löcher. Die Erdlinge drängten sich in einer Ecke zusammen. Jeri Wilson fuhr fort, lautlos in die Kamera zu schreien.
Unerheblich! Alles unerheblich!
Der Herr der Herde sagte: »Die Vorlinge haben das Siskjisspath entwickelt. Es hat mehr als acht hoch zwei Umläufe der Winterheimsonne gedauert – wie sagst du dazu? Jahre. Die ErdlingsFithp ist eine Herde, die von ihren eigenen Einzelgängern belagert wird! Ihr werdet keine vierundsechzig Jahre überdauern! Diese Schlacht können wir immer noch gewinnen, Dawson.«
Alice rüttelte an seinem Arm. »Wes, es wird sich immer wiederholen. Sie kommen bestimmt wieder!«
Ich wollte Präsident werden! Warum? »Alice, falls sie gewinnen – können sie das überhaupt?«
Langsam löste sich ihr Griff. »Ich weiß nicht.«
»Ich auch nicht.« Das kann ich nicht entscheiden. »Gebt mir das Mikrofon! Ich spreche mit dem Präsidenten.«
Ein gegebenes Versprechen ist eine unbezahlte Schuld.
Seit mehr als einer Stunde hatte sich auf den Bildschirmen nichts geändert.
General Toland setzte die Kaffeetasse ab. »Wie viele Rüßler braucht man, um eine Glühlampe auszuwechseln?«
Der Präsident legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Keinen. Sie haben die Fackeln erfunden.«
»Nein, sondern…«
»Ich hab was«, sagte Jenny.
»Gimlet, hier Michael.«
Sie leben!
Im unteren Geschoß jubelten alle laut.
»Michael, hier Gimlet. Keine neuen Befehle. Gebt Nachricht, wenn ihr könnt!«
»Gimlet, hier Michael. Wir haben das feindliche Mutterschiff schwer beschädigt, sind allerdings selbst auch mächtig in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Hälfte unserer Besatzung ist ausgefallen. Der Feind flieht. Wir setzen die Verfolgung fort. Auf Empfang bleiben, wir senden digitale Daten.«
Ein Bild tauchte auf dem Lageschirm unten auf: Die Michael mit zerschmetterter Backbordseite. Eine der BüschelbombenHalterungen war verschwunden, und der Antriebsturm auf der Backbordseite war verbeult und durchlöchert.
»Großer Gott!« murmelte General Toland.
Kein Wunder, daß Ed so müde klingt.
Weitere Daten kamen. Ein unscharfes Bild des feindlichen Raumschiffs mit einem gähnenden Loch im Rumpf.
»Geschätzte Zeit bis zum Abfangen eine Stunde«, sagte Gillespie. »Jenny, bist du das?«
»Michael, hier spricht Gimlet. Colonel Crichton auf Sendung.«
»Jenny, sag Linda, daß ich sie liebe.«
Jenny warf rasch einen Blick auf die Schirme im Raum unter ihr. Die Bilder auf ihnen änderten sich fortwährend, je nachdem, was der Bordcomputer der Michael ausspie. Sie haben nicht mehr genug Bomben zum Bremsen für den Wiedereintritt in die Atmosphäre. Ein Zurück gibt es für sie nicht.
»Admiral, meinen Sie, ich sollte etwas sagen?« fragte Präsident Coffey.
»Der Politiker sind Sie, Mr. President.«
»Schon. Nun ja, Colonel, sagen Sie ihm… – ach was, schalten Sie mich auf!«
»Sir. Michael, bleiben Sie auf Empfang für Nummer Eins.«
»General, hier spricht David Coffey. Ich werde Ihre Mitteilung an Ihre Gattin weiterleiten. Sonst noch etwas?«
»Postume Ehrungen für Zivilisten. Ich schlage zur Freiheitsmedaille vor: Dr. Arthur Grace Pelz, Mr. Samuel Cohen und Mr. Harry Reddington. Angehörige der Streitkräfte – Entschuldigung, ich schalte auf automatische digitale Datenübertragung. Hier ist gerade ziemlich dicke Luft.«
»Gott mit Ihnen, General.«
»Die Michael unterbricht den Kontakt.«
Im Lageraum sah man auf den Bildschirmen das schwer mitgenommene Raumschiff Michael. Bomben detonierten um sein Heck, während es beschleunigte.
Ein weiterer Bildschirm zeigte eine von bunten Punkten umgebene winzige Erde. Aus den Punkten stießen Pfeile hervor – Geschwindigkeitsvektoren. Die Marine würde eine ganz neue Art des Kartenlesens lernen müssen, falls das jemals allgemein eingeführt würde. Der außerirdische Eindringling war ein großer roter Speer; die Michael, blau, verfolgte ihn hartnäckig,; beide Vektoren wiesen von der Erde fort. Der Vektor der Michael war länger. Sie würden binnen einer Stunde aufeinandertreffen.
Die Kleinschiffe der Außerirdischen waren als orangefarbene Flecken zu erkennen. Die meisten schwärmten in Erdnähe umher, einige befanden sich weiter oben, Zehntausende von Kilometern entfernt. Ihre Pfeile wiesen ebenfalls auf den Ort der Auseinandersetzung.
Admiral Carrell betrachtete lange den Bildschirm. »Die Kleinschiffe stellen keine Bedrohung dar. Bis die da ankommen, ist alles vorbei.«
»Ob er rammt?« fragte General Toland.
»Zurück kann er nicht«, sagte Admiral Carrell.
»… Sir. Hier kommt etwas herein…«
»Gimlet, hier Harpune. Hier kommt eine Mitteilung über die Frequenz herein, auf der die Außerirdischen den Präsidenten schon einmal angefunkt haben. Auch diese Botschaft ist für ihn bestimmt.«
»Aha, Friedensangebote!« sagte General Toland.
»Geben Sie her!« gebot David Coffey.
»Sagen Sie den Leuten vom Krisenstab, sie sollen zuhören«, befahl Admiral Carrell.
»Harpune, schalten Sie sie auf! Halten Sie sich bereit, Antworten zu senden!«
»Verstanden. Halte mich bereit.«
»Mr. President, Mr. President. Hier spricht Wes Dawson. Bitte kommen, Mr. President. President Coffey, hier spricht Wes Dawson.«
»Kongreßabgeordneter Dawson, hier spricht Präsident David Coffey. Können Sie mich hören?«
»Mr. President, hier spricht Dawson. Ich höre Sie. Ich habe Auftrag vom Herrn der Herde, über die Bedingungen einer Übergabe zu verhandeln.«
Jenny kannte die Stimme. Es schien Wes recht gut zu gehen. Im Untergeschoß konnte sie Carlotta Dawson lächeln sehen.
»Wenn die von Übergabe reden«, murmelte Toland, »müssen wir ihnen ja mächtig auf die Zehen getreten sein.«
Admiral Carrell machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Wie sehen die Bedingungen aus?« wollte der Präsident wissen.
»Das ist genau das Problem. Wir sollen den Angriff abbrechen. Der Feind, also die Ziehende Herde, wird die Erde sofort räumen. Das Sonnensystem werden sie verlassen, sobald es ihnen möglich ist. Das bedeutet, daß wir ihnen helfen müssen, ein…« – Dawson brachte das folgende Wort immer noch nicht ohne zu stottern über die Lippen – »ein Siskjisspath zu bauen. Ihres haben sie nach Umrundung der Sonne abgeworfen, damit wir uns die Technik nicht aneignen konnten. Es handelt sich im Prinzip um nichts anderes als ein modifiziertes BussardStaustrahl Triebwerk. Am besten lassen Sie sich das von einem Fachmann näher erläutern. Es ist der Schlüssel zu den Sternen, und wenn wir ihnen eins gebaut haben, wissen wir, wie wir auch für uns eins bauen können.
Andererseits hat der Herr der Herde nicht die Unterwerfung seiner Herde in aller Form angeboten. Ich soll keinem Fi’ den Fuß auf die Brust setzen, das wurde deutlich gemacht. Verstehen Sie mich?«
»Ich verstehe. Wurde ein Zeitraum für die Räumung der Erde festgesetzt?«
»Nein. Ich bin ohnehin nicht sicher, ob die Fithp imstande wären, das durchzusetzen. Die unten befindlichen können sich in kleinere Herden aufspalten, und es ist keineswegs sicher, ob sie überhaupt aus Afrika weg wollen…«
»Dawson! Dawson! Melden Sie sich, Dawson!«
»Afrika soll selbst zusehen«, sagte General Toland. »Die Rüßler können nicht lange kämpfen, wenn niemand sie durch Meteorabwürfe unterstützt. Von mir aus dürfen sich die Zulus ruhig mit ihnen amüsieren.«
»Das stellt keine Bedrohung für uns dar, da bin ich Ihrer Meinung«, sagte Admiral Carrell. »Ist die Verbindung unterbrochen?«
»Hier Dawson. Ich war nicht befugt, das zu sagen, deshalb haben sie mich nicht ausreden lassen. Was in Afrika geschieht, ist unerheblich! Die Fithp sind froh, wenn sie einen Waffenstillstand bekommen. Mr. President, ich kann Ihnen nicht sagen, was draußen vor sich geht. Wissen Sie Bescheid?«
»Wes, wir stehen in Verbindung mit Erzengel. General Gillespie befehligt es. Es ist anzunehmen, daß wir in den nächsten zwei Stunden das feindliche Mutterschiff zerstören können. Wir sind genauestens über die Situation informiert.«
»Der Herr der Herde wünscht, daß ich das Angebot wiederhole. Sie sollen – wie hieß das Schiff? Erzengel? Guter Name! Wenn Sie Ed Gillespie zurückpfeifen, sind die Fithp bereit, mit ihren Grifflingsschiffen sein Raumschiff und die Raumfähren zu retten. Wer Afrika verlassen möchte, bekommt Gelegenheit dazu. Sollten welche von ihnen bleiben, so stellen die kein Problem dar. Die Fithp werden uns sagen, wie man ein interstellares Triebwerk bauen kann. Mr. President, sie würden anderenfalls alle Pläne für dieses Triebwerk vernichten. Sie haben die Sache seit Jahren geplant, lange bevor sie ins Sonnensystem gelangten.«
»Sollen wir das Angebot annehmen?« fragte der Präsident.
»Es tut mir leid, Präsident Coffey. Ich weiß nicht genug, und die Entscheidung liegt nicht bei mir. Ein früheres Angebot der Fithp habe ich gar nicht erst weitergeleitet. Sie wollen Ihnen etwa zehn Minuten Bedenkzeit geben, Mr. President, betonen aber, daß sie bereit sind, Erzengel zu bekämpfen. Ich habe jedoch keine Ahnung, womit.«
»Hören die Fithp mit? Können sie mich verstehen?«
»Sie hören zu. Einige verstehen Englisch.«
»Sagen Sie ihnen, daß sie warten müssen, bis ich mich beraten habe.«
»Das verstehen sie, Sir.«
»Schön. Dann warten Sie!«
»Sie wollen, daß Sie Erzengel eine Feuerpause befehlen, während Sie überlegen. Sie verhandeln lediglich, weil sie weitere Schäden an Thaktan Flishithy vermeiden wollen, da alle ihre Weibchen und Jungen an Bord si…«
»Wes. Wes, was ist?«
Eine fremde, kalte Stimme meldete sich zischelnd: »Hier spricht Lehrer Takpassihjämp. Sucht Rat. Wir hören.«
»Geben Sie mir die Michael«, befahl Admiral Carrell.
»Kann er uns denn genug sagen?« fragte Präsident Coffey.
»So oder so, wir müssen mit ihm reden«, gab Carrell zurück.
»Michael, hier Gimlet. Michael, hier Gimlet…«
»Sprechen Sie, Gimlet!«
Jenny wies zu Admiral Carrell hinüber.
»General, obwohl wir ziemlich sicher sind, daß unsere Codes nicht entschlüsselt werden, bitte ich Sie um Verständnis dafür, daß ich den Tatbestand umschreibe.«
»Verstanden.«
»Mama möchte, daß das Kind wieder lieb ist. Wir leben getrennt, und ihr sollt aufhören, mit Geschirr nach ihr zu werfen. Der Große Weiße Vater braucht Rat. Von Ihnen.«
»Aha. Verstanden. Sagen Sie dem Großen Vater, daß wir noch keine Maulsperre haben, aber man weiß ja nie.«
»Michael, haben Sie genug Geschirr?«
»Das wird allmählich knapp. Außerdem muß die Familienkutsche repariert werden. Den Scheidungsprozeß kann ich gewinnen, aber ich habe nicht genug Zeit, über Unterhaltszahlungen zu verhandeln.«
»Danke, Michael. Machen Sie weiter! Gimlet Ende.« Admiral Carrell nickte und sagte halblaut: »Dachte ich mir schon. Wenn er jetzt stillhält, laufen sie ihm davon. Die Michael kämpft also weiter, während wir beraten.«
»Lassen Sie Hap Aylesworth kommen und geben Sie mir den Krisenstab!« sagte der Präsident.
Nat hatte auf das Klingeln des Telefons gewartet. »TräumerFithp, Nat Reynolds hier. Wir haben mitgehört und sind im Bilde.«
»Was ist Ihre Meinung zu dem Angebot? Sollen wir es annehmen oder ihnen Erzengel auf den Hals hetzen? Wobei wir stets die Möglichkeit im Auge behalten müssen, daß Erzengel es vielleicht nicht schafft.«
Die anderen drängten sich dicht um Reynolds. Harpanets riesiger Kopf ragte über den Schultern der Menschen auf.
»Geben Sie uns fünf Minuten«, bat Nat.
»Vier müssen genügen.«
Nat legte auf. »Wir wollen mal abstimmen. Es eilt. Sherry?«
»Ich bin für annehmen. Sie halten bestimmt Wort.«
»Bob?«
Bob Burnham schüttelte sein massiges, weißes Haupt. »Wenn wir sie laufen lassen, können sie sich auf dem Mond festsetzen und nachher mit uns machen, was sie wollen. Ob sie das allerdings auch tun werden…?«
»Curtis?«
»Knallt ihnen ABomben vor den Latz, bis sie nicht mehr wissen, ob sie Männchen oder Weibchen sind, und dann ab mit ihnen in den Weltraum. Sherry, du ka…«
»Schluß! Joe?«
Joe Ransom dachte einen Moment lang nach und sagte dann eilig: »Ich halte mich da raus. Es steht zu sehr auf der Kippe.«
»Also keine Mehrheit. Diskussion. Jeder hat eine Minute. Sherry?«
»Ist doch ganz einfach. Wenn sie sagen, daß sie sich ergeben, meinen sie das auch.«
»Schon, aber… – na, von mir aus. – Wade?«
»Das glaube ich nicht. Sie kehren zum Saturn zurück, reparieren da ihr Raumschiff und kommen mit ‘nem neuen KleinMond wieder. Wenn wir sie jetzt nicht schlagen, dann nie. Übergabe ist Unsinn, Sherry. Die einzige Art der Unterwerfung, die ein Fi’ anerkennt, ist ein Fuß auf der Brust, dann tritt es als Sklave in die Herde ein. Davon aber haben sie in ihrem Angebot nichts gesagt.«
»Joe?«
»Stimmt. Aber in Afrika haben sie ähnliche Angebote gemacht und eingehalten. Sie verstehen also, wie so etwas vor sich geht.«
»Klar«, sagte Curtis. »Es gibt viele Leute, die Verträge verstehen, das muß nicht unbedingt bedeuten, daß sie sie auch einhalten!«
»Und du, Nat?«
»Nun ja. Die Sache ist knifflig. Harpanet? Als du dich der TräumerFithp angeschlossen hast, hattest du noch nie etwas von einer Übergabe unter vereinbarten Bedingungen gehört.«
»Das stimmt nicht. Ich kenne einen solchen Fall aus unserer Geschichte.«
»Erzähl, aber faß dich kurz!«
Das Fi’ berichtete: »Es herrschte Krieg. Er wurde mit Kernwaffen ausgefochten, wie auch schon frühere. Die Fithp der südlichen Landmasse entwickelten eine Seuche, mit der sie das Futtergras der östlichen Landmasse vernichten konnten. Sie sagten das der Fithp der östlichen Landmasse und erfuhren, daß diese etwas Ähnliches erfunden hätten…«
»Wir haben keine Zeit, Harpanet!«
»Leitet mich. Der Planet wäre verseucht worden. Alles wäre noch unerträglicher geworden, vielleicht so sehr, daß alle Fithp den Vorlingen in den Tod hätten folgen müssen. Die jeweiligen Herren der Herde trafen zusammen und vereinbarten, mit dem Wissen des HimmelsThaktan ein Raumfahrzeug zu bauen. Die höheren Ränge einer Fithp würden zum nächsten Stern fliegen, von dem bekannt war, daß ihn intelligente Wesen bewohnten. Als Thaktan Flishithy fertig war, entschieden die beiden Fithp durch das Los, wer fortgehen durfte.«
»Wurde das Abkommen eingehalten?«
»Natürlich. Wir sind hier.«
»Kennst du ein weiteres, ähnliches Ereignis?«
»Innerhalb einer Fithp sind solche Abkommen alltäglich. Zwischen Fithp äußerst selten.«
»In Ordnung.« Reynolds nahm den Hörer auf. »Mr. President?«
Durch die dicke, schalldichte Tür war das Klopfen kaum zu hören. Jack Clybourne öffnete. Hap Aylesworth, beleibt, bärtig, mit wirrem Schopf, trat ein. »Sie wollten mich sprechen, Sir?«
»Sofort, Hap. Ja, Mr. Reynolds?«
»Wir können uns nicht einigen. Man darf annehmen, daß sich die Fithp an eine Kapitulation halten werden. Es gibt sogar einen Präzedenzfall. Trotzdem gefällt uns die Sache nicht.«
»Danke.« Der Präsident legte auf. »Hap, ich brauche einen Rat. Haben Sie mitgehört?«
»Ja, Sir.«
Sekunden verstrichen auf der großen, digitalen Zeitanzeige.
»Sechs Minuten«, sagte Jenny.
»Ich hatte angenommen, der Krisenstab könnte mir helfen«, sagte Coffey. »Aber das ist nicht der Fall. General. Admiral. Sie haben es gehört. Was raten Sie mir?«
»Sicher wird die Menschheit vor den Eindringlingen erst dann sein, wenn sie entwaffnet sind«, gab General Toland zu bedenken.
Der Präsident wies auf die großen Bildschirme im unteren Geschoß. »Und wenn sie die Michael vernichten? Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen, wie Sie ja wohl wissen.«
»Ist aber unwahrscheinlich«, sagte Admiral Carrell.
»Entschuldigung, Admiral?«
»Die Michael nähert sich ihnen rasch. Vorausgesetzt, er macht keinen Fehler, kann Gillespie sie rammen. Ich denke, Sie können sich darauf verlassen, daß er jede Bombe an Bord hochgehen läßt, sobald er nahe genug dran ist.«
»Ihr Rat, Admiral?«
Carrell hob eine Augenbraue und sah auf die Zeitanzeige. »Ich denke, wir sollten die Sache so laufen lassen.«
»Alle ihre Weibchen und Kinder. Sie sind von den Sternen gekommen. Sie bieten uns ein interstellares Triebwerk an. Das würden wir nicht bekommen, wenn…«
»Dafür aber die Erde behalten«, sagte Carrell.
»Aber um welchen Preis? Hap?«
»Ich passe. Ich weiß, wie man Wahlen gewinnt, aber hiervon verstehe ich nichts.«
»Gimlet, hier Michael. Die Große Mama ist sehr böse; beeilt euch!«
Einer der Bildschirme unten flackerte stark und hektisch auf.
»Die dreschen wie wild aufeinander ein«, sagte General Toland. »Gib’s ihnen, Gillespie.«
»Nein«, sagte Präsident Coffey. »Colonel, geben Sie mir General Gillespie. Sagen Sie ihm, daß ich neue Befehle für ihn habe. Dann möchte ich mit Wes Dawson sprechen. Wir können ehrenvoll aus dieser Sache herauskommen.«
»Bitte nicht, Mr. President«, sagte General Toland. »Das Risiko ist einfach zu hoch! Thor, sag es ihm!«
»Ich habe Ihren Rat gehört, General. Ich will ihn nicht noch einmal hören. Colonel, wenn Sie bitte…«
Langsam und zögernd betätigte Jenny die Tasten. Die Erinnerung an Puppen und zerquetschte Kinder stieg unwillkürlich in ihr auf, Bilder von aufgetürmten Leichenhaufen in einer Straße von Topeka. Sie erhob sich. »Nein, Sir.«
»Colonel…?«
»Ich quittiere den Dienst.«
»Admiral Carrell…«
»Nein, Mr. President.«
Coffey wandte sich zur Tür. Jack Clybourne stand bewegungslos davor. »Sie auch, Mr. Clybourne?«
Jack schwieg.
»Ich bin hier der Oberste Befehlshaber! Hap, sagen Sie ihnen…«
»Ich bin nicht der Oberste Befehlshaber, David.«
»Colonel, würden Sie zumindest die Güte haben, Mrs. Coffey an den Apparat zu holen?«
Jenny sah auf Admiral Carrell. Dieser schüttelte den Kopf. »Sir, die Zeit würde nicht reichen, ihr die Sache hinreichend zu erklären.«
»Ich lasse Sie alle miteinander vors Kriegsgericht bringen!«
»Möglich«, sagte General Toland. »Morgen. Aber im Augenblick bleiben uns noch etwa drei Minuten.«
»Der Teufel soll Sie holen, einen wie den anderen! Diese Kreaturen werden die Michael zerstören, und dann wird ihnen die Erde gehören.«
»Nein, Sir«, sagte Admiral Carrell. »Wenn hier jemand die Erde aufs Spiel setzt, dann sind Sie das! Wir bedeuten lediglich eine Gefahr für die Feinde der Menschheit.«
Coffey ließ sich in einen Sessel sinken und vergrub den Kopf in den Händen. Nach einer Weile nahm Admiral Carrell das Mikrofon auf. »Colonel, geben Sie mir Mr. Dawson.«
»Jawohl, Sir.«
»Kongreßabgeordneter Dawson, hier spricht Admiral Carrell. Der Präsident ist verhindert.«
»Was?«
»Sagen Sie dem feindlichen Kommandanten, daß wir sein Angebot zurückweisen.«
Jetzt verdeckten Stahlplatten die Fenster. Am Himmel zuckten grüne Blitze auf und blendende weiße Explosionen. Fithp in Druckanzügen schoben sich durch die Wandung des schwer beschädigten Rumpfes und schleppten Ausrüstungsteile hinter sich her. Immer neue Einschläge erschütterten die Bote, und der Herr der Herde trompetete: »Wie machen sie das? Herr der Verteidigung?«
»Die Wunde in Abschnitt Fünf ist vom Eindringling abgewandt, seit Ihr den Befehl gegeben habt, Herr der Herde, aber die winzigen Schiffe umkreisen uns und feuern in sie hinein. Sie nehmen dazu keine Raketen, und unsere Laser können träge Projektile nicht erfassen.«
»Dann vernichtet diese fliegenden Kanonen! Takpassihjämp, hat sich der amerikanische Präsident entschieden?« Doch er kannte die Antwort bereits. Takpassihjämps Grifflinge lagen starr auf dem Kopf. Sie umkrallten noch immer den Hörer, durch den er Dawsons Gespräch mitgehört hatte.
»Dawson.«
»Sagt Adieu, Herr der Herde. Wir werden unseren eigenen Weg zu den Sternen finden, und ihr werdet dort nicht auf uns warten.«
»Könntest du nicht versuchen…?«
»Der Präsident ist verhindert. Ich kenne David Coffey. Er muß tot sein oder im Sterben liegen. Jetzt ist Admiral Carrell zuständig. Unser Herr des Angriffs. Er möchte euch auslöschen, und er würde nicht auf mich hören, wenn ich versuchte, ihn zu überreden. Alice, jetzt dauert es nicht mehr lange.«
Der Herr der Herde fragte: »Was willst du von mir, Dawson?«
»Zwei Monate Einzelhaft, Herr der Herde, aber so viel Zeit bleibt uns wohl nicht.« Dawson krallte sich fester in die Wandbespannung, als ein Anprall von der Seite die Bote ins Schwanken brachte.
»Holt meine Gefährtin!« befahl der Herr der Herde.
Der Sicherheitsraum Zwei war voller Weiber und Jungtiere. Der Lärm war entsetzlich: tröstende Erwachsenenstimmen, das Jammern verschreckter Kleintiere, die Herde wird angegriffen! »Keph, was ist? Die Kinder benehmen sich wie Einzelgänger!« schrie seine Gefährtin.
»Keph, ich möchte mich unterwerfen.«
Entsetztes Schweigen trat ein. Dann erhob sich die letzte Stimme, die Pastempihkeph zu hören wünschte: es war Tshaupin talk. »Unterwerfen wollt Ihr euch, und damit die ganze Ziehende Herde – Ihr? – Törichter Einzelgänger! Mein Gefährte hätte uns jetzt längst sicher zum Saturn gebracht, hättest du ihn nicht seines Ansehens beraubt!«
»Ich gebe das zu. Ihr im Sicherheitsraum Zwei müßt für die anderen sprechen. Stimmen die Weiber einer Übergabe zu?«
»Ich will mit dem Herrn der Verteidigung sprechen!«
Tantarentfid kam auf den Bildschirm. Doch Pastempihkeph hörte nur mit halbem Ohr zu. Schäden… Waffen… der Eindringling kam mit fünf Makasrapkithp pro Atemzug näher, genau auf das Raumschiff zu, war beweglicher als die Bote in ihren besten Tagen… »Wenn wir den Feind zerstäuben, kondensieren die Tröpfchen und töten uns. Wenn wir die Besatzung an Bord des ErdlingsSchiffs töten, detonieren seine Bomben, sobald es näher kommt. Unsere einzige Aussicht, der Vernichtung zu entgehen, besteht darin, daß der Feind sein Schiff von uns weg lenkt.«
»Unterwerft euch, Keph!« sagte Tshaupintalk. »Legt euch für den Mord an meinem Mann auf den Rücken!«
»Unterwerft Euch! Alle sind einverstanden.«
Der Herr der Herde taumelte in den Gang zwischen den Polstern. »Dawson. Das Schiff gehört dir.«
»Ich möchte mit den anderen gefangenen Erdlingen sprechen.«
Auf den Bildschirmen zeigten sich undeutlich Umrisse, dann wurde das Bild klarer. Arwid Rogatschow und Jeri Wilson standen dicht beisammen, inmitten von Gemetzel und Zerstörung. Dmitri rag reglos in einer Ecke.
»Gebt ihnen Waffen und bringt sie her!«
»Ich gehorche.«
»Jetzt schaltet euren Antrieb ab! Sprengt alle in der Luft befindlichen Raketen! Feuert keine weiteren ab!«
»Einverstanden. Sag deinem Herrn Bescheid! Das Schiff darf nicht auf unseres treffen.«
»Erst nachdem ich gehört habe, daß du die Befehle gibst.«
»Tantarentfid! Zerstöre sofort unsere Raketen! Schirme herankommende Waffen weiterhin mit Lasern ab! Schalte den Antrieb ab!«
Der Herr der Herde hätte sich nicht träumen lassen, wie sehr diese Worte schmerzten. Die Blicke all seiner Fithp ruhten auf ihm. Pastempihkeph rollte sich im Gang auf den Rücken. Der Herr der Herde Wes Dawson sagte: »Alice.« Er streckte die Hand aus. Der zierliche Rotschopf kam auf ihn zu. Dawson nahm ihre Hand. Gemeinsam traten sie vor und setzten dem Berater des neuen Herrn der Herde einen Fuß auf die Brust.